Keine Kritik: ALLE HAIFISCHE HABEN ZÄHNE oder Mackie Messer Brechts Dreigroschenfilm

Keine Kritik: Mackie Messer – Brechts Dreigroschenfilm

Pressevorführung 23.8.2018 Abaton, 131 Min. Uraufführung beim Filmfest München 2017 Regie: Joachim Lang; Kamera: David Slama, Drehbuch: Joachim Lang; Verleih: Wild Bunch Germany, Start am 13. 09. 2018

Ein Haifisch ohne Zähne

Erkenntnisse aus dieser Pressevorführung sind:

1 Kommt man als letzter Beobachter in die Pressevorführung, dann weiß man genau, wie viele Leute schon drin sitzen. Ich trage mich mit Nummer 19 ein.

2 Überraschend wenig Leute.

3 Als ich die zweite Tür des Abatons passiert habe, schallt mir der Haifisch entgegen, der Zähne hat, was ja eigentlich nichts besonderes ist denke ich, weil ja jeder Haifisch Zähne hat. Wieso sollte der von Brecht eigentlich keine haben? Naja.

Schon an der Zahl der auf der Bühne versammelten Schauspieler und Statisten kann man unschwer erkennen: Es handelt sich bei diesem Produkt um einen deutschen Förderfilm, der nicht billig war. Und bei dem sofort die alte Frage aufkommt, was ist nun besser, die Bühnenfassung oder der Film?

Es ist wie bei der Geburt eines Kaninchens oder der eines Pinguins. Was oder wen das kleine Kaninchen oder der kleine Pinguin zuerst sieht, hält das Kleine für ihre/seine Mutter.

So auch die Brecht Leser und die Brecht Zuschauer. Haben sie zuerst die literarische Vorlage gelesen, nach der das Buch verfilmt wurde, finden sie das Druckerzeugnis besser und umgekehrt.

Bei Romanen ist es ähnlich. Nur hat Brecht kaum Romane geschrieben. Und schon ist der deutsche Schulmeister wieder da. Bei mir auch. Diesmal kommt der Schauspieler der den Brecht spielt, Lars Eidinger, dran.

Ihm wurde die undankbare Aufgabe zuteil, dass er die dargestellten Filmproduzenten und natürlich uns, die Zuschauer, darüber aufklären soll, dass ein Bühnenstück etwas anderes sei, als der Film. Wow! Welche Erkenntnis! Und die hat Brecht selber gehabt?

Oder hat er sie irgendwo abgeschrieben? Auch das kommt zur Sprache. Das muß beim Auswendig Lernen der vorgetragenen >angeblichen< Brecht Zitate für den Schauspieler Lars Eidinger ein schweres Stück Arbeit gewesen sein. Was ihm der Drehbuchautor, der auch die Regie gemacht hat, da zum Auswendig Lernen gegeben hat. Und so präsentiert er die Zitate auch. Er sprudelt sie heraus. Aber eben auswendig gelernt. Sein Wissen über Brechts Zitate lässt den Zuschauer im Sitz erstarren.

Nein, was der Mann alles weiß! So vieler profunder Kenntnisse hätte es für den Zuschauer gar nicht bedurft. Er kann es ja eh nicht überprüfen. Wer hat schon einen beleuchteten Kugelschreiber dabei, so wie die Filmkritiker von früher, die diese Zitate im dunklen Kino mitschreiben konnten. Sie könnten es natürlich mit heutiger Elektronik aufnehmen. Aber das ist in jeder Pressevorführung verboten.

Und dann auch noch immer eine brennende Zigarre im Gesicht. Ich beobachte mich dabei, wie ich im Laufe des Filmes immer mehr darauf achte, ob die Anschlüsse mit der Zigarre auch stimmen. Ich denke mir, das muss nicht einfach gewesen sein, einen Schauspieler durch den Film laufen zu lassen, der eine brennende Zigarre im Mund hat. Die Länge der Zigarre ist das Problem. Entdeckt der Zuschauer, dass sie in der Anschlusseinstellung nicht die gleiche Länge hat, wie in der Einstellung davor, dann ist er enttäuscht und glaubt auch den Rest nicht mehr.

Aber sie haben es mit einem Trick gemacht. Einen, den ich ihnen auch empfohlen hätte. Man fotografiert den Brecht Schauspieler, Lars Eidinger, immer sorgsam nur von vorne und niemals von der Seite. Man korrigiere mich, falls ich eine solche Einstellung übersehen habe.

