in meinem Buechersortiment befinden sich drei Ausgaben des Buches von Christian Geissler: »Wird Zeit, daß wir leben«. Zwei Auflagen aus der Zeit als Christian Geissler noch lebte und und eine aus der Zeit als er nicht mehr lebte. Erstmals war das Buch 1976 im Rotbuch Verlag Berlin erschienen. Meine Exemplare sind aus den Jahren 1976 und 1979. Taschenbuecher. Das von 1979 mit der Auflagenennung 11.-13. Tausend. 236 Seiten. Die Ausgabe von 2013 ist gebunden, hat 316 Seiten und ist im Verbrecher Verlag Berlin erschienen. Hinzugefuegt ist ein Nachwort von Detlef Grumbach und eine „Editorische Notiz“ auf Seite 317.
In dieser heißt es u. a.: »Das Glossar war bereits Bestandteil der Erstausgabe, geprägt von einer pointierten Mischung aus Fakten und Standpunkten. Für heutige Leser wurden hier und da die Fakten behutsam ergänzt, die typische Diktion Geisslers wurde aber so weit wie möglich beibehalten«.
Das entspricht leider nicht den Tatsachen. In der ersten und in der von mir 1979 erstandenen Ausgabe dieses Buches gibt es kein »Glossar«. Christian Geissler hat dieses Wort vermieden. Er hat den sieben Seiten am Ende des Buches die Ueberschrift »Anmerkungen« gegeben. Es handelt sich um 61 Anmerkungen. Die Anzahl ist in der Auflage von 2013 gleich geblieben. Verteilt auf zehn Seiten, während es in den ersten Auflagen sieben Seiten waren.
Apropos: Fakten behutsam ergaenzt. Die neuen Anmerkungen sind nicht nur laenger oder kuerzer geworden, sondern auch anders. Los gehts mit den Hungerdachluken. Bei Christian Geissler einfach und klar: (9) „Hungerdachluken. Beim Hamburger Aufstand im Oktober 1923, als die arbeitenden Massen hungerten, kämpften die Revolutionäre zum Schrecken der Weißen klug aus dem Hinterhalt, z. B. aus barmbeker Dachluken.“
Dem Behutsamergaenzer der Ausgabe von 2013 ist das nicht genug und er oder sie fügt deshalb an: „Der Hamburger Aufstand war eine von der militanten Sektion der KPD in Hamburg am 23. Oktober 1923 begonnene Revolte. Ziel war der bewaffnete Umsturz in Deutschland nach dem Vorbild der russischen Oktoberrevolution 1917. Im Laufe des Aufstands wurden in Hamburg und Schleswig-Holstein insgesamt 24 Polizeireviere besetzt.“ (Liest sich wie bei Wikipedia abgeschrieben. Und siehe da: ist es auch. Nur der zweite abgeschriebene Satz wurde ein wenig veraendert, oder sollte es etwa umgekehrt sein?)
Besonders auffaellig ist es bei der Anmerkung 10 auf Seite 230. Im Original (1976 und 1979) von Christian Geissler steht:
„rede Genosse Mauser!vgl. Majakowski, linker Marsch: Entrollt euren Marsch / Burschen von Bord / Schluß mit dem Zank und Gezauder / still da, ihr Redner / du hast das Wort / rede, Genosse Mauser . . . .Die Rede ist hier von der C 96, einem der beliebtesten Modelle aus dem Hause von Paul v. Mauser, die erste wirklich brauchbare Pistole mit verriegeltem Verschluß und mit einem 10- und später auch 20- Schuß-Magazin, das vor dem Abzug liegt. Zusätzlicher Vorteil: Die Waffe hatte eine Einrichtung zur Anbringung eines Anschlagschaftes. Im revolutionären Rußland nannte man die diese Waffe auch »Bolo-Mauser«. Bolo war der in der Umgangssprache entstandene Ausdruck für Bolschewik. Eine spanische Version dieser Pistole war bei den chinesischen Genossen der zwanziger Jahre als Maschinenpistole recht verbreitet. Wenn die Mauser auch bei uns jetzt durch andere, handlichere Konstruktionen ersetzt ist, erfreut sie sich doch in manchen Länder noch eines außerordentlichen Zuspruchs.“
In der Neuausgabe von 2013 wird daraus: „rede Genosse Mauser!Zitat aus dem Gedicht »Linker Marsch« von Wladimir Majakowski, später vertont von Hanns Eisler: »Entrollt euren Marsch / Burschen von Bord / Die Rede ist hier von der Mauser C 96, einer der ersten Selbstladepistole.“
Zwei Revolutionen sind verschwunden. Stattdessen erfaehrt der »Leser von heute«, wer die Musik dazu gemacht hat. Naechstes Beispiel: hauptvollblut und wasistdas Während es bei Christian Geissler kurz und buendig heißt: »Kurzfassung der Schwerpunkte lutherischer Glaubenslehre«schwafelt der Faktenbehutsamergaenzereditor vom Verbrecherverlag von Paul Gerhard, Johann Krüger, Martin Luther und dem Kleinen Katechismus.
Auch das Stichwort »im Krieg in Kiel« erfaehrt eine erstaunliche Veraenderung. Während Christian Geissler schreibt: »Die November Revolution 1918 begann am 3.11. mit dem bewaffneten Aufstand der Matrosen in Kiel. Als auf den Schiffen des III. Geschwaders umfangreiche Verhaftungen vorgenommen wurden, erhoben sich die Matrosen und begannen den Kampf um die Befreiung ihrer Kameraden.«
Daraus macht der Faktenbehutsamergaenzer des Verbrecherverlags (natuerlich ohne Namensnennung und Begruendung): »Der Kieler Matrosenaufstand fand Anfang November 1918 – gegen Ende des Ersten Weltkrieges – statt. Auch der Rest dieses geaenderten Textes ist nicht besser. Da mutiert die Revolution zu einem »Impuls der Ausbreitung der Unruhen«. Auch die EK –Offiziere von Christian Geissler werden von dem Faktenbehutsamergaenzer umgearbeitet. Bei Christian Geissler steht unter Nr. 160: EK-OffiziereOffiziere mit dem sog. Eisernen Kreuz, also mit Praxis aus dem ersten Weltkrieg, vgl. BGS-Offiziere mit Nazikriegspraxis. Daraus wird: (213) EK-Offiziere, die mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet waren, also im Ersten Weltkrieg gedient hatten. Geissler vergleicht sie mit Offizieren des Bundesgrenzschutzes »mit Nazikriegspraxis«.
Verschwunden ist das Wort sog. und sie wurden mit Eisernen Kreuz „ausgezeichnet, weil sie also im Ersten Weltkrieg gedient hatten“ und nicht schnöde mit dem EK ausgezeichnet. Christian haette sicher gefragt: Wem gedient?
Alles eher aergerlich, wie ich finde. Aber natuerlich kein Grund, diese Ausgabe nicht zu kaufen und zu lesen. Vielleicht kann der Verlag ja eine Beilage mit den Originalanmerkungen von Christian Geissler beilegen, so liesse sich der entstandene Schaden begrenzen, J.
Hallo Eugen, es gibt in dem Buch von Christian Geissler nur einen Fehler. Der befindet sich auf Seite 150 der zweiten Auflage. Mal sehn, ob Du den findest. Hier ist der Ausschnitt, J.
Hallo Eugen, heute ist Sonntag, der zweite Juni. Ein Schreiben vom Verleger (Verbrecherverlag) oder von dem ersten Vorsitzenden der Christian Geissler Gesellschaft e. V. ist bisher nicht angekommen. Es ging um die Frage, wer da in dem Text von Christian Geissler (Wird Zeit, dass wir leben) rumgepfuscht hat und noch nicht einmal dazu steht, J.
In einem Schlund ist die Geschichte der jüdischen Kinobesitzer in Hamburg verschwunden.
Erst den Nachgeborenen ist aufgefallen, dass große Teile der Kinogeschichte fehlen. Und das dieses Fehlen Gründe hat. Der »Henschel Film— & Theaterkonzern OHG«. Eine Geschichte, die im Dezember 1895 in Paris begann und erst mit ihrer vollständigen Aufklärung endet.
Sie haben uns angelogen, als sie behaupteten, sie hätten gekauft oder geerbt. So war es nicht. Sie haben nicht gekauft und auch nicht geerbt. Sie haben geraubt und gestohlen. Sie haben die jüdischen Kinobesitzer bestohlen. Und viele haben ihnen dabei geholfen.
Vier Fotos, die uns Rolf Arno Streit aus Belo Horizonte in Brasilien 1990 zur Verfügung gestellt hat. Hamburg.
[Fotos aus Hamburg von links oben nach rechts unten: Hamburger Hauptbahnhof vom Glockengiesserwall mit Straßenbahnschienen, Gänsemarkt mit Lessingtheater und Hamburger Anzeiger, Alster in Richtung Hotel Vier Jahreszeiten mit Alsterpavillon, Karl Muck Platz in Richtung Innenstadt, rechts das Hochhaus des DHV. [Deutschnationaler Handlungsgehilfen Verband]
In der Mitte die Kaiser Wilhelm Straße. Die heißt heute noch so. Der Karl Muck Platz wurde vor einigen Jahren umbenannt in: Johannes Brahms Platz. Das Gebäude des DHV wurde auch umbenannt in »Johannes Brahms Kontor«. Vermutlich dachte man bei der Umbenennung daran, so kriegt man endlich die braune Farbe runter, die vom DHV.
Die Geschichte der jüdischen Kinobesitzer in Hamburg begann im Jahre 1895 in Paris und endete in Brasilien, Mexiko, USA und Australien. Überall dort, wohin die geflohen waren, denen man in Deutschland ihre Kinos geraubt hatte und die auch noch nach dem Krieg ihre Stimme erheben konnten, weil sie den deutschen Mördern entkommen waren.
