Briefe an Wiebeke (XXV) (Die Dackelfüße für die Wasserwaage)

Romische Zahlen am BUG

Hallo Wiebeke,

PDF Briefe an Wiebeke (XXV) (Die Dackelfüsse für die WasserwaageZeichen 8.855)

ja, das ist so eine Sache. Und wie ich darauf komme? Naja. Wer 1964 eine handwerkliche Ausbildung begonnen hatte, dem wurden bestimmte Aufgaben gestellt, um zu prüfen, ob es der Lehrling auch Wert war, ausgebildet zu werden. Wer als Klempnerlehrling angefangen hatte, der konnte mit den Dackelfüßen punkten. Die anderen wurden zur Werkzeugausgabe geschickt, um die Gewichte für die Wasserwaage zu holen. Heute gibt es Suchmaschinen, die einem die Dackelfüße erklären.

Na zuallererst sind es die Schreibfehler, die uns immer wieder in die Irre führen. Du erinnerst Dich, wie die Rechtschreibhilfe aus einem Urich einen Ulrich gemacht hat?

Ja, so ähnlich ist es auch mit der Rhythmographie. Das wäre eine gute Fernsehquizfrage: Wieviele „has“ sind in Rhythmographie? Die richtige Antwort lautet: Manchmal zwei und manchmal drei. Da kommt so einiges zusammen. Wenn mein Freund Peter O. nicht wäre, die Pandemie und die viele Zeit, die man dadurch hat, dann wäre das alles weiter im Dunkel.
Aber jetzt ist alles hell. Manche Sachen sind weiterhin nebelig und unklar.

Naja. Vielleicht fange ich doch mal vorne an. Du erinnerst Dich an die Deutsche Fassung von »Im Westen nichts Neues?« Da hat es bei mir angefangen. Ich hab sie nicht gezählt, die Dissertationen und Hausarbeiten, die über die Herstellung dieses Filmes verfasst wurden.

Es gibt eine Methode, mit der ich glaube, herausfinden zu können, wie ich begreifen kann, wenn ich etwas nicht verstehe. Die beste Methode in Bezug auf meine Person ist, den Versuch zu unternehmen einer anderen Person, die es genauso wenig versteht wie ich, eine Sache zu erklären.

Hast Du diese Methode auch schon mal ausprobiert? Wenn der Versuch geglückt ist, was manchmal vorkommt, dann verstehe ich hinterher auch selber einen Vorgang, den ich vorher selbst nicht verstanden habe.

Im Netz hatte ich den Hinweis gefunden, das die Deutsche Fassung des Filmes von Lewis Milestone 1929 in Berlin hergestellt wurde. Die Angaben, die dort genannt wurden, habe ich überprüft. Alles korrekt.

Bis auf eine entscheidenende Kleinigkeit, die aber doch eher nebensächlich ist: Die Anschrift der Firma, die diese Fassung angeblich hergestelllt haben soll, lautet »Am Halleschen Ufer«.

Eine Hausnummer fehlt. Wer, so wie ich, mal in Berlin Zeitungen ausgetragen hat, weiß wie chaotisch das System der Straßen und ihrer Nummernvergabe ist. Viele Straßen gibt es mehrfach in den verschiedensten Ecken der Stadt. Vermutlich ist deshalb die Hausnummer vom Halleschen Ufer weggelassen worden.

Meistens hat alles einen Grund. Jedenfalls habe ich die infrage kommenden Jahre durchgesehen und keine Rhythmographiefirma in dieser Straße gefunden. Wo er oder sie das wohl abgeschrieben hat?

Die Quelle der Adressbücher: Nur um den Nachwachsenden zu helfen, die solche Adressbücher gar nicht mehr kennen: Es gab in den Zeiten, die schon lange vergangen sind, mindestens zwei Sorten Adressbücher:

1. Sortiert: Das eine Mal nach den Nachnamen der Bewohner und das 2. andere Mal nach den Hausnummern, von den Häusern, in denen diese Bewohner wohnen. Namentlich. Natürlich fehlt auch die Angabe des Stockwerks nicht.

Sogar der Besitzer oder die Besitzerin des Hauses wird bis 1970 mit einem Kürzel (E) oder (+) angegeben. Manchmal sogar mit seinem oder ihrem Wohnsitz. Sehr hilfreich. Dennoch braucht es zur Suche viel Geduld. Bestimmte Eigenheiten brechen in Berlin immer wieder durch. Die »Alte Jacobstraße« findet sich nicht, wie man annehmen könnte, unter dem Buchstaben A, sondern unter dem Buchstaben J: wie Jacobstrasse, alte. Daraus wird jedoch in Berlin keine Regel. Mal so, mal so.

Sonntags gab es in den Berliner Zeitungen die Wohnungsanzeigen. Bei den anstehenden Wohnungsbesichtigungen ist es mir mehrfach gelungen, zwar in der richtigen Straße, aber im falschen Bezirk zu landen. Wir sind dann im Horstweg, im Falkplan, den auch keiner mehr kennt, im Planquadrat K 14 gelegen, gelandet. In der deutschen Geschichte gibt es eine Menge Horste, deren Rufe oft nicht gut sind. Den Horstweg gabs es nur einmal in Berlin. Welcher Horst der Namensgeber war, habe ich nie nachgesehen. Bleibt nur noch anzumerken, daß in der Anzeige von einem »Gartenhaus« zu Lesen war. Eine sehr romantische Vorstellung hatte sich bei mir eingeschlichen. Pustekuchen. Von wegen Garten.

Noch mal zurück zur Numerierung. Auch mit der Art zu Zählen ist es in jedem Stadtteil in Berlin anders: Mal grade und mal ungerade Zahlen auf verschiedenen Seiten, mal auf der einen Seite runter und auf der anderen rauf, sodaß es passieren kann, das die Nummer 300 und gegenüber, auf der anderen Straßenseite der Nummer 1 dieser Straße ist. Dann passiert es auch noch, das eine Zählweise in einer Straße wechselt, wenn die Straße in einen anderen Stadtteil kommt. Dieser Wirrwarr setzt sich natürlich auch in dem Scherl Adressbüchern von 1919 – 1945 fort.

Es gibt und gab zwar die Straße: »Hallesches Ufer«, aber keine Straße mit Namen: »Am Halleschen Ufer«. Vorsichtshalber wurde in der Veröffentlichung der vergessenen Filme keine Hausnummer genannt. Im Straßenverzeichnis der Straße „Hallesches Ufer“ aus den Jahren 1929, 1930, 1931 und 1932 habe ich keinen Eintrag einer Firma gefunden, die irgendwas synchronisiert hat. Das „Hallesche Ufer“ geht von der „Belle Alliance Brücke“ bis zur „Schöneberger Straße“.

Aber Du willst ja auch keine endlose Vorträge lesen. Also, Sprung nach vorn: Ich habs gefunden, was ich gesucht habe! Zunächst mit Hilfe meines Freundes Peter O. Sein Ratschlag war folgender: 1. Eine Suchmaschine. (Ich hab searx.org gewählt, die gefällt mir zurzeit am besten, die ist nicht so neugierig, wie die anderen). 2. In die Suchmaschine eingeben: Deutscher Reichsanzeiger. Dann erscheint die Universität Mannheim. Sehr praktisch mit dem Suchfeld. 3. Eingeben: Lüdtke Rohnstein. 4. Es erscheinen zehn Hinweise u. a. Dt. RAnz 1933 , S. 258/7. 5. DtRAnz 1938, S. 40/6. Diese Kurzhinweise sind elektronisch gelesene und ausgedruckte Texte aus dem Reichsanzeiger zu dem eingegebenen Suchbegriff. Um den ganzen Text, der zu diesen Auszügen gehört, lesen zu können folgt: 6. zurück zu Pkt. 2. (s. oben) 1. Links zur Digitalausgabe, Ausgabe nach Jahr anklicken; hier kannst Du jetzt den gesamten Text lesen; S.= Seite, die Zahl hinter dem Schrägstrich, vermute ich, ist die Spaltenangabe, weiß ich aber auch nicht genau. Ich grüße, Peter O.

Ich fand den Text sehr hilfreich und habe ihn mir ausgedruckt und neben den Bildschirm gehängt. Du brauchst das vermutlich gar nicht. Für Dich sind das gewiß Olle Kamellen. Auf diese Weise ist es mir gelungen die Anmeldung der Firma: Rhytmographie Gesellschaft mit beschränkter Haftung vom 30. November 1929 auf Seite 3 unter der Nr. 43259 zu finden. Abschrift Text: “Rhytmographie Gesellschaft mit beschränkter Haftung, Sitz: Berlin. Gegenstand des Unternehmens: Die Verwertung von gewerblichen Schutzrechten und Anmeldungen auf dem Gebiete der Rhythmographie (!), d. h. dem Gebiet der Aufnahme und Wiedergabe von rhythmischen Bewegungsfolgen phonischer und optischer Art. Stammkapital 75 000 RM. Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Der Gesellschaftsvertrag ist am 16. September 1929 errichtet und am 14. November geändert. Sind mehrere Geschäftsführer bestellt, so erfolgt die Vertretung durch zwei Geschäftsführer in Gemeinschaft mit einem Prokuristen. Zum Geschäftsführer bestellt ist: 1. Ingenieur Karl Robert Blum, Berlin, 2. Kaufmann Karl Egon Martiny, Berlin, 3. Ingenieur Walter Hahnemann, Berlin Auffällig finde ich, das in der Eintragung im Handelsregister zwei verschiedene Schreibweisen nebeneinander bestehen. Im Scherl Adressbuch von 1931 von Berlin habe dann auf Seite 444 den Eintrag gefunden: Rhythmographie G.m.bH., Phono – u. Kinotechn. Ind. SW 68, Alte Jacobstr. 133. Die Angabe, wann der Redaktionsschluß für diese Ausgabe 1931 war, konnte ich in dem Adressbuch nicht finden. Ein ähnliches Adressbuch aus dem gleichen Jahr aus Karlsruhe gibt als Redaktionsschluß für die 1931 Ausgabe den 15. Oktober 1930 an. Man kann also davon ausgehen, dass die Firma Rhythmographie GmbH diese Räume in der Alten Jacobstraße 133 schon 1930 bezogen hatte. Einen weiteren Eintrag aus dem Handelsregister fand ich über die gleiche Seite im Netz. Der Eintrag ist vom 19. Juni 1930. Unter der Nummer 43259 ist der Text veröffentlicht: Rhythmographie Gesellschaft mit beschränkter Haftung Dem Erich Radsack in Berlin und dem Dr. Willi Matthias in Berlin Lichterfelde=Ost ist Prokura erteilt, daß jeder berechtigt ist, die Gesellschaft gemeinsam mit einem Geschäftsführer zu vertreten. Karl Egon Martiny ist nicht mehr Geschäftsführer. Eine weitere Eintragung findet sich im Telefonbuch von Berlin in der Ausgabe 1931 auf Seite 157 (Branchen Telefonbuch) Rhythmographie G.m.b.H., SW 68 , Alte Jacobstr. 133. T. A 7 Dönh. 3272 Wann Konrad Paul Rohnstein nach Anfertigung seiner Doktorarbeit nach Berlin umgesiedelt ist, konnte ich nicht herausfinden. Ein erster Eintrag findet sich im Telefonbuch von 1927 (Vermutlicher Redaktionsschluss 15. Oktober 1926).

