Alle Welt tuts – der Leidensweg eines VOBO Kurzfilmes

Tieresehendichan3Schließlich bin ich Beamter Der Leidensweg eines Vobo Kurzfilmes. Wenn der Namensvetter mit 450 Kopien “startet“ (wie die Branche das so nennt), dann ist das schon was.

Pdf Volkszählungsfilm

Abseits dieser Geldmenge vollzog sich in den letzten Monaten ein anderer “Kinogroßversuch“. Mit über 80 Kopien wurde der Anti-Volkszählungsfilm “Alle Welt tuts“ in den Kinos gezeigt. Finanzierung, Produktion und Vertrieb gleicht eher einem Abenteuerroman. Wie immer wenn Linke in diesem -ihrem- Lande daran gehen, etwas herzustellen, dann gibt es diese ständigen Wiederholungen: Erstens ist kein Geld da und zweitens ist es auch zu spät, um etwas aufzutreiben. Übrig bleibt nur die Idee. Diesmal Ideenmacher Thomas Amman und Niels Bolbrinker. Der eine hat grade in einem Fernsehbeitrag gezeigt, wie leicht die Geldautomaten der Hamburger Sparkasse zu überlisten sind. Statt nun dies Wissen, wie jeder vernünftige Mensch, für sich zu behalten und in Zukunft immer über genügend Bargeld zu verfügen, was macht er? Für ein vergleichsweise jämmerliches Honorar einen Magazinbeitrag.

Die Folge: Die Hamburger Sparkasse kündigt das Konto. Beleidigt über so viel Öffentlichkeitsarbeit. Kein Konto, kein Überziehungskredit für den VOBO Kurzfilm. Ohne Geld bekommt man keinen Rohfilm, kein Kopierwerk arbeitet umsonst, keine Kamera kann gemietet werden. Es ist März und die Volkszählung steht vor der Tür. Während viele noch überlegen, ob sie sie reinlassen, sitzen Amman und Bolbrinker am Küchentisch und überlegen, wie das nötige Geld zu beschaffen ist. Am Stichtag – wir erinnern uns – es sollte der 25. Mai (1987) sein – sollen die Kopien in den Kinos laufen. Im nächsten Monat lernen sie eine Menge: Über sog. Rohfilm, “Selbstverwaltete Filmförderung“ über “kommunale“ und “Beamtenkinos“, über Bürokratie und “linke alternativ-Bürokratie“ und auch über den Beifall, mit dem man nicht rechnet.

Der “Hürdenlauf“ der Finanzierung beginnt in Hamburg. Beim “selbstverwalteten“ Hamburger Filmbüro e. V.. Seit der Gründung 1979 hat sich dieses Büro zu einem “sozialdemokratischen Musterprojekt“ entwickelt.

Kein Geschäftsführer, kein Buchhalter, keine Schreibkraft, die nicht mindestens die Fähigkeit von Politikern haben – nämlich Werbung zu machen, ohne etwas von der Sache zu verstehen. Am linken Rand der SPD – aber eben doch SPD. Fraktionszwang. Für spontane Politik ist kein Platz. Reden werden gehalten: In der Zeitung muß es stehen, am besten, wenn noch ein Bild dabei ist. Da geht es nur zuletzt um Film. Da müssen die richtigen Formulare ausgefüllt werden.

Die Einreichfristen müssen eingehalten werden. Da muß die Richtung stimmen. Da werden Politik-Karrieren angefangen. Und wenns nicht in die richtige Richtung geht, da gibt es eine Menge Vorschriften, mit denen unliebsame Projekte und Personen beiseite geschoben werden können. Nein – kein Geld für die VOBO Film. Erstens, der Einreichtermin ist verstrichen. Zweitens, das Gremium hatte bereits einen ähnlichen Film kurz vorher abgelehnt. Wie man es gewohnt ist, zum Schluß wird die Ablehnungsbegründung auch noch solidarisch: Man würde ja privat gerne wollen . . . aber leider.