Eine erste Spur fand ich auf dem Jüdischen Friedhof in Hamburg Ohlsdorf. Der Grabstein von Hermann Urich Sass.
Meine Suche begann – eher zufällig – 1970 in Berlin. Während meines Studiums an der Deutschen Film- und Fernsehakademie (dffb): Ich interessierte mich auch für die Geschichte der Kinos. Hier gab es die Tageszeitungen des deutschen Films: die »Licht Bild Bühne« (LBB) und den »Kinematograph«. In Hamburg waren diese Zeitungen zu der Zeit nicht vorhanden, bzw. nicht zugänglich.
Wer einmal längere Zeit vor einem solchen Mikrofilm Lesegerät gesessen hat, kennt die Langweiligkeit dieser Arbeit. Diese vielen Nachrichten, die man alle nicht braucht. Ich hatte natürlich Vermutungen. Aber eigentlich wußte ich nicht, was ich suchte. Die Licht Bild Bühne erschien täglich, sechs mal in der Woche. Sie hatte viele Seiten. Gezählt habe ich nicht. Aber dann half mir der Zufall. Der Zufall hieß Paul von Hindenburg.
Jener Mann, der Adolf Hitler am 30. Januar 1933 zum Reichskanzler ernannt hatte. Sehr schlecht für die deutsche Geschichte. Aber gut für mich. Ohne diesen Zufall hätte ich die Meldung vom Tode des Kinounternehmers Hermann Urich Sass niemals gefunden. Sie steht in der selben Ausgabe, in der auch von der Machtübertragung an Adolf Hitler berichtet wird. Ein paar Jahre später bekomme ich darüber Kenntnis, das beide Meldungen in einem Zusammenhang stehen.
Am Sonnabend, den 28. Januar1933 erscheint eine 13 Zeilen Meldung, die mit folgenden Worten endet: . . . dass “ . . . Herr Urich Sass, eine leitende Persönlichkeit im Henschel Konzern in Hamburg, am 27. Januar im Alter von 45 Jahren, einem Herzversagen erlegen“ sei.
Wäre er an einem anderen Datum verstorben, hätte ich die Suche nach dem Henschel Film- und Theaterkonzern vermutlich abgebrochen. Die Beerdigung soll am Montag, d. 30. Januar 1933 auf dem Jüdischen Friedhof in Hamburg Ohlsdorf um 3 Uhr stattfinden, so wird es angekündigt.
Die Geschichte der Kinobesitzerfamilie Henschel begann mit Frida und James Henschel und ihrer Reise nach Paris.
Ursprünglich war Jeremias Henschel in die Fußstapfen seines Vaters getreten und hatte sich im Verkauf von Stoffen und Herrengarderobe versucht. Erfolglos. Heute nennt man es modern Insolvenz.
Mit dem selbstgewählten Vornamen James begann eine neue Episode im Leben der Familie Henschel. Eigentlich sollte es ein Laden mit Schallplatten werden. Aber dann entdeckte Frida in Paris eine lange Schlange. Dort wurden zum ersten Mal diese beweglichen Bilder gezeigt, die sie damals »Lebende Photographien« nannten. Frida erkannte als erste die ungeheuren Möglichkeiten, die ein solches Geschäft in Hamburg haben würde.
[Das Foto entstand am 18. Oktober 1930 vor dem Hotel Europäischer Hof in Baden-Baden in Deutschland. (v. l. n. r. Frida (Frederica) Henschel (geb. Blumenthal), James Henschel und ihre Tochter Bianca Henschel (Bianca Kahn, die am 5. Mai 1931 den portugiesischen Konsul Dr. Isidor Kahn in Den Haag heiratete und nach Holland auswanderte].
Das Foto stammt von Rolf Arno Streit (Enkel von Frida und James Henschel) aus Belo Horizonte, (Brasilien).
Wann Frida und James Henschel nach Paris gefahren waren, das konnten die Enkelkinder (in Mexiko und Brasilien) von James Henschel nur vermuten. Es könnte am 28. Dezember 1895 gewesen sein, als die Brüder Lumiere im Grand Cafe im Boulevard des Capucines zum ersten Mal ihren Projektor vorgestellt haben.
Verbürgt ist der Besuch der Brüder Skladanowsky in Paris am 28. Dezember 1895. Ein paar Tage vorher (Im November 1895 waren sie mit ihrem Projektor in Hamburg gewesen). Sie hatten eine Einladung nach Paris, ihren Projektor im Folies Bergère vorzustellen und haben dafür ein Honorar verlangt und bekommen. (Die Angaben schwanken zwischen 2.500,00 und 4.500,00 französischen Franc). Aber zu einer Vorstellung ihres Projektors in Paris ist es nicht mehr gekommen. Frida und James Henschel haben damals erkannt, welches Potential in dieser neuen Technik der Lebenden Photographien steckt.
Sie eröffneten im Dezember 1905 in der Bergstrasse (große) Nr. 11 in Altona ihr erstes Kino: Das Helios Theater mit 500 Sitzplätzen. Einen Monat später im Januar 1906 begann der Mietvertrag des »Belle-Alliance-Theater Vorführung lebender Photographien« an der Ecke Eimsbütteler Str. 2 / Schulterblatt 115. Das Kino wurde in den ehemaligen Ballsaal des Belle Alliance eingebaut, hatte 1.400 Sitzplätze und spielte von 15.00 Uhr Nachmittags bis 1.00 Uhr in der Nacht.
Die Eröffnung des Kinos war am 1. Mai 1906. (Aus: James Henschel erzählt Hamburgs Kino Geschichte. Artikel von Hermann Lobbes in der Licht Bild Bühne, Beilage vom Sonnabend, d. 16. August 1930).
Vor dem Kino war eine Haltestelle der elektrischen Straßenbahn. Der Licht Bild Bühne berichtete James Henschel im August 1930, dass der Tag mit den geringsten Einnahmen (56,00 RM) der Tag war, an dem die Zuschauer des Kinos sich lieber den Brand der Michaelis Kirche angesehen hatten, als ins Kino zu gehen. Das war Dienstag, der 3. Juli 1906.
Frida und Jeremias hatten fünf Kinder: Hedwig, Sophie, Bianca, Hanns und Gretel, die zwischen 1888 – 1895 geboren werden. Hanns meldete sich als Freiwilliger und „fiel“ am 31. Oktober 1916 als Unteroffizier an der Front in Frankreich (?). Jürgen Sielemann, Experte in Sachen jüdischer Geschichte, gibt einen anderen Ort an.
Zitat: „Ihr Bruder (Bianca Henschel) Hans Henschel (geb. 21. September 1893) fiel am 31. Oktober als Unteroffizier in einem Gefecht in Siebenbürgen.“
(Aus Liskor-Erinnern Heft 14, Seite 26).
Als Quelle nennt Jürgen Sielemann: 332-8 Meldewesen, A 30 Toten- und Verzogenenkartei 1892-1925, Mikrofilm K 6238, Karte Hans Henschel.
Da war Hanns Henschel 23 Jahre alt. Wie ich mir die Fotos angesehen habe, habe ich gedacht, zwischen die Bilder gehört noch unbedingt ein Text. Und da man bei Tucholsky inzwischen klauen darf, habe ich dies getan.
Auf Seite 1159 im Band 1 – (1907 – 1924 meiner dreibändigen Gesamtausgabe) gibt es zwei Texte »Wie uns aus« und »Sechzig Fotografien«. In dem zweiten Text geht es um sechzig Fotografien, über den Weltkrieg (1) die man in Paris kaufen kann.
Der Text ist von 1924. Da wurde der Weltkrieg noch nicht nummeriert. Am Ende schreibt Tucholsky: (Seite 1162 Band 1)
“Du schießt drüben immer den Kamerad Werkmeister tot – niemals den einzigen Feind, den du wirklich hast. Dein Blut verströmt für Dividende. Dein bißchen Sterben, dein armseliges Verrecken wird mühsam mit einer Gloriole von Romantik umkleidet, erborgt aus den Emblemen von Jahrhunderten, entliehen aus verschollenen Zeiten. Wirf deine Flinte weg, Mensch! Es wird immer Kriege geben? Solange du willst, wird es sie geben. Nagle dir diese Bilder an die Wand, zeig deinen Kindern, was das für eine Schweinerei ist: der Krieg; was das für eine Lüge ist: der Krieg; was das für ein Wahnsinn ist: der Krieg! Und dann setze dich mit deinen Arbeitsgenossen auf der anderen Seite hin, vertraue ihnen, denn es sind dieselben armen Luder wie du – und gib ihnen die Hand. Nieder mit dem Staat! Es lebe die Heimat!“
Grabstein auf dem Friedhof für die “Gefallenen“ des ersten Weltkrieges in Hamburg Ohlsdorf. Die Inschrift im Grabstein ist schwer lesbar. Unteroffz. (Unteroffizier) HANNS HENSCHEL, GEB. 21. September 1893, 5654 (Geboren), GEF. 31. Oktober 1916 5677 (Gefallen/Gestorben), INHABER (Inhaber) DESEIS. KREUZES (des Eisernen Kreuzes) UND DES (und des) HANSEAT. KREUZES (Hanseatischen Kreuzes).
Hanns Henschel wurde nur 23 Jahre alt. Bei Kriegsende (am 11. 11. 1918) war James Henschel 55 Jahre alt und die neu gegründete UFA (Gründung am 18. Dezember 1917) trat an ihn heran und unterbreitete ihm ein Kaufangebot für seine acht Kinos.
Eine Reihe von Kinos hatte das Ehepaar Henschel auf eigenen Grundstücken neu bauen lassen. So das Waterloo Theater in der Dammtorstrasse 14, das Lessingtheater am Gänsemarkt 46/48, das Palast Theater in der Wandsbeker Chaussee (bei späteren Recherchen stelle ich fest, dass die Ortsangabe falsch ist – das Palast Theater war nicht in der Wandsbeker Chaussee sondern in der Hamburger Strasse 5/7/9), die Harvestehuder Lichtspiele am Eppendorfer Baum 15.