PDF Lüdtke RohnsteinBriefv23041934

Da er sich als Dr. rer. pol. ins Telefonbuch eintragen lässt, ist zu vermuten, das er diesen Titel also zu diesem Zeitpunkt bereits hatte. Im Netz habe ich Teile seiner Dissertation (Beiträge zur wirtschaftlichen Entwicklung der deutschen Filmindustrie, Universität Würzburg 1922) lesen können. Er beschäftigt sich dort keineswegs mit technischen Fragen der Filmherstellung. Der Eintrag lautet: Rohnstein, Paul. Dr. rer. pol. Falkenhagener Str. 7, Spandau, T 22 42.

Unter der Nr. 78867 ist am Freitag , d. 3. November 1933 im Handelsregister eingetragen: Lüdtke, Dr. Rohnstein & Co., Berlin, Offene Handelsgesellschaft seit 9. August 1933. Gesellschafter sind: Kaufmann Alfred Lüdtke, Produktionsleiter, Dr. rer. pol. Konrad P. Rohnstein und Ingenieur Erich Luschnath, sämtlich Berlin. Zur Vertretung sind nur je zwei gemeinschaftlich ermächtigt.

Aus den Adressbüchern kommen noch ein paar Erkenntnisse, die sozusagen nebenbei entstanden sind:

Die Wohnanschrift von: Alfred Lüdtke, Kaufmann, Cöpenick, Flemingstr. 16- 17 II. Stock. Max Bing, Regisseur, Charlottenburg, Dernburgstr. 45, (Mitarbeit an der Deutschen Fassung von »Im Westen nichts Neues«) Viktor Abel, Dramaturg, bei der UFA 1933 entlassen, weil er Jude war. Er leitete die Synchronarbeiten der deutschen Fassung von »Im Westen nichts Neues«.

Es gibt einige neue Erkenntnisse und viele neue Vermutungen. Immer wieder stelle ich fest: Da wären doch noch viele Fragen gewesen, die man hätte stellen können, die aber offensichtlich nicht gestellt wurden.

Bei Wikipedia gibt es das Geburtsdatum von Konrad Paul Rohnstein. Offensichtlich hat die Neugier nicht gereicht um bis 2022 herauszufinden, wann er gestorben ist. Im Netz gibt es eine Angabe von einer Barbara mit dem selben Nachnamen, die ebenfalls mal in Berlin Spandau gewohnt hat. Auch die wurde vermutlich nicht gefragt, ob sie vielleicht die Tochter von Konrad Paul Rohnstein (geb. 1900) ist . Ich hoffe nur, daß ich nicht zu viele Abschreibefehler gemacht habe. Aber die wirst Du dann ja sicher finden, so wie immer, J.

Oskalyd Orgel

In die Schauburg am Millerntor wurde 1927 zu beiden Seiten der Leinwand eine Oskalyd Kino Orgel eingebaut. Die Oskalyd Kino Orgel war eine Erfindung von Dr. Oskar Walcker und Dr. Hans Lüdtke aus Berlin. Oskalyd ist ein aus den Namen Oscar Walcker und Hans Lüdtke zusammengesetzter Kunstbegriff, schreibt Wikipedia. Ich habe mir die Patente angesehen und bin aufgrund dieser Patente zur Überzeugung gelangt, das Wikipedia hier einen Treffer gelandet hat.

Eine weitere Erfindung von Dr. Hans Luedtke aus Berlin Tempelhof und dem Dipl.- Ing . Fritz von Opel in Berlin Charlottenburg (Patentnummer 604 495) betrifft die Anmeldung eines Patentes für: „Tastatur für Zwecke der Klangauslösung, der Klangaufzeichnung und für Registrierzwecke, insbesondere bei orgelartigen Instrumenten.“

Ein weiteres Patent (Nr. 603 202) hat Dr. Hans Luedtke aus Berlin Tempelhof für ein „Orgelartiges Musikinstrument“ angemeldet, das vom 17. Dezember 1930 ab im Deutschen Reich patentiert ist.

Es gibt meinerseits die Vermutung, das dieser Dr. Hans Lüdtke aus Berlin Tempelhof mit jenem Lüdtke identisch ist, der zusammen mit Dr. Konrad Paul Rohnstein als Besitzer der Firma: Rhythmographie GmbH, Berlin SW 68, Alte Jacobstr. 133 (Eintrag im Scherl Adressbuch von Berlin von 1930-1938, später habe ich nicht nachgesehen) genannt wird.

So ist das manchmal mit Vermutungen: Sie bleiben Vermutungen. Aber dann findet man doch irgendwann eine richtige Information. Die findet sich im Handelsregisterauzug vom 3. November 1933. Die Gründung einer OHG wird angezeigt: Unter der Nr, 78867: Lüdtke, Dr. Rohnstein & Co . Berlin: Offene Handelsgesellschaft seit 9. August 1933. Gesellschafter sind: Kaufmann Alfred Lüdtke, Produktionsleiter, Dr. rer. pol. Konrad P. Rohnstein und Ingenieur Erich Luschnath, sämtlich in Berlin. Zur Vertretung sind nur je zwei gemeinschaftlich ermächtigt. Diese Information verdanken wir der Universität Mannheim, die diese Daten ins Netz gestellt hat.

Eine weitere Vermutung meinerseits ist der Tatsache geschuldet, das dieser Lüdtke in der Firma Lüdtke, Rohnstein & Co nirgends einen Vornamen hinterlässt. Weiter könnte man vermuten, das dieser Lüdtke gar nicht existierte und sich eine andere Person dahinter verbirgt. Auch diese Vermutung war nur eine Vermutung, die sich nach weiteren Recherchen als falsch herausstellt.

Das hätte beispielsweise der Dramaturg Viktor Abel gewesen sein können, der laut Quellenlage einen großen Anteil an den Sychronarbeiten für den Film „Im Westen nichts Neues“ hatte.

I

Viktor Abel Antrag auf Ausstellung eines Bürgerausweises am 22.11.1940

Das ist doch gut wenn man Freunde hat. So einen wie Peter O., der den Deutschen Reichsanzeiger kennt, den die Universität Mannheim ins Netz gestellt hat. Der hat herausgefunden, das der Lüdtke, Alfred Lüdtke hiess. 1933 findet sich unter der Nummer 78867 am Freitag, d. 3. November 1933 folgender Eintrag im Deutschen Reichsanzeiger: „Lüdtke, Dr. Rohnstein & Co, Berlin. Offene Handelsgesellschaft seit 9. August 1933. Gesellschafter sind: Kaufmann Alfred Lüdtke Produktionsleiter, Dr. rer. pol. Konrad P. Rohnstein und Ingenieur Erich Luschnaht, sämtlich in Berlin. Zur Vertretung sind nur je zwei gemeinschaftlich ermächtigt. Auch Wiederholungen sind manchmal erlaubt.

Am 17. Februar 1938 ist unter der Nummer A 91847 eingetragen: Lüdtke & Dr. Rohnstein. Ingenieur Erich Luschnath, Berlin, ist aus der Gesellschaft ausgeschieden. Der Gesellschaftsvertrag ist geändert bez. Fortsetzung bei Tod oder Ausscheiden eines Gesellschafters. Kaufmann Erich Starke, Berlin, hat Prokura. Er vertritt gemeinschaftlich mit einem der beiden Gesellschafter Lüdtke oder Dr. Rohnstein. Bleibt nur noch herauszufinden, wann und von wem die Firma ursprünglich gegründet wurde.

Apropos Zensur (von Fritz Lang)

Die Freiheit der Leinwand

PDF Fritz Lang über Zensur

Diese erstaunlich aktuellen Bemerkungen zur Filmzensur in Amerika veröffentlichte Fritz Lang, der morgen 100 Jahre alt geworden wäre, im Dezember 1947   von Fritz Lang

(Wieder veröffentlicht in der Taz am 04.12.1990)

“Vor etwa zwanzig Jahren machte ich einen Film. Er hieß Frau im Mond und sollte den Flug einer großen Rakete durch den Weltraum, ihre Landung auf dem Mond und die anschließenden Abenteuer der Mannschaft bei der ersten Erkundung der Mondoberfläche zeigen. Es war ein Film über die Kühnheit des Menschen im Angesicht des Unbekannten. Er wurde von den Nazis aus dem Verkehr gezogen, und die Gestapo konfiszierte die Modelle meines Raumschiffs.

Willi Ley, einer meiner technischen Berater, flüchtete aus Deutschland, um in den Vereinigten Staaten Raketenexperte zu werden; Professor Oberth hingegen blieb und benutzte die Entwürfe bei der Entwicklung der teuflischen V2 – Bomben. Nicht immer sind die Folgen der Zensur so spektakulär.

Ich glaube nicht an Zensur. Es gibt Zeiten, zum Beispiel während eines Krieges, in denen sie geboten scheint, aber bestenfalls ist sie ein notwendiges Übel. Versuche einer Mehrheit oder einer Minderheit, der Masse des Volkes ein Denkmuster aufzuzwingen, führen nur zu allgemeiner Unwissenheit, Mißverständnissen und einem Desaster für alle, sowohl für die Möchtegernlehrer als auch die falsch belehrte Öffentlichkeit.

Freie Diskussion, die Hitze der Auseinandersetzung und die weite Verbreitung von Informationen sind das Lebenselixier einer Demokratie. Wir müssen stets auf der Hut sein, diese Freiheiten und Privilegien nicht in fremde Hände zu geben. Keine Gruppe kann das Denken für uns erledigen. Um mit Lord Acton zu sprechen: Macht korrumpiert, und totale Macht korrumpiert total.

Es scheint selbstverständlich, mündigen und gebildeten Bürgern die größtmögliche Vielfalt von Erfahrungen und Meinungen zu gewähren. Nur durch die Darstellung neuer Ideen kann unsere Zivilisation sich weiterentwickeln. Doch es liegt in der Natur der Sache, daß die Zensur das Unbekannte ablehnt. Zensoren gehen auf Nummer sicher. Im Namen von Gesetz und Ordnung und Moral weisen sie neuer diee Ideen als subversiv zurück.

Wir alle haben, in unterschiedlichem Ausmaß, eine bestimmte Antipathie gegenüber Veränderungen, die dem tiefsten aller Instinkte entspringt: dem Selbsterhaltungstrieb. Das trifft besonders auf ältere Menschen – sowohl konservative als auch liberale – zu. Ihre Ansichten, zu denen sie in früheren Jahren gekommen sind, als sie für Eindrücke besonders empfänglich waren, verhärten sich.

