Die Rätsel der Elbstraße (I)

Die Rätsel der Elbstraße oder: Gibt es tatsächlich seriöse Quellen? Welche, die man nicht überprüfen muß?

Der Text über die Nutzung seriöser Quellen könnte so beginnen: Früher, als wir noch kein Internet hatten, konnte das nicht passieren! Abgesehen mal davon, wenn wir nicht aus seriösen Büchern, sondern beim Nachbarn abgeschrieben haben. So auch mein Verständnis: Internet, alle Quellen nachprüfen, nichts einfach abschreiben oder übernehmen. Schon gar nicht aus den Ergebnissen der Suchmaschinen. Bücher dagegen, sind meist seriöse Quellen, die man nicht noch mal extra prüfen muß. Stimmt leider auch nicht immer. Bei meinen Recherchen über die Elbstraße in Hamburg hat sich herausgestellt: Seriöse Quellen sind sehr selten bis kaum vorhanden. Im Gegenteil.

Unter dem Stichwort Elbstraße Hamburg erscheint in den Suchmaschinen meist die historische Hamburger Elbstraße. Diese zeichnet sich dadurch aus, das hier eine Verkaufsstraße war, die vorwiegend aus mobilen Ständen bestand. Im Volksmund hieß die Elbstraße deswegen Judenbörse: Ein Flohmarkt. Die Händler vor allem deswegen mobil, weil es den Händlern jüdischen Glaubens verboten war, ihre Waren in festen gemauerten Gebäuden anzupreisen. Um die Ecke das Millerntor. Das einzige Hamburger Stadttor, durch das nichtansässige Juden (ohne Wohnsitz in der Stadt) abends die Stadt verlassen konnten. Bekannt ist die Hamburger Judenbörse besonders durch die Fotos der Fotografenfamilie Hamann. Über die Talmud Tora Schule habe ich ein wenig gelesen. Eine Schule für jüdische Kinder, deren Eltern kein Schulgeld für die staatliche Schule aufbringen konnten. In der Talmud Tora Schule wurden sie unterrichtet. Ich stolpere in einem seriösen Buch über die Adressangabe für die Talmud Tora Schule, die 1805 in der Elbstraße 122 gewesen sein soll.

Gefunden, in einem Buch was zumindest einen seriösen äußeren Anstrich hat. Es handelt um einen Katalog in zwei Bänden mit dem Titel Die Juden in Hamburg von 1590 bis 1990. Wissenschaftliche Beiträge der Universität Hamburg zur Ausstellung »Vierhundert Jahre Juden in Hamburg«, herausgegeben von Arno Herzig in Zusammenarbeit mit Saskia Rohde. Erschienen im Dölling und Galitz Verlag, 1991, 98,– DM kosteten die drei Bücher in einem Schuber 1991.

Auf Seite 119 beginnt ein Artikel von Ursula Randt >Zur Geschichte des jüdischen Schulwesens in Hamburg (ca. 1780- 1942)<. Auf Seite 115 berichtet Ursula Randt über diese Talmud Tora Schule: “Drei wohlhabende Gemeindemitglieder stifteten ein geräumiges Schulgebäude an der Elbstrasse 122. Am 31. März 1805 wurde die Schule feierlich eingeweiht.“ (16).

Im Anhang an den Artikel befinden sich unter der Nummer 16 folgende Hinweise: Die Information „Elbstraße 122“ stamme aus dem Buch von Goldschmidt: Talmud Tora Realschule. Auf der Seite 15 wird die Anschrift genannt. Im Literaturverzeichnis lautet der Eintrag: “Joseph Goldschmidt: Geschichte der Talmud Tora Schule in Hamburg. Festschrift zur Hundertjahrfeier der Anstalt 1805-1905. Hamburg o.J. (1905)“.

Diese Schrift steht mir nicht zur Verfügung. Also kann ich es nicht irgendwo nachlesen. Nein. Also nix mit nach sehen. Aber wer die Elbstraße kennt und ihre Länge beurteilen kann, dem kommen, wie mir, Zweifel über die Hausnummer 122 der Elbstraße. Ein kurze Straße, die vor Zeiten auch nicht viel länger war. Nummer 122, kaum zu glauben.

Das nächste Buch, ist das von Reinhold Pabel: „Alte Hamburger Straßennamen“ (erschienen 2004 bei der Edition Temmen in Bremen in zweiter Auflage). Das Buch macht einen seriösen Eindruck. Die Elbstraße wird auf Seite 84 beschrieben: Bis 1899 war der Weg in Erste, Zweite und Dritte Elbstraße eingeteilt. Die Erste ging von den Hütten bis zur Peterstrasse, die Zweite von dort bis zum Steinweg und die Dritte von dort bis zur Schlachterstrasse.“ Bei Überprüfung stellt sich heraus: Reinhold Pabel hat sich geirrt. Hinzufügen könnte man: Er hatte noch kein Internet und mußte für die alten Hamburger Adressbücher aus jener Zeit jedes Mal ins Staatsarchiv fahren. (Früher ABC Strasse, ab 1998 noch weiter weg: In Wandsbek in der Kattunbleiche). Das verschlingt Zeit. Morgens bestellen. Und nach der Mittagspause im Lesesaal die Dokumente einsehen. Da haben wir es in der Tat leichter. Wir können die Adressbücher Online ansehen. Das ist natürlich viel einfacher geworden. Insofern ist es heute leicht zu mäkeln, wenn man Fehler findet.

Aus dem Hamburger Adressbuch, dem Straßenverzeichnis geht hervor, das die Elbstraße in gegensätzlicher Richtung verlaufen ist. Mit anderen Worten: Die Erste Elbstraße geht von der Schlachterstrasse bis zum Steinweg, die Zweite Elbstrasse geht vom Steinweg bis zur Peterstraße und die Dritte Elbstraße von der Peterstraße bis zur Straße Hütten.

Das ist das eine. Das andere: Alle drei Elbstrassen sind in dieser Zeit (bis 1900) einzeln nummeriert. Ursula Randt und vermutlich auch der zitierte Joseph Goldschmidt sind falsch informiert und informieren falsch: Eine Nummer Elbstraße 122 gibt es im genannten Zeitraum nicht.

Vielleicht ein Übertragungsfehler, der auf folgende Weise entstehen konnte: Die 1. Elbstraße Nr. 22 wird fälschlicherweise zu 1/22 zusammengezogen, daraus wird dann 122. Es steht also zu vermuten, das sich die genannte Talmud Tora Schule in der Ersten Elbstraße Nummer 22 befand. Auf der rechten Seite von der Schlachterstrasse Nr. 2 bis zum Neuen Steinweg. Nummer 22 ist das Haus an der Ecke Elbstraße/Neuer Steinweg. (Die erste Elbstraße ist fortlaufend nummeriert 2/3/4/5/6/ . . . 22). Ja, und dann noch das ungelöste Rätsel, warum und wann sie in Neanderstraße umbenannt wurde. Und auch der Namensgeber selbst stellt ein Rätsel dar. Hat er sich doch im Alter von stolzen siebzehn Jahren, diesen Namen und die drei Vornamen selber ausgedacht. Scheinbar mit Bedacht. So wurde aus dem Sohn jüdischer Eltern, die ihren Sohn einfach David Mendel genannt hatten, ein Mensch mit drei Vornamen: August, Johann, Wilhelm. Und aus dem Nachnamen Mendel wurde Neander. Den Grund dafür habe ich mit keiner Suchmaschine gefunden. David Mendel konvertierte zum Christlichen Glauben, ließ sich mit 16 taufen und studierte evangelische Theologie. (Kann man eigentlich evangelische Theologie studieren? Vermutlich nicht!) In diesem Fach brachte er es bis zum Professor (der evangelischen?) Theologie. Den neuen Namen hatte sich David Mendel damals selbst ausgedacht.

Wann die Umbennung dieser Straße tatsächlich erfolgt ist, kann ich leider nur vermuten. (So, wie alle Andern auch). Denn von 1943 bis 1949 haben die Hamburger Adressbücher, die im Internet stehen, keine Daten mit Straßenverzeichnissen. (Vermutlich hatten sie im Bombenkrieg keine Zeit und im Kuddelmuddel danach auch nicht, Adressbücher nach Straßen zu veröffentlichen.

Für die Elbstraße ist das fast ohne Bedeutung. In unserem Archiv befindet sich ein Foto von 1945 von der Elbstraße, das in einem Buch veröffentlicht wurde. (Mit einem Vorwort von Bürgermeister Rudolf Hieronymus Petersen, der am gleichen Tag 15. November 1945 vom britischen Stadtkommandaten Harry Armytage zum Bürgermeister ernannt wurde.) Danach gibt es 1945 nur noch ein Haus in dieser Elbstraße, das nicht zerstört wurde und stehen geblieben ist. Alle anderen Häuser der Elbstraße sind „dem Krieg zum Opfer gefallen“ wie es manchmal formuliert wird. Das einzige Haus, was noch da ist, steht am Ende der Elbstraße, an der Stelle, an der die Elbstraße in die Straße Hütten übergeht. (Stadteinwärts auf der linken Seite. Hausnummer 1943: Nr. 141. Die Häuser auf der rechten Seite, beginnend an der Schlachterstrasse mit Nr. 4. über den Neuen Steinweg (Nr. 52), die Peterstraße (Nr. 102), bis zur Marienstraße (Nr. 134) wurden von amerikanischen und englischen Bomberpiloten beseitigt. (Natürlich: Nicht ohne Gründe).

Ein weiteres Indiz für den Zeitpunkt der Umbenennung der Elbstraße: Im Archiv der Medienberatung gibt es den Nachdruck des ersten Falkplanes. (Fünfzig Jahre Falkplan 1995 – Nachdruck des Ersten Falkplanes von 1945). Dieser wurde nach Kriegsende 1945 gezeichnet und kam im Mai 1946 in den Handel. Und in diesem Plan gibt es eine Übersicht über die Straßen Umbenennungen 1946. Im Plan selbst heißt die Straße noch Elbstraße und ist in einem Stück. (wie seit 1900!). Aber in der Übersicht ist der neue Name Neanderstraße bereits verzeichnet. (Neu – Alt). Und noch eine Besonderheit. Im Falkplan, der im Mai 1946 auf den Markt kam, gibt es noch eine zweite Neanderstrasse in der Stadt. Es ist die Verbindungsstrasse von der Sievekingsallee über die Caspar Voght Strasse zu Hammerstrasse in Hamburg Hamm. Hier hatte man in der Nazizeit die Neanderstrasse in Quellenweg umbenannt. Und die erste Tätigkeit, die der neue erste Bürgermeister, der durch die britische Militärregierung ernannt worden war, Rudolf Hieronymus Petersen, war bekanntlich am 15. November 1946, die Rückbenennung aller Strassen, die in Nazizeit umbenannt worden waren. Allens klor?

Die Gründe für die Umbenennung der Elbstraße haben wir bis heute nicht herausgefunden. War es der von der Britischen Militärregierung eingesetzte Bürgermeister Petersen, der diese Straße umbenannt hat? Und wenn ja, warum? Von Petersen existiert das Gerücht, das seine allererste Amtshandlung als neu ernannter Bürgermeister war: Allen Straßen, die in der Nazi Zeit umbenannt worden waren, die alten Namen von vor 1933 zurückzugeben. Oder war es sein Nachfolger? Max Brauer? Der erste gewählte Bürgermeister nach dem Krieg. Auch über eine Nachfrage bei den Experten des Hamburg Museums konnte nicht eindeutig feststellt werden, wann und vor allem warum aus der Elbstraße die Zweite Neanderstraße wurde.

Rudolf Hyronimus Petersen
Foto 18. Juni 2016 Fotograf Vitavia

Originaleintrag Wikipedia (Abruf am 6. September 2020, 11.52 Uhr) Über Bürgermeister Rudolf Hieronymus Petersen fand ich bei Wikipedia: “Rudolf Hieronymus Petersen, geb. am 30. Dezember 1878 in Hamburg. gest. am 10. September 1962 in Wentorf bei Hamburg war ein deutscher Politiker (CDU) und von 1945 bis 1946 Erster Bürgermeister von Hamburg. Durch die britische Militärregierung, vertreten durch den Stadtkommandanten Armytage, wurde Petersen am 15. Mai 1945 zum Ersten Bürgermeister von Hamburg ernannt. Am 26. Juni 1946 trat er in die CDU ein. Er war bis zum 15. November 1946 Bürgermeister und wurde von Max Brauer (1887-1973, SPD) abgelöst.“ Das ist bei Wikipedia etwas verschwurbelt: Als er am 15. November 1945 von Harry William Hugh Armytage (Colonel- Artillerieoffizier der Britischen Militärregierung) zum Bürgermeister ernannt wurde, war Rudolf Hyronimus Petersen parteilos. In die CDU trat er erst ein Jahr später (am 26. Juni 1946) ein.

und bei Wikiwand: Über den ersten Hamburger Stadtkommandanten der Britischen Militärregierung: “Harry William Hugh Armytage (geb. 1890; gest.1967) war ein britischer Artillerieoffizier und erster Hamburger Stadtkommandant nach dem Zweiten Weltkrieg.“ “Leben: Armytage diente 1912/1913 zunächst als Soldat in Indien und kämpfte anschließend im Ersten Weltkrieg in Belgien und Frankreich gegen Deutschland. Dort ausgezeichnet mit dem „Military Cross“, wurde er am 3. August 1939 zum Colonel (Oberst) befördert. Während des Zweiten Weltkriegs war Armytage anfangs als Rekrutenausbilder in Großbritannien eingesetzt. Obwohl er Anfang 1945 mit 55 Jahren das Pensionsalter erreicht hatte, ließ sich Armytage erneut auf die „active list“ setzen und war im Stab der 2. Britischen Armee für mehrere Detachments zuständig. Ende April war er an der Befreiung des deutschen Kriegsgefangenenlagers Sandbostel („Stalag X B“) beteiligt und dort für die Versorgung der befreiten alliierten Kriegsgefangenen zuständig.

Elbstrasse 1892 Foto Strumper
Elbstrasse Foto von Wilhelm Dreesen 1901 (Hamburg Staatsarchiv)
Ausschnitt aus dem Foto von Wilhelm Dreesen 1901 Elbstrasse Kinder
Tiere sehen Dich an (1)

Die in der Nacht sich umgedreht . . .

pdfDieüberNachtsichumgedreht

Die über Nacht sich umgedreht. In der Taz hatte ich gelesen: “Die über Nacht sich umgedreht, zu jedem Staate sich bekennen, das sind die Praktiker der Welt – man könnte sie auch Schurken nennen.“ Dort wurde dieses Gedicht dem Herrn von Goethe zugeordnet, was aber nach der Meinung meiner Freundin Sabine, die sich viel mit Literatur beschäftigt, nicht sein kann. Der Geheime Legationsrat Johann Wolfgang von Goethe hätte so was niemals geschrieben war ihre Meinung. Der Dichter Beamte! Heute nun konnte ich Sabine berichten, welche Ergebnisse meine zweimonatige Suche nach diesem Text gehabt haben. Aber Eugen! Natürlich habe ich Dich dabei nicht vergessen! Eugen! Ich weiß, wie wichtig Dir die Antworten auf solche letzte Fragen sind. Auch in Corona Zeiten. So viel Zeit muß sein. Es darf nicht weitere zwölf Jahre bei www.Taz.de liegen, ohne dass jemand Notiz davon nimmt. Durch das Liegenbleiben oder Liegenlassen, das wissen wir beide, wird nichts besser.

Der Leserbriefschreiber aus Pulsnitz hat es den letzten Fragen der taz angedient. Schon am 9. Februar 2008!! Dort hat es nun zwölf Jahre herumgelegen. Die Behauptung, das Gedicht oder der Aphorismus sei von unserem Beamtendichter Johann Wolfgang von Goethe. Geboren am 28. August 1749. Nur nebenbei: Erst ab 1782 verwendet er das von! von Goethe!

Nur noch mal zur Klarheit und damit es keine Mißverständnisse gibt: Wer diesen Text in eine Suchmaschine eingibt: Wer in der Nacht sich umgedreht, den Mantel nach dem Winde . . . landet bei der Suchmaschine Google automatisch auf der Taz Seite mit der Beantwortung der letzten Fragen. Eine Vermutung, der Text stamme nicht von Goethe, sondern von Heinrich Heine führte mich dazu, ein wunderbares Büchlein zu kaufen (Sehr zu empfehlen) „Heine Sämtliche Gedichte“. Dünndruck. (Sämtliche Gedichte in zeitlicher Folge. Herausgegeben von Klaus Briegleb. Insel Taschenbuch 1963). Die 917 Seiten habe ich alle gelesen, aber das gesuchte Gedicht dort nicht gefunden.

Weitere Befragungen (z. B. im Buchladen in der Osterstrasse – 40 Jahre Buchladen Osterstrasse!!) führten mich zu Frage, ob vielleicht Goethe Kenner unter meinen Freundinnen und Freunden seien. Was merkwürdiger Weise nicht der Fall war. Die Buchhändlerin in der Osterstrasse hat mir dann geraten, mich in die HÖB (Hamburger Öffentliche Bücherhalle) am Hauptbahnhof zu setzen und die Gesamtausgaben von von Goethe zu studieren (was ich nicht gemacht habe). Aber dann habe ich im Antiquariat Pabel gefragt, ob sie vielleicht wissen, wem dieser Text zuzuordnen ist. Und heute morgen hat mir die Buchhändlerin mitgeteilt, was sie da herausgefunden hat. Eigentlich eine typisch deutsche Suche. Sie hat herausgefunden, wer diese Zeilen wirklich gedichtet hat und wem diese Zeilen noch so alles zugeschrieben werden. Ich würde sagen: Eine deutsche Suche hat jetzt ein Ende gefunden. Leider: Kein Heine. Kein Wilhelm Busch. Kein Goethe!

