Als mich die Ufa im Oktober des vergangenen Jahres mit der künstlerischen Oberleitung des im Bau befindlichen Ufa-Palastes betraute, flitzte ich mit dem nächsten FD-Zug nach Hamburg, um die Psyche des Publikums zu analysieren. Ich war auf schreckliches vorbereitet: so hatte man mir es geschildert: steif bis zum Exzeß, abhold jeder Belebung des Tempos, eingefroren in eine Tradition einer konservativen Kunstanschauung, die beinahe reaktionär sein mochte, dickhäutig, applausfeindlich, unempfänglich für Weltstadtrhythmus und sonstige Manifestationen des Zeitgeistes. Nur Oliver*, der Chefkonstrukteur, Finanzier und Erbauer des ganzen Komplexes, glaubte im Kampf gegen ein Heer von Miesmachern an die Existenzberechtigung seines ungewöhnlich kühnen Projektes. Sollte sein sonst so sicherer Instinkt für neuzuschaffende Konzentrationspunkte in Großstädten diesmal auf falscher Fährte sein? Olivers Fanatismus steckte mich an. Diese Stadt mit dem Januskopf, in der Innenstadt harmonisch gedämpft, im Hafen brodelnd von Unruhe, diese Mischung aus stolzer Abgeklärtheit, lautloser Soigniertheit (*) und dem sich überall überschlagenden Temperament der Reeperbahn, dieses grandiose Menschenarsenal aller Klassen, Zonen, Nationen, immer in Bewegung, immer im Wechel (Wechsel?), immer im Schwung, Menschen auszuspeien, zu verladen irgendwohin wie die unzähligen Tonnagen der Frachtdampfer, diese Stadt, besessen von dem Ehrgeiz, sich erneut an die Spitze der europäischen Häfen zu stellen, schien mir die rechte Folie für ein Haus, das heute auf dem europäischen Festlande außer dem Paramount-Paris, keine ebenbürtige Konkurrenz hat. Das Hamburger Publikum, herrlich diszipliniert, ein Muster an demokratischer Gesinnung und urbaner Weltanschauung, ist mit unserer Absicht bewundernswert mitgegangen.
Als ich vor der Eröffnung die 6000 Zuschauer und die 10 000 Zaungäste sah, den Kommandeur der Schutzpolizei um ein größeres Aufgebot bat, lachte er mich glatt aus. “Sie sind hier nicht in Berlin . . . “ Nachher dirigierten 2 Beamte den ganzen enormen Verkehr ohne Schwierigkeiten. Die Hanseaten sind viel zu stolz, um eine besondere Organisation für eine reibungslose Abwicklung des Verkehrs zu benötigen, sie sind verdammt gut erzogen. Ich habe oft auf der dreißigsten Reihe des Ranges gesessen, vor mir 3000 Menschen, Kopf an Kopf. Wenn unter auf der Bühne die großen Stars des Welt-Variétés auftraten, die oft, ohne nach Berlin zu kommen, zwischen London und New York einen Abstecher nach Hamburg machten, donnerten Applaussalven durch die Luft, erschütterte ein Gelächter seltenster Vehemenz die Grundfesten des Hauses. Die sollten steif sein? Ich habe kein dankbareres Publikum gefunden bei meinen Wanderungen durch die internationalen Nörgler-Verbände. Wenn der Bühnenboden unter 72 Tillerbeinen zitterte, sprangen die Funken des elektrisierenden Rhythmus von Reihe zu Reihe bis unters Dach; als „Der Liebeswalzer“ vorbei war, trug man Fritsch und die Harvey auf Schultern durch die Straßen, und die großen Exzentriks aller Regionen fanden sich nie so belacht wie an der Alster. An einem trüben, verschlafenen Sonntag vormittag steigerte sich der Beifall für Lud Gluskin zur Raserei. Letzte Station vor Amerika. Erster Abend in Deutschland. Wie Alkaza gehört heute der Ufa-Palast zu dem Gesicht dieser Stadt. Auch er ein Bindeglied zwischen Europa und der Welt der Roxys und Capitole, ein Monument der Schaukunst größten Stils. Möge der unbezwingliche Lebenswille dieser sich immer noch ins Gewaltige reckenden Stadt mitschwingen bei der Tagung des Reichsverbandes der deutschen Lichtpieltheaterbesitzer! Wenn wir so tapfer, so unerschütterlich im Vertrauen auf unsere Zukunft sind, wie die Bewohner dieser Stadt, werden wir über alle Krisen hinweg das Banner des Filmes tragen, wie die Hansestadt Hamburg ihre Flagge über alle Meere der Erde.
*David Oliver (Generaldirektor der Grundwert AG Berlin)
[Ein Wort mußte ich nachsehen: ** Soigniertheit und habe es als Substantiv nicht gefunden. soigniert = gepflegt (dt/fr)]
Abschrift aus Film Kurier Nr. 76 vom 28. März 1928:
Hanns Brodnitz bei der Ufa.
Hanns Brodnitz, der neue Direktor der Ufa-Uraufführungstheater kommt von der Literatur her zum Film. „Leicht ist es nicht gewesen, vor fünf Jahren, als ich anfing. Da hatte ich gerade den Anfang einer journalistischen Laufbahn hinter mir, am „Börsen-Courier“, wo ich unter der Aegide von Herbert Ihering geschriftstellert hatte. Mit dem Mozartsaal von Meinhardt und Bernauer fing ich an. Den sollte ich nach einem Umbau herausbringen, nahezu ohne Geld. Ein Streik kam dazwischen – ich habe immer Glück mit Streiks – was war zu tun? Da hatte ich mir einen Kapellmeister angeheuert, das war Schmidt-Gentner, der damals in der Alhambra mit Begeisterung dem Kinopublikum klassische Sachen vorspielte. Mit dem raste ich in die Laubenkolonie und suchte Leute zusammen, die als Streikbrecher dienen sollten. Nach einer halben Stunde wurden mir die Arbeitswilligen vom Streikposten weggeholt. Noch in der Premiere war die Pechsträhne da. Die erste Vorstellung konnte nicht stattfinden, weil die Projektion nicht in Ordnung war. Wir mußten sogar das Geld zurückzahlen. Alle fünf Minuten wurde die Vorführung unterbrochen. Aber es ging. Von Anfang an habe ich mich darauf eingestellt mit der Tradition, das Kinopublikum sei bescheiden, aufzuräumen. Die Konkurrenz der Großstadtvergnügungen ist groß. Wer den Leuten nicht viel bietet, hat gar keine Aussicht, à la longue Geschäfte zu machen. Das Beste ist gerade gut genug, sonst kommt der Film ins Hintertreffen. Hauptsache ist eine gerade Linie. Die habe ich im Mozartsaal gehalten und im Capitol bis zuletzt. Filme von Qualität in erstklassiger Aufmachung, gute Ware für gutes Geld. Die Leitung der Uraufführungstheater der Ufa ist eine dankbare und schwierige Aufgabe. Mir erscheint vor allem wichtig, in den einzelnen Häusern die individuelle Linie herauszuarbeiten. Jedes dieser Theater muß ein eigenes Profil zeigen. Wie das im einzelnen aussieht, kann man heute natürlich noch nicht sagen. Noch steht uns ein schwieriger Sommer bevor, der zu überwinden ist. Ob Bühnenschau oder nicht, literarisch oder long run, das sind Prinzipienfragen, und mein Prinzip ist es bisher gewesen, keins zu haben. Ich habe immer Wert darauf gelegt, mein Publikum vom psychologischen Standpunkt aus zu sehen und habe die Erfahrung gemacht, daß man auf die Dauer nur mit guten Sachen wirklich Geschäfte macht.“ Anonym (d. i. Hans Feld) Film-Kurier Nr. 76, 28.3.1928. Freundlicher Weise abgeschrieben von Eva Orbanz, (weil die Fotokopien von den Mikrofilmen schlecht lesbar sind.)
“Bereits 1973 – also noch in der Amtszeit Bauers – wies der Filmhistoriker Wolfgang Becker (1943–2012) darauf hin, dass Alfred Bauer in der Reichsfilmintendanz gewirkt hat und dort einer ihrer beiden Referenten war. Auf diese enge Verstrickung mit der Reichsfilmintendanz und damit zum NS-Propagandaapparat machten auch Hans Christoph Blumenberg (1993), Felix Moeller (1998) und Tereza Dvořáková und Ivan Klimeš (2008) aufmerksam, ohne dass es zu Reaktionen der deutschen oder internationalen Presse gekommen wäre.“
Aus dem Buch: Zur politischen Ökonomie des NS-Films von Wolfgang Becker, Berlin, Verlag Volker Spiess 1973: Seite 199 “ . . . Allgemeiner Stellvertreter des Reichsfilmintendanten war Dr. Walther Müller-Goerne, Referent in der Reichsfilmkammer bis zu seiner Ernennung. Ihm war die Regelung des gesamten Geschäftsganges übertragen: Besetzungsfragen, Vertragsabschlüsse, Einsatzkontrolle, Filmgestaltung usw.. Unterstützt wurde Müller-Goerne hierbei von Dr. Alfred Bauer, der ebenfalls Filmkammer-Referent (Fachschaft Film) war. Siehe: 539)
[Anmerkung 539: Die Beurteilung der Partei-Kanzlei lautete: “Eifriger SA-Mann (BDC-PKC Akte Bauer). Bauer selbst sprach von einem „nachweislich erzwungenen Partei-Eintritt“
(Vgl. die Rechtfertigungsschrift Bauers: “Wie entstand ein Film im Nazi-Deutschland“ vom August 1945, die allerdings wenig informativ ist, da sie lediglich den Leistungssteigerungserlaß wiedergibt; Ufi-Ffm 21/088)]
Interview mit Walter T. am 29. März 2011 (10.198 Zeichen) Geboren am 6. Oktober 1935J.M.: Wann genau sind sie geboren?