Wie sagte Michael Blankfort in einem seiner Romane: „Reform ist der Traum der Jugend und der Alptraum des Alters.“ Der Weg wahrer Sicherheit und echten Fortschritts liegt weder im blinden Annehmen noch in der uneingeschränkten Ablehnung neuer Ideen; diese müssen genau geprüft, auf die Probe gestellt und, wenn sie es wert sind, übernommen werden. Die Zensoren würden uns das Recht verweigern, das Neue zu erforschen. Zensur – sei es nun von Büchern, Theaterstücken oder Filmen – ist niemals ein wirkungsvolles Mittel im Kampf gegen soziale Mißstände, es sei denn im negativen Sinne.

In begrenztem Maße und für eine kurze Zeit verhindert sie vielleicht die Verbreitung von Ideen oder Plänen, die zu gefährlichen Reaktionen unter den Unmündigen, Ungebildeten oder Verantwortungslosen führen könnten. Doch die Menschen begegnen solchen Ideen nicht allein in Literatur, Theater und Film; sie sind ihnen im täglichen Leben ständig ausgesetzt.

Wenn man behauptet, daß solche Gedanken nicht existieren, und der Kunst die ehrliche Auseinandersetzung damit verwehrt, behandelt man die Zuschauer wie Kinder. Aber vielleicht ist das die Idee, die hinter der steht: das Publikum in einem Zustand der Unreife zu halten, damit es leichter zu beeinflussen und zu beeindrucken ist.

Zensur hat noch kein gesellschaftliches Übel behoben. Verbrechen sind verboten (zensiert!), aber sie verschwinden nicht aus dem Leben unserer Nation. Auch Krankheit oder Armut lassen sich nicht dadurch abschaffen, daß man wegschaut. Solche Übel sind zurückzuführen auf gesellschaftliche und wirtschaftliche Bedingungen; die Vorstellung, daß Menschen arm sind, weil sie faul sind, oder daß sie einfach aufgrund von Charakterschwächen kriminell werden, ist so überholt wie die Lehre von der Erbsünde, der sie entstammt.

Kriminalität läßt sich nicht bekämpfen, indem man sie verschweigt; vielmehr muß man ihre Ursachen erforschen und, wenn sie offengelegt sind, beseitigen. Das ist seit Urzeiten die Funktion des Theaters, das von den Konflikten zwischen Charakteren sowie zwischen Charakter und Umwelt lebt. Theater ist nur dann überzeugend, wenn die Motive des Handelns wirklich begriffen und gezeigt werden. Suchen wir also nach Motiven, und wenn wir ihnen nachgehen, werden wir die dringenden Probleme unserer Zeit und unserer Gesellschaft erhellen können. Hat der Filmproduzent mehr statt weniger Freiheit, wird er in der Lage sein, die Ursachen der Kriminalität zu beleuchten und den Weg für Reform und Fortschritt zu ebnen.

Angeblich mit der Absicht, das Publikum vor Obszönitäten zu bewahren, erschweren Zensoren häufig die offene Auseinandersetzung mit Sexualität; allzu oft besteht ihr Erfolg bloß darin, Sex lächerlich zu machen, indem sie ihn auf eine schmusige Angelegenheit zwischen Erwachsenen reduzieren. Zur Zeit werden die Kinder in der Schule offener und direkter mit sexuellen Themen konfrontiert als erwachsene Kinozuschauer.

Im Klassenzimmer hat man erkannt, daß Sexualität mehr ist als eine Anzüglichkeit; sie ist ein essentieller Bestandteil des gesunden Lebens einer Nation. Wie immer liegt die Gefahr nicht darin, die Wahrheit zu sagen, sondern Halbwahrheiten zu verbreiten.

Manchmal wird gesagt, Filme – als eine Form der Unterhaltung – sollten ernsthaftere Themen meiden. Wie Hollywood jedoch aussah, als das geschah, beschrieb der Kritiker Otis Ferguson folgendermaßen: “Witzemacher eilten herbei und bombardierten das Publikum mit Wortspielen und Situationskomödien, die nicht mehr waren als der clevere Abklatsch des gedämpften Lachens im Varieté.“

Echte, entspannende Unterhaltung kann niemals in einem Vakuum gedeihen; die Kunst Dostojewskis, Zolas, Dickens‘, Shaws und Hunderter anderer beweist das genaue Gegenteil. Filme müssen ihre Kraft aus dem Leben ziehen, denn nur als Abbild der sich ständig verschiebenden gesellschaftlichen Strukturen und Konflikte bleiben sie interessant, stimulierend und können, durch die Darstellung sozialer Probleme, Lösungen andeuten.

Die Anhänger der Zensur sind der Ansicht, die Masse des Volkes sei unmündig. Sie meinen, daß die Menschen aufgrund mangelnder Bildung in Bereichen wie Politik, Gesellschaft oder Sexualität nicht in der Lage sind, sich dem schädlichen Einfluß von Büchern, Theaterstücken etc. zu entziehen, die mit politischen oder einfach pornographischen und kommerziellen Hintergedanken geschrieben wurden.

Es ist pure Heuchelei zu behaupten, daß die Allgemeinheit unreifer sei als jene, von denen sie regiert wird – insbesondere diejenigen, die ohne jedes öffentliche Mandat ihren Weg in die Zensurbehörden finden.

Die von einer Minderheit diktierte Zensur von Ideen ist etwas ganz anderes als die von der Mehrheit des Volkes getragenen Gesetze gegen Obszönität; und es muß betont werden, daß Unsittlichkeit und Pornographie im Film denselben gesetzlichen Verboten unterliegen wie Cartoons, Bücher, Bühnenshows und Zeitschriften.

Wo der Geschmack oder die Moral verletzt werden, hat die Polizei die Macht einzuschreiten, und das Publikum wird von den Gerichten ausreichend geschützt.

Es gibt eine Gruppe in der Gesellschaft, die für die Einflüsse von Kinofilmen besonders empfänglich ist, nämlich die Kinder und Jugendlichen, deren Status eine genauere Betrachtung erfordert.

Kinder sind sehr phantasievoll, offen für neue Ideen und haben wenig Rüstzeug, um die tiefere Bedeutung des Gesehenen zu verstehen. Darum brechen die Zensoren nur allzu gerne eine Lanze für sie; mit billigen Phrasen wie „Gift für die Gedanken der Jugend“ verunklaren sie die ganze Angelegenheit. Untersuchungen von Psychologen und Sozialarbeitern haben gezeigt, daß die Befürworter der Zensur die möglichen Gefahren für Kinder bei gewöhnlichen Filmvorführungen überbewerten.

Sie belegen, daß Kinder im Kino vor allem das aufnehmen, was ihnen aus ihrer Umgebung bereits bekannt ist. Die Studien zeigen auch, daß der gefährlichste Effekt von Filmen mit den Aspekten der gegenwärtigen Zensur gar nichts zu tun hat. Das Gefährlichste an ihnen ist vielmehr die Schaffung einer Traumwelt, in der es Belohnungen ohne die entsprechenden Anstrengungen gibt und angesichts derer die Kinder den wirklichen Lebenskampf nicht begreifen lernen. Sexuelle Anspielungen sind für sie eher langweilig als aufregend, erst für Jugendliche wird die sexer dieuelle Komponente wichtig.

In einigen Ländern, wie zum Beispiel in England, löst man das Problem, indem man Filme als für Kinder geeignet oder ungeeignet kategorisiert. Gegen ein solches Schema spricht der unterschiedliche Reifegrad von Kindern desselben Alters, so daß die Festlegung eines bestimmten Alters, etwa von 16 Jahren, höchst willkürlich erscheint. Kontrolle durch die Eltern, auch eine Art Zensur, erfordert eine ausreichende Betreuung der Familien. Die Crux der Sache liegt darin, das Bildungs- und soziale Niveau so zu heben, daß die Kinder in einem aufgeklärten Zuhause aufwachsen.

Es kann nur katastrophal ausgehen, wenn wir wirklich eine Generation heranziehen, die mit den Realitäten des Lebens nicht vertraut ist; die, irregeführt von verlogenen Heile-Welt-Filmen und -Büchern, glaubt, daß die Welt ein Rosengarten sei, in dem alle Menschen entweder gut und vertrauenswürdig sind oder andernfalls ein böses Ende nehmen.

Das Wort “Zensor“ stammt von den Römern, aber Zensur gab es schon in vorrömischen Zeiten. Sokrates wurde ihr Opfer, bevor der Römische Senat zwei Zensoren ernannte, die über Sitten und Moral des Volkes zu wachen und Verstöße zu ahnden hatten. Damals war kein Einspruch möglich; die Zensoren hatten absolute Macht.

Ein altes lateinisches Sprichwort mag uns heute als Warnung dienen: „Quis custodiet ipsos custodes?“ – Wer soll über diejenigen wachen, die uns überwachen? Die Antwort muß lauten, daß wir als die spätere Generation über sie wachen. Wir sahen, wie sie Milton knebelten; wir sahen, wie sie Kopernikus denunzierten und Galilei einsperrten; wir sahen, wie all die Eiferer von Savonarola bis Hitler Verunstaltungen und Verstümmelungen vornahmen und Freudenfeuer aus Büchern entfachten. Den Qualm dieser Feuer haben wir immer noch in der Nase.

Ich glaube nicht an Zensur. Die gesamte Geschichte spricht gegen sie, jeder gesunde Menschenverstand straft sie Lügen. Als Amerikaner und aktiver Filmschaffender habe ich ein besonderes persönliches Interesse an der Entwicklung der Filmzensur in den Vereinigten Staaten.

Ausgehend vom unvollkommenen Zustand der Welt, wäre es unsinnig zu behaupten, daß unsere Zuschauer alle gleichermaßen vernünftig oder gebildet sind oder daß Filmemacher immer kreative Künstler wären. Nach dem Krieg von 1914 entstand – vielleicht durch die kurzsichtigen Aktivitäten von Hollywoods Öffentlichkeitsarbeitern – der Eindruck, daß das Leben dort eine einzige ununterbrochene trunkene Orgie sei und daß sich Hollywoods Lebensstil in seinen Filmen wiederspiegele.

Ein Sturm des Protestes ging durch das Land. Ausgelöst wurde er durch unzählige Beschwerden, Verbote und Resolutionen von Frauenvereinigungen, Jugendbewegungen, kirchlichen Organisationen, Veteranenverbänden und dem Senat der Vereinigten Staaten.

Angesichts des spektakulären Rückgangs der Einnahmen und der Aussicht auf eine einengende staatliche Zensur schlossen sich die führenden Größen der Filmindustrie zusammen und engagierten Will H. Hays als Verantwortlichen für die Öffentlichkeitsarbeit. Im Rahmen seines Reformprogramms entwickelte er den „Production Code“, eine Form der Selbstzensur, die – mehrfach überarbeitet – das Geschäft bis heute bestimmt; daraufhin konnten die verschiedenen Vereinigungen und Insitutionen dazu bewegt werden, ihre Forderungen nach öffentlicher Zensur fallenzulassen. Die Krise konnte gerade noch verhindert werden.