Welche Hilfsmittel ihr geholfen haben, weiß ich nicht. Vermutlich werden auch bei ihr Suchmaschinen mit im Spiel sein. Und jetzt habe ich auch kaum noch Zweifel an den Ergebnissen, wer dieses Gedicht, dass Heine, Goethe und Wilhelm Busch (Max und Moritz) zugeschrieben wird, in Wahrheit geschrieben hat. Also noch mal: Es ist nicht von Heine, nicht von von Goethe oder von Wilhelm Busch. NEIN!

Der Verfasser heißt: Bogislav Freiherr von Selchow. In seinem Gedichtbuch, das 1921 erschienen sein soll, soll es abgedruckt sein. Bogislav Freiherr von Selchow lebte vom 4. Juli 1877 – bis zum 6. Februar 1943 in Deutschland und wurde in Berlin beerdigt.

Von Beruf war Boguslaw, wie er auch genannt wird, Fregattenkapitän. Eugen, du kennst meine Biografie wie kein anderer. Ja, auch ich habe eine Seefahrtszeit hinter mir. Und richtig, auch an der Herstellung einer Fregatte war ich zeitweise beteiligt. Habe sie mitgebaut. Und deswegen war mir der Fregattenkapitän einige Momente lang irgendwie nah. Aber dann doch nicht mehr. Nachdem ich die Bewertung der Uni Marburg (die ihn einst verehrte) im Internet gelesen hatte:

Bogislav Freiherr von Selchow (04.07.1877-06.02.1943), Fregattenkapitän a. D. . Von Selchow kämpfte nach seinem Ausscheiden aus der Marine als Kommandant des Studentenkorps Marburg, einem bewaffneten Zeitfreiwilligenverband der Reichswehr, und als Anführer der paramilitärischen „Organisation Escherich“ in Westdeutschland gegen die Weimarer Republik. In seinen antisemitischen, völkisch-nationalistischen und republikfeindlichen Schriften trat er für den NS-Staat ein. Die Beteiligung an der Ermordung politischer Gegner konnte ihm nicht nachgewiesen werden. In dem bereits 1920 als Justizskandal wahrgenommenen Prozess gegen Mitglieder des Marburger Studentenkorps verteidigte von Selchow jedoch die Erschießung von 15 unbewaffneten Arbeitern nahe Mechterstädt und den anschließenden Freispruch durch das Kriegsgericht in Marburg. Die Ehrensenatorwürde wurde ihm am 09. 07. 1939 im Rahmen des vom Nationalsozialistischen Studentenbund veranstalteten Marburger Studententags „für seinen Kampf für die nationalen Ideale“ verliehen. Die Ehrung ist aus heutiger Sicht untragbar. Der Senat der Philipps-Universität Marburg missbilligt und distanziert sich von der Verleihung der Ehrensenatorenwürde. Er verurteilt das menschenverachtende Wirken von Selchows in der Weimarer Republik auf das schärfste.

Immerhin auf der Internet Seite der betreffenden Uni Marburg gefunden. Das hätten wir doch nicht gedacht oder? Und dieses Wissen verdanken wir der Buchhändlerin vom Antiquariat Pabel. Wieder etwas, was wir eigentlich gar nicht wissen wollten.

PDF Reichstag

Ich kenne die Weise, ich kenne den Text, Ich kenn‘ auch die Herren Verfasser; Ich weiß, sie tranken heimlich Wein. Und predigten öffentlich Wasser. (Aus: Heinrich Heine. Deutschland. Ein Wintermärchen)

Heinrich Heine, Sämtliche Gedichte in zeitlicher Folge, herausgegeben von Klaus Briegleb als Insel Taschenbuch, Dünndruckausgabe, Seite 441. Überschrift: Gegen Tendenzdichter. 3 (1837 – 1844)

 Du singst wie einst Tyrtäus sang,
 Von Heldenmut beseelet,
 Doch hast du schlecht dein Publikum  
 Und deine Zeit gewählet. 
 
 Beifällig horchen sie dir zwar,
 Und loben schier begeistert:
 Wie edel dein Gedankenflug,
 Wie du die Form bemeistert. 
 
 Sie pflegen auch beim Glase Wein
 Ein Vivat dir zu bringen,
 Und manchen Schlachtgesang von dir
 Lautbrüllend nachzusingen. 
 
 Der Knecht singt gern ein Freiheitslied
 Des Abends in der Schenke:
 Das fördert die Verdauungskraft  
 Und würzet die Getränke. 

Nachtrag:

Originalton aus der Taz vom 9. Februar 2008, Letzte Fragen:
“Wer der Zeit hinterherhinkt, wie Erich Honecker: „Der antifaschistische Schutzwall wird noch in hundert Jahren Bestand haben“, oder ihr vorauseilt, wie Giordano Bruno: „Die Erde steht nicht starr im Mittelpunkt der Welt“, hat es schwer in der jeweiligen Zeit. Nur die sich dem Zeitgeist anpassen, wie zum Beispiel Günter Schabowski und Wolf Biermann, kommen ganz gut zurecht. Hier erinnere ich an den Aphorismus von Johann Wolfgang von Goethe: „Die in der Nacht sich umgedreht, den Mantel nach dem Winde hängen und sich zu jedem Staat bekennen, das sind die Praktiker der Welt – man könnte sie auch Schurken nennen!“ von Erhard Jakob, Pulsnitz.


Bleiben ein paar Fragen. Stimmt die Herkunft der Zitate, die von Erhard Jakob aus Pulsnitz den Autoren Giordano Bruno und Erich Honecker zugeordnet werden? Ich habe es nicht überprüft. Wobei der Wechsel vom Freiherr zum Geheimen Legationsrat teilweise der Tatsache geschuldet ist, das die Militärregierung (wie wir das im Westen genannt haben) die Bücher des Fregattenkapitäns Bogislav Freiherr von Selchow auf die Liste der auszusortierenden Literatur gesetzt hatten. Und das hat nicht nur in der SBZ, sondern auch in der BZ (Britische Zone) in Hamburg gut funktioniert. Keine Bücher des Fregattenkapitäns im Katalog der HÖB. Vielleicht unter dem Ladentisch? Wer weiß.


Der Katalog der HÖB (Hamburger Öffentliche Bücherhallen) enthält keine Literatur (auch keine Gedichte) von Bogislav Freiherr von Selchow, aber jede Menge Literatur des Geheimen Legationsrates Johann Wolfgang von Goethe (von Goethe ab 1782). Für die Zukunft merken wir uns: Abschreiben ja. Aber noch mal selber nachsehen. So viel Zeit muß sein.
Howaldtswerke (HDW) am 18. September 1964. Stapellauf des Schiffes Maratha Progress, Heimathafen Bombay. Foto von Jens Meyer

Sonnabend, d. 18.09.1964 Stapellauf bei HDW. Maratha Progress. Foto Jens Meyer

Die Übersetzung der Suchmaschine: „Those who turn around in the night, hanging their cloaks to the wind, these are the practical people of the world, one could also call them scoundrels.“

Hamburg November 1945

Rudolf Hyronimus Petersen
Sir Arthur Harris Chef der Bomberpiloten

Auch ein Pabel kann sich irren: Die Elbstrasse in Hamburg

Reinhold Pabel Alt Hamburger Strassennamen. Edition Temmen. 2. Auflage 2004. Seite 84:

ELBSTRASSE

„Bis 1899 war der Weg in Erste, Zweite und Dritte Elbstrasse geteilt. Die erste ging von den Hütten bis zur Peterstrasse, die Zweite von dort bis zum Steinweg und die Dritte bis zur Schlachterstraße.“ (Seite 85)

Offensichtlich irrt hier Reinhold Pabel. Nach dem Adressbuch von Hamburg ist es bis 1899 genau anders herum. Nach den Adressbüchern (nach Strassen und nach Namen sortiert), beginnt die Erste Elbstrasse an der Schlachterstr. (die es nicht mehr gibt) und geht bis zum Neuen Steinweg. Von da an heisst die Strasse Zweite Elbstr, die geht weiter bis zur Peterstrasse und dann kommt die Dritte Elbstrasse die geht von der Peterstrasse bis zur Marienstrasse (die es auch nicht mehr gibt). 1900 wird dann alles anders. 1900 ist die Richtung die gleiche aber die Nummerierung wechselt. Die ungeraden Zahlen sind von der Mühlenstrasse links (Nummer 3) bis zu Hütten Nummer 149. Die geraden Zahlen sind gegenüber und beginnen rechts von Schlachterstrasse mit der Nummer 4 bis zur Marienstrasse Nr. 134. Die Marienstrasse gibts auch nicht mehr. Und die Elbstrasse ist in Neanderstrasse umgetauft worden. Warum eigentlich? Passiert ist es 1946. Warum wurde die alte Elbstrasse in Neanderstrasse umgetauft? Die alte Bebauung von 1900 ist fast komplett weg. (Krieg?). Bemerkt wurde der Vorgang von mir erst als ich die »Israelitische Armenschule Talmud Tora Schule« von 1805 unter der genannten Anschrift Elbstrasse 122 gesucht und nicht gefunden habe. So eine lange Elbstrasse gab es bis 1900 nicht. Die war in drei Teile geteilt (Erste, Zweite und Dritte Elbstrasse). Das haben sie alle immer nur voneinander abgeschrieben, vermute ich.

Out of the past – Ich hatte das ganz vergessen- Ein Beitrag zur Abgabenordnung (AO) (Vor knapp 30 Jahren- und doch klingt es wie heute)

Abschrift eines Briefes an das Finanzamt für Körperschaften Hamburg Ost, Abteilung Vereine, in 20045 Hamburg- und gleichzeitig an den RTL in Köln (an die Sendung “Wie bitte“) 5000 Köln mit gleicher Post. Es schreibt der bis dahin Gemeinnützige Verein: Medienberatung & Vermitlung e. V. Bartelstrasse 12, 20357 Hamburg an das Finanzamtfür Körperschaften Hamburg Ost und kündigt an, dass er selbiges Schreiben auch an den Sender RTL, Redaktion “Wie Bitte“ 5000 Köln schicken will. (Leider erinnere ich nicht mehr, ob er (der Verein) tatsaechlich geschickt hat, oder ob nur damit gedroht wurde). Inzwischen ist das Gebäude von RTL in Köln Junkersdorf abgerissen. Medienberatung & Vermittlung e. V. Steuernummer 17/434/01367

Hamburg, d. 26.08. 1994 Sehr geehrte Redaktion, Sehr geehrte Finanzbeamte, seit dreieinhalb Jahren wird der Verein Medienberatung & Vermittlung e. V. vom Finanzamt für Körperschaften Hamburg Ost traktiert. Das ist ja an sich nichts besonderes, das das Finanzamt die Leute traktiert. Davon kann eine große Anzahl von Literaturproduzenten seinen Lebensunterhalt bestreiten, wenn sie veröffentlichen, wie Finanzämter Leute schikanieren.

Aber was hier vom Finanzamt Hamburg Ost veranstaltet wird, geht dann doch über das übliche Maß hinaus. Ich will versuchen, den Fall so anschaulich wie möglich zu schildern: 1983 fanden sich zehn Kinonarren zusammen, die die Filme des amerikanischen Komikers W. C. Fields besonders liebten und bedauerten, dass diese niemals in Hamburger Kinos gezeigt wurden. Da weder Verleiher noch Kinobesitzer zu überzeugen waren, die insgesamt 20 Filme nach Deutschland zu bringen und zu veröffentlichen, beschlossen diese Kinonarren einen Verein zu gründen, der Filmkopien importieren und diese Filme öffentlich zugänglich machen sollte. Es wurde der Verein Medienberatung & Vermittlung e. V. gegründet. Die Satzung wurde so gestaltet, dass sie nach einigen Schwierigkeiten mit dem Finanzamt 1984 als gemeinnützig anerkannt wurde. In einem 40 Plätze Cafe in Hamburg Altona, das inzwischen (1991) abgerissen wurde, überließ die Besitzerin dem Verein eine nicht genutzte Abstellkammer von ca. 15 qm, in denen der Verein tagen und sich Filme ansehen konnte.

Man hat sich diesen Abstellraum ungefähr so vorzustellen: ohne Fenster, den geliehenen 16 mm Projektor im Raum aufgestellt, eine feuchte Außenmauer, eine Bildwand, 10 Stühle von Sperrmüll. Später wurde es dann etwas komfortabler: Eine Projektionskabine, alte Kinostühle, ein Fenster, eine Klappleinwand. Zwei mal im Monat wurden die Kopien der Filme gezeigt, die man aus den USA importiert hatte.“My little Chikadee“, “Never give a sucker an even break“, “The big broadcast“, “The old fashioned way“. Um neue Freunde zu gewinnen, wurde einmal monatlich ein DIN A 4 Zettel mit den Filmtiteln und Beschreibungen kopiert und im “Oelkers Cafe“ in 50 Exemplaren ausgelegt. Wenn man die Stühle recht eng rückte, dann konnten 19 Personen Platz finden. Da das Werk des Komikers Fields endlich ist (es gibt ungefähr 20 Filme mit ihm), begann man später auch, andere Filme bei 16 mm Verleihen in Deutschland auszuleihen und vorzuführen. Es handelte sich um Filme, die im Kino nicht, bzw. nicht mehr gezeigt wurden und die die Vereinsmitglieder gerne mal auf einer Leinwand wiedersehen wollten.

Die dafür nötigen Gelder wurden durch Spenden und Mitgliedsbeiträge aufgebracht.

Die Menge der Vorführungen und die Anzahl der importierten Kopien richtete sich nach den vorhandenen Geldern des Vereins. Eine Filmkopie in den USA kostet ca. 400 USD, der Ausleih einer 16 mm Kopie zwischen 150 und 300 DM für einen Tag. Die vorhandenen Vereinsmittel waren jährlich unterschiedlich – je nach Spendenaufkommen – bewegten sich aber in der Regel zwischen 5.000– und 10.000,– DM jährlich. Da keine Raummiete zu entrichten war, konnte die Vereinsarbeit damit gemacht werden. Der Mitgliedsbetrag wurde auf 5,– DM im Monat festgesetzt.

Alle drei Jahre werden die Vereine nachträglich auf ihre Gemeinnützigkeit überprüft. Die erste Prüfung durch das Finanzamt Hamburg Ost nach drei Jahren Gemeinnützigkeit ergab keine Beanstandungen. Da das Kind einen Namen brauchte, nannten wir es eingedeutscht nach dem Geburtsnamen des Komikers William Claude Dukinfield das “Duckenfeld im Oelkerscafe“. Diese Überprüfung macht das Finanzamt mithilfe eines 4-seitigen (vierseitigen) Fragebogens. Der Fragebogen reicht über drei Jahre. In diesem Fall von 1986/87/88. Durch eine größere Spende, war der Verein 1988 in der Lage, einen größeren Projektor und eine gute Tonanlage (zusammen ca. 15.000,– DEM) anzuschaffen und eine Mitarbeiterin auf Teilzeitbasis für die bisher nur ehrenamtliche Arbeit zu bezahlen. Insgesamt gab es 1988 Einnahmen von fast 40.000,– , denen Ausgaben von 41.000,– (für Projektor/Tonanlage und Honorare auf 590,– DM Basis gegenüberstanden, so daß die kleineren Rücklagen aus den Vorjahren angegangen werden mussten.

Diese 40.000,– DM aus 1988 müssen im Finanzamt grelle Fantasien ausgelöst haben. Ich stelle mir das so vor, wie in Billy Wilders Film “Manche mögens heiß“. Die Gangsterbosse aus ganz Amerika machen in Florida eine Konferenz und nennen ihren Verein “Die Freunde der italienischen Oper“.

Jedenfalls begann hier der Ärger mit dem Finanzamt Hamburg Ost, der sich bis heute hinzieht: Am 26. Februar 1991 teilte ein Herr Fischer von Finanzamt mit, das er nach der Prüfung des Fragebogens für die Jahre 86/87/88 zu der Meinung gelangt sei, daß der Verein mit seinen 19 Stühlen und den Vorführungen an den Wochenenden in die Konkurrenz zu anderen gewerblichen Kinos trete.

Niemand sonst, der die Abstellkammer und das Programm einmal gesehen hatte, konnte auf eine solche Idee kommen. Kein einziger Kinobesitzer in Hamburg, schon gar nicht die drei Kinomarktführer Riech (Ufa), Flebbe und Union mit fast 20.000 Sitzplätzen pro Tag waren jemals auf die Idee gekommen, das das “Duckenfeld im Oelkerscafe“ eine Konkurrenz für sie darstelle. Zumal sie an den gezeigten Filmen aus ökonomischen Gründen auch völlig uninteressiert waren. Aber Finanzbeamter Fischer meinte dies und forderte einen ausführlichen Tätigkeitsbericht des Vereins an. Dieser wurde abgefasst und übersandt, befriedigte jedoch den Beamten nicht, so daß kurze Zeit später mehrere Steuerbescheide, allerdings mit Nullsummen (d. h. es sollte kein Geld bezahlt werden) erfolgten und dem Verein für die vergangenen drei Jahre (86/87/88) die Gemeinnützigkeit versagt wurde. Die Bescheide tragen das Datum vom 18.03.1992. (Körperschaftssteuer / Gewerbesteuer für 1988).

Wir fanden uns dagegen durchaus gemeinnützig und legten Widerspruch gegen die Bescheide ein. Aufgrund dieses Widerspruchs erhielt ich von der Widerspruchsstelle des Finanzamtes einen Anruf von einem Herrn Klein. Er bat mich >zur Klärung des Sachverhaltes< zu einem persönlichen Gespräch ins Finanzamt für Körperschaften. Dort erklärte mir der Finanzbeamte Klein, dass er demnächst auf eine andere Dienststelle versetzt werden würde. Dies wäre sozusagen sein letzter Fall und der mache ihm viel Arbeit. Außerdem wäre unser Widerspruch ohne Aussicht auf Erfolg und auch ohne finanzielle Nachteile. Die Spender hätten ihr Geld bereits vom Finanzamt erstattet bekommen, Steuern müsste der Verein nicht bezahlen. Kurz: ob der Vorstand des Vereines den Widerspruch nicht zurücknehmen könne? Der Gedanke gefiel mir (auch im Hinblick auf die Überlastung der Finanzbeamten, von denen man immer wieder in der Zeitung lesen kann) und ich versprach, mich beim Vorstand des Vereins für diese Lösung einzusetzen. Der Finanzbeamte Klein hatte jedoch verschwiegen, dass das Finanzamt mit Wegfall der Gemeinnützigkeit jährliche Steuererklärungen (Körperschaft / Gewerbe u. a.) fordern würde, die dem vierseitigen Fragebogen alle drei Jahre bei weitem überstiegen und eine umfangreiche Arbeit erforderten. Die entsprechenden Formulare wurden als Paket übersandt. (Das gab es damals noch). So hatte ich mir die Arbeitsentlastung des Finanzbeamten Klein jedoch nicht vorgestellt. Der Vorstand nahm daraufhin seinen Widerspruch auch nicht zurück. Aber das Finanzamt schickte auch keinen Bescheid, gegen den eine Klage beim Finanzgericht möglich gewesen wäre. Herr Klein war inzwischen in eine andere Dienststelle aufgestiegen und mit dem Fall nicht mehr befasst.

