Apropos Waterloo Theater

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Manfred Hirschel mit seiner Tochter Eva HirschelRosa Hirschel

Cine CaramdiroManfred Hirschel

CineCarandiro8 Juni 1940Seite2

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Marcus Hirschel Kinobesitzer in Hamburg
Marcus Hirschel Gründer des Kinos an der Reeperbahn
Günther Harald Hirschel 2004

von l.n.r. Manfred Hirschel, Eva Hirschel und Rolf Arno Streit.

Konjunktur und Krisen der neuen »Lustbarkeit«

Leider befindet sich auf der Internet Seite der TAZ nur die Überschrift des Artikels, nicht aber der Text, den Renate Kemper damals (am 30. 04. 1992) auf Seite 25 der TAZ Hamburg veröffentlicht hatte. Dem, so hatte ich gedacht, müßte doch mal abgeholfen werden und habe den Artikel von der Papier Ausgabe dieser Zeitung abgeschrieben. (Ohne irgend wen zu fragen. Worauf ich aber auch nicht stolz bin.) Die Überschrift lautete:

Konjunktur und Krisen der neuen »Lustbarkeit«

Im Untertitel stand:

Auf dem Höhepunkt seines Kinobooms in den 20er und 30er Jahren besaß Hamburg zwar keinerlei Filmindustrie dafür aber 72 Lichtspielhäuser / Der damals erfolgreichste Hamburger Kinounternehmer, James Henschel, wurde von den Nazis enteignet.

Seit Jahren präsentiert sich Hamburg gerne als glänzender Medien- und Filmstandort. Das war nicht immer so. Im Jahre 1929 beklagte der Hamburger Regisseur Carl Heinz Boese in einem offenen Brief, daß Hamburgs Filmwirtschaft nicht mehr sei als ein „Provinzgeschäft“. Was die Filmindustrie betraf war diese Bemerkung mehr als untertrieben: In der Hansestadt existierte nur eine einzige Produktionsstätte. Mangels ausreichender Aufträge mußten die Vera – Filmwerke an der Alsterkrugchaussee zudem 1930 Konkurs anmelden.

Als Kinostadt konnte sich Hamburg jedoch sehen lassen. Auf dem Höhepunkt ihres Kinobooms zählte die Hansestadt 72 Kinos, die damals preußischen Nachbarbezirke Wandsbek und Altona nicht mitgerechnet. Neben den kleinen Vorstadtkinos prägten vor allem luxeriös ausgestattete Lichspielhäuser in den Vergnügungsvierteln St. Georg und St. Pauli die Kinowelt. Aber auch die Arbeiterquartiere Barmbek (7 Kinos), Neustadt (6 Kinos) und Eimsbüttel (5 Kinos) wiesen eine hohe Kinodichte auf.

Das attraktive Lichtspielgewerbe war in Hamburg zwischen vier Unternehmen aufgeteilt. Dem süddeutschen Konzern Emelka gehörten vier größere Filmtheater, darunter das älteste Hamburger Kino, Knopfs Lichtspielhaus am Spielbudenplatz. Die Hirschel-Gruppe betrieb vier Lichtspiele und die UFA als reichsdeutsches Filmflagschiff des rechtskonservativen Medienzars Alfred Hugenberg besaß hier sechs große Filmpaläste.

Mit dem am 22. Dezember 1929 eröffneten Ufa-Palast, Ecke Dammtorstraße/Valentinskamp, erregte der Konzern erhebliches Aufsehen. Das 2667 Plätze Kino integrierte sich in den modernen Gebäudekomplex des „Deutschlandhauses“ zu dem Tanzcafes und Büros gehörten. Die Lokalpresse bejubelte den Bau als „größtes Filmtheater des europäischen Kontinents“.

Daß hinter dem glanzvollen Projekt auch ein sozialpolitisch kalkuliertes Sanierungskonzept steckte, offenbarte Oberbaudirektor Gustav Leo bei der Eröffnung. Mit dem Kino, so Leo, sei „das Rückgrat für die Gestaltung eines neuen, an breiten Straßen hochragenden Geschäftsgebietes anstelle des hygienisch, baulich und sozial bedenklichen Gängeviertel geschaffen“.

Als führendes Hamburger Kinounternehmen etablierte sich schließlich der Henschel-Konzern mit sieben modernen Schauburgen. Betreiber waren Hermann Urich-Saß und Hugo Streit, Schwiegersöhne des Hamburger Kinopioniers James Henschel. Nachdem Henschel sich 1918 aus dem Geschäft zurückgezogen und seinen Kinopark an die UFA verkauft hatte, etablierten seine Schwiegersöhne Mitte der zwanziger Jahre durch die Übernahme älterer und den Bau moderner Theater ihre eigene Kinokette. In den Schauburgen fanden jeden Monat Filmveranstaltungen der Arbeiterbewegung statt. Neben gängiger Kinokost kamen auch sowjetische Filme wie Eisensteins Panzerkreuzer Potemkin ins Programm.

Trotz prosperierender Kinobautätigkeit klagten die Betreiber beständig über ihre ruinöse Finanzlage. Die hohen Abgaben der sogenannten Lustbarkeitssteuer belasteten vor allem in den besucherschwachen Sommermonaten die Kassen. Als von städtischer Seite keine Senkung der Steuer in Aussicht gestellt wurde, griffen die Kinobesitzer zu einem drastischen Mittel: Sie traten 1922 in einen Steuerstreik. Fünf Wochen blieben in Hamburg alle Kinos geschlossen.

Erst nachdem der Senat einer geringen Steuersenkung zugestimmt hatte, öffneten sich wieder die Pforten. Gerne hatten sich die Stadtoberen zu diesem Kompromiß nicht hergegeben, stellte die Lustbarkeitssteuer doch eine gue Einnahme für das Staatssäckel dar.

Mit der Weltwirtschaftskrise und der finanziell aufwendigen Einführung des Tonfilmes stand der Kinowirtschaft Ende der zwanziger Jahre ein erneuter Tiefschlag bevor. Gerade das Arbeiterpublikum, dem das Kino zum Theater des kleinen Mannes geworden war, mußte in Zeiten harter Rezession und Arbeitslosigkeit auf jeden Pfennig im Haushaltsbudget achten. Da blieb für den Kinobesuch – Eintrittspreise von 60 Pfennig bis 1,80 Reichsmark- nichts übrig. Die Besucherzahlen sanken rapide.

Die Umstellung auf den Tonfilm wiederum erforderte für viele Kinos eine kostenaufwendige Installation neuer Klanggeräte – Investitionen, die sich nur die finanziell stabilen Kinokonzerne leisten konnten, nicht jedoch die kleinen Eckkinos der Vororte. Viele dieser oft in Familienregie betriebenen Kleinkinos mußten Anfang der dreißiger Jahre schließen.

Ungeachtet aller Krisen und Konjunkturschwankungen überdauerte eine andere Hamburger Filminstitution die Jahrzehnte. Mit dem Ziel, den Film als Kultur- und Bildungsmedium zu nutzen, gründeten hanseatische Honorationen die Kulturfilmgesellschaft Urania.

In ihrem Kino in der Fehlandtstraße zeigte die Vereinigung belehrende Filmstreifen wie Schiller – eine Dichterjugend oder Sumatra, das Land der 1000 Freuden. Zeichnete sich Hamburgs Filmförderungspolitik jener Zeit dadurch aus, eben keine zu sein, so galt dies nicht im Falle der Urania. Mit Beharrlichkeit umwarb Urania-Leiter Lichtwarck Vertreter städtischen Behörden, um finanzielle Aufbauspritzen für seinen Kulturverein zu erhalten. Von solchen Subventionen konnte der ebenfalls nichtkommerzielle, aber der KPD nahestehenden Volks-Film-Verband nur träumen.

Auch nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 wußte sich die Urania schnell anzupassen. Bereits eine Woche nach Bildung des neuen Hamburger Senates kam es auf Einladung Lichtwarcks zu freundschaftlichen Gesprächen zwischen der Urania und Senatsvertretern. Ein Jahr später kooperierte die Vereinigung bereits mit dem nationalsozialistischen Kampfbund für deutsche Kultur.

Heute führt die Urania als Kulturelle Film- Vortragsgesellschaft ein Schattendasein in Hamburgs Filmlandschaft. Das Kino in der Fehlandtstraße brannte Mitte der siebziger Jahre ab.

Für andere Filmschaffende in der Hansestadt verlief der politische Führungswechsel weniger reibungslos. James Henschel, Kinounternehmer der ersten Stunde wurde 1939 aus Hamburg zwangsausgewiesen, weil er Jude war. Den Schauburg-Ring seiner Schwiegersöhne Urich-Saß und Streit hatten bereits 1933 zwei ehemalige Geschäftsführer des Konzerns übernommen.

Beide traten wenig später in die NSDAP ein, der Name Henschel verschwand aus dem Handelsregister. Nachdem sich die sogenannte „Arisierung“ jüdischer Betriebe auch auf das lukrative Kinogewerbe erstreckt hatte, errang der Film in den weiteren Jahren als Propagandainstrument ohnehin nur zweifelhafte Verdienste.

Renate Kemper

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PDF Abschrift Taz Artikel von Renate Kemper

Ein Dokumentarfilm über die Geschichte des Henschel-Unternehmens läuft im 3001: Siehe Kinotips

Kinotips: Auf den Spuren von Hamburgs Kinogeschichte fahndeten Reinhold Sögtrop und Regisseur Otto Mayer. Vom Henschel-Konzern als einstmals größtem Kinounternehmen (s. Text oben) ist nach seiner „Arisierung“ 1933 und dem Krieg nichts übrig geblieben. Der Video-Film Leute, seid vernünftig, laßt die Frau duch, denn sie will noch schnell mal in die Schauburg, läßt nicht nur das Bild vergangener Glanztage neu entstehen. (3001, 6.5. 21 Uhr)

Renate Kemper

Auf der Suche nach Henschel

Abschrift eines Artikels aus der Hamburger Rundschau vom 5. Dezember 1991 Nr. 50, Seite 13 von Otto Meyer

Auf der Suche nach Henschel

Die verdrängte Geschichte des jüdischen Kinounternehmers Henschel

Mit vielen Hamburger Kinos selbst ging auch deren Geschichte in den Trümmern des zerfallenden Nazi-Deutschlands unter. Eine Ausstellung im 3001 Kino in der Schanzenstraße erinnert nun an den ehemaligen jüdischen Kinobesitzer James Henschel. VON OTTO MEYER

Die Ausstellung zeigt brisante Fotos und Dokumente von 1905 bis 1938. Die Nazis und die von Ihnen begünstigten Kinobesitzer haben einen großen Anteil daran, daß keiner in der Stadt mehr weiß, wo beispielsweise das Lessingtheater stand, wie sein Erbauer 1912 hieß, wer das Waterloo Theater in der Dammtorstraße baute und wo es stand, wem das Passage Theater in der Mönckebergstraße gehörte.

Nur ganz wenige wissen, daß Hamburger Kinogeschichte in dieser Pionierzeit ohne deutsche Juden gar nicht möglich gewesen wäre. Henschel war einer von ihnen und einer der größten Kinobesitzer mit den schönsten und geräumigsten Kinos. Und James Henschel (Jeremias) war einer der ersten, der in Hamburg Kinos gemacht hat. Keine Kneipen, wie die von Eberhard Knopf, in denen gelegentlich die Leinwand runtergelassen wurde, um die Trinker ein wenig abzulenken.

„Feste“ Häuser, die ausschließlich der Vorführung von „lebenden Photographien“ dienten. Das „Helios Theater“ wurde im Dezember 1905 in Altona/Große Bergstraße Nr. 11-15 eröffnet. Ein Jahr später das „Belle Alliance“. Schulterblatt 115, mit 1.400 Sitzplätzen.

(Anmerkung 2022): Das wußte ich damals noch nicht. Es wurde nicht ein Jahr später, sondern bereits einen Monat später im Januar 1906 eröffnet.).

(2. Anmerkung von 2022): Ulrich Mott hat noch mehr neue Informationen: Das Belle Alliance Kino wurde am 28. April 1906 eröffnet. Im Staatsarchiv hat er diese Information gefunden: „Herr Henschel, Gr. Bergstr. 11 wohnhaft, zeigt dem Polizei-Amt an, daß er vom 28.4.06 ab in den Nachmittags- u. Abendstunden in dem Lokal Belle-Alliance, in welchem die erforderlichen Einrichtungen bereits getroffen sind, lebende Photographien vorzuführen beabsichtige.“ (Staatsarchiv 423-31_37 (Akten der Feuerwehr Altona).

Das führt zu folgenden Überlegungen: Da Henschels Pachtvertrag am 1. Januar 1906 begann, wurde der Ballsaal in den folgenden Monaten in einen Kinosaal umgebaut, bis das Kino am 28. April 1906 eröffnet werden konnte.Es wurde von 15.00 Uhr bis 1.00 nachts gespielt. Oft waren mehr als achttausend Besucher pro Tag im Kino. Der schlechteste Tag war der 3. Juli 1906: Die gesamte Tageskasse des Belle Alliance betrug 56 Mark – alle anderen Zuschauer hatten sich lieber den Brand der Michaeliskirche angesehen.