James Henschel setzte die Bedingungen für den Verkauf an die UFA. Am 21. Februar 1918 wandelte er seine Kino Firma »J. Henschel« in die »J. Henschel GmbH« um. Der Vertrag sah vor, das seine beiden Schwiegersöhne Hermann Urich Sass (verheiratet mit Hedwig Urich Sass, geb. Henschel) und Hugo Streit (verheiratet mit Sophie Streit geb. Henschel) Geschäftsführer der »J. Henschel GmbH« wurden. Der Vertrag sah weiterhin vor, das alle Angestellten von der neu gegründeten Firma »J. Henschel GmbH« übernommen wurden. Weiterhin enthielt der Vertrag einen Passus, daß Hermann Urich Sass und Hugo Streit zu Direktoren der UFA für Norddeutschland ernannt wurden.
Ein »Organ Vertrag« wurde am 29. November 1919 zwischen James Henschel und der UFA geschlossen. Danach wurde die »J. Henschel GmbH« eine 100 %ige Tochtergesellschaft der UFA. Die »J. Henschel GmbH« blieb weiterhin Eigentümer der Grundstücke, auf denen die Kinos: »Palasttheater« (Hamburger Straße 5/7/9), »Lessingtheater« (Gänsemarkt 43), »Harvestehuder Lichtspiele« (Eppendorfer Baum 35), »Zentral Theater« (Wandsbeker Chaussee 162) standen, die an die UFA verpachtet wurden.
Das »Waterloo Theater« in der Dammtorstrasse 14 verkaufte James Henschel an Manfred Hirschel, der mit einer Schwester seines Schwiegersohnes Hugo Streit verheiratet war.
James Henschel erhielt aus diesem Vertrag einen Barerlös, der ausreichte, vierzehn Wohnhäuser mit über 100 Wohnungen zu kaufen.
Weiterhin sah der Vertrag eine Beteiligung auf 25 Jahre vor, in denen er mit 5 % an den Bruttoeinnahmen der verkauften Kinos und mit weiteren 2,5 % an den später erworbenen oder neu erbauten Kinos der UFA beteiligt ist.
1921 + 1926 verließen Hermann Urich Sass und Hugo Streit die UFA und gründeten die offene Handelsgesellschaft, den »Henschel Film- und Theaterkonzern«.
Acht Kinos wurden neu gebaut. Im Februar 1927 wurde an der Ecke Zirkusweg Reeperbahn 1 ein Neubau mit einem Kino mit 1556 Sitzplätzen eröffnet.
Der erste deutsche Tonfilm »Ich küsse ihre Hand Madam« mit Marlene Dietrich und Harry Liedtke wurde hier am 23. Januar 1929 gezeigt.
Architekt war Carl Winand. Die Baukosten betrugen etwa 500.000,00 RM. Hugo Streit und Hermann Urich Sass nannten das Kino »Schauburg am Millerntor«.
Die Tonpassage im Film war nur zwei Minuten und 12 Sekunden lang. Hugo Streit, Sophie Streit (geb. Henschel) mit der Schauburg Zeitung. Die Schlagzeile: Prominente sehen dich an: Lil Dagover, Emil Jannings
In der »Schauburg Millerntor» war am 21. Oktober 1929Sergej Eisenstein mit »zwei Akten« aus dem Film »Panzerkreuzer Potemkin«, dem »ersten Akt« aus dem Film »Generallinie« und »zwei Akten« aus dem Film »Zehn Tage, die die Welt erschütterten« zu Gast.
Der dunkle Teil der Geschichte, der von Selbstmord, Mord, Enteignung, Vertreibung und Zerstörung handelt. Und der Verdrängung all dieser Verbrechen. Der vom Reinwaschen und der angeblichen »Wiedergutmachung« handelt. Und wie bereitwillig alle bei den Ausplünderungen geholfen hatten. Die Geschichte der Täter, Opfer und der Zuschauer. Glaubwürdige Zeitzeugen waren in Hamburg, in Deutschland, nicht zu finden. In Brasilien, Mexiko und in Los Angeles wurde ich gefragt, warum das alles so lange gedauert hatte, bis endlich jemand kam und diese Fragen stellte. Mir fehlte damals eine Antwort.
Die Täter waren schon lange tot. Inzwischen waren auch die Erben der Täter gestorben. Und dennoch gibt es immer wieder Menschen, die das Unrecht von damals verstecken wollen. Es fällt ihnen nicht einmal auf. Im Gegenteil. Das vorhandene Material ist inzwischen auf zwölf Leitz Ordner, fünfzig CDs mit kopierten Akten und einem kurzen Film von der Eröffnung der Schauburg am Millerntor, Ecke Zirkusweg, angewachsen.
Dazu gehört ein kleiner Film mit den Interviews der Söhne, (Horst Urich Sass, Rolf Arno Streit, Carl Heinz Streit) die damals aus Deutschland fliehen konnten. Aus Belo Horizonte kommt dieses Bild vom »Palast Theater« von Frida und James Henschel in der Hamburger Strasse.
Wann dieses Foto entstanden ist, konnten mir die Enkelkinder von James Henschel (Die Brüder Rolf Arno Streit und Carl Heinz Streit) nicht mitteilen. Vermutlich ist das Foto nach der Eröffnung des Neubaus entstanden.
Hallo Eugen, der Film »Titanic« wurde 1942-43 hergestellt. Geplante Dreharbeiten vom 12. 03. 1942 – Oktober 1942. Im April 1963 brachte ihn der Verleih: »Neue Filmkunst Walter Kirchner« aus Göttingen ins Kino.
Zu jedem Film dieses Verleihs wurde ein Programmheft erstellt: »Kleine Filmkunstreihe Nr. 30«. Die Redaktion dieser Hefte hatte Fritz Puhl. Die Zusammenstellung und der Text stammt von Wolfgang R. Langenbucher. Die Graphik stammt von Hans Hillmann und Isolde Baumgart. Leider habe ich das Programmheft nicht einzeln, sondern nur in der gebundenen Fassung. Deswegen kommt hier eine Abschrift aus selbigem Heft Nummer 30:
Abschrift: „Mehrmals in der Geschichte des Films hat die Tragödie des Ozeanriesen TITANIC vor der Kamera ihre Nachgestaltung erfahren. Zum erstenmal bereits im Jahre 1913 in Dänemark durch Augustus Blom (unter dem Titel „Atlantis“, nach dem gleichnamigen Roman von Gerhard Hauptmann); zum bisher letztenmal in Amerika durch Jean Negulesco („Der Untergang der Titanic“, 1953).
Der deutsche Film TITANIC entstand 1942/43. Er hat ein so bewegtes Schicksal gehabt, daß er selbst Gegenstand eines Filmes oder eines Romans werden könnte, nicht zuletzt, weil er der Anlaß war für die persönliche Tragödie des Regisseurs Herbert Selpin.
Es begann bei den Außenaufnahmen auf dem im Hafen von Gdingen liegenden deutschen Luxusdampfer CAP ARCONA. Schon während der ersten Drehtage kam es zu erheblichen Differenzen zwischen dem Regisseur und einigen Offizieren der in Gdingen stationierten Verbände der deutschen Kriegsmarine.
Sie störten bei Tage die Dreharbeiten, funkten nachts mit ihren Blinklichtern dazwischen und unternahmen am Tage wie bei Nacht schneidige Kaperfahrten auf die Herzen der Statistinnen. Im Kasino von Zoppot ließ Selpin seinem Zorn freien Lauf und nahm, was seine Meinung über das Verhalten des Militärs betraf, kein Blatt vor den Mund.
Ein Kollege und ehemals persönlicher Freund [Walter Zerlett-Olfenius] denunzierte ihn bei dem Präsidenten der Reichskulturkammer, SS-Obergruppenführer [Hans] Hinkel. Nur mit Mühe und Not konnte verhindert werden, daß man Selpin bereits vor Abschluß der Außenaufnahmen verhaftete.
Kaum waren jedoch die Aufnahmen in Gdingen beendet, mußte Selpin — die übrigen Arbeiten an dem Film waren noch im vollen Gange ― vor einem Ehrengericht erscheinen. Er lehnte es ab, seine Äußerungen zu widerrufen.
Damit war sein Schicksal entschieden. Seine Verhaftung erfolgte am 30. Juli 1942. Zwei Tage später, am Morgen des 1. August, fand man ihn tot in seiner Zelle. Alles war so arrangiert, daß man auf Selbstmord schließen sollte. Fotos des Ermordeten erwiesen später jedoch, das man ihn erwürgt hatte.
Selpins Freunde glaubten keinen Augenblick an die Selbstmord-Version. Es kam zu Sympathiekundgebungen, den ersten öffentlichen Protesten der „Kulturschaffenden“ gegen die Gewaltmethoden des Dritten Reiches. Mitarbeiter, die als Selpin-Gegner bekannt waren, wurden offen boykottiert ― bis Goebbels durch Anschläge in den Ateliers mit allem Nachdruck vor weiteren ähnlichen Kundgebungen warnen ließ.
Am Vorabend des Tages, an dem trotz der „Affaire Selpin“ der Film uraufgeführt werden sollte, zerstörte ein Bombenangriff in Berlin das Kino und die bereitliegende Uraufführungskopie. Das war für Goebbels eine willkommene Gelegenheit, den Film endgültig „bis nach dem Kriege“ zu verbieten — angeblich, um die Nerven der Kinobesucher zu schonen.
