Apropos Zensur (von Fritz Lang)

Die Freiheit der Leinwand

PDF Fritz Lang über Zensur

Diese erstaunlich aktuellen Bemerkungen zur Filmzensur in Amerika veröffentlichte Fritz Lang, der morgen 100 Jahre alt geworden wäre, im Dezember 1947   von Fritz Lang

(Wieder veröffentlicht in der Taz am 04.12.1990)

“Vor etwa zwanzig Jahren machte ich einen Film. Er hieß Frau im Mond und sollte den Flug einer großen Rakete durch den Weltraum, ihre Landung auf dem Mond und die anschließenden Abenteuer der Mannschaft bei der ersten Erkundung der Mondoberfläche zeigen. Es war ein Film über die Kühnheit des Menschen im Angesicht des Unbekannten. Er wurde von den Nazis aus dem Verkehr gezogen, und die Gestapo konfiszierte die Modelle meines Raumschiffs.

Willi Ley, einer meiner technischen Berater, flüchtete aus Deutschland, um in den Vereinigten Staaten Raketenexperte zu werden; Professor Oberth hingegen blieb und benutzte die Entwürfe bei der Entwicklung der teuflischen V2 – Bomben. Nicht immer sind die Folgen der Zensur so spektakulär.

Ich glaube nicht an Zensur. Es gibt Zeiten, zum Beispiel während eines Krieges, in denen sie geboten scheint, aber bestenfalls ist sie ein notwendiges Übel. Versuche einer Mehrheit oder einer Minderheit, der Masse des Volkes ein Denkmuster aufzuzwingen, führen nur zu allgemeiner Unwissenheit, Mißverständnissen und einem Desaster für alle, sowohl für die Möchtegernlehrer als auch die falsch belehrte Öffentlichkeit.

Freie Diskussion, die Hitze der Auseinandersetzung und die weite Verbreitung von Informationen sind das Lebenselixier einer Demokratie. Wir müssen stets auf der Hut sein, diese Freiheiten und Privilegien nicht in fremde Hände zu geben. Keine Gruppe kann das Denken für uns erledigen. Um mit Lord Acton zu sprechen: Macht korrumpiert, und totale Macht korrumpiert total.

Es scheint selbstverständlich, mündigen und gebildeten Bürgern die größtmögliche Vielfalt von Erfahrungen und Meinungen zu gewähren. Nur durch die Darstellung neuer Ideen kann unsere Zivilisation sich weiterentwickeln. Doch es liegt in der Natur der Sache, daß die Zensur das Unbekannte ablehnt. Zensoren gehen auf Nummer sicher. Im Namen von Gesetz und Ordnung und Moral weisen sie neuer diee Ideen als subversiv zurück.

Wir alle haben, in unterschiedlichem Ausmaß, eine bestimmte Antipathie gegenüber Veränderungen, die dem tiefsten aller Instinkte entspringt: dem Selbsterhaltungstrieb. Das trifft besonders auf ältere Menschen – sowohl konservative als auch liberale – zu. Ihre Ansichten, zu denen sie in früheren Jahren gekommen sind, als sie für Eindrücke besonders empfänglich waren, verhärten sich.

Wie sagte Michael Blankfort in einem seiner Romane: „Reform ist der Traum der Jugend und der Alptraum des Alters.“ Der Weg wahrer Sicherheit und echten Fortschritts liegt weder im blinden Annehmen noch in der uneingeschränkten Ablehnung neuer Ideen; diese müssen genau geprüft, auf die Probe gestellt und, wenn sie es wert sind, übernommen werden. Die Zensoren würden uns das Recht verweigern, das Neue zu erforschen. Zensur – sei es nun von Büchern, Theaterstücken oder Filmen – ist niemals ein wirkungsvolles Mittel im Kampf gegen soziale Mißstände, es sei denn im negativen Sinne.

In begrenztem Maße und für eine kurze Zeit verhindert sie vielleicht die Verbreitung von Ideen oder Plänen, die zu gefährlichen Reaktionen unter den Unmündigen, Ungebildeten oder Verantwortungslosen führen könnten. Doch die Menschen begegnen solchen Ideen nicht allein in Literatur, Theater und Film; sie sind ihnen im täglichen Leben ständig ausgesetzt.

Wenn man behauptet, daß solche Gedanken nicht existieren, und der Kunst die ehrliche Auseinandersetzung damit verwehrt, behandelt man die Zuschauer wie Kinder. Aber vielleicht ist das die Idee, die hinter der steht: das Publikum in einem Zustand der Unreife zu halten, damit es leichter zu beeinflussen und zu beeindrucken ist.

Zensur hat noch kein gesellschaftliches Übel behoben. Verbrechen sind verboten (zensiert!), aber sie verschwinden nicht aus dem Leben unserer Nation. Auch Krankheit oder Armut lassen sich nicht dadurch abschaffen, daß man wegschaut. Solche Übel sind zurückzuführen auf gesellschaftliche und wirtschaftliche Bedingungen; die Vorstellung, daß Menschen arm sind, weil sie faul sind, oder daß sie einfach aufgrund von Charakterschwächen kriminell werden, ist so überholt wie die Lehre von der Erbsünde, der sie entstammt.

Kriminalität läßt sich nicht bekämpfen, indem man sie verschweigt; vielmehr muß man ihre Ursachen erforschen und, wenn sie offengelegt sind, beseitigen. Das ist seit Urzeiten die Funktion des Theaters, das von den Konflikten zwischen Charakteren sowie zwischen Charakter und Umwelt lebt. Theater ist nur dann überzeugend, wenn die Motive des Handelns wirklich begriffen und gezeigt werden. Suchen wir also nach Motiven, und wenn wir ihnen nachgehen, werden wir die dringenden Probleme unserer Zeit und unserer Gesellschaft erhellen können. Hat der Filmproduzent mehr statt weniger Freiheit, wird er in der Lage sein, die Ursachen der Kriminalität zu beleuchten und den Weg für Reform und Fortschritt zu ebnen.

Angeblich mit der Absicht, das Publikum vor Obszönitäten zu bewahren, erschweren Zensoren häufig die offene Auseinandersetzung mit Sexualität; allzu oft besteht ihr Erfolg bloß darin, Sex lächerlich zu machen, indem sie ihn auf eine schmusige Angelegenheit zwischen Erwachsenen reduzieren. Zur Zeit werden die Kinder in der Schule offener und direkter mit sexuellen Themen konfrontiert als erwachsene Kinozuschauer.

Im Klassenzimmer hat man erkannt, daß Sexualität mehr ist als eine Anzüglichkeit; sie ist ein essentieller Bestandteil des gesunden Lebens einer Nation. Wie immer liegt die Gefahr nicht darin, die Wahrheit zu sagen, sondern Halbwahrheiten zu verbreiten.

Manchmal wird gesagt, Filme – als eine Form der Unterhaltung – sollten ernsthaftere Themen meiden. Wie Hollywood jedoch aussah, als das geschah, beschrieb der Kritiker Otis Ferguson folgendermaßen: “Witzemacher eilten herbei und bombardierten das Publikum mit Wortspielen und Situationskomödien, die nicht mehr waren als der clevere Abklatsch des gedämpften Lachens im Varieté.“

Echte, entspannende Unterhaltung kann niemals in einem Vakuum gedeihen; die Kunst Dostojewskis, Zolas, Dickens‘, Shaws und Hunderter anderer beweist das genaue Gegenteil. Filme müssen ihre Kraft aus dem Leben ziehen, denn nur als Abbild der sich ständig verschiebenden gesellschaftlichen Strukturen und Konflikte bleiben sie interessant, stimulierend und können, durch die Darstellung sozialer Probleme, Lösungen andeuten.

Die Anhänger der Zensur sind der Ansicht, die Masse des Volkes sei unmündig. Sie meinen, daß die Menschen aufgrund mangelnder Bildung in Bereichen wie Politik, Gesellschaft oder Sexualität nicht in der Lage sind, sich dem schädlichen Einfluß von Büchern, Theaterstücken etc. zu entziehen, die mit politischen oder einfach pornographischen und kommerziellen Hintergedanken geschrieben wurden.

Es ist pure Heuchelei zu behaupten, daß die Allgemeinheit unreifer sei als jene, von denen sie regiert wird – insbesondere diejenigen, die ohne jedes öffentliche Mandat ihren Weg in die Zensurbehörden finden.

Die von einer Minderheit diktierte Zensur von Ideen ist etwas ganz anderes als die von der Mehrheit des Volkes getragenen Gesetze gegen Obszönität; und es muß betont werden, daß Unsittlichkeit und Pornographie im Film denselben gesetzlichen Verboten unterliegen wie Cartoons, Bücher, Bühnenshows und Zeitschriften.

Wo der Geschmack oder die Moral verletzt werden, hat die Polizei die Macht einzuschreiten, und das Publikum wird von den Gerichten ausreichend geschützt.

Es gibt eine Gruppe in der Gesellschaft, die für die Einflüsse von Kinofilmen besonders empfänglich ist, nämlich die Kinder und Jugendlichen, deren Status eine genauere Betrachtung erfordert.

Kinder sind sehr phantasievoll, offen für neue Ideen und haben wenig Rüstzeug, um die tiefere Bedeutung des Gesehenen zu verstehen. Darum brechen die Zensoren nur allzu gerne eine Lanze für sie; mit billigen Phrasen wie „Gift für die Gedanken der Jugend“ verunklaren sie die ganze Angelegenheit. Untersuchungen von Psychologen und Sozialarbeitern haben gezeigt, daß die Befürworter der Zensur die möglichen Gefahren für Kinder bei gewöhnlichen Filmvorführungen überbewerten.

Sie belegen, daß Kinder im Kino vor allem das aufnehmen, was ihnen aus ihrer Umgebung bereits bekannt ist. Die Studien zeigen auch, daß der gefährlichste Effekt von Filmen mit den Aspekten der gegenwärtigen Zensur gar nichts zu tun hat. Das Gefährlichste an ihnen ist vielmehr die Schaffung einer Traumwelt, in der es Belohnungen ohne die entsprechenden Anstrengungen gibt und angesichts derer die Kinder den wirklichen Lebenskampf nicht begreifen lernen. Sexuelle Anspielungen sind für sie eher langweilig als aufregend, erst für Jugendliche wird die sexer dieuelle Komponente wichtig.