Inzwischen hat der Konflikt sich gelegt. Offensichtlich kommt es zu solch öffentlicher Empörung nicht immer nur dann, wenn der gemeine Bürger Anstoß nimmt. Genausogut können die Proteste einer lautstarken, engstirnigen Minderheit am Anfang stehen – Äußerungen derjenigen, die nur allzu bereit sind, die Zensurbehörden zu übernehmen.

Möglicherweise ist die selbstauferlegte Disziplin der Filmindustrie derzeit notwendig, um den komplexen Ansprüchen der Gesellschaft gerecht zu werden, aber selbst eine solche Regelung sollte flexibel bleiben, da Auffassungsgabe und Geschmack des Publikums sich immer wieder ändern.

Dementsprechend sollte die Johnston-Breen-Behörde, die Nachfolgeorganisation der alten Hays-Behörde, dazu gebracht werden, auf die derzeitige Filmzensur – die nicht so bezeichnet wird, aber dieselben Auswirkungen hat – zu verzichten: Im Moment werden Filme ohne Zertifikat in Theatern, die sich dem Code verpflichtet haben, nicht vorgeführt.

Wenn die Zensur aufgehoben ist, kann die Behörde die Produzenten weiterhin auf die zu erwartenden Reaktionen des nationalen und internationalen Publikums aufmerksam machen und den Filmemachern die Entscheidung über ihre Inhalte selbst überlassen.

Abgesehen vom Production Code gibt es keine Rechtfertigung für zwangsweise und rigide Zensur, wie sie heutzutage von bestimmten staatlichen und lokalen Institutionen praktiziert werden.

Eine derartige Zensur überschreitet die juristischen Zuständigkeiten dieser Behörden, denn in ihrem natürlichen Bestreben, ein möglichst großes Publikum zu erreichen, berücksichtigen die Produktionsfirmen bei der Planung ihrer Projekte bereits die Tendenzen der Zensoren. Das Verbot eines Films zum Beispiel im Staat New York hat ernsthafte finanzielle Verluste zur Folge. Mein Film Scarlet Street war ursprünglich im Staat New York, in Milwaukee und Memphis verboten, und in allen Fällen wurde das Verbot erst nach Verhandlungen aufgehoben, obwohl der Film sonst überall zu sehen war.

In Amerika gibt es heute um die 56 Millionen Kinobesucher, und was sie sehen oder nicht sehen, hängt von den Launen und Vorurteilen der sieben staatlichen Zensurbehörden in Kansas, Maryland, Massachussetts, New York, Ohio, Pennsylvania und Virginia sowie von etwa 74 Zensoren in größeren Städten ab. Die politischen Kräfte des Südens beispielsweise haben, indem sie auf einer eingeschränkten filmischen Darstellung von Schwarzen in ihren Staaten bestanden, dem gesamten Land dieses Schwarzen-Image aufgedrängt. Inzwischen sind wir soweit, daß die Produktionsgesellschaften – wegen des Drucks von Südstaatenpolitikern einerseits und der Kritik an der unangemessenen Darstellung andererseits – Schwarze bewußt aus ihren Filmen ausklammern.

Sie können es sich nicht leisten, unterschiedliche Versionen für die verschiedenen Bevölkerungsgruppen herauszubringen. Zensur ist ein unberechtigter Eingriff in die bürgerlichen Freiheiten einer großen Nation.

Ein Volk, das sich durch jahrelange Bemühungen und Widerstand gegenüber großen und kleinen Demagogen das Recht erkämpft hat, sein eigenes Schicksal zu bestimmen, wird behandelt wie ein Haufen von Minderjährigen oder staatlichen Mündeln, die geschützt, gelenkt und getäuscht werden müssen.

Aufgrund welcher Verordnung kann denen, die Europa wegen politischer oder religiöser Verfolgung verließen, oder denen, die sich vor zweihundert Jahren gegen die englische Herrschaft zur Wehr setzten, nun vorgeschrieben werden, was sie denken dürfen und was nicht?

In einem Zeitalter, in dem alles vorfabriziert wird, kann kein Volk – am wenigsten das amerikanische – es sich leisten, sich die ehrliche Meinung abgepackt, geprüft, für gut befunden und versiegelt servieren zu lassen.

Im Kino behindern solche verkehrten Bestrebungen nur die einzig legitime Zensur: die durch das Publikum. Wie jeder Produzent weiß, schöpfen die Zuschauer ihre Möglichkeiten zur Zensur vollständig aus: Ihre Reaktionen werden an den Kinokassen registriert.“

Aus dem Amerikanischen von Annette Schlichter

Der Text ist zuerst im Dezember 1947 in der amerikanischen Zeitschrift ‚Theatre Arts‘ erschienen.

„Metropolis“ Stadt mit Turm Entwurf: Erich Kettelhut Gouache: 30×39 cm
Fritz Lang bei den Dreharbeiten Frau im Mond

Briefe an Wiebeke (VII) Wir schreiben ab.

PDF Briefe an Wiebeke (VII) Wir schreiben ab

Romische Zahlen am BUG

Hallo Wiebeke,

da ist mal wieder so ein Brief von den Besserwissern der Medienberatung über den Film von Rüdiger Suchsland. Er zeichnet sich aus durch einen völlig unangemessenen Titel, der hier aber nicht wiederholt werden soll.

Die ARD schreibt und wir schreiben ab:

Das NS-Kino war ein staatlich gelenktes, rigider Zensur unterworfenes Kino. Zugleich wollte es „großes Kino“ sein; eine deutsche Traumfabrik, die Hollywood in jeder Hinsicht Paroli bieten wollte. So entstand ein staatliches Studiokino, das sein eigenes Starsystem etablierte und das sich nach modernsten Mitteln vermarktete. Auch im Ausland sollte der deutsche Film ideologisch wirken und kommerziell erfolgreich sein, wie mit Blockbustern à la „Münchhausen“. Das nationalsozialistische Kino dachte groß und war technisch perfekt gemacht. Die Filme weckten Sehnsüchte und boten Zuflucht; das Kino der NS-Zeit gab sich volkstümlich. Breite Massen fühlten und fühlen sich weiterhin von diesen Filmen angesprochen. Nur so ist die Wirkungskraft des NS-Kinos zu erklären. Wie funktionierten diese Filme im Sinne des Systems? Was verraten sie über das Publikum und seine Träume? Rüdiger Suchsland nimmt sich die Spielfilmproduktion der Jahre 1933-45 vor. Von den 1.000 hergestellten Filmen waren ca. 500 Komödien und Musikfilme, ca. 400 Melodramen, Abenteuer- und Detektivfilme. Zum unheimlichen Erbe der NS-Kinos gehören auch die Propagandafilme, die heute noch unter Vorbehalt stehen.“Hitlers Hollywood“ erzählt Geschichten von Tätern und Opfern, Rebellen und Überläufern. Der Film zeigt Stars wie Zarah Leander und Veit Harlan, wie auch diejenigen, die unfreiwillig zu Ikonen des NS-Kinos wurden wie Hans Albers, Gustaf Gründgens und Ilse Werner. Vorgestellt werden Filme, die voll auf Linie lagen, wie auch Regisseure, die untypische Filme inszenierten wie Helmut Käutner, Werner Hochbaum und Peter Pewas. Rüdiger Suchsland (*1968) zählt zu den führenden Filmpublizisten in Deutschland und ist u. a. im Beirat des Verbands der deutschen Filmkritik. 2008 erschien sein Buch „Zeichen und Wunder: Das Kino von Zhang Yimou und Wong Kar-Wai“. Er begann seine filmische Beschäftigung mit der deutschen Filmgeschichte 2014 mit seinem essayistischen Dokumentarfilm „Von Caligari zu Hitler“. Sein Blick auf Filme führt den filmsoziologischen Ansatz von Siegfried Kracauer (1889-1966) weiter, Filme als Seismographen ihrer Zeit zu betrachten, in denen sich das kulturelle Unbewusste einer Epoche zeigt.“ (Ende Zitat)

08.09.2019 Hitlers Hollywood. Von Rüdiger Suchsland

Alles an diesem Film ist falsch. Schon der Titel führt in die Irre. Er signalisiert dem potentiellen Zuschauer einen Vergleich: Aber was hat das Kino des Propagandaministers Joseph Goebbels mit Hollywood zu tun? Kenner der Materie wissen: Nichts.

Auch Rüdiger Suchsland scheint das aufgefallen zu sein. Vergleiche mit Produkten aus Hollywood – mit denen der UFA – fehlen in dem Film komplett. Ich muss es geahnt haben, als der Film letztes Jahr in den Pressevorführungen auftauchte. Obwohl mich ein solches Thema interessiert, hatte ich diese Pressevorführungen vermieden. Warum? Es gab mehrere Möglichkeiten:

1. Ein Verleih hatte sich diesen bekloppten Titel ausgedacht, weil Hitler immer noch ein guter Verkaufsartikel ist, ohne den Autor des Filmes dazu zu befragen. Solche falschen Filmtitel kommen in der Regel nur bei Importware zur Anwendung:

(Beispiel: Der Film über den Streik der englischen Arbeiterinnen bei Ford von Nigel Cole. Der Verleih hatte diesen Filmtitel, der im Original >Made in Dagenham< hieß, eingedeutscht in: >We want Sex<, was zu einer mittelschweren Katastrophe führte, wie die Verleihfirma später selber zugab.

2. Der Autor Rüdiger Suchsland hat sich den Titel selber ausgedacht. Warum weiss der Himmel. Vielleicht aus dem gleichen Grund, die den Verleih dazu gebracht haben könnte, diesen Titel zu erfinden. Hitler lässt sich immer noch gut vermarkten.

3. Der Autor hatte ursprünglich vor, tatsächlich einen Vergleich der Produktionen aus Hollywood mit denen von Berlin von 1933 – 1945 herzustellen. Aber die finanziellen Möglichkeiten fehlten.

4. Dem Autor fehlen Kenntnisse über die Filme, die deutsche Emigranten in Hollywood in der gleichen Zeit abgeliefert haben.

Ich neige zu Variante vier. Wenn die Kenntnisse für Vergleiche fehlen, dann lohnt sich die Besichtigung in einer Pressevorführung nicht. Reine Zeitverschwendung. Dafür ist das Leben zu kurz, es in langweiligen Pressevorführungen zu verschwenden.

Nun hat ARTE den Film mehrfach in seinem Spätprogramm (Beginn nach 23.45) wiederholt. Nicht ungeschickt. Auch ich bin darauf reingefallen. Während das Fernsehprogramm in der sog. Hauptsendezeit von Tag zu Tagschlechter wird, wird man hin wieder nach 0.00 Uhr mit Überraschungen bedient, die nach meiner Meinung einen früheren Sendetermin verdient hätten. Mit anderen Worten: Hätte ARTE diesen Film um 20.15 Uhr ins Programm genommen: Ich wäre nie auf den Gedanken gekommen, hier läuft irgendwas, was dich interessieren könnte. Also vorschlafen und gucken. Reingefallen.

