Leider befindet sich auf der Internet Seite der TAZ nur die Überschrift des Artikels, nicht aber der Text, den Renate Kemper damals (am 30. 04. 1992) auf Seite 25 der TAZ Hamburg veröffentlicht hatte. Dem, so hatte ich gedacht, müßte doch mal abgeholfen werden und habe den Artikel von der Papier Ausgabe dieser Zeitung abgeschrieben. (Ohne irgend wen zu fragen. Worauf ich aber auch nicht stolz bin.) Die Überschrift lautete:
Konjunktur und Krisen der neuen »Lustbarkeit«
Im Untertitel stand:
Auf dem Höhepunkt seines Kinobooms in den 20er und 30er Jahren besaß Hamburg zwar keinerlei Filmindustrie dafür aber 72 Lichtspielhäuser / Der damals erfolgreichste Hamburger Kinounternehmer, James Henschel, wurde von den Nazis enteignet.
Seit Jahren präsentiert sich Hamburg gerne als glänzender Medien- und Filmstandort. Das war nicht immer so. Im Jahre 1929 beklagte der Hamburger Regisseur Carl Heinz Boese in einem offenen Brief, daß Hamburgs Filmwirtschaft nicht mehr sei als ein „Provinzgeschäft“. Was die Filmindustrie betraf war diese Bemerkung mehr als untertrieben: In der Hansestadt existierte nur eine einzige Produktionsstätte. Mangels ausreichender Aufträge mußten die Vera – Filmwerke an der Alsterkrugchaussee zudem 1930 Konkurs anmelden.
Als Kinostadt konnte sich Hamburg jedoch sehen lassen. Auf dem Höhepunkt ihres Kinobooms zählte die Hansestadt 72 Kinos, die damals preußischen Nachbarbezirke Wandsbek und Altona nicht mitgerechnet. Neben den kleinen Vorstadtkinos prägten vor allem luxeriös ausgestattete Lichspielhäuser in den Vergnügungsvierteln St. Georg und St. Pauli die Kinowelt. Aber auch die Arbeiterquartiere Barmbek (7 Kinos), Neustadt (6 Kinos) und Eimsbüttel (5 Kinos) wiesen eine hohe Kinodichte auf.
Das attraktive Lichtspielgewerbe war in Hamburg zwischen vier Unternehmen aufgeteilt. Dem süddeutschen Konzern Emelka gehörten vier größere Filmtheater, darunter das älteste Hamburger Kino, Knopfs Lichtspielhaus am Spielbudenplatz. Die Hirschel-Gruppe betrieb vier Lichtspiele und die UFA als reichsdeutsches Filmflagschiff des rechtskonservativen Medienzars Alfred Hugenberg besaß hier sechs große Filmpaläste.
Mit dem am 22. Dezember 1929 eröffneten Ufa-Palast, Ecke Dammtorstraße/Valentinskamp, erregte der Konzern erhebliches Aufsehen. Das 2667 Plätze Kino integrierte sich in den modernen Gebäudekomplex des „Deutschlandhauses“ zu dem Tanzcafes und Büros gehörten. Die Lokalpresse bejubelte den Bau als „größtes Filmtheater des europäischen Kontinents“.
Daß hinter dem glanzvollen Projekt auch ein sozialpolitisch kalkuliertes Sanierungskonzept steckte, offenbarte Oberbaudirektor Gustav Leo bei der Eröffnung. Mit dem Kino, so Leo, sei „das Rückgrat für die Gestaltung eines neuen, an breiten Straßen hochragenden Geschäftsgebietes anstelle des hygienisch, baulich und sozial bedenklichen Gängeviertel geschaffen“.
Als führendes Hamburger Kinounternehmen etablierte sich schließlich der Henschel-Konzern mit sieben modernen Schauburgen. Betreiber waren Hermann Urich-Saß und Hugo Streit, Schwiegersöhne des Hamburger Kinopioniers James Henschel. Nachdem Henschel sich 1918 aus dem Geschäft zurückgezogen und seinen Kinopark an die UFA verkauft hatte, etablierten seine Schwiegersöhne Mitte der zwanziger Jahre durch die Übernahme älterer und den Bau moderner Theater ihre eigene Kinokette. In den Schauburgen fanden jeden Monat Filmveranstaltungen der Arbeiterbewegung statt. Neben gängiger Kinokost kamen auch sowjetische Filme wie Eisensteins Panzerkreuzer Potemkin ins Programm.
Trotz prosperierender Kinobautätigkeit klagten die Betreiber beständig über ihre ruinöse Finanzlage. Die hohen Abgaben der sogenannten Lustbarkeitssteuer belasteten vor allem in den besucherschwachen Sommermonaten die Kassen. Als von städtischer Seite keine Senkung der Steuer in Aussicht gestellt wurde, griffen die Kinobesitzer zu einem drastischen Mittel: Sie traten 1922 in einen Steuerstreik. Fünf Wochen blieben in Hamburg alle Kinos geschlossen.
Erst nachdem der Senat einer geringen Steuersenkung zugestimmt hatte, öffneten sich wieder die Pforten. Gerne hatten sich die Stadtoberen zu diesem Kompromiß nicht hergegeben, stellte die Lustbarkeitssteuer doch eine gue Einnahme für das Staatssäckel dar.
Mit der Weltwirtschaftskrise und der finanziell aufwendigen Einführung des Tonfilmes stand der Kinowirtschaft Ende der zwanziger Jahre ein erneuter Tiefschlag bevor. Gerade das Arbeiterpublikum, dem das Kino zum Theater des kleinen Mannes geworden war, mußte in Zeiten harter Rezession und Arbeitslosigkeit auf jeden Pfennig im Haushaltsbudget achten. Da blieb für den Kinobesuch – Eintrittspreise von 60 Pfennig bis 1,80 Reichsmark- nichts übrig. Die Besucherzahlen sanken rapide.
Die Umstellung auf den Tonfilm wiederum erforderte für viele Kinos eine kostenaufwendige Installation neuer Klanggeräte – Investitionen, die sich nur die finanziell stabilen Kinokonzerne leisten konnten, nicht jedoch die kleinen Eckkinos der Vororte. Viele dieser oft in Familienregie betriebenen Kleinkinos mußten Anfang der dreißiger Jahre schließen.
Ungeachtet aller Krisen und Konjunkturschwankungen überdauerte eine andere Hamburger Filminstitution die Jahrzehnte. Mit dem Ziel, den Film als Kultur- und Bildungsmedium zu nutzen, gründeten hanseatische Honorationen die Kulturfilmgesellschaft Urania.
In ihrem Kino in der Fehlandtstraße zeigte die Vereinigung belehrende Filmstreifen wie Schiller – eine Dichterjugend oder Sumatra, das Land der 1000 Freuden. Zeichnete sich Hamburgs Filmförderungspolitik jener Zeit dadurch aus, eben keine zu sein, so galt dies nicht im Falle der Urania. Mit Beharrlichkeit umwarb Urania-Leiter Lichtwarck Vertreter städtischen Behörden, um finanzielle Aufbauspritzen für seinen Kulturverein zu erhalten. Von solchen Subventionen konnte der ebenfalls nichtkommerzielle, aber der KPD nahestehenden Volks-Film-Verband nur träumen.
Auch nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 wußte sich die Urania schnell anzupassen. Bereits eine Woche nach Bildung des neuen Hamburger Senates kam es auf Einladung Lichtwarcks zu freundschaftlichen Gesprächen zwischen der Urania und Senatsvertretern. Ein Jahr später kooperierte die Vereinigung bereits mit dem nationalsozialistischen Kampfbund für deutsche Kultur.
Heute führt die Urania als Kulturelle Film- Vortragsgesellschaft ein Schattendasein in Hamburgs Filmlandschaft. Das Kino in der Fehlandtstraße brannte Mitte der siebziger Jahre ab.
Für andere Filmschaffende in der Hansestadt verlief der politische Führungswechsel weniger reibungslos. James Henschel, Kinounternehmer der ersten Stunde wurde 1939 aus Hamburg zwangsausgewiesen, weil er Jude war. Den Schauburg-Ring seiner Schwiegersöhne Urich-Saß und Streit hatten bereits 1933 zwei ehemalige Geschäftsführer des Konzerns übernommen.
Beide traten wenig später in die NSDAP ein, der Name Henschel verschwand aus dem Handelsregister. Nachdem sich die sogenannte „Arisierung“ jüdischer Betriebe auch auf das lukrative Kinogewerbe erstreckt hatte, errang der Film in den weiteren Jahren als Propagandainstrument ohnehin nur zweifelhafte Verdienste.
Ein Dokumentarfilm über die Geschichte des Henschel-Unternehmens läuft im 3001: Siehe Kinotips
Kinotips: Auf den Spuren von Hamburgs Kinogeschichte fahndeten Reinhold Sögtrop und Regisseur Otto Mayer. Vom Henschel-Konzern als einstmals größtem Kinounternehmen (s. Text oben) ist nach seiner „Arisierung“ 1933 und dem Krieg nichts übrig geblieben. Der Video-Film Leute, seid vernünftig, laßt die Frau duch, denn sie will noch schnell mal in die Schauburg, läßt nicht nur das Bild vergangener Glanztage neu entstehen. (3001, 6.5. 21 Uhr)
Regierungsrat Heinrich Zimmermann war Mitglied der SPD. In dem Widerspruchsverfahren um die Aufhebung des Verbotes des Filmes: “Im Westen nichts Neues“ war er der Vorsitzende der Kammer in der die Aufhebung des Verbotes durch die Filmprüfstelle erneut verhandelt wurde. Antragsteller war die Deutsche Universal AG. Die Sitzung fand am Montag, d. 8. Juni 1930 statt. Beisitzer waren: Dr. Kahlenberg (UFA), Wagner, Zoemspiel, Zäh (Studienrat). Nach der Machtübergabe an die Nazis trat Heinrich Zimmermann aus der SPD aus. Offenbar war er ein williges Werkzeug der neuen Machthaber, weswegen aus ihrer Sicht keine Notwendigkeit bestand, das Amt des Regierungsrates bei der Filmprüfstelle Berlin anderweitig zu besetzen. Ein Geburtsdatum von Heinrich Zimmermann ist nicht einmal Wikipedia bekannt. Dort vermerkt ist nur die Vermutung, das Heinrich Zimmermann vor 1920 geboren sein muß. Er starb vor einer möglichen Entnazifizierung 1948.
