Der Weg des Kandidaten nach Berlin- Fotos auf der Suche nach der Wahrheit. Und einer schafft es mit Links. Den Wohlstand.

Fotos Jens Meyer

Großneumarkt am 11. September 2021. . Die wollen nicht nach Berlin, die wollen Urlaub, Sehr vernueftig.
Hätte man gar nicht gedacht von der CDU

Fotos aus Kreuzberg (XI)

Foto von Helmut Schönberger
Foto von Helmut Schönberger
Foto von Helmut Schönberger
Agfapan 100 200 ASA entwickelt mit Neofin rot. Foto von Helmut Schönberger
Agfapan 100 200 ASA entwickelt mit Neofin rot. Foto von Helmut Schönberger

Fotos aus Kreuzberg (VIII)

Foto von Helmut Schönberger
Foto von Helmut Schönberger
Foto von Helmut Schönberger
Foto von Helmut Schönberger
Foto von Helmut Schönberger

Fotos aus Kreuzberg (VII)

Foto von Helmut Schönberger
Foto von Helmut Schönberger
Foto von Helmut Schönberger
Ilford Pan F 100 ASA mit Microphen entwickelt. Foto Helmut Schönberger
Ilford Pan F 100 ASA mit Microphen entwickelt. Foto Helmut Schönberger

Fotos aus Kreuzberg (V)

Ilford Pan F 21 DIN mit Microphen entwickelt. Foto von Helmut Schönberger
Ilford Pan F 21 DIN mit Microphen entwickelt. Foto von Helmut Schönberger
Foto von Helmut Schönberger
Ilford FP 4 125 ASA. Entwickelt mit Perceptol, Foto von Helmut Schönberger

Fotos aus Kreuzberg (II)

Ilford HP 4 Foto von Helmut Schönberger
Foto von Helmut Schönberger
Ilford HP 4. Foto von Helmut Schönberger
Foto von Helmut Schönberger
Foto von Helmut Schönberger
Foto von Helmut Schönberger
Foto von Helmut Schönberger

Fotos aus Kreuzberg (I)

Foto von Helmut Schönberger
Foto von Helmut Schönberger
Ilford Pan F. Foto von Helmut Schönberger
Ilford Pan F. Foto von Helmut Schönberger
Kodak Tri X. Foto von Helmut Schönberger

Foto von Helmut Schönberger
Foto von Helmut Schönberger
Foto von Helmut Schönberger
Foto von Helmut Schönberger
Ilford FP 4 19 DIN entwickelt mit Perceptol Foto Helmut Schönberger
Foto von Helmut Schönberger
Ilford PAN F 100 ASA. Entwickelt mit Microphen. Foto von Helmut Schönberger
Foto von Helmut Schönberger

Meine kurze Karriere beim Deutschen Patentamt in Berlin

Abschrift (erschienen am 5. Januar 1976 im INFO BUG (INFO BERLINER UNDOGMATISCHE GRUPPEN) ) Nr. 88 und 89 Seite 7 und Seite 17. Überschrift in Faksimile: Der Präsident des Deutschen Patentamts. Daneben die Postanschrift (Ebenfalls im Faksimile: 1000 Berlin 61, den . . . . 1976. . . . Postanschrift: Deutsches Patentamt. Dienststelle Berlin. 1000 Berlin 61. Gitschiner Str. 97 – 103. Fernruf (030) 25 80 61 App. …. Fernschreiber 01836 04

ARBEITSDIENST (modern)

Arbeitslose sind schlecht dran. Wer zudem noch von einer Fach- oder Hochschule kommt und ins ABM-Programm (ABM = Arbeits Beschaffungs Maßnahmen), wie sie es schüchtern nennen (es gab mal einen, der nannte es Arbeitsdienst und baute damit die vielgerühmten Autobahnen), der kann nicht mal mehr richtig weinen. Ich jedenfalls bin jetzt „eingegliedert“ in den Arbeitsprozeß. Das sieht dann folgendermaßen aus: Zunächst ein Vortrag auf dem Arbeitsamt: »Man sei ja nun schon bald ein halbes Jahr arbeitslos, wie man sich das denn denke?« Ich sage: »Ich denke – daß man mir doch eine Arbeit vermitteln solle, draußen steht ja schließlich als Beruf „Arbeitsvermittler“ dran«. »Die Arbeit, die sie suchen, die gibts nicht« Welchen Beruf ich denn stattdessen ausführen wolle? »Schließlich könnte ich doch nicht immer von der Bundesanstalt für Arbeit leben«, »Wieso«, sage ich, »sie leben ja auch davon«. (Kleine Anmerkung von 2021. Der Arbeitsvermittler bei der »ZBF Agentur« in Berlin Steglitz hatte den Namen, ich schwörs, Knebel)