Vielleicht hätte er es mit dem Anfang des Filmes von Veit Harlan >Opfergang< versuchen sollen, der in der gleichen Zeit in Deutschland entstanden ist.

Oder das Original von >It happend one night< (Es geschah in einer Nacht) von 1934 mit der deutschen Neuverfilmung von 1936 >Glückskinder< verglichen, die zwei Jahre später in Deutschland hergestellt wurde.

Vielleicht ein schlechter Vergleich, weil ja bekanntlich alle Neuverfilmungen schlechter als die Originale sind, wie die Filmgeschichte immer wieder beweist.

Auffallend auch, dass mehrere Filme, die Suchsland in Ausschnitten zeigt, erst in die Kinos gelangten, als Joseph Goebbels schon seine Kinder vergiftet hatte.

Nein. Der Film von Rüdiger Suchsland ist genauso bekloppt, wie es der Titel bereits ankündigt. Da helfen die Hinweise auf die Texte von Siegfried Kracauer nichts. Im Film finden sie keine Umsetzung. Suchsland signalisiert damit lediglich, dass er Kracauers Texte gelesen hat. Das ist im Jahr 2017 zu wenig für einen Film, der sich mit dieser Materie beschäftigt. Faszit: Wir von der Medienberatung wissen alles besser und halten damit auch nicht hinterm Berg, sondern laden es hoch.

Die Geschäfte des Richard Franz Wilhelm Adam

PDF Die Geschäfte des Richard Franz Wilhelm Adam

Wir wissen nichts. Wir kennen keinen Adam. Da kann ich ihnen keine Auskunft geben. Der hat sich hier nicht angemeldet. Das darf ich Ihnen nicht sagen.

Zum ersten Mal erfahre ich von einem gewissen Adam in einem Brief aus Brasilien. Der gewisse Adam, so schreiben die Deutschlandflüchtlinge von 1936, ist der Mann, die treibende Kraft der Nazis, der den Hamburger Kinobesitzern ihre Existenzgrundlage genommen hat. Der dafür sorgte, dass der Führer in Hamburg etwas zu verschenken hatte. Kinokonzerne an gute Deutsche: an »Arier«.

Da ist es kein Wunder, daß sich keiner mehr an diesen Mann erinnern will. Denn geschenkt ist geschenkt, wiederholen ist gestohlen, verrät der Volksmund. Niemand will hören, dass die Geschenke des Führers gestohlen waren. Da halten sie fest zusammen, die guten Deutschen von damals und die Kinder der guten Deutschen von heute.

Die wollen das Diebesgut lieber behalten, als sich erinnern an die Zeiten als ihre Eltern über Nacht reich wurden. Noch die Tatsache, dass die Geschenke des Führers schon bald in Trümmern lagen, dient ihnen als Entschuldigung.

Ein Zufall führte mich 1988 auf die Spur von Jeremias Henschel und seinen Kinos. Sie haben zwar viele Menschen und viel Papier verbrannt diese deutschen Nazis, aber alles zu verbrennen, dafür reichten die Rohstoffe nicht aus. Das Gas ging ihnen aus.

Übrig geblieben sind die »Reichs Kino Adressbücher«. Die von 1930 bis 1941. Da tauchen jene Kinos auf, deren Verschwinden dann niemand bemerkt haben will. Die Kinos des Jeremias Henschel und eine Firma gleichen Namens: Der »Henschel Film und Theaterkonzern«. Schon möglich dass das Eine mit dem Anderen zu tun hat.

Ich suche Zeugen, die etwas wissen. Ich finde welche, doch die wissen lieber nichts. Fünfzig Jahre hat schließlich niemand gefragt. Warum jetzt antworten? Die Opfer sind vernichtet, vergast, erschlagen, verhungert und nur wenige entkamen.

Es gibt Papiere. Sie sind schwer zugänglich. Auf Mikrofilmen in irgendwelchen Kellern. Schwer diese Keller zu finden. Zur systematischen Suche fehlte die Zeit.

Es ist eigentlich nicht die Zeit, die fehlt. Doch der Zeitgeist hat Anderes im Sinn. Größeres.Schließlich muß noch die Sekretärin, der Gärtner und der Schäferhund des Führers befragt werden. Ja richtig. Und Kunstmaler war er ja auch. Das ist der Stoff aus dem die Träume sind.

Die Opfer? Langweilig. Juden hatten wir schon mal, sagt der Fernsehredakteur. »SFB« hiess der Sender. »Sender Freies Berlin« zergeht mir auf der Zunge. Dunkel war in mir in Erinnerung, daß es an der dffb in Berlin die Mikrofilme zweier Tageszeitungen gab, die sich ausschließlich mit Kino beschäftigten. Die »Lichtbildbühne« und der »Kinematograph«. Ich fing mit der Lichtbildbühne an und stellte zu meinem Schrecken fest, dass sie sechsmal in der Woche erschien und auch dabei noch recht umfangreich war.

Nach drei Wochen bin ich dann soweit. Bereit aufzugeben. Keine meiner Spekulationen hatte sich bestätigt. Keine Information über den Verbleib dieser Kinos oder dieser Kinokette. Warum sollte auch eine Berliner Zeitung etwas über Hamburger Kinos bringen? Nach der Lesereise kann ich nicht einmal behaupten, das das Verschwinden dieses Henschel oder seiner Kinos etwas mit der Judenfeindlichkeit der Nazis zu tun hat.

Ich verlegte meine Suche auf Jahrestage. Die Zeit vor meinem Hiersein hat davon jede Menge. Führers Geburtstag, der Tag von Sedan, die Ermordung des Prinzen in Sarajewo, der Matrosenaufstand, Eisenstein in Deutschland, die Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler, die Reichskristallnacht, der Reichstagsbrand.

Und dann eben doch finde ich etwas. Ich habe Glück. Mein Glück ist, das einer dieser Kinobesitzer an dem Tag zu Grabe getragen wird, an dem der senile Reichspräsident Hindenburg Adolf Hitler zum Reichskanzler ernennt. »Machtergreifung« haben sie es genannt und noch heute ist dieses Wort Umgangssprache deutscher Geschichte.

Bleibt nur festzustellen, das es manchmal hilfreich ist, dass Ereignisse, die nichts miteinander zu tun haben, in der gleichen Zeitung stehen. Später werden sie auf merkwürdige Weise dann wieder miteinander verbunden. »Richard Adam« und der »Henschel Filmkonzern«.

Ein 90 Zeilen Nachruf in der Licht Bild Bühne vom 30. Januar 1933.

Er beginnt mit den Worten:

„Hermann Urich-Saß zum Gedenken. Wie im größten Teil unserer Sonnabend Ausgabe mitgeteilt, ist Hermann Urich-Saß am Freitag Abend im blühenden Alter von 45 Jahren einem Herzschlag erlegen . . .“ und endet mit: “ . . . Seine Beerdigung findet heute Montag, den 30. Januar, 3 Uhr nachmittags, in Hamburg-Ohlsdorf auf dem Israelitischen Friedhof statt.“

Auf Seite eins der Lichtbildbühne ein Leitartikel unter der Überschrift:

„Die neue Reichsregierung und der Film. Es ist nicht die Aufgabe eines Fachblattes, diese tief einschneidende Entscheidung in der deutschen Geschichte nach ihrer politischen Seite zu erörtern“ . . . und weiter . . . “ . . . das rege Interesse, das die NSDAP häufig für die wirtschaftlichen Nöte des Lichtspielgewerbes bekundet hat. Hier wird jetzt Gelegenheit zum Handeln sein.“

Herr Richard Adam ist schon seit 1. Dezember 1931 Mitglied dieser Partei und wartet schon fast zwei Jahre auf seine Gelegenheit zum Handeln.

Eine seiner ersten Handlungen wird die Enteignung der jetzigen Besitzer sein. Das ist die Art seiner Partei die wirtschaftlichen Nöte des Lichtspielgewerbes zu beseitigen, indem man die Eigentümer beseitigt.

Wieder habe ich Glück. Juden beerdigen ihre Toten für alle Zeit. Nicht so wie bei den Christen, die bereits nach fünfzig Jahren die Totenruhe für beendet erklären.

Ich suche auf dem jüdischen Teil des Ohlsdorfer Friedhofs, alles fein säuberlich voneinander getrennt, die Grabstelle von Hermann Urich-Sass und schreibe einen Brief an die, die für die Grabstelle sorgen.

Kaum vorstellbar, das die Grabstelle gepflegt wird, ohne das jemand für die Pflege aufkommt. Schließlich sind wir in Deutschland. Meinen Brief mit meinen Recherchen und Fragen gebe ich zur Weiterleitung an die Jüdische Gemeinde und denke: Ende. Aus. Sackgasse.

Doch nach einigen Wochen kommen tatsächlich Antworten aus Brasilien, Mexiko und den USA. Es handelt sich um die Söhne der beiden ehemaligen Eigentümer, Hugo Streit und Hermann Urich-Sass, denen die Flucht nach Übersee gelungen ist.

Die Söhne von Hugo Streit: Carl Heinz Streit und Rolf Arno Streit geben ausführlich Antwort über den Konzern ihres Vaters und ihres Onkels. Es stellt sich heraus, das beide Herren Töchter von Jeremias (James) Henschel geheiratet haben und den Kinokonzern nach dem Kinopionier und Schwiegervater Jeremias Henschel, der sich später James nannte, benannt haben.

Bereits im ersten Brief vom 17. August 1989 weisen Carl Heinz Streit und Rolf Arno Streit darauf hin, das ein Mensch mit Namen Adam „der Obernazi“ die Enteignung der Henschel Kinos – von den Deutschen Nazis auch Arisierung genannt – maßgeblich betrieben hat.

Sie wissen, das die von den Nazis eingesetzten neuen Inhaber: Paul Romahn und Gustav Schümann, mit diesem Adam zusammen in Kiel ein Kino betreiben.

Dies haben Romahn und Schümann in dem sog. „Wiedergutmachungsverfahren“ vor dem Landgericht in Hamburg zugegeben. Leider haben sie außer dem Nachnamen keine weiteren Daten über diesen Menschen.

Die Akte aus dem Wiedergutmachungsverfahren darf ich nicht einsehen. Ich weiss nicht einmal, ob es ein Wiedergutmachungsverfahren gegeben hat. Geschweige denn eine Akte.

Ich verbringe einen Tag im Kieler Stadtarchiv ohne wirkliches Ergebnis. Das Kieler Adressbuch Jahrgang 1938/39 nennt vier Adam mit weiblichen Vornamen und elf Adam mit männlichen Vornamen. Ob der gesuchte Adam dabei ist, kann ich nicht beurteilen.