Apropos Louis Hagen
Louis Hagen war Geschäftsführer der Firma: »Blum & Co«, an der auch der Erfinder und Direktor Carl Robert Blum beteiligt war. Der Eintrag im Scherl Adressbuch von 1931 von Berlin lautet: Gegruendet 1929, Sitz Berlin. Geschäftsfuehrer: Louis Hagen und Carl Robert Blum, Dr. Willi Matthias, Kapital 20.000, RM in Berlin W 8, Charlottenstr. 58 II .
Apropos Carl Robert Blum
Carl Robert Blum aus Berlin Schoeneberg, spaeter Berlin Marienfelde, hat eine Reihe von Erfindungen beim Deutschen Patentamt angemeldet. Elf davon habe ich in der Datei des Deutschen Patentamtes gefunden. Patentschriften sind nicht einfach zu lesen. Eine Zuordnung zu den Maschinen, die zur Herstellung von deutschen Synchronfassungen notwendig waren, war mir daher nicht möglich. Leider sind Fachleute aus der fraglichen Zeit verstorben und wurden vermutlich auch nicht befragt.
Ein längerer Bericht über die Technik, die bei der Firma »Rhythmographie GmbH« angewendet wurden, ist in einem Artikel des Kinematograph vom Juli 1930 zu finden (Nr. 160 und Nr. 166, erschien 6 x in der Woche). In der Kinotechnischen Beilage (Nr. 28 und Nr. 29) dieser Zeitung berichtet der Autor Erich Palme wie und mit welchen Maschinen eine deutsche Fassung eines fremdsprachigen Filmes 1929 hergestellt wurde.
Glücklicher wäre die Verbindung sicher gelaufen, wenn ich mit einem maßgeschneiderten Anzug bei der BfG aufgetaucht wäre. Aber ich wollte nicht als Schauspieler dort auftreten. Schließlich ist es ja eine Gewerkschaftsbank und der Arbeiterbewegung fest verbunden. 11 Jahre zahle ich jetzt meinen Beitrag und da muß man ja auch mal im Schmierpäckchen Verständnis erwecken können. Der erste Versuch zu einem Ratenkredit (mit) 24 Monate(n) Laufzeit bei der Zweigstelle Rathaus der BfG ließ sich ganz gut (an). Auch die Sparkasse hatte gleich einen Ratenkredit zugesagt doch die BfG, so hörte ich, sei hundert Mark billiger. 1 % weniger Zinsen.
Die
Sachbearbeiterin der BfG sah sich drei Lohnbescheinigungen
(August/September/Oktober) an und wollte mir auf meine geringe Gage
als Maschinenschlosser von 2.000,00 DM netto (bei 30 Überstunden)
auch gleich einen Kredit von 6.000,00 DM geben. Wofür ich das Geld
brauchte, interessierte sie nicht. Das Geld könne ich gleich
mitnehmen, kein Wunder, denn schließlich verdient die BfG daran fast
1.500,00 DM.
Aber das Geld brauchte ich erst im Januar, und bis dann fallen ja vielleicht noch die Zinssätze, dachte ich. Schon damals hätte ich eigentlich stutzen müssen. Eine Abrechnung mit Akkordlohn hatte die Sachbearbeiterin der Gewerkschaftsbank noch nie gesehen. Jedenfalls: Wenn ich eine Bescheinigung vom DGB bringen würde, daß ich mindestens 3 Jahre Mitglied einer DGB Gewerkschaft bin, würde ich nochmal 1 % der Summe sparen.
Auch 60 DM pro Jahr. Meine Freundin also hin zum Besenbinderhof mit meinen Mitgliedsbüchern. Besenbinderhof: Essig- „Die Bescheinigungen bekommen sie nur über die Einzelgewerkschaften.“ Anruf dort. Die Gewerkschaftssekretärin verspricht, die Bescheinigung gleich abzuschicken. Am Dienstag ist sie immer noch nicht da. Was ich denn eigentlich haben wolle? Na diese Bescheinigung für die BfG. Ja gut, sie schickt sie gleich ab. Nächste Woche Dienstag immer noch nicht da. Anruf. Ja sie hat es noch nicht geschafft. Der nächste Dienstag ist da. Bescheinigung nicht da. Anruf: „Schließlich haben wir ja einige Tausend Mitglieder.“ Ob die alle eine Bescheinigung für die BfG brauchen? Am nächsten Freitag kommt sie endlich an. Ich das Ding gleich genommen und wieder hin zur BfG. Inzwischen ist der Winter ins Land gezogen. Wieder alle Bescheinigungen mit. Ich hatte einen Arbeitsunfall, deswegen ist auf der November Abrechnung 000 DM aufgedruckt. Die DM 1,80, die davon abgezogen wurden, hält die Sachbearbeiterin für den Monatslohn. „Ich habe mein Geld von der Berufsgenossenschaft bekommen, mehr als den Nettolohn, den ich sonst bekomme.“
Nützt
nichts. Die Überweisungen der Krankenkasse will sie nicht sehen. Die
BfG zittert um das Geld, das sie nach Polen geschickt haben. „Nein
mit dieser November Gehaltsbescheinigung könne ich bei der BfG
keinen Kredit bekommen“. Ich möchte den Zweigstellenleiter
sprechen, dafür muß es doch bei einer Gewerkschaftsbank eine
Regelung geben. Da liegen doch laufend Arbeiter im Krankenhaus mit
Arbeitsunfällen. Der Zweigstellenleiter spricht mit einer
gutgekleideten Dame in einem teuren Pelzmantel. Ich habe mir drei
Stunden unbezahlten Urlaub geben lassen. Ich warte.
Eine halbe Stunde habe ich Zeit, die Kunden dieser Bank nach ihrem Äußeren zu beurteilen. Die unteren Gehaltsklassen sind augenscheinlich nicht dabei. „Aber natürlich“, sagt der Zweigstellenleiter, „allerdings müssen sie uns noch eine Bescheinigung ihrer Firma bringen. Und wenn die Lohnabteilung dann durchschnittlich 1.200,00 DM für die letzten drei Monate einträgt, dann sollen sie hinschreiben “krankheitsbedingt“.
Ich bekomme meine Bescheinigung vom Lohnbüro, auf diese Weise erfahre ich auch gleich meine Kündigungsfrist – eine Woche. Ich nehme einen Tag Urlaub und wieder hin zur BfG. Der Vertrag wird fertiggemacht. Ich bin geschieden. „Ja dann müssen sie noch eine Restschuldversicherung bei der Volksfürsorge abschließen“. Kostet 60,– DM .
Der Vorteil der 11jährigen Gewerkschaftsmitgliedschaft geht an eine anderes Gewerkschaftsunternehmen. Einfache Umverteilung. „Ein Anruf bei der Schufa – das muß sein,“ meint die BfG-Angestellte: „So sind unsere Vorschriften“. Ihr Gesicht hellt sich auf, ich bin noch nicht als Kreditbetrüger überführt. Doch die Lohnbescheinigung der Firma. Das ist da Wort NICHT gestrichen in dem Satz: „Lohnpfändungen werden nicht ausgeschlossen.“
Ja aber sie doch sowieso nur über das Gericht pfänden lassen. Ich will den Zweigstellenleiter sprechen. Der hat Urlaub. „Könnte aber auch nichts anderes entscheiden“ meint die Gewerkschaftsbänkerin. „Ich solle doch lieber zur Sparkasse gehen.“ 20 Formulare werden zerrissen. Meine Gewerkschaftlegitimation hänge zuhause in einen Rahmen.
Otto Meyer
(Mein Name, den ich damals (1984) für Zeitungsveröfffentlichungen
benutzt habe)
«Es ist aber merkwürdig, wie leicht und glatt dieselben <korrekten> Historiker und Publizisten, welche das ganze Zeter-Alphabet und Flüchewörterbuch erschöpfen, um den rot-republikanischen Schrecken zu verdonnern, über die Abscheulichkeiten und Gräßlichkeiten hinwegschlüpfen, welche der weiß-royalistische Schrecken von 1794–95 in Szene gesetzt hat. Natürlich übrigens! Für Thron und Altar ist ja alles erlaubt. Mag jedoch der Grundsatz mit so schamloser Offenheit gepredigt und geübt werden, wie in unsrer niederträchtigen Zeit geschieht, immerhin gibt es noch einen über die trübe Sphäre der Knechtseligkeit, über die wüste Region zügelloser Parteileidenschaft hocherhabenen Standpunkt der Sittlichkeit, von welchem herab die echte und rechte Seherin Historia den Wahrspruch tut –: Die roten Schreckensmänner handelten sittlicher als die weißen, denn jene standen in Bann und Zwang einer großen Idee, während diese nur von der gemeinsten Selbstsucht getrieben wurden.» Johannes Scherr: <Menschliche Tragikomödie>
Die Schande des neuen Republikschutz-Gesetzes, das noch den kleinsten Schreiber, wenn er nur pensionsberechtigt ist, zu einer Rechtsperson höheren Grades erhebt und die unbequemen Links-Oppositionellen rechtlos läßt, wird Wahrheit werden. Die Stagnation der öffentlichen Moral ist vollkommen; kaum ein Windhauch geht über diese scheinbar so bewegte Fläche. Deutschland ist ein lautes Land – aber die Massen treten an Ort. Was das neue Gesetz uns bieten wird, geht aus der jetzigen Lage klar hervor. So instinktlos diese Republik ist, die sich noch niemals gegen ihre wirklichen und gefährlichen Gegner zu schützen gewußt hat, weil sie gar nicht geschützt sein will – in einer Beziehung haben Verwaltung und Rechtsprechung den richtigen Instinkt. Das zeigt sich in der Behandlung der Nationalsozialisten.Die behaupten, <revolutionär> zu sein, wie sie denn überhaupt der Linken ein ganzes Vokabular abgelauscht haben: <Volkspartei> und <Arbeiterpartei> und <revolutionär>; es ist wie ein Konkurrenzmanöver. Daß bei der herrschenden Arbeitslosigkeit des Landes und der Direktionslosigkeit der bürokratisierten Sozialdemokratie die Arbeiter scharenweise zu den Nazis laufen, darf uns nicht wundern.