Zwischenzeitlich war ich in den Vorstand des Vereines gewählt worden und so schrieb ich am 16. Mai 1994 eine Mahnung (per Einschreiben) an das Finanzamt, wo denn der Widerspruchsbescheid bleibe? Es meldete sich der Finanzbeamte Albinger, der uns aufforderte den Berg von Papier endlich auszufüllen. Der Widerspruch würde – inzwischen seit einigen Jahren – von einer anderen Abteilung beantwortet werden. Gleichzeitig erfolgten Steuerbescheide mit Zahlungsaufforderung in einer Gesamthöhe von zusammen 20.000,– DM für die vergangenen Jahre. Gleichzeitig erlaubte sich der Finanzbeamte Albinger noch den Hinweis, dass wir uns mit dem Widerspruchsbescheid in Geduld fassen sollten. Um die Unsinnigkeit solcher Forderung (20.000,– DM bei 19 Mitgliedern, die pro Monat 5,– DM zahlen sollen) deutlich zu machen, übersandte ich Anfang 1994 dem Finanzamt die Gewinn und Verlustrechnung des Vereins für die Jahre 1991/1992/1993 (10.000,–/6.000,–/4.000,– Gesamtumsatz) als Überschuß blieben: jeweils 276,–/330,–/3.000,–DM). Die Zahlen machten auf den Finanzbeamten Albinger keinen Eindruck, sondern führten nur zur Übersendung eines weiteren Fragebogens, mit der Frage, nach welchem Buchführungssystem wir arbeiten würden.

1991 wurde das Oelkerscafe geschlossen und 1992 abgerissen. Der Verein verlor damit auch seinen kostenlosen Abstellraum “Duckenfeld im Oelkerscafe“. Seit dieser Zeit lagern die Filmkopien bei verschiedenen Vereinsmitgliedern. Für die Anmietungen von Räumen reicht das Geld nicht und auch die Spendenbereitschaft ist sehr zurück gegangen. Die Aktivitäten des Finanzamtes dagegen nahmen in der Folgezeit rasant zu. Zwar warten wir bis heute noch auf einen klagefähigen Widerspruchsbescheid, aber eine Vorstandskollegin aus unserem Verein erhält jede Woche eine Mahnung vom Finanzamt an ihre Privatanschrift. Mal Körperschaftssteuer für das erste und zweite Quartal 94 in Höhe von 800 DM, mal Gewerbesteuer, mal dies mal das. Am Telefon vom Finanzbeamten Albinger ist ein Anrufbeantworter, der darauf hinweist, daß er an drei Tagen in der Woche telefonisch von 8-12 Uhr zu erreichen sei und dass das Gerät anschließend abschaltet. Nur erreichen kann man ihn nicht und wenn man doch einmal das zweifelhafte Vergnügen hat, eine menschliche Stimme am Telefon zu hören, dann bekommt man nur die immer gleich lautende Auskunft, zunächst seien die Steuerklärung vollständig ausgefüllt zu übersenden. Vorher könne er gar nichts für einen tun. Davon, dass eine solche Arbeit schon aufgrund der vorgelegten Zahlen völlig unsinnig sei und mit Sicherheit aus diesem Verein mit seine jährlichen Überschüssen von 150,– DM – 300,– DM keine geschätzten 25.000,– DM herauszuholen seien, das möchte der Sachbearbeiter (welche Sache wird dort eigentlich bearbeitet?) nicht hören. Dagegen vermutet der fleißige Sachbearbeiter offensichtlich eine geheime, unerschöpfliche Geldquelle des Vereins, die er angesichts der Haushaltslöcher des Hamburger Senats zu erschließen gedenkt.

In einem Schreiben fragt er an, welche Verbindungen der Verein zum 3001 Kino hat. Doch dieses Unternehmen ist – das müßte er als Finanzbeamter doch leicht herausbekommen – eine GmbH. Das steht schon an der Eingangstür des Kinos. Vielleicht sollte man es mal mit einer Dienstaufsichtbeschwerde versuchen, die auch das Finanzamt und seine Beamten und Angestellten wieder auf den Boden der Realitäten zurückbringen könnte. Aber vorher erscheint es mir doch sinnvoller den Fall in die Öffentlichkeit zu bringen. Wie Bitte von RTL – ist, nachdem ich die Sendung öfter gesehen habe, meiner Meinung nach, der richtige Ort dafür. Auch im Hinblick auf eine stille Hoffnung, es gäbe möglicherweise mir unbekannte Mitarbeiter in der Finanzverwaltung, die diesem unsinnigen Treiben einiger Beamter auch ein Ende machen könnten. Man soll ja die Hoffnung nie aufgeben. Bei unserem Vorbild wäre der Verdacht der Steuerhinterziehung angebracht gewesen, aber für das Finanzamt Hamburg Ost sicher nicht erreichbar.

Als W. C. Fields am 24.12.1946 starb, stellte man fest, das er in 30 verschiedenen Ländern fast 200 Konten mit nicht unbeträchtlichen Beträgen auf seinen Namen eröffnet hatte. Außerdem fanden sich große Mengen Dosenbier und Konserven in seinem Haus, weil (er) beständig Angst hatte, vom Hunger oder vom Durst überrascht zu werden. Leider sind der Medienberatung und Vermittlung e. V. von diesem Geld- und Warenbeständen keine Erlöse zugeflossen. Auf dem Postscheckkonto des Vereins sind gerade mal 39,50 DM.

GIB EINEM TROTTEL KEINE CHANCE: Mit der Filmkopie “Never give a sucker an even break“ frei übersetzt (vornehm) – es gibt auch noch eine andere Variante, “Gib einem Trottel keine Chance“ kann das Finanzamt sicher auch nichts anfangen. Sie haben offensichtlich an sich selber genug, freundliche Grüße Jens Meyer (Anbei noch Foto des Komikers, damit wir wissen, wovon die Rede ist.)

Grafik aus dem Vorspann von The Bank Dick. New York 1972. Edited by Richard J. Anobile
Buchumschlag des Buches: W. C. Fields and me. Carlotta Monti. GB 1974 London Jacket design Ken Caroll

Carlotta Monti (25. Januar 1907 – 8. Dezember 1993)

Oelkers Cafe
Horst Buchholz meint. Stimmt eigentlich nicht. Billy Wilder meint. Bild aus dem Film 1/2/3

Jäger des verlorenen Schatzes oder Mein Freund der Rechtsanwalt

Neulich erhielt ich Post von meinem Freund, dem Rechtsanwalt. Er hatte mal wieder telefonischen Kontakt mit der freundlichen Dame vom Grundbuchamt. Aber, leider, leider, die entsprechenden Blätter aus dem Grundbuch sind nicht auffindbar. Zufällig handelt es sich um zwei Grundstücke, auf denen früher Kinos standen. Heute sind es die so genannten Sahnegrundstücke der Hamburger Innenstadt: Dammtorstrasse 14 und Gänsemarkt 43. Die Kinos hiessen Waterloo Theater und Lessing Theater und es wird behauptet, daß sowohl die Grundstücke, als auch die Kinos die darauf standen, den Kinobesitzern selber gehörten.

Nur beweisen kann man es nicht, solange die entsprechenden Grundbuchblätter fehlen. Dagegen sind die Grundbuchblätter ab 1938 für die entsprechenden Grundstücke vorhanden. Aber auch die sind nicht jedermann zugänglich. Der Datenschutz, versteht sich. Das war nicht immer so. Bis 1970 waren die Grundbesitzer in den Adressbüchern abgedruckt. Merkwürdig, wie sie und warum daraus verschwunden sind. Da heißt es entsprechende Vollmachten zu besorgen und wer kann sich schon Vollmachten besorgen von Menschen, die von deutschen Bürgern umgebracht wurden?

Und genau da beginnt die Sache mit der Geschichte der Hamburger Kinos schwierig zu werden. Inzwischen sind seit jener Zeit zwei Generationen vergangen. Die Opfer sind tot, die damaligen Täter, die ihren Kindern eingeredet hatten, dass Sie ein Opfer ihrer Zeit waren und keineswegs Täter, und auch die Kinder, die ihrerseits zur Legendenbildung beigetragen haben, ihre Väter hätten das enteignete Eigentum rechtmäßig erworben, sind inzwischen verstorben. So ist ein nüchterner Blick auf die Hamburger Kinogeschichte heute eher möglich, als noch vor zwanzig Jahren, als ich mit den Recherchen zur Geschichte der Hamburger Schauburg Kinos begonnen habe.

Der Eigentümer, so behaupte ich, der Grundstücke Gänsemarkt 48, Büschstrasse 1, belegen im Grundbuch Neustadt Nord, Band XVI, Blatt 776, Flurbuch Nr. 818 , Grösse 270 qm und Gänsemarkt 46 und Büschstrasse 2, belegen im Grundbuch Neustadt Nord XVII, Blatt 818, Flurbuch Nr. 861, war Jeremias genannt James Henschel, geboren in Hamburg, am 5. Februar 1863, Staatsangehögikeit: deutsch, Religion: jüdisch, verheiratet mit Friderike Henschel, geb. Blumenthal, drei Kinder. James Henschel ist von Beruf Kaufmann. Im August 1938 flüchtet das Ehepaar zu Ihrer Tochter Bianca nach Holland, die sich dort mit einem portugiesischem Konsul verheiratet hat und seit dem Bianca Kahn heisst.

Ein Jahr später – am 26. August 1939 – stirbt Jeremias Henschel im Exil in Scheveningen/Holland. (Wohnanschrift von James und Frida Henschel bei ihrer Tochter Bianca Kahn und Dr. Isidor Kahn, Scheveningen, Kapelplein 7 am 8. September 1939) Am 13. Juni 1939 beantragt der Oberfinanzpräsident Hamburg bei der GESTAPO die Ausbürgerung von Jeremias Henschel. Im Monat darauf am 7. Juli 1939 beantragt die GESTAPO Hamburg bei der GESTAPO Berlin die Ausbürgerung von Friederike Henschel, geb. Blumenthal. Am 16. September 1939 ist die Bekanntmachung der Ausbürgerung von Jeremias Henschel und Friderike Henschel durch den Reichsminister sowie sofortiger Beschlagnahmung des gesamten Vermögens. Wer sich auf die Suche nach den Kinoeigentümern macht, denen die Kinos früher – vor 1933 – gehört haben, hat es nicht leicht. Die Spuren sind gründlich verwischt, die Quellen werden gehütet. So werden die nicht auffindbaren Seiten der Grundbücher zum Hüter der verlorenen Schätze und haben damit fast Kinoqualität. Jens Meyer 9. Dezember 2004

Vor 50 Jahren: DIE WIRKLICH WAHRE GESCHICHTE DER WALDE 81

Vor 50 Jahren: Die wirklich, wirklich, wahre Geschichte der Walde 81

Ich hatte nicht viel Zeit. An jenem Freitag im Februar. Februar 2020. Ein kurzes Foto und schnell wieder zurück. Zu Hause habe ich mir dann die Sache genauer angesehen. Erst war ich erschrocken. Dann erbost. Und dann habe gedacht: Sie haben es nicht verstanden. Sie dachten, sie haben die Fassade restauriert. Aber sie haben das Bild nur zerstört. Nach 45 Jahren. Nur ein Missverständnis? Wie kann das sein? Woher kommt es? Vielleicht kennen sie nur die Kurzversion: Ein besetztes Haus? Vielleicht verstehen sie mehr, wenn sie sich die Zeit nehmen für die lange Version? Wenn sie das Besondere verstehen. Das, was uns unterscheidet von ihnen heute. Und das alles nur, weil mich einer, der am Anfang nicht dabei war, einer aus dritten Walde Generation, gefragt hat, ob die erste Generation nicht was zum 50. Geburtstag der Walde 81 machen will. Der 50. Geburtstag wäre dann irgendwann im Sommer 2022.

Aus der Walde: Ein tragbares Bierfass (10 Liter), umgearbeitet zu einem Papierkorb. Gefunden im Juli 1972 im Haus Hotel Stadt Görlitz in der Waldemarstrasse 81 in SO 36, Berlin Kreuzberg. Als der Behälter noch als tragbares Bier Fass benutzt wurde, hatte die Waldemarstrasse eine andere Nummerierung. Hotel Stadt Görlitz, Waldemarstrasse 20, Telefon 66 65 11. Als Inhaber wird Otto Sauer genannt, was Sinn macht.

Korrektur 2022. Nein, eine andere Nummerierung hat es nicht gegeben: Waldemarstr. 20 war Waldemarstr. 20. Und Nummer 81 war Nummer 81.

Dieser Link hat uns den Weg zur Waldemarstr. 20 gezeigt: http://www.zwangsarbeit-forschung.de/Lagerstandorte/Kreuzberg/kreuzberg.html

Wenn man diesem Link Glauben schenkt, dann ist der gefundene Biereimer tatsächlich aus dem Hotel Stadt Görlitz, Waldemarstr. 20. Inhaber (1942-45): Otto Sauer. Damals genannt: Ausländerheim Hotel Stadt Görlitz, von AEG-AT gemietetes Hotel frühester Beleg 1.1.1942 bei einem Luftangriff am 14. April 1945 zerstört.

Dieser Otto Sauer hat vermutlich das Haus in der Waldemarstrasse 81 gekauft oder gemietet und hatte seine Habe u. a. auch den Biertransportbehälter mitgenommen.

Aber gibt es nach diesem offensichtlichen Missverständnis: Wir bleiben drin und wir bleiben alle, noch einen Grund sich zu treffen? Gibt es wirklich irgendwas zu Feiern? Vielleicht haben sie mit ihrer angeblichen >Restaurierung< alles verbockt? Vielleicht haben wir es auch verbockt, weil nicht alles in die Gegenwart gekommen ist, von dem, was damals so passiert ist. Vielleicht hilft ihnen die wirklich wahre Geschichte der Walde 81 weiter. Ihnen und letztlich auch uns. Damit wir einen Grund zum Feiern finden! Wie einfach wäre das Leben gewesen, wenn es so gewesen wäre, wie es übermittelt wurde. Einmal besetzen und fertig. Nein, so ist es nicht gewesen. So leicht hatten wir es nicht. Vielleicht wird es klarer, wenn wir die Mühen ausführlich schildern, die wir bei der Umsetzung hatten. Vielleicht macht es denen Mut, die heute vor einer ähnlichen Mühe stehen und sie noch scheuen.

Also kommt jetzt die wirklich wahre Geschichte der Walde 81. Ein Haus. Gemietet. Nicht besetzt. Ein Mietvertrag, der nach zwei Jahren endet, ausläuft. Ein Untermietvertrag. Ein Untermietvertrag, den man, mit dem Hauptvermieter gerne verlängern würde. Der aber nicht will. Der keine Mieter will. Der nur ein leeres Haus will. Ein Haus, dass man schnell abreißen kann. Ein Vermieter, der sich weigert zu vermieten. Sich weigert, weil hier mit dem Abriss das große Geld zu machen ist. Jeder Abriss, der ein paar Tage dauert, spült 300 TDM in die Kassen des Hauptvermieters. Einem Vermieter, dem man einen großen Brief auf die Hauswand schreibt, nachdem man schon so viele Briefe geschrieben hat, die nicht oder nur mit Nein beantwortet wurden. Ein Brief, damit es alle sehen können. Mit der einzigen Botschaft, die man hat: WIR BLEIBEN DRIN. Und jetzt heute. 2020. Fünfundvierzig Jahre später stellt sich die Frage: Wieso ist das damals gelungen? Das mit dem DRIN BLEIBEN?

Block 100 haben sie es genannt. Und den Block weg gehauen. Die Herren der Kugelbagger und der Wasserspritzen. Mit Kugelbagger und Wasserspritzen haben sie sich die Freiflächen vergoldet. Jede Lücke ist bares GELD für sie, so hatten sie und wir später auch, herausgefunden. Wieso konnte es dennoch gelingen, das Haus in der Walde 81 den Abrisskugeln zu entreißen?

Oft hatte der Gegner doch schon gezeigt, wie übermächtig er war! Damals in Kreuzberg. Mit Prämien wurden die Mieter ins Märkische Viertel gelockt: Weg von der Toilette, eine halbe Treppe tiefer. Weg von der Ofenheizung, mit den Briketts und Eierkohlen im Keller oder auf dem Dachboden.

Dann die >Zwischenmieter< ohne Rechte. Die Mieter zum Kaputtwohnen der Häuser: Studenten und Migranten. Die selten zueinander fanden. Und es manchmal dann doch gelang, dass gemeinsam an einem Strang gezogen wurde. Und auch noch in die gleiche Richtung. Nicht einfach so was. Nur mit Pinseln allein nicht zu schaffen.