Es soll in Kiel einen Menschen geben, der alles über die Kieler Kinos weiß. Ich telefoniere mit ihm. Es macht den Anschein, als ob er wirklich jede neue Tapete kennt, die in den letzten hundert Jahren in einem Kieler Kino gewechselt wurde. Aber einen Kinobesitzer Adam. Davon weiß er nichts. Nein, nie gehört.

In seinem Buch, das einige Jahre später erscheint, sind dann auch die Tapeten der Kinos ausführlich beschrieben. Von ehemaligen Besitzern, denen die Kinos in der Nazi Zeit weggenommen wurden, keine Spur.

Ja, man hat schon davon gehört das Kinos von Juden verkauft wurden. Einer, der im Alter von 82 Jahren 1974 in Kiel stirbt, hat auch einmal so ein Kino von einem Juden gekauft. Ganz am Anfang 1935. In den Zeitungsausschnitten aus den Kieler Nachrichten ist von diesem Kino nicht zu lesen. Nur davon, wie fleißig er in seinem Leben war.

So fleißig wie seine Bienen: „Er hat die Chancen seines Lebens durch praktisches Zupacken genutzt.“ schreiben die Kieler Nachrichten am 30.04. 1974. Vermutlich war die Anzeige, die dieser Kinobesitzer am 1.1. 1936 in der Zeitung (KNN) aufgegeben hatte: „Kaiserkrone jetzt in arischem Besitz und unter arischer Leitung“ eine dieser Chancen seines Lebens, die er durch praktisches Zupacken genutzt hat.

Als ich 1993 meinen Dokumentarfilm über die Henschel Kinos fertigstelle bin ich in Sachen Adam nicht viel weiter gekommen, als sich eine Studentin der Universität Hamburg bei mir meldet, die an einer Magisterarbeit „Kino unterm Hakenkreuz“ arbeitet.

Gerti Keller findet heraus, dass der Mann Richard Adam heißt und in Hamburg ein Amt bekleidet hat. Er ist der Landeszellenleiter der Landesfilmstelle Nord der NSDAP und Goebbels direkt unterstellt. Mit diesen Daten ist es möglich im Berlin Document Center, das 1993 noch den USA unterstellt ist, die NSDAP Mitgliedsunterlagen von Richard Adam und damit auch Geburtsdatum und Wohnort herauszufinden.

Als ich nach 3 Jahren endlich im Landgericht die sog. Wiedergutmachungsakte von Manfred Hirschel vom Waterloo Theater in der Dammtorstraße zu Gesicht bekomme, fallen mir fast die Augen aus dem Kopf.

Dort taucht der Obernazi Richard Adam als Zeuge dafür auf, dass es dem jüdischen Kinobesitzer Manfred Hirschel schon vor Beginn der Nazizeit wirtschaftlich sehr schlecht gegangen ist und die übernehmenden Arier – Klara Esslen und Heinrich (Heinz) B. Heisig nichts wiedergutzumachen hätten.

Es sind zwei Anschriften von Richard Adam angegeben. Elbchaussee 99 und Kampen auf Sylt („wo ich seit einiger Zeit meinen Wohnsitz genommen habe“). Ich schreibe an Richard Adam. Die Post kommt nach einiger Zeit zurück.

Inzwischen habe ich weitere Daten über diesen Adam aus Berlin Document Center, jetzt Bundesarchiv, dem ich auch erst begründen muss, warum diese Daten gebraucht werden. Ich schreibe an das Landratsamt Westerland und bitte um eine Meldeauskunft.

Diese – so wird mir mitgeteilt- kann nicht erfolgen – wegen Datenschutz.

Auch in der Elbchaussee vom Ortsamt Blankenese wird keine Auskunft erteilt. Nicht einmal die neue Nummerierung wollen sie mitteilen. Das unterliegt dem Datenschutz – ist die flotte Antwort.

Mit viel Mühe bringe ich dann aber doch die neue Nummer heraus und sehe mir das Anwesen an, in dem ein hoher Nazi nach Kriegsende residiert hat um anschließend “in Kampen seinen Wohnsitz zu nehmen“ um dem ermittelnden Richter zu schreiben, das er “gerne als Zeuge nach Hamburg kommen will, aber man ihm vorher doch bitte das Fahrgeld in Höhe von 54,20 DM schicken soll.“

Aus Sparsamkeitsgründen wir er von einem Amtsrichtrichter in Westerland vernommen.

Weil er mit dem Auto aus Kampen nach Westerland gekommen ist, beantragt er für die “Benutzung eines eigenen Kraftwagens“ eine Entschädigung von 7,– DM. Der Antrag wird vom Gericht abgelehnt. Er hätte mit der Inselbahn kommen können, die nur 1,– DM gekostet hätte, entscheidet der Amtsgerichtsrat Dr. Petersen am 15. August 1951.

Ein sparsamer Mensch.

PDF Kein Zeugengeld für Richard Adam

Inselbahn Sylt (Kleinbahn)

StaatsarchivRomahn&Schümann

Auf der Suche nach dem Hotel Rio Steiner

Hallo J.,

eben hatte ich noch mal auf der dffb-Alumni Seite nachgesehen und bemerkt, dass Deine Fotos dort hochgeladen sind. Bei der Suche nach dem Rio Hotel habe ich in das elektronische Adressbuch von Berlin im Straßenverzeichnis nachgesehen. Und daher meine Frage, bist Du sicher, das das Hotel in einer Seitenstrasse von Kudamm war? Die Nummer 58 auf Deinem Foto hat mich ermuntert mal nachzusehen. Und da gab es 1970 ein Hotel Rio Steiner in der Albrecht Achillesstraße 58. Und der Eingang, den die Suchmaschine dort heute praesentiert, sieht Deinem Foto sehr aehnlich, die Leuchtreklame ist natuerlich verschwunden, aber sonst koennte es stimmen. Ich hab schon mal eben eine Eingeborene (Berlinerin) angerufen, aber wie das bei den Berlinern und Berlinerinnen so ist, die kennen immer nur den Bezirk, in dem sie selbst gewohnt haben (Britz), J.

Lieber J.,

Chapeau, das wird tatsächlich der Eingang zum ehemaligen Etagenhotel RIO gewesen sein. Die Tür wurde zwar inzwischen geändert, auch das Fernster rechts ist umgebaut worden. Aber die ehemalige Leuchtfläche ist noch gut erkennbar und der Fensterumbau ist eine Vergrößerung nach unten. Das in der vorletzten Mail mitgeschickte Foto 1979-1982 zeigt das genaue Gegenüber des Hoteleingangs. Im Google-Streetview-Foto sieht man, dass jetzt der Verkehrsschildmast fehlt. Aber gut ist noch ein Teil der weißen Banderole am Baum zu erkennen, die nur auf der Straßenseite aufgetragen war. Auf dem SW Foto ist ein kleines Stück erkennbar, auf dem Streetview-Foto sieht man den inzwischen verblichenen Rest. In meiner Erinnerung hatte ich das Hotel weiter Richtung Gedächtniskirche verortet, aber wenigstens stimmt die Ku-Damm Nähe. Ist ja auch vor 42 Jahren gewesen . . . LG J. (Ist Britz noch Berlin? Denn Berliner und Fernreisen über die eigene Schrebergartenparzelle hinaus ist so’ne Sache. Bin selber mit einer Mariendorferin verheiratet.)

Hallo J.,

ja D. (geboren in Berlin) hat das glaubwuerdig versichert, das Britz noch in Berlin liegt und da ich damals auch ihr Elternhaus besichtigt habe, kann ich das bestaetigen. Und das mit dem Hotel, da ist es gut, das wir darueber geschrieben haben. Jetzt setze ich die Anschrift dahinter, wer weiss, ob das Haus nicht spaeter mal abgerissen wird. Die Fotos von Dir sind wirklich gelungen, J.

Hallo J,

Danke fuer die Blumen. Hoffentlich verzeiht mir D., falls ich ihr mal im Britzer Garten begegne. Lg, J.

Hallo J.,

da gibt es ja noch eine Geschichte zu schreiben und die ist auch ganz kurz. Zuerst habe ich die Dame 1977 nach Hamburg gelockt. Als dann ihre Mutter, die Hausbesitzerin starb, hat D. zum Abschied ein kleines Buechlein mit dem Titel „Das Haus meiner Mutter“ gemacht (noch nicht vergriffen, es gibt noch einzelne Exemplare, hat mir die Autorin versichert). Ein paar Jahre lang ist D. dann immer wieder mal hingefahren, um nach dem rechten zu sehen. Es handelte sich um eine Doppelhaushaelfte in einer Siedlung, die nach dem ersten Weltkrieg entstanden war. (Das Haus ihrer Großeltern). Als dann klar war, dass weder sie noch unsere Kinder in den Haselsteig zurueckkehren wuerden, hat sie das Haus der Mutter verkauft. Und zwar in einer Zeit, als selbst im Haselsteig die Grundstueckspreise sehr gestiegen waren. Immerhin nicht an einen Bodenspekulanten, sondern an die Nachbarstochter, der es im Haus ihrer Mutter (!) zu eng geworden war. Kurz nach dem Verkauf machte ein starker Sturm der Tanne, die im Garten stand, ein Ende. Gottseidank Westwind, oder war es Ostwind, sodaß die Tanne nicht auf das Haus ihrer Mutter gefallen ist. Das Haus steht also noch immer im Haselsteig Nummer 13. Im Nachbarort (in Rudow), wo D. nie gewesen ist, gibt es noch eine Filmgeschichte zu erzaehlen, das mache ich jetzt aber nicht. Nur der Hinweis. Dort hat Ilse Kramp, die nach ihrer Heirat 1938 Ilse Kubaschewski hieß, ihr erstes Kino aufgemacht. D. ist in dem Kino nie gewesen, obwohl es doch eigentlich um die Ecke lag,

Abteilung: Nutzloses Wissen. Das Rätsel ist gelöst. Das Hotel (Etagenhotel) war 1979 in Berlin in der Albrecht Achilles Straße Nummer 58. Und hier die Fotos von Jochen Hergersberg. Auf dem Foto ist Martin Streit bei den Dreharbeiten zu Henry Angst zu sehen. Und wer genau hinsieht stellt fest: Es handelt sich um zwei Hotels in zwei verschiedenen Stockwerken. Hotel Rio ist im ersten Stock und das Hotel Steiner im dritten Stock. Damit sind alle Unklarheiten beseitigt. Beide Hotels gibt es heute (2021) nicht mehr.

Foto Jochen Hergersberg, (1979), Eingang Hotel Rio Steiner,
Berlin, Albrecht Achillesstraße 58
Foto Jochen Hergersberg, (1979) Eingang Hotel Rio Steiner, Berlin, Albrecht Achillesstraße 58 (wie man sieht)
56 Seiten
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UFA Organisation des Verkaufsgeschäftes 27. Juli 1938

Abschrift: LBB vom 27. Juli 1938 Beilage zu NR. 174 (31. Jahrgang)

Die Organisation des Verkaufsgeschäfts der Ufa

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pdfAbschrift-LBB-vom-27-Juli-1938

Die Leitung

Dr. Kalbus und Dir. Zimmermann, geschäftsführende Direktoren der Ufa-Filmverleih G. m. b. H.: Dir. Meydam und Dir. Kuhnert, Vorstandsmitglieder der Universum Film A.-G.