W.T.:
Am 6. Oktober 1935.
J.M.:
Erinnern sie da aus ihrer Kindheit noch irgendwas, was sie da noch
erlebt haben? War das schon hier in dieser Siedlung?
W.T.: Ich hab hier . . . also in dieser Siedlung nachdem ich aus der Klinik gekommen bin mit meiner Mutter gelebt bis . . . ich zu meinem Vormund gekommen bin . . . Und da war ich also . . . da war ich neun . . . vorher war ich . . . wie die Verhaftung war ich achteinhalb. J.M.: Wann war genau die Verhaftung?
W.T.: Müsste ich in irgendwelchen Sachen gucken . . .
J.M.:
Steht auch vorne an der Tür . . . das war 1944 . . .
W.T.:
Das war 1944, das war im Frühjahr.
J.M.:
Wie alt waren sie da?
W.T.:
Da war ich achteinhalb.
J.M.:
Achteinhalb . . . und entsinnen sie da noch irgendwas? Auch vorher
noch was, was sie so als Kind noch erlebt haben oder so ?
W.T.: Also hier in der Berner Siedlung war ja . . . praktisch sone Insel, wo es nicht ganz so schlimm war . . . umging . . . ich weiß wir mußten irgendwann kriegten wir son Ding an die Hauswand, da mußten wir dann zu bestimmten Tagen ne Fahne reinstecken, meine Eltern hatten aber kein Geld für ne Fahne, ham sie gesagt, ne und ham sich denn . . . so ein . . . das kleinere häßliche zusammengenäht . . . nur um der Vorschrift genüge zu tun . . . das sind so Sachen . . . also das da denn sowas hing, warum sie ne kleinere, das hab ich natürlich nicht erst später . . . hintergekommen. Man macht sich ja also auch nicht so viel Gedanken . . . als Kind . . . da hat man andere Probleme . . . denn die Probleme, die die Erwachsenen hatten, mit dem Regime, da erfuhren wir nichts von. Durften wir nichts von erfahren, denn es war ja so . . . Spielkameraden wo . . . die aus dem Hause wo also NS begeistert waren und wenn ich mit dem über was geredet hätte was ich wenn ich was gewußt hätte . . . dann hätte der das seinen Eltern . . . und dann wär das schlimm gewesen. In der Schule waren also einige der Lehrer auch darauf aus die Kinder in die Richtung auszufragen, abzuklopfen vor allen wo man wußte, aus welchem Haus sie kommen . . . Mein Vater war hier im Gemeinderat und da wußte man natürlich, wo er steht, politisch und wurde man natürlich angebohrt von Lehrern . . . hab ich es bewußt nicht mitgekriegt ich konnte ja auch nichts sagen, weil ich nichts wußte. Das war also bewußt. so . . .
J.M: Haben ihre Eltern dieses Haus gebaut? Oder ?
W.T.: Nein dies ist eine Genossenschaft . . . eine . . . in den zwanziger Jahren gegründet . . . wurde . . . der sogenannte Gartenstadtgedanke . . . war geplant . . . das wurde also sehr viel in Eigenhilfe gemacht und das man dann später das in eigen ist es als übernehmen konnte. Und denn kamen aber die erste große Wirtschaftskrise und dann ging das nicht mehr und dann wurde das in eine Genossenschaft umgewandelt . . . ich meine, das gesagt wurde da . . . hat hier . . . je . . . eine Sparkasse oder die . . . na wie heisst sie noch die Landwirtschaftliche Geschichte . . . die hat also hier . . . auch im . . . im Buut (?) und auch am Bahnhof und so weiter auch noch die Felder zum Teil noch bewirtschaftet über einen Pächter und die haben also . . . Geld auch reingeschossen und dann Genossenschaft . . . es wird also nie mehr Eigentum Es wurde hier sehr viel in Eigenhilfe gemacht, die Strassen zum Teil wurden planiert und mit Grand und so weiter . . . Asphalt und so was gabs damals ja alles oder war nicht nötig, kamen paar Begrenzungssteine und das wars dann. Es wurden zum Teil für die Fussböden noch aus dem Wald der zum Teil noch . . . was gerodet wurde, zum Teil sollen Fußbodenbretter selbst gesägt worden sein, die anderen, die Häuser, die da hinten sind, diese Putzbauten da haben sie also selbst Mauersteine gebacken, in der Scheune, wo jetzt das Volkshaus ist, da war ne Scheune und da wurde zum Teil also die Steine selbst fabriziert und denn verbaut, also sehr viel in Eigenhilfe . . . aber . . .
J.M.: Was war ihr Vater von Beruf?
W.T.: Der war Dreher. Heute heisst das ja Zerspanungstechniker . . . ja das hat alles ja neu Namen. Naja, er war also Dreher. Hat also gelernt bei der Vulkan Werft . . . oder . . . nen Tochterunternehmen . . . oder was weiss ich . . . mein Großvater kam aus Stettin von der Vulkan Werft . . . als Schmied und ob er nun hier sich her nach Hamburg beworben hat oder versetzt wurde, weiß ich nicht. Ich konnte ihn nicht mehr fragen. Also, der ist bevor ich geboren wurde ist der schon verstorben und wenn man anfangt sowas zu fragen , dann wäre er ja noch älter gewesen. Ne also, der war Schmied und seine drei Söhne, die mit her gekommen sind, der eine war auch Dreher und der andere war Tischler, der hat nachher . . . hier in Hamburg im Hamburg im Arbeitsamt war er tätig, hat die Tischler betreut . . . nach dem Krieg, ja das war also . . .
J.M.:
Und ihre Mutter, hat die auch einen Beruf gehabt?
W.T.: Ja, die war Kontoristin . . . sagt man dazu . . . hat man das früher wohl genannt, die hat also im Büro gearbeitet . . . und zwar in verschiedenen gewerkschaftlichen Sachen . . . in . . . das hab ich aber auch dann nur gehört . . . in Bäckerverband und nachher auch im Transportarbeiterverband und hat über die Gewerkschaftsbund also bei der Gewerkschaftsarbeit meinen Vater näher kennengelernt, der also bei der IG . . . bei der Metallarbeiterverband hiess das früher . . . Metallarbeiterverband auch ehrenamtlich tätig war so nebenbei . . . Gewerkschaft . . . den
J.M: Wissen sie noch, wo er zuletzt gearbeitet hat ?‘
W.T.:
Das hiess Spillingswerk, was die gemacht haben, weiss ich nicht. Ich
war mal mit meiner Mutter da und es war ja als Kind natürlich
faszinierend, wenn da diese Stahlspäne so vom Drehstahl . . . vom
bunten . . . sich so langsam durch den Raum schlängeln so . . . so
das war also ganz interessant, aber was er da gedreht hat . . . es
muß . . . im nachhinein kann man das so vermuten . . . also in der
überwiegend in der Rüstung gewesen sein . . . denn er war uk
gestellt . . . nannte sich das ja damals . . . also unabkömmlich im
Wehrpass war abgestempelt . . . er mußte also in der Rüstung . .
. vermutlich . . . oder für die Rüstung arbeiten.
J.M.:
Ihre Eltern waren in der Kommunistischen Partei, oder?
W.T.:
Ja, also mein Vater, soviel ich
entnehmen konnte, was man so hört, liest oder noch gefunden hat,
ja, meine Mutter kam aus der SAJ, das war die sozialistische
Arbeiterjugend, die Jugendorganisation der SPD . . . die Kinder, die
da vor waren, das nannte sich Kinderfreunde und ab einem gewissen
Alter war es die SAJ , nach dem Krieg die Falken . . . das ist also
. . . naja. Sie ist denn nachher aber in der USPD gewesen und von da
aus nachher auch in die KPD. Also so. Ob sie vorher in der SPD war,
weiss ich nicht . . . als Kind interessiert man sich nicht und
fragt da nicht nach und weiss gar nicht was das ist. So ungefähr.
Also das immer nur so im nachhinein, was man denn so zum Teil
gefunden hat in Schriften und so weiter oder . . .
J.M.:
Als ihre Eltern verhaftet wurden, da hatten sie ja gesagt, das hätten
sie noch miterlebt. Also . . .
W.T:
Ja
J.
M.: Können Sie das noch mal
schildern?
W.T.:
Ja, also mein Vater . . . der wurde von der Arbeit abgeholt, der ist
gar nicht mehr erst nach Haus gekommen. Und meine Mutter . . . wir
hatten ja auf der Strasse . . . Stück weiter . . . Fußball
gespielt . . . mit nen paar . . . und denn kam hier n Auto . . .
kam hier ein Auto vorbeigefahren . . . ich glaub das war Wanderer war
das . . . son komisches W war da vorne . . . habe ich also nachher
erst . . . das das so einen Typ gab . . . ne . . . und denn stiegen
zwei Männer in langen braunen . . . schwarzen Ledermänteln aus und
gingen ins Haus . . . da wird man natürlich neugierig und guckt . .
. aber naja . . . aber dann haben wir aber weitergespielt und dann
hat meine Mutter mich reingerufen . . . und denn sassen die beiden
Kerle da und . . . Bücherstapel . . . Bücherschrank leer geräumt.
Radio hatten sie mitgenommen . . . oder da erst mal hingestellt . . .
nachher mitgenommmen und dann also ich . . . wenn ich so die
Körpersprache meiner Mutter . . . war Alarmstufe für mich . . .
ich konnte das nicht . . . irgendwie sagen, was das nun ist . . .
aber ich wußte das Alarmstufe Vorsicht
. . . dann hat man versucht, mich auch auszufragen . . . nach
Onkel Max . . . das war der Max Heykendorf, der untergetaucht war . .
. den sie gesucht hatten . . . da hatten sie nachgefragt . . . und
noch einen . . . einen . . . einen Bruns oder Brun, aber den kannte
ich gar nicht, der soll aber hier auch übernachtet haben und
untergeschlüpft sein und tagsüber war er denn irgendwo anders so .