Revolutionär sind die nie gewesen. Die Geldgeber dieser Bewegung sind erzkapitalistisch, der Groll, der sich in den Provinzzeitungen der Partei, in diesen unsäglichen <Beobachtern> ausspricht, ist durchaus der von kleinen Leuten: Erfolg und Grundton dieser Papiere beruhen auf Lokalklatsch und übler Nachrede. «Wir fragen Herrn Stadtrat Normauke, ob er die Lieferungen an die Stadt nicht durch Fürsprache seines Schwagers erhalten hat, der seinerseits dem Oberbürgermeister . . . » Das freut die einfachen Leute; es zeigt ihnen, dass sich die Partei ihrer Interessen annimmt, es befriedigt ihre tiefsten Instinkte – denn der Kleinbürger hat drei echte Leidenschaften: Bier, Klatsch und Antisemitismus. Das wird ihm hier alles reichlich geboten: Bier in den Versammlungen, Klatsch in den Blättern und Radau-Antisemitismus in den großmäuligen Parolen der Partei. Was ist nun an diesem Getriebe revolutionär? Junge Leute, die tagaus, tagein im Büro sitzen; Studenten, die mit ihren paar Groschen kaum das Brotstudium bezahlen können, von echtem Studium ist schon lange nicht mehr die Rede; Arbeitslose, denen jede Abwechslung recht ist . . . aus solchen Menschen setzen sich die <Sturm-Abteilungen> zusammen, die vor Gericht nicht einmal soviel Mut haben, auch nur den Namen aufrechtzuerhalten. «Wir SA-Leute sind Sportabteilungen . . . was dachten Sie?» Die Deutschen sind stets ein Gruppenvolk gewesen; wer an diesen ihren tiefsten Instinkt appelliert, siegt immer. Uniformen; Kommandos; Antreten; Bewegung in Kolonnen . . . da sind sie ganz. Der Zulauf zu diesen sehr risikolosen und romantisch scheinenden Unternehmungen ist groß; das moderne Leben mechanisiert die Menschen, das Kino allein kann das Bedürfnis nach Abwechslung nicht befriedigen. Also rauf auf die Lastwagen!
Wenn diese nationalsozialistische Bewegung eine echte Volksbewegung, eine revolutionäre Bewegung wäre, wenn eine rechte Revolution alte Rechtsbegriffe hinwegschwemmte und zur Durchsetzung ihres Systems eine Diktatur errichtete – so könnte man das sauber bekämpfen. Wer für den Klassenkampf eintritt, kann sich nicht grundsätzlich gegen Diktaturen wenden, höchstens gegen die Ziele, für die sie eingesetzt werden. Ein Belagerungszustand kann unter Umständen politisch zu bejahen sein – es kommt auf die Idee an, die ihn geboren hat. Von einer revolutionären Idee ist jedoch bei den Nazis nicht das Leiseste zu bemerken. Ich nehme hier ausdrücklich die ihnen nicht unmittelbar angeschlossenen und noch sehr einflußlosen Gruppen aus, die zunächst im geistigen Kampf stehen: die Handvoll Leute um Jünger, Schauwecker und die andern. Ich kann zwar nicht sehen, was damit gewonnen ist, dass man mit Ausdrücken wie <magisch> und <mitteleuropäischer Raum> um sich wirft . . . auch die Vokabel <Fronterlebnis> wird ja wohl nicht über die wahnwitzige Güterverteilung der kapitalistischen Gesellschaftsunordnung hinweghelfen – Romantiker glauben immer, wenn sie bewegt seien, bewegten sie auch schon dadurch die Welt. Selbst echte seelische Erschütterung ist noch kein Beweis für die Nützlichkeit und den Wert einer Idee. Die Straßennazis lassen von dieser Geistigkeit auch nicht einen Hauch verspüren. Politische Kinder . . . «Politische Kinder», heißt es einmal bei Scherr, «welchen man ja, vorab in Deutschland, bis zur Stunde einbilden, einpredigen, einschwindeln konnte und kann, Revolutionen würden willkürlich gemacht, von Sprudel- und Strudelköpfen, von Habenichtsen und Taugenichtsen, von einer Handvoll <Literaten, Advokaten und Juden>, willkürlich gemacht und aus purem Mutwillen.»
Und nun tobt das gegen einen <Bolschewismus> der nicht einmal da ist; denn die Arbeiter sind gespalten, und die typische Angestelltengesinnung haben die Kommunisten, von Moskau leider sehr falsch belehrt, in Deutschland niemals zu erfassen vermocht. Dergleichen ist wohl auch unvorstellbar für ein russisches Gehirn, aber nicht minder real. Die kommunistischen Parolen holen vielleicht die Arbeiter aus den Betrieben, niemals aber die Angestellten aus den Büros. Und ohne die kann man keine Revolution machen. Die Nazis terrorisieren viele kleine und manche Mittelstädte, und zwar tun sie das mit der Miene von Leuten, die ungeheuer viel riskieren; sie machen immer ein Gesicht, als seien sie und ihre Umzüge wer weiß wie illegal. Sie sind aber durchaus legal, geduldet, offiziös. Und hier beginnt die Schuld der Republik: eine Blutschuld. Polizei und Richter dulden diese Burschen, und sie dulden sie in der durchaus richtigen Anschauung: «Mitunter ist es ja etwas reichlich, was hier getrieben wird. Keinen Totschlag! Nicht immer gleich schießen . . . Aber, trotz allem: Diese da sind Blut von unserm Blut, sie sind nicht gegen, sondern für die Autorität – sie sind, im allertiefsten Grunde, für uns, und sie sind nur deshalb nicht ganz und gar für uns, weil wir ihnen nicht stramm genug sind und zu sehr republikanisch. Wir möchten ja auch gerne . . . aber wir dürfen nicht . . . Diese lächerlichen republikanischen Minister . . . die Geheimräte da oben am grünen Tisch . . . wir möchten ja ganz gerne. Und tun unser Möglichstes. Zurücktreten! Nicht stehen bleiben! Na ja . . . aber es sind unsre, unsre, unsre Leute.»
Es sind ihre Leute. Es sind so sehr ihre Leute, dass die verschiedenartige Behandlung, die Kommunisten und Nationalsozialisten durch Polizei und Rechtsprechung erfahren, gradezu grotesk ist. Man stelle sich einmal vor, was geschähe, wenn in der <Weltbühne> stände, man müsse den Führer der Zentrumspartei zum <Schweigen bringen . . . Nie davon sprechen – immer daran denken> –: zwölf Juristen erster Klasse zerbrächen sich die Dialektik, um aus diesen Sätzen herauszulesen, was sie für eine Verurteilung brauchten, und die Urteilsbegründung wäre eine reine Freude für jeden Kandidaten der großen Staatsprüfung. Man stelle sich vor, was geschähe, wenn – wie es umgekehrt in Schweidnitz geschehen ist – ein jüdischer Angeklagter in einem Strafprozeß die Geschmacklosigkeit besäße zu sagen: «Der Regierungsvertreter lächelt mich dauernd so hämisch an, wie das nur Gojims zu tun pflegen» – mit Recht ließe der Vorsitzende den Sprecher abführen, und der Prozeß ginge, was ja zulässig ist, ohne den Angeklagten zu Ende. Und man stelle sich vor, was geschähe, wenn der Vorsitzende dies zu tun unterließe. Aufforderung zur Berichterstattung an den Aufsichtführenden, Bericht ans Justizministerium, <anderweitige Verwendung> des Richters und wahrscheinlich unter Anwendung der üblichen Mittel: Pensionierung. Linksleute sind vogelfrei. Führen die Arbeiter einen der ihren zu Grabe, den üble Gefängnisärzte zu Tode gequält haben, dann stürzen sich hundert Polizisten dazwischen, «unter Anwendung des Gummiknüppels», wie es in den polizeiseligen Blättern der Mitte heißt.