Die Verkaufskräfte

Zentrale

Spielfilm-Vertrieb.

Sachbearbeiter: Dr. Künzig für Zentrale sowie die Geschäftsstellen Berlin, Düsseldorf und Wien, ferner für Zentrale sowie die Geschäftsstellen Hamburg, Frankfurt a. M. und München.

Kulturfilm Vertrieb.-

Leitung: Dr. Künzig; Nichtgewerbliche Spielstellen: Dr. Strohm (Verkauf), Paul Hapke (Verleih-Disposition); Spielzeugfilm: Bernard Brosterhues (Verkauf).

Weitere Büros.-

Kontrollbüro und Statistik: Walter Kühne; Bestellbüro: Frl. Margarete Bartels ; Disposition (Reservematerial): Frau Lotte Haube; Versand Abtlg. Tempelhof: Leitung Gustav Kluche; Hauptbuchhhaltung (Verleih): Kurt Müller; Verleih-Theaterkontrolle: Willy Killian; Technischer Kundendienst: Leo von Weiher.

Geschäftsstelle Berlin

Filialleiter: Hans Kubaschewski; Filialleiter-Assistent: Heinz Steckel. Reisevertreter Berlin: Hermann Hohmann (Berlin Stadt I) Lothar Bruns (Berlin Stadt II); Georg Rückert (Brandenburg und Pommern), Rudolf Jaeger (Ostpreußen); Hans Büttner (Schlesien); Rudolph Ernst (Mitteldeutschland I), Heinz Krüger (Mitteldeutschland II); Paul Bucher (Mitteldeutschland III); Buchhaltungsvorstand: Bruno Sallin- – Disposition: Frl. Edith David (Berlin Stadt I), Günther Kuhlwein (Berlin Stadt II), Fritz Wiedenhöft (Mitteldeutschland II);, Gustav Rücker (Mitteldeutschland I sowie alle Ufa-Theater ausgenommen Berlin Stadt); Fritz Wiedenhöft (Mitteldeutschland II); Joachim Fiedler (Mitteldeutschland III); Walter Sonnenburg (Mitteldeutschland IV); Frl. Else Bartholomäus (Ostpreußen und die östliche Hälfte von Pommern); Frau Frieda Heinrich (Teilbezirk Brandenburg und Teilbezirk der westlichen Hälfte von Pommern); Willy Langkammer (Teilbezirk Brandenburg und Teilbezirk der vwestlichen Hälfte von Pommern); Frl. Barbara Meyer (Schlesien I und nördlicher Teil Schlesiens einschl. Breslau), Bruno Kicherer (Schlesien II. südlicher Teil Schlesiens); Hans Joessel (Wochenschau); Paul Hapke (Nichtgewerbliche Spielstellen). – Lagerverwaltung und Expedition: Gustav Kluche. – Reklameverwaltung: Karl Meier.

Geschäftsstelle Hamburg

Filialleiter: Maximilian Fels; Filialleiter-Assistent: Kurt Kaelber; Reisevertreter: Walter Florian (Zonen I – X); Theodor Lange (Zonen IX und X ); Buchhaltungsvorstand: Karl Löwer.- Disposition: Louis Bodeck (Zonen I—IV); Frl. Gertrud Kempe (Zonen VII bis X links der Elbe), Frl. Marie Rubbert (Zonen VII- X rechts der Elbe und nichtgewerbliche Spielstellen); Gottlieb Bartels (Wochenschau)- Lagerverwaltung und Expedition: Wilhelm Tesmer.- Reklameverwaltung: Bruno Ewert.

Geschäftsstelle Frankfurt a. M.

Filialleiter: Oskar Mertz; Filialleiter-Asssistent: Julius Horch. – Reisevertreter Werner Heimann (Nord), Wilhelm Komm (West), Werner Dalchow (Süd) Peter Emmel (Wochenschauen und nichtgewerbliche Spielstellen); – Buchhaltungsvorstand: Julius Horch. – Disposition: Frau Viktoria Feurer (West( Saar, Pflaz, Rheinhessen, südl. Rheinprovinz, Birkenfeld) und Ufa-Theater). Frl. Fränze Mergler (Nord (Hessen-Nassau, Oberhessen, Unterfranken), Hans Hampel (Süd ( Baden, Hessen-Starkenburg, nordwestl. Württemberg, Peter Emmel (Wochenschauen und nichtgewerbliche Spielstellen)- Lagerverwalter: EgidiusKneis. -Expedient: Hans Haas. Reklameverwaltung: Karl Ruß.

Geschäftsstelle München

Filialleiter: Hanns Loebel; Filialleiter-Asssistent: Lothar Binder; Reisevertreter: Georg Fraundorfer (Zonen I-X). Josel Mühlbauer (Zonen IX und X)- Buchhaltungsvorstand: Lothar Binder.- Disposition Frau Josefine Matiegzeck (Bayern und Württemberg. Buchstabe A-K einschl. München einschließlich nichtgewerbliche Spielstellen). Frl. Hermine Stahl (Bayern und Württemberg. Buchstabe L-Z. ausschl. München einschl. nichtgewerbliche Spielstellen). Lothar Belck (Bayern und Württemberg . Buchstabe G-M der Zone X. Wochenschau und Gaufilmstellen)- Lagerverwaltung und und Expedition Hanns Ohlwerther-. – Reklameverwaltung: Ludwig Mayr.

Geschäftstelle Düsseldorf

Filialleiter: Fritz Mildner; Filialleiter-Asssistent: Frl. Albertine Reinhardt; Reisevertreter: Gerhard Hilsebein (Rheinland Zonen I-VIII); Kurt Hammer (Rheinland Zonen I-X). Fritz Patschke (Rheinland Zonen VIII- X) – Buchhaltungsvorstand : Wilhelm #schewe. – Disposition: Chedisponent Walther Zimmer, Paul Braun (Plätz A-F). Frl. Gertrud Lehnhausen (Plätze G-Qu und Konzerntheater), Erich Meißner (Plätze R-Z, Wochenschau und nichtgerwerliche Spielstellen). Lagerverwaltung und Expedition: Clemens Buse. – Reklameverwaltung: Frl. Maria Krämer.

Geschäftsstelle Wien

Filialleiter (kommissarisch): Hans Martin.- Stellvertreter in Verkaufsangelegenheiten: Franz Brandt.- Stellvertreter in Buchhaltungs-, Verwaltungs- und Personalfragen: Albert Rosvneck. – Reisevertreter : Franz Brandt (Wien Stadt). Karl Mayrhofer (Zonen VIII-X). – Verkaufsassistent: Eugen Lachowicz.- Buchhaltungsvorstand: Albert Rosynck. Disposition: Frau Ottilie Thausing (Wien-Stadt Gaubezirk), Frau Grete Castner (Gaue Oberdonau, Tirol und Salzburg einschl. nichtgewerbliche Spielstellen). Frau Josefine Toifl (Niederdonau einschl. nichtgewerbliche Speilstellen), Frl. Klara Mumb (Wochenschau), Ewugen Lachowicz (Hilfsdisposition). – Lagerverwaltung und Expedition: Rudolf Sarsteiner. – Reklameverwaltung: Leo Breitenlacher.

Ufa Abbruch Hamburg Foto Jens Meyer
Tier
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Mein Opa bei Broschek

Ist mir aus meiner fernen Sicht nicht aufgefallen. Nun ist es wohl weg, das Druck- und Verlagshaus des A. Caesar Springer. Meine Erinnerungen sind vielfältig: Mein Großvater, August Holler, arbeitete dort zuletzt als Briefkastenonkel und Archivar, und ich konnte ihn dort besuchen und eine kostenlose Zeitung mitnehmen: Hamburger Echo, Hamburger Abendblatt mit der bunten Seite. Der Opa arbeitete ursprünglich für das Hamburger Fremdenblatt, Broschek-Verlag, mehr als 50 Jahre. Er redigierte Bücher, las Korrektur, war das „Hamburg-Gedächtnis“ des Verlags, und er schrieb Bücher, u.a. Die alten Hamburger Friedhöfe. Nach dem Krieg war es schwer für die Hamburger Zeitungen. Springer drängte auf den Markt, Geld war kaum da, der Anzeigenmarkt umkämpft. Der alte Broschek mogelte bei der Zahl der Auflage, um höhere Anzeigenerlöse zu gewinnen. Springer merkte das und drohte Broschek mit Prozess und Skandal, wenn er, Broschek, ihm nicht das Fremdenblatt verkaufte. Broschek stimmte notgedrungen zu.

Das Fremdenblatt wurde daraufhin eingestellt und blieb nur als Erinnerungszeile unter dem Titel des Abendblattes erhalten. Springer entledigte sich der meisten Angestellten und schickte sie zur Arbeitslosenversicherung, So wollte er auch mit meinem Opa verfahren. Pikantes Detail: Das Fremdenblatt hatte einen Pensionsfonds, der höher war als der Kaufpreis des Fremdenblattes. Den hatten sich die Arbeiter und Angestellten bei Broschek verdient und dafür eingezahlt. Springer strich diesen Pensionsfonds (ca. 2 Mio. Mark) lautlos ein und war daraufhin in der Lage, sein schmutziges Zeitungsimperium aufzubauen.

Mein Großvater klagte als Einziger gegen die Einziehung des Pensionsfonds, auf die Weiterbeschäftigung und seine rechtmäßige Rente aus dem Fonds und er bekam in allen Punkten Recht. Leider hat es die Justiz damals versäumt williger Weise, Springer für diesen Großdiebstahl haftbar zu machen und zu bestrafen. Es wäre der Hamburger Zeitungslandschaft und den Lesern und Leserinnen vieles Schlechte erspart geblieben. Pidder Holler 15. September 2021

Springer wird abgerissen
Axel Springer Frei.i Hamburg Bäckerbreitergang
Kaiser Wilhelm Straße
Bäckerbreitergang 1983
Fuhlentwiete
Tier
cc

Fotos Jens Meyer

Briefe an Wiebeke (X) Einzelheiten über Mord und Mörder

Über den Fotograf Joseph Schorer (1894-1946)

Romische Zahlen am BUG

Hallo Wiebeke, da muss ich erst mal nachsehen. Ich hatte zwar in den Archiven schon viele Fotos von Joseph Schorer gesehen, aber sonst mich nicht mit ihm oder seiner Biografie beschäftigt. Also auf Deine Frage habe ich folgendes herausgefunden:

Joseph Schorer wurde 1894 in Mindelheim bei Augsburg geboren. Von 1907 bis 1910 besuchte er die Gewerbliche Fortbildungsschule Mindelheim und parallel dazu ging er von 1908 bis 1911 in seiner Heimatstadt bei dem Fotografen Anton Krumm in die Lehre. Anschließend arbeitete er in Berlin und ab 1913 in Hamburg. Nach dem Ersten Weltkrieg, in dem er an der französischen Front eingesetzt war, lebte er zunächst in Mindelheim, zog aber 1922 erneut nach Hamburg. Als freischaffender Fotograf belieferte er die verschiedensten Zeitungen in Hamburg („Hamburger Tageblatt“, „Hamburger Anzeiger“, „Fremdenblatt“) und Zeitungen in Berlin und London.