Der Vorstand – wie bei vielen Vereinen – ähnlich mutig auf die Frage, wie sich denn das Filmbüro e. V. in der Volkszählung selber verhalten wolle. Im Valentin Musäum hängt die Antwort an der Wand: “Mögn täten wir schon wollen, aber dürfen haben wir uns nicht getraut.“ Schließlich kann man nicht vor der Bürgerschaftswahl für die SPD werben und hinterher die Herren in die Pfanne haun. Für Hamburg heißt die Schlußfolgerung: Wer 10 Mille Subvention haben will, muß die hohen Herren der Politik bei Laune halten. Grade machen hat auch seinen Preis. Gratisangst? Vielleicht. Zum Ausprobieren reicht der Mut nicht.

Kein Geld vom Hamburger Filmbüro e. V.. Also eine Antrag an Netzwerk Hamburg. Nur leider geht das Gerücht, die hätten zurzeit überhaupt keine Gelder frei. Zeit ist knapp, also erst mal angefragt, ob das Gerücht stimmt. Dafür sind die “Alternativ-Banker“ wieder zu fein. Sie bestehen auf einem Antrag.

In drei Wochen trifft sich der Vergabeausschuß, der über den Antrag befindet. Netzwerk Berlin hat mehr Geld. Manfred Herold mit Berliner Wohnsitz übernimmt die Verhandlungen. Geld ist da. Zuständig, so befindet der Netzwerkgutachter in Berlin ist zunächst einmal Hamburg. In sechs Wochen tagt der nächste Vergabeausschuß “Netzwerk Berlin“. Die “Berliner Abteilung“ übersendet der “Hamburger Filiale“ einen Fragenkatalog. Der sieht so aus, wie 1980 Fragebögen ausgesehen haben. Wie denn die Produzenten politisch einzuschätzen seien, ob Hamburg das Projekt unterstützen würde, wenn es Geld hätte und ähnlich hypothetische Fragen. Die Volkszählung findet doch auch in Berlin statt? Der Einwand zieht nicht. Konzepte werden verschickt und begutachtet. Hamburg begutachtet und verweist mangels Masse nach Berlin zurück.

Nach 6 Wochen hin und her, findet der “Antragsannehmer“ von Netzwerk Berlin das Konzept sei sehr schlecht und ausserdem sei es ja viel zu spät für den Film. Aber: nach ihm gehe es ja nicht. Inzwischen auch das Ergebnis des Landes NRW in Mühlheim. Auch hier – wie in Hamburg – die formale Begründung. Man würde ja gerne den Film fördern, aber man könne nicht. Die Einreichfristen wären verstrichen. Welche Kinos in Berlin denn diesen Kurzfilm zeigen werden?

Der Verleih in Hamburg war in der Zwischenzeit fleissig. Es gibt zehn: Bali, Filmkunst 66, Filmbühne, Sputnik, Movimento, Eiszeit, Notausgang, Xenon, Graffiti, und Kino im Kob. Die sollen die Leute von Netzwerk anrufen. Machen sie aber leider nicht. Hin und her. Sitzungen, Anhörungen. Dann die erste Finanzhilfe. Ein Verein aus Kreuzberg spendet 1.000,00 DM. Auch Netzwerk Berlin ist inzwischen so weit, es kommen 4.000,00 DM.

Die Produktionssumme ist damit noch nicht zusammen. Aber ein Anfang. Die Bayern Grünen sagen einen Zuschuss zu. Klausel: Alle anderen Landesverbände der Grünen sollen auch bezahlen. Die AL in Berlin wird angefragt. Jemand kennt den Kassenwart dort und winkt ab, zwecklos. Bei der GAL in Hamburg tobt der Wahlkampf. Keine Zeit für den Nebenschauplatz. Doch die “Bürovorsteherin“ setzt sich sehr für das Projekt ein. Einige Bezirke bringen 1.000,00 DM zusammen.

Auf der Suche nach weiteren Geldgebern fällt dem Verleih auch die TAZ ein. Viel Papier wird gegen die Volkszählung bedruckt, warum sollten da nicht 3.000,00 DM für Kinobilder übrig sein? Die Redaktionskonferenz schmettert den üblen Bettelversuch eines “anderen Projektes“ ab. Kein Geld für Bilder.

Die Bundesgrünen sind immer nicht erreichbar. (Bisher hat nur die Bundespost an dem Projekt gut verdient. Die Telefonkosten schnellen in die Höhe.) Schließlich findet sich bei den Bundesgrünen doch eine Ansprechpartnerin. Eine Zusage kommt. Die Kinos sollen die Kopien bezahlen. Ein ungewöhnliches Ansinnen. Normalerweise kriegen sie Geld für die “Werbefilme“, die sie zeigen. Amman und Bolbrinker haben schon mal mit der Herstellung des Kurzfilmes angefangen.