Henschel baute in Wandsbek das erste Filmtheater Welt, das ausschließlich für Kinozweecke bestimmt war. Für 550.000,00 Mark wurde in der Wandsbeker Chaussee das „Palast Theater“ errichtet.

(Anmerkung 2022): Auch das wußte ich damals nicht. Es wurde gar nicht in Wandsbek, sondern in der Hamburger Straße in Hamburg gebaut. Der Fehler geht auf einen Artikel von Hermann Lobbes in einer Ausgabe der Lichtbildbühne (LBB) von 1930 zurück. Da hat dann immer einer vom anderen abgeschrieben. Ich auch.

Einer der gewaltigsten Saalbauten jener Zeit mit einer Gesamttiefe von 86 Metern und einem lichten Durchmesser von 70 Metern. 1916 kaufte James Henschel das Passage Theater in der Mönckebergstraße und das Lessingtheater am Gänsemarkt 46/48. Eigentlich hätten es „Grammophonautomaten-Salons“ werden sollen. Aber bei einem Besuch von James und Friderike Henschel in Paris schlug Friderike vor, doch „Ciné“ zu machen. Die lange Schlange vor einem solchen hatte beide überzeugt.

Die UFA wurde 1918 gegründet.

(Anmerkung 2022): Auch diese Angabe stimmt nicht. Die UFA wurde 1917 auf Veranlassung der Reichsregierung gegründet, die 8 Millionen als Startkapital bereit stellte. Dr. Klaus Kreimeier weist in seinem Buch: »Die UFA Story« auf Seite 462 auf einen geheimem Kontrollvertrag hin: “Den Einfluß des Reiches sicherte ein geheimer Kontrollvertrag, der in einem Schreiben des Kriegsministeriums an den Reichskanzler vom 18.4.1918 erläutert wird. Darin werden die Aktionäre Frenkel und Wassermann ausdrücklich als »Strohmänner« aufgeführt, hinter deren Zeichnungen das Reichskapital von 7 Millionen Mark »verborgen« sei. Laut Kontrollvertrag hätten sich die Gründer verpflichtet, »gegen alle Maßnahmen zu stimmen, die den Regierungsvertretern, die zu Sitzungen eingeladen werden müssen, nicht recht sind«. Das hat 1987 Wolfgang Mühl-Benninghaus herausgefunden. (Dissertation 1987 Humboldt Universität Berlin (Ost)).

Es war Ludendoff, der 1917 die Gründung einer großen deutschen Filmgesellschaft gefordert hatte. Viele Generäle waren der Meinung, sie hätten den Ersten Weltkrieg mit einer besseren Propaganda gewinnen können. Die Ufa sollte alles machen: Filme produzieren, Kinos betreiben, Kinoausstattung verkaufen. In Hamburg trat sie an James Henschel heran: „Entweder Sie verkaufen uns ihre Kinos, oder wir bauen selber Kinos und machen Ihnen Konkurrenz“, berichtete der Enkel Rolf Arno Streit. Henschel verpachtete.

(Anmerkung 2022): Auch das wußte ich nicht besser. Es war alles viel komplizierter.

Die James Henschel GmbH wurde am 29.11.1919 eine Tochtergesellschaft der UFA. Fünf Theater: Das „Palast Theater“ und das „Zentral Theater“, das „Lessing Theater“, die „Harvestehuder Lichtspiele“, das „Passage Theater“ und das „Zentral Theater“ gingen an die UFA. Die Grundstücke Gänsemarkt 46/48, Hamburger Straße 5/7 und Wandsbeker Chaussee 162 waren noch bis 1938 im Eigentum der James Henschel GmbH und sind vermutlich bis heute im Eigentum der Erben von James Henschel.

(Anmerkung 2022): Auch das wußte ich 1991 nicht besser. Ursache ist vor allem der angebliche Datenschutz, der seit 1972 die Einsicht in die deutschen Grundbücher verhindert.

Auch wenn die Gestapo in Zusammenarbeit mit dem Oberfinanzpräsidenten Hamburgs das „inländische Vermögen“ von James Henschel enteignet hat. Beispielhaft ist auch die Geschiche der legendären „Schauburg Kinos“. Die Schwiegersöhne von James Henschel, Hermann Urich Sass und Hugo Streit, die bereits seit 1914 gemeinsam die Geschäfte der Firma Henschel führten, wurden per Vertrag mit der UFA als Geneneraldirektoren übernommen. Auch wenn die Gestapo in Zusammenarbeit mit dem Oberfinanzpräsidenten Hamburgs das „inländische Vermögen“ von James Henschel enteignet hat. Beispielhaft ist auch die Geschiche der legendären „Schauburg Kinos“. Die Schwiegersöhne von James Henschel, Hermann Urich Sass und Hugo Streit, die bereits seit 1914 gemeinsam die Geschäfte der Firma Henschel führten, wurden per Vertrag mit der UFA als Geneneraldirektoren übernommen.

(Anmerkung 2022): Auch das wußte ich 1991 nicht besser. Nicht nur Hermann Urich Sass und Hugo Streit wurden übernommen, sondern auch das gesamte Personal der Firma Henschel. Dafür hatte sich James Henschel stark gemacht, dass alle Mitarbeiter von den Neugründung, der „J.Henschel GmbH“ übernommen wurden.

1925 schieden sie aus dieser Tätigkeit aus und gründeten den „Henschel Film- & Theaterkonzern“. Innerhalb von vier Jahren (1926-1930) wurden acht neue Kinos gebaut (Schauburg Millerntor, Schauburg Barmbek, Schauburg Hammerbrock, Schauburg St. Georg, Schauburg Nord, Schauburg Wandsbek, Schauburg Hamm, Apollo Theater). Vier weitere Kinos: Schauburg Hauptbahnhof (später Barke), Schauburg Uhlenhorst, Burg Theater, Schauburg Altona (früher Helios Theater) wurden übernommen . Am 27. Januar 1933 starb der Henschel Schwiegersohn Hermann Urich Sass.

(Anmerkung2022): Das wußte ich schon besser. Hatte allerdings dem Sohn Horst Urich Sass versprochen, das ich den Selbstmord seines Vaters erst nach seinem und dem Tod seiner Fraui Ciedra Urich Sass bekannt machen würde. An dieses Versprechen habe ich mich gehalten.

1936 flüchteten seine Söhne Horst Urich Sass, Rolf Arno Streit und Carl Heinz Streit nach Südamerika. James Henschel flüchtete im August 1938 zusammen mit Ehefrau Friderike nach Holland und starb dort ein Jahr später. Friederike Henschel flüchtete in die USA und ging nach New York. Die Henschels wurden der Staatsangörigkeit für „verlustig“ erklärt und das „inländische Vermögen“ nach dem Tode James Henschels 1938 beschlagnahmt. Die neuen „Besitzer“ der Schauburgen waren die ehemaligen Angestellten von James Henschel: Paul Romahn und Gustav Schümann, beides NSDAP-Mitglieder.

(Anmerkung 2022): Sie waren nicht nur NSDAP Mitglieder, sondern auch „Mitglieder“ der SA. Das wußte ich 1991 noch nicht.

Im Sommer 1943 hatten sich Hitlers Kino Geschenke auch für die Beschenkten erledigt. Von 12 ehemaligen Schauburgen entkam nur eines dem Bombenhagel der Alliierten. Den Schlager „Kinder laßt die Frau durch, sie will noch in die Schauburg . . . „ gibt es nur noch auf alten Schellackplatten. Die Geschichtswerkstatt in Barmbek hat sie wiedergefunden. Der Fotograf Reinhold Sögtrop, der die Henschelausstellung mit organisiert hat, hofft mit dieser Ausstellung auch noch weiter Zeitzeugen zu finden, die vielleicht noch Bilder aus der Frühzeit der Schauburgen und der Henschel Kinos haben.

Otto Meyer*

(*Manchmal muß man auch die anderen Vornamen benutzen, die einem die Eltern gegeben haben, weil man sonst keine Gelder von der Filmförderung bekommt).

PDF Stopersteine auf der Reeperbahn

PDF Auf der Suche nach Henschel Seite 2

Hugo und Sophie Streit mit der Schauburg Zeitung. Lil Dagover und Emil Jannings werden angekündigt.