Die scheuen sich, die Wahrheit zu sagen: es wird geprügelt, wie die Kosaken nicht saftiger geprügelt haben. Brüllen die Nationalsozialisten die Straßen entlang, so wird zwar von den Polizeibeamten nicht grade salutiert, aber sie lassen den Zug lächelnd passieren. Jugend muß sich austoben . .- . Hiervon gibt es nur sehr wenige Ausnahmen. Auf den Straßen fließt Blut, und die Republik unternimmt nichts, um dem Einhalt zu tun. Von Mordandrohungen schon gar nicht zu sprechen. Nach dem neuen Schutzgesetz, das diese Republik nötig hat, kann jeder satirische Vers gegen den Portier des Reichskanzlerpalais einem Staatsanwalt die Karriere verbessern; auf der andern Seite können die Nazis gegen <nichtbeamtete> Publizisten Drohungen ausstoßen, die selbst unter dem Seligen klar und eindeutig unter den § 111 des Strafgesetzbuches gefallen wären (Aufforderung zur Begehung strafbarer Handlungen). Heute geht das als Redeblümchen und Würze der Propaganda glatt durch. Und kommt es selbst einmal zu einem Prozeß: wie beschämend sehen diese Prozesse aus! Die Zeugen sind, wenn sie vom Reichsbanner oder gar aus Arbeiterkreisen kommen, die wahren Angeklagten, die Anwälte der Nazis treten wie die Staatsanwälte auf, und die Staatsanwälte sind klein und häßlich und kaum zu sehen. Die Richtersprüche entsprechend. Das große Wort vom <Landfriedensbruch> hat hier keine Geltung; und wenn eine ganze Stadt von den Hitlerbanden auf den Kopf gestellt wird, so erscheint das in den Begründungen der Freisprüche als harmlose Bierhausprügelei. Kein Wunder, wenn diesen Knaben der Kamm schwillt: sie riskieren ja nichts. Um so mehr riskiert der Arbeiter. Eifrige Polizeipräsidenten verhängen über ihren Machtbereich jedesmal einen kleinen privaten Belagerungszustand, wenn es bei einem Fabrikstreit Randal gibt, und wie da gehauen, geprügelt, verhaftet wird, daran ändert auch das Vokabular nichts, das dann von <zwangsgestellt> spricht. Der Zörgiebels gibt es viele im Reich, und alle, alle sehen nur nach links. Von rechts her scheint keine Gefahr zu drohen. Die Redakteure der <Roten Fahne> verfügen über ein reiches Schimpfwörterbuch, die Hitlergarden verfügen über Waffen, Autos und Geld . . . das ist der Unterschied.
Der Landfrieden aber wird bei uns nur von links her gebrochen. Es ist eine Schande. Solange solche Männer wie Klausener in den preußischen Ministerien, wo es noch am liberalsten zugeht, die Personalpolitik machen, kann das nicht besser werden. Einen deutschen Landfrieden gibt es nicht mehr. Stände heute ein Erzberger oder ein Maximilian Harden auf und sprächen sie in den Mittelstädten der Provinz und nun gar in Sachsen und Bayern: sie würden abermals niedergeschlagen werden. Vielleicht machte die Ortspolizei schwache Versuche, sie zu schützen; vor den Richtern kämen die Mörder mit einer vergnügten Verhandlung davon. Kein Wunder. Man höre sich die Vorlesungen der Universitäten an, man sehe die dort von den Behörden geduldeten Umtriebe, und man wird sich nicht wundem, dass eine so vorgebildete Richterschaft die Verbrechen der Nationalsozialisten im Herzen und im Grunde bejaht. Diese Unabsetzbaren halten derartige Morde für den Ausfluß des Volkswillens. Strafen? Die sind für die Arbeiter. Was die öffentliche Meinung anlangt, so geht sie mit den Völkischen zu milde um. Es liegt das zunächst an dem berliner Aberglauben, der Kurfürstendamm sei die Welt, und solange eine Reinhardt-Premiere nicht gestört würde, könne das Ganze doch unmöglich so schlimm sein. Die sehen die Gefahr immer erst, wenn ihnen die Gegner auf den Teppich des Eßzimmers spucken. Siegfried Jacobsohn hat mir einmal von Konrad Haenisch erzählt, wie er den in der Nacht vor dem Kapp-Putsch im Theater traf: der Gute lächelte und winkte auf alle Fragen beschwichtigend ab . . . Am nächsten Tage saßen die Herren im Auto, und Berlin wehrte sich allein. An dem völkischen Teil der deutschen Industrie hängt der Vorwurf, dass sie Mörder finanziert; sie wird diesen Vorwurf lächelnd einstecken wie ihre Tantiemen. Denn noch nie haben sich diese Menschen ein Geschäft durch die <Moral> verderben lassen. So wird unsre Luft verpestet. Und wenn wir uns diese einseitig geschützte Republik ansehen, diese Polizeibeamten und diese Richter, dann entringt sich unsern Herzen ein Wunsch:
Gebt uns unsern Kaiser wieder!
Erstveröffentlichung unter dem Namen Ignaz Wrobel, Die Weltbühne vom 13. Mai.1930, Nr. 20, S. 718. Zitiert nach: Kurt Tucholsky, Gesammelte Werke, Dreibändige Ausgabe (Dünndruckpapier), Deutscher Bücherbund, Band III (1929 – 1932), Seite 439 – 443.
Hallo Wiebeke, Du willst wissen, wie das damals war? Zu Zentral Film Zeiten? Na, am besten schreib ich den Text, der damals in Medium, der Zeitschrift der Evangelen (Das waren die vom Gemeinschaftswerk GEP – der evangelischen Kirche) veröffentlicht wurde, noch mal ab. (Ich hatte den geschrieben). Hier kommt er, in Originallänge, vermutlich habe ich, trotz mehrfachem Gegenlesen, noch ein paar neue Schreibfehler untergebracht. Damit meine ich, die, die vorher noch nicht drin waren, J.
Abschrift aus: Medium 6. Juni 1982. 12. JahrgangDer Traum von einer Sache Für einen neuen Zentral Film Verleih von Jens Meyer (Seite 35 -38)
Die Beteiligten des Konfliktes trafen sich am 14. April 1982 vor dem Landgericht Hamburg um Viertel vor 12 Uhr. Der Vorsitzende C. des Vereins Zentral Film Verleih Hamburg e. V. wollte mithilfe des Landgerichts Hamburg eine Mitgliederversammlung verbieten lassen, zu der ein Viertel der Mitglieder eingeladen hatte. Er befürchtete, daß er auf dieser Mitgliederversammlung nicht wieder gewählt werden würde. Eine Stunde wurde verhandelt. Der Richter genoß sichtlich die Vorstellung: Linke, die mithilfe der Klassenjustiz ihre Konflikte klären lassen. Nebenbei: das gleiche Gebäude, in dem auch der Film von Axel Engstfeld Von Richtern und anderen Sympathisanten spielt.
Gerichtskosten nach einer Stunde: 1.250 DM. Dazu: Die Kosten für zwei Rechtsanwwälte, vor dem Landgericht darf sich niemand selber vertreten. Insgesamt der Monatslohn eines Mitarbeiters in dem finanzschwachen Betrieb Zentral Film Verleih (ZFV) gegen die anderen beiden Vorstandsmitglieder als Privatpersonen. Das Gericht soll eine einstweilige Verfügung gegen eine Mitgliederversammlung am 18. 4. (1982) aussprechen.
Wie jeder Verein hat auch dieser Organe. Manche Organe sind meistens nicht wichtig. Höchstes Organ: Die Mitgliederversammlung, hier hat der Vorsitzende eine unsichere Mehrheit. Diese unsichere Mehrheit möchte er mithilfe von Neuaufnahmen gerne sicher machen. Doch im Vorstand ist der Vorsitzende in einer Minderheit. So macht er einen Fehler: In einer Vorstandssitzung werden nicht seine Kandidaten aufgenommen, sondern die der anderen beiden Vorstandsmitglieder. Werner Koch + Elfriede Schmitt. Ein langjähriger Machtkampf dreht sich. Erstmals ist der Vorsitzende Christian Lehmann dabei, einen Machtkampf zu verlieren. Was macht er? Wir lasen es schon.
Auch ich bin nicht unbeteiligt. Einmal habe ich von 1976 bis 1980 dort gearbeitet – im Anfang als „freier“ Mitarbeiter, wie alle anderen auch für 650,00 DM netto gleich brutto. Das ist bitter, wie schnell auf dem Landgericht drei Monatslöhne vom Vorsitzenden verbraten wurden. Auch menschlich bitter, wenn es sich um jemanden handelt, der über lange Zeit in seinen Worten immer die Sache obenan gestellt hat, der immer Gegner der Klassenjustiz gewesen ist.
Der
Hintergrund
Fünf Personen stehen derzeit auf der Lohnliste des Verleihs, davon leben vier ausschließlich vom Verleih – keine Nebeneinkünfte. Vier Personen weigern sich, mit dieser fünften Person weiter zusammenzuarbeiten. Das hat viele verschiedene Gründe. Einer ist jedenfalls der: Die vier verstehen unter Zusammenarbeit etwas anderes als die fünfte Person. Sie wollen wirklich zusammen arbeiten. Und sie wissen, wovon sie reden, denn seit dem letzten großen Mitarbeiterwechsel im August 1980 haben sie ihre Versuche unternommen, mit der fünften Person zusammen zu arbeiten. Sie möchten nicht noch einmal ähnliche Versuche wie in den letzten zwei Jahren machen.
Viel Papier wird beschrieben: Grundsatzpapiere, persönliche Erklärungen. Man trifft sich mit früheren Mitarbeitern des ZFV, befragt sie nach ihren Erfahrungen, gründet einen Beraterkreis, der stellvertretend auch die Konflikte innen klären soll. Die Glaubwürdigkeit von bedrucktem Papier nimmt immer mehr ab. Der Konflikt mit C. bindet immer mehr Kräfte. C. will den Verleih nicht verlassen, bringt seinerseits auch immer Papiere ein, auf denen er erklärt, auf welche Weise die anderen mit ihm zusammenarbeiten sollen. Im Mai 1981 kommt es zur ersten harten Auseinandersetzung.
Anlaß der Film Gorleben – Der Traum von einer Sache. Sichtveranstaltungen finden statt. Immer wieder Diskussionen: Ist das ein Film für den ZFV? C kategorisch: „Noch nie habe ich der Aufnahme eines Filmes in den ZFV zugestimmt, wenn ich schwerwiegende politische Bedenken hatte.“ Die Ausschließlichkeit, mit der ein einzelner hier seine Meinung den anderen Verleihmitarbeitern aufdrücken will, bringt viele andere Sachen ebenfalls zum Ausbruch. Kein anderer von ihnen nimmt sich das Recht heraus, keine Fehler zu machen, die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben. C. hat dafür eine andere Wortwahl. Es gibt auch Unterschiede in der Bewertung des Verleihs: Vier sehen in der Verleiharbeit eine Hilfstätigkeit für die (linke, aufgeschlossene) Öffentlichkeit. C. hat eher die Vorstellung: das Verleihprogramm als politisches Glaubenbekenntnis.