Keine Antwort. Endlich hat er den Schuldigen an der Krise gefunden: Ich gebe zu, ich bin Schuld an den 1,2 Millionen Arbeitslosen. Als ich das endlich eingesehen habe, weiß der Vermittler auch gleich eine Lösung – : so keine Arbeit ist, muß welche beschafft werden. Herr Stingel (*) gibt schließlich nicht umsonst 600 Mio. aus, um am Jahresende den Aufschwung zu verkünden.

Ich kaufe mir eine Flasche Schnaps, ziehe meine schmutzigste Hose an – auch ein paar kaputte Schuhe habe ich noch – und stelle mich zwangsweise vor (andernfalls Sperre der Arbeitslosenhilfe für 4 Wochen). Es nützt alles nichts – der »Senator für Arbeit und Soziales« stellt mich ein. »Deutsches Patentamt« hat er für mich vorgesehen. (Und da lese ich immer in der Zeitung, das man erst überprüft wird, bevor der öffentliche Dienst jemand einstellt – Ich beschwere mich – so unpolitisch sei ich doch nun auch nicht, und Flugblätter habe ich auch schon unterzeichnet).

400 Personen sind auf dem Patentamt – 150 kommen jetzt noch per Arbeitsdienst dazu. Als ich ankomme, sitzen schon 50 beim Personalchef im Büro. Höll heißt der Mensch, hat einen Bart und einen Kursus in der Psychologischen Betriebsführung absolviert. Obwohl er keine Arbeit zu vergeben hat, fragt er jeden, »was er denn bisher so gemacht habe« (einige fallen auch auf den Schwindel rein und bringen noch Zeugnisse mit) »und wo denn wohl der richtige Platz für ihn sei« -. Dann sagt er mit schöner Regelmäßigkeit immer das gleiche: »Kopierer, Keller, Sortieren, Ablegen von Akten«.

Anschließend erklärt er jedem, was denn in diesem Patentamt (auf den Schränken und Regalen leuchtet die Geschichte des Hauses – sie tragen teilweise noch die Hakenkreuze, oder auch die kaiserlichen Inschriften oder einfach Reichspatentamt) eigentlich gemacht wird. Nach einer Woche habe ich dann auch raus: für 50 Oberregierungsräte arbeiten 350 Leute zu, als ANG (Angestellter) oder als ABM (Arbeitsdienst) oder als ARB (Arbeiter). Wer länger hier ist, wird verrückt. Man sie das an denen, die länger hier sind. (Fortsetzung folgt)

(*) Stingel = Er nannte sich damals Präsident dieser Behörde. Handschriftliche Anmerkung des INFO BUG Layouters: aber bitte mit 1-zeiligem Abstand – Papier ist immer noch teuer.

Vermutlich hatte ich meinen Artikel mit 1,5 zeiligen Abstand geschrieben, was dazu geführt hat, dass mein Artikel vor der Veröffentlichung noch mal mit einzeiligem Abstand abgeschrieben werden mußte. Ebenfalls der zweite Teil, der eine Woche später in Nummer 89 auf Seite 17 veröffentlicht wurde. Mit einer Überschrift (Schablone 75 Grad Normschrift, wie sie auch in den Berichtsheften der Maschinenschlosserlehrlinge (Auszubildende hiessen sie erst später) zum Einsatz kam).

A R B E I T S D I E N S T Deutsches Patentamt Dienstelle Berlin 2. Teil

Holz arbeitet ! »Sie sind ja noch jung, vielleicht, wenn sie sich bewähren, werden sie dort auch fest angestellt«. so der Vermittler auf dem Arbeitsamt (Knebel). Kein Interesse bei mir, kein Wunder, die meisten fangen an zu trinken, es gab mal einen, den haben sie jeden morgen nach Frühstück schon über den Platz in der Auslegehalle tragen müssen. Aber die fliegen dann doch raus. Es gibt eine Versammlung- alle Arbeitsdienstleute werden zusammengerufen, ein Vertrauensmann scheidet, ein anderer soll nachrücken. Der Präsident (Des Deutschen Patentamtes) erstattet Bericht. Die Fülle der anstehenden Aufgaben, die Haushaltbeschränkungen – jeder kann ihm seine Sorgen vortragen, ein richtiger Vater. Da gibt es einige Schonbaldrentner, die haben welche, sie sollen rausfliegen, 15 an der Zahl, ja wenn er das rechtzeitig gewußt hätte – aber jetzt – »man hat mich hintergangen« -. Wie das mit der Festanstellung älterer „EINSATZ“ Leute aussieht, ja eine Lohnempfängerstelle wird demnächst frei, kein Interesse bei den ABM-Gehaltsempfängern.