In einigen Ländern, wie zum Beispiel in England, löst man das Problem, indem man Filme als für Kinder geeignet oder ungeeignet kategorisiert. Gegen ein solches Schema spricht der unterschiedliche Reifegrad von Kindern desselben Alters, so daß die Festlegung eines bestimmten Alters, etwa von 16 Jahren, höchst willkürlich erscheint. Kontrolle durch die Eltern, auch eine Art Zensur, erfordert eine ausreichende Betreuung der Familien. Die Crux der Sache liegt darin, das Bildungs- und soziale Niveau so zu heben, daß die Kinder in einem aufgeklärten Zuhause aufwachsen.

Es kann nur katastrophal ausgehen, wenn wir wirklich eine Generation heranziehen, die mit den Realitäten des Lebens nicht vertraut ist; die, irregeführt von verlogenen Heile-Welt-Filmen und -Büchern, glaubt, daß die Welt ein Rosengarten sei, in dem alle Menschen entweder gut und vertrauenswürdig sind oder andernfalls ein böses Ende nehmen.

Das Wort “Zensor“ stammt von den Römern, aber Zensur gab es schon in vorrömischen Zeiten. Sokrates wurde ihr Opfer, bevor der Römische Senat zwei Zensoren ernannte, die über Sitten und Moral des Volkes zu wachen und Verstöße zu ahnden hatten. Damals war kein Einspruch möglich; die Zensoren hatten absolute Macht.

Ein altes lateinisches Sprichwort mag uns heute als Warnung dienen: „Quis custodiet ipsos custodes?“ – Wer soll über diejenigen wachen, die uns überwachen? Die Antwort muß lauten, daß wir als die spätere Generation über sie wachen. Wir sahen, wie sie Milton knebelten; wir sahen, wie sie Kopernikus denunzierten und Galilei einsperrten; wir sahen, wie all die Eiferer von Savonarola bis Hitler Verunstaltungen und Verstümmelungen vornahmen und Freudenfeuer aus Büchern entfachten. Den Qualm dieser Feuer haben wir immer noch in der Nase.

Ich glaube nicht an Zensur. Die gesamte Geschichte spricht gegen sie, jeder gesunde Menschenverstand straft sie Lügen. Als Amerikaner und aktiver Filmschaffender habe ich ein besonderes persönliches Interesse an der Entwicklung der Filmzensur in den Vereinigten Staaten.

Ausgehend vom unvollkommenen Zustand der Welt, wäre es unsinnig zu behaupten, daß unsere Zuschauer alle gleichermaßen vernünftig oder gebildet sind oder daß Filmemacher immer kreative Künstler wären. Nach dem Krieg von 1914 entstand – vielleicht durch die kurzsichtigen Aktivitäten von Hollywoods Öffentlichkeitsarbeitern – der Eindruck, daß das Leben dort eine einzige ununterbrochene trunkene Orgie sei und daß sich Hollywoods Lebensstil in seinen Filmen wiederspiegele.

Ein Sturm des Protestes ging durch das Land. Ausgelöst wurde er durch unzählige Beschwerden, Verbote und Resolutionen von Frauenvereinigungen, Jugendbewegungen, kirchlichen Organisationen, Veteranenverbänden und dem Senat der Vereinigten Staaten.

Angesichts des spektakulären Rückgangs der Einnahmen und der Aussicht auf eine einengende staatliche Zensur schlossen sich die führenden Größen der Filmindustrie zusammen und engagierten Will H. Hays als Verantwortlichen für die Öffentlichkeitsarbeit. Im Rahmen seines Reformprogramms entwickelte er den „Production Code“, eine Form der Selbstzensur, die – mehrfach überarbeitet – das Geschäft bis heute bestimmt; daraufhin konnten die verschiedenen Vereinigungen und Insitutionen dazu bewegt werden, ihre Forderungen nach öffentlicher Zensur fallenzulassen. Die Krise konnte gerade noch verhindert werden.

Inzwischen hat der Konflikt sich gelegt. Offensichtlich kommt es zu solch öffentlicher Empörung nicht immer nur dann, wenn der gemeine Bürger Anstoß nimmt. Genausogut können die Proteste einer lautstarken, engstirnigen Minderheit am Anfang stehen – Äußerungen derjenigen, die nur allzu bereit sind, die Zensurbehörden zu übernehmen.

Möglicherweise ist die selbstauferlegte Disziplin der Filmindustrie derzeit notwendig, um den komplexen Ansprüchen der Gesellschaft gerecht zu werden, aber selbst eine solche Regelung sollte flexibel bleiben, da Auffassungsgabe und Geschmack des Publikums sich immer wieder ändern.

Dementsprechend sollte die Johnston-Breen-Behörde, die Nachfolgeorganisation der alten Hays-Behörde, dazu gebracht werden, auf die derzeitige Filmzensur – die nicht so bezeichnet wird, aber dieselben Auswirkungen hat – zu verzichten: Im Moment werden Filme ohne Zertifikat in Theatern, die sich dem Code verpflichtet haben, nicht vorgeführt.

Wenn die Zensur aufgehoben ist, kann die Behörde die Produzenten weiterhin auf die zu erwartenden Reaktionen des nationalen und internationalen Publikums aufmerksam machen und den Filmemachern die Entscheidung über ihre Inhalte selbst überlassen.

Abgesehen vom Production Code gibt es keine Rechtfertigung für zwangsweise und rigide Zensur, wie sie heutzutage von bestimmten staatlichen und lokalen Institutionen praktiziert werden.

Eine derartige Zensur überschreitet die juristischen Zuständigkeiten dieser Behörden, denn in ihrem natürlichen Bestreben, ein möglichst großes Publikum zu erreichen, berücksichtigen die Produktionsfirmen bei der Planung ihrer Projekte bereits die Tendenzen der Zensoren. Das Verbot eines Films zum Beispiel im Staat New York hat ernsthafte finanzielle Verluste zur Folge. Mein Film Scarlet Street war ursprünglich im Staat New York, in Milwaukee und Memphis verboten, und in allen Fällen wurde das Verbot erst nach Verhandlungen aufgehoben, obwohl der Film sonst überall zu sehen war.

In Amerika gibt es heute um die 56 Millionen Kinobesucher, und was sie sehen oder nicht sehen, hängt von den Launen und Vorurteilen der sieben staatlichen Zensurbehörden in Kansas, Maryland, Massachussetts, New York, Ohio, Pennsylvania und Virginia sowie von etwa 74 Zensoren in größeren Städten ab. Die politischen Kräfte des Südens beispielsweise haben, indem sie auf einer eingeschränkten filmischen Darstellung von Schwarzen in ihren Staaten bestanden, dem gesamten Land dieses Schwarzen-Image aufgedrängt. Inzwischen sind wir soweit, daß die Produktionsgesellschaften – wegen des Drucks von Südstaatenpolitikern einerseits und der Kritik an der unangemessenen Darstellung andererseits – Schwarze bewußt aus ihren Filmen ausklammern.

Sie können es sich nicht leisten, unterschiedliche Versionen für die verschiedenen Bevölkerungsgruppen herauszubringen. Zensur ist ein unberechtigter Eingriff in die bürgerlichen Freiheiten einer großen Nation.

Ein Volk, das sich durch jahrelange Bemühungen und Widerstand gegenüber großen und kleinen Demagogen das Recht erkämpft hat, sein eigenes Schicksal zu bestimmen, wird behandelt wie ein Haufen von Minderjährigen oder staatlichen Mündeln, die geschützt, gelenkt und getäuscht werden müssen.

Aufgrund welcher Verordnung kann denen, die Europa wegen politischer oder religiöser Verfolgung verließen, oder denen, die sich vor zweihundert Jahren gegen die englische Herrschaft zur Wehr setzten, nun vorgeschrieben werden, was sie denken dürfen und was nicht?

In einem Zeitalter, in dem alles vorfabriziert wird, kann kein Volk – am wenigsten das amerikanische – es sich leisten, sich die ehrliche Meinung abgepackt, geprüft, für gut befunden und versiegelt servieren zu lassen.

Im Kino behindern solche verkehrten Bestrebungen nur die einzig legitime Zensur: die durch das Publikum. Wie jeder Produzent weiß, schöpfen die Zuschauer ihre Möglichkeiten zur Zensur vollständig aus: Ihre Reaktionen werden an den Kinokassen registriert.“

Aus dem Amerikanischen von Annette Schlichter

Der Text ist zuerst im Dezember 1947 in der amerikanischen Zeitschrift ‚Theatre Arts‘ erschienen.

„Metropolis“ Stadt mit Turm Entwurf: Erich Kettelhut Gouache: 30×39 cm
Fritz Lang bei den Dreharbeiten Frau im Mond

Apropos Lubitsch in Wien

Abschrift: Man hat zu wenig Geld fürs Kino!

von Ernst Lubitsch (aus »Mein Film«, Wien, Nr. 364 Seite3-4) 1932

PDF Lubitsch Artikel 364

Am Freitag morgens ist Ernst Lubitsch, der berühmte Filmregisseur, in Wien eingetroffen. Er hatte nur ein paar Freunde von seiner Ankunft verständigt. Die kamen auf den Bahnhof, so auch Emil Jannings. Im Hotel saß man dann gemütlich beisammen, zu Sechs bloß und Ernst Lubitsch erzählte viel Interessantes und sprach in seiner lebendigen Art Kluges und Geistreiches. Ehrlich und unbändig freute sich Lubitsch auf das Wiedersehen mit Wien, in dem er vor fünfeinhalb Jahren zuletzt weilte. Er erinnert sich gerne und mit Genugtuung daran, wie die Wiener ihn feierten und wie er damals im Mittelpunkt einer von „Mein Film“ veranstalteten Begrüßungsfeier stand. Diesmal betont Lubitsch den privaten Charakter seines Wiener Besuchs, der übrigens leider bloß kurz bemessen ist.

Meine Europafahrt trägt wirklich nur privaten Charakter. Es war mir ein Bedürfnis, wieder einmal nach Mitteleuropa zu kommen und meine lieben Freunde in London, in Berlin, in Wien und in Paris zu sehen. Daß ich dabei mich auch nach Stücken, nach Schauspielern umsehe und Eindrücke sammle, ist selbstverständlich. Aber das soll nur so nebenbei geschehen. In Wien habe ich allerdings auch mit meinem Freund Emil Jannings manches zu besprechen. Es gibt einiges für die Zeit, da Jannings wieder nach Hollywood kommt . . .