Dazu
kommen die Probleme der Arbeitsteilung, die es mit C.
gibt. Seit 1980 konzentriert
sich C.
auf den Bereich Filmverkäufe an andere Verleiher und
Fernsehanstalten. Mit den Routine-Verleiharbeiten hat er nur noch
wenig zu tun. Auch dieser mangelnde Kontakt mit den eigentlichen
„Kunden“ macht ihn in den Augen der anderen unglaubwürdig. Er
ist leider auch der einzige, der behauptet, dennoch gut informiert
zur sein. Die Begründung für
diese Selbstüberschätzung findet er in seiner zehnjährigen
Erfahrung.
Erinnerung
an 1978
Es war
keine schlechte Zeit, wir hatten viel Spaß an der Arbeit, sonst
hätten wir es nicht für so wenig Geld gemacht. Für eine Stunde
vorm Landgericht mußte ich drei Monate arbeiten. Mehr Geld war nicht
da. Glaubenssatz aus dieser Zeit: Der Verleih ist politisch enorm
wichtig. Deswegen: Nicht jeden Konflikt ausfechten, nicht alles zu
Ende diskutieren. Viele Sachen zudecken, verdrängen.
Erinnerungen
an 1970
Nicht
meine. Die Filmemacher Cooperative gab es. Einer, der
heute nicht mehr dabei ist (Alfred Hilsberg), machte einen
Sonderverleih auf: mit den wenigen Filmen, die ausdrücklich
politisch sein solten. Man könnte auch sagen, er hat sie geklaut.
Die Prügelei geistert noch heute durch die öffentlichen
Erinnerungen. 1971 die Sozialistische Film Coop, 1972 dann der
Zentral Film Verleih. Mit vielen Filmen, die heute niemand
mehr kennt. Die industrielle Reservearmee von Helma Sanders.
Dann später, vielleicht 1973/74, die Frage, die alle linken
Akademiker bewegt. Woher kommt die Revolution? Aus den Stadtteilen
oder aus den Betrieben? Wer hat recht?
Auch im
Verleih zwei Meinungen: mal gewinnt der Film aus dem Kalletal für
die Arbeitsplätze bei Demag, mal der Rockerfilm aus Frankfurt.
Ökonomische Grundlage des Verleihs auch in dieser Zeit eher die
Filme, die C. nicht liebt. Das erfahre ich erst viel später.
Ich habe losen Kontakt zu diesem Verleih. Bin selber auf der
Arbeiterwelle in die dffb (Deutsche Film- und
Fernsehakdamie Berlin) geschwappt. Lerne viel und bin
wißbegierig. Zusammen mit anderen aus dem Medienzentrum in Berlin
mache ich einen Filmkatalog, zwei verschiedene Umschläge: „Film
im Klassenkampf“ und „Filme der Arbeiterbewegung“.
Unterschiedliche Titel, aber sie meinen das gleiche. Die Jusos und
die Falken kaufen den Katalog mit dem zweiten Umschlag. Wir schicken
den Katalog nach Hamburg. Sie haben am Karl Muck Platz 9 (heute
Johannes Brahms Platz 9) viel zu kritisieren. Vor allem, daß viele
wichtige Filme aus dem ZFV fehlen. Sie wollen für die nächste
Auflage viele Verbesserungsvorschläge machen. Wir warten vergeblich.
Die Zeit
der selbsternannten kommunistischen Arbeiterparteien. Aus dieser Zeit
auch meine Parteifeindlichkeit. Der Verleih hat mit diesen Parteien
auch wenig am Hut. Das macht ihn mir sympathisch. Dennoch treten sie
nach außen immer geschlossen auf. Innere Widersprüche werden
rausgehalten, dringen nicht an die Öffentlichkeit. Sie sprechen mit
einer Stimme.
Sie sind
ein Kollektiv, es gibt keinen Chef, sie entscheiden alles gemeinsam,
sagen sie. Sie erledigen die anfallenden Arbeiten gemeinsam, eine
Arbeitsteilung im klassischen Sinne gibt es nicht, sagen sie. Sie
sind weder von Bonzen noch von Parteien abhängig. Der Verleih zeigt
in seinen Filmen ein widersprüchliches Bild. Es ist bunt. Daß
dieses bunte Bild nur auf unterschiedliche Gewinner verschiedener
Machtkämpfe zurückgeht, weiß ich nicht. Sie machen viele
Versprechungen.
Das
Kollektiv 1976 in Berlin bei den Festspielen: Vier Personen wollen
mich anwerben. Ich sage zu im Herbst nach Hamburg zu kommen. Erst
später wird mir klar, warum sie alle wollen, daß ich nach Hamburg
zum Verleih komme. Sie wollen mich als Bündnispartner für ihren
internen Konflikt benutzen.
Ich denke, man kann als Filmemacher von den Verleihen nicht immer nur fordern, man muß auch selber mit zufassen, wenn es nicht vorangeht. Im Oktober bin ich da, drei Leute (Alfred Hilsberg, Uwe Emmenthal und Nobert Huhn) sind schon weg. Verwirrung bei mir. Fragen an die Dagebliebenen. (C., + K. J.)
„Wir haben uns aus inhaltlichen Gründen getrennt“, ist die einzige Erklärung.
Das erklärt nicht viel. Aber was solls, von der alten Crew ist nur noch einer da. Die anderen sind nicht mehr wichtig für mich, sie haben aufgehört – erledigt. Eins macht mich stutzig: Es sind genau die Leute weg, mit denen man immer zu tun hatte, wenn man einen Film bestellt hat, der dann auch den Lieferschein unterschrieben hatte. Der Mitarbeiter für „übergeordnete“ Anfragen war noch da. Einer von den Ausgeschiedenen hat morgens immer nur Zeitung gelesen, wollte sich hier selbst verwirklichen, höre ich. Später höre ich auch die andere Version. Mir ist das eigentlich ziemlich egal. Sie haben aufgehört, also sind sie nicht mehr wichtig.
1976 habe ich von diesem Verleih auch noch ein anderes Bild:
Die klopfen immer viel Sprüche, müssen ungefragt überall was sagen, und wenn man dann einen Film bestellt hat, dann kommt er nicht rechtzeitig. Schuld sind sie niemals sie selber, sondern immer „unsolidarische Vorspieler“. Oder noch schlimmer. Es kommt etwas, das hat mit Film nicht mehr viel zu tun – das Bild kann man vor lauter Kratzern nicht erkennen, der Ton ist kaum zu verstehen. Das, denke ich, ist meine erste Aufgabe in Hamburg, das zu ändern. Ich denke, Unzuverlässigkeit, hat mit links nichts zu tun. Ich denke, schlechte Kopien ebenfalls nicht. Ich versuche zu ändern und ernte viel Beifall, aber wenig praktische Unterstützung.
Die
anderen sagen: Zeitmangel. Aber täglich werden nur ca. vier Filme
verschickt und vier entgegen genommen. Keine ‚Schwierigkeit für drei
Leute, da die Arbeiten auf dem laufenden zu halten, Filme zu
reparieren, Klammerteile zu bestellen.
Einen Film habe ich mitgebracht von der dffb. (Meinen Abschlußfilm von der dffb Mit uns nicht mehr). Über Arbeit und eigene Erfahrungen in meinem ehemaligen Beruf als Maschinenschlosser.
Das
frühere Kollektiv hatte, so lese ich, diesen Film schon einmal
abgelehnt. Ich erinnere nur, daß er einige Wochen in Hamburg lag und
dann nur nach bösen Drohungen zurückgeschickt wurde. Kommentarlos.
C., immer noch Germanistikstudent, ohne eigene Berufserfahrung außerhalb des Verleihs, erklärt mir seine Haltung in der Gewerkschaftsfrage. Auf welche Weise das ZFV-Kollektiv bisher Gewerkschaftsfunktionäre kritisiert habe.
Ich mache einfach Druck, keine langen Diskussionen. Das ist meine politische Haltung, die in diesem Film ausgedrückt wird, und wenn die hier nichts zu suchen hat, dann habe ich hier auch nichts verloren. Der Film kommt in den Verleih. Nach vier Jahren habe ich genug. 1980 verschwinde ich von der Lohnliste des ZFV. Dazwischen viele Versuche einer guten Zusammenarbeit. Viele Versuche sich wenigstens nicht ins Gehege zu geraten.
Viele Fehler, die ich mitgemacht habe oder nicht entschieden genug bekämpft habe. Viele gute Leute, die im Verleih enttäuscht worden sind, die ich stärker hätte stützen können in ihren Konflikten mit C.. Aber oft lag eben die Wahrheit dazwischen. Der Hauptfehler aus meiner ZFV Zeit sicher: so eine Art unbewußtes Zentral Komitee für die Bewegung zu sein. immer wieder Entscheidungen darüber zu fällen, welche Filme notwendig und wichtig seien und dabei nur auf sich selbst, aber niemals auf die Kraft der sogenannten Benutzer unserer Filme zu vertrauen.
Andere Verleiher redeten oft davon, daß dieser und jener Film oft ausgeliehen wird, wir mit unserer befangenen Ideologie hatten dafür nur immer einen Spruch parat: „Ihr seid ja nur auf die Kohle scharf.“ Und die „Branche“ Film ist korrupt genug. Da wird ständig über Geld geredet. Inhalte außer ihren eigenen Kontoauszügen haben die kaum noch im Kopf. Alois Brummer ist da ein gutes Beispiel. Es gibt allerdings auch vornehme Leute im Geschäft. Wenn sie über wichtige Inhalte reden, über das, was sie den Leuten als Botschaft bringen wollen, dann denke ich oft: Klappern gehört zum Geschäft. Oder auch vornehmer mit Godard:
„Die
Kunst der Massen ist eine Idee der Kapitalisten.“
Dieses
Jahr in Oberhausen bei der Diskussion „20 Jahre
Oberhausener Manifest“ habe ich das auch wieder gedacht. Die
Gefahr in diesem Bereich, entweder reich zu werden und alles zu
vergessen oder Konkurs zu machen oder aber zum Heiligen zu verkommen,
ist besonders groß. Wir bekommen einen Brief von der
Verleihgenossenschaft in München. Da steht etwas von den
Gralshütern der richtigen Verleihpolitik. Sie haben recht gehabt.