Und so kommen sie damit durch: kaum Anschlussfehler nachzuweisen. Die Zigarrenlänge stimmt. Der Schnitt von Alexander Dittner unterstützt diese Arbeit, in dem auch er streng darauf achtet, dass nach einer Einstellung mit Zigarre immer eine ohne Zigarre folgt. Bravo! Eine stolze Leistung.

Nein. Richtig langweilig ist der Film nicht. Zumal, wie dieses deutsche Volkshochschulkino wieder mit Titeln und Zeitanzeigen glänzt, die uns vorzutäuschen versuchen, die im Film nach gespielten Situationen (z.B. vor Gericht und die Premiere) hätten sich alle so abgespielt, wie sie der Film hier darstellt, was ohne Überprüfung am Schneidetisch (gibt es so was noch?) mit Fug und Recht bestritten werden kann.

Eindrucksvoll wird das Premiere Publikum von oben gezeigt. Und dann klatschen die noch alle so toll in den Kostümen. Nein! Was für eine Überraschung!

Geradezu schlampig jedoch ist ihnen das Einfügen der bekannten Originalaufnahmen aus dem >Blutmai< Film von Piel (Phil) Jutzi von 1929 geraten. Hier wird dieser Film, merkwürdiger Weise im falschen Format, falscher Geschwindigkeit und ohne Hinweis auf die Autoren gezeigt.

Wo waren die Redakteure mit ihrem Bildungsauftrag? Sonst wollen sie uns doch immer zeigen, was sie schon alles gesehen und gelesen haben.

Wer herauszufinden versucht, wo dieser eingeschnittene Stummfilm herkommt, der da so merkwürdig verzerrt über die CinemaScope Leinwand flimmert, trifft bei der Recherche auf so manche Absonderlichkeit:

Da fällt man unwillkürlich über den Internet Text des Zeughaus Kinos (DHM) in Berlin, das den Film >Blutmai 1929< so vorstellt: Filmamateure der Kommunistischen Partei filmten diesen sogenannten Blutmai 1929 – ihr Film 1. Mai – Weltfeiertag der Arbeiterklasse enthält die einzigen, heute immer wieder zitierten Bewegtbilder von gewalttätigen Straßenkämpfen in der Weimarer Republik.“

Der Regisseur, der Kameramann und der Produzent des Filmes bleiben unerwähnt. *

Das “sogenannte“ hat das Zeughaus Kino in Berlin selber hinzugefügt. Wir sind an die “sogenannte DDR“ erinnert. Ob sie auch die Wortschöpfung “Bewegtbilder“ erfunden haben, entzieht sich meiner Kenntnis. Wichtig scheint dem Zeughauskino aber der Hinweis darauf, das diese Demonstration verboten war: „….forderte der Polizeieinsatz während der verbotenen Demonstration am 1. Mai 1929 in Berlin zahlreiche Todesopfer.“

Von wem die Demonstration verboten wurde, wer erschossen wurde und vom wem, ist ihnen nicht erwähnenswert. Da scheint es eine merkwürdige Übereinstimmung zwischen Zeughaus Kino und der Produktionsfirma dieses Filmes zu geben. Bravo! Aber komisch sieht es schon aus, wenn ein Stummfilm nicht formatgerecht und in falscher Geschwindigkeit projiziert wird. Und Joachim Krol singen lassen, das geht gar nicht. Was bleibt?

Wird das Publikum diese Mogelpackung annehmen, die doch in einer ARD Tagesschau nach der Premiere des Films auf dem Münchner Filmfest 2017 als “furios“ gefeiert wurde? Nein, die vom Fernsehen hauen keinen aus der gleichen Firma in die Pfanne. Aber: sie sollten bei der ARD zukünftig daran denken, dass “Eigenlob stinkt“. Das Wort ihres Lobes >furios< habe ich extra im Duden (Fremdwörterlexikon) nachgesehen. Dort sind zwei Erklärungen zu finden:

a) wütend, hitzig

b) mitreissend, glänzend.

Nein. Wütend, hitzig und mitreissend ist der Film nicht geworden. Vielleicht passt das Wort glänzend, aber auch da habe ich meine Zweifel.