Ein scheidender Vertrauensarzt ist Jemandem in den Arsch gekrochen: die Belohnung: gleich zu Anfang Gruppe D das sind 200,– DM mehr als andere bekommen. Eine Dokumentation hat jeder vor sich liegen. Es gibt Leute, die sprechen öffentlich von Schiebung. Er rechtfertigt sich, wenn man eben so gut sei wie er, einen so wichtigen Posten hier beim Patentamt verantwortlich ausfülle, dann könne man auch Gruppe D erreichen. Innerhalb von 10 Minuten erklärt er der Versammlung, was für ein tüchtiger Mensch er sei. Unausgesprochen greift er die anderen damit an – sodaß seine Lobrede von vielen Zwischenrufen unterbrochen wird. Die meisten betrachten das jetzt als Theaterstück und nicht mal so sehr gutes, der Ersatzmann fehlt immer noch kurz vor Feierabend, also wird schnell gewählt – die Kandidaten sagen nicht viel mehr als Alter, Familienstand – niemand kennt niemand. Und der Präsident lacht, jetzt sind die 15 armen Schweine, die sie vorzeitig (vor neuer Arbeitslosengeldberechtigung) rausgeschmissen (natürlich ohne wissen des Präsidenten) haben, denkt niemand mehr. Mein Nebenmann flüstert mir ins Ohr, wenn es so viele Baldrentner gibt, die das hier machen wollen, warum zwingt man denn uns in dieses Idiotenaktenhaus. Ja,. warum eigentlich? – Bis bald Ihr Diplomsoziologen!! Anonym (weil 1976) Endlich kann ich mich outen. Aber ich lasse es. Der späte Ruhm bekommt mir nicht. Stinki Müller.

Holz arbeitet !
Auch dieses Holz arbeitet !
Immer noch: Keine Umsturzgefahr!

Fotos Jens Meyer (Eine kleine Anmerkung von 2021. Schreibfehler von 1976 werden grundsätzlich nicht korrigiert!

Kurt Tucholsky. SO VERSCHIEDEN IST ES IM MENSCHLICHEN LEBEN (I) (14. April 1931)

«Das Englische ist eine einfache, aber schwere Sprache. Es besteht aus lauter Fremdwörtern, die falsch ausgesprochen werden». (Kurt Tucholsky, Seite 833, Dritter Band der Gesamtausgabe)

PDF Tucholsky So verschieden ist es

SO VERSCHIEDEN IST ES IM MENSCHLICHEN LEBEN!

Neulich habe ich alte Jahrgänge des <Brenner> gelesen, einer Zeitschrift, die in Innsbruck erschienen ist und wohl noch erscheint . . . Das war eine merkwürdige Lektüre.

Es gibt eine Menge verhinderter Katholiken, meist sind es Juden, denen ist die katholische Kirche nicht katholisch genug, oder sie erscheint ihnen überhaupt nicht als katholisch. Ich mag mich nicht gern mit der Kirche auseinandersetzen; es hat ja keinen Sinn, mit einer Anschauungsweise zu diskutieren, die sich strafrechtlich hat schützen lassen.

Mit so unhonorigen Gegnern trete ich nicht gern an. Was aber jene verhinderten Katholiken angeht, die es gern sein möchten, es aber nicht sein können und die darunter leiden, wie nur ein Mensch leiden kann: es sind das nicht nur die forschen Konvertiten, die da toben. Es ist noch etwas andres.

Da ist eine ganze Literaturgattung, die schlägt der Welt ununterbrochen das <Neue Testament> auf den Kopf und wundert sich, daß es nicht gut klingt. Das höchste Pathos blüht hier; kaum einer kann gewaltigere Töne finden als der, der aufzeigt: Siehe, die Welt lebt nicht, wie Christus es gelehrt hat. Es gibt nur noch ein Pathos, das höher ist: das ist das Pathos über Christus hinweg.