. . aber das habe ich als Kind nicht mit gekriegt. Ich weiss nur,
dass wir da oben ne Abseite hatten und . . . .
J.M.:
Unterm Dach?
W.T.:
Unter der Dachschräge war ne
Abseite, die hab ich jetzt rausgenommen, damit der Raum grösser wird
. . . aber (lacht) und da war so ne Ausbuchtung von dem vorderen
Fenster und da konnte man so rumkriechen und dahinter . . . da
haben denn auch welche übernachtet . . . in der Anfangszeit . . .
was ich noch genau . . . also . . . das hat man mich ausgefragt
nach allem möglichen aber . . . weiss ich nicht . . . weiss ich
nicht . . . das war . . .
J.M.:
Wissen sie noch wann das genau
war? Das war ja sicher lange bevor sie ermordet worden . . . sag ich
mal so? Oder welche Formulierung haben Sie dafür?
W.T.:
Bitte?
J.M.:
Lange bevor Ihre Eltern ermordet wurden, nehm ich mal an . . . war
das ja?
W.T.:
Ja das war an dem Tag, an dem
sie verhaftet wurden. Sie sind also Anfang 44 . . . ja dann haben
sie . . . dann hat meine Mutter gesagt . . . ich muß jetzt mal
mitfahren mit dem Auto, die haben Bücher und Radio eingepackt . . .
und Du gehst rüber zu Frau Lübcke, die wohnte denn in Nummer 23 und
heute abend dann kommt Tante Erna, die war mit ihrer Tochter, die
waren ausgebombt in Habichtstrasse Barmbek, da in der Ecke ham die
gewohnt . . . Dieselstrasse . . . waren ausgebombt . . . die hatten
wir dann hier aufgenommen . . . der Mann war als Soldat irgendwo an
der Front . . . und die war aber mit ihrer Tochter in Hamburg
gewesen, hatten da Verwandtenbesuche gemacht und sollte erst abends
nach Haus kommen. Ob . . . und das sind so Vermutungen . . . die man
hat sie bewußt da zu irgendwo zu jemand hingelockt, damit sie nicht
hier ist . . . es sind nur Vermutungen . . . das kann man nicht . .
. sagen das das so war . . . wird so zum Teil so vermutet . . . ne
das man sie bewußt hier nicht haben wollte . . . he . . . die
Beamten . . . die Bekannten, da irgendwo nen Tipp gekriegt haben .
. . lad die doch mal ei . . . so ungefähr . . . weiss ich nicht . .
. kann sein . . . ja und denn . . . kamen die nachher abends rüber
und ich wieder her und denn hab ich meine Eltern nie wieder gesehen .
. . also . . . das war also . . . mann . . . zu Anfang ist das ja
so, da denkt man . . . naja die kommen wohl irgendwann wieder . . .
aber was . . . also man weiss denn auch nicht . . . man macht sich
Gedanken . . . warum und weshalb . . . warum sind sie nicht da. warum
kommen sie denn . . . so ungefähr . . . warum lassen sie mich hier
allein . . . solche Gedanken hat man als Kind . . . denn natürlich
. . .
J.M.:
Waren sie ein Einzelkind? Oder waren da noch Geschwister?
W.T.:
Ich war als Einzelkind übrig geblieben. Ich hab also einen älteren
Bruder gehabt, der noch vor meiner Geburt gestorben ist. Damals war
ja die Kindersterblichkeit relativ groß . . . oder größer wie
jetzt . . . er hatte irgendwie . . . ne Krankheit . . . irgendwo . .
. mit Durchfall und was weiss ich nicht alles . . . und hat das also
irgendwie vielleicht auch . . . nach damaligen Gesichtspunkten . . .
nicht vielleicht nicht ganz richtig behandelt oder wie oder was aber
er ist verstorben und meine Schwester, die nach mir geboren wurde,
die ich also nur gefühlt hab, wie sie im Bauch gestrampelt hat von
meiner Mutter . . . das durfte ich dann auch, guck mal das hier . .
. das ist dein Bruder oder Schwester . . . wußte man damals noch
hatte ja damals kein Ultraschall . . . also naja . . . die ist aber
aus dem Krankenhaus gar nicht rausgekommen. Da waren also . . . das
Herz soll auf der falschen Seite gewesen sein und noch ein paar
organische Schäden, die also . . . nicht überlebensfähig waren . .
. und somit bin ich praktisch der einzigste der nachgeblieben wurde .
. . entsprechend natürlich verpiepelt von meiner Mutter. Kann man
sich vorstellen . . . ne, zwei verloren, jetzt müssen wir aber
aufpassen . . . ne . . . ich weiss, da hatten wir so komische lange
Strümpfe noch bis fast in den Sommer rein. Ich war kaum um die Ecke
habe ich sie runtergekrempelt . . . (lacht)
J.M.:
Oder das Leibchen . . .
W.T.:
Das Leibchen und diese Hemdhosen . . . das waren die Leibchen und mit
den Gummibändern . . . die wurde sofort abgemacht . . . und auf
dem Rückweg wieder . . . aber so Sachen . . . gut das waren so
Sachen . . . woran ich mich also recht genau erinnern kann . . .
hier hinten auf dem Hof . . . jetzt ist der Schuppen . . . weg . .
. . . . da stand son Schuppen dahinter war n Birnbaum und drunter .
. . hinter dem Schuppen und rundherum waren Johannisbeerbüsche
gepflanzt und in der Mitte war Rasen . . . so da konnte man Sitzen,
ohne gesehen zu werden und waren hin und wieder immer
Diskussionsrunden. Da kamen Leute, die ich nicht kannte . . . also .
. . aber eine Person, die war also . . . weil sie entsprechend etwas
größer war wie die anderen und . . . hat mich irgend wie
fasziniert . . . das war der Adolf Kummernuß . . . der spätere ÖTV
Vorsitzende . . . der Adolf Kummernuß . . . der kam mehr aus der
aus der sozialdemokratischen . . . Richtung und hier waren also auch
Kontakte zwischen den . . . obwohl die sich ja ne zeitlang . . .
was zwar idiotisch war . . . aber gut . . . praktisch bekämpft
hatten in der Hoffnung das . . . das sie nachher über die Stärkeren
sind, wenn das . . . der andere Spuk vorbei ist, aber der andere Spuk
ist stärker geworden, weil sie sich zum Teil
selbst behindert haben . . . also hier war so ne kleine Kontaktstelle
. . . ich weiss das von anderen, die hinterher gesagt haben, ja . .
. ich wir haben da auch immer mit deinem Vater und mit deinen Eltern
diskutiert und so weiter . . . Ich weiss auch, dass einige, die
damals bei der KPD waren . . . also hinterher . . . nachher gesagt
haben, ne also was die Kommunisten in Rußland machen gefällt uns
nicht, die sind dann nachher bei der . . . so ähnlich wie Herbert
Wehner, die sind dann nachher bei der SPD gelandet . . . solch gibt .
. . so einer, der hatte mich darauf hin mal angesprochen. Aber also
hier also war ne kleine Kontaktstelle und hier kamen auch . . . und
die die nach dem Krieg also auch hin und wieder . . . noch wieder
für mich gesorgt oder oder oder Behördensachen erledigt
undsoweiter . . . die Gertrud Meyer. Gertrud Meyer, die hat ja
Streiflichter aus dem Hamburger Widerstand mit der Ursel Hochmuth
geschrieben. Die Gertrud Meyer, die war mit unseren Eltern
befreundet, die kam hier öfter und wir waren auch da zu Besuch ja .
. . die hat da
J.M.:
Haben sie später mal
rausgefunden . . . wie das . . . das war ja wahrscheinlich die
Gestapo, die mit den grünen Mänteln . . . wie die da drauf gekommen
sind?
W.T.:
Es gibt dort verschiedene
Versionen oder Vermutungen. Und die Vermutungen wer dahinter stecken
könnte habe ich nie rausgekriegt, das hat man mir verweigert . . .
J.M.:
Die Akte?
W.
T.: Ne, habe ich nicht gesehen.
J.M.:
Aber es gibt eine?
W.T.:
Ja wahrscheinlich, die
Verhörsakte . . . hab ich nicht gesehen. Ne ich wollte also gerne
wissen, wer sie angeblich verpfiffen haben sollte. Gingen hier
Gerüchte in Berne rum, aber wenn ich fragte, sie wissen es nicht.
Sie hatten wahrscheinlich Befürchtung das ich dann irgendwie . . .
hochkommende Rachegefühle hab und dann da . . . aber gut. Das ist
also . . . mein Vater gehörte zu den Leuten, die kein Blatt vorn
Mund nahmen und es ist so, wenn der in der Hochbahn sass und kam von
der Arbeit und da war einer den kannte er gut aus der Bewegung heraus
oder so, dann fing er an mit dem zu diskutieren und das war immer
zieml . . . für die anderen oha Mensch Richard sei ruhig so
ungefähr . . . und manche sind also wenn sie gesehen haben, dass er
in die U-Bahn eingestiegen ist, in den nächsten Wagen gegangen, um
. . . nicht der Gefahr ausgesetzt zu sein dass da irgendwelche Leute
was mithören und sofort hinlaufen. Es kann also sein, daß diese .
. . ja ich weiss nicht ob das mutig ist . . . vielleicht auch schon
leichtsinnig zu bezeichnen, dazu geführt hat, dass ihn irgendeiner
angezeigt hat. Meine Eltern aber . . . es gibt eben auch die andere
Version, sie haben ja an dieser Widerstandsgruppe Bästler Jacobs
Absagen, mit der Gruppe haben sie zusammen gearbeitet oder waren da
mit bei und da soll einer . . . einen der gegen Franko gekämpf hat,
ein Spanienkämpfer, der soll da gefangen genommen worden sein,
umgedreht worden sein und hier nach Hamburg geschickt worden sein,
und der war denn als Maulwurf hier und hat dann verschiedene Sachen
hochgehen lassen. Das ist die andere Version.
