Foto: Dietmar Bruns, Original des Sternes auf dem Hollywood Boulevard., Californien. USA 1990. Das Foto wurde gemacht um den Fields Stern für das Foyer im 3001 Kino in Hamburg nachzubauen. Der Fuss eines Bekannten (Grösse 43) ist sozusagen das Metermass.
Kategorie: Kinobesitzer
Vom Nachttisch geräumt: Im Banne der roten Hexe von Werner Dütsch
Vom Nachtisch geräumt: Werner Dütsch “Im Banne der roten Hexe -Kino als Lebensmittel“ (Verlag Königshausen & Neumann Würzburg). Manches Mal begegnen mir Bücher, nach deren Lektüre ich das Gefühl habe, dass sie mir schon lange gefehlt haben. Deren Fehlen mir aber bis dahin gar nicht aufgefallen war. Ein solches Buch ist das von Kurt Scheel: “Ich & John Wayne“ (Edition Tiamat, Verlag Klaus Bittermann, Berlin 1998 vergriffen). (**)
Und ein solches ist auch das von Werner Dütsch “Im Banne der roten Hexe – Kino als Lebensmittel“ (Königshausen & Neumann Verlag, Würzburg-2016-auch dieses Buch ist vergriffen) (*). Das Wort vergriffen klingt positiv. Bekomme ich doch den Eindruck: Alle gedruckten Bücher wurden an die Leserin gebracht, auf welche Weise auch immer. Oft ist es jedoch nur die geringe Auflage, in der ein solches Buch auf dem Markt gelangt. Werner Dütsch schreibt, wie er als Kind gelernt hat, mit dem Kino umzugehen. Eben Kino als Lebensmittel. Schon an den Filmtiteln erkenne ich, Werner Dütsch ist ein paar Jahre älter als ich. Da gibt es viele mir unbekannte Filme und einige, mit denen ich meine Kindheit verbracht habe, fehlen dagegen.
Besonders vermisst habe ich das Fehlen von “Bambi“ und später Burt Lancaster, wie ihm Gary Cooper in “Vera Cruze“ die Geschichte vom verlorenen Zinnsoldaten erzählt. Weiterhin scheint es Unterschiede zu geben, was die Aufmerksamkeit von Kindern erregt, besonders die zwischen den Kindern, die katholisch und jenen die evangelisch oder gar ohne jede Religion aufgezogen wurden. Alle Sorten Kinder beherrschen die Abgrenzung gegen die Erzieherwelt mit ihrem Empfehlungen, aber die katholisch erzogenen Kinder, so kommt es mir vor, haben es doch viel einfacher, als die evangelisch Erzogenen. Schon mehrfach sind mir Menschen im Leben begegnet, denen die Klassifizierungen des katholischen Filmdienstes als Kinder in Fleisch und Blut übergegangen sind.
Ein ehemaliger Freund von mir (katholisch erzogen) wusste immer ganz genau, welche Filme seine Neugier erregten. Die Filme von 1 bis 2 E wurden sofort aussortiert (Egal was). Interessant wurde es für ihn immer erst ab Nummer: (2EE = Für Erwachsene mit erheblichen Vorbehalten). Richtig Interessant die Filme, die ab Nr. 3 und 4 klassifiziert wurden (3 = Vom Besuch wird abgeraten, 4 = Abgelehnt. Der Film zersetzt Glauben und Sitte).
Wir evangelisch aufgezogenen Kinder hatten es leider nicht so einfach, aber manchmal gab es auch in Hamburg Schaukästen bei den wenigen katholischen Kirchen, in denen die Empfehlungen der Konkurrenzkirche zu lesen waren. Es gibt Sätze in dem Buch von Werner Dütsch, in die ich mich sofort verliebt habe. Auf Seite 123 steht so einer. Vermutlich findet dieser sofort Eingang in meinen angehäuften Zitateschatz und ich bin von dem Vorsatz begleitet, diesen bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit zu zitieren, was viele Freunde von mir als quälend empfinden. (Keine Freundschaft ist ohne Qual lange auszuhalten). “Als die Bücher noch Zeit hatten auf ihre Leser zu warten, erwarb ich, auch Jahre nach ihrem ersten Erscheinen, erste Filmbücher.“ (S. 123).