PDF Eröffnung BELLE DTPortu

StaatsarchivRomahn&Schümann

Willy Münzenberg aus dem Schweizer Zuchthaus

Historischer Text ausgewählt von Stinki Müller

Willi Münzenberg Geschrieben im Schweizer Zuchthaus 1918

Willi Münzenberg

Lebenslauf

Verlag Detlev Auvermann KG Glashütten im Taunus 1972

Abschrift des Lebenslaufes von Wilhelm Münzenberg

Die Eltern

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Das Recht der ersten Nacht ist in Deutschland nach dem Gesetz schon seit langem aufgehoben. Praktisch freilich wird es heute mindest so oft als früher ausgeübt. Nur wartet man nicht bis zur Hochzeitsnacht der Magd und beschränkt sich auch nicht auf nur eine Nacht. Es war deshalb kein besonderer Zufall oder ein ausgezeichnetes Wunder, als sich Baron von M. vergass, sein aldiges und edles Blut mit demjenigen seines Zimmermädchens zu mischen. Das Kind erbte den Standesdünkel, den Jähzorn, die Brutalität und Roheit, die Liebe zu Wein, Weib, Weib und Spiel, kurz alle Tugenden seines Vaters, ohne dessen Vermögen. Der Alte benahm sich immerhin noch anständiger als andere seines Standes und in seiner Lage. Er anerkannte das Kind, gab ihm seinen Namen und bestritt die Kosten seiner besseren Schulbildung. Aber die junkerlichen Triebe in dem Jungen waren zu stark, um einen grösseren Lerneifer aufkommen zu lassen. Als Knabe war er der Anführer aller losen und verwegenen Streiche und als Jüngling mehr im Wirtshaus und hinter den jungen Schönen des Dorfes her als beim Studium. Ermahnungen und Drohungen des Alten fruchteten nichts. Da sagte sich dieser von dem Jungen los, kaufte für 300 Taler seinen Namen zurück und jagte ihn zum Teufel. Da brach der Krieg zwischen Preussen & Oesterreich aus (1866) und der hoffnungsvolle Sprössling des preusssischen Junkers und seiner Magd, der nichts gelernt und nichts zu verlieren hatte, meldete sich freiwillig. Er wurde angenommen und folgte als Feldgendarm dem siegreichen preussischen Heer. Das Leben unter den Soldaten gefiel ihm und er beschloss zu bleiben. Als Ordonanzreiter machte er einige Jahre später den deutsch-französischen Krieg mit, nahm 1873 den Abschied und wurde als Telegraphist angestellt. Das blieb er er aber nicht lange. Ein frischer Unternehmungsgeist trieb ihn, sich selbst zu versuchen und wurde in wechselreicher Reihenfolge Agent, Förster, Güterspekulant, Gastwirt, Coiffeur, Geflügelhändler etc., ohne aber mit irgend einem Fach dauernd Fuss fassen zu können. Das Soldatenleben und die Teilnahme an zwei Kriegen hatte alle seine Leidenschaften und Neigungen mächtig gefördert. Zu gute kam ihm nur der dabei gewonnene frische Unternehmungsgeist und eine gewisse Weltgewandtheit, die sich später zu einem guten und sicheren Geschäftssinn entwickelte. Im Vergleich zu der Vermehrung und der Steigerung der schlimmen Eigenschaften herzlich wenig. Der Standesdünkel war durch militärische Chargen und Orden kräftig gehoben worden. Und fehlte ihm auch der Name und das Vermögen, in seiner Einbildung und durch seine Abstammung fühlte er er sich als ein Mitglied der herrschenden, besseren Klasse, als schneidiger preussischer Junker und schaute mit Verachtung auf das gewöhnliche Volk. Die Liebe für ein flottes Leben, für Wein, Weib und Spiel war um die teurere Passion, für die Jagd, reicher geworden. Kein Wunder, wenn das schnell und leicht erworbene Geld ebenso schnell und rasch wieder zerfloss. Wenn ihm heute eine glückliche Güterspekulation Tausende in den Schoss warf, so verschlang morgen eine Jagdpartie zehntausende. Besonders die Leidenschaft für den Wein war durch den Krieg und nicht zuletzt durch die eroberten Weinkeller der französischen Bauern zu einer unbezwinglichen Trunksucht geworden. Und da der Wein in der Heimat ziemlich teuer war, so trat an dessen Stelle der Schnabs, der Gocnak und ein „guter Korn“. Und das täglich genossene Quantum stieg von Jahr zu Jahr und die Tage ohne Rausch wurden im selben Masse seltener. Hand in Hand mit der Vergrösserung der Trunksucht ging die Steigerung des Jähzorns, der Brutalität und Roheit. Die geringste ihm missfallende Handlung, ja, schon ein einziges Wort konnte ihn in einen Taumel sinnloser Wut versetzen. Als es anlässlich eines Kartenspiels zwischen ihm und einem Mitspielenden zu Differenzen kam, verliess er in höchster Erregung das Zimmer, um einige Minuten mit dem geladenen Gewehr zurückzukehren. Nur mit Mühe konnte dem Tobenden das Gewehr entwunden werden. Ueberhaupt wurde das Schiessen je länger je mehr zu einer direkten Manie des Unglücklichen. Einige Gewehre hingen stets geladen über dem Bett. Er begnügte sich nicht mit der Jagd auf die gewöhnlichen Jagdtiere, sondern schoss Stare, Raben, Störche, Katzen, Hunde, kurzum, was ihm vor das Rohr kam. Zu Hause droht er er täglich, sich zu erschiessen, die Frau, die Kinder, die „ganze Bande zu erschiessen“. Und mehr wie einmal rettete nur die schleunige Flucht die Unglücklichen vor dem Tod. Alles wurde aber übertroffen durch seine Roheit und Brutalität gegen die Familie. Jedes, auch nur das geringste und kleinste gefühlvolle Verständnis für ein Familienleben fehlte ihm vollständig und Liebe für Frau und Kinder war ihm so weltfremd, wie die Pflicht, für sie zu sorgen. Während er in lockerer und feuchtfröhlicher Gesellschaft tausende verprasste, fehlte der Familie das zum Leben notwendige Brot! Um die Erziehung der Kinder bekümmerte er sich nur insofern, als er ab und zu, und das nicht selten, alle auf das grausamste schlug. Mit der Frau wurde begonnen und mit dem Jüngsten geendet. Dabei fand alles Verwendung , was ihm in die Hand kam Stöcke, Peitschen, Ketten, Eisenstücke, Geschirr. Narben auf allen Körperteilen der Kinder zeugen heute noch von den erlittenen Misshandlungen. Als eines Tages der damals zweijährige älteste Sohn weinte, ergriff ihn der darob erboste Vater und warf ihn wie ein Ball oder ein Stein die Treppe hinunter. Nur dass die Mutter das Kind auffing und so den Sturz milderte, rettete dem Kind das Leben. Natürlich schrie der Kleine noch kläglicher als zuvor. Das machte den Vater so wütend, dass er Mutter und Kind in die Jauchegrube warf. Die Jauchegrube befindet sich in den thüringischen Bauernhäusern in der Mitte des Hofes und ist eine Grube ca. 2 m. tief, 3 m. breit und 6 m. lang. Auf die Hilferufe der beiden eilt die Schwiegermutter herbei, um gleich darauf ebenfalls in der Grube zu liegen. Nicht besser erging es dem Schwiegervater, der mit einer Mistgabel bewaffnet dem Wütenden zu Leibe wollte. Und während Großvater, Grossmutter, Mutter und Kind in der stinkenden Jauche zappelten und sich zu retten suchten, erzählte der Held des Stückes den wildauflachenden Bauern seine neueste Heldentat und unter den unflätigsten Witzen. Das war mein Vater! Später habe ich mich manchmal gefragt, wie war das alles möglich? Wie war es möglich, das ein solcher Mensch vierzig Jahre ein Familie quälen, vierzig Jahre wie ein Wahnsinniger leben leben durfte, ohne das die Nachbarschaft, ohne das die Behörde eingriff? Eine alles erklärende Antwort habe ich bis heute nicht gefunden. Viel erklärt das Wesen meiner Mutter. Meine Mutter kenne ich mehr nach den Schilderungen der älteren Geschwister als aus eigener Erinnerung; sie starb, bevor ich vier Jahre alt war. Sie war die Tochter armer Bauersleute in der Nähe von Erfurt und wie alle deutschen Arbeiter und armen Bauern, grenzenlos zufrieden und unterwürfig. Am schwersten musste sie ihre begeisterte Liebe für das bunte Tuch büssen. Sie liebte an ihrem Mann vor allem die Uniform und nur den Soldaten. Sie blickte zu ihm auf wie zu einem höheren Wesen, und empfand seine Liebe als die grösste, ihr erwiesene Gnade. Diese Ehrfurcht wurde durch die halbadlige Abstammung und durch die kriegerischen Auszeichnungen des Mannes noch bedeutend vergrössert. Damit aber war ihre Stellung in der Ehe gegeben. Sie war die Magd und er der Herr. Die Ehe war eine schlechtere Ausgab der Liebschaft zwischem dem Baron und seinem Zimmermädchen, die zum Unglück mit einer Heirat endete. Unergründlich, wie die tiefsten Tiefen des Weltmeers ist das Leid, das die vielgeprüfte Frau in dem Martyrium einer vierunddreissigjährigen Ehe frommgeduldig ertrug. In ihren Händen allein lag die Erziehung der Kinder und später, als der Mann alles vertrank und vertat, auch die Ernährung der Familie. Vom frühen Morgen bis in die späte Nacht war sie unermüdlich tätig, durch den Betrieb einer Kuchenbäckerei das zum Unterhalt der Familie notwendige Geld zu verdienen. Und anstatt der Mann dazu beisteuerte, forderte er noch. Sie sollte ihm das Geld erarbeiten, das er in Gesellschaft mit Dirnen verprasste! Und als Entgelt Grobheiten, Skandale, Misshandlungen und Prügel. Wie viele Nächte wachte sie, in banger Angst und Sorge um das Leben und das Leben ihrer Kinder. Wie viele Nächte arbeitete sie, wenn die Stunden des Tages nicht langten. O tränenreichste, schmerzensreichste Dulderin deines Geschlechts! Wie oft habe ich nichts sehnlicher gewünscht, um mit kindlicher Liebe all das zu vergelten, das du in namenloser Liebe an uns und an mir getan. Ach, wie zu oft habe ich gewünscht, alle deine um mich geweinten Tränen von den geliebten Wangen zu küssen oder sie in Tränen glücklichster Freude zu verwandeln. Heute, da in stiller Einsamkeit die Erinnerungen früherer Zei-ten besonders lebendig in der Seele werden, heute fasse ich den Kopf mit beiden Händen und frage mich verzweifelnd „Wie war es möglich, das ich dich vergessen konnte? Wie war es möglich, dass ich mithelfen konnte, die ewig währende Mutterliebe zu bezweifeln und zu leugnen; zu der selbst der Richter des „Scheiterhaufen“ und „der Vater“ mit heiligem Schauer zurückkehrte? Wie vielmehr ich, der Dich Mutter nennt? Wie immer sich auch der Begriff Pflicht, Recht, Liebe ändern mag, in deinem Leid, o Mutter, in deinem Schmerz bis du unerreicht gross, jetzt und in alle Ewigkeit. Dem ersten Buben, meinem ältesten Bruder, schenkte sie das Leben, als ihr Mann als preussischer Soldat vor Paris stand. Er wurde das getreueste Ebenbild des Vaters, wie er Soldat, Spieler und Trinker. Da er bereits dreissig Jahre alt war, als ich geboren wurde und nur selten zum Besuch bei uns weilte, hat er keinerlei Einfluss auf mein Leben ausgeübt. Seit mehr als zehn Jahren hat überhaupt jeder Verkehr zwischen uns aufgehört. Ihm folgte nur einige Jahre später meine Schwester, in der sich die Eigenschaften von Vater und Mutter mischten. Besass sie von Vater den unbeugsamen Willen und den frischen Unternehmungsgeist, dann von der Mutter die Kraft zu schwerer und dauernder Arbeit. Ihr Leben war noch dornenvoller als das der Mutter. Wegen ihrer Liebe von zu Hause verstoßen, heiratete sie einen Menschen, der nach wenigen Jahren sich in der Trunkenheit verlor. Nach der Scheidung behielt sie nicht viel mehr als ihre sechs oder sieben Kinder. Sie heiratete wieder, einen Witwer, ebenfalls mit mehreren Kindern und seit jener Zeit habe ich nie mehr etwas von ihr gehört. Der dritte Sprössling war wieder ein Bube, der 1882 geboren wurde. Er glich in allen Zügen der Mutter. Mit ihm war ich am läng-sten in Verbindung und wechsle heute mitunter noch Briefe. Trotzdem er später mein Vormund wurde, habe doch ich auf ihn den grösseren Einfluss ausgeübt als er auf mich und ihn sowohl der Partei wie der Gewerkschaft zugeführt. Mit seiner Geburt glaubte die damals zweiundvierzigjährige Frau ihre Pflicht als Mutter erfüllt zu haben. Eine besondere Freude wird die mit schwerer Arbeit überbürdete Frau nicht empfunden haben, als sie sich Anfang 1889 nochmals Mutter fühlte und Segenswünsche waren es sicher keine, mit dem der Vater das frohe Ereignis begrüsste. Am 14. August wurde ich geboren.