J.M.:
Hatten sie auch mal versucht, das rauszukriegen, da irgendwie im
Staatsarchiv oder so?
W.T.:
Ne ne ich bin . . .
J.M.:
Es ist ja vielfach so gewesen, dass die Gestapo nicht so gut
organisiert gewesen ist, nicht so viele Spitzel hatte, wie es der
Staatssicherheitsdienst in der DDR hatte . . . Das die meisten durch
Denunziation aufgeflogen sind.
W.T.:
Es ist möglich, das die Version mit diesem Spanienkämpfer scheint
mir wohl die richtige zu sein. Ich weiss das nicht. Denn die wußte
ja auch verschiedene Namen und nach denen er gefragt hatte
undsoweiter.
J.M.:
Hat es denn einen Prozeß
gegeben?
W.T.:
Nein, es ist ohne Prozeß . . .
sie sind ohne Prozeß . . . sind auch nicht hingerichtet worden . .
. offiziell . . . mein Vater hatte es . . . durch die viele
Arbeit und schlechte Ernährung . . . er hat nachher in Neuengamme,
aus einem Brief geht das hervor, der er geschrieben hat . . . meinen
Großeltern, dass er wieder als Dreher arbeitet . . . und mit
Neuengamme, das habe ich dann auch mal wieder gehört und gelesen
hatte Mauser mit Häftlingen zusammen gearbeitet . . . also da hatte
er wieder als Dreher gearbeitet . . . Mauser war ja
Waffenhersteller, nicht nur Schieblehren, sondern auch Waffen . . .
also.
J.M.:
Schieblehre hab ich ja noch.
W.T.:
(lacht) Ja, ja der hat auch Waffen, Pistolen und Gewehre und so was
gebaut.
J.M.:
Im KZ?
W.T.:
Im KZ oder ausserhalb, denn
wurden sie eben irgendwo hingebracht in die Werkstatt und denn abends
wieder zurück. Da ist er also krank geworden und ist angeblich an
der Krankheit verstorben, ob er jetzt nun auch Folter ausgesetzt war
in Verhören, wissen wir nicht. Es ist zu vermuten. Bei meiner
Mutter war das so sich an Verführers Geburtstag erhängt haben, am
20. April war das glaub ich soll sich am 20. April am Bettgestell
erhängt haben. Es gibt da eben Sachen . . . die sagen, man wollte
sie erpressen, wenn sie nichts sagt, dann komm ich ins Heim, damit
wollte man sie erpressen. Sie wollte aber nichts sagen. Das ist die
einer Version und die andere Version ist an diesem Tagen wurde unter
den Wachmannschaften heftig gefeiert und gesoffen und da kam es zu
Übergriffen. Weiss ich nicht. Fuhlsbüttel. War ja Frauengefängnis
und meine Tante, in dem Haushalt bin ich ja auch groß geworden, sein
Vater war denn noch mein Vormund
(Ende
Band 1)
(Band
2)
J.M.:
Wo waren wir? Bei Detlev.
W.T.:
Ja, also bei meiner Tante, die war mit ihren Eltern . . . also mit
meinen Großeltern zusammen noch zu Leichenschau . . . und die hat
gesagt . . . so sieht keiner aus, der sich erhängt hat. Weil sie
auch schon . . . mal praktisch . . . Erhängte gesehen hat. So kann
. . . ne . . . die muß anders umgekommen sein. So . . . aber wie,
weiss man nicht . . . das war . . .
J.M.:
In welcher Schulklasse waren sie als ihre Eltern abgeholt worden sind
?
W.T.: Ich war ja in der zweiten . . . hier in der Berner Schule . . . so ich war also in der Berner Schule . . . der Lehrer, den wir hatten, der schien ziemlich . . . naja . . . neutral zu sein, aber ich weiss das nicht genau, der war . . . der war hier mit einigen zusammen in der Klasse, die immer noch in Berne wohnen . . . früherer Sportsamtsleiter Heiner Widderich . . . der wohnte hier am Ende Moschlauer Kamp . . . oder . . . Rudolf Burack,
der
Betriebsrat im Springer Verlag nachher war, mit dem waren meine
Eltern auch befreundet und der Vater war aber im Krieg gefallen naja
also, hier bin ich groß geworden . . . und ja wie das mit meiner
Mutter dann . . . weiss ich nicht . . . also . . . das war eben .
. . so offiziell, soll sie sich erhängt haben . . . und na . . .
man weiss es nicht . . .
J.M.:
Denen ist ja eigentlich nix zu glauben.
W.T.:
Ja . . . nach dem Krieg hat sich denn der Adolf Kummernuß auch ein
bißchen drum gekümmert, der hat dann über die . . . ÖTV, wie sie
dann nach dem Krieg . . . mir eine kleine Zusatzrente . . . 50,00
Mark im Monat oder so hab ich da gekriegt . . . das weiss ich noch .
. . bis ich dann selbst in die Lehre kam und denn . . .
J.M.:
Was haben sie da gelernt?
W.T.:
Ich hab ja . . . heute nennt sich das Konstruktions Mechaniker
J.M.:
Maschinenschlosser?
W.
T.: . . . Stahlbauschlosser
. . . beim
Kampnagel. Den Kranbau.
J.M.:
Hatte ich auch Leute, die in meiner Berufsschulklasse waren von
Kampnagel. Ich hab doch HDW gelernt.
W.T.: Bei Kampnagel habe ich gelernt und denn bin ich vorher hin noch mal zum Gewerkschaftshaus . . . mich bedankt . . . hab ich zum Abschied noch ne Armbanduhr geschenkt bekommen . . . und die Frage war, was machst du, was lernst du auch bei Kampnagel . . . bist denn schon in der Gewerkschaft . . . ich sach . . . ne noch nicht, aber das ist für mich also ganz klar..und denn sagte er . . . Moment, denn is er runtergegangen . . . kam er wieder mit Mitgliedsbuch . . . März schon bezahlt . . . April mußt du selbst bezahlen, sagt er, denn bist du in der Lehre . . . denn bin ich also gleich ab ersten Tag in die Gewerkschaft . . . ich bin also . . . es hat bei mir . . . wollen wir mal ein büschen zurückblenden . . . ich war ja hier . . . nachdem mein Vater verstorben war . . . mußte mein Onkel, mußte einer die Vormundschaft übernehmen . . . das hat mein Onkel gemacht . . . und dat güng aber nur , wenn ich da wohn . . . so . . . und nun ist das
J.M.:
Das war jetzt Detlevs Vater?
W.T.: Detlevs Vater . . . und hier dieses Haus . . . was also meine Eltern . . . man muß sagen . . . die Satzung sagt, das Nutzungsrecht in grader Linie vererbbar . . . So nun war ich Erbe für dies Nutzungsrecht . . . in vielen Gartenhäusern wurden eben auch Verfolgte rausgeschmissen und wurden Nazis reingesetzt . . . hier hat der damalige Geschäftsführer . . . ich glaub Ahrens hiess der . . . oder so . . . aber . . . bin ich nicht ganz sicher, gesagt, nein (klopft auf den Tisch dreimal) . . . das schreiben wir auf den Namen von Walter T. . . nur ich war nicht wohnberechtigt . . . und ich wohnte ja auch gar nicht mehr . . . ich wohnte ja bei meinem . . . Dings . . . und denn hatten wir ja aber die Ausgebombten noch wohnen und dann nachdem . . . deren Häuser . . . die haben dann also hier gewohnt . . . praktisch als Untermieter bei mir . . . komische Konstruktion . . . aber . . . das ist wieder die andere Seite, es gab auch bei den Nazis vernünftige Leute . . . oder . . . oder . . . vernünftig kann man da nicht sagen . . . vernünftige Leute sind keine Nazis geworden . . . aber, es gab also Leute, die bißchen humaner waren . . . ne das kriegt der Sohn und so weiter . . . und deswegen bin ich nachher . . . wie ich geheiratet habe, gleich wieder hier rein . . . so lange habe ich bei meinem Onkel und Tante gewohnt . . .
J.M.:
Entsinnen sie noch wie man sie als Kind behandelt hat? Weil ja
wahrscheinlich bekannt war . . . dass.
W.T.:
Also hier in der Berner Schule war das natürlich bekannt. Aber in
dem Moment . . . also von der Verhaftung im Frühjahr bis zum Herbst
. . . bis zum Tod meines Vaters war ich hier noch an der Schule und
dann kam ich nach Oldenfelde . . . weil mein . . . die wohnten
damals in der . . . heute heisst sie Wolliner Strasse . . . früher
hiess sie Farmsener Strasse . . . wohnten in der Farmsener Strasse
und von da sind wir in der Oldenfelder Schule mit meinem Cousin . .
. mit Detlevs . . . ja Detlev ist der jüngste, da ist der
zweitjüngste Bruder . . . in einer Klasse . . . der ist also ja .
. . vier Monate jünger wie ich, ich bin im Oktober und er ist im
Februar geboren nich . . . also . . . waren wir in einer Klasse und
da wußte das keiner . . . und den Lehrern hatte man das halt eben
nicht gesagt . . . die Eltern sind . . . im Krieg umgekommen . . .
um . . . damit ich von einigen . . . und wir hatten da eine
Lehrerin, das war . . . die war so nicht ganz . . . die hat man
zwar nachher übernommen, weil es keine anderen Lehrer gab . . . aber
. . . das war sone Nazi Tante . . . aber . . . wußte man das
halt nicht erzählt. Und denn sind wir, als denn meine Großeltern
starben . . . also die Eltern von Detlevs Mutter . . . wo wir vorher
gewohnt hatten in der Wolliner Strasse . . . das war der Vater von
Detlevs Vater . . . und der hatte . . . sein Vater hatte noch zwei
Schwestern . . . die eine wohnte aber in drüben in irgendwo . . .