Konntens wieder nicht abwarten. Inzwischen sind 12.000,00 Mark zusammen. Ungefähr die Hälfte des benötigten Geldes. Der Verleih telefoniert mit Kinos (gewerblichen und subventionierten). Erstaunliches kommt da zu Tage. Ungesehen und ohne Papier bezahlt das Kommunale Kino in Hamburg zwei Kopien. Doch auch das andere Extrem: Der Direktor des Deutschen Filmmuseums (wie sich der Leiter des Kommunalen Kinos in Frankfurt gerne nennen läßt) hat eine andere Antwort bereit: “Leider ginge das nicht – weder zeigen, noch bezahlen. Schließlich sei er Beamter im Staatsdienst.“ Ob Beamte denn keine eigene Meinung haben dürfen und ob er den Film nicht mal wenigstens vorher sehen will? “Nein, will er nicht.“

Auch die Beteuerung, dass kein Boykottaufruf im Film enthalten ist, bringt keine Zusage aus Frankfurt. Beamte sind eben Beamte. Auch in Kiel beim Kommunalen Kino gehts ähnlich ab. Man will darüber diskutieren und meldet sich wieder. Der Verleih wartet vergeblich auf den Rückruf. Schließlich meldet sich der Verleih wieder in Kiel. Die zuständige Sachbearbeiterin ist leider in Urlaub gefahren. Eine Ansichtskopie wird geschickt. Innerhalb einer Woche sollen sie diese ansehen und bei Nichtgefallen zurückschicken. Die Woche vergeht. Keine Kopie kommt. Also wird der Film in Kiel gezeigt. Denkste. Der Stichtag ist vorüber (25. Mai 1987), die Kopie kommt zurück. Kleiner Zettel: “Film konnte leider nicht gezeigt werden. Er kam zu spät“.

Mit dem Mut ist das so eine Sache. Offener dann doch die Leute vom Cinema Quadrat in Mannheim. Ihr Büro ist direkt im Rathaus Mannheim (E5). Wenn sie den Kurzfilm zeigen, werden die Zuschüsse gestrichen. Das ist ihnen die Sache nicht wert. Das kann man akzeptieren. Lieber so, als windelweich. Die Kollektive unter den Kinos gibts ja auch noch. Der chronische Geldmangel bestimmt ihre Arbeit. In Freiburg und Stuttgart wird so richtig demokratisch entschieden. Ob man noch mal wieder anrufen kann? Der Programmausschuß tagt am Montag. Mit Freiburg klappts dann noch. Mit Stuttgart nicht.

Inzwischen hat Flebbe aus Hannover 10 Kopien gekauft. Das gibt Auftrieb. Die AG Kino hilft beim Telefonieren. Doch der amtierende Vorsitzende schaltet sich ein. Er möchte keine Bestellscheinaktion. Schließlich die Frage, was ist mit Kino Abaton im gleichen Hause? Das kann nur der Geschäftsführer entscheiden, sagen die Angestellten. Doch der ist nicht zu erreichen. Schließlich, eine Kulturveranstaltung, der Geschäftsführer des Abaton hält eine Rede. Für Filmemacher Bolbrinker ist es die Gelegenheit, den Kurzfilm anzubieten. Er findet den Film gut. Kann aber nicht allein entscheiden, das hätte nun niemand gedacht. Schließlich stimmen auch die anderen zu. Letztlich doch nur eine Formsache.

Alle Kinobesitzer fliegen an die Cote da Sur. Cannes ruft. Auf Frau Gregor vom Arsenal in Berlin hat den Flugschein schon gekauft. Sie verspricht zurück zu rufen. Der Verleih wartet – wie so oft bei den Beamtenkinos – vergeblich. Alf Boldt wäre der richtige, aber der ist noch bei den Kurzfilmtagen in Oberhausen.