* Anmerkung : Der Film kam unter verschiedenen Titeln heraus: >Blutmai 1929< und >1. Mai – Weltfeiertag der Arbeiterklasse< waren zwei davon.) Die Länge wird meist mit 222 m/35 mm, das Format mit 1:1,33 angegeben, s/w, stumm. Regie führte Piel (Phil) Jutzi (Mutter Krausens Fahrt ins Glück). Der Kameramann war Erich Heintze und der Produzent Willy Münzenberg. (Alle drei waren durchaus keine Amateure, die findet man eher beim Zeughaus Kino in Berlin unter der Mail Anschrift: Info@dhm.de erreichbar). Eine Kopie gibt es bei der SDK (Stiftung Deutsche Kinemathek) und beim Bundesarchiv in Berlin. Nur für den Fall, das jemand mal das Original suchen sollte. Jens Meyer 28. 8. 2018

pdfStinki Mueller meint1

Europäischer Hof Baden-Baden (Deutschland) Jeremias Henschel

Die Fotos entstanden am 18. Oktober 1930 vor dem Hotel >Europäischer Hof< in Baden-Baden.

Foto eins (von oben): Das jüdische Kinobesitzer Ehepaar Frida und Jeremias (genannt James) Henschel (von links nach rechts).

Foto zwei: Das jüdische Kinobesitzer Ehepaar Frida und Jeremias Henschel mit ihrer Tochter Bianca Henschel.

Foto drei: Sophie Streit (geb. Henschel. Tochter von Frida und Jeremias Henschel), Frida Henschel, Jeremias Henschel und der Kinobesitzer Hugo Streit (Henschel Film und Theaterkonzern OHG), der  mit Sophie Streit verheiratet war. Alle Personen sind geborene Hamburger.

Die Ausnahme  ist Frida Henschel (geb. Blumenthal), die in Lübeck geboren ist. Sie hatten alle die deutsche Staatsangehörigkeit, bis die Nazis an die Macht kamen. Jeremias und Frida Henschel flüchteten zunächst  zu ihrer Tochter nach Den Haag, wo diese mit dem Rechtsanwalt und Konsul von Portugal Dr. Isidor Kahn verheiratet war.

Dort starb Jeremias Henschel. Frida Henschel flüchtete anschließend nach Mexiko und starb später in New York. Bianca Henschel heiratete und überlebte den Holocaust als Bianca Kahn.

Die Fotos stammen von Rolf Arno Streit (Enkel von Frida und Jeremias Henschel), dem die Flucht nach Belo Horizonte in Brasilien gelang.Hugo Streit (Teilhaber des >Henschel Film- & Theaterkonzerns OHG) auf dem Hamburger Flughafen (Deutsche Luft Hansa).

Er steht vor einem Flugzeug der Firma >Junkers<, die ihn nach London bringen soll. Dort besucht er im >Alhambra< Kino die Premiere der amerikanischen Originalfassung (Die Tonfassung) des Filmes von Lewis Milestone >All quiet on the western front< (Im Westen nichts Neues), der später in zwei seiner Hamburger Kinos >Schauburg< wochenlang gezeigt wird.

Die weissen Mäuse waren Herrn Goebbels offensichtlich ausgegangen. Die UFA, unter deutschnationaler Führung von Alfred Hugenberg, hatte sich geweigert, die  Tonfassung  dieses Filmes  deutsch zu synchronisieren und in ihren Kinos zu zeigen.

Der Autor des Romanes (Im Westen nichts Neues) kam aus Osnabrück, der Vater des Produzenten des Filmes kam aus Laupheim bei Ulm. Der Film lief in London in zwei Kinos: Dem >Alhambra< und dem >Royal Cinema< im Londoner Westend.

In Deutschland wurde der Film verboten und durfte später nur noch in sog. geschlossenen Vorführungen gezeigt werden. Nach der Machtübergabe an die Nazis am 31. Januar 1933 wurde er endgültig verboten. Vermutlich, weil die Kriegsvorbereitungen nicht gestört werden sollten.

Erst am 14. März 1952 gelangte der Film, der ursprünglich eine Länge von 140 Minuten gehabt hatte, in einer gekürzten Fassung mit neuer Synchronisation in die westdeutschen Kinos.