Riesengebirge . . . ist aber denn mit Krieg oder mit hergeflüchtet
und die andere war hier irgendwo in Norddeutschland Krankenschwester
und da hatten sie also erst den Vater von meinem Onkel . . .
praktisch hat meine Tante mit versorgt . . . der war ja allein, er
war Witwer . . . aber wie denn mein Großvater starb . . . also von
Detlevs Mutter der Vater dann konnte meine Oma da am Knill . . . mit
dem Haus und Garten nicht alllein zurecht kommen und denn haben sie
gesagt, denn ziehen wir dahin . . . und denn bin ich nach Farmsen zur
Schule gekommen. Ich weiss sie hatten . . . um jetzt noch mal wieder
auf Schule zu kommen . . . einen Lehrer hatten wir . . . das war ein
Fachlehrer . . . ich sag nicht, was der immer unterrichtet hat . . .
jedenfalls hatten wir bei dem Physik oder Chemie oder irgend sowas
. . . und wenn der aus dem Lehrerzimmer kam . . . riß er die Tür
auf: Heil Hitler, dann machte er die Tür zu, guten Morgen Jungs . .
. (lacht) also der . . . der mußte nach aussen hin . . . das sind
so Sachen . . . so einzeln Sachen, die . . . sind dann irgendwo . .
. das sind Erlebnisse . . . die hat man gespeichert . . . und das
weiss ich noch . . . ja und und den Lehrer, den wir dann in Farmsen
hatten, der war kurz vor der Pensionierung, das war auch ein Altnazi
. . . und dann hatten wir einen gekriegt . . . der war als Lehrer
sehr gut . . . war . . . inzwischen hat man sich ja politisch auch
ein bißchen . . . würde sagen . . . na . . . ein
deutsch-nationaler gewesen . . . aber kein Nazi, in dem Sinne, der
hatte noch irgendwo einen klein bißchen Land draußen in Schleswig
Holstein und ackerte da auch noch selbst und bei dem haben wir dann
verdammt viel gelernt . . . nech wir sind also . . . ich sag mal so
. . . aus der Volksschule entlassen worden . . . mit einem Niveau,
was heute die Mittelschule hat, ausser Sprachen, ausser Englisch . .
. in der Zeit, wo Englisch war, haben wir im Bunker gesessen, sag ich
immer so . . . also wir haben nicht viel Englisch gehabt . . . aber
. . . ja es kam nachher Englisch . . . aber den habe ich bewußt . .
. mich rauskatapultiert, in dem ich Mist gemacht hab und dann wurde
ich rausgeschmissen, ich wollte Englisch nicht . . . aus einem ganz
anderen Grunde . . . ich hätte zur Mittleren Reife . . . zum Oberbau
. . . hiess es ja damals und da war das Englisch Pflicht und das
wollte ich nicht . . . ich wollte, so schnell wie möglich auf
eigenen Füssen stehn, Geld verdienen, ich hatte immer son bißchen
das Gefühl, ich lieg meinem Onkel und Tante auf der Tasche. Ich
hatte zwar die . . . von der Gewerkschaft die kleine Rente und ich
hatte die Waisenrente von meinen Eltern . . . ne aber das . . . ich
wollte schnell selbst Geld verdienen . . . Das war so ein Grund,
dass ich bewußt gesagt hab, ne ich will Volksschulabschluß . . .
schnell raus in Büro . . . wollte eigentlich schon in der achten
Klasse abgehen, aber dann hat man mich aber . . . nee . . . damals
konnte man die neunte Klasse noch machen, ne ne machen wir alle. Und
der hat uns also so kann ich zwar auch nicht mehr Algebra mit zwei
Unbekannten . . . was ich gut noch genutzt hab war . . . er hat uns
Stenografie gelernt . . . das konnte ich in der Berufsschule gut
gebrauchen . . . das ist jetzt auch versandet, man braucht das
nachher nicht mehr . . . all solche Sachen hat er gemacht . . . also
das war gut . . . war ein guter Lehrer . . . muß ich schon sagen . .
. der ist mit uns auf Klassenreise gegangen . . . Fahrradtouren . . .
und all sowas ne . . . ins Zeltlager . . . Schulzeltlager . . .
und alles . . . das war also die schulische Sache . . . aber bevor
ich überhaupt wieder so bißchen sogenannten . . . an der
Gesellschaft, oder an dem Leben in der Gesellschaft mich erst wieder
mit eingebracht hat, das hat lange gedauert . . . ich hab mich also
in meinen Schmollwinkel zurück gezogen, wie man so schön sagt . .
. gut zuhaus in der Familie war es was anderes, aber nach aussen hin
immer . . . ogott . . . und sind das vielleicht auch so welche, die
son Mist gemacht haben und so weiter und . . . hat lange gedauert und
an sich hab ich da . . . oder hat mir da geholfen unser Nachbar . .
. der Sohn, der war beim Wandervogel . . . Bündische Jugend . . .
und der erzählte immer . . . hallo und machen . . . machen wir . . .
und das ist ja was . . . sag ich . . . da möchte ich mal mit . .
. ne sagte mein Onkel und Tante . . . das ist nicht im Sinne deiner
Eltern . . . wenn du so was machen willst, dann geh zu den Falken . .
. so . . . ja natürlich . . . dann hab ich da in der Klasse . . .
dann hatten wir in der Klasse einen Kameraden, der war in den Falken
. . . und denn haben wir da mal auf dem Nachhauseweg so geschnackt .
. . na dann komm doch mal mit und durch diese ganze
Gruppengemeinschaft . . . Gruppenerlebnis bin ich also so . . . das
war der Rückkehr wieder in die allgemeine Gesellschaft . . . sag ich
mal so . . . und da haben wir uns natürlich auch politisch
interessiert . . . und das war unten . . .
J.M.:
Detlev hat davon erzählt, dass die Mutter, seine Mutter immer
schlecht von den Kommunisten geredet hat irgendwie . . . ja die haben
da nen Fehler gemacht . . .
W.T.:
Ja natürlich . . . äh . . .
J.M.: Ja, sie war wohl mehr sozialdemokratisch . . .
W.T.:
Mein Großvater, meine Großeltern, von meiner Tante die Eltern, die
waren Sozialdemokraten durch und durch . . . ihr Bruder . . . ihr
ältester Bruder ist im ersten Weltkrieg schwer beschädigt worden
und ist später an diesen Kriegsschädenfolgen früher verstorben als
normal. So kann man das wohl sagen . . . dann hatte sie eben meine
Mutter, die war aber sechs Jahre älter wie sie, sie war die jüngste
und dann war da noch ein Bruder, der . . . war bei der Hamburger
Feuerwehr Brandmeister . . . und der ist also in Bremen . . . in
Bremer Einsatz . . . Hamburger haben da Bremen geholfen wie die .
. . da isser er . . . da ist ihm ein Balken ins Genick gefallen . .
. wollt er noch mal rein . . .
J.M.:
Während des Krieges?
W.T.: Ja, während der Bombenangriffe, da ist er umgekommen, der mußte aber um seinen Job zu behalten als Brandmeister bei der Feuerwehr . . . hatte er immer diese Wollhandkrabbe . . . wurde immer gesagt . . . ja . . . NSDAP Abzeichen, ja, ja, das mußte er, sonst hätte er seinen Job verloren . . .
J.M.:
Wollhandkrabbe . . .
W.T: Ja, genauso der eine Bruder von meinem Vater, der Otto, der nachher im Arbeitsamt war, der war nach dem Krieg SPD und der hat auch . . . wie er in der . . . während der KZ Haft ist seine Frau fremd gegangen und anschliessend war die Scheidung, wie er wieder raus kam . . . und der hat als Tischler keine Arbeit gehabt und ist denn . . . weil er früher auch wandern und so weiter . . . meine Eltern waren ja auch Jugendliche . . . in Jugendbewegung gewesen . . . eben nicht in der Wandervogelbewegung . . . das war die bündische . . . aber in der Arbeiterjugendbewegung und da ist er . . . da hat man ihm einen Job angeboten beim KDF . . . das ist diese Urlaubssache . . . der Nazis Kraft durch Freude . . . nannte sich das . . . und dann hat er da Wanderungen, Touren, Reisen organisiert. und da war mein Vater . . . das weiss ich . . . die haben sich da gekanzelt . . . bloß so ungefähr . . . ja das war also so, daß einige sagten, also . . . ich muß irgendwie überleben. Dann brauchte er auch nicht zum Militär . . . und der andere On . . . äh Bruder Bruno, der war auch Dreher . . . hat auch in der Rüs . . . der hat bei Kampnagel Dreher als Dreher gearbeitet . . . die haben auch teilweise Rüstung gemacht . . . und . . . also insofern . . . ja soll man das verurteilen? . . . also das haben ja viele, um ihre Haut zu retten . . . zumindestens . . . ein bißchen mitgespielt . . .
J.M.:
Es war ja von dem . . . den Fallada noch mal gelesen . . . ja
nicht noch mal gelesen sondern jetzt grade gelesen. Der ist also in
den USA jetzt grade so . . . Kleiner Mann . . . wie heisst der noch
mal . . . Jeder stirbt für sich allein, weiß ich nicht, ob sie das
kennen. Das ist war früher mal aufgelegt, das ist die Geschichte von
zwei Eheleuten . . . Eheleuten, deren Sohn im Krieg fällt, wie man
so sagt, irgendwie . . . und wo die Mutter dann anfängt . . . dann
fangen sie an so Postkarten zu schreiben, die sie überall hinlegen
und werden dann irgendwie aber nach zwei Jahren, obwohl das ganz
heimlich läuft also werden sie festgenommen und umgebracht im Knast.
Dieses Buch ist jetzt grade wieder . . . das kommt über Frankreich,
das ist zwar schon 46 in Deutschland erschienen und ist jetzt in den
USA ein großer Renner geworden, irgendwie . . . und jetzt hab ich es
mir denn auch noch mal geholt . . . Das ist eine differenzierte
Geschichtsdarstellung von so einer Berliner Paar.