Auch die Filmtheaterbetriebe Kloster & Steenwerth (York, OFF, Manhattan u. a.) in Berlin melden sich nicht wieder. Die hängen am Tropf der Filmförderungsanstalt, vermutet die Berliner Kinoszene. Er hängt so direkt am Tropf, dass er denkt, die machen Schwierigkeiten. Kein Georg Kloster. Da kommen dann doch eher die armen Kinos infrage: Sputnik, Movimento, Bali, Steinplatz und richtig, die nehmen auch Kopien. Bayern ist – wie gedacht – ein wenig erfolgreicher Versuch. München ja, zunächst die beiden Freak Kinos – Werkstatt und Maxim – und dann noch ein Kino der AG Kino.

In Regensburg sind wir wider Erwarten mit einer Kopie erfolgreich (Ostentor Kino, Werner Hofbauer). Im Augsburger Stadtkino ist der Bearbeiter gerade in Urlaub. Die Weber Broth. sind nach Cannes abgeflogen. Die anderen Mitarbeiter des Klein Konzerns haben keine Kompetenz für eine Ausgabe, die 100,00 DM überschreitet.

Wir schicken drei Ansichtskopien, mit der Maßgabe, diese bei Nichtgefallen innerhalb einer Woche zurückzusenden. Die Kopien kommen zurück, aber erst am 20. August (1987) mit einem kleinen Zettel der Buchhalterin, Kopien wurden nicht angefordert, nicht gezeigt, werden also auch nicht bezahlt. Was ist mit den Franken los, hat denen der Strauß auch schon den Schneid abgekauft? Ich beginne einen kleinen Streit.

Doch nicht nur Zustimmung, denen vom Roxy Kino in Dortmund ist unser Angriff zu seicht, sie hätten gerne was schärferes. Sie schicken die Kopie wieder zurück, aber innerhalb der besagten Woche. Das geht in Ordnung. Auch beim Arsenal Kino in Tübingen passiert eigenartiges. Die Kino Gruppe begutachtet den Film, will ihn einsetzen, aber der Vorführer hat Angst, also wird er bezahlt, aber nicht gezeigt. Gleichzeitig hat auch Zimmermann (Friedrich Zimmermann, damals Innenminister, heute tot) einen Werbefilm zimmern lassen, der bundesweit gestartet wird.

Viele Kinos weigern sich, diesen in die Werbeblöcke aufzunehmen und schicken ihn an die Agentur zurück. Wenn jetzt unser kommt, dann gibt es unterschiedliche Reaktionen:

1) Die pluralistische (Wir haben nicht für die Volkszählung geworben, also dürfen wir jetzt auch nicht gegen die Volkszählung werben) bzw., beide zu zeigen, wobei sie bei ersten Geld bekommen und beim zweiten Geld bezahlen sollen. (Was sie natürlich meistens nicht einsehen). Hier bricht das vorhandene Manuskript ohne jede Zusammenfassung ab . . .

Vom Original Manuskript übertragen von Tieresehendichan3

Jens Meyer am 15. Mai 2014

Demonstrant in Hamburg
Hachmannplatz

Betrifft: Volkszählung Stichtag 25. Mai 1987

Die Geschichte vom Eisenbieger aus Westberlin (Berlin West)

pdf Die Geschichte vom Eisenbieger

Tunnel wird gebaut

Tieresehendichan3Die Sache ist schon ein wenig her. Verjährt? Man weiß nicht so recht. Deswegen sollte ich den Namen ändern. Also, ich nenne ihn jetzt mal Manfred W. aus Westberlin. Ein Ureinwohner, der noch niemals (jedenfalls damals nicht), die eingemauerte Stadt verlassen hatte. Von Beruf Eisenbieger und später Student an der Filmakademie in Berlin (dffb). Dort lernte ich ihn kennen. Wir erweiterten unseren Horizont. Und er lernte bei der Horizonterweiterung eine Dame aus Westdeutschland kennen. So nannten die eingemauerten Bewohner der Insel uns, die wir aus Hamburg oder anderen Städten aus Westdeutschland, so nannten sie uns,  kamen. Sie hatte ihm erzählt, dass ihr Vater Besitzer einer Marmeladenfabrik sei. Was Frauen alles so erfinden. Aber vielleicht kam sie ja wirklich aus Bad Schwartau.

