Kategorie: Hamburg Süd
Die kurze, aber unglückliche Begegnung des Gewerkschaftsmitgliedes M. mit seiner gemeinen Wirtschaftsbank (BfG)
PDF Die kurze, aber unglückliche Begegnung
Glücklicher wäre die Verbindung sicher gelaufen, wenn ich mit einem maßgeschneiderten Anzug bei der BfG aufgetaucht wäre. Aber ich wollte nicht als Schauspieler dort auftreten. Schließlich ist es ja eine Gewerkschaftsbank und der Arbeiterbewegung fest verbunden. 11 Jahre zahle ich jetzt meinen Beitrag und da muß man ja auch mal im Schmierpäckchen Verständnis erwecken können. Der erste Versuch zu einem Ratenkredit (mit) 24 Monate(n) Laufzeit bei der Zweigstelle Rathaus der BfG ließ sich ganz gut (an). Auch die Sparkasse hatte gleich einen Ratenkredit zugesagt doch die BfG, so hörte ich, sei hundert Mark billiger. 1 % weniger Zinsen.
Die Sachbearbeiterin der BfG sah sich drei Lohnbescheinigungen (August/September/Oktober) an und wollte mir auf meine geringe Gage als Maschinenschlosser von 2.000,00 DM netto (bei 30 Überstunden) auch gleich einen Kredit von 6.000,00 DM geben. Wofür ich das Geld brauchte, interessierte sie nicht. Das Geld könne ich gleich mitnehmen, kein Wunder, denn schließlich verdient die BfG daran fast 1.500,00 DM.
Aber das Geld brauchte ich erst im Januar, und bis dann fallen ja vielleicht noch die Zinssätze, dachte ich. Schon damals hätte ich eigentlich stutzen müssen. Eine Abrechnung mit Akkordlohn hatte die Sachbearbeiterin der Gewerkschaftsbank noch nie gesehen. Jedenfalls: Wenn ich eine Bescheinigung vom DGB bringen würde, daß ich mindestens 3 Jahre Mitglied einer DGB Gewerkschaft bin, würde ich nochmal 1 % der Summe sparen.
Auch 60 DM pro Jahr. Meine Freundin also hin zum Besenbinderhof mit meinen Mitgliedsbüchern. Besenbinderhof: Essig- „Die Bescheinigungen bekommen sie nur über die Einzelgewerkschaften.“ Anruf dort. Die Gewerkschaftssekretärin verspricht, die Bescheinigung gleich abzuschicken. Am Dienstag ist sie immer noch nicht da. Was ich denn eigentlich haben wolle? Na diese Bescheinigung für die BfG. Ja gut, sie schickt sie gleich ab. Nächste Woche Dienstag immer noch nicht da. Anruf. Ja sie hat es noch nicht geschafft. Der nächste Dienstag ist da. Bescheinigung nicht da. Anruf: „Schließlich haben wir ja einige Tausend Mitglieder.“ Ob die alle eine Bescheinigung für die BfG brauchen? Am nächsten Freitag kommt sie endlich an. Ich das Ding gleich genommen und wieder hin zur BfG. Inzwischen ist der Winter ins Land gezogen. Wieder alle Bescheinigungen mit. Ich hatte einen Arbeitsunfall, deswegen ist auf der November Abrechnung 000 DM aufgedruckt. Die DM 1,80, die davon abgezogen wurden, hält die Sachbearbeiterin für den Monatslohn. „Ich habe mein Geld von der Berufsgenossenschaft bekommen, mehr als den Nettolohn, den ich sonst bekomme.“
Nützt nichts. Die Überweisungen der Krankenkasse will sie nicht sehen. Die BfG zittert um das Geld, das sie nach Polen geschickt haben. „Nein mit dieser November Gehaltsbescheinigung könne ich bei der BfG keinen Kredit bekommen“. Ich möchte den Zweigstellenleiter sprechen, dafür muß es doch bei einer Gewerkschaftsbank eine Regelung geben. Da liegen doch laufend Arbeiter im Krankenhaus mit Arbeitsunfällen. Der Zweigstellenleiter spricht mit einer gutgekleideten Dame in einem teuren Pelzmantel. Ich habe mir drei Stunden unbezahlten Urlaub geben lassen. Ich warte.