Angesichts der Filmbücher, die ich im Laufe der letzten fünfundzwanzig Jahre angesammelt habe, beschleicht mich heute das Gefühl, das die Zeit, in denen die Bücher noch Zeit hatten, auf ihre Leser zu warten, lange vorbei ist. Kein Mensch, außer mir, schaut sie noch an und liest sie, was ich irgendwie schade finde. Aber offenbar eignen sie sich heute mehr als Dekoration fürs Kino oder für das Foyer. Dabei sind auch solche Bücher, auf denen der kleine Werner Dütsch damals als Kind aufmerksam wurde. “Das Erinnern an ein damals ganz unsichtbares Kino wach zuhalten gelang keinem Buch so sehr wie Lotte Eisner mit Dämonischer Leinwand.
Gibt es ein Werk, das so sehr geholfen hat, verschwundene Filme herbeizuwünschen und so mitgeholfen hat, diese Filme auch wieder aufzufinden?“ (S. 123) Es gibt noch viele Stellen des Buches, die es wert wären zitiert zu werden: “Den Zoom als moralisches Problem wird es erst Jahre danach geben.“ (S.127). In einige der Sätze von Werner Dütsch kann ich mich richtig reinschmeissen: “Das galt für alle verabscheuungswürdigen Vorgänge und bei Jungens vor allem für die Selbstbefleckung mit der Aussicht auf Schwindsucht und Schwachsinn.“ (S. 129)
Ja, ja. Die Filmkritik. Die Liebe zu dieser Zeitschrift verbindet uns. Noch heute schaue ich in die Sammelbände um die Verrisse zu geniessen, mit denen sie Filme, besonders die der heimatlichen Produktion, bedacht haben. Sonja Ziemann und Rudolf Prack, der Schrecken meiner Jugend und dann das: “Eine polnisch-deutsche Überraschung: Sonja Ziemann, die es dreizehn Filme lang mit Rudolf Prack ausgehalten hat, in der achte Wochentag.“ (S. 132). Leider ist mir dieser Film damals nicht untergekommen. Und heute wollte ich ihn vermutlich auch nicht sehen.
Merkwürdig fand ich dagegen, dass eines meiner Lieblingsbücher, das von Joe Hembus (zwei verschiedene Ausgaben): “Der deutsche Film kann gar nicht besser sein“ bei ihm nicht auftaucht. Sollte er das damals übersehen haben? Oder war er schon zu tief in den Sumpf der Filmkunst in den Filmclubs abgesunken? Auch da stelle ich Ähnlichkeiten fest.
Gewundert habe ich mich auch darüber, dass meine ersten Filme, so wie “Bambi“ (oh wie habe ich da geweint, als Bambis Mutter da im Wald verbrannt war, oder eben die schon beschriebene Einstellung aus “Vera Cruz“, als dieser überhebliche Offizier sich über die Tischmanieren von Burt Lancaster mokiert und dann von Gary Cooper mit seiner Geschichte von seinem verlorenen Zinnsoldaten zurecht gewiesen wird, bei ihm nicht auftauchen. Es fehlt der Trick, den uns Truffaut in “Taschengeld“ noch mal gezeigt hat, den wir aber als Kinder schon kannten (wie man als Kind ohne Geld über den Notausgang ins Kino kommen kann). (***) Vermutlich hat auch Werner Dütsch diesen Trick gekannt und genutzt.
Nur seine Erziehung (die katholische), so vermute ich, solche Tipps, solche Straftaten (Erschleichung einer Leistung) bekannt zu machen, verbietet ihm, diese zu gestehen, denn nicht alles kann im Beichtstuhl vergeben werden.Da kann man doch mal sehen, wie lange die ganze Sache mit der Erziehung schon geht und wie lange sie anhält.
Bleibt anschließend nur die Frage, wie kommen die Kinder heute ohne Geld ins Kino? Fahrradputzen und Flaschen sammeln bringen nicht die heutig nötigen Summen in kurzer Zeit zusammen und im übrigen sammeln die altersarmen Rentner den Kindern die Flaschen weg. (Trittin ist schuld, ein bißchen jedenfalls).