Im <Brenner> nun, dessen Sauberkeit, Tapferkeit und Reinheit nicht bezweifelt werden kann, gehts hoch her. Und dabei ist mir etwas aufgefallen.

Da ist zum Beispiel Theodor Haecker, ein Schriftsteller von beachtlichem Format, wenn man nicht genau hinsieht. Wenn man aber genauer hinsieht, dann zeigt sich unter dem Lärm der donnernden Moralpauken ein kleiner Mann, der es dem Hermann Bahr aber ordentlich gibt, und, auf einmal, Hosianna, Amen und Ite missa est, sind wir mitten im fröhlichen Gezänk eines Literaturcafés. Frommer Schwannecke. Es scheint, als ob diese Sorte Literaten sich erst religiös sichern müssen, bevor sie loshacken.

Sie haben nie begriffen, daß es christlich, mehr: daß es philosophisch wäre, zu schweigen und vorüberzugehn. Ja, wenn ein Gläubiger aufschreit und dem Wahnwitz der Welt einen Spiegel entgegenhält, von dem jene nachher sagt, es sei ein Zerrspiegel, weil sie nicht glauben kann, daß sie so gemein aussähe! Wer dieses aber allmonatlich, regelmäßig und mit hitziger Wonne tut: der ist kein Christ, und wenn er zehnmal den ganzen Kierkegaard übersetzt hat. Der ist genau dasselbe wie Hermann Bahr, nur mit umgekehrtem Vorzeichen.

Und schließlich ist psychopathische Lebensuntüchtigkeit noch kein Christentum, und <das Böse> ist kein Schimpfwort. Wenn einer mit seinem Leben und nun gar mit dem Leben nicht fertig wird, so wird solch ein Anblick dadurch nicht schöner, daß er sich auf die Bibel beruft.

Die geheime Wonne, dem andern aber ordentlich eins zu versetzen, wird hier durch Moralinsäure legalisiert und durch eine verfälschte Himmelssüßigkeit, die nach Sacharin schmeckt und durchaus von dieser Erde stammt. Das Ziel ist vielleicht gut; die Kämpfer sind es mitnichten. Und die Hälfte ihrer Religion besteht in der Verachtung der Ungläubigen; das hält warm und ist ein schönes seelisches Unterfutter.

Viel Rauch um diesen Brenner. Schade um die reine Flamme.

Der Zustand der gesamten menschlichen Moral läßt sich in zwei Sätzen zusammenfassen: We ought to. But we don’t.

Wenn Stefan Zweig einen erkälteten Magen hat –: schreibt er sich dann etwas auf die eigne Bauchbinde –?

Das Englische ist eine einfache, aber schwere Sprache. Es besteht aus lauter Fremdwörtern, die falsch ausgesprochen werden.

Scharfe Sozialkritiker sind in ihren Nicht-Vaterländern sehr beliebt, nur dürfen es grade keine Kommunisten sein.

Sonst aber hat es der Deutsche gern, wenn der Amerikaner die amerikanische Kultur demoliert; wir haben uns immer sehr für die Freiheit der andern interessiert.

Man kann jeden schreibenden Menschen bis ins Mark daran erkennen, wie er das Wort <ich> setzt. Manche sollten es lieber nicht setzen. Hitler setzt es. «Wenn ich in Deutschland spreche, so strömen mir die Menschen zu . . . » Der Ton ist vom Kaiser entlehnt, und das Ganze hat etwas Gespenstisches: denn dieses <ich> ist überhaupt nicht da. Den Mann gibt es gar nicht; er ist nur der Lärm, den er verursacht.

Die einen haben nichts zu essen und machen sich darüber Gedanken, das kann zur Erkenntnis ihrer Lage führen: und das ist dann Marxismus; die andern haben zu essen und machen sich keine Gedanken darüber: und das ist dann die offizielle Religion. So verschieden ist es im menschlichen Leben! (Peter Panter, Die Weltbühne, 14. April 1931, erste Buchveröffentlichung in LL=Lerne Lachen ohne zu weinen)

Die Suchmaschine übersetzt: We ought to. But we don’t. = Wir sollen. Aber wir tun es nicht. Wikipedia schreibt: Ite missa est = spätlatteinisch für Gehet hin, ihr seid gesandt, wörtlich geht, das ist die Entlassung bzw. Geht, sie ist gesandt. In der deutschsprachigen Fassung Gehet hin in Frieden, ist es der Entlassungsruf am Ende der heiligen Messe im römischen Ritus. Er wird vom Diakon oder Zelebranten gerufen, die Gläubigen antworten mit Deo gratias. Dank sei Gott, bzw. Dank sei Gott dem Herrn.