Die ersten Eindrücke

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Das erste Gefühl, das mich beherrschte und auf das ich mich heute noch erinnern kann, war bange Furcht. Der Ruf „Vater kommt“ erschreckte mich auf das tiefste und vor Angst wusste ich nicht, soll ich mich verstecken oder stehen bleiben. Soweit ich mich erinnere und so oft ich noch die gemeinsam mit ihm verlebten fünfzehn Jahre an mir vorüberziehen lasse, nicht auf ein liebevolles oder zärtliches Wort kann ich mich von ihm besinnen. Zum Glück war der Vater selten zu Hause, mitunter sah ich ihn wochenlang nicht, dann weilte er auf Jagden und Vergnügungsreisen. Damals bewohnten wir eine Etagenwohnung eines mittelgrossen Hauses in der damaligen Hauptstrasse von Erfurt. Rechts die Tür vom Hauseingang führte in den Laden, den die gute Mutter zu Ernährung der Familie betrieb, links die Tür in das Heiligtum, das wir Kinder nie oder nur selten betreten durften, in das Zimmer des Vaters. Es war das best eingerichtetste der ganzen Wohnung. Hinter dem Laden befand sich das Wohn- und daran anschliessend das Schlafzimmer. Die Küche und der Backraum waren hinter des Vaters Zimmer. Die Stuben waren niedrig und dunkel, das Haus schon alt. Das Töchterchen einer Nachbarfamilie, wie ich später erfuhr, des sozialdem. Reichstagsabgeordneten R. war meine erste Spiel-gefährtin, auf die ich mich erinnern kann. Besonders liebte ich die Spiele, wo ich predigen konnte – Hochzeits – Beerdigungs- u.s.w.. Ich bin, trotz Strindbergs “Damaskus“ und “Inferno“ zu viel Atheist um in all diesem den weisenden Finger einer höheren Macht oder des Schicksals zu sehen. Aber ein leises Gefühl stillen Glücks überfällt mich doch, wenn vor mir der dreijährige, kleine Knirbs mit dem ausgestopften Bauch und der Mutterschürtze auf dem Stuhle steht, um der nach grausamem (n) Schmerzenslager gestorbenen Puppe die Beerdigungsrede zu halten. Ja, damals. – Die treueste Pflegerin wurde mir, da die Mutter vor allzustrenger Arbeit keine Zeit fand, meine Schwester. Und das dürfte auch die Ursache sein, warum ich mich später in schmerzlichster Sehnsucht mehr nach einer Schwester sehnte, als nach der Mutter, um in dessen Schoss mein Haupt zu bergen und alles Leid und alle Schmerzen der Seele auszuweinen. Und namenlos glücklich fühlte ich mich, als mein Wunsch in Erfüllung ging und das beste Mädchen meine Kameradin, meine Freundin und meine Schwester wurde. Frühzeitig wurde alles getan, um mir die gleiche Begeisterung für das Soldatenleben zu erwecken, die die ganze Familie dafür hegte. Bleisoldaten, Festungen, Gewehr, Säbel, Trommel und dergleichen war mein erstes und einziges Spielzeug. Erst dreijährig, schickte mein älterer Bruder, der damals als Unteroffizier in Gotha weilte, mir eine Soldatenuniform. Mit diesem Kleid lief ich nun Tag für Tag durch die Strassen und die Familienmitglieder waren nicht wenig stolz, wenn das stramme Salutieren des kleinen Knirbses von den Soldaten und Polizisten lächelnd erwidert wurde. Am glücklichsten zeigt sich daron stets meine Mutter. Die arme Frau. Selbst das dreissigjährige Martyrium unter einem waschechten Soldaten und Krieger, wie es mein Vater war, mit all den scheusslichen Erniedrigungen, Leiden, Qualen und Misshandlungen, konnte bei ihr die Begeisterung für das bunte Tuch nicht schwächen. Alle ihre Buben, das war ausgemacht, mussten stramme Soldaten werden und wie der Aeltestes zwölf Jahre dienen. Auf dem Sterbebett war es ihr letzter Wunsch, den “Willy“ nochmals als Soldaten zu sehen“. Und so wurde ich angekleidet mit der Uniform, den Helm auf gesetzt und den Säbel umgeschnallt und an das Bett der Sterbenden gebracht. Die arme Mutter. Hätte sie geahnt, welche ganz andere Wege später ihr Jüngster zu gehen bestimmt war. Zu stark wurzelte das Vorurteil in ihrer Seele, zu mächtig wirkte die an der Mutterbrust begonnene Erziehung und die landesübliche Gewohnheit und eine fast klösterliche Abgeschlossenheit tut das seinige, um die Ideen und Anschauungen des Bauernmädchens zu konservieren. Nach der Mutter Tod wurde die Bäckerei aufgegeben, die Schwester verliess uns und der Vater, der damals 11 jährige Bruder H. und ich zogen in eine kleinere und bescheidenere Wohnung. Aber nicht lange. Mein Vater macht bald eine gute Partie und heiratete eine Witwe mit cirka 20.000 Mark Vermögen. Mit dem Geld erwarb er eine Gastwirtschaft in einem Dorf in der Nähe von Weimar. Die Stiefmutter war ein geistig etwas beschränktes Wesen und die Behandlung und Prügel, die sie gleich meiner Mutter von meinem Vater erhielt, trugen nicht dazu bei, ihre Intelligenz zu schärfen. Ihr fehlte jede Liebe zu dem Mann wie zu uns. Die Misshandlungen seitens des Mannes quittierte sie durch Lügen und kleine Intrigen und die magere Kost verbesserte sie durch Naschereien. Mit uns schimpfte sie den ganzen Tag, sodass wir schon nach kurzer Zeit sie nicht mehr ernst nahmen. Von einem Familienleben konnte jetzt noch weniger wie früher die Rede sein. Wenn ich heute, in den stillen und langen Nächten, die ich in einer Zelle der Polizeikaserene Zürichs, die mich immer an eine zur inneren Einkehr mahnende Klosterzelle erinnert- durchlebe und alle Stunden meiner frühesten Kindheit vor mir vorüberziehen lasse, dann kommt es mir immer deutlicher zum Bewußtsein, dass die Wurzeln meines Wesens, meiner Leidenschaft, meiner Symphatien und Antipathien, bis in diese entfernte Tage reichen. Der Eckel und Schreck gleichzeitig erregende betrunkene Gestalt meines Vaters flösste mir einen tiefen, unüberwindlichen Abscheu gegen alle alkoholischen Getränke ein. Und während meine Schulkameraden mir Kreisel, Peitsche und alle ihre Herrlichkeiten anboten, wenn ich ihnen heimlich zu einem Glas Bier oder einem Gläschen Likör verhalf, konnte ich bei besten Willen nie einen Schluck von diesem Zeug über die Lippen bringen. Aus gleicher Ursache verabscheute ich jedes Zeichen von Roheit und Brutalität. Der plötzliche Verlust zweier mich pflegender Frauen, meiner Mutter und Schwester, dem bald derjenige meines Bruders folgte, raubte mir jede Pflege des kindlichen Gemüts, jede tröstende Zärtlichkeit und helfende Liebe. Aber der Keim zu etwas weichem, zarten, liebreichen war gelegt und drängte immer und immer wieder zu einer Aeusserung. Je mehr und je länger ich jede zärtliche und liebevolle Pflege entbehren musste, immer grösser wuchs sie, immer schmerzlicher empfand ich jedes harte und böse Wort. Menschen hatte ich keine, die ich lieben konnte und die mich lieb-ten. Da flüchtete ich mich zu den Pflanzen und Tieren. Mit ihnen lebte ich, mit ihnen wuchs ich auf und ihnen liess ich die ganze Zärtlichkeit meiner Kindesseele angedeihen. Als ein Hund erschossen werden musste, den wir über 4 Jahre hatten, weinte ich tagelang und wollte mit ihm in die Grube. Damals war ich zehn Jahre alt. Das schrecklichste für mich war es, als ich als 13 Jähriger jungen Tauben die Köpfe abreissen sollte. Trotz allen Drohungen des Vaters konnte ich vor Weinen und Rührung seinen Befehlen nicht nachkommen. Wohl nahm ich die Taube in die Hand, aber ein Blick in ihre kleinen, flehenden Augen machte mich bis auf das innerste erschaudern. Ja, noch später, wo ich schon Mitglied der “revolutionären“ Schuldemokratie war, konnte mich eine Diskusssion so mitnehmen, dass ich Nächte lang weinte und und direkte Weinkrämpfe bekam. Geschlagen zu werden war für mich das schlimmste, fürchterlichste Unglück, das mich treffen konnte und ich war entschlossen, gleich dem Helden in meiner dramatischen Szene “Jung-Volk“, eher zu sterben als eine körperliche Züchtigung zu ertragen. Schlagen konnte ich nie. Diese fast mädchenhafte Weichheit ist mir umso unerklärlicher, als ich schon recht früh eine Masse Indianerbücher und Räubergeschichten lass, die doch sich nicht dazu angetan waren, diese Zartheit und Empfindlichkeit zu fördern. Heute noch kann das Leiden eines Anderen oder eine gewisse Naturstimmung, ja schon ein Bild oder ein Lied in meiner Seele die zartestes und weicheste Regung erwecken, die ich dann stammelnd in Verse auszudrücken suche. Der seit der frühesten Kindheit ungestillte Drang nach Liebe und zärtlicher Pflege lebt heute in unverminderter Stärke in mir und ist der stärkste Trieb, der mir die Feder in die Hand drückt. Auf die ersten Eindrücke in meiner Kindheit führe ich auch meine Antipathie gegen alles, was mit dem Militär in Zusammenhang steht, zurück. Für mich war jahrelang ein Soldat und ein betrunkener Raufbold ein und dasselbe. Ich hatte zu Hause einen zu guten Anschauungsunterricht genossen. In jedem uniformierten Menschen sah ich etwas von einem Henker. Durch das Studium wissenschaftlicher Untersuchungen, hauptsächlich einer Menge volkswirtschaftlicher Leh-ren, trat später an Stelle der gefühlsmässigen Abneigung gegen das Militärwesen mehr die bewußte Wertschätzung über die Rolle des Militärs im heutigen Staat. Trotzdem befürchte ich, dass, vielleicht unbewußt, auch heute noch die aus den ersten Eindrücken resultierte gefühlsmässige Antipathie nachwirkt. Kein Buch und keine Lehre und auch kein Resultat wissenschaftlicher Forschung wirkt ja so nachhaltig und tief auf uns, wie gefühlsmässig erworbene Eindrücke persönlichen Erlebens. Diese Erkenntnis ist es auch gewesen, die mich in den letzten Jahren auf eine Aende-rung der Unterrichtsmethode in der sozialistischen Bildungsarbeit drängen liess. An Stelle des toten Unterrichts abstrakter und theoretischer Begriffe sollte mehr und mehr die Erwerbung sozia-listischer Erkenntnisse auf dem Wege gefühlsmässiger eigener Er-lebnisse der zu Bildenden geschehen. Das, was heute zufällig geschieht, muss zu einer Lehrmethode ausgebaut werden. Ich verhele mir nicht die imanenten Schwierigkeiten, die einer völligen Lösung dieses Problems harren, aber es muss gelöst werden, soll die sozialistische Bewegung mehr als Parteisache, zu einer wirklichen Volks- und Kulturbewegung werden. Recht früh äusserte sich bei mir der Drang zu organisieren. Als Vierjähriger liebte ich neben dem “predigen“ nichts so sehr als das Organisieren der gespielten Hochzeiten, Feste etc. Ich verteilte die Rollen, stellte die Mitspielenden auf, bezeichnete den Weg, baute den Altar und so weiter. Später arrangierte ich Indianer- und Räuberspiele oder auch Theaterszenen. Als 12 jähriger führte ich ohne Auftrag und Weisung eine vaterländische Feier durch, an dem das halbe Dorf und die gesamte Jugend teilnahm. Und noch bevor ich mit der sozialistischen Arbeiterbewegung in Berührung kam, betätigte ich mich an der Gründung von Theaters und Fussballklubs. Woher dieser Drang kommt, kann ich mir freilich nicht erklären. Am schlimmsten hatte ich unter dem Furchtgefühl zu leiden, das sich von Jahr zu Jahr steigerte. Vor allem wurde die Angst vor dem Vater riesengross. Während ich in der frühesten Kindheit mich nur vor seinen harten und bösen Worten und vor den Schlä-gen fürchtete, hatte die immerwährende Drohung mit dem “Aufschiessen“ es soweit gebracht, dass ich schon als 8 jähriger, meinem Vater zutraute, mich zu ermorden. Diese Angst wuchs ins Unermessliche, als er in jener Zeit meinen Bruder zu erschiessen versuchte, der, mit Hemd und Hosen bekleidet, sich nur durch einen Sprung aus dem ersten Stock unseres Hauses retten konnte. Heute presst es mir noch die Kehle zusammen, wenn ich daran denke, wie ich als 8 jähriger vor jedem Einschlafen betete “Lieber Gott, mach, dass mein Vater mich nicht totschiesst.“ – Das Lesen einer Menge Indianerbücher, Räuber- und Gespenstergeschichten verkleinerten natürlich diese Furcht nicht und übertrugen sie nur noch auf andere Erscheinungen. Ich fürchtete mich vor dem Blitz, dem Donner, der Dunkelheit, vor hundert eingebildeten Gestalten, die meine gereizte Phantasie schuf, vor etwas grossem Unbekannten, vor dem Schicksal, vor Gott. Es hat lange, lange gedauert bis ich diese Furcht überwun-den hatte und ich jauchzend und durch ein inneres Kraftgefühl glücklich, in dunkelster Nacht durch die schwersten Gewitter wan-derte. Bei allem qualvollem, das mir die Angst bereitete, verdanke ich ihr doch viel. Aus Angst habe ich, bevor ich die moralische und sittliche Kraft kannte, das Schlechte gemieden und das Gute getan. Zu den nützlichen Eigenschaften, die ich der Kindheit verdanke, gehört ein stark entwickeltes Selbstständigkeitsgefühl. Das kommt wohl daher, dass sich nach dem Tod meiner Mutter eigentlich Niemand mehr um mich bekümmerte. Niemand beaufsichtigte oder half mir bei meinen Schulaufgaben, erkundigte sich nach meinem Wohlergehen, Niemand nahm sich meiner an. Hatte ich etwas getan oder nicht getan, was des Vaters Zorn reizte, bekam ich eine gute Portion Prügel und ging, wie stets, weiter meine eigene Wege. Ich glaube nicht an ein das Leben bestimmendes Schicksal und noch weniger an eine göttliche Vorsehung, wenn ich aber meine ersten Lebensjahre zergliedere und analysiere, komme ich doch zu der Ueberzeugung, das die mitunter unbewußt empfangenen Eindrücke und vor allem die der frühesten Jugend einen starken Einfluss auf unser Gefühls- und Seelenleben ausüben und so doch indirekt unser Leben mitbestimmen.

Die Schulzeit.