Da bleiben den lieben Kleinen nur das Internet und ihre großen Festplatten. Ob sie danach noch Lust auf Kino haben, ist eher doch die Frage. Und dann werden sie sicher auch nicht auf dieses gelungene Buch von Werner Dütsch stoßen. Weil alle dort geschilderten Erlebnisse und Erfahrungen von der nächsten Generation nicht mehr gemacht werden können. Schade eigentlich. Der Verlag sollte es nachdrucken. Und dabei den einen Absatz, der zwei Mal im Buch auftaucht, eliminieren. Hamburg. d. 30. September 2016 Jens Meyer
(*) ISBN: 978-3-8260-5897-4Autor: Dütsch, Werner Erscheinungsjahr: 201619,80 EUR (**) ISBN: 3-89329-012-6Ich & John Wayne Lichtspiele (ISBN: 978-3-8260-5897-4 Autor: Scheel, Kurt Erscheinungsjahr: 1998 Preis heute (Antiquariat, z.B: zvab.com) zwischen 14,00 – 23,00 €) (***) PS: Bei nochmaligem Lesen stelle ich fest. Der Trick ist doch da. Aber leider so verschwurbelt, dass ich (und vermutlich die Kinder) ihn kaum erkennen oder gar nachmachen können. (S.20). Die Truffaut Variante aus dem Film “Taschengeld“ ist eindeutig die bessere.
Die Besatzung (Das Register)
Vierneunundneunzig- Fünfzehn Jahre 3001 Kino
Studio Kino Bernstorffstrasse Hamburg
Hier waren mal die Esso Häuser
Savoy Kino Steindamm
BELLE=ALLIANCE, VORFÜHRUNG LEBENDER PHOTOGRAPHIEN! Kino von Frida und Jeremias (James) Henschel
Foto vom Donnerstag, d. 26. April 2018 (112 Jahre später)
Frederica, Jeremias (James) und Bianca Henschel. (Das Foto entstand am 18. Oktober 1930 vor dem Hotel Europäischer Hof, Baden Baden, Deutschland).
Versuch einer Biografie: Friederica Blumenthal ist am 17. Oktober 1865 als Tochter von Max und Pauline (geb. Ludewig) Blumenthal in Lübeck geboren. 1883 wohnen sie in der Böttcherstrasse 265 in Lübeck und ziehen 1885 in die Böttcherstrasse 17 um. Friederica ist das erste Kind der Blumenthals. Bis 1888 folgen 12 Geschwister. Am 21. April 1887 heiratet Frida Blumenthal in Hamburg den Hamburger Kaufmann Jeremias Henschel, der sich später James Henschel nennt.
Jeremias Henschel wird am 5. Februar 1863 als Sohn von Abraham Israel Henschel und seiner Frau Caroline Henschel geb. Joseph in Hamburg geboren. Vater Abraham Israel Henschel handelt mit Stoffen und Herrenkleidung.
Jeremias Henschel kommt als Schüler in die Talmud Tora Schule. Dort wird er von seinem Lehrer Daniel Wormser verprügelt und dabei so unglücklich gegen einen Schrank gestoßen, dass sein rechtes Bein später amputiert werden muss. Im Kleiderhandel ist Jeremias Henschel nicht besonders erfolgreich. 1891 wird das Konkursverfahren eröffnet. Am 6. 12. 1892 wird die Firma gelöscht.
In der Zeitschrift Liskor – Erinnern Nr. 14 auf Seite 14 schreibt Jürgen Sielemann: [„In den ersten Jahren nach der Jahrhundertwende wandte sich Jeremias Henschel einer ganz neuen Branche zu und hatte damit großen Erfolg. Das Hamburger Adressbuch von 1908 offenbart das Nähere: „James Henschel, Lebende Photographien, Hammerbrookstr. 76.“ Den Vornamen James hatte er nach dem Konkurs zum Gebrauch im Geschäftsleben als Ersatz für den unmodern klingenden Namen Jeremias angenommen.“ (Seite 14, Liskor-Erinnern).]
Ein Interview mit James Henschel über seine Tätigkeit als Kinounternehmer ist in der LBB (LichtBildBühne) vom 16. August 1930 abgedruckt: Dort berichtet James Henschel, das BELLE=ALLIANCE habe nur einen schwarzen Tag erlebt. Das war der Tag, an dem der Michel, die Michaelis Kirche, brannte. Dienstag, den 3. Juli 1906. Die gesamte Tageskasse (1.400 Plätze) wies nur 56,00 Mark auf. Die LBB war eine Tageszeitung, erschien in Berlin und wurde von dem jüdischen Verleger Karl Wolffsohn herausgegeben.