Nun bin ich schon wochenlang unterwegs. Von Hollywood nach London. Von London (im Flugzeug) nach Berlin. Von Berlin nach Kopenhagen und retour. Und von Berlin nach Wien. Dann geht es nach Budapest. Und wieder nach Berlin. Und späterhin nach Paris. Mitte Jänner muß ich bereits in New York sein, um neue Arbeit vorzubereiten.

Fest steht aber eigentlich nur, daß ich den nächsten Film mit Maurice Chevalier mache. Welcher Art das Sujet sein wird, weiß ich heute noch nicht. Möglicherweise wird man mir, wenn ich nach drüben komme, diesbezügliche Vorschläge machen.

Ich denke an ein Volksstück, das ich mit Chevalier in der Hauptrolle inszenieren möchte. Doch will ich mich gar nicht auf ein Genre festlegen. Meine Neigung ändert sich da oft. Ich bin zum Beispiel von der Tonfilmoperette zum ernsten hochdramatischen Film („Der fremde Sohn“) übergegangen, um dann neuerlich eine leichte Komödie mit unterlegter Musik zu schaffen. Sie heißt „Trouble in Paradise“ („Rummel im Paradies“) und ist mein jüngster Film, der in den Kinotheatern Amerikas und England bereits zu sehen ist.

Es ist wahrhaftig nicht leicht, jetzt mit einem Film das Richtige zu treffen und vor allem: damit Erfolg, in Besuchsziffern ausgedrückt, zu haben. Denn man täusche sich nicht darüber hinweg: in der ganzen Welt ist ein rapider Rückgang der Besucherzahl an den Vergnügungsstätten zu verzeichnen. Die Wirtschaftsnot ist schuld daran.

Man hat auch fürs Kino zu wenig Geld. Und so kommt es, daß in Amerika, speziell in New York, auch gute Filme nur wenig Zulauf haben und die Einnahmeziffern der Kinotheater um mehr als sechzig Prozent gesunken sind. In einem der größten Kinos von Los Angeles habe ich in der Abendvorstellung – an einem Wochentag- hundert Besucher gezählt.

Den Theatern geht es freilich auch nicht besser. Das Theaterviertel von New York ist gegen das Getriebe, das früher dort an den Abenden stets herrschte, als ausgestorben zu bezeichnen. Nur jene Theater, die das Allerbeste, die neue Inszenierungen, die Sensationen an Stück und Darstellung bieten, haben einigermaßen auf Kassenerfolge zu rechnen.

In der Regel ist es so, daß ein Theater, das heute mit einer neuen Revue etwa, eröffnet, ein paar Tage später seine Pforten bereits schließen muß. Nur wenige Theater können sich halten.

Dabei muß ich hervorheben, daß die New Yorker Theater sich sehr bemühen, ein abwechslungsreiches Programm zu bieten, das 97 Prozent aus neuen Bühnenwerken besteht.

In Berlin mußte ich jetzt leider die Erfahrung machen, daß es an den dortigen Theatern umgekehrt ist: man führt drei Prozent neue Stücke auf und 97 Prozent alte. Das ist meiner Meinung nach ein Fehler.

Auch der Filmproduzent muß sich natürlich bemühen, möglichst Neues zu bringen, um das Interesse des Publikums, das noch die Kinos besucht, wachzuerhalten. Obgleich es doch so ist, daß überall das Publikum die Qualität des Films diktiert.

Wir sind bestrebt, gute Filme zu machen. Jedoch die guten und originellen finden nicht immer das Gefallen der Kinobesucher. Und dann richtet sich der Produzent nach dem „Geschmack der Menge“. Und läßt die gangbaren Filme herstellen.

Trotzdem muß man stetig auf der Suche nach neuen Stoffen für den Film sein. Und eigenartige Stoffe interessieren immer. Es kommt auch auf das Milieu an, in dem der Film spielt. Er soll farbig und symphatisch sein.

Immer noch haben die Amerikaner zum Beispiel ein Faible für Wienerisches und Pariserisches Milieu. Oder besser gesagt: für Wiener und Pariser Atmosphäre. Der amerikanische Kinobesucher fühlt sie von der Lichtspielbühne her und erquickt sich an ihr.

Für ihn bedeutet wienerische Atmosphäre Fröhlichkeit und pariserische „glamour“ das heißt Glanz. Und Fröhlichkeit und Glanz, das sind ja Dinge, nach denen sich die Menschen in dieser traurigen und trüben Zeit besonders sehnen.

Es ist auch wichtig, die Filmdarstellerschaft zeitweise zu erneuern, das Ensemble um den Star zu variieren. Als eine neue Darstellerin in meinen Filmen habe ich Miriam Hopkins, als neuentdeckten Bonviant Herbert Marshall herangezogen.

In den amerikanischen Filmateliers wird übrigens trotz der Wirtschaftskrise sehr eifrig und viel gearbeitet. In allen Studios ist Großbetrieb. Man sorgt auch dafür, daß die Qualität der Quantität die Waage hält.

Man ist auch willens, dem Tonfilm eine möglichst internationale Note zu verleihen, ihn allgemein verständlich zu gestalten, so daß es nicht nötig wird, einen amerikanischen Film in deutsch gesprochenem Dialog unterlegen zu lassen, was immer eine Verfälschung der Leistungen der Originaldarsteller, aber auch der Arbeit des Regisseurs bedeutet.

Die Tonfilmtechnik ist so ausgezeichnet und so vollendet, daß mit allerlei besonderen Nuancen gearbeitet werden kann, auch was die Photographie des Tones und Tonfalles der Sprachgebung der Schauspieler betrifft. Jede künstliche Sprechunterlage schädigt da die ursprüngliche Wirkung.

Was die Technik des Films in allgemeinen belangt, so glaubt man in Amerika, daß sich der Tonfilm in seiner jetzigen Form noch ein paar Jahre erhalten wird. Die Versuche mit dem Fernsehkino scheinen noch nicht so weit zu sein, daß man in absehbarer Zeit von einer allgemeinen Einführung des Fernsehkinos also von einer Umwälzung auf dem Gebiet der Darbietung tönender, lebender Bilder sprechen könnte.

Soweit ich derzeit in Europa herumkomme, kann ich selbstredend überall erkennen, wie schwierig auch hier die wirtschaftlichen Verhältnisse geworden sind. Aber sie erscheinen mir keineswegs schlechter als in Amerika. Ich finde sogar, daß der Kino- und Theaterbesuch verhätnismäßig besser ist als drüben.

Ich sollte in New Yorck demnächst eine Theaterinszenierung besorgen. Jedoch ich nehme vorläufig davon Abstand und will abwarten, bis die Zeiten günstigere Aussichten für ein derartiges Unternehmen bieten.

Somit bleibe ich zunächst beim Film und setze den neuen Chevalier-Film und bald darauffolgend einen zweiten Film in Szene. Inzwischen wird wieder ein Herbst angebrochen sein, der für das Wirtschaftsleben der Welt vielleicht eine Wendung zum Vorteilhafteren bringen wird, was wir doch alle innigst wünschen und ersehnen!

Und dann wird man auch mit mehr Sicherheit Pläne entwerfen und zur Ausführung bringen können, als heute!

Ernst Lubitsch

(abgeschrieben aus: »Mein Film«, Wien, Nr. 364, Im Januar beginnt es mit der Numme 314, vermutlich erschien »Mein Film« einmal in der Woche).

Anmerkungen: Der erwähnte Film „Trouble in Paradise“ kam in Österreich und in Deutschland nicht ins Kino. In Deutschland wurde der Film mit dem deutschen Titel »Sünde im Paradies«, von der Firma Paramount-Film produziert, am 3. März 1933 mit einer fadenscheinigen Begründung verboten. Die Paramount AG Berlin legte Widerspruch ein.

Die »Film Oberprüfstelle« in Berlin, bestehend aus: Ministerialrat Dr. Seeger, und den Beisitzern: Emil Lind, Paul Oskar Höcker, Clara Bohm-Schuch (M.d.R) und Wilhelm Fecht »begutachtet« den Film erneut und weist die Beschwerde der Firma Paramount-Film AG Berlin zurück. Paul Reno ist als Vertreter der Firma Paramount anwesend. Der Film bleibt in Deutschland verboten. Erst 36 Jahre später, am 4. März 1969, erlebt er eine Fernsehpremiere.

filmportal beschreibt den Film so:

Die gerissenen Gauner Gaston und Lily lernen sich in Venedig auf ungewöhnliche Weise kennen: Nämlich bei dem Versuch, sich gegenseitig über den Tisch zu ziehen. Aber stattdessen verlieben die beiden sich ineinander und machen künftig als hochstapelndes Betrügerpärchen gemeinsame Sache. In Paris suchen sie die Nähe der reichen Witwe Mariette Colet und stehlen ihr eine wertvolle Handtasche – nur um sie ihr wenig später gegen einen beträchtlichen Finderlohn zurückzubringen. Mariette zeigt sich von dem „ehrlichen Finder“ Gaston so entzückt, dass sie ihm sogar eine Stelle als Privatsekretär gibt. Durch diese Position kann er auch Lily als Mitarbeiterin einstellen. Neues Ziel der beiden ist Mariettes Safe, in dem sie 100.000 Francs aufbewahrt. Allerdings verliebt Gaston sich überraschend in die schöne Mariette und zögert deshalb den Diebstahl immer wieder hinaus. Während Lily zusehends eifersüchtig reagiert, droht die Maskerade des Diebesduos aufzufliegen“.

von links nach rechts: Miriam Hopkins, Herbert Marshall, Kay Francis

Apropos Viktor Abel (II)

(Abschrift aus der Österreichischen Film Zeitung Nr. 29, vom 19. Juli 1930, Seite 6)

Eine neuartige Lösung des Sprachenproblems beim Tonfilm

Bekanntlich wird seit dem Beginn der Tonfilmproduktion daran gearbeitet, zu einer zweckmäßigen Lösung des wichtigsten Problems bei der Neuerung, der Sprachenfrage, zu gelangen, um dieses Hindernis, welches sich der Internationalität des Tonfilms entgegenstellt, aus dem Weg zu räumen.