Der Gegner, der Nicht-Vermieter, der sich über die wahren Machtverhältnisse von uns täuschen liess, die vor Ort herrschten. Hätten sie auch nur geahnt, wie kurz unsere Arme doch waren. Unsere Plakate kamen gut an. Ein einziges, gut gemachtes, hatte eine große Wirkung. Täuschend ähnlich den offiziellen Plakaten. Nur in wenigen Exemplaren fanden sie aufmerksame Beobachter. Und immer wieder gab es Richtigstellungen der Gegner. Nein, so sei es nicht. Es wäre so und so. Hätten sie geahnt, wie wenig aktive Menschen diese Plakat Fälschungen in die Öffentlichkeit gebracht haben. Sie wären mit ihren Gegendarstellungen nicht darauf eingegangen. Und erst diese Gegendarstellungen machten unsere Forderungen tatsächlich populär. Hätten sie gewußt, das da nur kleiner Haufen aktiv war, dann wären unsere Drohungen glatt verpufft. Und es waren ja auch keine ernsten Drohungen.

In Wahrheit hatten wir gar nichts zum Drohen, wenn wir am Telefon behaupteten, es würde etwas passieren, wenn nicht in 15 Minuten das Wasser in dem Haus gegenüber wieder angestellt wird, das sie im Auftrage gerade hatte abstellen lassen. Wir hatten nichts zum Drohen. Sie wußten nur, die Leute mögen uns und sie nicht. Aber die, bei denen das Wasser dann nach 15 Minuten wieder aus dem Hahn lief, die wurden unsere Freunde. Oder wenn sie mal wieder heimlich den Strom abgestellt hatten und die Mieter plötzlich im Dunkeln saßen und der entsprechende Anruf bei Ihnen ankam. Wenn nicht . . . dann. Ich kann es nur wiederholen. Eigentlich hatten wir nichts zum Drohen. Aber die Leute, denen wir auf diese Weise geholfen haben, zeigen sich dankbar.

Sie kommen und gewinnen Vertrauen. Zeigen Verständnis, Sympathie und was man ihnen zur Unterschrift vorgelegt hat. Oft, ohne jede gesetzliche Grundlage. Das solche Texte in die Öffentlichkeit gelangen, das wollen sie auf jeden Fall verhindern. Und weil ein seriöses Auftreten die halbe Miete ist, werden auch die ungesetzlichen Texte in den Mietverträgen immer seltener. So merken die Herren von der städtischen Gesellschaft BEWOGE, auf der anderen Seite wird ihr Handeln genau beobachtet. Beachten plötzlich Gesetze, von denen sie früher behauptet hatten, es gäbe sie gar nicht. Ersatzwohnraum muß nicht nachgewiesen werden. Solche Sätze werden jetzt vermieden.

Als sich das bei den Verantwortlichen herumgesprochen hatte, wurden unsere Anrufe oft sofort bis nach oben durchgestellt. Zu den Herren an der Spitze. Zwingelberg und Könnecke und wie sie alle hiessen, die sich da eine goldene Nase, natürlich nicht für sie selbst, verdient haben.

Und sieht man sich heute ihre >Hinterlassenschaften< an, ihre verfallenen Neubauten und vergleicht sie mit der unseren, so schneidet >unser Haus<, die Walde 81, nicht schlecht ab.

Unser Vertrag war im November 1974 ausgelaufen. Es gab einen Menschen in der Baubehörde, der fand unsere Gemeinschaft glaubwürdig. Und unterstützte uns. Er ist zwischenzeitlich verstorben und soll deshalb hier auch namentlich genannt werden: Hermann Hucke, Mitarbeiter in mittlerer Ebene der Wohnungsverwaltung. (Wir hatten ihm viel zu verdanken). Im Februar 1975 der vertragslose Zustand. Wir blieben drin. Nun war das Haus tatsächlich besetzt. Das Haus war verkauft worden. An wen, das wußten wir nicht. Und wir bekamen Unterstützung. Von vielen und einem, der sich mit den geltenden Gesetzen gut aus kannte.

Auch er, schon verstorben: Rainer Graff. Architekturstudent. Er und einige andere haben den Baum, der dann am 1. Mai 1975 auf die Hauswand gepinselt wurde, entworfen und sich auch darüber Gedanken gemacht, wie man die Bemalung ohne teures Gerüst hinbekommen kann. Mit Kreide wurden die Umrisse der Zeichnung auf die Fassade gebracht. 250,00 DM kosteten die Farben (gelb, grün, weiss) und einige Stunden bis das Bild fertig war und 45 Jahre seine Propagandawirkung verbreitete. Dreissig Leute aus dem Haus und der Nachbarschaft waren beteiligt.

Ich war befreit wegen Höhenangst und durfte mit der Kamera Aufnahmen machen. Es ist natürlich nur meine Wahrheit, die in diesem Text untergebracht ist. Aber vielleicht auch unsere Wahrheit. Das werde ich wissen, sobald ich diesen Text unter denen verbreitet habe, die damals dabei waren. Wer alt ist und rückwärts schaut, so wie wir, ahnt noch, das der Weg, der jetzt so klar hinter uns liegt, kein gerader Weg war. Als gerader Weg wäre er sicher nicht möglich gewesen. Er war ein Weg voller Zweifel. Mit Schrecken, die wir noch nicht ahnten. Doch auch mit viel Glück, für das wir nichts konnten. Das zwar erhofft war, aber dann doch mit Wucht auf uns nieder prallte. Im Ergebnis meist, rückwärts schauend, viel Bestätigung und Zuneigung.

Nein, ich hätte es nicht anders machen wollen und dahinter auch der Zweifel, dass der Weg anders nicht so steinig gewesen wäre, das manche, die den Versuch vorzeitig abgebrochen haben, besser daran gewesen sind. Einen Versuch der Klärung ist es allemal wert. Schon damit künftige Generationen, die Nutzen von unseren damaligen Tätigkeiten haben, nicht denken, dass dieser Weg ohne Mühe war. Dass man sich einfach davon lügen kann. Und bequem auf den Erfolg warten. Auf das Schlaraffenland. Oder gar, das das bequeme Leben auch die Kraft hat, anderen zum einem bequemen Leben zu verhelfen. Etwas zu tun für die, die einem Leid tun.

So wie die, die jetzt nach 50 Jahren in einer Genossenschaft wohnen, für die sie nichts können und sich deshalb in falscher Weise äußern über die, die ihnen diese Bequemlichkeit ermöglicht haben und deshalb zu der Ansicht gelangen, dass sie nichts zerstört, sondern nur etwas restauriert haben. Da müssen wir jetzt widersprechen. Nein sagen. Das haben wir nicht gemeint. Wir sprachen von uns. Und wir wollten anderen zeigen: Es geht. Es geht, wenn man etwas für sich selber tut. Das gibt auch anderen den Mut, etwas für sich selber zu tun. Eben trotzig zu behaupten: WIR BLEIBEN DRIN und nicht scheinheilig für andere zu behaupten WIR BLEIBEN ALLE. Eine Parole, die abgemalt ist und abgemalt klingt. Abgemalt in der Hafenstrasse in Hamburg.

Eine Parole, die vermutlich die Flüchtlinge meint, für die man etwas tun muss, damit sie nicht alle ertrinken. Nein, das war die Walde 81 nicht. Und das ist vermutlich auch der Grund, warum die Parole: WIR BLEIBEN DRIN dort 45 Jahre gestanden hat. Bevor der Text unter WIR BLEIBEN ALLE verschwunden ist. Fünfundvierzig Jahre sind eine lange Zeit. Und darauf sind viele von uns, die damals dabei waren, stolz.

Auch auf die Gefahr hin, das jemand äußert: Die sind ja nicht drin geblieben. Die sind ja alle ausgezogen. Die durchschnittliche Wohnverweildauer in der Walde 81 ist niemals berechnet worden. Vielleicht sechs Jahre? Für viele war diese Zeit prägend. Manche erinnern sich gerne, so wie ich. Manche erinnern sich mit Schrecken und würden es gerne ungeschehen machen und die ganze Sache vergessen. Die erste Besatzung der Walde 81 waren Menschen, die im Stadtteil Charlottenburg gemeinsam einen Laden gemietet hatten (In der Neuen Kantstrasse 31), in dem sie ihre Kinder gemeinsam betreuen wollten.

Kinderladen wurde das genannt. Ein leerstehender Laden wurde gemietet. Davon gab es damals viele. Umgebaut. Eine Zentralheizung wurde von uns eingebaut. Wer wollte schon jeden morgen im kalten Kinderladen im Winter den Kachelofen anmachen? Das waren Paare. Verheiratet oder nicht. Und Kinder in dem Alter zwischen 8 und 12 Monaten, die gerade laufen lernten. Dort lagen viele Hoffnungen. Nicht mehr zwangsweise auf dem Topf sich stubenrein sitzen müssen. Nicht rosa oder blau. Nicht nur Betreuung durch Frauen, sondern auch durch Männer, die den Kindern etwas beibringen sollen. Um dabei selbst auch gleich etwas zu lernen. Wissen, das vorher nur einem Geschlecht zugänglich war. Wir nannten das Ganze: Sozialpsychologischer Arbeitskreis Charlottenburg e. V.. Fortbildung, einmal in der Woche.

Zum Beispiel: Die Reinlichkeitserziehung. Als frühes Unterdrückungsinstrument des Bürger- und Kleinbürgertums. Die Rolle der Frau in der Beziehung der Geschlechter. Die Rolle des Mannes in der Beziehung der Geschlechter. Ehegefängnisse vermeiden. Wir wollten alles. Und das sofort. Aber erst mal musste die Heizung im Kinderladen finanziert und selbst gebaut werden. Einige Eltern aus diesem Kinderladen wollten, nachdem der in Schwung gekommen war, auch ihre persönlichen Wohnverhältnisse ändern und suchten ein entsprechendes Haus für ein solches Projekt. Ehegefängnisse an der Spitze der Bewegung. Erste Besatzung. Im Sommer 1972 war es dann so weit. Der Kinderladen lief einwandfrei. Wir hatten eine Erzieherin eingestellt und jede Woche einmal hatte jeder einmal in der Woche Kinderdienst.

Für mich war die Sache einfach, weil ich durch meinen Studienplatz an der dffb vieles möglich machen konnte. Für meine damalige Frau war die Sache schon schwieriger, weil sie eine Festanstellung hatte, wo man nicht ohne weiteres Kurzarbeit machen konnte. Doch für Studenten war die Sache einfach. Jedoch nicht für alle Studentinnen. Da gab es die Sorte Hausfrau, Mutter und Mann auf Arbeit. Aber auch: Nur Hausfrauen, die kaum Probleme damit hatten. Wir waren bunt gemischt. Sogar Menschen, die keine eigenen Kinder hatten, wurde der Zugang zum Kinderladen nicht versperrt. Sie kümmerten sich vorwiegend um die Vermittlung der Theorie.

Einer arbeitete als Bronzegießer in einer Kunstgießerei (Bildgiesserei Hermann Noack). Bronze und andere Buntmetalle. Die Firma gibt es heute noch. Aber er ist schon vor längerer Zeit verstorben. Keine besonders gesunde Arbeit. Wir fanden für Jeden, der mitmachen wollte, Lösungen. Lösungen, die alle zufrieden stellen sollten. In einem wöchentlichen Arbeitskreis holten wir fehlendes Wissen über die frühkindliche Erziehung nach und erarbeiteten zusammen Modelle, wie wir unsere Kinder anders erziehen wollten. Kinder, die demnächst fünfzig Jahre alt werden. Anders als in der herkömmlichen Erziehung. So, wie sie immer und überall praktiziert wurde und vermutlich auch noch wird. Jungs weinen nicht. Mädchen bekommen rosa Kleidung. Jungs blaue. Gib das schöne Händchen.

Auch die Beziehungen sollten sich ändern. Wir planten eine große Wohngemeinschaft. Bis eines Tages unser Kunstgießer aus Kohlhasenbrück mit einer Sonntagsausgabe der Berliner Morgenpost ankam. Oder war es die BZ? Seine Frau hatte die Anzeige von dem Hotel gefunden, das dort angeboten wurde. Von mir wurden damals beide Zeitungen, weil Springer, bestreikt. Bestreikt ist natürlich falsch. Nicht wahrgenommen. Nicht gekauft. Ich wurde der Freund des INFO BUG, später der Freund des ID für unterbliebene Nachrichten. Und Leser, das will ich gar nicht verstecken, der Frankfurter Rundschau und in der Walde auch Leser der täglich erscheinenden Wahrheit (Zeitung der SEW, was der Ableger der SED in Westberlin (in dieser Schreibweise) war). Was man vielleicht den Jüngeren erklären muss.

Die verschiedenen Parteien (links von der SPD) hatten 1972 eigene Parteizeitungen. Ein Fan des “Vorwärts“ (die Parteizeitung der SPD) hat es, meiner Erinnerung nach, in der Walde nicht gegeben. Auch die Zeitungen der studentischen (angeblich) kommunistischen Zeitungen hatten es in der Walde nicht leicht. (Gegenüber am Mariannenplatz dagegen, in dem Haus, in dem damals eine Apotheke war, gab es mehrere, studentische Wohngemeinschaften, die Anhängerinnen des KBW waren und die Linien, die der KBW so zog, auch mitzogen, was zu einer gewissen Unglaubwürdigkeit führte). Später hat der KBW dann ein Haus in der Oranienstrasse gekauft. Aber das ist eine andere Geschichte.

Der KB (aus Hamburg) dagegen hatte hier in SO 36 nicht viele Anhänger und fand daher auch keine Verbreitung. Während das INFO BUG (die Zeitung der Spontis) aus der Stephanstrasse, das jede Woche erschien und für 0,50 Pfennig käuflich zu erwerben war, von mir gerne gelesen wurde. Besonders die Kleinanzeigen auf der letzten Seite. Auch unsere Anzeigen. Wenn ein Zimmer frei geworden war, oder auch, wenn ein Kind geboren war. Loretto, so war sein Spitzname, richtig hiess er Bernhard Koch, brachte uns jedenfalls diese Sonntagsausgabe der Berliner Morgenpost mit der Anzeige: Leeres Hotel in Kreuzberg zu verpachten. Den genauen Text der Anzeige weiß ich leider nicht mehr.

Aber irgend wie funkte die Sache. Das war zwar nicht unser Bezirk, aber unsere Geldbeutelgröße. Ein Hotel, was seit einiger Zeit leer stand, weil ungünstig gelegen. Am Rande der Stand. Dicht bei der Mauer. Im Sanierungsgebiet. Sanieren, so lernte ich, heißt >gesund machen<. (Wer sich dort wie gesund machte, das konnte man vor Ort hautnah erleben). Die Zimmer wurden billig an Fremdarbeiter vermietet, die sich nur zeitweise in der Stadt aufhielten. Ein Hotel mit 23 Zimmern (je nachdem, wie man zählt), einer Gemeinschafts Küche, einer Kneipe mit Zapfhahn, einem großen Esszimmer, mit einem Tisch, der zwanzig Leuten Platz bot, einem Badezimmer mit einer Badewanne, in einem Anbau Platz für die Waschmaschine und Wäscheschleuder und einem Keller, in den sogar eine Tischtennisplatte passte. Variabel ein Kinderzimmer im ersten Stock, wo der gemeinsame Mittagsschlaf der Kleinen organisiert werden konnte und sollte. (Später stellte sich heraus, die Kleinen wollten dort keinen Mittagsschlaf halten. Sie wollten mittags nicht schlafen, oder lieber bei ihrer Mama schlafen oder sein).

Die Fremdarbeiter waren jedenfalls irgendwie ausgeblieben. Es lohnte sich nicht mehr, das Geschäft mit den Fremdarbeitern. Im letzten Winter hatte man das Haus nicht mehr beheizt und dann vergessen, das Wasser der Zentralheizung abzulassen. (Damals gab es noch richtige Winter, mit Frost und so). Also fror das Wasser in der Heizung ein. Wasser kann viel Kraft haben. Besonders, wenn es einfriert. Das Haus mit dreißig Räumen hatte rund sechzig Heizkörper, die, aus Gusseisen, dem Frost nicht widerstehen konnten und geplatzt waren. Besonderheit dieses Platzens war es, dass erst das Tauwetter, die Heizkörper, die sonst recht stabil sind, platzen ließ, als die Temperaturen im Frühling wieder anstiegen. Man glaubt gar nicht, wie viel Wasser sich in so einer solchen Heizungsanlage mit halb Zoll Rohren befindet (Sechs Stockwerke inkl. Dachgeschoss und Keller) und so folgte den geplatzten Heizkörpern jede Menge Wasser mit den üblichen Wasserschäden.

Die Heizkörper waren im Sommer durch neue Stahlradiatoren von der Pächterin ersetzt worden. Die Pächterin, die noch einen zweijährigen Mietvertrag mit einer städtischen Gesellschaft hatte, behauptete uns gegenüber, die Schäden seien nun alle behoben, die Leckagen beseitigt, was wir jedoch nicht glauben konnten, weil die Anlage vorsichtshalber nicht wieder mit Wasser aufgefüllt worden war. Was tut man, wenn man 25 Jahre alt ist, Maschinenschlosser gelernt hat und sein Leben verändern möchte? Richtig. Man gründet einen weiteren Verein. Den Sozialpsychologischen Arbeitskreis Kreuzberg e. V., wählt einen Vorstand und lässt diesen einen Mietvertrag unterschreiben. Ein befristeten Mietvertrag, der am 1. Oktober 1972 beginnt und 30. September 1974 endet. Zwei Jahre sind eine lange Zeit, denkt man. Aber dann doch nicht.

Monatliche Kaltmiete für die Untermieterin (also uns) 1.250,00 DM pro Monat. Heizkosten, Wasser, Strom und Gas für die Gasherde in der Küche kommen noch dazu. Man kündigt im Einvernehmen die Wohnung, (bzw. hinterlässt sie einem Studienkollegen der Filmakademie) im Horstweg Nummer 6, im Hinterhaus. Drei Zimmer mit Ofenheizung, Kachelöfen, die mit Brikett geheizt werden. In Charlottenburg, dicht am Theodor Heuss Platz, wo zu dieser Zeit die Filmakademie beheimatet war, wo man 1970 das Studium begonnen hat. Der Beschluss lautet: Nun wird sich alles ändern.