Karl Wolffsohn war ebenfalls Kinobesitzer und betrieb in Berlin und Essen zwei große Kinos, die den Namen „Lichtburg“ hatten.
Die Kinos und der Verlag der LBB (Lichtbildbühne) wurden ihm geraubt. Im Nazi Sprech hieß das: „Das Kino wurde arisiert“. Er flüchtete aus Deutschland. 1949 kehrte er zurück und kämpfte vor Gericht um die Rückgabe seines Eigentums. Das Ende der Prozesse erlebte er nicht mehr. Er starb am 6. Dezember 1957 in Berlin.
Ein so großes Kino, wie das BELLE=ALLIANCE von Frida und James Henschel gibt es in Hamburg nicht mehr. Der größte Saal befindet sich im Cinemaxx Kino am Dammtor Bahnhof (2017). Der Saal 1 hat aber nur 1001 Sitzplätze. Der Baubeginn war im Dezember 1995.
Die Aufnahme ist Mai 1996 entstanden. Das Foto zeigt den Bau des Saales Nr. 1.
Foto Jens Meyer, Saal 1 soll Tausendundeinen Sitzplatz bekommen.
Foto Jens MeyerBELLE=ALLIANCE. Das Foto ist vor dem 5. März 1894 entstanden. (Pferde Straßembahn). An diesem Tag wurde die Pferdebahn durch eine elektrische Straßenbahn ersetzt. Der Umbau vom Ballsaal in das Theater Lebender Photographien ist im Jahr 1905 erfolgt.
Als das Kino eröffnet wurde, am 28. April 1906, da fuhr bereits die elektrische Straßenbahn an der Altonaer Ringlinie. Standort: Schulterblatt 115, Eimsbütteler Strasse 2. Betreiber des Kinos war das Ehepaar Henschel. (oben abgebildet). Frida Henschel (geb. Blumenthal) und Jeremias (genannt James) Henschel.
James Henschel war ein jüdischer Kaufmann, der zusammen mit seiner Gattin seit Dezember 1905 ein Kino in Hamburg Altona >Helios Theater< mit 500 Sitzplätzen betrieb. Das BELLE=ALLIANCE hatte 1400 Sitzplätze und wurde am 28. April 1906 eröffnet. Das Gebäude wurde im zweiten Weltkrieg 1943 zerstört. Die Information über die Anzahl der Sitzplätze stammt aus einem Interview mit James Henschel, das in der LBB (LichtBildBühne) vom 16. August 1930 erschienen ist. Autor des Artikels ist Hermann Lobbes.
lbb_beil2ff Das Foto von Wilhelm Vogt, der Kassenräuber von Köpenick, verhaftet am 26. Oktober 1906, bezieht sich auf die beiliegende PDF der Lichtbildbühne von 1930. Dort beschreibt James Henschel den Erfolg des zweiten Films in seinem Kino Belle Alliance, als er den Film: „Der Hauptmann von Köpenick“ (produziert von Buderus aus Hannover) erfolgreich gezeigt hat. Ein Kassenschlager. Das Bild habe ich bei Wikipedia gefunden. Vermutlich ist die Aufnahme von einem Polizisten bei der Verhaftung von Wilhelm Voigt entstanden. Wenn der Mann gewußt hätte, wieviel mit seiner Geschichte verdient werden kann, dann hätte er sich vielleicht die Filmrechte gesichert, fällt mir dazu 2019 ein.
Rialto Kino Hamburg Wilhemsburg
Umschlag für ein Buch, das noch nicht geschrieben wurde
Foto eins Anja Streit, Belo Horizonte, Brasilien (Hugo Streit und Sophie Streit mit der Programm Zeitung der Schauburg Kinos).
Foto zwei: Grabstein von Hermann Urich Sass auf dem Jüdischen Friedhof in Hamburg Ohlsdorf, Henning Scholz, Fotograf Hamburg
Foto drei Anja Streit, Belo Horizonte, Brasilien (Hugo Streit, Hermann Urich Sass v.l.) Henschel Film und Theater Konzern, Hamburg 1927