Die noch vorhandenen Kopien und das Negativ wurden unter Verschluss getan und galten seitdem als verschollen. Erst im Jahre 1949 fand man eine Kopie des Films wieder und ließ ein neues Negativ anfertigen. Der Film lief an — und mußte schon nach kurzer Zeit wieder abgesetzt werden.
Die Engländer hatten, obwohl der Film von dem damaligen amerikanischen und französischen Film-Kontroll-Organen freigegeben worden war, die Aufführung gesperrt und die Zurückziehung der Vorführgenehmigung verlangt. Ihrer Ansicht nach war der Film eine Verunglimpfung der White-Star-Linie wie überhaupt ein Werk von allgemein antibritischer Tendenz.
Erst nachdem die Amerikaner selbst einen Titanic-Film herausgebracht hatten, wurde der Film endgültig freigegeben und konnte nun — im Jahre 1955 ― ungehindert gezeigt werden.
Für die heutigen Betrachter ist die Frage, welcher Nation Reederei und Besatzung der TITANIC angehörten bedeutungslos geworden. Die Ursachen der Tragödie — skrupelloses Gewinnstreben und blinde Rekordsucht ― haben keine Nationalität. Gewiß hätte Goebbels keine Millionen für den Film aufgewendet, wenn er in dem Stoff nicht Möglichkeiten gesehen hätte, den rücksichtslosen Geschäftsgeist in den „westlichen Plutokratien“ darzustellen.
Andrerseits: die Vorgänge, die der Film schilderte, haben sich ja in der Tat abgespielt. Börsenspekulationen standen durchaus — wenn sie auch nicht die einzigen Antriebsmomente für die Rekordfahrt waren — im Hintergrund der Ereignisse.
Ebenso gab es an Bord ― wenn auch die verschiedenen privaten Schicksale frei erfunden sind ― einen 1. Offizier mit Namen Petersen und einige andere, die den Kapitän wiederholt vor den Gefahren des eingeschlagenen Kurses warnten. Auch die Darstellung der Verhaltensweise des Kapitäns und des massiven Druckes, der auf ihn ausgeübt wurde, entspricht den Tatsachen.
Der Grund dafür lag letzten Endes, neben den Finanzspekulationen, in dem damals gerade zwischen englischen und und deutschen Reedereien geführten Wettstreit um die Vorherrschaft im Personenverkehr über den Atlantischen Ozean.
Der Prestigekampf zwischen den Großmächten hätte — wäre es Selpin und seinen Mitarbeitern um einen reinen „Gott-strafe-England-Film“ nationalsozialistischer Prägung gegangen ― ganz andere Möglichkeiten geboten, als die Vorgänge, die sie in dem Film zeigten.
Doch diese Dinge sind 50 Jahre nach der Katastrophe ohne Belang. Wir sehen heute in dem Untergang der TITANIC mehr als nur einen von bestimmten Menschen verursachten Unglücksfall. Wir sehen in ihm — unabhängig davon, unter welcher Flagge das Schiff fuhr ― ein allgemeingültiges Sinnbild für das Scheitern des Menschen mitsamt seiner Technik an den Gewalten der Natur.
Und gleichzeitig ein eindringliches Beispiel für die Folgen menschlicher Vermessenheit, wie sie sich in den Worten eines Angehörigen der Besatzung ausdrückt, der kurz vor dem Auslauf des angeblich unsinkbaren Ozeanriesen erklärt hatte: „Dieses Schiff könnte selbst Gott nicht versenken!“ Da gibts natürlich noch mehr Texte, aber da hatte ich keine Lust, die alle abzuschreiben, J.
Hallo Eugen, ja, zu Deiner Nachfrage. Vor einigen Jahren habe ich mir mal eine DVD von der Deutschen Fassung von Titanic angesehen. Die war in einem grauenhaften Zustand. Wenn Friedrich Wilhelm Murnau das gesehen hätte. Nicht auszudenken. So konnte er sich nur im Grabe umdrehen, als ich ihm davon berichtete, J.
Hallo Eugen, inzwischen habe ich noch herausgefunden, daß der Film auch in der DDR ins Kino gekommen ist. Der Progress Film Verleih hat ihn 1961 als Reprise herausgebracht. (Heft 102/61). Sogar ein eigenes Plakat wurde dafür gedruckt. Wenn man bedenkt, daß Herbert Selpin bei Friedrich Wilhelm Murnau Hilfsassistent des Aufnahmeleiters beim »Faust« Film gewesen ist, also der Lehrling, dann wundert man sich schon darüber, über die grottenschlechte DVD Kopie, die diese Murnau Stiftung von Selpins Film (war er das überhaupt noch?) auf den Markt gebracht hatte, J.
Hallo Eugen, ja es sollte sich mal jemand, so ähnlich wie Enno Patalas um den Film »Metropolis« von Fritz Lang, mal daran machen und den Film »Titanic« so wiederherstellen, wie er eigentlich hätte werden sollen. Davon, das der Kameramann, Friedl Behn-Grund, ein Talent gewesen sein soll, sieht man bei der Wiedergabe der DVD von der Friedrich Wilhelm Murnau Stiftung , kurz geschrieben: nichts.
Hallo Eugen, nur um Deine Neugier zu befriedigen. Ja, Selpin hat es bis in die Seite imdb geschafft. Dort findet sich: Text bei IMDB.com: Herbert Selpin (29 May 1904 – 1 August 1942) was a German film director and screenwriter of light entertainment during the 1930s and 1940s. He is best known for his final film, the partly suppressed Titanic, during the production of which he was arrested by Propaganda Minister Joseph Goebbels. He was later found dead in his prison cell. Died under mysterious circumstances, was quite possibly killed by the Gestapo. Dissatisfied with the scenario of the film Titanic (1943), Selpin openly criticized its writer Walter Zerlett-Olfenius and the whole German Navy. Goebbels had him arrested by the Gestapo. Selpin was found hung in his cell the following day. Suicide or murder.
Die Suchmaschine übersetzt: Unter mysteriösen Umständen gestorben, wurde möglicherweise von der Gestapo getötet. Unzufrieden mit dem Szenario des Films Titanic (1943) kritisierte Selpin offen dessen Autor Walter Zerlett-Olfenius und die gesamte deutsche Marine. Goebbels ließ ihn von der Gestapo verhaften. Selpin wurde am folgenden Tag erhängt in seiner Zelle aufgefunden. Selbstmord oder Mord.
Hallo Eugen, das mit dem RMS der Titanic stimmt auch. RMS ist die Abkürzung für: Royal Mail Ship / Royal Mail Steamer = Königlicher Postdampfer. So schreibt das Heft aus dem Hause Walter Kirchner: „In Southhampton, Cherbourg und Queenstown hatte die TITANIC Post aufgenommen; insgesamt lagerten bei der Überfahrt mehr als 3000 Postsäcke in ihren Laderäumen.“
Hallo Eugen, auch das schreibt das Heft aus dem Hause Kirchner: „Die offizielle Totenliste des englischen Handelsministeriums registrierte: von den 323 Passagieren der 1. Klasse wurden 202 gerettet, von den 277 der 2. Klasse 115, aber von den 709 Passagieren der 3. Klassse entgingen nur 176 dem Tod; von der Mannschaft wurden 4 Offiziere und weitere 206 Menschen bei einem Personal von insgesamt 900 Mann Besatzung gerettet.“ Was lernen wir daraus? Nie bei der Besatzung sein und wenn schon mit einem Schiff nach Amerika, dann immer 1. Klassse fahren, J.
Hallo Eugen, nur um Deine Neugier zu befriedigen. Ja. Seit 14. März 1933 war er Mitglied der NSDAP, J.
Hallo Eugen, über die Deutsche Erstaufführung gibt es unterschiedliche Informationen. Zum Beispiel die, dass eine Premiere in Berlin stattfinden sollte. Leider wurde das Kino am Tage der Aufführung mitsamt der bereit gestellten Kopie bombardiert. Der Name des Kinos wird in diesem Zusammenhang nicht genannt. Nun wurden im fraglichen Zeitraum (September – November 1943) eine ganze Reihe von Kinos in Berlin bombardiert. Eine andere Information lautet: Am 17. Dezember 1942 fand im Reichspropagandaministerium eine Vorführung statt.J.
Hallo Eugen, ja im Ausland war »Titanic« ein großer, auch finanzieller Erfolg. Premiere in Prag am 12. September 1943 (vermutlich eine untertitelte Version?), am 10. November 1943 in Paris (vermutlich eine französische Synchronisation), am 12. November 1943 in Finnland (Untertitel ?), am 28. Januar 1944 in Schweden (Untertitel ?). Am Ende des Filmes gibt es in der ursprünglichen Fassung eine Gerichtsverhandlung in New York, die in der Version, die die Friedrich Wilhelm Murnau Stiftung vertreibt, fehlt. Die Längenangabe von FWMS ist 2467 m. Noch Fragen? J.
Achso, ja, In der SU kam der Film am 27. August 1949 ins Kino, J.
Hallo Eugen, Du bist ja wirklich unendlich neugierig. Ja, ich habe was über den Kameramann von Titanic, Friedl Behn-Grund gefunden. Bei Hans Helmut Prinzler in seinem Buch: »Chronik des deutschen Films« auf Seite 15 + Seite 385 schreibt er:
„Friedl Behn-Grund, geb. am 26. August 1906 in Bad Bolzin, gest. am 2. August 1989 in West-Berlin. Kameramann. Zwischen 1925 und 1969 hat er an die 170 Filme photographiert. Sein Faible waren die Hell-Dunkel-Kontraste des Schwarzweiß-Films. »In den 30er und 40er Jahren gehört er zum Kamerastab der Ufa und Tobis. Er gilt als solider Handwerker, dessen Arbeit weniger auf Virtuosität einzelner Einstellungen als auf die Geschlossenheit der Filmdramaturgie zielt. Seine Lichtsetzung orientiert sich an den Standards der realistischen Malerei.« (Michael Esser, Gleißende Schatten, Mannheim 1994), Da hast Du es. Jedenfalls sehen die Fotos bei Alamy und Imago viel besser aus, als die Bilder auf der DVD von FWMS, J.