Doch damals bin ich sauer auf diesen Brief.
Inzwischen ist aus dem Popelverein von 1972, in der jeder Mitarbeiter 60 DM pro Monat einzahlen mußte, ein Betrieb mit einem Jahresumsatz von 400.000 DM geworden. 40 Jahre unter- und unbezahlter Arbeit stecken drin. Vier von Alfred Hilsberg und A.R. und A. K., vier von mir (Jens Meyer)., drei von Klaus Jötten. (?), zwei von T. (Thomas Thielemann), zehn von C.. Wenn man sich jetzt von C. trennt, so wie man sich von 20 anderen getrennt hat, aus „inhaltlichen“ Gründen, warum sollte man sich nun nach so vielen Jahren privatrechtlich trennen?
Haben wir
nicht viele Jahre diesen Verleih als „Instrument der Bewegung“
bezeichnet? Der Verleih ist schließlich niemals eine
Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für frustrierte Akademiker gewesen.
Oder etwa doch? Wer hat mich solange so gut täuschen können?
Fragen, die zur Zeit nicht beantwortet werden können. Ein Brief von
Arbeit und Film (Gernot Steinweg-Frankfurt): Sie warnen vor zwei
Konkurrenzverleihen, sie haben recht. Der „Markt“ ist nicht groß
genug. Aber sie meinen es anders. Wir sollen C. den Verleih
überlassen, wie immer.
Es
beginnt im November 81 eine Grundsatzdiskussion. Ich breche fast
zusammen. Lese von mir akzeptierte Definitionen in unserem
„1978-Hauptkatalog“. Das steht als Definition für Frauenfilme
folgendes: „Arbeiterinnen und Angestellte in der BRD und in
anderen Ländern, ihre Arbeitsbedingungen, Leichtlohngruppen,
Abtreibungsverbot, und Abhängigkeit von Männern, ihr Kampf für die
Stärkung der Arbeiterklasse.“ Mir wird übel vor mir selber.
Vier Filme sind aufgeführt. Frauen existieren in einem linken
Verleih vor allem: 1. entweder als ausgebeutete Arbeiterin am
Fließband mit der Doppelbelastung oder 2. als arme Frau, die
mit der Klassenjustiz-und dem § 218-in Konflikt kommt.
Ein Film wird uns angeboten. Ohne Liebe ist man höchstens geschickt. (vergleiche Medium 2/82; d. Red.) – ein Dokumentarfilm über die Arbeit einer Hebamme. C. fordert eine Grundsatzdiskussion, er findet den Film zwar auch gut, aber er gehöre wohl „eher in einen bürgerlichen Verleih“. Der Film kommt trotz erheblicher Widerstände in den Verleih. Eine Grundsatzdiskussion soll trotzdem kommen. Alle „Hauptamtlichen“ sollen dabei sein. Schon damit sie sich später nicht rausreden können, da bin ich nicht dabei gewesen, das müssen wir noch mal diskutieren. Schließlich ist das ein Filmverleih und kein Diskussionsclub, der mit Diskussionen die ökonomische Grundlage des Verleihs stabil erhält. Frist 31. März 82 (1982).
Bis dahin
wollen wir alle Schwerpunktbereiche des ZFV ausführlich
diskutieren und für die nächste Zeit festlegen. Kein
Festivalbesuch, keine Filmanschaffungen, keine Reisen – vor allem
keine Reiseprotokolle. Alle halten sich daran. Nur C. hat
schon nach 14 Tagen drei Reisen fest abgemacht und fährt auch trotz
Drohungen und Verwünschungen der anderen nach Berlin, Finnland und
in die Schweiz.
Sachzwänge
lassen sich immer schaffen, sagen seine Gegner. Seine Lober dagegen:
Das war notwendig, hätte er diese Reisen nicht gemacht, hätte er
damit dem ZFV schweren Schaden zugefügt. Ich erinnere mich:
die alte Diskussion: Die Sache ist wichtig und nicht, auf welche
Weise man zum Ziel kommt. Ich dagegen und auch die
Lohnlistenmitarbeiter: „Eine Sache, die innen falsch ist, kann
nicht außen richtig sein“, oder anders: „Beides ist
wichtig – das Ziel und auch der Weg.“
Das
wird, wenn das zwischen dem weißen medium-Karton gedruckt ist und
gelesen wird, sicher Schnee von gestern sein. Ein Bericht aus dem
Innern
des Wals.
Das war
Vergangenheit und nun
Wie wird der neue Zentral Film Verleih arbeiten? Wie wird er innen aussehen? Welche Filme wird er in Zukunft verleihen wollen? Auf welche Weise will er mit anderen Filmverleihen und den Benutzern der Filme besser zusammenarbeiten als in der Vergangenheit? Da haben viele Leute Wünsche und Hoffnungen, aber auch: schon eine Praxis, die sich in Teilen bewährt hat. Was gut war in der Vergangenheit, soll auch in Zukunft so bleiben: Eine Verleih, der partei- und bonzenunabhängig arbeitet. Auch die 15 Bereiche sollen weitgehend erhalten bleiben.
Die
dogmatische Ausgrenzung sogenannter
„unpolitischer“ Filme wird in Zukunft unterbleiben. Es
wird im zukünftigen Verleih auch viele Filme geben, die nicht nur zu
Schulungskursen oder Seminaren verwandt werden können, sondern
Filme, in denen das Leben dieser Menschen auch vorkommt. Filme, in
denen Menschen
auftauchen und nicht nur Funktionen.
Einige
dieser Filme sind schon im Verleih. Zu nennen sind
z. B. Das höchste
Gut einer Frau ist ihr Schweigen, Ohne Liebe ist man höchstens
geschickt, Geschichten von Flüsterpferd, Der Traum von einer Sache.
Das
„De-Facto-ZK-des ZVF“ ist
als aufgelöst zu betrachten. Wir entscheiden in Zukunft nicht mehr
alleine, ob ein Film notwendig ist oder nicht. Benutzer und
Filmemacher sollen sich an den Entscheidungen beteiligen und auch die
Möglichkeit bekommen, ihre Entscheidungen durchzusetzen. Sollte es
bei der bisherigen Rechtsform des Vereins bleiben, dann ist das mit
einer entsprechenden Satzung und Zusatzverträgen auch möglich.
Einige
Filmemacher haben wir dafür auch schon begeistern können. Sie
arbeiten bereits jetzt am neuen Konzept und der neuen Praxis mit.
Auch mit einigen Spielstellen haben wir schon gesprochen. Es wäre
schön, wenn nach dem Abdruck dieses Artikels noch mehr Filmemacher
und Benutzer/Spielstellen ihre Bereitschaft zur Mitarbeit erklären
würden.
Das hört
sich nun zwar ziemlich groß nach Bundeskonferenz an, soll es aber
nicht werden. Ganz neu sind wird auch nicht. Da genügt oft schon ein
Hinweis: „Wir brauchen einen Film für unsere Veranstaltungen, der
so und so aussehen soll. Es wäre gut, wenn ihr so was mal anschaffen
könntet.“
Oder
mehrere Spielstellen wenden
sich an den Verleih, um einen Film aus dem Ausland in die BRD zu
holen. Damit werden wir in Zukunft anders als in der Vergangenheit
umzugehen wissen. Wir wissen in Zukunft nicht mehr alles, und
vorrangig auch nicht mehr alles besser. Wir geben in Zukunft
Hilfestellungen, wir wollen Kraft und Mut geben, wer das braucht.
Aber wir wollen auch beides zurück. Wir wollen Instrument sein und
selber dabei leben. Wir lassen uns nicht einteilen: hier Politik, da
Leben in zwei getrennten Bereichen.
Wir
wollen keine damit Zeit verschwenden, indem wir so lange reden, bis
ihr der gleichen Meinung seid wie wir. Wir wollen euch nicht
überreden. Unterschiedliche Meinungen in verschiedenen Filmen
bleiben unterschiedlich. Wir
sprechen darüber, aber nicht mit einer Stimme. In der Vielfalt liegt
unsere Kraft. Wir
wollen nicht
auf fahrende Züge aufspringen und immer in verschiedene Richtungen
ein Zeitlang mitfahren, mit Lokomotivführern, die die Fahrpläne
auch nicht besser kennen, als wir selber. Manchmal wissen wir selber,
was zu tun ist, manchmal wissen es andere.
Aber ihr
und wir – wir machen unterschiedliche Erfahrungen, und die Summe
unserer und eurer Erfahrungen wird der neue Verleih sein. Wir wollen
keine Satzungsänderungen, um mit Leuten zu kämpfen. Wir sind
manchmal ratlos.
Aber
wir geben unsere Köpfe nicht an der Garderobe ab, und unseren Bauch
haben wir auch immer dabei. Denn was soll das nutzen, wenn wir nichts
zu fressen haben? Wir sind keine Ersatzkirche und auch keine
Ersatzkirchenvertreter. Wir wollen
das alles mit euch zusammen
erreichen.
Mit euch,
die ihr euch morgens um fünf aus dem Bett quält, und mit euch, die
ihr euch an Fernsehredakteuren abarbeiten müßt, mit euch, die ihr
um 9 Uhr die Auseinandersetzung mit dem Arbeits/Sozialamt führt, mit
euch, die ihr um 10 Uhr in eurem Unisemiar sitzt.