Von den bisherigen Verfahren zur Uebertragung von Tonfilmen aus einer Sprache in die andere hat sich indessen keines so recht bewährt. Nun hat Viktor Abel in Berlin unter Zuhilfenahme des Systems der „Rhythmographie“ ein Verfahren zur nachträglichen Verdeutschung ausländischer Filme entdeckt, das als die derzeit beste und für die Zukunft aussichtsreichste Methode auf diesem Gebiet bezeichnet wird.

Ueber den Vorgang bei dem von Abel entdeckten Verfahren entnehmen wir der „L. B. B.“ nachstehende Einzelheiten:

Der ausländische Film wird zunächst wortgetreu übersetzt und nach einem besonderen Verfahren auf ein Blankfilmband geschrieben.

Dieses Blankfilmband läuft synchron gekoppelt mit einem Projektor mit einem Uebersetzungsverhältnis von 1: 8, d. h. bei 24 Filmbildern in der Sekunde läuft das Blankfilmband nur drei Bilder.

Es ist dadurch also möglich, die einzelnen Artikulationen der Darsteller auf dem synchron gekoppelten Schreibband zu vermerken. Auf diese Weise wird Meter für Meter nach den Mundstellungen synchron beschriftet.

Das so beschriftete Band wird in einem besonders konstruierten Apparat, das Rhythmonom, eingesetzt und die Schauspieler sprechen den nach den eingetragenen Artikulationen ausgewählten Text dazu.

Voraussetzung ist natürlich immer, daß der Text nicht nur dem Sinne nach dem ausländischen entspricht, sondern auch die Artikulationen der einzelnen Worte der fremdsprachigen Fassung entsprechen.

Damit wird auch verständlich, warum das Blankfilmband nur ein Achtel der Geschwindigkeit hat. Es wird hierdurch erreicht, daß der Schauspieler Zeit genug hat, um den Satz, der vor seinen Augen vorbeiläuft, langsam zu verfolgen.

Das korrigierte Band wird dann mit sauberer Druckschrift abgeschrieben, in einer Kopieranstalt so oft kopiert, wie es erforderlich ist. Jeder Schauspieler erhält jetzt ein Band, auf dem nur seine Rolle zu lesen ist, da alle anderen Rollen abgeschabt sind.

Jetzt erst fängt die richtige Vertonungsarbeit an. Für jeden Schauspieler wird ein Rhythmonom in einem Tonaufnahmeraum aufgestellt.

Die Rhythmonome sind synchron gekoppelt mit dem Projektor, dem Plattenspieler und dem Tonaufnahmeapparat, wobei es selbst-verständlich gleichgültig ist, ob auf Lichtton oder auf Platte aufgenommen wird.

Die Schauspieler sind also jetzt in der Lage, ohne den Film sich ansehen zu müssen, nur nach den Bändern genau synchron ihre Rolle zu sprechen, und zwar mit jeden gewünschten Ausdruck und ohne daß ein langes Auswendiglernen oder Rollenstudium notwendig wäre.

Dieses Verfahren, welches gegenwärtig die Firma Warner Bros. in Berlin für die Uebertragung des großen Farbentonfilms „Golddiggers of Broadway“ ins Deutsche verwendet wird, zeichnet sich, wie die hierbei beschäftigten Schauspieler übereinstimmend erklärten, durch über-raschende Einfachheit aus.

Das Wichtigste bei dem Abelschen Verfahren, mit dem eine vollendete Synchronität erzielt wird, dürfte indessen darin liegen, daß mit Hilfe desselben jeder Film selbst für das kleinste Lizenzgebiet mit verhältnismäßig geringen Mitteln verwertbar gemacht werden kann, während dies bisher infolge der hohen Kosten nicht möglich war. (Österreichische Film-Zeitung vom 19. Juli 1930, Nr. 29, Seite 6)

 

 

PDF Eine neuartige Lösung des Sprachenproblems beim Tonfilm

Carl Robert Blum

Kurt Tucholsky Die Rotstift Schere

PDF Tucholsky Die Rotstift Schere

Kurt Tucholsky: Die Rotstift-Schere

Die Kämpfe, die Heine und Börne gegen die Zensur auszufechten hatten, standen unter dem Zeichen des Rotstifts. Der Zensor strich.

Die Kämpfe, die der Film gegen die Zensur auszufechten hat, stehen unter dem Zeichen der Schere. Der Zensor schneidet.

Eine Pressefreiheit gibt es nicht, so man nämlich fragt: «Frei wovon?» Eine Buchfreiheit gibt es so einigermaßen. Jedesmal aber, wenn die Technik ein neues Mittel zur Reproduktion von Meinungsäußerungen erfunden hat, fährt den reaktionären Stieseln ein Schreck ins Gebein. Und jedesmal fallen auch prompt die sogenannten Fortschrittsparteien auf diesen Schreck herein.

«Man kann doch aber nicht jeden Film . . . » Genau, genau so hat einst die fromme Geistlichkeit gesprochen, als die Buchdruckerkunst aufkam und jedes Buch das Imprimatur des Erzbischofs oder seines Landesherrn tragen mußte; damals druckte man nur mit allerhöchster Erlaubnis. Es hat lange gedauert, bis sich die Literatur aus diesen Fesseln befreit hat.

Was Radio und Film heute produzieren, ist chemisch gereinigtes Zeug, das seinen Naturgeschmack verloren hat. Der Äther ist eine einzige große Kinderstube, die Filmleinewand ein Sabberlätzchen, das man dem Baby Masse vorgehängt hat. Immer hübsch ein Löffelchen nach dem andern, und nur Milchbrei.

Es ist, wie am Beispiel des Buches zu sehn, einfach dummes Zeug, zu sagen, dass die gewöhnlichen Strafgesetze nicht ausreichten. Natürlich ist ein Bild eindrucksvoller als der Buchstabe. Wenn aber wirklich Schweinereien fotografiert werden oder Roheiten oder Beleidigungen, so kommt man mit dem Strafgesetz allemal aus. Rundfunk und Radio sind in Mitteleuropa in der Hand der herrschenden Klasse, und da sind sie nicht gut aufgehoben: sie verbiegt die neuen Instrumente, so dass sie lange nicht alles hergeben, was sie hergeben könnten.

Was jene flaue Ausrede von der «Gesinnung der Andersdenkenden» angeht, «die man nicht verletzen dürfe», so ist das Unfug. Man gewöhne die Herren Schulze und Levi daran, dass sie einen Film, der ihnen nicht gefällt, links oder rechts liegen lassen, und daran, dass man eine Antenne auch erden kann. Die Diktatur dieser Mittelmäßigkeiten ist beinah so schlimm wie der kaum noch verhüllte Faschismus, der im Film und im Radio wütet. Diese Zensur besteht aus Frechheit und aus Angst.

Sie hat nicht einmal System.

Der einzige Pol in der Verbote Flucht ist die deutliche Tendenz gegen links: die Aktien könnten wackeln, wenn jemand einmal aufzeigt, was an der Fabrikation einer Glühlampe nun wirklich verdient wird. Von Thema darf nicht gesprochen werden, sagte jener kaiserliche Schutzmann, ergriff seinen Helm und löste die Versammlung auf. Sonst aber ist von einem Grundgedanken bei dieser lächerlichen Zensur nichts zu merken.

Oft ist die Kirche beleidigt, das ist sie ja immer, und ein Scherzgedicht wie das von Klabund über die Heiligen Drei Könige darf zwar gedruckt werden, allerdings nicht ohne dass der Sozialdemokrat Braun in einem jämmerlichen Entschuldigungsschreiben an das Zentrum die Verse «unflätig» nennt – oh, Bebel, Bebel! Gedruckt: ja. Aber im Rundfunk verbreitet werden darf es nicht. Jede Erklärung dieser Inkonsequenz ist eine Lüge. Rundfunk und Film sind einfach wirksamer als das Buch; sie haben sich aber noch nicht ihre Freiheit erkämpft. Also kann man sie knuten, also kann man sie zensurieren.

Lest Bücher! Sie sind kleine Inseln der Freiheit im Meer der Zensur.

Erstveröfffentlichung Ignaz Wrobel, Die Weltbühne, 26.05.1931, Dünndruckausgabe, Kurt Tucholsky. Gesammelte Werke, Drei Bände, Band III 1929-1932, Seite 865-866.

Apropos Zimmermann, Hagen, Blum.

Apropos Heinrich Zimmermann

PDF Apropos Louis Hagen Carl Robert Blum

Regierungsrat Heinrich Zimmermann war Mitglied der SPD. In dem Widerspruchsverfahren um die Aufhebung des Verbotes des Filmes: “Im Westen nichts Neues“ war er der Vorsitzende der Kammer in der die Aufhebung des Verbotes durch die Filmprüfstelle erneut verhandelt wurde. Antragsteller war die Deutsche Universal AG. Die Sitzung fand am Montag, d. 8. Juni 1930 statt. Beisitzer waren: Dr. Kahlenberg (UFA), Wagner, Zoemspiel, Zäh (Studienrat). Nach der Machtübergabe an die Nazis trat Heinrich Zimmermann aus der SPD aus. Offenbar war er ein williges Werkzeug der neuen Machthaber, weswegen aus ihrer Sicht keine Notwendigkeit bestand, das Amt des Regierungsrates bei der Filmprüfstelle Berlin anderweitig zu besetzen. Ein Geburtsdatum von Heinrich Zimmermann ist nicht einmal Wikipedia bekannt. Dort vermerkt ist nur die Vermutung, das Heinrich Zimmermann vor 1920 geboren sein muß. Er starb vor einer möglichen Entnazifizierung 1948.

Apropos Louis Hagen

Louis Hagen war Geschäftsführer der Firma: »Blum & Co«, an der auch der Erfinder und Direktor Carl Robert Blum beteiligt war. Der Eintrag im Scherl Adressbuch von 1931 von Berlin lautet: Gegruendet 1929, Sitz Berlin. Geschäftsfuehrer: Louis Hagen und Carl Robert Blum, Dr. Willi Matthias, Kapital 20.000, RM in Berlin W 8, Charlottenstr. 58 II .

Apropos Carl Robert Blum

Carl Robert Blum aus Berlin Schoeneberg, spaeter Berlin Marienfelde, hat eine Reihe von Erfindungen beim Deutschen Patentamt angemeldet. Elf davon habe ich in der Datei des Deutschen Patentamtes gefunden. Patentschriften sind nicht einfach zu lesen. Eine Zuordnung zu den Maschinen, die zur Herstellung von deutschen Synchronfassungen notwendig waren, war mir daher nicht möglich. Leider sind Fachleute aus der fraglichen Zeit verstorben und wurden vermutlich auch nicht befragt.