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Meine Schulbildung wurde durch einen häufigen Wohnungs-wechsel der Familie sehr erschwert. Im ganzen besuchte ich an acht Orten, meistens kleinen Bauerndörfern, die Schule. Der dort gebotene Unterricht war mehr als dürftig. Die Hauptsache war Religion und dieser Unterricht beschränkte sich auf das Auswendiglernen von Bibelsprüchen und Gesangbuchversen. In der Geographie kam man über das Herzogtum Gotha nicht hinaus. Die ganze Jämmerlichkeit der sonst so hoch gelobten deutschen Volksschule wird recht treffend durch folgenden Vorfall gezeichnet, der sich in einem Dorf in der Nähe unserers Wohnortes zutrug. In einer Gemeindeversammlung stellte der Lehrer den Antrag, eine Karte von Europa anzuschaffen. Da steht ein biederes Bäuerlein auf und sagt “Wozu brauchen wir eine Karte von Europa, dorthin kommt doch keiner von uns!“ Meine schwächsten Seiten in der Schule waren Singen, Schönschreiben und Turnen. In diesen drei Fächern wurde ich nie Meister, während ich im Rechnen, im Aufsatz, in Geschichte etc. stets eine gute Note errang. Eine besonders qualvolle Zeit war es für mich, als der Vater plötzlich den Einfall bekommt, ich müsse Klavierspielen lernen. Jedenfalls versprach er sich durch etwas Musik in der Wirtschaft einen besseren Besuch, das Unglück aber war, dass ich absolut kein Talent und noch weniger Lust zum Musiker hatte. Dazu kam die Pferdekur meines Vaters, um mir dieses beide fehlende beizu-bringen. Mitunter musste ich 6. 7 und noch mehr Stunden am Kla-vier sitzen und ohne Pause spielen. Diese Tortur wurde dadurch nicht angenehmer, das ich begreiflicherweise im Anfang nur weni-ge Accorde spielen konnte. Ueber ein Jahr dauerte die Qual. Ich hatte es soweit gebracht, das Lied, “Guter Mond du gehst so stille“ – spielen zu können. Wieder musste ich eines Tages mehrere Stunden ununterbrochen spielen ohne Aussicht, erlöst zu werden. Der Vater hockte wie gewöhnlich berauscht auf seinem Stuhl. Im Vertrauen auf den Rausch erwiderte ich, als er frug, was ich spiele, den “Torgauer Marsch“. Das war sein Lieblingsstück und ich hoffte damit los zu kommen. Sei es aber nun, dass er nicht genügend berauscht war und die Töne noch unterscheiden konnte oder war ihm der Marsch so bekannt, dass er ihn auch im ärgsten Rausch unterscheiden konnte, auf alle Fälle erkannte er meine Lüge. Die Folge war ein Mordslärm, eine tüchtige Tracht Prügel. Im Eifer hieb er mit der Kette, die diesmal zur Züchtigung diente, in der eine damals noch üblichen Petroleumlampen, die dabei in Scher-ben ging. Eine neue Ursache, die Prügelei fortzusetzen: “Wegen Dir Lump muss ich eine neue Lampe kaufen“, rief er aus und Schlag folgte auf Schlag. Schliesslich holte er einen Strick, einen guten, neuen Strick, und forderte mich auf, mich aufzuhängen. Wenn ich am andern Tag noch lebte, würde er mich totschlagen. Ich nahm den Strick und ging nach dem Boden mit festem Vorsatz, dem Verlangen nachzukommen. Denn nie wäre es mir eingefallen, den Befehlen meines Vaters zu trotzen oder mich zu widersetzen.Freudige Gefühle freilich waren es keine, die mich bewegten. Ich dachte an den Schulausflug der bald sein sollte, und verschiedene Gespiele und Kameraden, an meinen Bruder und ganz zart und schwach noch an die verstorbene Mutter und die ersten Kindheits-tage und schlief dabei mit dem Strick in der Hand ein. So fand mich meine Stiefmutter und damit endeten meine musikalischen Studien. Eine besondere Quälerei war für mich auch die Beschaffung der nötigen Lehr- und Lernbücher. Derselbe Mann, der tausende für Jagden und seine Leidenschaften ausgab, liess mich mehrmals um 10 Pfenning für ein Schreibheft bitten und machte den grössten Skandal, bevor er sie gab. Darunter litt ich schrecklich. Ebenso unter den zerrissenen Kleidern und zu grossen Schuhen, mit denen ich zur Schule musste. Ich war oft das Gespött der übrigen Kinder. Ein alter Rock des Vaters, der mir fast bis auf die Schuhe reichte, trug mit den Spitznamen “Schwenko“ ein. Vor der Konfirmation fieberte ich geradezu und dachte an Selbstmord, da ich keinen Anzug und keinen Kragen bekommen sollte. Schliess-lich legte ich einen Kragen meines Vaters an, der mindest 55 cm hatte, während mein Hals höchstens 35 war. Ich half mir, indem ich in die Mitte des Kragens ein Loch schnitt und den Kragen ander-thalbmal um den Hals legte. Was litt ich nicht allein an diesem Tag. Vor Scham drohte ich zu ersticken. Unzählig sind die Leiden, denen ich als Kind ausgesetzt war. Mitten in der Nacht, wenn der letzte Gast die Wirtschaft verlassen, weckte mich mein Vater und zwang mich, nur mit dem Hemd bekleidet, die Gläser und Flaschen zu putzen. Er war betrunken und konnte nicht unterscheiden, ob ein Glas geputzt oder ungeputzt war und so musste ich Gläser vier, fünf und noch mehrmals reinigen. Ein Glück, wenn er so betrunken war, dass er bald einschlief, dann stahl ich mich leise davon, zurück in das Bett und weinte bitterlich. Ich war noch nicht zehn Jahre, da weihte mich der Betrunkene mit den schmutzigsten Zoten in die Geheimnisse des Ehelebens ein und führte in meinem Beisein die eindeutigsten Griffe an dem Körper meiner Stiefmutter aus. Das Blut schoss mir in die Wangen und ich verbarg den glühenden Kopf hinter einem Zeitungsblatt. Er riss es weg, ein echter Wirtssohn muss alles wissen und du bist alt genug dafür“, schrie er dazu. Selbst wenn der Lehrer und Pfarrer als Gäste daweilten scheute er sich nicht, die dreckigsten Zoten zum Besten zu geben. Und nur die dringlichsten Vorstellungen dieser Männer brachten in soweit, dass ich dann das Zimmer verlassen durfte. Von allen zehn Geboten schien mir zuerst das vierte für unwahr und unrichtig. Wie konnte ich einen Vater ehren und lieben, der sich schlimmer und schmutziger als ein Tier benahm? Hier setzten zuerst meine Zweifel an der Richtigkeit der göttlichen Ge-bote und Gesetze ein. Als Zehnjähriger musste ich mitunter schon selbstständig die Wirtschaft leiten. Der Vater war auf der Jagd und die Stief-mutter klatschte in der Nachbarschaft. Ich bediente die Gäste, spielte mit ihnen Karten und politisierte wie ein Alter. Die Berichte über die Reichstagsverhandlungen war mir das erste, was ich regelmässig las und verfolgte. Und damals erregte der Burenkrieg alle Gemüter auf das heftigste. Ich war Feuer und Flamme für die Buren und verteidigte sie in der Wirtschaft genau so tapfer wie in der Schule gegen die Kameraden. Ich fraternisierte direkt und erfand selbst Geschichten, um den Mut und die Tapferkeit der Buren im hellsten und herrlichsten Licht erstrahlen zu lassen. Ja, ich traf sogar Vorbereitungen auszuwandern und ihnen zu helfen. Deshalb schnitt ich das Futter meines Rockes auf und füllte diesen mit Proviant. Das wurde entdeckt bevor ich ab-reisen konnte und die Folge war natürlich eine tüchtige Tracht Prügel, umso mehr, als ich nicht die schlechteste Wurst gewählt hatte. Meiner Begeisterung für die Buren tat das aber keine Einbusse. Wie früher, so summte ich auch danach noch während des ganzen Tages “Die dreifarbige Fahne für s Transvaaler-Land, auf Buren beschützt sie Gwehr in der Hand.“ Eine ähnliche grosse Begeisterung erlebte ich erst 1905 wieder und zwar für die russische Revolution. Damals kaufte ich mir eine Schrotpistole für 2,50 Mark und wollte allen Ernstes nach Petersburg, den Zaren töten. Meine Freunde hatten nicht wenig Mühe, mich von dem verrückten Gedanken abzubringen. Ein Lichtschimmer in das tägliche Grau meiner Kindheit schaffte mir die Freundschaft mit einem gleichalterigen Schulkameraden, dem Sohn begüterter Bauern. Bei ihm brachte ich jede Stunde freie Zeit zu. Wir fuhren auf das Land, trieben uns im Stall und in der Scheune herum, rauften, spielten, assen Beeren und Aepfel, wenn sie reif waren, mitunter auch schon vorher. Am liebsten aber zogen wie auf die Jagd, bewaffnet mit Pfeil und Bogen. Ein toter Rabe oder eine andere Tierleiche, die wir fandenm, wurden als stolze Trophäen des Jagdzuges heimgebracht. Einmal erschreckte uns eine Hase, der jäh aufsprang, fast bis zum Tode. “Das war kein richtiger Hase, das war ein wilder Hase“ – versuchten wir unsere Angst zu entschuldigen. – Ich war noch nicht 13 jahre, da hatte der Vater nicht nur den Verdienst der vielen Jahre und die erheirateten 20000 Mark verlumpt, sondern auch noch obendrein Schulden gemacht. Die Familie war gezwungen, die Wirtschaft aufzugeben. Der Vater zog in die Stadt zur Miete. Jetzt begann die traurigste Zeit meiner Kindheit. Arbeiten konnte der Vater nicht, hatte es nie gelernt und so lebte die Familie von dem Verdienst der Stiefmutter, den diese als Waschfrau verdiente und das war kläglich genug. Die entbehrlichsten Möbelstücke wurden gerichtlich beschlagnahmt und zwangsweise verkauft. ich wagte nicht mehr mich satt zu essen und würgte an den wenigen Bisse, die ich mir zu nehmen getraute. Dazu kam, dass ich nun, das letzte Jahr in die Stadtschule musste, wo ich mit meiner sechsjährigen Dorfschulbildung gerade keine beineidenswerte Rolle spielte. Ich gab mir redlich Mühe, nachzukommen und einigermassen zu folgen und bis zu einem gewissen Grad ist mir das auch gelungen. Dieses letzte Schuljahr gehörte zu jenen, in welchem ich am meisten profitierte. Aber eine Szene bleibt mir unvergesslich. Wir hatten Religions-stunde, plötzlich krachte ein Schuss. Alles horcht auf, wer ist das gewesen? Der Lehrer ist wütend. Niemand meldet sich. Jeder Einzelne wird streng und aufs Gewissen gefragt. Niemand bekennt. Es beginnt eine peinliche Untersuchung. Bei mir wird eine Pistole, aber kein Pulverblättchen gefunden. Der Lehrer brüllt mich an, “Gestehe, Du bis es gewesen“. Der Wahrheit entsprechend sage ich nein. Da meldet sich ein Schüler und erzählt, dass ich noch gestern Pulverblättchen gehabt hätte, ich gebe das zu, sage aber, dass ich diese gestern alle beim Spiel verbraucht. Der Lehrer glaubt das nicht. Ich muss mich überlegen und der Lehrer haut los. “Gestehst Du nun, bist du es gewesen“ – frägt er nach einer Pause. “Nein“, schrie ich. Er prügelte weiter. “Bist Du es gewesen?“ – Nein. “Gestehe oder ich schlage eine halbe Stunde“. – Ich war es nicht. Der Lehrer lässt von mir ab. Ich hatte mich bereits damit abgefunden, eine halbe Stunde Prügel zu bekommen, aber um keinen Preis in der Welt hätte ich etwas zugegeben, was ich nicht getan hatte. Der Lehrer war sonst gerecht und ich kam gut mit ihm aus. Verdienter war eine Züchtigung, die ich bei einer anderen Gelegenheit erhielt. Das Schreiben war immer noch mein Steckenpferd und fast täglich mussten wir Aufsätze zu Hause schreiben. Jeden Tag kam dann der oder jener daran, seinen Aufsatz vorzu-lesen. Bei dieser Gelegenheit verstand ich es vortrefflich, mich klein zu machen und kam nie daran. Das Glück machte mich kühn. Ich schrieb nie mehr einen Aufsatz. Da, eines Tages, brach das Verhängnis über mich herein. “Aufsatzhefte vor“ M. lese deinen vor“. Das war leichter verlangt als getan. Zum Glück hatte ich Geistesgegenwart genug und erzählte, die Augen auf das Heft gerichtet, frech eine Geschichte. Der Lehrer schwieg und schon glaubte ich mich gerettet. Da plötzlich “Münzenberg bring mir mal dein Buch vor“. Die Schandtat wurde entdeckt und die Strafe folgte der Sünde auf dem Fusse. Uebrigens war das Jahr unter den gereiften und erfahrernen Stadtburschen von heilsamen Einfluss auf meine Schüchternheit. Wenn ich sie auch nicht völlig verlor, so wurde sie doch stark gemildert. Ein um so grösserer Nachteil waren für mich die Unmenge Indianer- und Räuberhefte, deren Inhalt ich geradezu verschlang. Ausser hunderten von Indianerbüchern hatte ich 100 Hefte Buffalo Bill, 100 Hefte “Räuberhauptmann Fetzer“, 100 Hefte “Der Königsmord in Belgrad“, 100 Hefte “Lebendig begraben“ und eine Masse ähnlichen Schund gelesen. Ueberhaupt war ich in den letzten Schuljahren und in den ersten Jahren nach der Schulentlassung direkt wie versessen auf das Lesen. Ich las alles was mir in die Hände kam, und schleppte alles, was ich gedrucktes fand, nach Hause. Alte Fahrpläne, Kataloge, Schulbücher, Kalender, Zeitungen, Indianerhefte, wissenschaftliche Bücher, von denen ich keinen Deut verstand, alles, alles wurde zusammen-gefasst. Vor meinem Vater verbarg ich die Schätze geschickt, meine Stiefmutter tobte und prophezeite mir, das mich das Zeug an den Galgen bringe. Die unwahren, abenteuerlichen Geschichten raubten mir jeden Sinn für die Wirklichkeit. Nachts lag ich wach und träumte vor allen möglichen Heldentaten und wünschte mir nichts sehnlichster, als ein Haus voll Bücher. In den glühendsten Farben malte sich meine Phantasie die damit möglichen Genüsse aus. Die Frage meines Vaters, was ich nun werden wollte, traf mich ein kalter Wasserstrahl. Daran hatte ich freilich nie gedacht. Lesen, das war mein einziger Wunsch, sonst wusste ich nichts und verlangte nichts. Der Vater enthob mich weiteren Sorgen und be-stimmte, das ich Coiffeur werden sollte. Mir war es recht, weil mir alles gleich war.