W.T.:
Ja, das sind also so . . . da bin ich ja so langsam wieder ich
zwischendurch war ich auch dreimal verschickt . . . nicht von der
Schule, dafür war ich zu schwer, obwohl ich dünn war, ich hatte
immer das Gewicht, was man in meinem Alter haben mußte, aber ich war
eben dünn . . . verschickt von der vom Komitee ehemals politischer
Gefangener hiess das zu Anfang, daraus ist die VVN hervorgegangen und
die Arbeitsgemeinschaft verfolgter Sozialdemokraten . . . die haben
sich getrennt nachher . . . zuerst waren sie zusammen . . . als
Komitee ehemaliger . . .
J.M.:
Jetzt nach dem Krieg?
W.T.:
Nach dem Krieg . . . und von diesem Komitee oder nachher war das
wohl auch schon VVN war ich drei mal in Steinbeck . . . Steinbeck bei
Buchholz, da hatten sie ein Kinderheim . . . und da wurden wir dann
. . . einmal ernährungsmässig büschen aufgepeppelt . . . wir
wurden . . . hatten da nen Lehrer, der Unterricht ging weiter . . .
also weil wir da fast sechs Wochen oder was waren . . . wär der
Schulausfall wohl zu groß gewesen . . . und dann war ich noch von
Oktober bis Dezember in Dänemark bei Draning Mölle . . .
J.M.:
In welchem Jahr war das?
W.T.:
Das war . . . das war . . . schon nach dem Krieg . . . das war . .
. wann kann das gewesen sein? 1947/48 . . . ich glaub 47 muß das
gewesen sein, von Dezember bis Weihnachten . . . Neujahr warn wir
wieder hier . . . und da war das also noch so . . . das waren alles
aus ganz Deutschland Kinder von Opfern . . . vom NS Opfern . . .
Kopenhagen auf dem Hauptbahnhof mit Blitzlicht und allem möglichen,
ging durch alle . . . alle Zeitungen da in Kopenhagen . . . und wir
waren in der Nähe von Helsingör, kleiner Ort . . . Drönningmölle,
übersetzt heisst das Königsmühle , dronning ist der König, von
der Drohne bei den Bienen . . . aber na gut, also gut . . . also in
Dronningmölle waren wir und das in einem Hotel, das einer
Reederfamilie gehörte und im Sommer aber keinen . . . deswegen von
Oktober bis im Sommer war das also nicht belegt . . . da war nur im
Sommerurlaub damals, heute macht man ja auch im Winter an der Küste
Urlaub . . . aber damals war noch, da waren wir ein Vierteljahr . . .
und das war eigenartig . . . obwohl das also bekannt war , was wir
für Kinder waren . . . wenn wir auf der Strasse mit paar waren oder
gingen und haben deutsch gesprochen wurden wir ganz schief angekuckt.
Also ja, das war eigenartig . . . obwohl sie genau wußten, dass also
wir imgrunde ja nicht zu gehörten . . . jetzt wissen sie ja, wenn
Deutsche kommen, freuen sie sich, die bringen Geld mit . Aber gut,
das war aber damals, gleich nach . . . der Zeit . . . das sind so
Sachen, die man dann in Erinnerung hat . . .
J.M.:
Wann haben sie das erste mal so erzählt, was mit ihren Eltern
passiert ist und das das Kommunisten waren?
W.T.:
Also das hab ich ja . . . praktisch immer nur durch hier und da mal
gefragt . . . man hat mir zum Beispiel nie gesagt, dass meine Eltern
nicht mehr leben . . . das hat man mir nie gesagt, das hab ich nur so
dann . . . wenn man eins und eins zusammenzieht . . . dann und denn
nachher . . . wie das also klar war . . . ich mußte also
mindestens vier mal im Jahr mit Oma zum Friedhof . . . das hat mir
die Sache so verleidet . . . ich sach also . . . ich denk mehr und
öfter an meine Eltern, wie manch einer . . . aber ich brauch nicht
irgendwo ein bestimmtes Stück Erde hinlaufen, mir drei Tränen
abquetschen und wieder nach Haus gehen, das ist dummes Zeug sag ich,
brauch ich das nicht . . . aber das ist Ansichtssache . . .
J.M.:
Da ist ein Stein auf dem
Friedhof . . . in Ohlsdorf oder wo?
W.T.:
Mein Vater ist nicht auf
Ohlsdorf, der ist da nicht hingekommen. Die hatten in Neuengamme ein
eigenes Krematorium und die Asche wurde da verstreut. Ich hab dann
mal ein paar Führungen mitgemacht . . . und hab mir das mal
angekuckt und da sacht er . . . ja hier . . . hier ist irgendwo die
Asche verstreut und meine Mutter war beigesetzt worden im Grab ihres
ältesten Bruders, der also verstorben war durch die Kriegsein . . .
verwundung, das ist nachher aufgehoben worden, die Witwe von dem, die
wollte das auch nicht verlängern und meine Mutter ist . . . hat
jetzt eine . . . die Gedenkspirale im Garten der Frauen . . . das
war mir viel wichtiger als im . . .
J.M.:
Haben sie noch . . . so . . . Erinnerungen an die 50iger und 60iger
Jahre in Deutschland, was sie da so erlebt haben in Bezug auf ihre
Eltern . . .
W.T.:
Naja, ich war dann seit . . . acht . . . seit fünfzig . . .
seit fünfzig . . . seit neunundvierzig fünfzig . . . da waren wir
im Sommer viel unterwegs . . . Urlaub im Zeltlager . . . wir haben
also sehr viele schöne Erlebnisse und gemeinsame Touren und Sachen
gemacht und das ist nachher soweit . . . und wie wir nachher grösser
wurden und die Gruppe sich auflöste . . . altersmässig . . . da
haben wir dann noch jahrelang danach Zeltlagerbetreuung für andere
Kinder gemacht also Gästekinder, die keine eigene Jugendgruppe hatte
und so weiter . . . ich hab im Zeltlager immer den Technikbereich mit
abgedeckt . . .
J.M.: Mir fällt das so ein, weil ich selber bin Jahrgang 46 und hab selber sehr viel gefragt so bei meinen ganzen Verwandten wie das so war in der Nazizeit, bin auch oft mit meinem Vater da um Neuengamme rum gefahren, aber er hat nie erzählt, was das eigentlich genau war, ja und den einzigen, den ich eigentlich hatte, der offen mit mir umgegangen ist, war mein Onkel, der warn strammer Nazi gewesen in der Zeit. Der war in Bergedorf beim Briefmarkenverein und das war der einzige, zu dem ich irgendwie Respekt hatte, alle anderen, habe ich immer gedacht, mein Gott, ihr seid da dicht dran vorbeigelaufen am Bergedorfer Bahnhof, Bergedorf West und da sind irgendwie 500.000 Menschen >umgeschlagen< worden.
W.T.:
Müsst ihr doch gesehen haben.
J.M.:
. . . und ihr habt mir erzählt, ihr hattet das nicht gesehen,
was denn noch eine Erinnerung an diese 60iger Jahre oder sowas ist,
das ich als Kind immer dachte, also die Kommunisten hätten den Krieg
angefangen, weil das waren immer die Bösen, das waren die
Bösewichter. Das das eigentlich die Nazis waren, die den Krieg
angefangen haben, das habe ich erst viel später mitgekriegt . . .
W.T.:
Den Sender Gleiwitz da überfallen haben, damit fing das ganze ja an.
Da haben wir uns natürlich in der Jugendgruppe auch mit beschäftigt
mit diesen Sachen. Und da hatten wir aber Referenten und Leute, die
uns, was wir selbst nicht wußten, doch ziemlich offen über
gesprochen haben. Der Verwandten und Bekanntenkreis, das Thema war
son bißchen tabu, wollten alle nicht gerne darüber reden,
befürchteten, dass ich vielleicht zu viel Fragen stelle oder nach
der eigenen Haltung frag, wie sie sich verhalten haben Nazis und und
und, das war also . . .
J.M.: Das war das einzige, was der Christian Geissler sagt . . . Christian Geissler, sagt ihnen das was ? Der hat son paar Romane geschrieben.
W.T.:
Wer?
J.M.:
Christian Geissler. Der ist jetzt schon längere Zeit tot, gestorben
vor drei Jahren, der hat so mehrere Romane geschrieben unter anderem
einen über die Nazizeit, in der ein Polizist die Seiten wechselt.
(Ende
Band 2)
(Anfang
Band 3)
J.M.:
Wo waren wir, ja richtig Christian Geissler und der hat . . . der
ist vor ein paar Jahren gestorben . . . ist jetzt zwei Jahre her . .
. und der hatte gesagt, das einzige was den Deutschen nach dem Krieg
geblieben ist, ist ihr Antikommunismus, den durften sie behalten
W.T.:
Den durften sie behalten. Ja, da ist was dran . . . Also was wir
damals in der Jugendgruppe durchgenommen, ein Buch das gelesen haben
. . . so auf dem Gruppenabend mal ein zwei Kapitel, bis wir das
durch hatten, das war aus der Zeit des Sozialistengesetzes, das war
ja vor den Nazis . . . wie Bismarck die verboten hatte und da hab
ich also viele Parallelen . . . wie im Hintergrund oder im
Untergrund gearbeitet wurde . . . das hiess . . . Je dunkler die
Nacht, desto heller die Sterne oder so ähnlich . . . das hat mich
damals fasziniert und den anderen hier, den die Revolution entläßt
ihre Kinder von Wolfgang Leonhardt und solche Sachen auch gelesen und
verschiedene andere Sachen . . . . . . Der rechnet da ja mit
seinen eigenen ehemaligen Kommunisten ab. Sicherlich, das ist eine
Demo . . . eine Diktatur ist was ganz schlimmes, ist egal obs ne
rechte oder ne linke Diktatur ist . . . ne Diktatur ist immer
schlimm. Und das ist . . . ich sag immer . . . oder meine Meinung ist
. . . für einen Sozialismus ist der Mensch noch nicht reif . . . der
ist noch nicht reif . . . der muß zurückstecken . . . der wird
nach wie vor von seinen Urtrieben geleitet, das ist also der
Arterhaltungs und Selbsterhaltungstrieb und beide haben egoistische
Motive, ich muß der andere nicht . . . so und damit müssen wir von
runter eher funktioniert das mit dem Sozialismus nicht . . . weil
wenn da wieder eine Kaste rankommt, die mit mal auch nur wieder an
sich denken oder an ihr Umfeld, das hat man eben bei den Kommunisten
gesehen . . . ne eigne Führungskaste, die auch um diesen Macht . .