Ein längerer Bericht über die Technik, die bei der Firma »Rhythmographie GmbH« angewendet wurden, ist in einem Artikel des Kinematograph vom Juli 1930 zu finden (Nr. 160 und Nr. 166, erschien 6 x in der Woche). In der Kinotechnischen Beilage (Nr. 28 und Nr. 29) dieser Zeitung berichtet der Autor Erich Palme wie und mit welchen Maschinen eine deutsche Fassung eines fremdsprachigen Filmes 1929 hergestellt wurde.

pdf Carl Robert Blum Abschrift Patent

Briefe an Wiebeke (XXIV) Apropos Oskar Dankner

Briefe an Wiebeke (XXV) über Oskar Dankner

Romische Zahlen am BUG

Hallo Wiebeke,

PDF Briefe an Wiebeke (XXIV)

wir beide wissen: Dummheit ist international. Das ist sicher keine neue Erkenntnis. Aber wenn dann an mein Ohr dringt, ein Russischer Minister hätte grade in Israel vor laufenden Kameras, etwas davon gefaselt, dass Hitler jüdisches Blut gehabt hätte, dann bin ich doch überrascht.

Überrascht vor so viel Dummheit von einem angeblichen Mitglied der Russischen Elite. Mal abgesehen davon, daß Hitlervergleiche einem Russischen Minister nicht zustehen, der soll gefälligst seine eigenen Massenmörder für solche Vergleiche heranziehen. Daran ist ja auch in Rußland kein Mangel.

Und warum immer gerade Hitler? Und dann auch noch das »jüdische Blut«, das da vergossen wird? Wie war das noch mit dem Eispickel in Mexiko? Da wären doch Stalinvergleiche viel passender gewesen. Aber das würden die Untertanen in der Heimat wieder nicht verstehen. Ich rate daher: »Hände weg von den Hitlerblutsvergleichen«.

Auf die Gefahr hin mich zu wiederholen, übrigens eine Gefahr in die ich mich immer wieder gerne begebe: Wie dumm muß dieser Mensch sein, so etwas auch noch vor laufenden Kameras und das auch noch in Israel öffentlich und nicht heimlich preis zu geben.

Da könnte man doch glatt auf die Idee kommen, das sie zwar einen Sputnik in den Weltraum und zum impfen schicken können, aber das mit den Blutgruppen der Menschheit scheint noch nicht bis in den Kreml gelangt zu sein. Einmal Blut spenden und man weiß für immer, welche Blutgruppe man wirklich hat. (z. B.: A Rh p0sitiv, im deutschen Impfpass der WHO auf Seite 18)

Und schon, schwupps hat mich der Dummkopf von Minister aus Rußland in unsere eigene Geschichte zurück geworfen. Ich habe tatsächlich nicht recherchiert, ob die Worte »Blutschande« und »Rassenschande« wirklich von den Nazis erfunden wurden. Als Erfinder sind sie ja eher nicht in die Geschichte eingegangen.

Ja, Oskar Dankner ist ein berühmter Mann. Die ganze Welt kennt ihn. Seinen Namen dagegen kennen nur Wenige. Geboren wurde er am 10. 04. 1890 in Podhajczeyki. Das gehörte 1890 zu Österreich Ungarn. Auf den ersten Blick ist er also ein ungarischer Österreicher.

Heute liegt Podhajczeyki in Polen, 330 km südöstlich von Warschau an der Grenze zur Ukraine. Die deutsche Staatsbürgerschaft hat er nicht bekommen, vielleicht auch nicht gewollt. Das hat mir die Cuxhavener Historikerin Frauke Dettmer verraten. Die, die jetzt in Rendsburg wohnt, wohin ja auch Frau Heßberg verzogen war. Du erinnerst Dich?

Jedenfalls hatte der Geburtsort von Oskar Dankner zur Folge, das er abwechselnd als Österrreicher, Tschechoslowake oder Pole bezeichnet wurde und wird. Manche schreiben auch einfach nur Galizien. Hauptsache Ausländer.

Da aber die Tschechoslowakei erst am 20. Oktober 1918 an den Start geschickt wurde, ist Oskar Dankner diesem Staat am wenigsten zuzuordnen. Von seinem Lebensweg bevor er 1920 nach Cuxhaven übersiedelte ist wenig bekannt. Er hatte vorher in Görlitz gewohnt. Vermutlich war er relativ wohlhabend.

Denn es war ihm immerhin möglich von Emmeline Wist das Grundstück in der Deichstraße 20 in Cuxhaven zu kaufen. Darauf ein Gebäude mit mehreren Wohnungen, einem Laden und einem großen Kino. Der Kaufpreis ist unbekannt. Natuerlich.

Der Eintrag im Reichs-Kino-Adressbuch lautete 1927: »Cuxhavener Lichtspielhaus, Deichstraße 20, F: 64, Gr: 1910, täglich, H, V, S, . . . 375 I: Oscar Dankner, ebenda«.

Ich hatte lange nach den Bedeutungen der Abkürzungen im Reichs-Kino-Adressbuch gesucht und herumtelefoniert. Gr: und I: konnte ich mir erklären. Aber was bedeutete: H, Kapp, V, R, S ? Ich stelle fest: Alle, die das hätten beantworten können sind schon tot. Zu den von mir befragten Kinobesitzern gehörte auch einer, dessen Vater und Großvater schon Kinos besessen hatten. Selbst da: Fehlanzeige. Schließlich hilft mir wieder nur die neuzeitliche Suchmaschine. Im Netz finde ich auch die Legende des Reichs-Kino-Adressbuches und gebe hiermit Kund und zu Wissen, was eigentlich keiner wissen will. Die Abkürzungen, die auch in der Lichtbildbühne (LBB) Verwendung finden sind:

F = Fernsprecher, Gr. = Gründungsdatum, H = Handelsgerichtlich eingetragen, R = Mitglied des Reichsverbandes Deutscher Lichtspieltheater-Besitzer e. V., V = Varieté und S = Singspiel-Konzession, B = Bühnengröße, Kap. = Kapelle, T.F. = Tonfilm-Einrichtung, P = Pächter, Gf = Geschäftsführer. Die Zahlen bei den einzelnen Theatern geben die Anzahl der Sitzplätze an; dahinter ist die Spielart, bzw. die Zahl der wöchentlichen Spieltage vermerkt. Die Hafensiedlung Cuxhaven und das Amt Ritzebüttel gehörten seit dem 31. Juli 1394 zu Hamburg. 1927 hat Cuxhaven 20.000 Einwohner. Und nun kommst Du, J.

Polizeiinspektor Walter Lindemann (4. August 1887-8. Januar 1971) (Das Foto wurde uns von Birgit Heidsiek zur Verfügung gestellt)

Ich hatte da noch was herausbekommen: Die Enkelin hatte es mir erzählt. Da gab es ja in Cuxhaven, im Amt Ritzebüttel, das damals noch zu Hamburg gehörte, einen mutigen Polizisten. Das war ihr Opa. Endlich mal kann eine Enkelin auf ihren Opa stolz sein. Das kommt ja nicht so oft vor: Der Polizei Inspektor Walter Lindeman (4. August 1887-8. Januar 1971) hat den Spießrutenlauf aufgelöst. Damit hat er sich auch den Befehlen des Preussischen Innenministers Hermann Göring widersetzt, und dazu gehörte sicher eine Portion Mut, J.

Stolperstein für Oskar Dankner in Cuxhaven Deichstraße 20. Foto von Birgit Heidsiek
Zeichnung Helga Bachmann
Creative commons.org
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Briefe an Wiebeke (VII) Wir schreiben ab.

PDF Briefe an Wiebeke (VII) Wir schreiben ab

Romische Zahlen am BUG

Hallo Wiebeke,

da ist mal wieder so ein Brief von den Besserwissern der Medienberatung über den Film von Rüdiger Suchsland. Er zeichnet sich aus durch einen völlig unangemessenen Titel, der hier aber nicht wiederholt werden soll.

Die ARD schreibt und wir schreiben ab:

Das NS-Kino war ein staatlich gelenktes, rigider Zensur unterworfenes Kino. Zugleich wollte es „großes Kino“ sein; eine deutsche Traumfabrik, die Hollywood in jeder Hinsicht Paroli bieten wollte. So entstand ein staatliches Studiokino, das sein eigenes Starsystem etablierte und das sich nach modernsten Mitteln vermarktete. Auch im Ausland sollte der deutsche Film ideologisch wirken und kommerziell erfolgreich sein, wie mit Blockbustern à la „Münchhausen“. Das nationalsozialistische Kino dachte groß und war technisch perfekt gemacht. Die Filme weckten Sehnsüchte und boten Zuflucht; das Kino der NS-Zeit gab sich volkstümlich. Breite Massen fühlten und fühlen sich weiterhin von diesen Filmen angesprochen. Nur so ist die Wirkungskraft des NS-Kinos zu erklären. Wie funktionierten diese Filme im Sinne des Systems? Was verraten sie über das Publikum und seine Träume? Rüdiger Suchsland nimmt sich die Spielfilmproduktion der Jahre 1933-45 vor. Von den 1.000 hergestellten Filmen waren ca. 500 Komödien und Musikfilme, ca. 400 Melodramen, Abenteuer- und Detektivfilme. Zum unheimlichen Erbe der NS-Kinos gehören auch die Propagandafilme, die heute noch unter Vorbehalt stehen.“Hitlers Hollywood“ erzählt Geschichten von Tätern und Opfern, Rebellen und Überläufern. Der Film zeigt Stars wie Zarah Leander und Veit Harlan, wie auch diejenigen, die unfreiwillig zu Ikonen des NS-Kinos wurden wie Hans Albers, Gustaf Gründgens und Ilse Werner. Vorgestellt werden Filme, die voll auf Linie lagen, wie auch Regisseure, die untypische Filme inszenierten wie Helmut Käutner, Werner Hochbaum und Peter Pewas. Rüdiger Suchsland (*1968) zählt zu den führenden Filmpublizisten in Deutschland und ist u. a. im Beirat des Verbands der deutschen Filmkritik. 2008 erschien sein Buch „Zeichen und Wunder: Das Kino von Zhang Yimou und Wong Kar-Wai“. Er begann seine filmische Beschäftigung mit der deutschen Filmgeschichte 2014 mit seinem essayistischen Dokumentarfilm „Von Caligari zu Hitler“. Sein Blick auf Filme führt den filmsoziologischen Ansatz von Siegfried Kracauer (1889-1966) weiter, Filme als Seismographen ihrer Zeit zu betrachten, in denen sich das kulturelle Unbewusste einer Epoche zeigt.“ (Ende Zitat)

08.09.2019 Hitlers Hollywood. Von Rüdiger Suchsland

Alles an diesem Film ist falsch. Schon der Titel führt in die Irre. Er signalisiert dem potentiellen Zuschauer einen Vergleich: Aber was hat das Kino des Propagandaministers Joseph Goebbels mit Hollywood zu tun? Kenner der Materie wissen: Nichts.