Das erste, was sich änderte, waren die Temperaturen. Wir sind noch nicht eingezogen und es gibt im Oktober einen ersten Kälteeinbruch. Wir befüllen die Heizungsanlage, deren Kessel sich unter einer Garage im Nebenhaus befindet, mit Wasser. Und stellen fest, Leckagen überall. Schweißarbeiten sind nötig. Kein Problem. Zwei Personen bringen entsprechende Fähigkeiten mit. Dennoch wird die Sache aufwendig, weil nach jeder Leckage erst mal wieder das Wasser wieder raus muss, bevor die Reparaturarbeiten fortgesetzt werden können. Wir arbeiten uns vor, von unten nach oben. Im dritten Stock angekommen, wird eine Pause eingelegt. Im ersten Stock ist eine Frau aus unserer Gruppe dabei, mit Hilfe eines Zollstockes den Raum in der Mitte auszumessen, obwohl wir die Räume noch gar nicht verteilt haben. Klar ist nur das Erdgeschoss, das Gemeinschaftsraum werden soll.

Ich bin empört. Aber nur innerlich. Ein paar Monate später zieht sie wieder aus. Aus dem Zollstockzimmer. Mann und Kind nimmt sie mit. So schnell kanns gehen. In der Küche bauen wir über den Herd noch einen großen Lüfter ein und dann bringen unsere Möbel in die Walde 81. Geheizt wird mit Koks, den wir später mit gemeinsamen Blutspenden bezahlen. Und jeden Tag gibt es ein Abendessen. 50,00 Mark kommt jeden Tag in die Essenskasse. Frühstück und Abendessen (warm). Zwei Personen kaufen ein und kochen. Dort kommen auch die berühmten Mehlbeutel zu Einsatz. Und die gebratenen Heringe, die sauer eingelegt werden. Manchmal gibt es Napfkuchen mit Rosinen am Sonntag. Einige nennen es Gugelhupf.

Und immer wieder Plenum und Neuaufnahmen, wenn Personen das Weite gesucht hatten und Zimmer neu zu besetzen waren (Das erste Mal nach gefühlten drei Monaten). Die Kinder werden am Morgen mit einem Fahrzeug in den Kinderladen nach Charlottenburg in die Neue Kantstrasse gebracht. Später mit einem gemeinsamen VW Bus. (Ein Lottogewinn, dem mühsam ein neuer Unterboden eingeschweißt wird, wegen durchrosten).

Damit dieses Wissen von damals nicht verschwindet, ist es an der Zeit, 48 Jahre nach dem Beginn, endlich aufzuschreiben, wie das alles anfing. Das hier ist der ist nur ein Teil, der den ersten Mai 1975 mit einschließt. Bis zu meinem/unserem Auszug 1978. Eben die Verweildauer von sechs Jahren. Der Auszug hatte bei uns nichts mit der Waldemarstrasse 81, sondern eher mit der Stadt Berlin zu tun. Überall nur Opas, Omas und Studenten. Kein richtiges Leben. Wir ziehen in anderer Formation aus, als wir eingezogen sind. Seither trinke ich morgens meinen Kaffee immer nur aus großen Bechern.

Hamburg, d. 20. März 2020/ 15. Mai 2022 Jens Meyer

5. Mai 1975

Fotos Helmut Schönberger, Jens Meyer

Foto Helmut Schönberger
Foto von Helmut Schönberger: Die Kinder aus der Nachbarschaft.

Die Kirche macht uns vor, wie aus Wohnungen Verkaufsräume werden. Die Wechsler im Tempel. Martin Luther schaut weg.

Der Michel führt mal wieder ein Theaterstück auf:

Podest rechts Kardinal Cajetan liest in einem Buch. Kardinal Bibbiena und ein zweiter Kardinal, der Bücher und Papiere in der Hand hat, kommt auf das Podest. „BIBBIENA: Moischele steht vor a kirche. Tate, was is da für a haus mit dem hohen turm? Moischele, dos ist a kirche. Was ist a kirche? Nun, die goim sagen, da wohnt der liebe Gott. Aber tate, der liebe gott wohnt doch im himmel. Sollst recht habn, wohnen tut er im himmel, aber do drinnen hat er sein gschäft. (Beide lachen) Der Heilige Vater. (Der Papst kommt auf das Podest. Er trägt Stiefel und um den Hals eine lange Kette.)“ “ (Seite 15) Aus: dem Theaterstück: Martin Luther & Thomas Münzer oder die Einführung der Buchhaltung von Dieter Forte. (1971 Verlag Klaus Wagenbach, Berlin)

Martin Luther
Martin Luther schaut lieber weg

Aus der Bibel Übersetzung von Herrn Martin Luther [(der steht links vom Eingang und guckt lieber weg in Richtung auf die Ost-West Strasse), (inzwischen mehrfach umbenannt)]

Reinigung des Tempels: 14) Und er fand im Tempel sitzen, die da Ochsen, Schafe und Tauben feilhielten, und die Wechsler. 15) Und er machte eine Geißel aus Stricken und trieb sie alle zum Tempel hinaus samt den Schafen und Ochsen und verschüttete den Wechslern das Geld und stieß die Tische um 16) und sprach zu denen, die die Tauben feilhielten: Traget das von dannen und machet nicht meines Vaters Haus zum Kaufhause!“ [(Aus: Das Evangelium nach Johannes I. 2, Seite I 20, Vierte Auflage 1972), Würtembergische Bibelanstalt Stuttgart (Volksbibel)]

Kann man nur erwidern: Machen sie ja auch nicht. Sie machen das Wohnhaus des Pastors zum Kaufhaus! Die andere Fraktion übersetzt die Geschichte ein wenig anders (1,46-2,22) Die Vertreibung der Händler aus dem Tempel. „14) Im Tempel fand er die Verkäufer von Rindern, Schafen und Tauben und die Geldwechsler, die dort saßen.15) Er machte eine Geißel aus Stricken und trieb sie alle aus dem Tempel hinaus, dazu die Schafe und Rinder; das Geld der Wechsler schüttete er aus und ihre Tische stieß er um. 16) Zu den Taubenhändlern sagte er: Schafft das hier weg, macht das Haus meines Vaters nicht zu einer Markthalle!“ (Aus Einheitsübersetzung 1980 Katholische Bibelanstalt GmbH, Stuttgart)

Fotos Jens Meyer

Geboren am 6. Oktober 1935. Interview mit Walter T.

Interview mit Walter T. am 29. März 2011 (10.198 Zeichen) Geboren am 6. Oktober 1935 J.M.: Wann genau sind sie geboren?

W.T.: Am 6. Oktober 1935.

J.M.: Erinnern sie da aus ihrer Kindheit noch irgendwas, was sie da noch erlebt haben? War das schon hier in dieser Siedlung?

W.T.: Ich hab hier . . . also in dieser Siedlung nachdem ich aus der Klinik gekommen bin mit meiner Mutter gelebt bis . . . ich zu meinem Vormund gekommen bin . . . Und da war ich also . . . da war ich neun . . . vorher war ich . . . wie die Verhaftung war ich achteinhalb. J.M.: Wann war genau die Verhaftung?

W.T.: Müsste ich in irgendwelchen Sachen gucken . . .

J.M.: Steht auch vorne an der Tür . . . das war 1944 . . .

W.T.: Das war 1944, das war im Frühjahr.

J.M.: Wie alt waren sie da?

W.T.: Da war ich achteinhalb.

J.M.: Achteinhalb . . . und entsinnen sie da noch irgendwas? Auch vorher noch was, was sie so als Kind noch erlebt haben oder so ?

W.T.: Also hier in der Berner Siedlung war ja . . . praktisch sone Insel, wo es nicht ganz so schlimm war . . . umging . . . ich weiß wir mußten irgendwann kriegten wir son Ding an die Hauswand, da mußten wir dann zu bestimmten Tagen ne Fahne reinstecken, meine Eltern hatten aber kein Geld für ne Fahne, ham sie gesagt, ne und ham sich denn . . . so ein . . . das kleinere häßliche zusammengenäht . . . nur um der Vorschrift genüge zu tun . . . das sind so Sachen . . . also das da denn sowas hing, warum sie ne kleinere, das hab ich natürlich nicht erst später . . . hintergekommen. Man macht sich ja also auch nicht so viel Gedanken . . . als Kind . . . da hat man andere Probleme . . . denn die Probleme, die die Erwachsenen hatten, mit dem Regime, da erfuhren wir nichts von. Durften wir nichts von erfahren, denn es war ja so . . . Spielkameraden wo . . . die aus dem Hause wo also NS begeistert waren und wenn ich mit dem über was geredet hätte was ich wenn ich was gewußt hätte . . . dann hätte der das seinen Eltern . . . und dann wär das schlimm gewesen. In der Schule waren also einige der Lehrer auch darauf aus die Kinder in die Richtung auszufragen, abzuklopfen vor allen wo man wußte, aus welchem Haus sie kommen . . . Mein Vater war hier im Gemeinderat und da wußte man natürlich, wo er steht, politisch und wurde man natürlich angebohrt von Lehrern . . . hab ich es bewußt nicht mitgekriegt ich konnte ja auch nichts sagen, weil ich nichts wußte. Das war also bewußt. so . . .

J.M: Haben ihre Eltern dieses Haus gebaut? Oder ?

W.T.: Nein dies ist eine Genossenschaft . . . eine . . . in den zwanziger Jahren gegründet . . . wurde . . . der sogenannte Gartenstadtgedanke . . . war geplant . . . das wurde also sehr viel in Eigenhilfe gemacht und das man dann später das in eigen ist es als übernehmen konnte. Und denn kamen aber die erste große Wirtschaftskrise und dann ging das nicht mehr und dann wurde das in eine Genossenschaft umgewandelt . . . ich meine, das gesagt wurde da . . . hat hier . . . je . . . eine Sparkasse oder die . . . na wie heisst sie noch die Landwirtschaftliche Geschichte . . . die hat also hier . . . auch im . . . im Buut (?) und auch am Bahnhof und so weiter auch noch die Felder zum Teil noch bewirtschaftet über einen Pächter und die haben also . . . Geld auch reingeschossen und dann Genossenschaft . . . es wird also nie mehr Eigentum Es wurde hier sehr viel in Eigenhilfe gemacht, die Strassen zum Teil wurden planiert und mit Grand und so weiter . . . Asphalt und so was gabs damals ja alles oder war nicht nötig, kamen paar Begrenzungssteine und das wars dann. Es wurden zum Teil für die Fussböden noch aus dem Wald der zum Teil noch . . . was gerodet wurde, zum Teil sollen Fußbodenbretter selbst gesägt worden sein, die anderen, die Häuser, die da hinten sind, diese Putzbauten da haben sie also selbst Mauersteine gebacken, in der Scheune, wo jetzt das Volkshaus ist, da war ne Scheune und da wurde zum Teil also die Steine selbst fabriziert und denn verbaut, also sehr viel in Eigenhilfe . . . aber . . .

J.M.: Was war ihr Vater von Beruf?

W.T.: Der war Dreher. Heute heisst das ja Zerspanungstechniker . . . ja das hat alles ja neu Namen. Naja, er war also Dreher. Hat also gelernt bei der Vulkan Werft . . . oder . . . nen Tochterunternehmen . . . oder was weiss ich . . . mein Großvater kam aus Stettin von der Vulkan Werft . . . als Schmied und ob er nun hier sich her nach Hamburg beworben hat oder versetzt wurde, weiß ich nicht. Ich konnte ihn nicht mehr fragen. Also, der ist bevor ich geboren wurde ist der schon verstorben und wenn man anfangt sowas zu fragen , dann wäre er ja noch älter gewesen. Ne also, der war Schmied und seine drei Söhne, die mit her gekommen sind, der eine war auch Dreher und der andere war Tischler, der hat nachher . . . hier in Hamburg im Hamburg im Arbeitsamt war er tätig, hat die Tischler betreut . . . nach dem Krieg, ja das war also . . .

J.M.: Und ihre Mutter, hat die auch einen Beruf gehabt?

W.T.: Ja, die war Kontoristin . . . sagt man dazu . . . hat man das früher wohl genannt, die hat also im Büro gearbeitet . . . und zwar in verschiedenen gewerkschaftlichen Sachen . . . in . . . das hab ich aber auch dann nur gehört . . . in Bäckerverband und nachher auch im Transportarbeiterverband und hat über die Gewerkschaftsbund also bei der Gewerkschaftsarbeit meinen Vater näher kennengelernt, der also bei der IG . . . bei der Metallarbeiterverband hiess das früher . . . Metallarbeiterverband auch ehrenamtlich tätig war so nebenbei . . . Gewerkschaft . . . den

J.M: Wissen sie noch, wo er zuletzt gearbeitet hat ?‘

W.T.: Das hiess Spillingswerk, was die gemacht haben, weiss ich nicht. Ich war mal mit meiner Mutter da und es war ja als Kind natürlich faszinierend, wenn da diese Stahlspäne so vom Drehstahl . . . vom bunten . . . sich so langsam durch den Raum schlängeln so . . . so das war also ganz interessant, aber was er da gedreht hat . . . es muß . . . im nachhinein kann man das so vermuten . . . also in der überwiegend in der Rüstung gewesen sein . . . denn er war uk gestellt . . . nannte sich das ja damals . . . also unabkömmlich im Wehrpass war abgestempelt . . . er mußte also in der Rüstung . . . vermutlich . . . oder für die Rüstung arbeiten.

J.M.: Ihre Eltern waren in der Kommunistischen Partei, oder?

W.T.: Ja, also mein Vater, soviel ich entnehmen konnte, was man so hört, liest oder noch gefunden hat, ja, meine Mutter kam aus der SAJ, das war die sozialistische Arbeiterjugend, die Jugendorganisation der SPD . . . die Kinder, die da vor waren, das nannte sich Kinderfreunde und ab einem gewissen Alter war es die SAJ , nach dem Krieg die Falken . . . das ist also . . . naja. Sie ist denn nachher aber in der USPD gewesen und von da aus nachher auch in die KPD. Also so. Ob sie vorher in der SPD war, weiss ich nicht . . . als Kind interessiert man sich nicht und fragt da nicht nach und weiss gar nicht was das ist. So ungefähr. Also das immer nur so im nachhinein, was man denn so zum Teil gefunden hat in Schriften und so weiter oder . . .

J.M.: Als ihre Eltern verhaftet wurden, da hatten sie ja gesagt, das hätten sie noch miterlebt. Also . . .

W.T: Ja

J. M.: Können Sie das noch mal schildern?

W.T.: Ja, also mein Vater . . . der wurde von der Arbeit abgeholt, der ist gar nicht mehr erst nach Haus gekommen. Und meine Mutter . . . wir hatten ja auf der Strasse . . . Stück weiter . . . Fußball gespielt . . . mit nen paar . . . und denn kam hier n Auto . . . kam hier ein Auto vorbeigefahren . . . ich glaub das war Wanderer war das . . . son komisches W war da vorne . . . habe ich also nachher erst . . . das das so einen Typ gab . . . ne . . . und denn stiegen zwei Männer in langen braunen . . . schwarzen Ledermänteln aus und gingen ins Haus . . . da wird man natürlich neugierig und guckt . . . aber naja . . . aber dann haben wir aber weitergespielt und dann hat meine Mutter mich reingerufen . . . und denn sassen die beiden Kerle da und . . . Bücherstapel . . . Bücherschrank leer geräumt. Radio hatten sie mitgenommen . . . oder da erst mal hingestellt . . . nachher mitgenommmen und dann also ich . . . wenn ich so die Körpersprache meiner Mutter . . . war Alarmstufe für mich . . . ich konnte das nicht . . . irgendwie sagen, was das nun ist . . . aber ich wußte das Alarmstufe Vorsicht . . . dann hat man versucht, mich auch auszufragen . . . nach Onkel Max . . . das war der Max Heykendorf, der untergetaucht war . . . den sie gesucht hatten . . . da hatten sie nachgefragt . . . und noch einen . . . einen . . . einen Bruns oder Brun, aber den kannte ich gar nicht, der soll aber hier auch übernachtet haben und untergeschlüpft sein und tagsüber war er denn irgendwo anders so . . . aber das habe ich als Kind nicht mit gekriegt. Ich weiss nur, dass wir da oben ne Abseite hatten und . . . .

J.M.: Unterm Dach?

W.T.: Unter der Dachschräge war ne Abseite, die hab ich jetzt rausgenommen, damit der Raum grösser wird . . . aber (lacht) und da war so ne Ausbuchtung von dem vorderen Fenster und da konnte man so rumkriechen und dahinter . . . da haben denn auch welche übernachtet . . . in der Anfangszeit . . . was ich noch genau . . . also . . . das hat man mich ausgefragt nach allem möglichen aber . . . weiss ich nicht . . . weiss ich nicht . . . das war . . .

J.M.: Wissen sie noch wann das genau war? Das war ja sicher lange bevor sie ermordet worden . . . sag ich mal so? Oder welche Formulierung haben Sie dafür?

W.T.: Bitte?

J.M.: Lange bevor Ihre Eltern ermordet wurden, nehm ich mal an . . . war das ja?

W.T.: Ja das war an dem Tag, an dem sie verhaftet wurden. Sie sind also Anfang 44 . . . ja dann haben sie . . . dann hat meine Mutter gesagt . . . ich muß jetzt mal mitfahren mit dem Auto, die haben Bücher und Radio eingepackt . . . und Du gehst rüber zu Frau Lübcke, die wohnte denn in Nummer 23 und heute abend dann kommt Tante Erna, die war mit ihrer Tochter, die waren ausgebombt in Habichtstrasse Barmbek, da in der Ecke ham die gewohnt . . . Dieselstrasse . . . waren ausgebombt . . . die hatten wir dann hier aufgenommen . . . der Mann war als Soldat irgendwo an der Front . . . und die war aber mit ihrer Tochter in Hamburg gewesen, hatten da Verwandtenbesuche gemacht und sollte erst abends nach Haus kommen. Ob . . . und das sind so Vermutungen . . . die man hat sie bewußt da zu irgendwo zu jemand hingelockt, damit sie nicht hier ist . . . es sind nur Vermutungen . . . das kann man nicht . . . sagen das das so war . . . wird so zum Teil so vermutet . . . ne das man sie bewußt hier nicht haben wollte . . . he . . . die Beamten . . . die Bekannten, da irgendwo nen Tipp gekriegt haben . . . lad die doch mal ei . . . so ungefähr . . . weiss ich nicht . . . kann sein . . . ja und denn . . . kamen die nachher abends rüber und ich wieder her und denn hab ich meine Eltern nie wieder gesehen . . . also . . . das war also . . . mann . . . zu Anfang ist das ja so, da denkt man . . . naja die kommen wohl irgendwann wieder . . . aber was . . . also man weiss denn auch nicht . . . man macht sich Gedanken . . . warum und weshalb . . . warum sind sie nicht da. warum kommen sie denn . . . so ungefähr . . . warum lassen sie mich hier allein . . . solche Gedanken hat man als Kind . . . denn natürlich . . .