Hallo Eugen, da hab ich noch was gefunden. Bei Ernst Klee auf Seite 567 seines »Kulturlexikon zum Dritten Reich« und das ist vermutlich kein Witz von ihm. Danach hieß Herbert Selpin eigentlich Herbert Pinsel. Er hat das nur umgedreht, J.
Du kennst den Witz von dem Wettlauf nicht? Naja, das ist ja auch schon lange her. Da lebte der Kennedy noch und die Zeitung der KPDSU hieß Prawda, übersetzt = Wahrheit. Heute müßte man den Witz leicht modernisieren. Und obs die Prawdawahrheit noch gibt, ist auch die Frage.
Also der Wettlauf zwischen Putin und Biden geht so. Sie laufen um die Wette und Biden gewinnt. Was steht am nächsten Morgen in der Zeitung?
Putin errang einen ehrenvollen zweiten Platz und Biden wurde nur Vorletzter.
Abschrift: aus dem Buch von Christian Geissler ENDE DER ANFRAGE
RÜTTEN + LOENING VERLAG MÜNCHEN
Vorwort (Seite 9)
Zum Titel dieses Buches:
Mein erstes Buch heißt ANFRAGE.
Als ich es schrieb, war ich erstaunt darüber, daß bei uns in der Bundesrepublik aus der Erfahrung mit dem Nationalsozialismus keine vernünftige, d. h. politisch wirksame Konsequenz gezogen worden ist. Heute bin ich nicht mehr erstaunt.
Ich halte das, was in unserer Gesellschaft an Mißständen aufkommt und sich verfestigt und was so viel Ähnlichkeit hat mit dem, was wir schon mal erlebt haben, für eine Folge der bei uns herrschenden politischen, d. h. ökonomischen Verhältnisse. Man kann auf alten Fundamenten kein neues Haus bauen.
Das ist das ENDE DER ANFRAGE.
Und das ist nicht Resignation, sondern der Ausgangspunkt für die Herstellung von Antworten.
Christian Geissler
Christian Geissler
Rede in der Kampagne für Abrüstung,
Frankfurt 1964 (Seite 81 – 99)
Meine Damen und Herren, (Seite 81)
zunächst drei Vorbemerkungen:
1. Das Referat wird etwa 40 Minuten in Anspruch nehmen. Es wäre mir selbst lieb, wenn es kürzer geraten wäre. Aber die gesellschaftlichen Bedingungen für Krieg und Gewalt sind kompliziert.
2. Konrad Adenauer hat unmittelbar nach dem zweiten Weltkrieg, hinter dem Rücken eines bis fast zur physischen Vernichtung geschlagenen Volkes, den westlichen Alliierten neues deutsches Militär gegen den Kommunismus angeboten. Er hat damit gehandelt als ein Mann mit einem uralten Sinn für Macht. Die außenpolitischen Folgen dieser Machtausübung sind inzwischen deutlich. Es gibt jetzt bis auf weiteres zwei deutsche Staaten. Die innenpolitischen Folgen stellen sich von Jahr zu Jahr klarer heraus. Demnächst wird es Notstandsgesetze geben. Das alles ist bekannt. Mich interessiert hier heute etwas anderes. Mich interessiert die Frage: Was ist das für eine Gesellschaft, was sind das denn eigentlich für Leute, die sich nach zwölf Jahren Nationalsozialismus und fünf Jahren Krieg eine derartige Entwicklung nahezu tatenlos bieten lassen?
3. Es wird von Krieg und von der Vorbereitung eines Krieges die Rede sein. Diese Rede wird, wie man sich denken kann, vergleichsweise hart ausfallen. Deshalb bitte ich Sie dringend, folgendes genau zu beachten und im Kopf zu behalten: Krieg wird von Menschen gemacht. Das ist ein Erfahrungssatz, um den heute so leicht niemand mehr herumkommt. Es erhebt sich aber immer wieder die Frage: Wer ist denn das nun genau, der den Krieg macht? Will der Politiker, der Bischof, der Panzerproduzent, der Zeitungschef — wollen denn diese Leute tatsächlich subjektiv klar bei Verstand aktiv den Krieg?
(Seite 82)
Ich behaupte, nein. Das macht die Situation indessen keineswegs harmloser. Denn ich behaupte gleichzeitig, daß die ebengenannten öffentlich Mächtigen hier in unserem Land — nicht zuletzt mit Hilfe unser aller politischer Nachlässigkeit und Dummheit — ein gesellschaftliches Verhaltenschema, vor allem eine wirtschaftliche Basis aufgebaut und geheiligt haben, die hochexplosive Elemente enthält, in der Gewalttendenzen stecken, unter deren Wirkung wir alle und die Mächtigen obendrein sehr plötzlich zu Opfern eines totalen letzten Krieges werden könnten. Die Mächtigen hier bei uns sind also nicht als denkende Einzelpersonen, nicht in ihrem persönlichen Bewußtsein für Kriegsgewalt, aber — und das ist entscheidend, und darum müssen wir sie so scharf angreifen — sie sind als machtausübende Hersteller eines bestimmten gewalttätigen wirtschaftlichen und ideologischen Systems verantwortlich und haftbar zu machen für die unmenschlichen Zustände kriegerischer Gewalt, die uns bedrohen.
Meine Damen und Herren, wir haben uns hier heute versammelt in einer gemeinsamen Sorge und, wie ich denke, auch in einer gemeinsamen Hoffnung. Unsere Sorge richtet sich auf eine Gesellschaft, die in einer fürchterlichen Vergeßlichkeit sich daran gewöhnt hat, Lügen für Wahrheit zu nehmen; die sich Tag für Tag zum Beispiel das Wort Krieg und damit die Wirklichkeit des Krieges umfälschen läßt in das Gerede vom Verteidigungsfall. So, als hätten wir nicht die Erfahrung gemacht, wie leicht man einen Raubüberfall in Vergeltung und Verteidigung öffentlich ummünzen kann. Die Vergeßlichkeit geht inzwischen so weit und die Verfälschungen nehmen inzwischen so selbstverständliche Formen an, daß eine große Hamburger (Seite 83)
Zeitung vor vierzehn Tagen zum amerikanischen Angriff auf Nordvietnam auf Seite 1 die Schlagzeile bringen kann: »Seit heute früh wird zurückgeschossen.« Ganz so, als habe nicht Hitler mit eben diesen Worten den zweiten Weltkrieg eröffnet. Das nenne ich eine fürchterliche Vergeßlichkeit.
Aber Krieg bleibt Krieg, gleichgültig wie die Machthabenden das nennen, Mord bleibt Mord, Lüge bleibt Lüge. Daß das vergessen werden könnte, macht uns Sorge. Vergessen werden könnte von Leuten, mit denen wir doch leben wollen und nicht sterben. Und was macht uns Hoffnung? Tatsächlich der Mensch, Der lebendige Mensch kann nämlich lernen. Er kann lernen, wie man bisher Falsches zukünftig richtiger macht.
Der hier gezeigte Film »Kirmes« ist ein sehr guter Film. In der Kernszene des Filmes steckt allerdings eine Frage, die noch klarer beantwortet werden muß. Ich meine die Frage: Wie kommt es denn, daß unter Menschen ein junger Mann, der endlich leben will und nicht gewalttätig sterben, eben deshalb, weil er das will, sein Leben verliert, ja sogar das Leben verliert unter der stillschweigenden beziehungsweise ausdrücklichen Billigung seiner nächsten Mitmenschen. Welches ist die Herkunft von dermaßen miserablen Zuständen? Auf was für einem Boden wachsen menschliche beziehungsweise so unmenschliche Gesellschaften, in denen ganze Generationen von Eltern stolz trauern, wenn ihr Sohn gehorsam totgeschlagen wird wie ein Hund, sich aber ängsten und schämen, wenn der Sohn ungehorsam sein Leben behalten möchte wie ein erwachsener Mensch?
Wer oder was hat unter Menschen immer wieder die Macht, Mütter und Väter dergestalt zu pervertieren, sie krank und verkehrt zu machen gegen alle einfache Liebe und Vernunft? (Seite 84)
Der Film von Staudte gibt über die Herkunft dieser menschlichen Verkehrtheiten nur wenig Auskunft. Oder liegt es etwa in eines Menschen Charakter, ob er versagt oder siegt, ob er lebt oder stirbt? Was ist denn das überhaupt: Charakter? Der Film zeigt uns das, was uns bedroht, anhand von bestimmten unangenehmen menschlichen Typen. Er zeigt uns den verhurten Parteifunktionär mit miesen Texten im Mund, und überm Hals, wo andere ein Gesicht haben, hat er einen Schweinekopf. Kann man denn aber etwa am Schweinekopf, an der Hurerei, den Gegner erkennen, die Gefahr, den Krieg, den Mord?
Meine Damen und Herren, ich selbst habe jahrelang in unmittelbarer Nähe mit Nationalsozialisten gelebt. Weder haben diese Leute besonders herumgehurt noch hatten sie ekelhafte Gesichter. Es waren, wie man so sagt, aufrichtige, saubere, anständige deutsche Menschen. Aber sie waren für den deutschen Krieg. Sie waren für den Tod derer, die gegen den Krieg kämpften. Sie waren mit schmalen Lippen und feiner Bildung für Pflichterfüllung und Gehorsam bis hin zu Totschlag und Mord. Nein, meine Damen und Herren, was uns bedroht an Leib und Leben, das ist weder mit physiognomischen noch mit moralischen Vorurteilen zu packen.