Auch mit
euch Filmemachern, die ihr euer Leben mit „Anträge-Formulieren“,
„Geld-Besorgen“ verbringt. Auch mit euch, die ihr eure Filme vor
zehn Leuten zeigen müßt, weil nebenan ein Fußballspiel läuft. Es
gibt allerdings auch welche, mit denen wir nicht zusammenarbeiten
wollen. Aber die wissen das selber, brauchen auch keine Filme und
lesen diese Zeitschrift sowieso nicht.
Laßt
uns zusammen anfangen. Wir wissen noch nicht alles. Aber wir haben
nicht nur Wünsche und Hoffnungen, sondern auch eine Praxis. in den
theoretischen Schriften stand jedenfalls nicht . . . laßt
euch vereinigen.
Wie
wir das nun innen konkret laufen? Wie wird der neue Verleih arbeiten?
Der Verleih hat zunächst
drei Mitarbeiter, die ökonomisch vom Verleih abhängig sind: W.K.,
E. S., A.R.
Dann einen weiter Mitarbeiter, der noch anderswoher Geld bekommt: Schorsch (K.G.W.). Falls der Verleih seine Rechtsform behalte) n sollte, dann wird durch zusätzliche Verträge eine derartige Machtzusammenballung wie bei C. vorgekommen, aus-geschlossen. Die Rechte der unterschiedlichen Interessengruppen wie Verleihmitarbeiter, Filmemacher, Spielstellen werden in einem Statut berücksichtigt. Falls es zu Interessenkonflikten kommen sollte. werden diese mithilfe von unabhhängigen Schiedskommissionen geklärt: nicht wie in der Vergangenheit mit Machtzusammenballung, ökonomischen Machtmitteln oder Landgerichtsurteilen. In Konfliktfällen bei Filmanschaffungen sollen Minderheiten nicht Filme verhindern können, sondern nur umgekehrt Minderheiten sollen ebenfalls die Möglichkeit bekommen, bestimmte Filme anzuschaffen. Nicht Ausgrenzung, sondern Vielfalt. Nicht Landgericht.
Zu den
Organen des Verleihs
Oberstes
Organ: Mitgliederversammlung,
Genossenschafterversammlung, Anteilseignerversammlung oder wie immer
auch das Kind heissen wird.
Zweimal
im Jahr findet eine solche Versammlung statt. In ihr wird von den
Verleihmitarbeitern und dem Kassenmenschen Rechenschaft über das
vergangene Halbjahr abgegeben. Hier wied die gemeinsame Richtung für
das nächste Halbjahr angegeben. Die MV
beauftragt einen Vorstand. Der Vorstand vertritt in Rechtsgeschäften
den Verleih nach außen. Außen kann sein: Postscheckamt, Bank u. a.
. Dies ist seine einzige Funktion. Diese Tatsache führt nicht dazu ,
daß die übrigen Mitglieder oder Mitarbeiter mit dem Argument
erpresst
werden, der Vorstand hafte etc. . Seine Wählbarkeit wird zeitlich
begrenzt. Mindestens
ein fester Verleihmitarbeiter
soll Mitglied des Vorstandes sein.
Verleihbesprechung.
Diese VB ist das entscheidende
Organ für Entscheidungen zwischen den halbjährlich stattfindenden
Versammlungen aller Mitglieder/arbeiter. Dieses Organ gibt sich eine
Geschäftsordnung, in dem der
Teilnehmerkreis beschrieben
ist.
Das sollten sein: der Vorstand, die festangestellten Mitarbeiter, die Teilzeitmitarbeiter sowie jene unbezahlten Mitarbeiter, die zeitlich begrenzt bestimmte Projekte des Verleihs betreuen. Kein Teilnehmer dieser Besprechung beansprucht für sich oder andere ein Vetorecht bei Entscheidungen. Es gilt das Konsensprinzip. Können wir auf diesem Weg zu keiner Entscheidung kommen, so stimmen wir ab. Stimmberechtigt ist der in der Geschäftsordnung genannte Teilnehmerkreis. Die Sitzungen finden wöchentlich statt.a Das sollten sein: der Vorstand, die festangestellten Mitarbeiter, die Teilzeitmitarbeiter sowie jene unbezahlten Mitarbeiter, die zeitlich begrenzt bestimmte Projekte des Verleihs betreuen. Kein Teilnehmer dieser Besprechung beansprucht für sich oder andere ein Vetorecht bei Entscheidungen. Es gilt das Konsensprinzip. Können wir auf diesem Weg zu keiner Entscheidung kommen, so stimmen wir ab. Stimmberechtigt ist der in der Geschäftsordnung genannte Teilnehmerkreis. Die Sitzungen finden wöchentlich statt.
Alle
vier Wochen (jeden 4. Sonntag) finden Beraterversammlungen
statt. Welche genaue Funktion diese Beraterversammlung haben könnte,
darüber solltet ihr euch den Kopf zerbrechen.
Einige
von uns denken, es sollte eine Meinungsbörse sein für Gespräche
zwischen Verleihern, Benutzern der Filme und Filmemachern. Andere von
uns haben die Vorstellung, daß man diesem Beratergremium die Auswahl
der neuanzuschaffenden Filme übertragen sollte. Was wir gemeinsam
verhindern wollen, sind Abstimmungsmaschinen. Vor allem keine
Verwaltungsbürokratie. Und die Sache soll auch nicht zu einem
Diskutier Verein verkommen, in dem Leute die Finger heben, deren
Fingerheben in jeder Hinsicht für sie folgenlos bleibt.
Bisher
alles noch veränderbar. Diskussionsansätze. Aber wir können auch
nicht zwei Jahre mit der Umsetzung unserer Vorstellungen warten.. Der
Büroalltag des neuen Verleihs wird folgendermaßen praktiziert.
(jetzt auch schon teilweise):
Alle Verleihmitarbeiter sollen in gleicher, praktischer Weise Zugang zu allen Informationen des Verleihs haben. Um dieses Ziel zu verwirklichen, müssen künftige Informationsvorsprünge/Machtansammlungen verhindert werden. Dazu werden zunächst die sogenannten Routinearbeiten wie Filmberatung und Disposition der Filme (telefonisch/schriftlich), Versand und Kontrolle der Kopien, Katalogbestellungen, Anschriftenkartei u. a. auf alle anwesenden Mitarbeiter in einem wöchentlichen Rythmus gleichmäßig verteilt (Rotationsprinzip). Auch die restlichen anfallenden Arbeiten, die weniger termingebunden sind, wie Filmabrechnungen, Erstellung und Versand von Informationsmaterial, Sichtvorführungen und Filmbegleitungen, Einsatzstatistiken u. a. werden wöchentlich gleichmäßig verteilt. Im dritten Bereich sind die Arbeiten zu verteilen, die über längere Zeiträume zu bearbeiten sind, wie Kontoführung, Rechnungsabbuchung, Lohnbuchhaltung, Steuererklärung u. a.. Diese Arbeiten werden im viertel-jährlichen Rythmus auf alle Mitarbeiter gleichmäßig verteilt. Außer den genannten Arbeiten wird der Verleih unentgeltlich arbeitende „Projektmitarbeiter“ (wie in der Vergangenheit auch) für einzelne Aufgaben haben.
Das sind
beispielweise Herstellung deutscher Tonfassungen ausländischer
Filme, Rundreisen mit neuen Filmen, Herstellung von
Hintergrundmaterialien für bestimmte Einsatzbereiche, Verbesserung
des dezentralen Beratungsnetzes zusammen mit ähnlich arbeitenden
Verleihgruppen in der BRD. Auch in diesem Bereich sind wir für
Anregungen offen und für Angebote dankbar. Und im Gegensatz zu
früher werden wir sie nicht jahrelang wohlwollend prüfen, bis
niemand mehr davon weiß.
Im
Verlauf unserer Auseinandersetzungen sind wir immer wieder auf
ähnliche Fälle von Privatisierungsversuchen innerhalb des linken
Ökonomie Bereiches gestoßen. Der Witz, in dem ein Kollektivmitglied
ruft:
“Chef,
kannste ma kommen, hier will jemand
was über unser Kollektiv wissen“,
gehört für den Zentral Film Verleih
Hamburg e. V. jedenfalls der Vergangenheit an.
Text: Jens Meyer Mai 1982/neu abgeschrieben im Februar 2021
Die Sache war damit natürlich noch nicht zu Ende. Siehe Bemerkungen 2021. Nach fast 40 Jahren sollten auch die Namen der damals Beteiligten genannt werden: A. H. = Alfred Hilsberg; A. K. = Anne Kubina; A. R. = Andrea Rudolphi; C. L. = Christian Lehmann (Ehemals Vorsitzender der ZFV e.V.), K. J. = Klaus Jötten; D. L. = Detlev Lehmann; E. S. = Elfriede Schmitt; S. F. = Sabine Fischötter, J. M. = Jens Meyer; K. G. W. = Klaus Georg Wolf; N. H. = Norbert Huhn; T. T. = Thomas Thielemann; U. E. = Uwe Emmental; W. M. = Wolfgang Morell; W. K. = Werner Koch
Hallo W., die erste Wahrheit (Prawda) im neuen Jahr: Ich hab herausgefunden, warum das Rozalia Luksenburg (richtige Schreibweise) Zitat oft ohne Quellenangabe abgedruckt wird. Dahinter verbirgt sich eine boese Absicht. Eine boese Absicht, die man nur herausfindet, wenn man das Zitat dann endlich gefunden hat. Ein Zufall fuehrte mich auf diese Spur. Ich hatte gerade ein Buch abgeschlossen und war sehr unzufrieden damit, wusste aber eigentlich nicht so recht, warum es mir nicht gefallen hat. Das Buch, dir kann ich das ja schreiben, ist von Florian Huber, erschienen im Berlin Verlag, was eine Unterabteilung vom Piper Verlag in Muenchen ist. Es heisst : „Die Rache der Verlierer, Die Erfindung des Rechtsterrors in Deutschland“. Leider verspricht der Umschlag mehr, als der Inhalt tatsaechlich hergibt.