Die erste deutsche Synchronfassung von „All Quiet on the Western Front“ (Im Westen nichts Neues) wurde von der Firma: „Rhythmographie GmbH, Alte Jacobstr. 133 “ 1930 in Berlin hergestellt.

Die Leitung der Synchronarbeiten hatte der ehemalige Ufa Chefdramaturg Viktor Abel. Viktor Abel war nach  Nazidefinition Jude und war am 2. Dezember 1892 in Kiev geboren, das in dieser Zeit zum Russischen Kaiserreich gehörte. Am 21.10. 1941 wurde er nach Lodz deportiert und dort ermordet. Die Filmgeschichte hat ihn vergessen.

Belle Alliance
Hamburg Altona. Belle Alliance. Vorführung Lebender Photographien und Kaiser-Café Postkarte vom Mai 1906

VOM NACHTTISCH GETRÄUMT von Stinki Müller

VOM NACHTTISCH GETRÄUMT von Stinki Müller

Da gibt es zwei Bücher, auf die ich gerne hinweisen will. Das erste ist ein Kinderbuch, das ich gestern im Buchladen um die Ecke gefunden habe. Es ist aus Amerika für die Kinder der kommenden Daumenwischgeneration. „VOM NACHTTISCH GETRÄUMT von Stinki Müller“ weiterlesen

DANN SITZT DEUTSCHLAND AUF DEM SOFA UND NIMMT ÜBEL von Ignaz Wrobel

WAS DARF SATIRE? von Ignaz Wrobel

Frau Vockerat: „Aber man muß doch
seine Freude haben können an der
Kunst.“

Johannes: „Man kann viel mehr haben
an der Kunst als seine Freude.“
Gerhart Hauptmann

Wenn einer bei uns einen guten politischen Witz macht, dann sitzt halb Deutschland auf dem Sofa und nimmt übel.

Satire scheint eine durchaus negative Sache. Sie sagt: „Nein!“ „DANN SITZT DEUTSCHLAND AUF DEM SOFA UND NIMMT ÜBEL von Ignaz Wrobel“ weiterlesen

DIE MAULPATRIOTEN von Ignaz Wrobel

DIE MAULPATRIOTEN

In vier roten Jahren ist dieses Land in das tiefste Elend hineingeschliddert „DIE MAULPATRIOTEN von Ignaz Wrobel“ weiterlesen

RAUSCH, SUFF UND KATZENJAMMER von Ignaz Wrobel

Zehn Tage vor Eröffnung der großen Zeit, so um den 20. Juli herum, ahnte noch kein Mensch, „RAUSCH, SUFF UND KATZENJAMMER von Ignaz Wrobel“ weiterlesen

Es sind ja wohl die herzigtausigen Amerikaner von Peter Panter

DAS KANN MAN NOCH GEBRAUCHEN -!

Es sind ja wohl die herztausigen Amerikaner, die die verschiedenen >Wochen< erfunden haben: die Bade-Woche, die Unfallverhütungs-Woche und die Mutter-Woche und die Zähnefletsch-Woche . . . und was man so hat. Und einmal war auch die >Bodenaufräumungs-Woche< dabei. Gar kein schlechter Gedanke . . .

Denn nur bei einem Umzug oder, was dem nahe kommt, bei einem Brandunglück entdeckt die Familie, was sie alles besitzt, was sich da alles angesammelt hat, wieviel man >aussortieren< muß, müsse, müßte …

Auf dem Boden, im Keller und in heimtückisch verklemmten Schubladen ruht der irdische Tand. Als da ist:

Fünf Handschuhe (Stück, nicht Paar, und immer eine ungerade Zahl); acht Bleistiftstummel; ein Tintenwischer, unbenutzt (Geschenk von Fritzchen – >Wirf das nicht weg, man kann das noch gebrauchen!<); ein Porzellanschäfer ohne Kopf; ein Kopf ohne Porzellanschäfer; ein Bohrer; ein Haufen Flicken; 40 Prozent alte Kaffeemaschine; eine durchlöcherte Blechbadewanne; siebzehn Holzknebel, für zum Paketetragen; Emailletöpfe mit ohne Emaille; ein Füllfederhalter; noch ein Füllfederhalter; eine wacklige Petroleumlampe; Flicken.