J.M.: Waren sie ein Einzelkind? Oder waren da noch Geschwister?

W.T.: Ich war als Einzelkind übrig geblieben. Ich hab also einen älteren Bruder gehabt, der noch vor meiner Geburt gestorben ist. Damals war ja die Kindersterblichkeit relativ groß . . . oder größer wie jetzt . . . er hatte irgendwie . . . ne Krankheit . . . irgendwo . . . mit Durchfall und was weiss ich nicht alles . . . und hat das also irgendwie vielleicht auch . . . nach damaligen Gesichtspunkten . . . nicht vielleicht nicht ganz richtig behandelt oder wie oder was aber er ist verstorben und meine Schwester, die nach mir geboren wurde, die ich also nur gefühlt hab, wie sie im Bauch gestrampelt hat von meiner Mutter . . . das durfte ich dann auch, guck mal das hier . . . das ist dein Bruder oder Schwester . . . wußte man damals noch hatte ja damals kein Ultraschall . . . also naja . . . die ist aber aus dem Krankenhaus gar nicht rausgekommen. Da waren also . . . das Herz soll auf der falschen Seite gewesen sein und noch ein paar organische Schäden, die also . . . nicht überlebensfähig waren . . . und somit bin ich praktisch der einzigste der nachgeblieben wurde . . . entsprechend natürlich verpiepelt von meiner Mutter. Kann man sich vorstellen . . . ne, zwei verloren, jetzt müssen wir aber aufpassen . . . ne . . . ich weiss, da hatten wir so komische lange Strümpfe noch bis fast in den Sommer rein. Ich war kaum um die Ecke habe ich sie runtergekrempelt . . . (lacht)

J.M.: Oder das Leibchen . . .

W.T.: Das Leibchen und diese Hemdhosen . . . das waren die Leibchen und mit den Gummibändern . . . die wurde sofort abgemacht . . . und auf dem Rückweg wieder . . . aber so Sachen . . . gut das waren so Sachen . . . woran ich mich also recht genau erinnern kann . . . hier hinten auf dem Hof . . . jetzt ist der Schuppen . . . weg . . . . . . da stand son Schuppen dahinter war n Birnbaum und drunter . . . hinter dem Schuppen und rundherum waren Johannisbeerbüsche gepflanzt und in der Mitte war Rasen . . . so da konnte man Sitzen, ohne gesehen zu werden und waren hin und wieder immer Diskussionsrunden. Da kamen Leute, die ich nicht kannte . . . also . . . aber eine Person, die war also . . . weil sie entsprechend etwas größer war wie die anderen und . . . hat mich irgend wie fasziniert . . . das war der Adolf Kummernuß . . . der spätere ÖTV Vorsitzende . . . der Adolf Kummernuß . . . der kam mehr aus der aus der sozialdemokratischen . . . Richtung und hier waren also auch Kontakte zwischen den . . . obwohl die sich ja ne zeitlang . . . was zwar idiotisch war . . . aber gut . . . praktisch bekämpft hatten in der Hoffnung das . . . das sie nachher über die Stärkeren sind, wenn das . . . der andere Spuk vorbei ist, aber der andere Spuk ist stärker geworden, weil sie sich zum Teil selbst behindert haben . . . also hier war so ne kleine Kontaktstelle . . . ich weiss das von anderen, die hinterher gesagt haben, ja . . . ich wir haben da auch immer mit deinem Vater und mit deinen Eltern diskutiert und so weiter . . . Ich weiss auch, dass einige, die damals bei der KPD waren . . . also hinterher . . . nachher gesagt haben, ne also was die Kommunisten in Rußland machen gefällt uns nicht, die sind dann nachher bei der . . . so ähnlich wie Herbert Wehner, die sind dann nachher bei der SPD gelandet . . . solch gibt . . . so einer, der hatte mich darauf hin mal angesprochen. Aber also hier also war ne kleine Kontaktstelle und hier kamen auch . . . und die die nach dem Krieg also auch hin und wieder . . . noch wieder für mich gesorgt oder oder oder Behördensachen erledigt undsoweiter . . . die Gertrud Meyer. Gertrud Meyer, die hat ja Streiflichter aus dem Hamburger Widerstand mit der Ursel Hochmuth geschrieben. Die Gertrud Meyer, die war mit unseren Eltern befreundet, die kam hier öfter und wir waren auch da zu Besuch ja . . . die hat da

J.M.: Haben sie später mal rausgefunden . . . wie das . . . das war ja wahrscheinlich die Gestapo, die mit den grünen Mänteln . . . wie die da drauf gekommen sind?

W.T.: Es gibt dort verschiedene Versionen oder Vermutungen. Und die Vermutungen wer dahinter stecken könnte habe ich nie rausgekriegt, das hat man mir verweigert . . .

J.M.: Die Akte?

W. T.: Ne, habe ich nicht gesehen.

J.M.: Aber es gibt eine?

W.T.: Ja wahrscheinlich, die Verhörsakte . . . hab ich nicht gesehen. Ne ich wollte also gerne wissen, wer sie angeblich verpfiffen haben sollte. Gingen hier Gerüchte in Berne rum, aber wenn ich fragte, sie wissen es nicht. Sie hatten wahrscheinlich Befürchtung das ich dann irgendwie . . . hochkommende Rachegefühle hab und dann da . . . aber gut. Das ist also . . . mein Vater gehörte zu den Leuten, die kein Blatt vorn Mund nahmen und es ist so, wenn der in der Hochbahn sass und kam von der Arbeit und da war einer den kannte er gut aus der Bewegung heraus oder so, dann fing er an mit dem zu diskutieren und das war immer zieml . . . für die anderen oha Mensch Richard sei ruhig so ungefähr . . . und manche sind also wenn sie gesehen haben, dass er in die U-Bahn eingestiegen ist, in den nächsten Wagen gegangen, um . . . nicht der Gefahr ausgesetzt zu sein dass da irgendwelche Leute was mithören und sofort hinlaufen. Es kann also sein, daß diese . . . ja ich weiss nicht ob das mutig ist . . . vielleicht auch schon leichtsinnig zu bezeichnen, dazu geführt hat, dass ihn irgendeiner angezeigt hat. Meine Eltern aber . . . es gibt eben auch die andere Version, sie haben ja an dieser Widerstandsgruppe Bästler Jacobs Absagen, mit der Gruppe haben sie zusammen gearbeitet oder waren da mit bei und da soll einer . . . einen der gegen Franko gekämpf hat, ein Spanienkämpfer, der soll da gefangen genommen worden sein, umgedreht worden sein und hier nach Hamburg geschickt worden sein, und der war denn als Maulwurf hier und hat dann verschiedene Sachen hochgehen lassen. Das ist die andere Version.

J.M.: Hatten sie auch mal versucht, das rauszukriegen, da irgendwie im Staatsarchiv oder so?

W.T.: Ne ne ich bin . . .

J.M.: Es ist ja vielfach so gewesen, dass die Gestapo nicht so gut organisiert gewesen ist, nicht so viele Spitzel hatte, wie es der Staatssicherheitsdienst in der DDR hatte . . . Das die meisten durch Denunziation aufgeflogen sind.

W.T.: Es ist möglich, das die Version mit diesem Spanienkämpfer scheint mir wohl die richtige zu sein. Ich weiss das nicht. Denn die wußte ja auch verschiedene Namen und nach denen er gefragt hatte undsoweiter.

J.M.: Hat es denn einen Prozeß gegeben?

W.T.: Nein, es ist ohne Prozeß . . . sie sind ohne Prozeß . . . sind auch nicht hingerichtet worden . . . offiziell . . . mein Vater hatte es . . . durch die viele Arbeit und schlechte Ernährung . . . er hat nachher in Neuengamme, aus einem Brief geht das hervor, der er geschrieben hat . . . meinen Großeltern, dass er wieder als Dreher arbeitet . . . und mit Neuengamme, das habe ich dann auch mal wieder gehört und gelesen hatte Mauser mit Häftlingen zusammen gearbeitet . . . also da hatte er wieder als Dreher gearbeitet . . . Mauser war ja Waffenhersteller, nicht nur Schieblehren, sondern auch Waffen . . . also.

J.M.: Schieblehre hab ich ja noch.

W.T.: (lacht) Ja, ja der hat auch Waffen, Pistolen und Gewehre und so was gebaut.

J.M.: Im KZ?

W.T.: Im KZ oder ausserhalb, denn wurden sie eben irgendwo hingebracht in die Werkstatt und denn abends wieder zurück. Da ist er also krank geworden und ist angeblich an der Krankheit verstorben, ob er jetzt nun auch Folter ausgesetzt war in Verhören, wissen wir nicht. Es ist zu vermuten. Bei meiner Mutter war das so sich an Verführers Geburtstag erhängt haben, am 20. April war das glaub ich soll sich am 20. April am Bettgestell erhängt haben. Es gibt da eben Sachen . . . die sagen, man wollte sie erpressen, wenn sie nichts sagt, dann komm ich ins Heim, damit wollte man sie erpressen. Sie wollte aber nichts sagen. Das ist die einer Version und die andere Version ist an diesem Tagen wurde unter den Wachmannschaften heftig gefeiert und gesoffen und da kam es zu Übergriffen. Weiss ich nicht. Fuhlsbüttel. War ja Frauengefängnis und meine Tante, in dem Haushalt bin ich ja auch groß geworden, sein Vater war denn noch mein Vormund

(Ende Band 1)

(Band 2)

J.M.: Wo waren wir? Bei Detlev.

W.T.: Ja, also bei meiner Tante, die war mit ihren Eltern . . . also mit meinen Großeltern zusammen noch zu Leichenschau . . . und die hat gesagt . . . so sieht keiner aus, der sich erhängt hat. Weil sie auch schon . . . mal praktisch . . . Erhängte gesehen hat. So kann . . . ne . . . die muß anders umgekommen sein. So . . . aber wie, weiss man nicht . . . das war . . .

J.M.: In welcher Schulklasse waren sie als ihre Eltern abgeholt worden sind ?

W.T.: Ich war ja in der zweiten . . . hier in der Berner Schule . . . so ich war also in der Berner Schule . . . der Lehrer, den wir hatten, der schien ziemlich . . . naja . . . neutral zu sein, aber ich weiss das nicht genau, der war . . . der war hier mit einigen zusammen in der Klasse, die immer noch in Berne wohnen . . . früherer Sportsamtsleiter Heiner Widderich . . . der wohnte hier am Ende Moschlauer Kamp . . . oder . . . Rudolf Burack,

der Betriebsrat im Springer Verlag nachher war, mit dem waren meine Eltern auch befreundet und der Vater war aber im Krieg gefallen naja also, hier bin ich groß geworden . . . und ja wie das mit meiner Mutter dann . . . weiss ich nicht . . . also . . . das war eben . . . so offiziell, soll sie sich erhängt haben . . . und na . . . man weiss es nicht . . .

J.M.: Denen ist ja eigentlich nix zu glauben.

W.T.: Ja . . . nach dem Krieg hat sich denn der Adolf Kummernuß auch ein bißchen drum gekümmert, der hat dann über die . . . ÖTV, wie sie dann nach dem Krieg . . . mir eine kleine Zusatzrente . . . 50,00 Mark im Monat oder so hab ich da gekriegt . . . das weiss ich noch . . . bis ich dann selbst in die Lehre kam und denn . . .

J.M.: Was haben sie da gelernt?

W.T.: Ich hab ja . . . heute nennt sich das Konstruktions Mechaniker

J.M.: Maschinenschlosser?

W. T.: . . . Stahlbauschlosser

. . . beim Kampnagel. Den Kranbau.

J.M.: Hatte ich auch Leute, die in meiner Berufsschulklasse waren von Kampnagel. Ich hab doch HDW gelernt.

W.T.: Bei Kampnagel habe ich gelernt und denn bin ich vorher hin noch mal zum Gewerkschaftshaus . . . mich bedankt . . . hab ich zum Abschied noch ne Armbanduhr geschenkt bekommen . . . und die Frage war, was machst du, was lernst du auch bei Kampnagel . . . bist denn schon in der Gewerkschaft . . . ich sach . . . ne noch nicht, aber das ist für mich also ganz klar..und denn sagte er . . . Moment, denn is er runtergegangen . . . kam er wieder mit Mitgliedsbuch . . . März schon bezahlt . . . April mußt du selbst bezahlen, sagt er, denn bist du in der Lehre . . . denn bin ich also gleich ab ersten Tag in die Gewerkschaft . . . ich bin also . . . es hat bei mir . . . wollen wir mal ein büschen zurückblenden . . . ich war ja hier . . . nachdem mein Vater verstorben war . . . mußte mein Onkel, mußte einer die Vormundschaft übernehmen . . . das hat mein Onkel gemacht . . . und dat güng aber nur , wenn ich da wohn . . . so . . . und nun ist das

J.M.: Das war jetzt Detlevs Vater?

W.T.: Detlevs Vater . . . und hier dieses Haus . . . was also meine Eltern . . . man muß sagen . . . die Satzung sagt, das Nutzungsrecht in grader Linie vererbbar . . . So nun war ich Erbe für dies Nutzungsrecht . . . in vielen Gartenhäusern wurden eben auch Verfolgte rausgeschmissen und wurden Nazis reingesetzt . . . hier hat der damalige Geschäftsführer . . . ich glaub Ahrens hiess der . . . oder so . . . aber . . . bin ich nicht ganz sicher, gesagt, nein (klopft auf den Tisch dreimal) . . . das schreiben wir auf den Namen von Walter T. . . nur ich war nicht wohnberechtigt . . . und ich wohnte ja auch gar nicht mehr . . . ich wohnte ja bei meinem . . . Dings . . . und denn hatten wir ja aber die Ausgebombten noch wohnen und dann nachdem . . . deren Häuser . . . die haben dann also hier gewohnt . . . praktisch als Untermieter bei mir . . . komische Konstruktion . . . aber . . . das ist wieder die andere Seite, es gab auch bei den Nazis vernünftige Leute . . . oder . . . oder . . . vernünftig kann man da nicht sagen . . . vernünftige Leute sind keine Nazis geworden . . . aber, es gab also Leute, die bißchen humaner waren . . . ne das kriegt der Sohn und so weiter . . . und deswegen bin ich nachher . . . wie ich geheiratet habe, gleich wieder hier rein . . . so lange habe ich bei meinem Onkel und Tante gewohnt . . .

J.M.: Entsinnen sie noch wie man sie als Kind behandelt hat? Weil ja wahrscheinlich bekannt war . . . dass.