(Die beiden Sätze (Das Englische ist eine einfache, aber schwere Sprache. Es besteht aus lauter Fremdwörtern, die falsch ausgesprochen werden.) sind herausgerissen aus dem Text: So verschieden ist es im menschlichen Leben. Aus Kurt Tucholsky. Gesammelte Werke, Band III, 1929- 1932, Dünndruckausgabe, Seite 832-834. Zuerst erschienen unter dem Namen Peter Panter, Die Weltbühne, vom 14. April 1931.)

Kurt Tucholsky. Was machen die Leute da oben eigentlich?

Was machen die Leute da oben eigentlich?

Motto: Der eigne Hund macht keinen Lärm – er bellt nur. (Alte Weisheit)

Donnerwetter, ist das ein Krach! Was ist das? (Achselzucken.) – «Das sind Lösers, die Leute, die über uns wohnen. Das ist jeden Abend so.» Und da sagt ihr nichts? – «Wir haben schon raufgeschickt: da ist nichts zu machen. Sie haben gesagt, unseretwegen können sie sich keinen Bodenbelag . . . Himmelkreuz, man glaubt reineweg, die kommen mit der Decke runter! Nu hör bloß mal an – der Kalk rieselt richtig . . . Ruhe! – Ruhe!»

Ja, Kuchen. Was machen die Leute da oben in ihrer Wohnung?

Sprechen wir nicht von den wildgewordenen Hausfrauen. Die Reinmache-Megären sind weniger zahlreich geworden; dafür sind auch die Wohnungen von vernünftigen Familien sauberer. Aber was stampfen, was klopfen, was rücken die Leute über uns?

Alles, was man nur mit einem einzigen Sinn wahrnehmen kann, wirkt merkwürdig; die andern vier Sinne liegen gespannt auf der Lauer, und das Gehirn ist gezwungen, aus der einen, unvollkommenen Wahrnehmung alles andere zu kombinieren. Und so kombinieren wir denn, nachdem das Ohr schmerzlich aufgenommen hat:

Lösers machen Manöver. Lösers räumen jeden Abend ihre Wohnung aus . . . sie hängen ihre sämtlichen Einrichtungsgegenstände zum Fenster hinaus, räumen sie wieder ein . . . Nein, sie rollen zwei kleine Kanonenkugeln, Andenken aus dem Weltkriege, fröhlichen Gemütes durch die Korridore. Sie spielen Zirkus: schlagen der Länge lang hin, stehen wieder auf, schlagen wieder hin . . . Sie haben einen Kraftmenschen engagiert, der – nu hör doch bloß mal einer an! – das Büfett aufhebt und probiert, ob es, wenn man es auf den Boden hinfallen läßt, federt – was machen diese Leute? Ruhe!

Ich will es dir genau sagen, was sie machen. Dasselbe wie du.

Sie gehen auf und ab. Sie rücken ein paarmal Möbelstücke hin und her, was deinem Ohr zweck- und sinnlos erscheint, was aber ganz vernünftig anmutet, wenn man bei ihnen oben ist. Sie lassen ihre Kinder tollen . . .

Zugegeben: es gibt rücksichtslose Wohnungsnarren. Es scheint, dass manche Leute ihrem am Tage im Geschäft unterdrückten Willen zu Hause Spielfreiheit geben – da toben sie sich aus. Es gibt ausdauernde Auf- und Abgeher, solche, die, vom Teufel der Ruhelosigkeit geplagt, durch die Wohnung jagen . . . es ist so viel unbefriedigtes Gefühl in dem, was sie so treiben . . . Ja, aber wo sollten sie das alles tun, wenn nicht zu Hause! Den Tag über ist ihr Leben mit lauter Schildern umgattert: DU DARFST NICHT! . . . VERBOTEN! . . . UNTERSAGT! – Einmal, ein einziges Mal will der Mensch das Überflüssige tun, das dem Leben erst die richtige Würze gibt. Und da toben sie sich denn aus.

Es ist ein Jammer. Was ist ein Jammer? Der Wohnungsbau ist ein Jammer. Denn da wir dem Idealzustand, wo jede Familie ihr Häuschen hat, noch sehr fern sind, ist die große Mehrzahl aller Leute in den Großstädten gezwungen, in Mietshäusern zu wohnen – sie sind schon so froh, wenn sie darin überhaupt eine Wohnung finden. Und was sind das für Häuser?