Jetzt wohnte sie jedenfalls in Hamburg (Am Großneumarkt – damals wollten da alle hin) und bekam oft Besuch von diesem Studenten aus Westberlin. Der hatte sein Leben komplett umgestellt. Nicht mehr morgens um fünf aufstehen, hieß die erste Umstellung. Ein Mensch ohne Führerschein. Außer mir der zweite Mensch, der keinen hatte und auch keinen wollte. Wozu auch? Also blieben nur bestimmte Transportmittel für ihn, um zu dieser Dame (er hatte damals einen anderen Ausdruck dafür) am Großneumarkt zu gelangen. Er wählte die Bahn. Die Deutsche Reichsbahn. Der Zug, ein Interzonenzug, so nannten ihn alle, ausser den Personen der DDR Staatsgewalt. Ein D-Zug, der wegen langer Liegezeiten, Kontrollen und den obligaten Schäferhunden, die immer an den Zügen rochen, ob sich hier nicht westberliner Flüchtlinge aufhielten, die in den realen Sozialismus deutscher Prägung wollten . . . oder in der anderen Richtung westdeutsche Flüchtlinge in den real existierenden Sozialismus, wie er auch genannt wurde, einsickern wollten.

Vermutlich weil die Schäferhunde immer nix gerochen haben, brauchten die Züge von Hamburg nach Berlin oder umgekehrt manchmal sieben Stunden, um die 287 km lange, eingleisige Strecke zu bewältigen. Die Eingleisigkeit der Strecke und der dadurch erreichte siebenstündige Aufenthalt von Westdeutschen und Westberlinern standen in einem unmittelbaren Zusammenhang. Man könnte es auch russische Didaktik nennen. So hatte das deutsche Volk der Westzonen und Westberlins sieben Stunden Zeit, darüber nachzudenken, ob die Russen 1945 wirklich ein Recht gehabt hatten, das zweite Gleis zu demontieren und nach Russland zu schaffen.IMG_3265Ich fand immer, sie hatten. Auch die Wartezeiten, die dadurch entstanden, dass ein Gegenzug abgewartet werden musste, hatten durchaus einen didaktischen Sinn. Die Züge hielten niemals in einem der Bahnhöfe, denn die Schnüffelhunde waren fest stationiert. In Schwanheide und in Griebnitzsee. Kein Weg ist zu weit. Reisende Schäferhunde habe ich im Interzonenzug niemals erlebt. Jedenfalls kam Manfred W. (durch die komplette Lebensumstellung) immer auf den letzten Drücker im Bahnhof Zoo an. Nebenbei: Es gab ja auch nur wenige Züge, die die Stadt verließen oder erreichten. Waren es zwei Zugpaare, oder nur eins?

Man vergisst ja so schnell. Jedenfalls blieb Manfred W. keine Zeit, um vorher noch eine Fahrkarte zu kaufen. Also sprang er immer flugs in die erste Klasse und wenn dann der Kontrolleur kam, war sein Standard Satz, er bräuchte noch einen Zuschlag. Wer Manfred W. kennt, der glaubt ihm, dass er sich nichts dabei gedacht hat. Vielleicht ist es ihm ja irgendwann aufgefallen, dass das eigentlich ganz schön billig ist, diese Fahrt von Berlin nach Hamburg. (Das Foto aus der ersten Klasse ist hier ein wenig Fehl am Platz, aber im Original Zug der Reichsbahn habe ich nie fotografiert, warum weiss ich auch nicht)ersterklasse1klein

Aber es fehlten ihm auch die richtigen Vergleiche. Die S-Bahn in Berlin wurde zu jener Zeit von vielen Westberlinern boykottiert.IMG_0200Sie gehörte den bösen Kommunisten aus der Ostzone (eben auch Reichsbahn), die dem Kapitalismus in Westberlin mit Kampfpreisen, (waren es 10 Pfennig für eine Fahrt?) den Garaus machen wollte. Jedenfalls war das eine gute Propaganda. Und so stiegen auch die Preise bei der BVG nicht ins Unendliche, wie sie das heute tun. Die Beziehung mit der Marmeladentochter dauerte bei Manfred W. so lange, wie Beziehungen bei Manfred W. eben dauern. Manchmal fuhr er jedes Wochenende nach Hamburg. Bis eines Tages ein Schaffner ihn dann doch mal (nach Verkauf des 1. Klasse Zuschlages) nach der Fahrkarte gefragt hat. Geistesgegenwärtig hat er dann bezahlt, ohne viel zu Murren. Von wegen, ich mach das schon seit fünf Jahren oder so. Und jetzt müsste das ja auch lange verjährt sein, odr?