W.T.: Also hier in der Berner Schule war das natürlich bekannt. Aber in dem Moment . . . also von der Verhaftung im Frühjahr bis zum Herbst . . . bis zum Tod meines Vaters war ich hier noch an der Schule und dann kam ich nach Oldenfelde . . . weil mein . . . die wohnten damals in der . . . heute heisst sie Wolliner Strasse . . . früher hiess sie Farmsener Strasse . . . wohnten in der Farmsener Strasse und von da sind wir in der Oldenfelder Schule mit meinem Cousin . . . mit Detlevs . . . ja Detlev ist der jüngste, da ist der zweitjüngste Bruder . . . in einer Klasse . . . der ist also ja . . . vier Monate jünger wie ich, ich bin im Oktober und er ist im Februar geboren nich . . . also . . . waren wir in einer Klasse und da wußte das keiner . . . und den Lehrern hatte man das halt eben nicht gesagt . . . die Eltern sind . . . im Krieg umgekommen . . . um . . . damit ich von einigen . . . und wir hatten da eine Lehrerin, das war . . . die war so nicht ganz . . . die hat man zwar nachher übernommen, weil es keine anderen Lehrer gab . . . aber . . . das war sone Nazi Tante . . . aber . . . wußte man das halt nicht erzählt. Und denn sind wir, als denn meine Großeltern starben . . . also die Eltern von Detlevs Mutter . . . wo wir vorher gewohnt hatten in der Wolliner Strasse . . . das war der Vater von Detlevs Vater . . . und der hatte . . . sein Vater hatte noch zwei Schwestern . . . die eine wohnte aber in drüben in irgendwo . . . Riesengebirge . . . ist aber denn mit Krieg oder mit hergeflüchtet und die andere war hier irgendwo in Norddeutschland Krankenschwester und da hatten sie also erst den Vater von meinem Onkel . . . praktisch hat meine Tante mit versorgt . . . der war ja allein, er war Witwer . . . aber wie denn mein Großvater starb . . . also von Detlevs Mutter der Vater dann konnte meine Oma da am Knill . . . mit dem Haus und Garten nicht alllein zurecht kommen und denn haben sie gesagt, denn ziehen wir dahin . . . und denn bin ich nach Farmsen zur Schule gekommen. Ich weiss sie hatten . . . um jetzt noch mal wieder auf Schule zu kommen . . . einen Lehrer hatten wir . . . das war ein Fachlehrer . . . ich sag nicht, was der immer unterrichtet hat . . . jedenfalls hatten wir bei dem Physik oder Chemie oder irgend sowas . . . und wenn der aus dem Lehrerzimmer kam . . . riß er die Tür auf: Heil Hitler, dann machte er die Tür zu, guten Morgen Jungs . . . (lacht) also der . . . der mußte nach aussen hin . . . das sind so Sachen . . . so einzeln Sachen, die . . . sind dann irgendwo . . . das sind Erlebnisse . . . die hat man gespeichert . . . und das weiss ich noch . . . ja und und den Lehrer, den wir dann in Farmsen hatten, der war kurz vor der Pensionierung, das war auch ein Altnazi . . . und dann hatten wir einen gekriegt . . . der war als Lehrer sehr gut . . . war . . . inzwischen hat man sich ja politisch auch ein bißchen . . . würde sagen . . . na . . . ein deutsch-nationaler gewesen . . . aber kein Nazi, in dem Sinne, der hatte noch irgendwo einen klein bißchen Land draußen in Schleswig Holstein und ackerte da auch noch selbst und bei dem haben wir dann verdammt viel gelernt . . . nech wir sind also . . . ich sag mal so . . . aus der Volksschule entlassen worden . . . mit einem Niveau, was heute die Mittelschule hat, ausser Sprachen, ausser Englisch . . . in der Zeit, wo Englisch war, haben wir im Bunker gesessen, sag ich immer so . . . also wir haben nicht viel Englisch gehabt . . . aber . . . ja es kam nachher Englisch . . . aber den habe ich bewußt . . . mich rauskatapultiert, in dem ich Mist gemacht hab und dann wurde ich rausgeschmissen, ich wollte Englisch nicht . . . aus einem ganz anderen Grunde . . . ich hätte zur Mittleren Reife . . . zum Oberbau . . . hiess es ja damals und da war das Englisch Pflicht und das wollte ich nicht . . . ich wollte, so schnell wie möglich auf eigenen Füssen stehn, Geld verdienen, ich hatte immer son bißchen das Gefühl, ich lieg meinem Onkel und Tante auf der Tasche. Ich hatte zwar die . . . von der Gewerkschaft die kleine Rente und ich hatte die Waisenrente von meinen Eltern . . . ne aber das . . . ich wollte schnell selbst Geld verdienen . . . Das war so ein Grund, dass ich bewußt gesagt hab, ne ich will Volksschulabschluß . . . schnell raus in Büro . . . wollte eigentlich schon in der achten Klasse abgehen, aber dann hat man mich aber . . . nee . . . damals konnte man die neunte Klasse noch machen, ne ne machen wir alle. Und der hat uns also so kann ich zwar auch nicht mehr Algebra mit zwei Unbekannten . . . was ich gut noch genutzt hab war . . . er hat uns Stenografie gelernt . . . das konnte ich in der Berufsschule gut gebrauchen . . . das ist jetzt auch versandet, man braucht das nachher nicht mehr . . . all solche Sachen hat er gemacht . . . also das war gut . . . war ein guter Lehrer . . . muß ich schon sagen . . . der ist mit uns auf Klassenreise gegangen . . . Fahrradtouren . . . und all sowas ne . . . ins Zeltlager . . . Schulzeltlager . . . und alles . . . das war also die schulische Sache . . . aber bevor ich überhaupt wieder so bißchen sogenannten . . . an der Gesellschaft, oder an dem Leben in der Gesellschaft mich erst wieder mit eingebracht hat, das hat lange gedauert . . . ich hab mich also in meinen Schmollwinkel zurück gezogen, wie man so schön sagt . . . gut zuhaus in der Familie war es was anderes, aber nach aussen hin immer . . . ogott . . . und sind das vielleicht auch so welche, die son Mist gemacht haben und so weiter und . . . hat lange gedauert und an sich hab ich da . . . oder hat mir da geholfen unser Nachbar . . . der Sohn, der war beim Wandervogel . . . Bündische Jugend . . . und der erzählte immer . . . hallo und machen . . . machen wir . . . und das ist ja was . . . sag ich . . . da möchte ich mal mit . . . ne sagte mein Onkel und Tante . . . das ist nicht im Sinne deiner Eltern . . . wenn du so was machen willst, dann geh zu den Falken . . . so . . . ja natürlich . . . dann hab ich da in der Klasse . . . dann hatten wir in der Klasse einen Kameraden, der war in den Falken . . . und denn haben wir da mal auf dem Nachhauseweg so geschnackt . . . na dann komm doch mal mit und durch diese ganze Gruppengemeinschaft . . . Gruppenerlebnis bin ich also so . . . das war der Rückkehr wieder in die allgemeine Gesellschaft . . . sag ich mal so . . . und da haben wir uns natürlich auch politisch interessiert . . . und das war unten . . .

J.M.: Detlev hat davon erzählt, dass die Mutter, seine Mutter immer schlecht von den Kommunisten geredet hat irgendwie . . . ja die haben da nen Fehler gemacht . . .

W.T.: Ja natürlich . . . äh . . .

J.M.: Ja, sie war wohl mehr sozialdemokratisch . . .

W.T.: Mein Großvater, meine Großeltern, von meiner Tante die Eltern, die waren Sozialdemokraten durch und durch . . . ihr Bruder . . . ihr ältester Bruder ist im ersten Weltkrieg schwer beschädigt worden und ist später an diesen Kriegsschädenfolgen früher verstorben als normal. So kann man das wohl sagen . . . dann hatte sie eben meine Mutter, die war aber sechs Jahre älter wie sie, sie war die jüngste und dann war da noch ein Bruder, der . . . war bei der Hamburger Feuerwehr Brandmeister . . . und der ist also in Bremen . . . in Bremer Einsatz . . . Hamburger haben da Bremen geholfen wie die . . . da isser er . . . da ist ihm ein Balken ins Genick gefallen . . . wollt er noch mal rein . . .

J.M.: Während des Krieges?

W.T.: Ja, während der Bombenangriffe, da ist er umgekommen, der mußte aber um seinen Job zu behalten als Brandmeister bei der Feuerwehr . . . hatte er immer diese Wollhandkrabbe . . . wurde immer gesagt . . . ja . . . NSDAP Abzeichen, ja, ja, das mußte er, sonst hätte er seinen Job verloren . . .

J.M.: Wollhandkrabbe . . .

W.T: Ja, genauso der eine Bruder von meinem Vater, der Otto, der nachher im Arbeitsamt war, der war nach dem Krieg SPD und der hat auch . . . wie er in der . . . während der KZ Haft ist seine Frau fremd gegangen und anschliessend war die Scheidung, wie er wieder raus kam . . . und der hat als Tischler keine Arbeit gehabt und ist denn . . . weil er früher auch wandern und so weiter . . . meine Eltern waren ja auch Jugendliche . . . in Jugendbewegung gewesen . . . eben nicht in der Wandervogelbewegung . . . das war die bündische . . . aber in der Arbeiterjugendbewegung und da ist er . . . da hat man ihm einen Job angeboten beim KDF . . . das ist diese Urlaubssache . . . der Nazis Kraft durch Freude . . . nannte sich das . . . und dann hat er da Wanderungen, Touren, Reisen organisiert. und da war mein Vater . . . das weiss ich . . . die haben sich da gekanzelt . . . bloß so ungefähr . . . ja das war also so, daß einige sagten, also . . . ich muß irgendwie überleben. Dann brauchte er auch nicht zum Militär . . . und der andere On . . . äh Bruder Bruno, der war auch Dreher . . . hat auch in der Rüs . . . der hat bei Kampnagel Dreher als Dreher gearbeitet . . . die haben auch teilweise Rüstung gemacht . . . und . . . also insofern . . . ja soll man das verurteilen? . . . also das haben ja viele, um ihre Haut zu retten . . . zumindestens . . . ein bißchen mitgespielt . . .

J.M.: Es war ja von dem . . . den Fallada noch mal gelesen . . . ja nicht noch mal gelesen sondern jetzt grade gelesen. Der ist also in den USA jetzt grade so . . . Kleiner Mann . . . wie heisst der noch mal . . . Jeder stirbt für sich allein, weiß ich nicht, ob sie das kennen. Das ist war früher mal aufgelegt, das ist die Geschichte von zwei Eheleuten . . . Eheleuten, deren Sohn im Krieg fällt, wie man so sagt, irgendwie . . . und wo die Mutter dann anfängt . . . dann fangen sie an so Postkarten zu schreiben, die sie überall hinlegen und werden dann irgendwie aber nach zwei Jahren, obwohl das ganz heimlich läuft also werden sie festgenommen und umgebracht im Knast. Dieses Buch ist jetzt grade wieder . . . das kommt über Frankreich, das ist zwar schon 46 in Deutschland erschienen und ist jetzt in den USA ein großer Renner geworden, irgendwie . . . und jetzt hab ich es mir denn auch noch mal geholt . . . Das ist eine differenzierte Geschichtsdarstellung von so einer Berliner Paar.

W.T.: Ja, das sind also so . . . da bin ich ja so langsam wieder ich zwischendurch war ich auch dreimal verschickt . . . nicht von der Schule, dafür war ich zu schwer, obwohl ich dünn war, ich hatte immer das Gewicht, was man in meinem Alter haben mußte, aber ich war eben dünn . . . verschickt von der vom Komitee ehemals politischer Gefangener hiess das zu Anfang, daraus ist die VVN hervorgegangen und die Arbeitsgemeinschaft verfolgter Sozialdemokraten . . . die haben sich getrennt nachher . . . zuerst waren sie zusammen . . . als Komitee ehemaliger . . .

J.M.: Jetzt nach dem Krieg?

W.T.: Nach dem Krieg . . . und von diesem Komitee oder nachher war das wohl auch schon VVN war ich drei mal in Steinbeck . . . Steinbeck bei Buchholz, da hatten sie ein Kinderheim . . . und da wurden wir dann . . . einmal ernährungsmässig büschen aufgepeppelt . . . wir wurden . . . hatten da nen Lehrer, der Unterricht ging weiter . . . also weil wir da fast sechs Wochen oder was waren . . . wär der Schulausfall wohl zu groß gewesen . . . und dann war ich noch von Oktober bis Dezember in Dänemark bei Draning Mölle . . .

J.M.: In welchem Jahr war das?

W.T.: Das war . . . das war . . . schon nach dem Krieg . . . das war . . . wann kann das gewesen sein? 1947/48 . . . ich glaub 47 muß das gewesen sein, von Dezember bis Weihnachten . . . Neujahr warn wir wieder hier . . . und da war das also noch so . . . das waren alles aus ganz Deutschland Kinder von Opfern . . . vom NS Opfern . . . Kopenhagen auf dem Hauptbahnhof mit Blitzlicht und allem möglichen, ging durch alle . . . alle Zeitungen da in Kopenhagen . . . und wir waren in der Nähe von Helsingör, kleiner Ort . . . Drönningmölle, übersetzt heisst das Königsmühle , dronning ist der König, von der Drohne bei den Bienen . . . aber na gut, also gut . . . also in Dronningmölle waren wir und das in einem Hotel, das einer Reederfamilie gehörte und im Sommer aber keinen . . . deswegen von Oktober bis im Sommer war das also nicht belegt . . . da war nur im Sommerurlaub damals, heute macht man ja auch im Winter an der Küste Urlaub . . . aber damals war noch, da waren wir ein Vierteljahr . . . und das war eigenartig . . . obwohl das also bekannt war , was wir für Kinder waren . . . wenn wir auf der Strasse mit paar waren oder gingen und haben deutsch gesprochen wurden wir ganz schief angekuckt. Also ja, das war eigenartig . . . obwohl sie genau wußten, dass also wir imgrunde ja nicht zu gehörten . . . jetzt wissen sie ja, wenn Deutsche kommen, freuen sie sich, die bringen Geld mit . Aber gut, das war aber damals, gleich nach . . . der Zeit . . . das sind so Sachen, die man dann in Erinnerung hat . . .

J.M.: Wann haben sie das erste mal so erzählt, was mit ihren Eltern passiert ist und das das Kommunisten waren?

W.T.: Also das hab ich ja . . . praktisch immer nur durch hier und da mal gefragt . . . man hat mir zum Beispiel nie gesagt, dass meine Eltern nicht mehr leben . . . das hat man mir nie gesagt, das hab ich nur so dann . . . wenn man eins und eins zusammenzieht . . . dann und denn nachher . . . wie das also klar war . . . ich mußte also mindestens vier mal im Jahr mit Oma zum Friedhof . . . das hat mir die Sache so verleidet . . . ich sach also . . . ich denk mehr und öfter an meine Eltern, wie manch einer . . . aber ich brauch nicht irgendwo ein bestimmtes Stück Erde hinlaufen, mir drei Tränen abquetschen und wieder nach Haus gehen, das ist dummes Zeug sag ich, brauch ich das nicht . . . aber das ist Ansichtssache . . .

J.M.: Da ist ein Stein auf dem Friedhof . . . in Ohlsdorf oder wo?

W.T.: Mein Vater ist nicht auf Ohlsdorf, der ist da nicht hingekommen. Die hatten in Neuengamme ein eigenes Krematorium und die Asche wurde da verstreut. Ich hab dann mal ein paar Führungen mitgemacht . . . und hab mir das mal angekuckt und da sacht er . . . ja hier . . . hier ist irgendwo die Asche verstreut und meine Mutter war beigesetzt worden im Grab ihres ältesten Bruders, der also verstorben war durch die Kriegsein . . . verwundung, das ist nachher aufgehoben worden, die Witwe von dem, die wollte das auch nicht verlängern und meine Mutter ist . . . hat jetzt eine . . . die Gedenkspirale im Garten der Frauen . . . das war mir viel wichtiger als im . . .

J.M.: Haben sie noch . . . so . . . Erinnerungen an die 50iger und 60iger Jahre in Deutschland, was sie da so erlebt haben in Bezug auf ihre Eltern . . .

W.T.: Naja, ich war dann seit . . . acht . . . seit fünfzig . . . seit fünfzig . . . seit neunundvierzig fünfzig . . . da waren wir im Sommer viel unterwegs . . . Urlaub im Zeltlager . . . wir haben also sehr viele schöne Erlebnisse und gemeinsame Touren und Sachen gemacht und das ist nachher soweit . . . und wie wir nachher grösser wurden und die Gruppe sich auflöste . . . altersmässig . . . da haben wir dann noch jahrelang danach Zeltlagerbetreuung für andere Kinder gemacht also Gästekinder, die keine eigene Jugendgruppe hatte und so weiter . . . ich hab im Zeltlager immer den Technikbereich mit abgedeckt . . .

J.M.: Mir fällt das so ein, weil ich selber bin Jahrgang 46 und hab selber sehr viel gefragt so bei meinen ganzen Verwandten wie das so war in der Nazizeit, bin auch oft mit meinem Vater da um Neuengamme rum gefahren, aber er hat nie erzählt, was das eigentlich genau war, ja und den einzigen, den ich eigentlich hatte, der offen mit mir umgegangen ist, war mein Onkel, der warn strammer Nazi gewesen in der Zeit. Der war in Bergedorf beim Briefmarkenverein und das war der einzige, zu dem ich irgendwie Respekt hatte, alle anderen, habe ich immer gedacht, mein Gott, ihr seid da dicht dran vorbeigelaufen am Bergedorfer Bahnhof, Bergedorf West und da sind irgendwie 500.000 Menschen >umgeschlagen< worden.

W.T.: Müsst ihr doch gesehen haben.

J.M.: . . . und ihr habt mir erzählt, ihr hattet das nicht gesehen, was denn noch eine Erinnerung an diese 60iger Jahre oder sowas ist, das ich als Kind immer dachte, also die Kommunisten hätten den Krieg angefangen, weil das waren immer die Bösen, das waren die Bösewichter. Das das eigentlich die Nazis waren, die den Krieg angefangen haben, das habe ich erst viel später mitgekriegt . . .

W.T.: Den Sender Gleiwitz da überfallen haben, damit fing das ganze ja an. Da haben wir uns natürlich in der Jugendgruppe auch mit beschäftigt mit diesen Sachen. Und da hatten wir aber Referenten und Leute, die uns, was wir selbst nicht wußten, doch ziemlich offen über gesprochen haben. Der Verwandten und Bekanntenkreis, das Thema war son bißchen tabu, wollten alle nicht gerne darüber reden, befürchteten, dass ich vielleicht zu viel Fragen stelle oder nach der eigenen Haltung frag, wie sie sich verhalten haben Nazis und und und, das war also . . .

J.M.: Das war das einzige, was der Christian Geissler sagt . . . Christian Geissler, sagt ihnen das was ? Der hat son paar Romane geschrieben.

W.T.: Wer?

J.M.: Christian Geissler. Der ist jetzt schon längere Zeit tot, gestorben vor drei Jahren, der hat so mehrere Romane geschrieben unter anderem einen über die Nazizeit, in der ein Polizist die Seiten wechselt.

(Ende Band 2)

(Anfang Band 3)

J.M.: Wo waren wir, ja richtig Christian Geissler und der hat . . . der ist vor ein paar Jahren gestorben . . . ist jetzt zwei Jahre her . . . und der hatte gesagt, das einzige was den Deutschen nach dem Krieg geblieben ist, ist ihr Antikommunismus, den durften sie behalten

W.T.: Den durften sie behalten. Ja, da ist was dran . . . Also was wir damals in der Jugendgruppe durchgenommen, ein Buch das gelesen haben . . . so auf dem Gruppenabend mal ein zwei Kapitel, bis wir das durch hatten, das war aus der Zeit des Sozialistengesetzes, das war ja vor den Nazis . . . wie Bismarck die verboten hatte und da hab ich also viele Parallelen . . . wie im Hintergrund oder im Untergrund gearbeitet wurde . . . das hiess . . . Je dunkler die Nacht, desto heller die Sterne oder so ähnlich . . . das hat mich damals fasziniert und den anderen hier, den die Revolution entläßt ihre Kinder von Wolfgang Leonhardt und solche Sachen auch gelesen und verschiedene andere Sachen . . . . . . Der rechnet da ja mit seinen eigenen ehemaligen Kommunisten ab. Sicherlich, das ist eine Demo . . . eine Diktatur ist was ganz schlimmes, ist egal obs ne rechte oder ne linke Diktatur ist . . . ne Diktatur ist immer schlimm. Und das ist . . . ich sag immer . . . oder meine Meinung ist . . . für einen Sozialismus ist der Mensch noch nicht reif . . . der ist noch nicht reif . . . der muß zurückstecken . . . der wird nach wie vor von seinen Urtrieben geleitet, das ist also der Arterhaltungs und Selbsterhaltungstrieb und beide haben egoistische Motive, ich muß der andere nicht . . . so und damit müssen wir von runter eher funktioniert das mit dem Sozialismus nicht . . . weil wenn da wieder eine Kaste rankommt, die mit mal auch nur wieder an sich denken oder an ihr Umfeld, das hat man eben bei den Kommunisten gesehen . . . ne eigne Führungskaste, die auch um diesen Macht . . . diese Macht, die sie einmal hatten, vielleicht auch zum Teil demokratisch noch bekommen haben, dass sie diese Macht nachher mit allen Mitteln . . . allen schlechten Mitteln verteidigen . . . eben auch zu Diktatur werden und das ist das, was mich also nicht von der kommunistischen Idee trennt, aber von dem, was die Leute draus gemacht haben . . . und wenn jetzt einer sagt, ich bin bekennender Kommunist und sagt . . . ja was meint er denn damit? Meint er die gute Idee, die gar nicht schlecht ist? Oder nur, weil er aus Tradition so gewesen ist? Oder geworden ist, oder weil er sich unterdrückt gefühlt hat und so weiter.