Was die Architekten machen, ist ziemlich klar. Sie bauen die neuen Häuser aus einer Mischung von kaltgewordener Zigarrenasche und gestoßenen Ziegeln. Jeder <Fachmann> wird hier aufbrausen und uns erklären, dass es so ist, dass es nicht so ist, warum es gar nicht anders sein kann . . . das müssen wir uns mit Gleichmut anhören. Genau so wie den Lärm über uns, unter uns, neben uns . . .

Es muß eine raffinierte Berechnungsmethode geben, nach der die Häuser grade noch stehenbleiben, wenn jemand das hohe C in ihnen singt. Es sind liebe Baulichkeiten: niest jemand im Keller, so kann man getrost auf dem Boden «Zur Gesundheit!» wünschen, und mit dieser Papparchitektur wird das immer schlimmer. Großstadthäuser aus den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts wirken heute schon wie die alten Ritterburgen. Die neuen erzittern, wenn man sie nur ansieht, und wenn ein ungezogener Knabe in ihnen aufstampft, dann fallen die Hypotheken vom Dach. Was machen die Leute bloß da oben – ?

Eine Lärmsicherung gibt es nicht. Man hat Versuche mit Korkböden gemacht; die sind teuer, sie dämpfen den Schall wohl – aber sie ersticken ihn nicht ganz. Und so rumort es über den Köpfen hinweg, ganze Artillerieregimenter fahren auf und fahren wieder ab – was machen die Leute bloß?

Du mußt mit ihnen aufstehen und mit ihnen zu Bett gehen. Du lebst ein fremdes Leben mit. Stille, das kostbarste Gut, ist dir versagt. Und wenn sie selbst still sind, wenn sie dicke Teppiche haben, die Obermieter, wenn sie selbst – o seltener Fall! – aus Rücksicht für dich Hausschuhe tragen . . . dann ist da noch immer der schrecklichste der Schrecken.

vomiert «Huhu – huhu – haha – huhu – hiiiii –» Was ist das? Eine Lokomotive im Tunnel? Ach nein. Das ist Fräulein Lieschen Hasensprung, die sich im Gesang übt. Sie gleitet die Skalen gar oftmals hinauf und hinab; sie schleift die Töne im Hals, bis der Hals rauh und die Töne glatt sind, und wenn sie nicht singt, dann spielt sie Klavier. Das Klavier klingt, wie wenn man Wurstpellen auf eine Sardinenbüchse gespannt hat, das Spiel schmeckt nach Wurst und nach Sardinen. Und das geht den ganzen Tag – stunden – – stundenlang . . .

Und wenn sie nicht Klavier spielt, dann vomiert (*) der Lautsprecher, damit die andern Leute auch eine Freude haben. Krach muß sein, sonst macht das ganze Leben keinen Spaß.

Aber – aber – was machen sie bloß da oben? Rollen die ihren Ofen durch die Zimmer? Vielleicht haben sie dem Schreibtisch Punkte aufgemalt, und nun würfeln sie damit . . Oder die lieben Kinderchen spielen ein gemütliches Spiel, wie das Kinder so tun: <Schweineschlachten in Oberbayern> oder <Chaplin und die Flöhe>. Horch – welch ein Skandal! Unser Kronleuchter zittert und klingelt mit dem Glas. Man fühlt ordentlich den Boden schwanken. Alles in mir zittert. So –

So geht das nicht mehr weiter. Jetzt schreibe ich drei Briefe: einen an die Polizei, einen an den Hausverwalter und einen an die rücksichtslosen Mieter. Ich will mir nur noch den Tisch hierher rücken, die Lampen dahin, so – und den Stuhl hierhin, und noch den kleinen Rauchtisch daneben – so – und dann gehts los.

Und unter mir denkt sich einer: «Was macht dieser Panter da oben eigentlich?»

Er schreibt drei Briefe. Gegen den Lärm. Erstveröffentlichung unter dem Namen Peter Panter in Der Uhu, Das neue Monatsmagazin, Verlag Ullstein, Juni1930, Heft Nr. 9, Seite 89, zitiert nach Kurt Tucholsky, Gesammelte Werke in drei Bänden, Dünndruckausgabe, Band III, Seite 459 – 461. (*) vomieren. Nein das Wort hat sich Tucholsky nicht ausgedacht, es ist sogar in meinem VEB Duden von 1984 abgedruckt und steht: Vomieren = sich erbrechen. Na sowas.