Eine halbe Stunde habe ich Zeit, die Kunden dieser Bank nach ihrem Äußeren zu beurteilen. Die unteren Gehaltsklassen sind augenscheinlich nicht dabei. „Aber natürlich“, sagt der Zweigstellenleiter, „allerdings müssen sie uns noch eine Bescheinigung ihrer Firma bringen. Und wenn die Lohnabteilung dann durchschnittlich 1.200,00 DM für die letzten drei Monate einträgt, dann sollen sie hinschreiben “krankheitsbedingt“.
Ich bekomme meine Bescheinigung vom Lohnbüro, auf diese Weise erfahre ich auch gleich meine Kündigungsfrist – eine Woche. Ich nehme einen Tag Urlaub und wieder hin zur BfG. Der Vertrag wird fertiggemacht. Ich bin geschieden. „Ja dann müssen sie noch eine Restschuldversicherung bei der Volksfürsorge abschließen“. Kostet 60,– DM .
Der Vorteil der 11jährigen Gewerkschaftsmitgliedschaft geht an eine anderes Gewerkschaftsunternehmen. Einfache Umverteilung. „Ein Anruf bei der Schufa – das muß sein,“ meint die BfG-Angestellte: „So sind unsere Vorschriften“. Ihr Gesicht hellt sich auf, ich bin noch nicht als Kreditbetrüger überführt. Doch die Lohnbescheinigung der Firma. Das ist da Wort NICHT gestrichen in dem Satz: „Lohnpfändungen werden nicht ausgeschlossen.“
Ja aber sie doch sowieso nur über das Gericht pfänden lassen. Ich will den Zweigstellenleiter sprechen. Der hat Urlaub. „Könnte aber auch nichts anderes entscheiden“ meint die Gewerkschaftsbänkerin. „Ich solle doch lieber zur Sparkasse gehen.“ 20 Formulare werden zerrissen. Meine Gewerkschaftlegitimation hänge zuhause in einen Rahmen.
Otto Meyer (Mein Name, den ich damals (1984) für Zeitungsveröfffentlichungen benutzt habe)
Fotos Jens Meyer
Briefe an Wiebeke (VIII) Das Rätsel des Kreiselkompass.
pdfDas Raetsel des Kreiselkompass
Hallo J. dieses Foto haengt in meinem Gaestezimmer auf dem Land an der Wand, und weil ich jeden Abend vom Bett aus drauf gucke, bin ich neugierig geworden, von wo aus das fotografiert ist. Und was ist das fuer ein Fenster? (In Wirklichkeit ist es rechtwinklig, aber im Gegensatz zu dem urspruenglichen Fotografen konnte ich die Kamera nicht ruhig halten, weil ich auf einer wackligen Matratze stand). Die Bewohner-Strich-Innen kann ich nicht fragen, weil sie nicht da sind, und vielleicht wissen sie es auch gar nicht. Und da dachte ich, ich frag doch mal einen Seemann, Wiebeke
Hallo Wiebeke, da stelle ich mal ein paar Vermutungen an und schicke das Foto auch noch mal weiter an Dieter, meinen Schiffbauerfreund. Meine ersten Vermutungen sind: Hamburg. Werft (entweder Blohm & Voss, Deutsche Werft, vielleicht auch HDW). Das Foto ist von der Bruecke eines Schiffes gemacht, durch eine Schiffsluke. Im Vordergrund ist vermutlich ein Kreiselkompass zu sehen. Wahrscheinlich doch Blohm & Voss, weil die Krähne haben eine grosse Aehnlichkeit, wenn Dieter sich gemeldet hat, melde ich mich wieder, J.
Hallo Dieter, meine Freundin Wiebeke hat mir ein Foto geschickt. Sie hat ein Bild fotografiert, dass in dem Zimmer haengt, wo sie einhuetet. Die Wohnungsbesitzer sind verreist. Und sie moechte gerne wissen, wo das aufgenommen ist. Ich hab schon mal ein wenig spekuliert: Hamburg, Blohm & Voss, Deutsche Werft, HDW, von der Bruecke eines Schiffes, im Vordergrund ein Kreiselkompass, was meinst Du? J.