Auch Rüdiger Suchsland scheint das aufgefallen zu sein. Vergleiche mit Produkten aus Hollywood – mit denen der UFA – fehlen in dem Film komplett. Ich muss es geahnt haben, als der Film letztes Jahr in den Pressevorführungen auftauchte. Obwohl mich ein solches Thema interessiert, hatte ich diese Pressevorführungen vermieden. Warum? Es gab mehrere Möglichkeiten:

1. Ein Verleih hatte sich diesen bekloppten Titel ausgedacht, weil Hitler immer noch ein guter Verkaufsartikel ist, ohne den Autor des Filmes dazu zu befragen. Solche falschen Filmtitel kommen in der Regel nur bei Importware zur Anwendung:

(Beispiel: Der Film über den Streik der englischen Arbeiterinnen bei Ford von Nigel Cole. Der Verleih hatte diesen Filmtitel, der im Original >Made in Dagenham< hieß, eingedeutscht in: >We want Sex<, was zu einer mittelschweren Katastrophe führte, wie die Verleihfirma später selber zugab.

2. Der Autor Rüdiger Suchsland hat sich den Titel selber ausgedacht. Warum weiss der Himmel. Vielleicht aus dem gleichen Grund, die den Verleih dazu gebracht haben könnte, diesen Titel zu erfinden. Hitler lässt sich immer noch gut vermarkten.

3. Der Autor hatte ursprünglich vor, tatsächlich einen Vergleich der Produktionen aus Hollywood mit denen von Berlin von 1933 – 1945 herzustellen. Aber die finanziellen Möglichkeiten fehlten.

4. Dem Autor fehlen Kenntnisse über die Filme, die deutsche Emigranten in Hollywood in der gleichen Zeit abgeliefert haben.

Ich neige zu Variante vier. Wenn die Kenntnisse für Vergleiche fehlen, dann lohnt sich die Besichtigung in einer Pressevorführung nicht. Reine Zeitverschwendung. Dafür ist das Leben zu kurz, es in langweiligen Pressevorführungen zu verschwenden.

Nun hat ARTE den Film mehrfach in seinem Spätprogramm (Beginn nach 23.45) wiederholt. Nicht ungeschickt. Auch ich bin darauf reingefallen. Während das Fernsehprogramm in der sog. Hauptsendezeit von Tag zu Tagschlechter wird, wird man hin wieder nach 0.00 Uhr mit Überraschungen bedient, die nach meiner Meinung einen früheren Sendetermin verdient hätten. Mit anderen Worten: Hätte ARTE diesen Film um 20.15 Uhr ins Programm genommen: Ich wäre nie auf den Gedanken gekommen, hier läuft irgendwas, was dich interessieren könnte. Also vorschlafen und gucken. Reingefallen.

Vielleicht hätte er es mit dem Anfang des Filmes von Veit Harlan >Opfergang< versuchen sollen, der in der gleichen Zeit in Deutschland entstanden ist.

Oder das Original von >It happend one night< (Es geschah in einer Nacht) von 1934 mit der deutschen Neuverfilmung von 1936 >Glückskinder< verglichen, die zwei Jahre später in Deutschland hergestellt wurde.

Vielleicht ein schlechter Vergleich, weil ja bekanntlich alle Neuverfilmungen schlechter als die Originale sind, wie die Filmgeschichte immer wieder beweist.

Auffallend auch, dass mehrere Filme, die Suchsland in Ausschnitten zeigt, erst in die Kinos gelangten, als Joseph Goebbels schon seine Kinder vergiftet hatte.

Nein. Der Film von Rüdiger Suchsland ist genauso bekloppt, wie es der Titel bereits ankündigt. Da helfen die Hinweise auf die Texte von Siegfried Kracauer nichts. Im Film finden sie keine Umsetzung. Suchsland signalisiert damit lediglich, dass er Kracauers Texte gelesen hat. Das ist im Jahr 2017 zu wenig für einen Film, der sich mit dieser Materie beschäftigt. Faszit: Wir von der Medienberatung wissen alles besser und halten damit auch nicht hinterm Berg, sondern laden es hoch.

Das Rhytmographie-Verfahren (II)

PDF Abschrift Rhytmographie Teil (II)

Abschrift aus dem Kinematograph vom 19. Juli 1930 Kinotechnische Rundschau Nr. 29 Das Rhytmographie-Verfahren Von Erich Palme (Teil II) (Schluß)

(Der Artikel enthält ein Foto mit der Bildunterschrift: Lotte Werkmeister am Rhytmonom – in der Reproduktion unansehnlich, deswegen weggelassen)

Da es nun bei dem fortlaufenden Abspiel des Filmaktes nicht möglich wäre, Fehlstellen im „Rhytmoband“ durch handschriftliche oder Diktatnotizen sofort und, was die Hauptsache ist, genauest auf Sekundenbruchteile festzustellen, bedient man sich dazu eines weiteren Apparates, des „Rhytmographen“.

Dieser kleine Apparat besteht aus zwei Teilen, dem Schreiber und der Tastatur. Mittels Kontaktstifte, die der Stromübertragung dienen, wird der „Rhytmograph“ dicht unterhalb der Mattscheibe des „Rhytmonoms“ befestigt.

Der „Schreiber“ besteht aus einem dreigepolten Elektro-Magneten, der bei Stromdurchgang je nach Erregung des einen oder anderen positiven Poles zwei verschieden hoch angebrachte Hebel gegen ein an dem „Rhytmoband“ vorbeilaufendes Farbband kurz andrückt und so auf diesem einen Markierungspunkt aufzeichnet.

Der „Ticker“ oder die Tastatur besteht aus zwei auf einem Kontaktbrett montierten Klaviertasten, rechts schwarz, links weiß. Durch Niederdrücken der rechten Taste wird der Stromkreis mit dem Elektromagneten geschlossen, der den unteren Hebel gegen das Farbband in Bewegung setzt und so eine punktartige Markierung hinterläßt.

Damit wird der Beginn einer Fehlerstelle auf dem „Rhytmoband“ angezeigt, durch Niederdrücken der linken Taste wird der obere Hebel des „Rhytmographen“ gegen das Farbband gedrückt und so das Ende der Fehlerstelle markiert.

Der Kontrolleur hat seinen Platz mit dem „Rhytmonom“ und der Tastatur vor der Bildwand. Bemerkt er beim Ablesen des deutschen Sprachtextes vom „Rhytmoband“, daß eine Stelle mit den Lippen-bewegungen des Darstellers auf der Leinwand nicht übereinstimmt, läßt er durch ein Leuchtsignal den Projektor anhalten, den Film und damit gleichzeitig das synchron gekuppelte „Rhytmoband“ bis zur ungefähren Anfangstelle der Fehlerquelle zurückdrehen und dann erneut vorführen, wobei er sich jetzt restlos auf die kommende Fehlerstelle konzentrieren kann.

Sofort bei Auftreten derselben setzt er mit einem Fingerdruck die Tastatur des „Rhytmographen“ in Bewegung und markiert auf das genaueste den Anfang und das Ende der abzuändernden Stelle im „Rhytmoband“.

Nachträglich wird dann von den Sprachtechnikern und Manuskriptverfassern die Stelle im „Rhytmoband“ entsprechend korrigiert.

So wird Szene für Szene auf rein maschinellem Wege durchgegangen, eine Arbeit, die besonders zeitraubend und anstrengend ist, aber die Gewähr für das restlose Übereinstimmen der deutschen Sprachversion mit den Mundbewegungen der Darsteller auf der Leinwand bietet. Da die Texte vorläufig auf dem „Rhytmoband“ nur mit Bleistift aufgetragen sind, lassen sich Änderungen leicht vornehmen.

Ist der gesamte Film in dieser Art auf das genaueste geprüft, was zur gewissenhaften Kontrolle mehrfach von verschiedenen Kon-trolleuren vorgenommen wird, so kann dann an die Herstellung der einzelnen „Rollen-Rhytmobänder“ gegangen werden. Auf dem ersten „Rhytmoband“ befinden sind nämlich gleichzeitig sämtliche auftretenden Sprech- oder Gesangsrollen verzeichnet.

Das endgültige „Prüfband“ mit den feststehenden deutschen Texten kommt nunmehr wieder auf das „Rhytmoskop“, den Meßtisch, wird dort wie vorher eingespannt und etwas höher auf einer weiteren Transportrolle läuft nun eine ausfixierter Blankfilm, auf dessen Gelatineschicht nunmehr die sämtlichen Texte in genauer Über-einstimmung mit den Bleistifttext auf dem Milchband sauber mit Tusche aufgeschrieben werden.

Dieses nunmehr endgültige Textband kommt in die Kopieranstalt. Hier wird von diesem handschriftlichen Textband zuerst eine Negativkopie hergestellt und von dieser, die die Schrift weiß auf schwarzem Grund zeigt, zwecks besserer Lesbarkkeit der Schrift im „Rhytmonom“ soviel Kopien mit schwarzer Schrift auf weißem Grund, wie Sprecher in der deutschen Fassung mitwirken.

Jeder Sprecher erhält also sein eigenes Textband, auf dem jedoch nur seine zu sprechenden Texte enthalten sind, die übrigen, die für ihn belanglos sind und ihn viellleicht nur irritieren könnten, werden sauber ausgekratzt. Stichworte benötigt der Sprecher nicht, da für ihn das Stichwort durch den Richtstrich ersetzt wird. Sobald der erste Buchstabe seines zu sprechenden Wortes, resp. Satzes den Richtstrich erreicht, beginnt er zu sprechen.