In der Lehre

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Eine Lehrstelle hatte mein Vater bei einem Bekannten bald gefunden. Der Meister glich meinem Vater fast aufs Haar und zwar nicht körperlich, auch in seinem Wesen und Betragen. Wie mein Vater, so trank der Meister, wenn auch nicht gar so viel und war genau wie mein Vater ein alter Zünftler und Erzreaktionär, für den die Erinnerungen an das Soldatenleben der einzige Stolz war, der sich in der dümmsten und lächerlichsten Weise äusserte. Das Geschäft ging gut und ausser dem Meister und mir waren zwei Gehilfen und ein weiterer Lehrling beschäftigt. Die ersten Tage gefielen mir nicht übel und ich beschloss zu bleiben. Mein Vater hatte unterdessen das Glück noch einmal versucht und ohne Geld und Kapital eine Wirtschaft gepachtet. Bei dem Einzug fehlte es ihm an dem Notwendigsten. Das Bier schickte die Brauerei auf Borg, und ein mitleidiger Kaufmann lieh die wichtigsten Lebensmittel. Ohne eine Mark Geld in der Tasche wurde die Wirtschaft übernommen. Wie gesagt, an Unternehmungsgeist fehlte es dem Alten nicht. Wir hatten es abgelehnt, dass ich bei dem Meister Wohnung nehme und so maschierte ich alle Morgen den halbstündigen Weg nach der Stadt und am Abend zurück. Das war aber für mich ein Genuss und machte mir Spass. In der Lehre gefiel es mir aber je länger, je weniger. Vor allem eckelte mich die Unsauberkeit an. Das Frühstück und der Nachmittagskaffee wurden in einer Ecke des Ladens genommen, wo Haararbeiten verrichtet wurden. Die Fett- oder Butterbrote mussten dann immer erst von Haaren gesäubert werden. Auch die Liebdienerei gegen die Kunden, das dienen und bücken behagte mir nicht. Der Meister war nervös und zumal bei starkem Besuch, meistens Samstags, gereizt. Der Laden war mit Kunden überfüllt und Meister und Gehülfen hatten alle Hände voll zu tun, der Meister bis zum äussersten geladen. Ich bemühte mich, so wenig zu stören wie nur möglich und zu helfen, wo ich nur konnte. Oeffnete die Türe, bot den Kunden Feuer an, räumte auf u.s.w. Aber bei aller Geschäftigkeit konnte ich ein gewisses Unbehagen nicht los werden, ich fühlte mich eigentlich recht überflüssig in dem Betrieb. Da schreit mich plötzlich der Meister an: “Geh heim, dummer Junge, wenn du nicht anderes kannst als Maulaffen feil halten“. Ich froh, auf eine so billige Art loszukommen, nahm flugs meinen Hut und verschwand, ohne grossen Abschied zu nehmen. Aber ich hatte noch nicht die rettende Haustüre erreicht, packt mich der Meister am Kragen “Was, das könnte Dir so passen. Dein alter Meister schuftet sich so tot und Du drückst dich. Hier bleibst Du“. Mit diesen Worten warf er mich in die Ecke, das mir alle Knochen knakten. Gehorsam blieb ich auf dem Stuhl wie festgenagelt sitzen und denke darüber nach, wie schwer doch eigentlich das Leben ist. Da befiehlt mir der Meister, ich soll heimgehen, ich beeile mich, seinem Befehl nachzukommen und nun – – – Meine Grübeleien werden vom Meister unterbrochen, der mich stürmisch empor reisst und mit den Wort “Du fauler Hund, willst Du nicht arbeiten“- nach vorn stösst und einige Ohrfeigen runter haut. Das Leben erscheint mir immer verwickelter und schwerer. Wie mans macht, ist es verkehrt. Die Arbeitszeit dauerte von morgens 6 bis abends ½ 9 Uhr, ohne Pause. Am Samstag bis 10 Uhr. Am schwersten fiel mir die Sonntagsarbeit, wo ich von 7. – 1 Uhr arbeiten musste. O, wie so gern wäre ich mit anderen Kameraden durch Feld und Wald gestreift und hätte so gern an ihren Wanderungen teilgenommen. Mir war es todestraurig zu Mute und ich weinte mitunter bitterlich. Und trotzdem hätte ich die Lehre durchgehalten, wenn wir nicht einen neuen Gehilfen bekommen hätten. Sein Vorgänger war freundlich zu mir und unterwies mich spielend in vielen Handgriffen unseres Berufes. Der Neue war jung, kaum ausgelernt und bildete sich wunder was ein, das er nun Stifte unter sich habe. Sein Benehmen forderte unsern Trotz heraus und den wollte er mit Schimpfereien und Schlägen bezwingen. Schlagen wollte ich mich aber auf keinen Fall mehr lassen, wir wurden handgemein und da er der bedeutend stärkere, unterlag ich stets. Er scheute vor keiner noch so rohen Handlung zurück. Das Zimmer war niedrig, vielleicht 2½ m. hoch, er nahm mich, stemmte mich gegen die Decke, dass der Kopf krachend gegen die Decke schlug. Dann wieder nahm er einen Stein und schlug mich damit auf den Kopf. Die Folge davon war eine Gehirnerschütterung und man brachte mich schleunigst ins Spital, die Aerzte zweifelten an meinem Aufkommen. Und ich überstand es doch. Am Tage meiner Entlassung bereitete mich der Arzt auf die schonenste Weise darauf vor, dass mein Vater – den ich nie vermisste – nicht mehr lebe. Am gleichen Tag, als ich in das Spital gebracht wurde, hatte er sich vollständig berauscht, erschossen. Ein anderer Ausweg war ihm nicht mehr geblieben. Der Bruder kam, um die Wirtschaft bis zum Konkurs, der uns das Letzte rauben sollte, zu leiten. Mir war die Lust am Coiffeurberuf gründlich vergangen und obendrein fehlten jetzt auch die Mittel, um das Lehrgeld zu zahlen. Ich blieb einige Zeit bei meinem Bruder in der Wirtschaft, ging dann auf Anraten meiner Schwester, die nach dem Tode des Vaters uns wieder besuchte, in eine Schuhfabrik. Damit begann eine neue Phase meines Lebens. Eine ganz neue, unbekannte Welt tat sich vor mir auf. Die letzte Verbindung mit der Familie war ge-löst. Ich stand allein, nur auf mich angewiesen aber nun allein auch Herr über mein Tun und Lassen. Damals zählte fünfzehn Jahre.

In der Fabrik

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Es war eine der grössten Fabriken am Orte, in die ich eintrat, sie beschäftige mehr als fünfzehnhundert Arbeiter. Ich wurde in der Zwickerei als Leistensortierer angestellt, d. h. ich musste mit einem kastenähnlichen Karren von einem Arbeiter zum anderen fahren und die nicht mehr nötigen Leisten sammeln, nach Regalen bringen und dort in bestimmte Fächer sortieren. Am ersten Tag war ich von dem Lärm und Kreischen der Maschinen, von dem Klopfen und Pochen der Hämmer und von den vielen Stimmen wie betäubt. Ich konnte mir gar nicht vorstellen, dass ich mich jemals in diesem Betrieb zurecht finden könnte. Ich hatte tatsächlich im-mer Angst, mich zu verirren. Und es dauerte mehrere Tage bis ich mich einigermassen an den Lärm gewöhnt hatte. Die gleiche Arbeit wie ich verrichteten noch zehn gleichaltrige Burschen, das wurden nun meine Freunde. Mit ihnen sass ich zusammen während dem Frühstück, Mittag & Vesperbrot. Mit ihnen ging ich nach Hause und brachte später die Abende zu. Ihr Verkehr half mir dann auch am meisten, die Schüchternheit und die Angst, die ich noch nach Wochen in der Fabrik vor dem ungewohnten Leben und Treiben empfand, zu überwinden. Die älteren Arbeiter behandelten die jüngeren, mit wenigen Ausnahmen, grob und brutal. Die meisten verkehrten nicht anders als mit Schimpfwörter mit ihnen und manche misshandelten und warfen mit Leisten, Schuhen und anderen Gegenstände. Die Arbeit war nicht schwer, der Lohn im Anfang 4,50 Mark. Das war wenig, sehr wenig. 2 Mark musste ich pro Woche für Logis und Morgenkaffee zahlen, blieben mir noch 2,50 Mark für Nahrung, Kleidung und alle weiteren Ausgaben. Da hiess es sparen, wo dies möglich war. Am Morgen nahm ich etwas Kaffee & Brot, am Mittag leistete ich mir ein Stückchen Wurst dazu. Für 20 Pfennig Abfallwurst reicht mitunter für zwei Tage. Das gleiche Menü am Abend. Von einem Bedürfnis nach geistiger Nahrung hatte ich damals zum Glück noch keine Ahnung, sonst hätte ich jene Jahre wohl kaum überlebt. Die ersten Jahre in der Fabrik verbringe ich wie in einem Dämmerzustand, ein Tag reiht sich in gleicher Eintönigkeit und im gleichen Grau an den anderen. Am Morgen haste ich in Gemeinschaft mit vielen hunderten nach der Fabrik, am Abend müde nach Hause. Nie kommt mir der Gedanke, ja, ich glaube, sogar nie der Wunsch, dass es anders sein könnte, einmal anders werden. Ich sehe weder Frühling, Sommer, Herbst, noch Winter, weder grüne Bäume, noch welkes Laub, höre kein Vogelsang, geschweige Musik oder Konzert. Ich bin gefühls- und empfindungslos gleich den Maschinen geworden, die in der Fabrik sausen und und stampfen. Meine Welt ist mein Arbeitsplatz. Mein Einkommen vergrösserte sich etwas dadurch, dass ich für die Arbeiter Frühstück einkaufen gehe, dafür erhalte ich pro Woche 10 oder 15 Pfennig. Mitunter brachte ich es auf über 20 Kunden, die ich bedienen durfte. Der Lohn stieg langsam und erst nach mehreren Jahren hatte ich es auf 8 Mark gebracht. In Deutschland besteht der obligatorische Fortbildungsunterricht, den jeder Lehrling und junge Arbeiter bis zum 18. Lebensjahr be-suchen muss. Es wird etwas Rechnen, Schreiben, Buchhaltung und Vaterlandskunde gelehrt. Der Unterricht wir zwei Mal in der Woche nach der Arbeitszeit erteilt. Ich habe dabei wie wohl alle anderen Schüler auch, herzlich wenig gelernt. Wir waren zum lernen zu müde und bemühten uns, den Lehrer zu verulken. Die Abende brachte ich mit meinen Arbeitskollegen zu. Wenn wir nicht Räuberhefte lasen, trieben wir uns in den Strassen herum und trieben lauter Dummheiten. Eine Zeit lang standen wir im Banne ein Schundromanes über die Freimauerer. Wir trafen Vorbereitungen, eine ähnliche geheimnisvolle Gesellschaft zu gründen, hockten in der finstersten Nacht in dunkeln Ecken und Abflusskanälen, zeichneten Totköpfe auf Arm und Brust, beschlos-sen Blutbrüderschaft zu trinken. Der Plan scheiterte, da wir kein passendes Getränk fanden, mit dem wir unser Blut trinken konnten. Bier und Limonade war uns doch zu prosaisch und für Wein hatten wir kein Geld. Auch trieben wir uns oft und gern in den Anlagen herum und erschreckten die Leute und belauschten und störten die Liebespäärchen. Ein nicht geringer Schreck fuhr mir anlässlich einer solchen Razzia durch die Glieder als ich im dichtesten Gebüsch auf eine Dirne stiess, die dort ihr horizontales Gewerbe betrieb und ihr Liebhaber, erbost über die Störung, mir drohte “das Messer in den Bauch zu stecken“. Einen Heidenspass machte es uns stets, Streichhölzer zu spitzen, diese zwischen den Druckknopf des elektrischen Läute-werkes in den Bordells zu stecken. Das Hölzchen wurde abgebrochen und dann läutete die Glocke zum Aerger der Einwohner und der Nachbarschaft stundenlang. Mehrmals besuchten wir auch die Versammlungen des christlichen Vereines junger Männer und die Veranstaltung eines vaterländischen Knabenhortes. Wir waren aber für diese frömmelde Unterhaltung zu gereift oder zu verdorben, wenn man will. Wir ärgerten den Lehrer und den Pfarrer und brachten Unruhe und stellten das ganze Programm in Frage. Teils blieben wir dann freiwillig weg, teils warf man uns hinaus. Da versuchten wir es mit der Heilsarmee, die in jenen Tagen ihr erstes Lokal eröffnet hatte. Dort sein ein Gaudium, versicherten mir meine Freunde und ich ging mit. Ich gestehe, dass mich die Gesänge und Gebete anfangs andächtig stimmten und mir recht beklommen zu Mute war. Das dauerte aber nicht lange. Als ich sah, wie die Betenden die schnödesten Witze unter den Bänken rissen und dort den Mädchen in die Beine kniffen, war es mit meiner Andacht vorüber. Es dauerte nicht lange, bis man uns auch da hinauswarf. Wir beschlossen jetzt, selbst einen Verein zu gründen. Ich wurde Präsident. Was wir eigentlich wollten, wusste keiner. Fidel und lustig sollte es zugehen. Wir spielten Karten, der Gewinn kam in die gemeinsame Kasse und wurde alle vier Wochen in Leberwurst und Bier angelegt. Daraus entwickelte sich dann ein Fußballklub. Eine Zeit lang hatten wir für nichts mehr Sinn als für das Fussballspielen. Dann wollte einer noch etwas lustigeres wie die Heilsarmee entdeckt haben, einen Verein, der sich “Propaganda“ nannte. Ein Name, den ich nie gehört hatte und den auszusprechen mir im An-fang viel Mühe machte. Dabei muss ich bemerken, das ich sehr schwer sprechen gelernt hab und bis zum zwölften Jahre stotterte. Ich vermutete hinter dem Namen etwas fremdes, geheimnisvolles und wir beschlossen, zu gehen, um Spass zu haben. Ich ahnte nicht, welche entscheidende Rolle der Verein in meinem Leben spielen sollte. Heute weiss ich, dass ich damals in der kritischen Phase meines Lebens stand, und das sich damals, unbewusst wie fast immer, sich mein Lebensschicksal entschied. So wechselreich auch später mein Leben wurde und so wechselreich es gerade heute zu werden droht, und so grosse und mein Wesen mitbestimmende Einflüsse auch in späteren Jahren auf mich einstürmten, im Verhältnis zu der damaligen Entscheidung sind sie unbedeutend und untergeordneter Natur. Unbewusst und ahnungslos kam ich durch das Aufsuchen des Vereins “Propaganda“mit jenem Sturm in Berührung, der stark genug war auf dem vollständig unvorbereiteten Boden später doch geistiges und seelisches Leben zu erwecken. Je älter wir wurden, umso weniger wollten wir uns damit begnügen, die Frauen zu ärgern und andere zu ihnen gehen zu sehen. Immer stärker wurde in uns der Drang, den geheimnisvollen Schleier zu lüften und jene Herrlichkeiten zu kosten, von den die ältern Arbeiter schwärmten und erzählten. Dazu kam das Leben in der Fabrik. Der Betrieb der Schuhfabrik bringt es mit sich, dass Frauen & Mädchen mit Männern und Burschen in einem Saal arbeiten. Die unzüchtigsten Reden wurden dann tagsüber gewechselt und die Witze waren schon nicht mehr derb, sondern zynisch, frech und gemein. Und die Frauen zahlten mit gleicher Münze und im gleichen Jargon heim, wie sie von den Männern behandelt wurden. Die Keuschen galten als Dummköpfe & Schwächlinge. Für uns Jugendlich war die Situation noch dadurch gefahrvoller, dass wir nach dem Gesetz das Frühstück und Vesperbrot ausserhalb es Arbeitsraumes einnehmen mussten. Bei schönem Wetter sassen wir im Strassengraben, bei schlechtem Wetter mussten wir uns in den Keller flüchten, wo stets ein gefährliches Halbdunkel herrschte. Mädchen und Burschen waren zusammen. Das musste natürlich die reine Treibhaustemperatur für geschlechtliche Reize geben und das Herumzerren und Pressen nahm dann auch kein Ende. Mit 17 Jahren, die meisten schon früher, hatte jeder seinen “Schatz“. Das heisst ein Mädchen, mit dem er von der Fabrik heimging, der er Samstags ein Stück Chocolade kaufte und am Sonntag in den Kino zu führen, um dann am Abend recht lange bei ihr in der Haustüre zu stehen und als Entgelt für das Gebotene sie zu küssen, zu pressen und wenn möglich, zu gebrauchen. Dieses Leben und Treiben ist so stark eingewurzelt, dass Jeder, der daran nicht teilnehmen will oder kann, als ein armer, bedauernswerter Kranker betrachtet und behandelt wird. Und die so leben, sind nicht einmal die niedrig stehensten. An eine Szene erinnere ich mich dabei jetzt, die ich bald nach meinem Eintritt in die Fabrik erlebte und über die dabei sich äussernde weibliche Roheit ich heute noch staune. Es war an einem Herbstag Abend, obschon nicht allzu spät, doch schon dunkel, als ich für den Meister einen Weg in einen anderen Saal besorgen sollte, dabei musste ich an dem Raum vorüber, wo die Leder- und Lumpenabfälle lagerten. Daraus hört ich ein ängstliches Wimmern, ich trat näher und sah, wie vier oder fünf ältere Mädchen einem 14 jährigen Burschen unter gellendem Lachen an dem Geschlechtsteil zerrten und rissen. – Natürlich stand nicht alle auf dieser Stufe, es gab wohl auch Ausnahmen, doch waren diese selten, sehr selten. Bis dahin, bis zu meiner Bekanntschaft mit dem Verein “Propagangda“ hatte mich ein gütiges Geschick vor dem Aeussersten bewahrt. Natürlich keine moralischen oder sittlichen Ewägungen, die waren mir so fremd wie böhmische Dörfer. Viel-leicht das Fehlen der Gelegenheit und die Erschwerung durch meine geringen Mittel, die mir nur kostenlose Vergnügen erlaubten. Dazu (auch) hat sich auch meine kleine, verhungerte Gestalt keine besonders grosse Anziehungskraft auf die Mädchen ausge-übt. Aber darüber bin ich mir heute klar, dass es so lange nicht mehr gegangen wäre. Ein Glück, hätte ich als satter Arbeiterspiesser geendet, aber bei meinem Temperament und meiner Leidenschaft dürfte es kaum glimpflich abgegangen sein.In diese kritischen Tage fällt meine erste Bekanntschaft mit dem Arbeiterbildungsverein “Propaganda“ und dadurch mit der sozialistischen Arbeiterbewegung.