Es sind nicht die Charaktere, die die Welt mißraten lassen. Was aber sonst? Hat irgendein Gott diese Welt so bestellt, wie sie ist? Sind etwa all das Elend und die Gemeinheit, in der Menschen im Krieg sich vorfinden, gedeckt von einem großen lebendigen Vater-Gott? Ich sehe in dieser Welt keinen Anlaß, solches zu glauben. Ich sehe in dieser Welt aber etwas anderes, nämlich dies: Es gibt — auch in allerletzter Instanz nicht — keinen Fluchtwinkel, in welchem es dem Menschen erlaubt werden könnte, seine Pläne und seine Taten, seinen (Seite 85)
Kopf und seine Hände in die Überhände irgendeines Vaters zu legen.
Wir sind unter uns hier auf der Erde, soweit ich weiß, wir alle zusammen, allein.
Das ist die Gefahr.
Das ist aber auch die Chance.
Nun wird es Leute geben, die solches Reden anmaßend und frivol finden, die uns beibringen wollen: Das Böse, das Leid, Mord und Totschlag und Menschenschinden — das alles liegt am Ende bei Gott. Wir sollen Geduld haben mit dem Elend und an die Erlösung glauben. Wer im Ernst solches glaubt, der mag, ich weiß es nicht, irgendwo Frieden finden in sich selbst. Der Welt aber wird er, soweit mich das historische Zeugnis nicht trügt, den Frieden nicht finden, ja nicht einmal finden können. Denn, soweit wir mit menschlichen Augen sehen können, meine Damen und Herren, funktionieren Krieg und Frieden in dieser Welt nun einmal zuallererst nach materiellen, greifbaren, daher auch angreifbaren Gesetzen, nach Gesetzen der ökonomischen Macht. Ob Frieden passiert oder Krieg in dieser Welt, das liegt, meine ich, nicht bei einem Gott, sondern das liegt bei bestimmten Menschen, und zwar bei denen, die Macht haben, Macht über ein gesellschaftliches Bewußtsein mit Hilfe von Macht über Geld und Maschinen. Darum ist es ja auch so wichtig zu prüfen, wer in einem Land Macht hat über Geld und Maschinen: die friedlichen Leute oder die unfriedlichen. Darum eben ist es so wichtig, daß die friedlichen Leute sich endlich die Macht nehmen, das heißt kämpfen, um den Frieden dauerhaft herzustellen. Und keiner sollte den friedlichen Leuten einreden, sie seien öffentlich ohnmächtig und schwach von Natur, von Gott her.
Kriege werden nun einmal einzig und allein, wenn
(Seite 86)
überhaupt, dann von mächtigen, selbstbewußten Massen verhindert, und nur von Minderheiten werden sie angezettelt mit Hilfe der Ohnmacht und der Selbstmißachtung von vielen. Nein, meine Damen und Herren, es ist, soweit ich sehen kann, kein Gott da, der uns die Welt, so, wie sie uns von Mal zu Mal mißrät, abnimmt und tragen hilft, der uns vergibt, in Liebe und Geduld. Und gäbe es ihn, dann sollten wir ihn vergessen, bis wir gelernt haben, daß alle bösen und besten Möglichkeiten dieser Welt von unseren Händen verwirklicht beziehungsweise vertan werden, von uns allen zusammen, ganz allein. Gehen wir aber noch einmal zurück auf die Kernszene des Filmes.
Wenn es nun so ist, daß diese menschenfeindliche Szenerie, in der ein lebendiger Bursche, weil er leben will, sterben muß — wenn diese Szene weder mit psychologischen Charakterstudien noch mit religiösen Hoffnungen zu packen und beim Namen zu nennen ist — geht es dann vielleicht mit dem schon bei vielen Leuten zur Gewohnheit gewordenen Zynismus besser, diesem Zynismus, der selbstverächtlich sagt: Der Mensch, das ist nun mal ein unter sinnlosen Mutationen sich ständig selbst pervertierendes mißratenes Tier? Meine Damen und Herren, was den Krieg mehr fördert als alle psychologischen Klischees, was schlimmer für die Vorbereitung von Kriegen sorgt als alle religiösen Ohnmachtsbehauptungen — was das Kommen eines Krieges meines Erachtens mehr beschleunigen wird als alles andere, das ist, abgesehen von der ökonomischen Situation, die Selbstmißachtung des Menschen en masse.
Den Menschen lachend zurückstoßen über Jahrtausende in primitive biologische Zwangsverkettungen, ihn als eine biologische Verzerrung und als eine sich fortpflanzende Degenerationserscheinung von früher einmal
(Seite 87)
dumpf intakten Affen auffassen, den Menschen heute so beschreiben, das nenne ich Zynismus, das ist Selbstmißachtung, und aus beiden kommt Lust am Tod, kommt schließlich dann auch Lust am Krieg. Von dieser Selbstmißachtung des Menschen, von der Verzerrung des menschlichen Gesichtes hinab in nur noch Hohn und Öde und Ekel und Fatalität müssen wir, meine ich, reden, wenn wir Mittel finden wollen, den Krieg zu bekämpfen. Denn Massen von lebendigen Menschen, die ihr Selbstbewußtsein, ihre Selbstachtung verloren haben oder verlachen, solche erschöpften Leute können nicht kämpfen gegen Machthaber, die mit irgendwelchen Kanonenbooten zu beliebiger Zeit den Krieg von irgendwelchen fernen Küsten auf uns alle herunterzuschießen imstande sind.
Leute, die gelernt haben, sich selbst, ihren Kopf und ihre Hände, ihren Schmerz und ihren Traum zu mißachten, solche Leute werden, fürchte ich, eines Tages lachend sterben wollen. Menschen dieser Schadensklasse werden dunkel den letzten großen Krieg suchen wie einen endgültigen schwarzen Frieden.
Reden wir also von der massenhaften Selbstmißachtung des Menschen. Was heißt es aber, davon reden?
Von der Selbstmißachtung des Menschen reden, das heißt, den Raum bestimmen, den Boden genau in Augenschein nehmen, in welchem lebendige Menschen hier bei uns langsam aber sicher bis in ein mörderisches Gelächter hinein vollkommen verblöden. Raum und Boden, was heißt das? Das heißt: Der gesellschaftliche Raum hier, und die gesellschaftliche Basis, die ökonomische Basis hier, müssen geprüft, in Frage gestellt, wohlmöglich schärfstens attackiert werden. Fragt sich nur, wer sich findet, diese Attacke zu reiten. Um offen zu sein: Ich habe Angst, das zu tun. Ich werde es zwar tun, (Seite 88)
aber mit einer gewissen Angst um mein künftiges Wohlbefinden. Für den Frieden reden, wird hier bei uns allzu leicht umgefälscht in ein Reden gegen die freiheitlich-demokratischen Grundrechte, und solches Reden kann bestraft werden. Aber ich glaube in allein Ernst, daß wir endlich laut und böse und möglichst genau in der Sache und an möglichst vielen Plätzen möglichst bald reden sollten von den menschenverächtlichen Verblödungsstadien, die auf uns zukommen, wenn wir nicht endlich wieder Achtung und Zutrauen zu uns selbst, unserem Kopf und unseren Händen entwickeln. Verblödungsstadien sind im Kommen, die uns ummauern werden wie einen Gefangenen das Haus ohne Fenster, die uns überstülpen und unkenntlich machen werden, so wie der Henker und das Opfer unkenntlich werden unter schwarzen Kopfsäcken.
Aber ich habe Angst. Was ist da zu machen?
Was ist das überhaupt für ein Land, in dem man schon wieder Angst haben muß, für den Frieden zu reden?
Als im letzten Kriegsjahr einmal nachts unser Batterieführer, ein Oberleutnant, zu mir in die Telefonbaracke kam und sagte: Halten Sie Ihr Maul, Geissler, Sie reden sich mit Ihrem Blödsinn um Kopf und Kragen, da fand ich dieses Land widerlich.
Und als sechs Monate später die Engländer kamen, mußte ich lachen und winkte ihnen zu. Ich dachte: Jetzt gehts los, jetzt sind wir frei, jetzt sagt dir keiner mehr »Halts Maul!« auf Sachen, die dir lieb und teuer sind, zum Beispiel langes Leben, Spaß und Frieden unter den Leuten. Jetzt fangen wir einfach an, dachte ich.
Und heute? Was haben wir denn angefangen? Warum denn schon wieder Angst, wenn frei nachgedacht und geredet wird? Wir haben nicht aufgepaßt! Wir sind im Sentimentalen, im Verschwärmten, im Idealischen steckengeblieben.
(Seite 89)
Unsere Hoffnungen und Pläne sind aus dem Bauch und aus dem Herzen nicht vorwärtsgekommen bis in den Kopf. Wir haben, so scheint mir heute, die realen Bedingungen nicht rechtzeitig begriffen, nach denen gesellschaftliche Wirklichkeit sich entweder vernünftig entwickelt oder blöde verdirbt. Jetzt müssen wir laut, auch wenn wir schon wieder Angst haben, laut gegen Krieg und gegen die Pläne der Gewalt reden und rufen. Wir müssen jetzt nach Frieden und freundlichen Zeiten schreien wie ein Mann in der Wüste nach Wasser. Und wir müssen schreien, bevor die Notstandsgesetze in den Händen der Mächtigen zu Lappen werden, mit denen man uns das Maul stopfen kann. Ich fürchte, wir haben nicht mehr viel Zeit. Unter pausenlosen und grölenden Hinweisen auf die Unwahrheiten drüben im Osten wird man uns hier mehr und mehr unsere eigene Wahrheit zerschlagen. Denn haben wir erst einmal die Gesetze, dann wird es künftigen, möglicherweise unfriedlichen Machthabern ein leichtes sein, den brauchbaren Notstand zu erfinden, der es zuläßt, das Sagen der Wahrheit, das laute Schreien nach Frieden, legal zu ersticken.