. diese Macht, die sie einmal hatten, vielleicht auch zum Teil
demokratisch noch bekommen haben, dass sie diese Macht nachher mit
allen Mitteln . . . allen schlechten Mitteln verteidigen . . . eben
auch zu Diktatur werden und das ist das, was mich also nicht von der
kommunistischen Idee trennt, aber von dem, was die Leute draus
gemacht haben . . . und wenn jetzt einer sagt, ich bin bekennender
Kommunist und sagt . . . ja was meint er denn damit? Meint er die
gute Idee, die gar nicht schlecht ist? Oder nur, weil er aus
Tradition so gewesen ist? Oder geworden ist, oder weil er sich
unterdrückt gefühlt hat und so weiter.
J.M.:
Haben sie Kinder?
W.T.:
Ja.
J.M.:
Wie denken die so?
W.T.: Ja die, meine Tochter hat sich da ne ganze Zeit lang auch, mit beschäftigt, die hat aber jetzt über Freunde und Bekannte eine Richtung . . . eingeschlagen . . . nicht politischer Art . . . politisch ist sie ok . . . da ist sie meiner Meinung nach auch auf den sozialen Bereich . . . sie ist nun in ein Gebiet durch Freunde reingekommen, wo ich nun gar nichts von halt, sie ist in ner freikirchlichen Gemeinde und mit Kirchen hab ich nichts am Hut. Ist egal mit welchen . . . welchen Glauben auch immer, das ist . . . man muß das glauben und nichts ist bewiesen . . .
J.M.:
Ist die hier in diesem Haus groß geworden?
W.T.:
Ja, ja . . . aber sie wohnt jetzt in Itzehoe . . . ne das ist durch
Schulfreundinnen und so weiter . . . ist sie da mitn mal gelandet.
Gut . . . Die freikirchlichen Gemeinde sind ja keine schlechten
Menschen, aber . . . eben diese, was jede Religion für sich in
Anspruch nimmt . . . diesen sogenannten Alleinvertretungsanspruch .
. . wir sind die einzig richtige Religion, das lehne ich ab . . .
und ich glaub an keinen Gott, an kein überirdisches Wesen, wer dran
glauben soll . . . soll er von mir aus, aber er soll nicht von mir
verlangen, daß ich das auch tue . . . Das ist eine Sache, wie ich
in die Lehre kam, mußte ich ja ne Steuerkarte . . . Lohnsteuerkarte
haben . . . Ortsamt in Farmsen und ich sag Steuerkarte . . . ja
und in welcher Kirche sind sie ich sag in gar keiner, schreibt sie
was hin fertig, krieg meine Steuerkarte als Lehrling war man ja . . .
hatte man immer so wenig, daß man keine Kirchensteuer bezahlte . . .
ich kriegte meinen ersten Gesellenlohn für drei Tage oder so, das
war immer . . . monatliche Abrechung, aber nen wöchentlichen
Abschlag . . . und da stand mitten mal 11 Pfennig Kirchensteuer . .
. da war ich aber verdammt noch mal . . . 11 Pfenning, ich rauf,
Werkstattschreiber, hier Lieschen da stimmt was nicht, ich bin doch
gar nicht in der Kirche, . . . guckt sich an, ja . . . ruf ich mal
im Lohnbüro an . . . sagt der im Lohnbüro, auf der Steuerkarte
steht aber lt. . . . das heisst evangelisch-lutherisch und ich sag
ja hab ich . . . dann hatten die da einfach das falsch
reingeschrieben. Ich sag, in zwei Wochen hab ich Nachtschicht, dann
hole ich mir die Steuerkarte und dann hin. Komm ich hin. Ich sag ich
möchte gerne hier den Irrtum aufklären und möchte das geändert
haben. Ja, sind sie denn nicht? Ich sag, nein, nein bin ich nicht, ja
dann möchte ich mal ihre Austrittserklärung sehen. Ich sag, ich . .
. sind sie Mitglied im HSV? Nein. Und wo ist ihre Austrittserklärung?
. . . Ja, nun das ist ja ganz was anderes. Ich kann das nur ändern,
wenn ich ne Austritts . . . Ich sag, ich bin in den Verein nicht
eingetreten . . . ich bin weder getauft noch konfirmiert worden,
meine Eltern haben . . . zu meinen Cousins auch alle gesagt . . . ab
16 bist du religionsmündig und dann kannst du machen, was du willst,
wir lassen alles offen, wir machen nichts. Das ist ja praktisch ne
Bevormundung, wenn man einen tauft und in die Kirche steckt, ohne zu
wissen, ob er das nachher will. Das haben die . . . meine Eltern,
Detlev und die auch alle nicht, meine Cousins, ich bin da nicht
eingetreten, ich bin nicht getauft nicht konfirmiert, das möchte ich
geändert haben, ich geh hier nicht eher raus . . . Ne das darf ich
nicht, ich hab so meine Vorschriften, ich sag, dann haben sie doch
sicher noch einen Vorgesetzten, vielleicht hat der nen anderen
Spielraum . . . Ermessensspielraum . . . telefoniert sie einen
Augenblick, später kommt er rein, da war das älteste Bruder meines
Gruppenleiters bei den Falken . . . da sagt er was machst Du denn
hier? Ich sag, hier so und so, schilder ich ihm das, ja sagt er,
machen sie ne Notiz er hat glaubhaft versichert, daß er nicht und
dann ändern sie die Karte . . . und dann ging das. Laut Anordnung
von. Dann hat sie das hingeschrieben und hat das geändert . . .
Wir waren von der Tochter da raus gekommen . . . also ich hab mit
Kirche nichts am Hut, wobei die durchaus gute Sachen machen, nur was
ist im Namen des Glauben alles für Unrecht geschehen auf der Welt
und geschieht noch. Obs nun heutzutage noch Kindermißbrauch oder
sonstwas ist . . . aber alles im Namen des Glaubens und der Religion
und was weiss ich nicht, ist sind auch nur Menschen . . . Der
Oberbeerdigungskasper da in Rom . . . ne der . . .
J.M.:
Ich hab ja jahrelang diesen Witz erzählt . . . als dann vor
drei Jahren . . . den kennen sie bestimmt auch . . . den mit dem
Snickers und mit dem Mars. Der Witz ist uralt, ich glaub ich hab den
schon von meinem Vater übernommen . . . da macht ein . . . Pastor
geht in Urlaub, der Küster, also der die Glocken da ziehen muß, der
macht sozusagen die Vertretung, bei der katholischen Kirche, also
auch den Beichtstuhl, und er hat ihm alles gesagt, was so gibt, so
viel dafür, so viel dafür . . . fünf Rosenkränze beten und so,
naja und jedenfalls sitzt er denn im Beichtstuhl und denn sagt denn
der da im Beichtstuhl sitzt . . . also ich hab Analverkehr gehabt .
. . guckt er in seine Liste . . . Analverkehr hat er überhaupt gar
nicht und denn kommen da zwei Jungs, so Messdiener vorbei und die
fragt er denn . . . und sagt was gibt denn der Pastor bei
Analverkehr? Mal ein Snickers, und mal nen Mars. Diesen Witz habe ich
jetzt . . . nen Snickers? ein Schokoladenriegel, jahrelang erzählt
und hatte nicht gedacht das das so realistisch ist . . .
W.T.:
Mal
nen Snickers mal ein Mars. Nein, den hatte ich noch nicht gehört.
J.M.:
Der war uralt. Als das rauskam irgendwie . . .
W.T.
: Ja, ja sowas gibt es . . . Ja da ist viel Schindluder gemacht
worden von Gläubigen, die Wunder wie hoch stehen und von der Moral
her und selbst . . . also deswegen ist das nicht mein Verein.
Muß
jeder selbst wissen.
J.M.:
Ich bin mal eingetreten, also mit . . . meine Eltern hatten mir
das auch freigestellt . . . ich war dann irgendwann überzeugt . . .
ich glaub mit dreizehn oder vierzehn habe ich mich taufen lassen und
dann auch kirchlich geheiratet . . . und dann 1971 bin ich dann
wieder ausgetreten.
W.T.:
Ich hab in der Schule hatten wir ja Religionsunterricht und wir
konnten uns befreien lassen und dann sagte mein Onkel, du kannst
jederzeit den Zettel kriegen, aber hör dir das ruhig mal an, dann
hab ich mir das zweimal angehört, und denn hab ich gesagt ne,
nächstes mal bring ich nen Zettel mit, ich möchte nicht mehr, wieso
denn nicht? . . . Ich sag ne, ich möchte Religionsunterricht haben,
kein Konfessionsunterricht, ich möchte wissen, welche Religion gibt
es auf der Welt, was sind deren Ziele und und und und wie sind die
strukturiert aufgebaut . . . undsoweiter, das möchte ich wissen,
ich möchte nicht hier das Vaterunser auswendig lernen . . . oder die
zehn Gebote . . . eins kann ich sowieso nicht unterstreichen, das ist
das das der Alleinvertretungsanspruch, du sollst keinen anderen
Herren oder so irgendwie . . .