Und wenn nicht: Ist die Deutsche Bahn überhaupt die Rechtsnachfolgerin der Deutschen Reichsbahn, wo es den Staat doch auch schon lange nicht mehr gibt? Dennoch erscheint es Manfred W. besser in der Anonymität zu verbleiben. Er hatte sich noch kurz die Frage gestellt, ob man im Sozialismus überhaupt Schwarzfahren kann, wo doch alles, also auch die Eisenbahn, dem Volk gehört! Man kann sich ja auch nicht selber beklauen. Besser ist jedenfalls, so beschloss Manfred W., die Namen nicht zu nennen. In beiden Systemen.

008 Fotos Jens Meyermilpferd_einaugeBy-nc-sa_colorZugnachPragIMG_4439Tieresehendichan3

Global Player: Wo wir sind isch vorne

Tieresehendichan3Global Player, wo wir sind isch vorne. Wer die Geschichte liest, ist vermutlich wie ich, begeistert oder doch zumindest neugierig. Eine Filmkritik.

PDF Wo wir sind ist vorne

Leider ist es so, wie Wolfgang Neuss einmal gesagt hat: „Das Leben ist zu kurz, um sich deutsche Filme anzusehen“. Das sind tolle Bilder, die einem da präsentiert werden. Lange habe ich nicht mehr so was Atemberaubendes gesehen. Aber was die Leute so reden, ist reines Papier. Ich war an unsere Filme aus den 70iger Jahren erinnert, mit denen wir die Welt verändern oder doch zumindest erziehen wollten. Das reine Kasperle Theater wird uns vorgeführt, ohne Witz und Verstand, genau ins Schema passend, wie der kleine Moritz sich die Welt vorstellt.

Der Unternehmersohn fährt minutenlang mit seinem gelben Porsche durch die Landschaft, wunderbar fotografiert und wir wissen schon, wie die Lage wirklich ist, was als nächstes kommt und wie das vermutlich alles enden wird. Sogar die Arbeiter in der Fabrik haben ihren Auftritt, wie wir uns das so denken, der Unternehmer in Tenniskleidung und mit entsprechendem Schläger, hält den Vortrag von dem Boot, in dem wir angeblich alle sitzen sollen, der Bänker ist böse und mittelstandsfeindlich und gibt nur Geld an die, die keines brauchen, weil sie selbst genug davon haben.

Erst nach dreissig Minuten gelingt es Hannes Stöhr, eine überraschende Szene in seinem Film unterzubringen, die Szene, in dem der Vater des Unternehmersohnes den Bänker fertig macht. Die gesamte Sequenz sieht in dem Film aus wie ein Fremdkörper. Was mir selten im Kino passiert, daß ich mal dringend zum Pinkeln muß, hier passiert es mir gleich zwei Mal. Vor mir sitzt der freie Mitarbeiter vom Hamburger Abendblatt, das es ja nun bald auch nicht mehr geben wird.

Das Verschwinden dieser Zeitung, wird, wie das Verschwinden dieses Filmes von Hannes Stöhr niemand bemerken. Das mit der Toilette passiert auch dem Abendblatt Mann. Bei seiner Rückkehr von der Toilette denke ich, es gäbe nichts überraschendes, was in der Zwischenzeit seines Wegbleibens passiert wäre, was ich ihm berichten könnte.

Das Schlimmste, was diesem Film passieren konnte, ist diesem Film schon zu Beginn des Filmes passiert. Der Mitarbeiter der Hamburger Morgenpost, der nur mit geringen Schreibtalent ausgerüstet ist, hat die Besprechung dieses Filmes für die Morgenpost übernommen. Nach einer Stunde, tue ich etwas, was ich sonst nie tue, ehrlich. Ich verlasse das Kino. Das Ende des Filmes kann mich mit Sicherheit nicht überraschen und kann (falls doch) vermutlich auch dem Presseheft entnommen werden.
Kinostart am Tag der deutschen Einheit 3. Oktober 2013
Jens Meyer, 2014milpferd_einauge