Hallo J., ich wuerde sagen, das sind die Elbedocks von Blohm & Voss als noch vier Docks in der Elbe lagen. Gruss Dieter
Hallo Wiebeke, nachdem mein Freund Dieter befunden hat, habe ich mir Deine Fotos auch noch mal angesehen und damit steht jetzt fest, wo die Fotografin (oder auch der Fotograf) gestanden hat. Auf der Bruecke eines Tankers, der bei Blohm & Voss an der Pier lag. Blickrichtung elbaufwärts: Im Hintergrund Hamburg. Die beiden Schwimmdocks von Blohm & Voss, die in der Elbe lagen, wurden abtransportiert und vermutlich verkauft.
Zu dieser Zeit arbeiteten bei Blohm und Voss Jens M. und Dieter L. zusammen mit 4998 anderen Kollegen (Frauen gab es nur im Buero) auf dieser Werft. (Jetzt gibt es da nur noch 500). Das Schiff im Dock sieht aus wie ein Schiff von der Hamburg Sued Reederei, aehnlich dem Museumsschiff der Hamburg Sued an den Landungsbruecken (Cap San Diego), vielleicht ist sie das sogar. Die Bruecke hat grosse Aehnlichkeit.
Das Foto ist so um 1982 entstanden oder auch frueher. Der Gegenstand im Vordergrund (Kreiselkompass) weist auf das Baujahr des Tankers hin, von dem das Foto aus fotografiert wurde. Mehr Raetselloesungen kann ich heute morgen nicht anbieten. Und wer sang das Lied: Seemann lass das Träumen, denk nicht an zuhaus, Seemann Wind und Wellen tragen dich hinaus? J.
Hallo J., das ist ja mal eine erschoepfende Auskunft. Dank an dich und den mir unbekannten Dieter. Das Lied vom Seemann ist von Freddy Quinn, das weiss sogar ich, obwohl ich noch gar nicht so alt bin und auch gar keine Verbindung zur Seefahrt habe. Ausser dass mein Vater auch mal kurz bei Blohm & Voss gearbeitet hat, das muss so 1962/63 gewesen sein; weiss nicht, was man als Zimmermann auf einer Werft macht, und er ist dann ja auch schnell ans Theater gegangen, wo es bestimmt waermer und gemuetlicher war, Wiebeke
Hallo Wiebeke, aber das ist doch ganz klar. Die Hauptarbeit des Zimmermanns ist die Decksbeplankung, die ja aus Tropenholz besteht (wegen Salzwasser! Und nicht wegen Schoenheit!). Ich weiss gar nicht, ob man auf den neuen Schiffen ueberhaupt auf dem Deck laufen kann. Und dann gibt es ja noch die vielen Tueren, die auch meist aus Holz sind, schon damit sie nicht so eine Krach machen, wenn man sie zuschlägt. Ausserdem haben die Zimmerleute frueher auch die Schablonenen (aus Holz gefertigt) mit denen die Schiffbauer (Dieter kann das erzählen) die Platten ausgebrannt haben, die sie eingebaut haben. (Spanten u. a.).
Aber wahrscheinlich war deinem Papa das alles zu anstrengend. Bei Blohm ging es immer morgens um 7.00 Uhr los (nix mit Gleitzeit!) und wenn er nicht durch den Elbtunnel (mit dem Fahrrad, so wie ich) gefahren ist, sondern mit dem Auto ueber die Elbbruecken (Mehrzahl, weil da sind zwei Elben), dann musste er morgens um 5 Uhr aufstehen, das war beim Theater sicher nicht so, und vor allem bekam man keinen roten Druck auf die Stempelkarte, wenn man eine Minute zu spaet gestempelt hatte, das gab dann einen Abzug von 15 Minuten. (Im Theater gabs sicher keine Stempelkarten und keine Uhren in die man sie hineinstecken mußte, wenn man keinen Freund hatte, der fuer einen mitgestempelt hat) (und warum sollte einer, der aus der Ostzone kam, in Hamburg einen Freund haben ?).