Wirken in einem amerikanischen Film beispielsweise 8 (acht) Solodarsteller und Darstellerinnen, die sämtliche mehr oder minder große Dialoge zu sprechen haben, mit, sowie Chor oder Komparserie, die akustisch in Tätigkeit treten, so werden für die deutschen Sprach-fassungen genau so viel Sprecher und Specherinnen, ebenso starker Chor oder Komparserie, engagiert.

Jeder einzelne Sprecher nimmt nun vor einem „Rhytmonom“ Aufstellung, in welchem sein Textband synchron mit dem Bildfilm abläuft. Jeder Sprecher liest nun unabhängig vom Bild auf der Leinwand oder seinem Dialogpartner am Nebenapparat seinen Text von kontinuierlich vorbeilaufenden Textband laut ab.

Er kann sich restlos auf seinen Text konzentrieren, das Bild auf der Leinwand ist für ihn vollkommene Nebensache, die Kontrolle der genauen Übereinstimmung der Sprecher mit den Lippenbewegungen der Darsteller nimmt der Ton-Regisseur vor, wobei es sich jetzt nur noch darum handeln kann, darauf zu achten, daß die deutschen Sprecher nicht schneller oder langsamer sprechen, als die auf dem „Rhytmoband“ aufgezeichneten Texte am Richtstrich vorbeziehen.

Selbstverständlich ist hierzu auch eine gewisse Anzahl Proben notwendig, bis sich die deutschen Sprecher mit dem ganzen Apparat vertraut gemacht haben und ihre Texte, wenn auch auch nicht vollkommen auswendig, so doch gefühlsmäßig kennen. Ein Rollenlernen kommt nicht mehr in Frage.

Die synchrone Aufnahme der deutschen Dialoge, Lieder usw. erfolgt entweder mittels Lichttonverfahrens oder auch direkt auf Schallplatten, die selbstverständlich synchron mit dem Film laufen.

Bei ausländischen Schallplatten-Tonfilmen wird es auch erforderlich, Musik, die gleichzeitig mit dem ausländischen Dialog aufgenommen worden ist, neu zu übertragen. Dies geschieht auf dem gleichen Weg wie beim Sprechtext.

Der deutsche Komponist, der die Musikübertragung vornimmt, wird sich zuerst mal die amerikanischen Schallplatten vorspielen lassen und nach dem Gehör die Grundmelodien suchen und fixieren.

Weitere akustische Abhörproben dienen der genannten Feststellung der Instrumentierung. Der Rhythmus der einzelnen Melodien wird in diesem Falle nicht takt-, sondern mittels des „Rhytmographen“ vom Komponisten zeitmäßig festgelegt.

Hat er diese Vorarbeiten erledigt, Melodie, Rhythmus und Orchesterstimmern gefunden, so wird von ihm die neue Musik komponiert und auf dieselbe Weise auf ein Notenband übertragen wie der Sprachtext. Nur hat dieses Notenband anstatt der Bild- oder bei amerikanischen Filmen Fußeinteilung ein Notenliniensystem, in das die betreffenden Noten eingeschrieben werden.

Der Prüfvorgang, bei dem in diesem Falle natürlich auch die Original-Schallplatte mit eingeschaltet ist, erfolgt in der gleichen oben geschilderten Weise wie beim Sprechtext.

An Hand des am Bildfenster des „Rhytmonoms“ vorbeilaufenden Notenbandes dirigiert der Kapellmeister dann sein Kapelle mit derselben Genauigkeit der Übereinstimmung mit der Originalmusik und dem Film, wie dies bei der deutschen Sprachfassung der Fall ist.

Einzig und allein vorkommende Geräusche aller Art werden nach wie vor von einem besonderen „Geräuschemacher“ (ein neuer Zweig der Berufsmusiker, den der Tonfilm geschaffen hat) individuell unter genauer Beobachtung des Bildes auf der Leinwand nachsynchronisiert.

Der Vorteil dieses neuen „Rhytmographie“ – Verfahrens liegt, wie klar ersichtlich, in der auf rein maschineller Weise erzielten unbedingten Übereinstimmung zwischen Bild und Wort, resp. Musik.

Ferner sind die deutschen Sprecher vollkommen unabhängig von dem Bild auf der Leinwand. Es ist für sie ohne jedes Interesse, und deshalb können sie sich voll und ganz auf den Sprechtext konzentrieren.

Sie brauchen nicht mehr ängstlich auf die Synchronität ihres Sprechens mit dem Darsteller auf der Leinwand zu achten, das besorgt ganz mechanisch die Apparatur, vorausgesetzt, daß der Sprecher sich genau nach ihr richtet.

Aber noch ein weiterer Punkt verdient außerordentliche Beachtung, der für die Kostenfrage der Tonfilmherstellung sehr wichtig ist und vielleicht in Zukunft einige Umwälzungen in der deutschen Tonfilmproduktion mit sich bringen wird.

Auf Grund des „Rhytmographie“ – Verfahrens ist es nämlich gar nicht mehr notwendig, Tonfilme im Tonfilm-Atelier mit dem großen umständlichen und Zeit und Geld kostenden Tonfilmapparat auf-zunehmen. Zumindest kann man in Zukunft das kostspielige Mehrfach-Drehen von ausländischen Versionen deutscher Tonfilme im Tonfilm-Atelier ersparen.

Denn mittels des neuen Verfahrens ist jeder stumm aufgenommene Film, dem ein Ton- und Sprechfilmmanuskript natürlich zugrunde liegen muß, in jeder Sprache nachzusynchronisieren, und zwar mit einer Genauigkeit, die in keiner Weise die Nachsynchronisation erkennen läßt. Man läßt die Darsteller (auch in der deutschen Fassung) im gewöhnlichen Atelier ihre Rollen spielen, wobei natürlich die im Manuskript vorgesehenen Dialoge genau gesprochen werden, jedoch nicht gleichzeitig aufgenommen werden müssen.

Auf diese Art können erstens die Künstler sich bei der Aufnahme des Bildfilms wieder frei entfalten, sie brauchen nicht ängstlich mehr auf Aussprache usw. zu achten, zweitens gehen die Aufnahmen bedeutend rascher vonstatten, sind nicht mehr vom Tomixer abhängig, wodurch natürlich eine Menge Zeit und Geld gespart wird, und drittens können Schauspieler und Schauspielerinnen, deren Stimme für das Mikrophon nicht geeignet ist, trotzdem die betreffende Rolle spielen und die erforderlichen Sätze sprechen (die ja nicht gleichzeitig mit aufgenommen werden), während bei der nachtäglichen Tonaufnahme an Hand des Tonfilmanuskriptes und mittels des „Rhytmographie“ -Systems geeignete Sprecher oder Sänger die Partie übernehmen.

Die Herstellung von Auslandsversionen deutscher Tonfilme erfordert nicht mehr das Engagement einer Mehrfachbesetzung und zwei- oder dreifach Tonfilmaufnahmen heraus.(?) (unleserlich)

Der deutsche Tonfilm wird einmal aufgenommen, und zwar stumm, und die Dialoge in deutscher und fremder Sprache in beliebiger Anzahl nachträglich nach den „Rhymographie“ – Verfahren mit besonders ausgewählten Sprechern in vollkommen einwandfreier Form aufgenommen.

(Abschrift aus der Österreichischen Film Zeitung Nr. 29, vom 19. Juli 1930, Seite 6) Eine neuartige Lösung des Sprachenproblems beim Tonfilm

Bekanntlich wird seit dem Beginn der Tonfilmproduktion daran gearbeitet, zu einer zweckmäßigen Lösung des wichtigsten Problems bei der Neuerung, der Sprachenfrage, zu gelangen, um dieses Hindernis, welches sich der Internationalität des Tonfilms entgegenstellt, aus dem Weg zu räumen.

Von den bisherigen Verfahren zur Uebertragung von Tonfilmen aus einer Sprache in die andere hat sich indessen keines so recht bewährt. Nun hat Viktor Abel in Berlin unter Zuhilfenahme des Systems der „Rhythmographie“ ein Verfahren zur nachträglichen Verdeutschung ausländischer Filme entdeckt, das als die derzeit beste und für die Zukunft aussichtsreichste Methode auf diesem Gebiet bezeichnet wird.

Ueber den Vorgang bei dem von Abel entdeckten Verfahren entnehmen wir der „L. B. B.“ nachstehende Einzelheiten:

Der ausländische Film wird zunächst wortgetreu übersetzt und nach einem besonderen Verfahren auf ein Blankfilmband geschrieben.

Dieses Blankfilmband läuft synchron gekoppelt mit einem Projektor mit einem Uebersetzungsverhältnis von 1: 8, d. h. bei 24 Filmbildern in der Sekunde läuft das Blankfilmband nur drei Bilder.

Es ist dadurch also möglich, die einzelnen Artikulationen der Darsteller auf dem synchron gekoppelten Schreibband zu vermerken. Auf diese Weise wird Meter für Meter nach den Mundstellungen synchron beschriftet.

Das so beschriftete Band wird in einem besonders konstruierten Apparat, das Rhythmonom, eingesetzt und die Schauspieler sprechen den nach den eingetragenen Artikulationen ausgewählten Text dazu.

Vorausetzung ist natürlich immer, daß der Text nicht nur dem Sinne nach dem ausländischen entspricht, sondern auch die Artikulationen der einzelnen Worte der fremdsprachigen Fassung entsprechen.

Damit wird auch verständlich, warum das Blankfilmband nur ein Achtel der Geschwindigkeit hat. Es wird hierdurch erreicht, daß der Schauspieler Zeit genug hat, um den Satz, der vor seinen Augen vorbeiläuft, langsam zu verfolgen.

Das korrigierte Band wird dann mit sauberer Druckschrift abgeschrieben, in einer Kopieranstalt so oft kopiert, wie es erforderlich ist. Jeder Schauspieler erhält jetzt ein Band, auf dem nur seine Rolle zu lesen ist, da alle anderen Rollen abgeschabt sind.

Jetzt erst fängt die richtige Vertonungsarbeit an. Für jeden Schauspieler wird ein Rhythmonom in einem Tonaufnahmeraum aufgestellt.

Die Rhythmonome sind synchron gekoppelt mit dem Projektor, dem Plattenspieler und dem Tonaufnahmeapparat, wobei es selbst-verständlich gleichgültig ist, ob auf Lichtton oder auf Platte aufgenommen wird.