J.M.: Haben sie Kinder?

W.T.: Ja.

J.M.: Wie denken die so?

W.T.: Ja die, meine Tochter hat sich da ne ganze Zeit lang auch, mit beschäftigt, die hat aber jetzt über Freunde und Bekannte eine Richtung . . . eingeschlagen . . . nicht politischer Art . . . politisch ist sie ok . . . da ist sie meiner Meinung nach auch auf den sozialen Bereich . . . sie ist nun in ein Gebiet durch Freunde reingekommen, wo ich nun gar nichts von halt, sie ist in ner freikirchlichen Gemeinde und mit Kirchen hab ich nichts am Hut. Ist egal mit welchen . . . welchen Glauben auch immer, das ist . . . man muß das glauben und nichts ist bewiesen . . .

J.M.: Ist die hier in diesem Haus groß geworden?

W.T.: Ja, ja . . . aber sie wohnt jetzt in Itzehoe . . . ne das ist durch Schulfreundinnen und so weiter . . . ist sie da mitn mal gelandet. Gut . . . Die freikirchlichen Gemeinde sind ja keine schlechten Menschen, aber . . . eben diese, was jede Religion für sich in Anspruch nimmt . . . diesen sogenannten Alleinvertretungsanspruch . . . wir sind die einzig richtige Religion, das lehne ich ab . . . und ich glaub an keinen Gott, an kein überirdisches Wesen, wer dran glauben soll . . . soll er von mir aus, aber er soll nicht von mir verlangen, daß ich das auch tue . . . Das ist eine Sache, wie ich in die Lehre kam, mußte ich ja ne Steuerkarte . . . Lohnsteuerkarte haben . . . Ortsamt in Farmsen und ich sag Steuerkarte . . . ja und in welcher Kirche sind sie ich sag in gar keiner, schreibt sie was hin fertig, krieg meine Steuerkarte als Lehrling war man ja . . . hatte man immer so wenig, daß man keine Kirchensteuer bezahlte . . . ich kriegte meinen ersten Gesellenlohn für drei Tage oder so, das war immer . . . monatliche Abrechung, aber nen wöchentlichen Abschlag . . . und da stand mitten mal 11 Pfennig Kirchensteuer . . . da war ich aber verdammt noch mal . . . 11 Pfenning, ich rauf, Werkstattschreiber, hier Lieschen da stimmt was nicht, ich bin doch gar nicht in der Kirche, . . . guckt sich an, ja . . . ruf ich mal im Lohnbüro an . . . sagt der im Lohnbüro, auf der Steuerkarte steht aber lt. . . . das heisst evangelisch-lutherisch und ich sag ja hab ich . . . dann hatten die da einfach das falsch reingeschrieben. Ich sag, in zwei Wochen hab ich Nachtschicht, dann hole ich mir die Steuerkarte und dann hin. Komm ich hin. Ich sag ich möchte gerne hier den Irrtum aufklären und möchte das geändert haben. Ja, sind sie denn nicht? Ich sag, nein, nein bin ich nicht, ja dann möchte ich mal ihre Austrittserklärung sehen. Ich sag, ich . . . sind sie Mitglied im HSV? Nein. Und wo ist ihre Austrittserklärung? . . . Ja, nun das ist ja ganz was anderes. Ich kann das nur ändern, wenn ich ne Austritts . . . Ich sag, ich bin in den Verein nicht eingetreten . . . ich bin weder getauft noch konfirmiert worden, meine Eltern haben . . . zu meinen Cousins auch alle gesagt . . . ab 16 bist du religionsmündig und dann kannst du machen, was du willst, wir lassen alles offen, wir machen nichts. Das ist ja praktisch ne Bevormundung, wenn man einen tauft und in die Kirche steckt, ohne zu wissen, ob er das nachher will. Das haben die . . . meine Eltern, Detlev und die auch alle nicht, meine Cousins, ich bin da nicht eingetreten, ich bin nicht getauft nicht konfirmiert, das möchte ich geändert haben, ich geh hier nicht eher raus . . . Ne das darf ich nicht, ich hab so meine Vorschriften, ich sag, dann haben sie doch sicher noch einen Vorgesetzten, vielleicht hat der nen anderen Spielraum . . . Ermessensspielraum . . . telefoniert sie einen Augenblick, später kommt er rein, da war das älteste Bruder meines Gruppenleiters bei den Falken . . . da sagt er was machst Du denn hier? Ich sag, hier so und so, schilder ich ihm das, ja sagt er, machen sie ne Notiz er hat glaubhaft versichert, daß er nicht und dann ändern sie die Karte . . . und dann ging das. Laut Anordnung von. Dann hat sie das hingeschrieben und hat das geändert . . . Wir waren von der Tochter da raus gekommen . . . also ich hab mit Kirche nichts am Hut, wobei die durchaus gute Sachen machen, nur was ist im Namen des Glauben alles für Unrecht geschehen auf der Welt und geschieht noch. Obs nun heutzutage noch Kindermißbrauch oder sonstwas ist . . . aber alles im Namen des Glaubens und der Religion und was weiss ich nicht, ist sind auch nur Menschen . . . Der Oberbeerdigungskasper da in Rom . . . ne der . . .

J.M.: Ich hab ja jahrelang diesen Witz erzählt . . . als dann vor drei Jahren . . . den kennen sie bestimmt auch . . . den mit dem Snickers und mit dem Mars. Der Witz ist uralt, ich glaub ich hab den schon von meinem Vater übernommen . . . da macht ein . . . Pastor geht in Urlaub, der Küster, also der die Glocken da ziehen muß, der macht sozusagen die Vertretung, bei der katholischen Kirche, also auch den Beichtstuhl, und er hat ihm alles gesagt, was so gibt, so viel dafür, so viel dafür . . . fünf Rosenkränze beten und so, naja und jedenfalls sitzt er denn im Beichtstuhl und denn sagt denn der da im Beichtstuhl sitzt . . . also ich hab Analverkehr gehabt . . . guckt er in seine Liste . . . Analverkehr hat er überhaupt gar nicht und denn kommen da zwei Jungs, so Messdiener vorbei und die fragt er denn . . . und sagt was gibt denn der Pastor bei Analverkehr? Mal ein Snickers, und mal nen Mars. Diesen Witz habe ich jetzt . . . nen Snickers? ein Schokoladenriegel, jahrelang erzählt und hatte nicht gedacht das das so realistisch ist . . .

W.T.: Mal nen Snickers mal ein Mars. Nein, den hatte ich noch nicht gehört.

J.M.: Der war uralt. Als das rauskam irgendwie . . .

W.T. : Ja, ja sowas gibt es . . . Ja da ist viel Schindluder gemacht worden von Gläubigen, die Wunder wie hoch stehen und von der Moral her und selbst . . . also deswegen ist das nicht mein Verein.

Muß jeder selbst wissen.

J.M.: Ich bin mal eingetreten, also mit . . . meine Eltern hatten mir das auch freigestellt . . . ich war dann irgendwann überzeugt . . . ich glaub mit dreizehn oder vierzehn habe ich mich taufen lassen und dann auch kirchlich geheiratet . . . und dann 1971 bin ich dann wieder ausgetreten.

W.T.: Ich hab in der Schule hatten wir ja Religionsunterricht und wir konnten uns befreien lassen und dann sagte mein Onkel, du kannst jederzeit den Zettel kriegen, aber hör dir das ruhig mal an, dann hab ich mir das zweimal angehört, und denn hab ich gesagt ne, nächstes mal bring ich nen Zettel mit, ich möchte nicht mehr, wieso denn nicht? . . . Ich sag ne, ich möchte Religionsunterricht haben, kein Konfessionsunterricht, ich möchte wissen, welche Religion gibt es auf der Welt, was sind deren Ziele und und und und wie sind die strukturiert aufgebaut . . . undsoweiter, das möchte ich wissen, ich möchte nicht hier das Vaterunser auswendig lernen . . . oder die zehn Gebote . . . eins kann ich sowieso nicht unterstreichen, das ist das das der Alleinvertretungsanspruch, du sollst keinen anderen Herren oder so irgendwie . . .

J.M.: Das haben die aber alle.

Hinweise: Käthe Tennigkeit, geb. Schlichting, geb. am 2. April 1903, ermordet am 20. April 1944 im KZ Fuhlsbüttel. Richard Tennigkeit, geb. am 5. 09. 1900 ermordet am 12. Dezember 1944 im KZ Neuenamme.

Otto F. Wildgruber Reklame
Reklame Otto F. Wildgruber Ludwigstrasse 1985 Ludwigstrasse Ecke Schanzenstrasse

Jens Meyer 20.05.2020 /Aufgenommen am 29. März 2011,

Durchgesehen 10. Februar 2020 Foto Jens Meyer (1985)

„Da es grade Krieg war . . .

forderte er zum Durchhalten auf.“ Ein Text aus der LBB (LichtBildBühne) Berlin vom 16. August 1930 von David Melamerson: Abschrift aus der LichtBildBühne (LBB) vom 16. August 1930, Verlag Karl Wolffsohn Berlin. 2. Beilage

HUMMEL! HUMMEL!

Von D. Melamerson. (ist: David Melamerson, Deulig/Ufa). „Der bekannte Verleihfachmann, der bekanntlich aus Hamburg stammt, plaudert auf unsere Aufforderung aus seinen Hamburger Erinnerungen.

Hamburg, der Film und ich sind drei Begriffe, die für mich wenigstens nicht zu trennen sind. In Hamburg bin ich nämlich aufgewachsen und habe auch die Anfänge des Films mitgemacht. Ich weiß noch genau wie es war :

Ich besuchte die Vorschule. Hatte gerade gelernt, Anschlagsäulen und ähnliches zu studie- ren, als ich eines Tages las, daß in einer Automaten Ausstellung in der Kaiser-Wilhelm-Strasse der „erste Film“ gezeigt wird. Meine Eltern gingen mit mir hin. Es war ein herrlicher Film. Ein Schiff kam an, landete, fuhr ab und damit war der Bildstreifen zu Ende. Es war mir unbegreiflich, daß sich Menschen auf der Leinwand bewegen können – und das obendrein in einer Stadt, dessen Bewohner als „steif“ verschrien sind. Und bereits damals sollte ich spüren, daß die Hauptrolle im Film – und das hat sich bis heute nicht geändert – der Zufall spielt, denn, wie sich allerdings erst 20 Jahre später herausstellte, in der gleichen Automaten-Ausstellung war auch ein Apotheker, der eigentlich in Hamburg nichts zu suchen hatte, da er aus dem Rheinland stammte und dieser Apotheker wurde später mein Kollege bei der Ufa und ist es jetzt bei der Terra: Eugen E. Schlesinger. Diese erste Begegnung mit dem Film war für mich entscheidend. Ich konnte tagelang vor Aufregung nicht schlafen. Mein Verlangen, weitere Filme zu sehen, war brennend! Es dauerte zwar einige Jahre, bis ich endlich den zweiten Film zu sehen bekam, aber da man damals um die Jugend nicht so besorgt war wie heute und man nicht die ominöse Aufschrift kannte „Für Jugendliche unter 18 Jahren verboten“, stand dem nichts im Wege, daß ich als kleiner Gymnasiast Messters ersten Film mir ansah. Kinos gab es noch nicht und so ging man in das Hansa-Theater, zu jener Zeit das führende Varieté Europas, wo es am Schluß den ersten Film – und zwar sogar Tonfilm – gab.

(Hier ist ein Bild vom Knopfs Lichtspielhaus eingefügt.) (Allerdings duldete man es, daß die Musik hinter der Leinewand von einem Grammophon gemacht wurde. Sie werden begreifen, daß diese Art Tonfilm bald ihr Ende fand). Der Star war Robert Steidl, dessen Couplet: „Wenn Kalkulators in die Boomblüte ziehn“ seinerzeit nicht weniger Beifall fanden, als etwa heute: „In bin von Kopf bis Fuß“. Die Leute waren begeistert und ich klatschte wie wild. Und Messter erschien nachher persönlich auf der Bühne. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte ich das Kino nie wieder verlassen, aber die Schule nahm mich zu sehr in Anspruch und so konnte ich „nur“ drei- bis viermal wöchentlich in das bald begründete einzige Kino „Knopfs Lichtspiele“ auf dem Spielbudenplatz gehen. Die Kinobesitzer mußten damals ihre Filme käuflich erwerben. Es war daher ein „Repertoire-Theater“. Den „Gallischen Hahn“, die Schutzmarke Pathés, bekam man immer wieder zu sehen, denn die Filme waren nur kurz. Dazu spielte ein Orchestrion mit drei Stücken ohne Rücksicht darauf, was auf der Leinewand vorging, und die Ouvertüre von „Dichter und Bauer“ mußte lange dazu herhalten, jeden Film, gleichgültig welcher Art, zu begleiten. Noch heute kann ich „Dichter und Bauer“ nicht hören, ohne die untrennbare Vision des kleinen „Kintopps“ auf der Reeperbahn, vor dem ein Ausrufer „rekommandierte“ und wo es alle halbe Stunde hieß: „Billet A-E ist abgelaufen“ zu haben. Der Abschluß des Kinobesuches war auch stets der gleiche: Am Büfett ein Glas Limonade für 10 Pfennig. Der Film nahm einen schnellen Aufschwung. Die Zahl der Kinos vermehrte sich um 200 % und so gab es bald Hamburg d r e i Lichtspiel-Theater eines hieß das „Belle-Alliance-Theater“, das andere „Atlantik“, in der Nähe des Hauptbahnhofs gelegen, und gehörte damals dem späteren Ufa-Direktor Pulch. An der weiteren Entwicklung des Films hatte ich keinen Anteil, denn Schule und Studium waren mir doch wichtiger. Wie es beim Film üblich ist, kommen doch schließlich die im mittleren Akt Getrennten am Schluß wieder zusammen und so ist es nur eine Selbstverständlichkeit, daß ich mich dem Film verband. – Da mir noch immer die Leinwandfiguren aus der Automaten-Ausstellung vor Augen standen, wandte ich mich der Produktion zu. Selbstverständlich hieß mein erster Film und spielte „An der Waterkant“ und zeigte Bilder aus Hamburg. Da es grade Krieg war, forderte er zum Durchhalten auf. Die Hauptrollen verkörperten die Gebrüder Wolff (Snuten und Poten!) und der Film ging sogar durch ganz Deutschland. Bei den Aufnahmen dazu entstanden auch etliche Beiprogrammfilme für die Deutsche Lichtbild-Gesellschaft, die den Hamburger Hafen und das Alster Viertel zeigten. Zwischendurch machte ich auch die persönliche Bekanntschaft eines Kino-Direktors – nicht etwa im Kino oder im Büro der Produktion, sondern bei einem Fußball-Club, dessen Mitglieder wird beide waren. Es war ein wagemutiger Süddeutscher, der auf „Hoheluft“ ein Kino besaß „Die Blumenburg“. Steigerwalds Wagemut wurde belohnt. Und noch heute spielt er eine führende Rolle unter den Theaterbesitzern nicht nur seiner Adoptiv-Heimat und des Norddeutschen Bezirkes, sondern des ganzen Reiches. Wer hätte das von dem „Schaddedirektor“, so wurde er ursprünglich ironisch genannt, weil man im Film nichts anderes als ein Schattenspiel sah, gedacht? In Hamburg entstand dann das erste wirklich große und moderne Lichspielhaus Deutschlands, das „Lessing-Theater“. Die Erbauer und ersten Besitzer eilten ihrer Zeit weit voraus und gingen daran später kaputt, zumal sie – wiederum

(Hier ist ein Foto von Hugo Steigerwald in den Artikel eingefügt)

ihrer Zeit weit vorauseilend – die jetzigen Kammer-Lichtspiele in Berlin errichteten. An ihre Stelle trat später der alte Herr Henschel, der mehr als ein Dezennium dem Kinoleben Hamburgs seinen Stempel aufdrückte. Sein Werk wird, nachdem sein einziger Sohn ihm durch den Krieg entrissen wurde, fortgesetzt von seinen Schwiegersöhnen Streit und Saß. Und heute noch ist der „Henschel – Konzern“ der Ring der großen Schauburgen, das größte Kinounternehmen Hamburgs. „Knopfs Lichtspielhaus“ aber gehört der Emelka und immer, wenn ich in Hamburg bin und „Auf der Reeperbahn nachts um ½ 1“ die Stätte unseres harmlosen Jungen-Vergnügens passiere, gedenke ich der gewaltigen Entwicklung des deutschen Filmes in dieser kurzen Spanne Zeit und bin stolz darauf, als Hamburger zu meinem bescheidenen Teile an diesem geradezu senkrechten Aufstieg habe teilnehmen dürfen.“ (Der Artikel von David Melamerson ist erschienen in der LBB am Sonnabend, d. 16. August 1930. Die Statistik sagt: Hamburg hat im Jahr 14 Millionen Zuschauer im Kino. Das kleinste Kino hat 154 Sitzplätze, das grösste 2600 Sitzplätze). Abgeschrieben von Jens Meyer.