Die erste Zeit in der Bewegung

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Nach langerm Zögern und Zauderbn fassten wir, unserer vier oder fünf, endlich Mut und machten uns auf, den geheimnisvollen Verein “Propaganda“ zu besuchen. Aber am ersten Abend gelangten wir nur bis in die Wirtschaft, in deren oberen Räumen der Verein seine Versammlungen abhielt, dort sassen wir, klopften Karten und musterten scheu die Besucher, die nach dem oberen Saal stiegen. Nachzufolgen fehlte uns der Mut und wir kehrten unverrichteter Sache nach Hause zurück. Zum zweiten-mal, einige Wochen später, begleitete mich nur ein Kollege, den andern war die Lust vergangen. Diesmal nahm sich ein älterer Genosse, jedenfalls durch den Wirt aufmerksam gemacht, unserer an und wir folgten ihm nach oben. Dort waren zirka 15 bis 20 junge Männer im Alter von 23 – 35 Jahren versammelt, wir waren also bei weitem die Jüngsten. Die meisten waren Metall- und Schuhfabrikarbeiter. Was an jenem Abend ging und besprochen wurde, ist mir vollständig unklar geblieben. Als in heimging wusste ich vom Wesen und den Aufgaben des Vereins genau so viel, als vorher. Zwei oder drei weitere Besuche brachten mich ebenfalls nicht weiter, da verleidete auch mir die Sache und ich beschloss, wie der zu meinen alten Kameraden zurückzukehren. Da wurde ich krank und musste vier Wochen von der Arbeit fernbleiben. Während dieser Zeit besuchte mich mehrmals ein Mitglied des Vereins, brachte mir Bücher und Broschüren und wir plauderten. Jetzt war mein Interesse geweckt und sobald ich das Zimmer verlassen durfte, suchte ich die Genossen wieder auf und versäumte fernerhin keine Versammlung. Bald war mir nun auch der Zweck des Vereins klar. Der ungeheure wirtschaftliche Auf-stieg Deutschlands in den neunziger Jahren, der in überraschend kurzer Zeit Deutschland zu einem der ersten Industriestaaten und der Weltmächte der Erde machte, hatte eine nach Millionen zähl-ende Arbeiterschaft geschaffen. Die Fesseln des Sozialistengesetzes waren gefallen und die sozialdemokratischen Organisationen schossen wie Pilze nach einem warmen Regen aus der Er-de. Die Partei eilte von Erfolg zu Erfolg und errang in den Städten, an den Landtagen und im Reichstag Mandat um Mandat, die Stimmen ihrer Wähler zählte schon bei der Wahl 1903 nach Millionen. Diese Riesenerfolge verblüfften und die Sozialdemokratie, bis jetzt nur eine Partei der Kritik und der Negation, sah sich plötzlich vor die Aufgabe praktischer Mitarbeit gestellt. Bald wurde in der politischen Tagesarbeit und durch die Gegenwartsforderungen das grosse Endziel, die Vergesellschaftung der Produktionsmittel vergessen. Der Partei strömten eine Masse bürger-licher Elemente zu, hoffend, durch die schnell erstarkende Macht der Partei Amt und Einfluss zu gewinnen. Der Boden für den Revisionismus war vorbereitet und um die Wende des Jahrhunderts setzte dessen Propaganda kräftig ein. Der Gegenwartser-folg ist alles, der Glauben an eine proletarische Revolution roman-tische Hirngespinnste, das war die Losung. Da kam die russische Revolution und krachte wie ein Schlag ins [Auslassung in der Abschrift ](ins Kontor? ins Gesicht? ). Der Riesenstreik Millionen unorganisierter, die Eroberung Moskaus, die Meutereien der Schwarzseeflotte u. s. w. Die revisionistischen Ideen des westeuropäischen Proletariats verhinderten, dass dieses sich zu einer Solidaritätsaktion erhob und so der volle Sieg der russischen Arbeiter möglich machte. Dank der Ruhe der westeuropäischen Arbeiter eilte das französische Kapital dem bedrängten Zarismus zu Hilfe und Wilhelm II. stellte an der russischen Grenze Soldaten bereit, um, wenn nötig, mit Kriegsmacht dem bedrängtem Vetter auf dem Zarentron zur Hilfe zu eilen. So wurde die russische Revolution geschlagen. Aber ganz ohne Wirkung auf die Arbeiterbewegung Westeu-ropas sollte die russische Revolution doch nicht bleiben. Die radikalen und revolutionären Elemente wurden kräftig gestärkt und die Jüngsten unter ihnen in einen Taumel revolutionärer Begeisterung versetzt. Die Rosa Luxenburg, Karl Liebnecht, Mehring und andere machten Vorstoss um Vorstoss. forderten die Erziehung der Massen zu Massenstreiks und Massenkämpfen, die antimilitaristische Propaganda, Steigerung der sozialistische Bildungsarbeit u.s.w. in zahlreichen Städten gründeten sich Bildungsvereine, sowie Diskussionsklubs, wo sich die jüngste, lebendigsten und tatenlustigsten Arbeiter versammelten, um die Waffen zu schmieden, die sie im Kampfe gegen den bürgerlichen Gegner und gegen Revisionisten in der eigenen Partei benötigten. Eine solche Vereinigung war nun auch der Bildungsverein “Propaganda“ dessen jüngstes Mitglied. Die unverfänglichen Namen Bildungsvereine wurden gewählt, um der polizeilichen Anmeldung und Aufsicht zu entgehen. Nach dem alten preussischen Vereinsgesetz (aufgehoben 1907 durch das Reichsvereinsgesetz) musste jeder politische und gewerkschaftliche Verein seine Mitgliederliste und seine Statuten einreichen und alle Versammlungen waren polizeilich überwacht. Personen unter 18 Jahren durften keinem politischen Verein angehören. Natürlich wurde in unserem Verein, wie in allen ähnlichen, fast nur über politische und sozialistische Probleme gesprochen. Jedes Mitglied musste einmal einen Vortrag halten und darüber wurde dann diskutiert. War einmal ein Referent verhindert zu kommen oder zu sprechen, so wurde über irgend eine Frage diskutiert oder aus einem Buch vorgelesen. Das zwang zum Nachdenken und nahm gleichzeitig die Scheu vor einem grösseren Kreis Menschen seine Gedanken zu entwickeln. So war das Leben im Verein, als ich Mitglied wurde. Eine neue Erscheinung der Arbeiterbewegung um die Wende des Jahrhunderts war auch das Aufkommen von Jugendorganisationen. Vereine, die jugendliche Arbeiter und Arbeiterinnen im Alter von 14-20 Jahren zusammen fassten, um sie gegen die wirtschaftliche Ausbeutung zu schützen, sie auf Wanderungen zu führen, sie allgemein im speziellen sozialistisch zu bilden. Belgien und Holland besassen die ersten derartigen Organisationen. 1904 wurde der erste “Lehrlingsverein“ Deutschlands in Berlin und fast zu gleicher Zeit ein ähnlicher Verein in Mannheim gegründet. In unglaublich kurzer Zeit folgte die Gründung einer Menge Zweigvereine in vielen Städten Deutschlands. Auch auf diese junge Bewegung waren die heldenmütigen Kämpfe der sozialistischen Revolutionäre von förderlichstem Einfluss. 1906 fand in Stuttgart der erste internationale Kongress der sozialistischen Jugendorganisationen statt, der der ganzen Bewegung das Programm geben sollte. Die holländische Genossin Roland-Host sprach über die Bildungsaufgaben der sozialistischen Jugend und legte ihr Referat in Thesen nieder, die heute noch im Wesentlichsten als Richtschnur der Bildungsarbeit in den Jugendorganisationen dienen. Nach einem Referat des Gen. Müller, Wien, wurden internationale Forderungen für den wirtschaftlichen Schutz der Lehrlinge und jugendlichen Arbeiter aufgestellt. Liebknecht, der den Kongress als Präsident leitete, sprach über “Militarismus und Antimilitarismus“. Das Referat trug ihm später 1½ Jahr Zuchthaus ein. Es wurde beschlossen, eine feste internationale Organisation unter dem Namen “internationale Verbindung sozialistischer Jugendorganisationen“ zu gründen. Die deutschen Vereine traten wegen dem vorsintflutigen Vereinsgesetz nicht bei. Da die süddeutschen Staaten bis 1907 kein Vereinsgesetz kannten, schlossen sich die in Deutschland existierenden Vereine jugendlicher Arbeiter zu zwei grösseren Verbänden zusammen, “den Verband jugendlicher Arbeiter und Arbeiterinnen Deutschlands“ mit Sitz in Berlin. Dieser Verband zählt 1907 bereits 6000 Mitglieder und gab eine monatlich er-scheinende Zeitung “Die arbeitende Jugend“ aus. Die Vereine be-zeichneten sich als ausdrücklich politisch neutral, sonst hätten sie natürlich überhaupt nicht existieren können. Ebenfalls schlossen sich die süddeutschen Vereine zu einem Verband mit Sitz in Mannheim zusammen. Diese Vereine aber, nicht gehindert durch ein Vereinsgesetz, bezeichneten sich als so-zialistische Jugendvereine und in diesem Sinne war auch ihr Organ “Die junge Garde“ gehalten, deren Redakteur der damals noch jugendliche und stark revolutionäre Dr. Ludwig Frank war. Unser Bildungsverein “Propaganda“ stand nur mit Mannheim, natürlich in geheimen, in Verbindung. Wir bezogen regelmässig eine bestimmte Anzahl “Junge Garde“ und es macht mir die grösste Freude, diese unter der Hand weiter zu verkaufen. Ueberhaupt war ich wie von einem Propagandafieber überfallen und liess nicht nach, bis fast der letzte jugendliche Arbeiter meines Arbeitssaales sich als Mitglied unseres Vereins meldete und an unseren Versammlungen teilnahm. Einige Monate nach meinem Eintritt dominierte das jüngere Element und die über 20 jährigen waren in den Hintergrund gedrängt.