Manchmal sucht die Hausfrau etwas – dann stößt sie auf einen Haufen Unglück. Sie verliert sich darin, taucht unter, kommt erst spät zu Mittag wieder hervorgekrochen, staubbedeckt, mit rotem Kopf und abwesenden Augen, wie von einer Reise in fremde Länder . . . >Denk mal, was ich da gefunden habe! Paulchens ersten Schuh!<

Wie kommt das –? Warum ist das so –?

Warum heben die Leute das alles auf –?

Sie heben es gar nicht auf. Sie können nur nicht übers Herz bringen, es wegzuwerfen.

Wenn es so weit ist: wenn der Füllfederhalter zerbricht, wenn der Porzellanschäfer den Kopf verliert, wenn die Handschuhe nicht mehr schön sind –: dann wiegen die Menschen einen Augenblick den Kopf nachdenklich hin und her. Da steht der Papierkorb und sperrt höhnisch das Maul auf, hier sieht ihn der oft gebrauchte Gegenstand traurig an, der Invalide – was nun? Da kann er sich nicht entschließen – vor allem: da kann sie sich nicht entschließen. Männer sind rohe Geschöpfe (wenn sie nicht gerade den Schnupfen haben – da benehmen sie sich wehleidiger als eine Frau, die ein Kind kriegt), Männer sind roh und werfen wohl manches fort.

Aber Frauen . . .

Der Amerikaner wirft alles fort: Tradition, alte Autos, sein Geburtshaus, Staubsauger und alte Stiefel. Warum? – Weil das neue nicht gar so viel kostet; weil dort kein Mensch und kein Unternehmen auf langwierige Reparaturen eingerichtet ist – weil das niemand verstände, dass man einen Gegenstand um seiner selbst willen konserviert, wenn an der nächsten Ecke schon ein anderer steht. Fort mit Schaden. Der Europäer aber ist anhänglichen Gemütes und bewahrt sich alles auf. Zum Beispiel in der Politik . . . hoppla – det jeht mir jar nischt an. Aber in der Wirtschaft hebt er und hebt sie alles auf.

>Gib das mal her! Schmeiß das nicht weg! Immer schmeißt du alles weg! Was ich damit noch will? Das ist gar keine alte faule Kiste! Was die soll? Da kann man alte Handschuhe drin aufbewahren! Natürlich habe ich alte Handschuhe! Na, im Moment nicht – aber man hat doch alte Handschuhe! Wozu ich alte Handschuhe aufbewahre? Na, du bist aber komisch! Wenn man mal . . . also für aufgesprungene Hände . . . eben . . . überhaupt braucht man in der Wirtschaft immer alte Handschuhe . . .! < Und wenn nachher umgezogen wird, dann steigt dieses Reich des Moders ans Licht, und Gott der Herr verhüllt sein Antlitz, wenn er das mitansehen muß . . .

Viele unter uns sind noch gar sehr sentimental; wenn sie mit einem Gegenstand eine Zeitlang gelebt haben, dann haben sie mit ihm kein Verhältnis gehabt, sondern sie sind mit ihm verheiratet gewesen – und da trennt man sich doch nicht so eins, zwei, drei . . . Jedenfalls schwerer als in einer wirklichen Ehe. Das schöne Tintenfaß . . . Na, ja, es hat einen kleinen Knacks . . . aber vielleicht . . . als zweite Garnitur . . . Und dann bewahren sie es auf. Und da liegt es und frißt Staub.

Merk:

Was nicht griffbereit ist, was man nicht nachts um zwei Uhr finden kann –: das besitzt man nicht. Das liegt bloß da. Es ist so, wie wenn man es weggeworfen hätte.

Merk:

In neunundneunzig Fällen von hundert lohnt es sich nicht, ein Ding aufzubewahren. Es nimmt nur Raum fort, belastet dich; hast du schon gemerkt, dass du nicht die Sachen besitzt, sondern dass sie dich besitzen? Ja, so ist das.