Die Schauspieler sind also jetzt in der Lage, ohne den Film sich ansehen zu müssen, nur nach den Bändern genau synchron ihre Rolle zu sprechen, und zwar mit jeden gewünschten Ausdruck und ohne daß ein langes Auswendiglernen oder Rollenstudium notwendig wäre.

Dieses Verfahren, welches gegenwärtig die Firma Warner Bros. in Berlin für die Uebertragung des großen Farbentonfilms „Golddiggers of Broadway“ ins Deutsche verwendet wird, zeichnet sich, wie die hierbei beschäftigten Schauspieler übereinstimmend erklärten, durch über-raschende Einfachheit aus.

Das Wichtigste bei dem Abelschen Verfahren, mit dem eine vollendete Synchronität erzielt wird, dürfte indessen darin liegen, daß mit Hilfe desselben jeder Film selbst für das kleinste Lizenzgebiert mit verhältnismäßig geringen Mitteln verwertbar gemacht werden kann, während dies bisher infolge der hohen Kosten nicht möglich war. (Österreichische Film-Zeitung vom 19. Juli 1930, Nr. 29, Seite 6)

PDF Eine neuartige Lösung des Sprachenproblems beim Tonfilm

pdf Carl Robert Blum Abschrift Patent

PDF Patent Carl Robert Blum592525

PDF Patent Otto Bothe

PDF Luedtke Rohnstein

Wie schreibt man einen Film von Viktor Abel
Carl Robert Blum (Erfinder Berlin)
Viktor Abel

Das Rhytmographie Verfahren (I)

Abschrift aus der Kinotechnischen Rundschau Nr. 28 (Beilage zum Kinematograph Nr. 160 vom 12. Juli 1930) (I)

PDF Abschrift Rhytmographie Verfahren (I)

Das Rhytmographie-Verfahren Von Erich Palme.

Der Versuch fremdsprachigen Tonfilmen einen deutschen Dialog nachzusynchronisieren, ist im letzten Jahre schon von verschiedenen Seiten gemacht worden, ohne daß das Resultat endgültig befriedigt hätte. Wenn diesen Versuchen auch der allgemeine Erfolg versagt blieb, so sind sie doch immerhin als Schrittmacherarbeit auf dem Weg zur Internationalisierung des Tonfilmes beachtenswert. Zumindest haben sie anderen, die sich mit dem gleichen Problem beschäftigen, wertvolle Anregungen gegeben.

Der ganze Vorgang gliedert sich in drei Arbeitsgruppen: 1. Die Herstellung des deutschen Dialog-Manuskriptes, 2. die Herstellung des sogenannten Rhytmobandes und 3. die Aufnahme des deutschen Sprechtextes auf den Schallträger (Lichtton und Schallplatte).

Über die Abfassung der deutschen Sprechtexte, die selbstverständlich sinngemäß mit dem Urtext der fremden Sprache übereinstimmen und Silbe für Silbe den Lippenbewegungen der Darsteller auf der Leinwand entsprechen müssen, Einzelheiten bekannt zu geben erübrigt sich. Die Arbeit wird nach einem besonderen System vorgenommen, das mit ausschlaggebend für das restlose Gelingen der Synchronisation ist.

Die erste Arbeit der Techniker besteht in der Herstellung des Textbandes. Sie wird auf einem besonders konstruierten Meßtisch, dem „Rhytmoskop“ vorgenommen, der im großen und ganzen den üblichen Filmmeßtischen gleicht.

Von einer rechts befindlichen Abwickeltrommel läuft das Filmband über eine Mattscheibe, die von unten her erleuchtet ist und die in der Mitte einen schwarzen senkrechten Strich trägt. Dieser Strich ist der sogenannte „Startstrich“.

Mittels einer Handkurbel und Zahnrades wird der Bildstreifen nunmehr in beliebiger Geschwindigkeit über die Mattscheibe geführt, während gleichzeitig ein zweites Zahnrad oberhalb des Bildbandtransportes das (vorläufig unbeschriebene) Textband, ein normales, perforiertes Filmband, dessen Emulsion entwickelt aber nicht ausfixiert ist, so daß sich eine milchig weiße Schicht ergibt, vorwärtsbewegt, und zwar ebenfalls von rechts nach links.

Die beiden Filmtransporttrommeln sind so gekuppelt, daß das milchige Textband achtmal lagsamer als das Bildband über die Mattscheibe läuft. Der Grund für diesen verlangsamten Ablauf findet später seine Erklärung.

Mit Bleistift wird nun der deutsche Sprechtext an Hand des vorliegenden deutschen Manuskriptes, das mit bestimmten Zeichen für Beginn und Ende des jeweiligen Wortes entsprechend den Lippenbewegungen der Schauspieler versehen ist, auf das Textband aufgeschrieben.

Der Startstrich über den Bild- und Textband kontinuierlich hinweglaufen, dient hier gleichzeitig als Richtmarke. An der Stelle, wo der Sprecher im Film den Mund zu Beginn eines Wortes öffnet, wird oberhalb auf dem Textband der erste Buchstabe des zu sprechenden deutschen Wortes eingetragen, dann werden beide Filmstreifen gleichzeitig weitertransportiert, bis die Stelle, wo der Sprecher die Mundstellung verändert (beim Aussprechen eines anderen Buchstabens), genau auf den Richtstrich stößt, und hier wird dann oberhalb auf dem Textband der nächste entsprechende Buchstabe eingetragen.

So entsteht nach und nach in ganz genauer Übereinstimmung mit den Mundbewegungen des fremden Sprechers der deutsche Dialog auf einem Sprechband – „Rhytmoband“ genannt, oder Akt für Akt des Films ein „lebendes Textbuch“ von dem sämtliche deutschen Texte leicht ablesbar sind. Es spielt hierbei keine Rolle, ob ein oder mehrere Sprecher oder Sprecherinnen in einer Szene mitwirken, ob es sich um Sprache oder Gesang, Schreie oder Lachen oder Weinen handelt.

Die Arbeitsmethode ist so gewissenhaft, daß sogar beim Lachen der deutsche Sprecher nicht eine Silbe „ha“ zu viel oder zu wenig lachen wird, als der fremdländische Darsteller es seinerzeit bei der Originalaufnahme getan hat.

Da nun immerhin die Möglichkeit besteht, daß bei der Abfassung des deutschen Sprechtextes, die ebenfalls halbmechanisch vorgenommen wird, hinsichtlich der Mundstellung des Originalsprechers und dem dafür eingesetzten deutschen Wort Irrtümer vorkommen können, vielleicht auch die zeitliche Länge beispielsweise eines Vokals nicht genau getroffen worden ist, erfolgt eine sogenannte Korrigierprobe des „Rhytmobandes“.

In einem „Ableseraum“ wird der Bildstreifen und das „Rhytmoband“ synchron vorgeführt. Die Vorführung geschieht mittels eines üblichen Projektors mit 24 Bilder pro Sekunde. Auf der Achse des Projektors sitzt ein Schrittgeber, der mit einem Schrittmotor gekuppelt ist, der weiterhin das „Rhytmonom“ so antreibt, daß in demselben der Textstreifen („Rhytmoband“) mit einer Übersetzung von 1 : 8 abläuft, d. h. während im Projektor 24 Bilder pro Sekunde durchlaufen, bewegt sich das „Rhytmoband“ im „Rhytmonom“ um 3 Bilder am Richtstrich, der auch hier gleichzeitig Startmarke ist, vorbei.

Das „Rhytmonom“ besteht aus einem schalldichten rechteckigen Kasten, in welchem der Transportmechanismus, sowie die Ab- und Aufwickelvorrichtung des Textbandes und eine Lichtquelle untergebracht sind. An der Stirnseite trägt dieser Kasten eine rechteckige Öffnung in horizontaler Richtung, die die Breite eines normalen Filmstreifens und eine Länge von etwa 30 Zentimeter besitzt.

Diese Öffnung ist durch eine Mattscheibe abgeschlossen, auf der sich ungefähr 10 Zentimer von links der Start- oder Richtstrich befindet. Vor dieser Mattscheibe läuft nun das „Rhytmoband“ in der oben angegebenen Geschwindigkeit von 3 Filmbildern pro Sekunde vorbei, also in einem langsamen Tempo, welches jedoch dem Ablauf des Bildstreifen im Projektor entspricht.

Beide Filmstreifen, Bildband und Textband, werden auf Startzeichen eingestellt. Während auf der Leinwand in normaler Weise das Filmbild mit den fremden Darstellern erscheint, läuft gleichzeitig synchron im Übersetzungverhältnis von 1 : 8 der Textstreifen.

Hierbei muß sich nun ergeben, daß, wenn der Darsteller im Bild den Mund zum Sprechen öffnet, der erste Buchstabe des deutschen Wortes am Richtstrich angelangt ist.

Hat der Darstelller auf der Leinwand seinen Satz beendet, was ja aus den Lippenbewegungen und Mundstellungen ersichtlich ist, muß auch gleichzeitig der deutsche Satz am Richtstrich des „Rhytmonoms“ vorbeigezogen sein.

Die verlangsamte, in Wirklichkeit jedoch genau der Geschwindigkeit der Filmvorführung entsprechende Vorführung des Textbandes, hat den Zweck, dem deutschen Sprecher, der nun den deutschen Text vom „Rhytmoband“ abzulesen und zu sprechen hat, genügend Zeit zur Vor-bereitung auf die kommenden Worte zu geben, deshalb auch die Länge der von hinten her erleuchteten Mattscheibe, die dem Sprecher gestattet, den kommenden Text, bzw. den Schluß seines Satzes schon rechtzeitig zu erkennen.

So wie die einzelnen deutschen Buchstaben unter dem Richtstrich vorbeiziehen, muß er sie aussprechen. Auf die Technik dieses Ablesens und Sprechens des deutschen Textes vom „Rhytmonom“ werde ich später noch zurückkommen.

Im „Ableseraum“ wird nun also nach oben beschriebenem Vorgang die Synchronität des deutschen Textes mit dem Bild kontrolliert und werden evtl. Fehler in der Übersetzung oder dem Zeitmaß festgestellt. Diese Arbeit ist die wichtigste an dem ganzen Verfahren. (Schluß folgt.)

Viktor Abel
Carl Robert Blum