(Text: Vermutlich Willi (Wilhelm) Münzenberg März 1918? November 1918- Münzenberg im Schweizer Zuchthaus ist 29 Jahre alt) Das Dokument hat 9.742 Zeichen

Das ganze Dokument (mit Umschlagtexten) hat 10.013 Zeichen

Der Text muss mit einer Maschine geschrieben worden sein, die über keine Grossbuchstaben der Umlaute verfügte. Das habe ich so gelassen. Fehler habe ich nicht korrigiert, vielleicht ist es mir stattdessen gelungen, einige Fehler neu in dem Text unterzubringen.

(Der namentlich nicht genannte Abschreiber 2019)

Der Text ist eine Abschrift einer Veröffentlichung des Verlag Detlev Auvermann KG, Glashütten im Taunus 1972. Es handelt sich um eine Schreibmaschinenabschrift, die in einem Überformat (Nicht DIN A 4- 210 mm x 297 mm, sondern 339 mm x 206 mm) gedruckt wurde. Der Umschlag wurde ebenfalls auf Karton bedruckt.

U1: mit folgendem Text:

Dieses aus den Akten der schweizerischen Untersuchungsbehörden stammende Schriftstück befindet sich unter der Signatur P 23914 Nr. 524.24 im Staatsarchiv des kantons Zürich. Der junge Willi Münzenberg verfaßte diese biographische Skizze, die seinen Weg zum Kommunismus bis zum Eintritt in den Erfurter sozialdemokratischen Arbeiterbildungsverein (1906) nachzeichnet, entweder während seiner ersten Inhaftierung in der Polizeikaserne Zürich, Ende November 1917 bis März 1918, oder während seiner zweiten Zuchthaushaft, die vom Mai 1918 bis zu seiner Ausweisung aus der Schweiz am 10. November 1918 dauerte.

Willi Münzenberg Lebenslauf

Wir danken dem Staatsarchiv des Kantons Zürich für die Erlaubnis zu Veröffentlichung und dem Schweizerischen Sozialarchiv für die Vermittlung des Textes, den wir in er erhaltenen Form reproduzieren.

Der Text ist paginiert und hat im Original 29 Seiten (einseitig bedruckt)

Der Umschlag U 2 ist mit folgendem Text bedruckt:

1889 14. August, wird M. in Erfurt als Sohn eines Dorfgastwirtes geboren. Er besucht unregelmäßig die Dorfschulen in Frimar, Eberstädt und Gotha.

1904- 1910 ist M. Arbeiter in einer Erfurter Schuhfabrik

1906 tritt M. in den sozialdemokratischen Arbeiterbildungsverein “Propaganda“ ein und übernimmt eine Jahr später dessen Vorsitz.

1910-1913 ist M. Hausbursche in einer Zürcher Apotheke. Er wird Mitglied in dem von Fritz Brupbacher geleiteten Jungburschenverein.

1912 Ende Juli wird M. Mitglied des Zentralvorstandes der sozialistischen Jugendorganisation der Schweiz und übernimmt die Redaktionder antirevisionistischen Monatsschrift “Die freie Jugend“.

1914 während des Krieges konsequenter Internationalist, gerät M. bald unter den Einfluß Lenins.

1916 nimmt M. an der Internationalen Sozialistischen Konferenz in Kienthal (24. – 30 . April) teil.

1917 am 19. November, wird M. in Zürich verhaftet und

1918 im März, gegen Kaution freigelassen, jedoch im Mai als Mitorganisator eines Generalstreiks in Zürich ins Zuchthaus geworfen. In seiner im Mai 1918 ausgelieferten Broschüre “Kampf und Sieg der Bolschewiki“ bekennt M. sich zur Oktoberrevolution. Er wird am 10. November aus der Schweiz ausgewiesen und übersiedelt nach Stuttgart, wo er sich der Spartakusgruppe anschließt.

1904- 1910 ist M. Arbeiter in einer Erfurter Schuhfabrik

1906 tritt M. in den sozialdemokratischen Arbeiterbildungsverein “Propaganda“ ein und übernimmt eine Jahr später dessen Vorsitz.

1910-1913 ist M. Hausbursche in einer Zürcher Apotheke. Er wird Mitglied in dem von Fritz Brupbacher geleiteten Jungburschenverein.

1912 Ende Juli wird M. Mitglied des Zentralvorstandes der sozialistischen Jugendorganisation der Schweiz und übernimmt die Redaktionder antirevisionistischen Monatsschrift “Die freie Jugend“.

1914 während des Krieges konsequenter Internationalist, gerät M. bald unter den Einfluß Lenins.

1916 nimmt M. an der Internationalen Sozialistischen Konferenz in Kienthal (24. – 30 . April) teil.

1917 am 19. November, wird M. in Zürich verhaftet und

1918 im März, gegen Kaution freigelassen, jedoch im Mai als Mitorganisator eines Generalstreiks in Zürich ins Zuchthaus geworfen. In seiner im Mai 1918 ausgelieferten Broschüre “Kampf und Sieg der Bolschewiki“ bekennt M. sich zur Oktoberrevolution. Er wird am 10. November aus der Schweiz ausgewiesen und übersiedelt nach Stuttgart, wo er sich der Spartakusgruppe anschließt.

1919 von Januar bis Juni, wird M in der Festung Ulm, sodann im Gefängnis Rothenburg (Neckar) eingekerkert. In der Novemberrevolution versucht M. die Arbeit des Internationalen Jugendsekretariats weiterzuführen. Er referiert auf dem Gründungskongreß der Kommunistische Jugendinternationale in Berlin (20.- 26. November 1919) und wird in deren Exekutivkomitee gewählt.

1920 nimmt M. als Vorsitzender der Jugendinternationale in Moskau am II. Weltkongress der Komintern teil. Ein Jahr später, auf dem II. Kongreß der Jugendinternationale wird er von Sinowjew abgesetzt.

1921 am 12. August, gründet M. im Auftrage Lenins die Internationale Arbeiterhilfe für die Hungernden in Rußland, die sich in den kommenden Jahren unter M. als Generalsekretär ihrer Auslandskomitees zur größten proletarischen Hilfsorganisation entwickelt.

1924 – 1933 ist M. ununterbrochen Reichstagsabgeordneter der KPD; auf dem XI. Parteitag 1927 wird er ins ZK berufen; 1931/32 gehört er der “ultralinken“ Remmle-Neumann Gruppe an. In diesem Jahren baut M. den berühmten “Münzenberg Konzern“ auf. 1924 wird er Inhaber desNeuen deutschen Verlages, welcher die Zeitungen “Welt am Abend“, “Berlin am Morgen“, “Arbeiter- Illustrierte Zeitung“, die Zeitschrift “Roter Aufbau“ und die “Universum Bibliothek“ herausgibt, sowie das Filmunternehmen “Meshrabpom“ gründet.

1933 emigriert M. nach Paris, wo er die Arbeit der Internationalen Arbeiterhilfe fortführt. Er wird einer der Leiter des neugegründeten Welthilfskomitees für die Opfer des deutschen Faschismus und Mitbegründer der “Deutschen Freiheitsbibliothek“. Zum progandandistischen Kampf gegen Hitler gründet er wieder Verlage und Zeitungen und gibt u.a. das“Braunbuch über den Reichstagsbrand“ heraus.

Umschlag Seite 3 (U 3)

1936 wird M. nach Moskau vor die Internationale Kontrollkommission geladen; er wird“wegen Verbreitung parteiinter Information auf Beschluß des Politbüros und der Leitung (Walter) Ulbrichts gerügt, erreicht aber, das er wieder nach Paris zurückkehren kann.

1937 gerät M. als einer der Initiatoren der Volksfront in verschärften Widerspruch zur Komintern und KPD-Führung; die mehrfache Aufforderung, nach Moskau zu kommen, ignoriert er.

1938 am 22. März, wird er (M.) aus dem ZK, am 6. März 1939 aus der KPD ausgeschlossen. M. wendet sich in der

1939/40 von ihm herausgegebenen Zeitung “Die Zukunft“ gegen den Stalin-Hitler Pakt und gründet 1939 in Paris die Organisation “Freunde der Sozialistischen Einheit Deutschlands“.

1940 im Mai, wird M. im Lager Chambaran bei Lyon interniert. Während die Armee im Juni 1940 auf Lyon vorrückt, flieht M. zusammen mit drei Deutschen. Ende Oktober wird seine stark verweste Leiche im Wald von Caugnet aufgefunden. Münzenbergs Lebengefährtin Babette Gross schreibt in ihrem Buch: Willi Münzenberg. Eine politische Biographie (Stuttgart 1967), ein Selbstmord scheint ausgeschlossen,“der Verdacht, daß Münzenberg Opfer eines politischen Anschlages geworden ist, scheint mit nahezuliegen. Wer die Mörder gewesen sein könnten, ist nur zu vermuten.“ (Babette Gross)

Willi Münzenberg

Alte Postkarten – Alte Fotografien aus Hamburg II

AltePostkarteBergedorfMohnhofkleinAltePostkarteBergedorfAmBrinkkleinHafenbergedorfR.H.Meyer-3HerrenhäsuerBierkleinMitSoldatenTanzsaalBelleAllianceBilleBad1929RHMDieSpdmachteinGeländefreifürMBwernerHensel12Rathaus1908kleinHauptbahnhof19081kleinSegelschiffhafen1908kleinAltePostkartHamburgGotenstrasse1943Briefmark2nilpferd_tumbBy-nc-sa_color

Einige der Fotografen der Fotos, die hier abgebildet sind, sind bekannt.

Foto 7 (von oben gezählt) ist von Rudolf Heinrich Meyer. Foto 8 von Jens Meyer. Foto 9 ist von Werner Hensel. Alle anderen Fotografen oder Fotografinnen sind unbekannt.

VOM NACHTTISCH GETRÄUMT von Stinki Müller

VOM NACHTTISCH GETRÄUMT von Stinki Müller

Da gibt es zwei Bücher, auf die ich gerne hinweisen will. Das erste ist ein Kinderbuch, das ich gestern im Buchladen um die Ecke gefunden habe. Es ist aus Amerika für die Kinder der kommenden Daumenwischgeneration. „VOM NACHTTISCH GETRÄUMT von Stinki Müller“ weiterlesen

Friedrichstrasse 225 Gedenktafel für Karl Wolffsohn

Gedenktafel201701-02-1Wer die Gedenktafel für Karl Wolffsohn in der Friedrichstrasse 225 sucht, sollte sich nicht täuschen lassen. „Friedrichstrasse 225 Gedenktafel für Karl Wolffsohn“ weiterlesen

Hier waren mal die Esso Häuser

006 Foto Jens Meyer 3. März 2014, 9.18 Uhr Esso Häuser Knopfs Lichtspiele, Spielbudenplatz  19/20

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