Aufträge erhielt er auch von der Industrie und von privater Seite. Weil er sich weigerte, in die NSDAP einzutreten, verlor er im Dritten Reich manchen Auftraggeber, so das „Hamburger Tageblatt“.

Nach dem Zweiten Weltkrieg eröffnete er ein Fotogeschäft in Hamburg. Wegen angeblichen Handels mit Kameras der Wehrmacht wurde er denunziert, von einem englischen Militärgericht für schuldig befunden, inhaftiert und im Gefängnis misshandelt. Kurz darauf wieder entlassen, starb er 1946, wohl an den Folgen der Haft.

Als Pressefotograf nahm Joseph Schorer vor allem das Zeitgeschehen im Hamburg der 20er bis 40er Jahre mit den Schwerpunkten Drittes Reich, Krieg und Zerstörung ins Visier. Daneben finden sich aber auch kulturelle und Sport-Ereignisse (Olympische Sommerspiele 1936 in Berlin und andere) sowie historische Persönlichkeiten. Den Text habe ich natürlich abgeschrieben. Obwohl Du mit Deinem Einwand natürlich Recht hast. Abschreiben war gestern. Heute heisst es übersetzt: Markieren und Einfügen. (Ist auch weniger Arbeit, man kann aber (wegen der Suchmaschinen) auch leichter dabei erwischt werden. Also gefunden habe ich den Text hier:

(Text aus: Bildarchiv Deutsches Historisches Museum DHM, Berlin, Am Zeughausmarkt 1-2, 10117 Berlin).

Aus dem Namensverzeichnis des Hamburger Adressbuches von 1940: Joseph Schorer, Presse, Bildbericht. Colonnaden 46 (II. Stock). Im Hamburger Archiv gibt es viele Aufnahmen von Joseph Schorer.Große Marienstraße / Große Johannisstraße in Altona 1932

Verhandlungssaal des Altonaer Sondergerichts (um den 8. Mai 1933)
Bildunterschrift:„Verhandlungssaal des Altonaer Sondergerichtes, um den 8. Mai 1933. Im Prozeß wegen des Altonaer Blutsonntags wurden gegen August Lütgens, Bruno Tesch, Walter Möller und Karl Wolff die ersten politischen Todesurteile des NS-Regimes gefällt.“ Foto von Joseph Schorer. Aus dem Buch: Arbeiterbewegung in Hamburg, Seite 279. Fotoarchiv Völkerhof Radbruch. VSA Verlag 1988
Mannschaftswagen der Polizei. Fotografiert am 18. Juli 1932
Fotograf unbekannt. Joseph Schorer (?) Das Bild wird oft mit folgendem Text versehen: Mannschaftswagen der Polizei an der Ecke Große Marienstrasse / Große Johannistrasse. Fotografiert am Montag 18. Juli 1932 (?). Am 17. Juli 1932 starben 18 Menschen, die meisten von den Polizeikugeln. Nach Kriegsende wurden diese Straßen nicht wiederhergestellt. Leider kann ich das Straßenschild nicht erkennen. Aber vor dem Namen steht diese Gr. Abkürzung, so wie sie auch in den Straßenverzeichnissen der Adressbücher aus der Zeit verwendet wurden.

Bei Betrachtung des Stadtplanes von 1932 und des Fotos vom Montag, d. 18. Juli 1932 (?) gerate ich ins Grübeln. Ist das Foto wirklich an der Ecke Große Marienstraße – Große Johannisstraße entstanden? Die Straßenecke sieht auf dem Foto fast rechtwinklig (90 Grad) aus. Auf dem Stadtplan von 1932 gibt es an dieser Ecke keinen rechten Winkel. Fotoshop gab es damals noch nicht. Der Winkel hat keine 90 Grad, das sind höchstens 70 Grad, wenn die Zeichnung im Stadtplan stimmt. Von welcher Ecke aus wurde dieses Foto gemacht? Und in welche Richtung ist das Polizeifahrzeug gefahren? Es scheint so, als fahre das Polizeifahrzeug (wie haben die das früher genannt?) bergab. Die Fotografin könnte auch an der Ecke Große Marienstraße, Kleine Marienstraße gestanden haben. Dann wäre das Polizeifahrzeug in Richtung der Straße Kleine Freiheit gefahren. Die Unzerstraße gibt es noch. Und den jüdischen Friedhof auch. Die Unzerstraße scheint ihre Lage nicht verändert zu haben. Sie führt im Rechten Winkel auf die Große Bergstraße, die an dieser Stelle nach dem Krieg in Louise Schröderstraße umbenannt wurde.

Hallo Wiebeke, vielleicht hast Du ja Recht und Louise Schröder hat diese Straßen-Umbenennung auch wirklich verdient, weil sie bei der Erfindung des Grundgesetzes (der BRD) als einzige Frau darauf bestanden hatte, das dort steht, das die Frauen gleichberechtigt sind. Na, denn.

Bleibt die Vermutung, der Fotograf oder die Fotografin, deren Namen wir nicht kennen, stand in der Kleinen Johannisstraße (die es ebenfalls nicht mehr gibt) und hat das Polizeifahrzeug von dort aus fotografiert. Auch die beiden Radfahrer, die auf dem Foto zu sehen sind, fahren bergab. Vielleicht ist das Foto an einer anderen Ecke entstanden? In Frage käme die heutige Paul Roosenstraße, die damals (1932) Große Roosenstraße hieß. Vielleicht ist es die Ecke Paul Roosenstraße / Bernstorffstraße (vorher: Adolphstraße). Aber nicht der. Sieht man doch. Dieser wurde mit PH geschrieben.

Ja sicher, manche Rätsel lassen sich mit Hilfe des Agora Adressbuches der Uni Hamburg lösen. Das Polizeifahrzeug fährt durch die Marienstrasse (Große). Heute würde man schreiben: Große Marienstr. Das war offensichtlich 1932 noch nicht Mode. Der Kaffee Tee Kolonialwarenhändler, dessen Laden man auf der rechten Straßenseite sieht, gehört Alwin Raupert, der sich als Kolonialwarenhändler in das Adressbuch eintragen ließ. Das Geschäft in der Großen Marienstraße Nr. 31 (abgekürzt auf dem Straßenschild Gr. Marienstr.) ist die Filiale eines größeren Geschäftes, das Alwin Raupert in der Johannisstraße (Große) Nr. 42 betreibt. Dort gehört ihm auch das Haus. Seine Wohnung ist in der Christianstraße 22. Damit wären alle Unklarheiten beseitigt. Die Eintragungen betreffen die Jahre 1930, 1931 und 1932. Ob dieser Mensch etwas gesehen hat, ist nicht überliefert. Aber wenigstens wissen wir, wo das Foto aufgenommen wurde und durch welche Straße das Polizeifahrzeug fährt. Das Polizeifahrzeug fährt durch die Große Marienstraße in Richtung Kleine Freiheit, wo die Große Marienstraße endet.

Wann das Foto nun wirklich gemacht ist, darüber kann man sich weiter den Kopf zerbrechen. An einem Sonntag jedenfalls nicht. Das erkennt man schon an dem offenen Laden von Alwin Raupert. (Ladenschlußgesetz). Nur für Nachfragen: Die Uni Hamburg hat die Adressbücher von Hamburg (heutige Gebiet) ins Netz gestellt. Das sind natürlich die Adressbücher von damals. Vor der Vereinigung mit Altona, Wandsbek und so weiter.

https://agora.sub.uni-hamburg.de/subhh/cntmng;jsessionid=246A28231A21984ADBBFBB063E45AAEF.jvm1?type=pdf&did=c1:1315

Tier

Brief an einen Freund (II)

Brief an meinen Freund Dietrich. Über ein Buch: Die Geschichte des Films im Dritten Reich von Francis Courtade / Pierre Cadars, Hamburg 25. Januar 2021

Hallo Dietrich, hier kommt nun die positive Seite der Pandemie zum Vorschein. Ich lese viel. Erst habe ich mit Vergnügen das Buch, das Du mir geschickt hast (David Wittenberg) gelesen, und jetzt habe aus der Bürosammlung ein Buch mitgenommen, das ich noch nie gelesen hatte. Und das mit gutem Grund. Wer liest schon Bücher über die Filmgeschichte? Ich jedenfalls habe alle Filmgeschichtsbücher (Gregor Patalas und was es sonst noch so alles gibt) immer nur zum Nachschlagen benutzt, aber niemals von vorn nach hinten durchgelesen. Jetzt bin ich bereits auf Seite 181 in der deutschen Übersetzung von Francis Courtade und Pierre Cadars „Geschichte des Films im Dritten Reich“, von 1976 von der Büchergilde Gutenberg herausgebracht, übersetzt hat das Buch Florian Hopf. Ich finde das Buch, die Nazis aus der Sicht der Franzosen, richtig charmant. Was mir gut gefällt sind die Beschreibungen der Nazi Filme. Kein deutscher Buchautor (den ich kenne) traut sich aus Mein Kampf wörtlich zu zitieren, was der Führer aller Nazis da so gemeint haben könnte. Auch bestimmte Worte, die es scheint, das es sie im Französischen nicht gibt, kommen manchmal vor. (Der schreibt nie von einer Kamerafahrt, sondern nimmt immer das englische Wort). Auch das macht die Sache flott. Damit Du das Buch in Deinem Regal schnell findest, habe ich den Umschlag auf den Scanner gelegt. Das Nachwort von Gerd Albrecht werde ich vermutlich auslassen. Ich hatte ein Seminar in der dffb mit ihm, das nannte sich „Vorurteilsminderung“ – ich habe so in Erinnerung, das ich der einzige Student war, der damals sein Seminar besucht hat, die anderen Studenten und Studentinnen (bei uns gab es einen Frauenüberschuss) haben gesagt, es gehe ihnen nicht um Vorurteilsminderung, sondern es gehe um die Revolution. Das konnte ich damals gar nicht glauben, ich kam ja direkt von der Werft zu Ihnen und hatte mir nur gemerkt: Nicht schnell laufen, weil, wer schnell läuft, das hatten mir die Werftkollegen beigebracht, wird erschossen. Und das wollte ich auf jeden Fall vermeiden. Ich war schon immer mehr füt Daumendrücken (Siehe: Sein oder Nichtsein von Lubitsch), Jens