Keine neuen Erkenntnisse, aber die alten Erkenntnisse sorgsam relativiert, so daß man mit den Nazis richtig Mitleid bekommt, wie schlecht man mit ihnen damals (AFD – NSU fehlt) und heute umgegangen ist und wird. Es ist langweilig und unnoetig. Besonders dann, wenn man vorher von Sebastian Haffner „Der Verrat“ gelesen hat. Aber ein Freund hat mir ein zweites Buch geschickt, was er vorher selber gelesen hatte und dieses Buch, ueber die gleiche Problematik (ebenfalls aus dem Piper Verlag in Muenchen), ist ein Jahr vorher erschienen und bringt tatsaechlich einige Informationen, von denen ich noch nicht wusste. Auf dem Umschlag der Titel „1918 Aufstand fuer die Freiheit – Die Revolution der Besonnenen“ von Joachim Käppner. Einzige Kritik an diesem Buch sind die Anmerkungen, die sehr unuebersichtlich und unpraktisch angeordnet sind, wenn man die Erklaerungen der Anmerkungen hinten im Buch sucht. Sie sind immer dem Haupttitel und nicht den Zwischenueberschriften zugeordnet.
Dort habe ich jedenfalls den Hinweis auf das Luksenburg (Luxemburg) Zitat gefunden und gleich mal das entsprechende Buch dazu bestellt, um zu ueberpruefen, was die Suche nicht gerade einfach macht, wenn man ueberpruefen will, wer was wann gesagt hat und ob die Quellenangaben tatsaechlich stimmen. Das mit der Freiheit und dem Andersdenken. Die Luksenburg Angabe stimmt jedenfalls. Das Zitat findet sich im Band 4, Rosa Luxemburg, Gesammelte Werke. August 1914 bis Januar 1919, erschienen im Dietz Verlag Berlin (Ost) 1983. Auf Seite 359. Damit Du erleben kannst, was der Hintergrund fuer die Quellenangabe, die fehlende ist, habe ich Dir die Seite auf den Skaenner gelegt. In einer 4 Punkt Schrift befindet sich das Zitat im Kleingedruckten und war der Dame offensichtlich nicht so wichtig, erschienen unter Nummer 3 findet sich: „3) Bemerkung am linken Rand ohne Einordnungshinweis: „Freiheit nur fuer die Anhaenger der Regierung, nur fuer die Mitglieder einer Partei – moegen sie auch noch so zahlreich sein – ist keine Freiheit. Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden. Nicht wegen des Fanatismus der ‚Gerechtigkeit‘, sondern weil all das Belebende, Heilsame und Reinigende der politischen Freiheit an diesem Wesen haengt und seine Wirkung versagt, wenn die ‚Freiheit‘ zum Privilegium wird. (Im Kapitel Zur russischen Revolution)““.
Weil es bei Frau Luxemburg eben nur kleingedruckt am Rand erscheint, deswegen verzichten die Damen und Herren Zitate Sucher immer darauf, den Platz zu nennen, an dem es gedruckt erscheint. Das musste mal geschrieben werden. Und noch ein Hinweis: Der Band 4 der Gesamtausgabe hat ein Vorwort von 56 Seiten. So viele Seiten sind sehr selten bei Vorwoertern. Das koennte man schon „Vor Roman“ nennen. Dazu kommt noch eine redaktionelle Vorbemerkung von zwei Seiten. Aber so ist das bei Menschen, die schon so lange nicht mehr unter uns weilen. Die koennen sich gegen sechsundfuenfzig (56) Seiten Vorwörter und zwei Seiten Vorbemerkungen nicht wehren. Das haette Rosa bestimmt gemacht. Der letzte Text in diesem Buch wurde in der Roten Fahne vom 14. Januar 1919 unter dem Titel: „Die Ordnung herrscht in Berlin“ veröffentlicht. (Band 4, S. 536) (Ps: Im Register gibt es keinen Hinweis auf dieses Zitat, obwohl das Register achtzehn Seiten hat. Aber fuer eine Randnotiz reichte wohl der Platz nicht aus. Das war 1983 vermutlich nicht modern, oder? Den Dietz Verlag in Berlin gibt es doch noch? Oder gehoert der schon einem Andersdenkenden?
Der Senat tut etwas. Es tut sich was. Auf dem Gelände des Heiligengeistfeldes. Man sucht nach Blindgängern aus dem zweiten Weltkrieg und der Senat hat es sich nicht nehmen lassen und Geld in die Hand genommen, um endlich ein Denkmal für die Menschen zu errichten, die 1942-43 diesen Bunker errichtet haben. Bravo. Das ist gelebte Erinnerungskultur! Erinnerungskultur mit Fahrstuhl! Wenn sie das noch erlebt hätten. Sie haben diesen Bunker nicht freiwillig gebaut. Sie wurden, wie der Name Zwangsarbeit schon sagt, dazu gezwungen. Und so finden sich auch heute noch viele Blindgänger. Mit Graben hat das wenig zu tun. Und damit sie keine Treppen steigen müssen, bekommen sie Fahrstühle, die dem ehemaligen Flakbunker hinzugefügt werden. Neunundneunzig Jahre lang. Und alles ohne Luftballons.
Brief an eine Freundin (zwanzig Jahre juenger als ich) betrifft: Korona Buecher . Jetzt lese ich seit vier Tagen ein Buch, dass ich einmal vor gefuehlten dreissig Jahren gekauft habe, weil es als Maengel Exemplar besonders guenstig war und weil es ausserdem auch gut aussah in meiner Sammlung edition suhrkamp. Ich habe es, aufgrund des Titels, fuer ein Werk gehalten, das besonders viel Langeweile verbreitet. Langweilig und wissenschaftlich. Ein Buch, dass man auf jeden Fall nicht gelesen haben muss. Und jetzt (nach dreissig Jahren) nehme ich es aus dem Regal und entdecke, dass es aeusserst kurzweilig ist, es ueberhaupt nicht trocken wissenschaftlich ist und gerade zu amuesant. Es handelt sich um Band 820, der Reihe Edition suhrkamp. „Wolfgang Abendroth – Ein Leben in der Arbeiterbewegung.“ Gespraeche, aufgezeichnet und herausgegeben von Barbara Dietrich und Joachim Perels (2. Auflage 1977), da warst Du ja erst zwoelf Jahre alt. Vermutlich kennst Du es, weil Deine Beruehrungsaengste mit den Intellektuellen und jenen, die als Intellektuelle so daher kommen, ja eher geringer sind als bei mir. Jedenfalls habe ich großes Vergnuegen und habe endlich verstanden, warum so manches passiert ist, was ich bisher immer nicht verstanden hatte, wie z.B. den kampflosen Uebergang der Arbeiterbewegung, als am 30. Januar der Greis die Macht uebergeben hat. Jens
na warum ist der wohl hier? Ich mein nicht das Tier.
Abschrift:Wolfgang AbendrothÜber Klassenjustiz und Arbeiterklasse in der Weimarer Zeit.(Aus Wolfgang Abendroth, Ein Leben in der Arbeiterbewegung, Edition Suhrkamp, Band 820, Gespräche mit Barbara Dietrich und Joachim Perels. Seite 96.)
„Klassenjustiz wirkte sich in mehrfacher Hinsicht gegen die Arbeiterklasse aus. In der politischen Strafjustiz insofern, als sich die äußerste Rechte an Verbrechen und Morden leisten konnte, was immer sie wollte. In den Jahren 1919 und 1920 wurden Hunderte deutscher Arbeiter von den Freikorps ermordet. (109) Es begann mit der Ermordung linker und kommunistischer Arbeiterfunktionäre, griff dann über auf Mitglieder der USPD, traf auch Pazifisten wie Paasche, schließlich auch bürgerliche Politiker wie z. B. Erzberger und Rathenau. (110) In den beiden letzten Fällen wurden zwar ernstliche Strafverfahren eingeleitet, im übrigen aber stand die Staatsanwaltschaft auf der Seite der Mörder. Kam es dennoch zu einem Strafverfahren, so wurden Scheinstrafen ausgesprochen – ich erinnere an den sehr spät durchgeführten Prozeß wegen des Mordes an Rosa Luxemburg (111) – , oder es erfolgte Freispruch. Wenn sich dagegen Arbeiter politisch etwas »zuschulden kommen ließen«, hagelte es Strafen noch und noch – so bei allen sogenannten Gewaltdelikten, dann in extensiver Auslegung dieser Gewaltdelikte wegen Landfriedensbruchs und Hausfriedensbruch bei Auseinandersetzungen in Versammlungen und schließlich bei der Teilnahme an Massenstreiks oder bei gewaltsamen Auseinandersetzungen wie nach dem Kapp-Putsch. Für die Justiz der damaligen Zeit war es selbstverständlich, daß sie Anlässe dieser Art benutzte, um hohe Strafen zu verhängen.“ (112)
(109) Freikorps waren gegenrevolutionäre militärische Verbände, die von Offizieren der alten kaiserlichen Armee gebildet und geführt wurden; vgl. Arthur Rosenberg, Geschichte Weimarer Republik, Frankfurt/Main 1961 S. 59 ff.; Emil J. Gumbel, Vom Fememord zur Reichskanzlei, Heidelberg 1962 S. 45 ff.(110) Vgl. Emil J. Gumbel, a.a.O. , S. 45 ff.(111) Vgl. Der Mord an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, Dokumentation eines politischen Verbrechens, hrsg. von Elisabeth Hannover-Drück und Heinrich Hannover, Frankfurt/Main 1967, S. 59-126(112) Vgl. Emil J. Gumbel, a.a.O., S. 46 f. ; Heinrich Hannover und Elisabeth Hannover-Drück, Politische Justiz 1918-1933, Frankfurt /Main 1966. (Für alle, die es nicht wissen, bzw. nicht wußten (so wie ich) heisst a.a.O= am angegebenen Ort!)