Außerdem wurde auf der Werft nach Akkord gearbeitet und im Theater sicher nicht, also, Dein Vater war ein kluger Mann, wenn Du das heute auch nicht mehr so merkst und schwimmen konnte er auch gut, sonst waere er nicht durch die Elbe (eine Elbe!) gekommen und die Rede von Angela Merkel zum Kommunismus* hatte er damals schon antizipiert. Da staunst Du aber, was ich fuer tolle Worte ich kann, eh, ich kenne. * Das war die tolle Schlagzeile auf Seite eins der Taz, die habe ich dann gleich gekauft. Da stand: „Oma erzaehlt vom Kommunismus“ mit einem Bild von ihr. J.
Hallo J., er ist durch den Elbtunnel geradelt, und das Stempeln war garantiert einer der Gruende dafuer, dass er da weg wollte; das Einzige, was er von diesem Job je erzaehlt hat, war, dass er jeden Morgen zur Arbeit pedalt ist, als ob’s um den Tour de France-Sieg ginge, denn im Gegensatz zu mir ist er ein notorisch unpuenktlicher Mensch. Bei der Oper musste man auch frueh aufstehen – Schichtarbeit – aber jedenfalls nicht stempeln, und ausserdem war man da nach 15 Jahren unkuendbar, weil’s ein halbstaatlicher Betrieb war, also quasi verbeamtet.
Aber bis dahin war’s ein weiter Weg; angefangen hat er als sogenannter Deckenzwerg, das waren die, die auf den Knien auf der Buehne rumgerutscht sind und die Teppiche fest gekloppt haben. So dass ich, als ich in der 1. Klasse in der Grundschule gefragt wurde, was denn mein Vater von Beruf ist, erhobenen Hauptes sagte, „Deckenzwerg“ und die allgemeine Heiterkeit gar nicht verstehen konnte. W.
Hallo Wiebeke, falls Du also jemals einen autobiografischen Text (von einem Buch will ich gar nicht schreiben) in Angriff nehmen willst, dann solltest Du den Titel: „Mein Vater, der Deckenzwerg“ nehmen. Du koenntest es natuerlich auch mit dem Schwimmer probieren, allerdings ist „Mein Vater, der Elbdurchschwimmer“ kein Erfolgstitel, das muesste dann schon: „Mein Vater, der Atlantikschwimmer“ sein. Eine Spur, die aber ins Abseits fuehrt und da willst Du ja bestimmt nicht hin. Und das alles koennte man auch „Die Tochter des Deckenzwergs“ nennen, auf Deine Schwester bezogen koennte ein Buch von ihr dann heissen: „Die Tochter des Deckenzwerges, die es einmal besser haben wollte oder sollte“ was natuerlich ziemlich lang ist.
Aber lang, so scheint es mir, ist heute modern. Ich habe, da war ich aber schon in der vierten Klasse, sagen muessen, mein Vater sei Prokurist. Das, so wurde mir eingeschaerft, sei ein ziemlich wichtiger Mann, das, wie sich spaeter herausstellte, auch nicht richtig war, denn er war der Prokurist einer ganz kleinen Maschinenfabrik und Prokurist war er nur geworden, weil sein Chef Wilhelm Busch (der hiess wirklich so) sich mehr mit seinen Urlaubsbreisen (Geschaeftsreisen nannte er das) beschaeftigte, als im Betrieb sich mit dem Unterschreiben von Briefen zu beschaeftigen.
Wilhelm Busch haette sicher „Die Partei“ (Urlaub muss sich wieder lohnen! Siehe unten!) gewaehlt, waehrend mein Vater, als ehemaliges NSDAP Mitglied lieber Erich Mende (FDP, ebenfalls ehemaliges NSDAP Mitglied steht zu vermuten, ich habe es nicht ueberprueft) gewaehlt hat. Und am Sonntag haben meine Eltern zusammen im Bett die Welt am Sonntag gelesen und Kaffee getrunken. Gerade ist der Tuermer mit seiner Trompete fertig geworden und es scheint mir an der Zeit, Dich nicht laenger zu quaelen. Das war der Text zum Dienstag fuer die Tochter des Deckenzwergs und nicht der Text für die Schwester, ebenfalls Tochter des Deckenzwergs, die es einmal besser haben sollte oder wollte,
schoene Gruesse vom Erdbeerschorsch, J.