Nutzen wir also die Zeit; noch sind wir ziemlich freie Leute in einem ziemlich freien Land. Vielleicht klingen manchem vernünftigen Mann hier solche Sätze ein bißchen zu pathetisch.
Meine Damen und Herren, ich bin für Pathos, wo gelitten wird. Und es wird gelitten in unserer Gesellschaft. In unserer Gesellschaft leiden Menschen an bohrender Ratlosigkeit, an Angst und Dummheit. Und diejenigen, die diesen Zustand bekämpfen, erleiden Drohungen und Diffamierungen.
Stimmt das?
Ich nenne ein Beispiel für viele: (Seite 90)
Gegen den Krieg, das heißt gegen die Aufrüstung organisiert reden und handeln ist hier in unserem Land bereits wieder derartig verpönt, daß man den, der ausdrücklich für den Frieden und gegen den Krieg arbeitet, mit dem Titel bewirft, den man, aus einer uralten Begriffsstutzigkeit heraus, für den schmutzigsten aller Begriffe hält. Man nennt Männer und Frauen, die offen gegen Krieg und seine Kalkulation auftreten, Kommunisten.
Meine Damen und Herren, machen wir uns nichts vor:
Dieser Titel ist in der Bundesrepublik eine angsteintreibende Drohung.
Leute, die den Frieden zu ihrer Sache machen, Kommunisten zu nennen, das ist durchaus nicht lächerlich, auch nicht nur irgendein Trick — das ist, mindestens auf oberster Ebene, auch nicht nur einfach dummes Gewäsch. Das ist eine Drohung. Eine massive Nötigung von friedfertigen Leuten Tag für Tag. Denn jedermann weiß doch, daß aktive Kommunisten hier bei uns Gefängniskandidaten sind, und so macht man dann hier blitzschnell ganz allgemein die Leute, die sich aktiv um den Frieden in der Welt kümmern, gefängnisreif. Das nenne ich eine freche legalisierte Nötigung von vernünftigen Leuten. Und ich protestiere deshalb an dieser Stelle ausdrücklich öffentlich, daß man mir Angst macht, weil ich frei nachdenken und frei reden will.
Angst tut weh und kostet Kraft.
Gut.
Noch sind wir frei. Und mit den Ängsten kann man ja fertig werden. Lassen Sie uns also zusammen nachdenken, damit uns Vernünftiges in den Kopf kommt: Ein Bursche will also leben, und weil er das will, wird er mit dem Tode bestraft. Genau das ist Krieg; eine verbrecherische Wirklichkeit, in der Menschen verderben. Eine
(Seite 91)
Wirklichkeit, in der der lebendige Mensch verzerrt wird in sein Gegenteil, in stumpfe Abtötung, in einen Rest aus Blut und Dreck. Und ich schlage vor, daß wir in Zukunft, jeder an seinem Platz, aus Respekt vor den zahllosen Kriegsopfern, scharf protestieren, wenn man, wie bisher, der kriegerischen Wirklichkeit auch nur irgendeinen einzigen menschlichen Wert glaubt unterschieben zu dürfen, etwa Tapferkeit, Männlichkeit, Mut. Daß solche Dinge im Krieg vorkommen, sagt nichts über den Krieg selbst. So wenig, wie ja ein Verbrechen dadurch besser wird, daß die Beteiligten in der verbrecherischen Aktion selbst Mut und Tapferkeit und Männlichkeit zeigen. Man hat mir oft gesagt, ich zöge mit meinen Texten vom betrogenen krepierten Soldaten die Toten in den Dreck. Ich will jetzt klipp und klar auf diesen Vorwurf antworten: Man zieht tote Soldaten in den Dreck, indem man ihr Elend in Heldentod umlügt. Man ehrt die Toten auf eine einzige Weise: indem man, an ihrer Statt, eingedenk ihrer Qualen und ihres vertanen Lebens, nur noch die Wahrheit sagt über den Krieg und wie er gemacht wird. Aber Schweigen ringsum und Kranzniederlegungen und stupide Trauermusik, und kaum irgendwo wirksamer Kampf gegen den Krieg. Wie kommt das?
Erstens: weil öffentlich gelogen wird.
Zweitens: weil öffentlich verdummt wird.
Drittens: weil mit Hilfe eines wirtschaftlichen Systems Gewalt und Angst unter die Haut der Leute gebracht werden.
Ganz genauso wie in der Kernszene des Films passiert es ja auch heute: Lüge, Dummheit und Angst irritieren das Selbstbewußtsein des Menschen, machen ihn unfähig in den einfachsten, wichtigsten menschlichen Dingen. (Seite 92)
Reden wir aber der Reihe nach.
Wieso öffentliche Lüge?
Meine Damen und Herren, das ist ein weites Feld. Mit den offiziellen Sprachregelungen fängt es an. Man redet zum Beispiel nicht von Krieg. Man redet von Vorwärtsverteidigung oder vom Verteidigungsfall.
Bei uns »fällt« ein Soldat; er wird nicht totgeschlagen. Er fällt »auf dem Felde der Ehre«; er blutet nicht aus in irgendeinem Keller; verbrennt nicht unter Geschrei in einem Panzer aus Kassel; erstickt nicht in einem U-Boot aus Kiel.
Bei uns steht auf großen Steinen überall in Stadt und Land etwas von »unseren Helden«; nichts von unseren armen, betrogenen, verratenen Brüdern. Steht etwas von »Dankbarkeit« der Überlebenden, nichts vom Zorn und vom Haß der Überlebenden auf die, die das Massensterben ausgedacht und befohlen haben. Bei uns in Hamburg zum Beispiel findet man auf den beiden zentralen Plätzen der Stadt, dem Stephansplatz und dem Rathausmarkt, die folgenden Lügen zum Thema Krieg, in Stein gehauen wie für alle Zeit:
»Sie ließen ihr Leben für euch. Deutschland muß leben, und wenn wir sterben müssen. Die Großtaten der Vergangenheit sind Brückenpfeiler der Zukunft.«
Es gibt in Hamburg keinen einzigen Stein, auf den man geschrieben hat: Millionen sind unfrei einen gemeinen Tod gestorben, nach dem Willen und zum Nutzen und unter dem Befehl und mit dem Segen von Wenigen. Holt die Schuldigen aus der Macht, zur Ehre der Toten, zur Rettung der Lebendigen. Soviel zum Thema: die öffentliche Lüge vom Krieg. Wo eine Gesellschaft sich dermaßen um Realitäten herumlügt, beziehungsweise sich herumlügen läßt, da wird (Seite 93)
sie im Laufe der Zeit zwangsläufig unglaubwürdig werden. Zweitens: Weil öffentlich verdummt wird, weiß unsere Gesellschaft auf die Realität Krieg keine angemessene Antwort mehr. Was heißt aber öffentliche Verdummung?
Ich kann hier nur andeuten, was überall im Bundesgebiet auf breitester Ebene stattfindet. In Kriegsdingen den Menschen öffentlich verdummen, heißt, ihm sagen, daß im Atomkrieg jeder eine Chance hat zu überleben. Richtig muß es heißen: Die Waffen, die produziert werden, werden produziert zum Zwecke der Massenvernichtung. Hätte jeder eine Chance zu überleben, dann würden die Waffen nichts taugen; dann würde die Kalkulation der Generale nichts taugen.
In Kriegsdingen öffentlich verdummen, heißt, Leuten bunte Postwurfsendungen in den Briefkasten werfen, auf denen Hinweise gegeben werden zur Bevorratung der Haushalte, denn, so heißt es auf den bunten Zettelchen, sehr leicht können Krieg und Katastrophe die Versorgung des Menschen stören. Richtig muß es heißen: Diejenigen, die Macht haben, solche Postwurfsendungen zu bezahlen und zu verteilen, haben auch die Macht, Kriege und Katastrophen zu verhindern. Um diese Macht auszuüben, haben wir diese Leute gewählt. Sollten die Machthabenden sich als ohnmächtig erachten in Sachen Krieg und Katastrophen, dann sollen sie verschwinden aus dem Bereich der Macht; dann haben wir falsch gewählt. Öffentlich verdummen in der Kenntnis vom Krieg nenne ich es, wenn es in einer Gesellschaft zugelassen wird, daß ungefähr acht Millionen Landserhefte pro Jahr ausgedruckt und verkauft werden. Ich habe etliche (Seite 94)
Hefte gelesen. Mir fehlt die Zeit zu zitieren. Ich behaupte aus Kenntnis: Diese Hefte verherrlichen den Krieg als eine Form der männlichen Selbstverwirklichung.
Dabei fällt übrigens etwas auf: Mord vom Maschinengewehr aus als einen männlichen Sport beschreiben und diese Meinung in Traditionsgruppen pflegen, das ist bei uns erlaubt. Die Verkettung der Massen an wenige Mächtige als ein Unrecht und eine Gefahr beschreiben und diese Meinung politisch organisieren, das ist bei uns verboten. Öffentlich in Kriegsdingen den Dummen spielen, nenne ich es, wenn verantwortlicherseits so getan wird, als seien Wildwestfilme der üblichen Machart uninteressant in Sachen Vorbereitung und Masseneinübung auf Kriegsabenteuer. Will man denn nicht sehen, daß die Westernmoral gegebenenfalls sehr schnell und sehr real nutzbar gemacht werden kann in einer passenden Umwelt, zum Beispiel in einer »Goldwater«-Umwelt? Diese Filme, zusammen mit den — gezählt — 737 Kriegsfilmen der letzten zehn Jahre, machen in der Bundesrepublik das Gros der gezeigten Filme aus. Ihre unmenschliche Tendenz prägt, wenn noch nicht das Bewußtsein, dann das Unterbewußtsein der Mehrzahl der Bundesbürger. Wer das leugnet, betreibt planmäßig oder fahrlässig die bundesdeutsche Verdummung und damit die Herstellung einer willkürlich handhabbaren Haß- und Aggressionsbereitschaft. Öffentlich verdummen, freilich auf verhältnismäßig feine Weise, nenne ich schließlich das, was neuerdings auch in den intelligenteren Presseerzeugnissen betrieben wird. Ich denke an Texte, in denen bestimmte menschliche Hoffnungen, witzig verpackt, einem wegwerfenden Gelächter preisgegeben werden. Ich greife einen typischen Fall heraus: Der amerikanische Bomberpilot Eatherley galt jahrelang (Seite 95)
bestimmten Leuten als ein tragisches Zeugnis für ein überaus empfindliches menschliches Gewissen. Da nun ein derartiges Gewissen z. Z. überall knapp ist, gab es ein verständliches Bedürfnis, auf diesen Mann zu hoffen. Jetzt hat sich herausgestellt, daß dieser Pilot wahrscheinlich das, was wir sein Gewissen nannten, zu seinem privaten, neurotischen Vergnügen nur hochgespielt hat.