Merk:

Ein einziges billiges und brauchbares Rasiernäpfchen ist mehr wert als drei teure, die verstaubt auf dem Boden liegen, weil man sie doch noch mal gebrauchen kann. Wozu? Der Aufbewahrende konstruiert sich dann gern Situationen, die niemals eintreten. >Man könnte doch mal . . . also wenn wir zum Beispiel mit Flatows einen Ausflug nach dem Stölpchensee machen, und die Kinder wollen sich mal im See Frösche fangen und die Frösche mit nach Hause nehmen – dann ist der Rasiernapf noch sehr schön!<

Aber die Kinder von Flatows fangen keine Frösche, denn sie haben selber einen zu Hause, und noch dazu einen, der bei schlechtem Wetter singt . . . und dann hat diese Familie auch ihrerseits genügend Gefäße, und überhaupt, was geht dich das an? Du meinst das auch gar nicht. Es ist eine atavistische Hochachtung (*) vor dem Ding, stammend aus der Zeit, wo ein Gegenstand noch mit der Hand hergestellt wurde . . . Heute speien ihn die Maschinen aus – wirf ihn weg! wirf ihn weg!

Glatt soll es um dich aussehen, griffnah und ordentlich. Hinter den Kulissen deines Daseins soll kein Moderkram von Ding-Leichen liegen: psychoanalysiere dein Besitztum und laß nicht in verstaubten Ecken dein altes Leben gären. Es lohnt nicht; es lastet nur. Wie weit du damit gehen willst, ist Geschmackssache und Alterssache. Gewiß, es gibt moderne Möbel, von denen ein witziger Frankfurtammainer gesagt hat, sie seien für die Wohnung nur konstruiert, damit man sich beim Zahnarzt wie zu Hause fühle . . . aber laß Licht in alle deine Ecken. Und höre nicht auf die Stimme deiner Frau, die dir sonst so gut rät; wenn sie aber sagt: >Man kann das noch gebrauchen!< – dann denk an den großen Kasten mit alten Schlüsseln, die du immer, immer noch aufbewahrst, Schlüssel, zu denen die Schlösser verloren gegangen sind . . . Kann man das noch gebrauchen? Das kann man nicht mehr gebrauchen.

Die Basis jeder gesunden Ordnung ist ein großer Papierkorb.

P.P. (Peter Panter). Erstveröffentlichung am 19. August 1930 in der N.Lpz. (Neue Leipziger Zeitung). Zitiert nach der Gesamtausgabe Kurt Tucholsky. Drei Bände. Dünndruck. Band III. 1929 – 1932. Seite 498 – 500.Tieresehendichan1

Ps: (*) Da wußte ich nicht weiter und habe ins Fremdwörterbuch des Dudens gesehen. Den aus Mannheim. (7. Auflage)  und gefunden: „atavistisch: 1. den Atavismus betreffend. 2. (abwertend) in Gefühlen, Gedanken usw. einem früheren, primitiven Menschheitsstadium entsprechend.“ Dabei fällt mir ein. Ich hatte mal die Tucholsky Taschenbuch Ausgabe von Rowohlt. Zehn Bände in einem Schuber. Die war leider so schlecht geklebt, dass sie überall auseinander fiel. Ich hatte irgendwann keine Lust mehr (zu Lesen). Aber dann habe ich diese Tucholsky Dünndruckausgabe gefunden (Drei Bände) . . . Und dann habe ich die zehn Taschenbücher in “die thermische Entsorgung“ gegeben. Das ist mir sehr schwer gefallen.Tieresehendichan3

BEDENKE, WIR LEBEN IN EINEM RECHTSSTAAT von Ignaz Wrobel

DAS A-B-C DES ANGEKLAGTEN

Wenn der Deutsche grade keinen Verein gründet, umorganisiert oder auflöst, dann hat er einen Prozeß. „BEDENKE, WIR LEBEN IN EINEM RECHTSSTAAT von Ignaz Wrobel“ weiterlesen

Ja, die Katze ist ein Tier, das gern in Schubladen schläft von Peter Panter

EIN KATZENBUCH

Die Morallosigkeit und die Sinnlosigkeit der Katze; ihre Ungreifbarkeit und substanzlose Körperlichkeit, die leisen Funken, die dauernd aus den Pelzen sprühen und dann noch das andre . . . das nicht Nennbare . . . 

„Ja, die Katze ist ein Tier, das gern in Schubladen schläft von Peter Panter“ weiterlesen

LARISSA REISSNER von Kurt Tucholsky (Ignaz Wrobel)

Larissa Reissner

Die ist in ihrem eignen Saft gekocht. Wir haben so viel alte Weiber unter den Journalisten – eine so kluge, eine so kräftige war noch nicht dabei. „LARISSA REISSNER von Kurt Tucholsky (Ignaz Wrobel)“ weiterlesen