Mag das stimmen. Dann, finde ich, ist das kein Grund zur Freude. Freude und Hohn steckten aber in den Texten seriöser Blätter, in denen ich über diesen Fall gelesen habe. Freude und Hohn hierüber verbreiten, das nenne ich eine feinnervige Art der Verdummung. Richtiger wäre in einem solchen Fall, klar die Enttäuschung beschreiben darüber, daß der einzige Zeuge für ein in Sachen Hiroshima noch irgendwie moralisch intaktes Amerika nun wertlos geworden ist. Wieviel menschliche Selbstmißachtung kommt zum Vorschein, wenn Vergnügen ausbricht, wo ein wichtiger Zeuge im Kampf gegen Massenvernichtung sich als ein Kranker oder gar als ein Lügner erweist. Wen verspottet denn dieser Spott, wenn nicht die Hoffnung des Menschen auf bessere Zeiten?
Soviel zum zweiten Punkt: Verdummung in Sachen Krieg.
So wird also gelogen über den Krieg. So wird verdummt bis zur zynischen Selbstmißachtung. Die Mechanismen und die Machtträger der Lüge — und die Mechanismen und die Machtträger der Verdummung müssen bekämpft werden, wenn Krieg und Kriegsvorbereitungen bekämpft werden sollen. Drittens muß jetzt gesprochen werden von Herkunft und Wirkung der Gewalt und der Angst in unserer Gesellschaft. Ich behaupte: Gewalt und Angst beherrschen
(Seite 96)
bis unter die Haut des einzelnen die ganze Gesellschaft. Die meisten Gesten sind von unerhörter Ohnmächtigkeit und Ratlosigkeit; die meisten Gesichter von einer tiefen Resignation und Selbstmißachtung, oft schon bei jungen Leuten von Zynismus gezeichnet. Eine gespenstische Herrschaft der Klischees wird beobachtet, ob nun gelacht, geweint, geliebt oder gestorben wird. Kaum noch irgendwo Ahnung, was Leben und Lebendigkeit unter Menschen tatsächlich sein könnten; nirgendwo Stolz und Freude und Kühnheit; nirgendwo gelassenes und unverlogenes Vergnügen an Bauch, Kopf und Händen! Alle Spielarten der Aggression kommen vor, kreischende Ödenei, massenhaft Kopflosigkeit —die miserable Physiognomie einer verdorbenen Gesellschaft.
Wer die glänzende Oberfläche für das Ganze nimmt, übersieht das Grundsätzliche: Den unmenschlichen, aus Angst und Gewalt kommenden und in Angst und Gewalt auslaufenden Kampf aller gegen alle hinter jeder Fassade, hinter fast jedem Auge. Und wieso das? Woher dieser Mißstand? Wer erzeugt diese hochkomplizierte glänzende Verelendung der Massen?
Dieser gemeine Zustand kommt aus einem System der Angst und der Gewalt, nach welchem unsere Wirtschaft, also die Basisereignisse in unserer Gesellschaft, funktionieren.
Von was für einer Angst ist die Rede? Von welcher Gewalt?
Ich rede von der nach hiesigen Wirtschaftsgesetzen legalisierten — und nach der kirchlichen Privateigentumslehre sanktionierten! — Gewalt, nach der der Stärkere recht hat. Und ich rede von der überall vorherrschenden Angst, dem Nebenmann zu unterliegen — auf der (Seite 97)
Autobahn, am Arbeitsplatz, im Bett. Lesen Sie Werbetexte. Diese Texte leben von versteckten Drohungen und kaum noch verheimlichten Ängsten des Menschen. Was hat das alles aber mit Krieg zu tun? Meine Damen und Herren, der herkömmliche Krieg einerseits und unser Wirtschaftssystem andererseits haben das wichtigste Gesetz gemeinsam. Gemeinsam ist den Kriegsvorgängen wie den hiesigen Wirtschaftsvorgängen ein ganz bestimmtes, primitives Grundgesetz praktischen Verhaltens. Das primitive Grundgesetz des Krieges wie das primitive Grundgesetz unserer Wirtschaft heißt:
»Der Stärkere hat recht.«
Ist das so gefährlich?
Ja.
Denn das ist ein den Menschen in Primitivzustände zurückzwingendes Gesetz aus der Welt der Vorfahren, aus der Welt der Affen und Wölfe. Ein Gesetz aus uralten Tagen ist das, ein Gesetz aus der Zeit, als die Natur noch mehr galt als die vom Menschen begriffene und also veränderte Welt. Ein Gesetz ist das, das die vernünftigen Chancen des Menschen leugnet und zerstört, das jeden vernünftigen Menschen in seinem Selbstbewußtsein beleidigen muß.
Denn aus der Zeit, in der ein Affe aus Prestigegründen seinem Nebenmann zeigen mußte, wie vielen Kollegen er schon das Fressen weggebissen hat, aus dieser Phase sind wir Menschen unserer Möglichkeit nach längst heraus. Davon allerdings scheinen die, die uns unser Wirtschaftssystem eingerichtet haben, bisher kaum etwas gehört zu haben. Wider alle besseren Möglichkeiten des Menschen haben sie ein Wirtschaftssystem beibehalten, das uns wie Wölfe, wie hastige Affen hantieren heißt von morgens bis abends. Wer sich unter dieses Gesetz nicht beugen will, wer sich (Seite 98)
nicht zurückzwingen lassen will in brutale Verhaltensweisen, der geht hier bei uns über kurz oder lang vor die Hunde. Er wird weggebissen werden vom stärkeren Männchen in der Herde. Wer aber nach dem Gesetz, der Stärkere hat recht, leben will, der muß bereit sein — und das scheint mir sehr bedeutungsvoll und wichtig — der muß bereit sein, täglich seine eigentlich menschlichen Möglichkeiten zu verleugnen und zu knebeln. Nun ist es aber so, meine Damen und Herren: Jeder Mensch, auch der blödeste, hat eine eigenartig hartnäckige Ahnung von sich — von dem, was das sein könnte und eines Tages auch sein wird: ein Mensch. Jeder — ich mache diese Erfahrung, sooft zum Beispiel fremde Leute als Anhalter in meinem Auto sitzen und wir Zeit haben zu reden und zu fragen, wies so geht und steht jeder von uns, sage ich, hat irgendwo verschüttet noch eine Ahnung herumliegen von dem, was Schönheit ist und Freundlichkeit unter Menschen und Freiheit. Wenn das aber so ist mit der Ahnung von dem, was der Mensch irgendwann mit allen anderen zusammen mal sein könnte, dann ergibt sich doch folgendes hier bei uns: Man zwingt den Menschen pausenlos von sich selbst weg, zwingt ihn mit Hilfe wirtschaftlicher Druckmittel weg von seinen schönen und vernünftigen Ahnungen, abwärts ins Tierische, zurück ins Hauen und Stechen und Beißen.
Und was folgt?
Man erzeugt in einem derart zurückgeworfenen Menschen einen gefährlichen Notwehrakt, eine tief sich einfressende Mißachtung gegenüber der großartigen eigenen Ahnung; man erzeugt die Selbstmißachtung des Menschen. Denn nur unter Absehung von seiner Hoffnung auf menschliche Zukunft und menschlichen
(Seite 99)
Fortschritt kann er schließlich in die Wolfsmoral hier sich zurückfinden; kann er den Primitivgesetzen dieser Wirtschaft folgen und Eigentum sammeln, wie der Bischof und der Kanzler es wünschen. Hat man aber einmal mit Hilfe der wirtschaftlichen Zwänge die gründliche Selbstmißachtung der Massen erreicht, dann hat man diese lebendigen Massen auch schon bestens präpariert für den nächsten Krieg. Denn wenn in einem nächsten Krieg irgend etwas Bedingung sein wird, dann die Selbstmißachtung der Massen. So bereitet unser Wirtschaftsverhalten künftiges Kriegsverhalten unmittelbar vor. Und so kommt es, daß, wer den Krieg bekämpfen will, dieses Wirtschaftssystem bekämpfen muß.
Christian Geissler
Kampagne für Abrüstung, Frankfurt 1964
Soldatenfriedhof in Nordfrankreich (St. Quentin) Juli 1963Fotos St. Quentin Nordfrankreich 1963 Jens Meyer
PDF Dimitry Rostowski EtikettendruckerDimitry Rostowsky hatte 1989 eine Etikettendruckerei in der Oelkersallee 66 (direkt neben dem Oelkers Cafe in der Oelkersallee 64 Hamburg Altona – gleichzeitig das Duckenfeld im Oelkers Cafe: Ein kleines Kino mit 22 Sitzplätzen). Am 12. Juli 1989 führte ich mit ihm ein Gespräch über sein Leben. Er wurde 1942 von den Deutschen aus Kiew verschleppt. „Dimitry D. Rostowsky Etikettendrucker“ weiterlesen