J.M.: Das haben die aber alle.
Hinweise: Käthe Tennigkeit, geb. Schlichting, geb. am 2. April 1903, ermordet am 20. April 1944 im KZ Fuhlsbüttel. Richard Tennigkeit, geb. am 5. 09. 1900 ermordet am 12. Dezember 1944 im KZ Neuenamme.
Jens Meyer 20.05.2020 /Aufgenommen am 29. März 2011,
Durchgesehen 10. Februar 2020 Foto Jens Meyer (1985)
Taz Artikel vom 6. Februar 2015 von Henning Bleyl und ein Foto das wir gefunden haben im Anhang:Kühne+Nagel mauert Verwertung ohne „Relevanz“
Kühne+Nagel profitierte im „Dritten Reich“ nicht nur von der Judenverfolgung, es „arisierte“ sich auch selbst. Von alldem will das Unternehmen nach wie vor nichts wissen – sondern hält einen „kulturpolitischen Zusammenhang“ für möglich. BREMEN taz | Die große Sause, mit der der Logistik-Konzern Kühne + Nagel auf dem Bremer Marktplatz sein 125-jähriges Firmenjubiläum feierte, zieht zunehmend Kritik nach sich. Als „grenzwertig“ bezeichnete Bürgerschaftspräsident Christian Weber die weiträumige Absperrung auf dem Platz zugunsten eines von Sicherheitskräften bewachten Glaspavillons und Riesen-Trucks.
Dort stellte das Unternehmen eine opulent bebilderte Firmengeschichte dar – doch seriöses History Marketing ist etwas anderes: Dort hat sich als Standard herauskristallisiert, NS-Verstrickungen deutlich anzusprechen, um glaubwürdig am Markt kommunizieren zu können.
Das Unternehmen des Logistik-Milliardärs Klaus-Michael Kühne, als „Retter“ von HSV und Hapag-Lloyd gefeiert und für sein Sponsoring der Elbphilharmonie vom Hamburger Senat zum Professor ernannt, beharrt jedoch darauf, den Wachstumsschub von Kühne + Nagel im „Dritten Reich“ auszublenden: „Firmenintern gibt es keinerlei Dokumente zu der entsprechenden Zeitperiode“, schreibt das Unternehmen auf Anfrage der taz. Das gesamte Firmenarchiv sei 1944 verbrannt.
Um das zu widerlegen, genügt ein Blick in das Verzeichnis der Deutschen Wirtschaftsarchive: Der Bestände der Kühne + Nagel AG & Co werden dort ab 1902 mit zehn laufenden Metern angegeben: Urkunden, Akten, Protokolle, Geschäftsbücher – versehen mit dem Hinweis: „Benutzung nur mit Genehmigung der Geschäftsleitung“.
Läge die vor, erführe man genauer, unter welchen Umständen Mitinhaber Adolf Maass die Firma verließ. Deren Chronik von 1965, „Streiflichter einer bewegten Zeit“, berichtet nur, dass Maass im April 1933 ausschied, „um als Teilhaber in eine Großhandelsfirma seiner Verwandtschaft einzutreten“. Die Erwähnung der „Verwandtschaft“ verweist immerhin indirekt auf den Hintergrund: Maass war Jude.
Kühne + Nagel profitierte im „Dritten Reich“ also nicht nur durch Großaufträge im, Rahmen der „Verwertung“ jüdischen Eigentums, sondern auch durch „Arisierung“ im eigenen Haus. Maass war seit 1910 Teilhaber und baute unter anderem die Niederlassung Hamburg auf. Nach seinem Ausscheiden wurden die Brüder Alfred und Werner Kühne Alleininhaber.
Als 2006 in Hamburg-Winterhude ein Stolperstein für das Ehepaar Maass verlegt wurde, hat Ulrike Sparr in diversen Archiven nach Unterlagen gesucht. Dabei stieß sie auf die Aussagen von Adolfs Sohn Gerhard, der die Kühne-Brüder als „einflussreiche Nazis“ charakterisierte, die seinen Vater aus der Firma gedrängt hätten. Nachweisbar ist, dass Werner Kühne direkt nach Maass’ Ausscheiden in die NSDAP eintrat – mit einem jüdischen Mitinhaber wäre ihm das nicht möglich gewesen. Das Ehepaar Maass starb in Auschwitz.
Im NS-Staat ließ Kühne + Nagel seine Konkurrenten hinter sich, wobei ein direkter Draht zum Reichsfinanzminister half. Für Westeuropa erkämpfte sich die Firma ein Monopol: Fast 70.000 Wohnungseinrichtungen deportierter Familien aus Frankreich, Belgien und den Niederlanden transportierte sie nach Deutschland zu den „Judenauktionen“.
Es muss als wahrscheinlich gelten, dass Kühne + Nagel nicht „nur“ an der Verwertung von Möbeln und Alltagsgegenständen jeder Art beteiligt war, sondern auch an den Aktionen des „Einsatzstabs Reichsleiter Rosenberg“: Dieser hatte die Aufgabe, in den besetzten Ländern nach Kunstgegenständen und kostbaren Bibliotheken zu fahnden. Allein aus Paris gab es zwischen 1941 und 1944 29 Kunsttransporte, als Hauptdepot in Deutschland diente Schloss Neuschwanstein.
Dieser Kontext wird von der Firma wohl eher unfreiwillig angedeutet, in dem sie der taz erklärt: „Dass Kühne + Nagel in Möbeltransporte involviert war, ist unbestritten. Unklar ist jedoch, wer die Spedition beauftragt hatte, ob dies in einem kulturpolitischen Zusammenhang erfolgte und falls ja, ob die Durchführung wissentlich und willentlich geschah.“ Auf Nachfrage nach dem ins Spiel gebrachten „kulturpolitischen Zusammenhang“ heißt es, dieser bezöge sich auf die Möbel.
Nicht aufgearbeitet sind auch die Aktivitäten in Osteuropa. Ein Verzeichnis des „Generalbevollmächtigten für die Wirtschaft in Serbien“ aus den Jahren 1943/44, das im Bundesarchiv Berlin liegt, listet Kühne + Nagel als „Lieferanten“. Was da an wen geliefert wurde, könnte in der Chronik zum 125-jährigen Firmenjubiläum berichtet werden, an der das Unternehmen eigenem Bekunden zufolge derzeit arbeitet. Dem entgegen steht allerdings die Selbsteinschätzung, dass es „der Rolle von Kühne + Nagel in diesen Zeitperioden“ – gemeint sind der Erste und Zweite Weltkrieg – „an Relevanz mangelt“
Bildunterschrift: Kamen im KZ um: Der Kühne+Nagel-Mitinhaber Adolf Maass und seine Frau Käthe. Bild: Sammlung Elsbach/Maas
. . . Adolf Maass, der jüdische Teilhaber, hatte seit 1902 das Hamburger Geschäft aufgebaut und war später – bis 1933 – sogar größter Einzeleigner der Gesamtfirma. Zusammen mit seiner Frau wurde er, vermutlich 1944, in Auschwitz ermordet. Im selben Jahr bekamen seine früheren Kompagnons, die Brüder Kühne, zum wiederholten Mal ein Gau-Diplom als „NS- Musterbetrieb“ überreicht. . . . (Henning Bleyl, taz 25. 7. 2015)
Dimitry D. Rostowsky hatte 1989 eine Etikettendruckerei in der Oelkersallee 66 (direkt neben dem Oelkers Cafe, in der Oelkersallee 64, Hamburg Altona – gleichzeitig das Duckenfeld im Oelkers Cafe: Ein Kino mit 22 Sitzplätzen). Am 12. Juli 1989 führte ich mit ihm ein Gespräch über sein Leben. Er wurde 1942 von den Deutschen aus Kiew verschleppt. Damit das nicht verschwindet, habe ich dieses Gespräch am 12. Juli 1989 protokolliert.
Nach ca. einem halben Jahr mit Zwischenstationen u. a. in Warschau und Neumünster gelangte er unter SS Bewachung nach Hamburg. Zum Zeitpunkt der Verschleppung war er 19 Jahre alt und auf einer Kunstakademie (in Kiew?). Die Deutschen haben von allen Familien, in denen mehr als zwei Kinder waren, eins nach Deutschland deportiert. Seine Schwester hatte solche Angst und hat sich unter dem Sofa versteckt. Da ist er mitgenommen worden. Die Schwester haben sie später auch noch geholt, die hat dann in einer Eisengießerei (?) (Eisenfabrik?) in Görlitz arbeiten müssen.
Er kam dann in ein Lager für „Ostarbeiter“ in der Ruhrstrasse (in Hamburg Altona). Dort waren ca. 700 Männer und Frauen vorwiegend aus der Ukraine, der UdSSR und Polen. Sie arbeiteten für 15 Reichsmark im Monat in der Sperrholzfabrik von Heinz Meyer, „Holsatia“ in der Ruhrstrasse 57 – 59 (bis 1940: Kruppstrasse 57 – 59) in Hamburg Altona (Holsatia-Werke Heinz Meyer KG Hamburg). Die Fabrik wurde im Krieg zerstört. Einige Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen haben in der Fischfabrik (Leunastrasse/Schützenstrasse) gearbeitet. Der Inhaber der Firma der Sperrholzfirma, Heinz Meyer, war ein schlimmer Nazi. Einmal hat er einen „Ostarbeiter“, der sich gewehrt hatte, bei lebendigem Leib in den Ofen gesteckt. Menschen, die krank wurden, wurden sofort der SS gemeldet. Sie wurden abgeholt und sind nie wieder aufgetaucht.
Bei dem großen Bombenangriff mit Phosphor 1943 ist Dimitry R. in einen Bunker geflüchtet, der war total überfüllt. „Ostarbeiter“ hatten normalerweise keinen Zutritt. Während der Bombenangriffe sind drei Frauen geflüchtet, sind aber von der Gestapo „geschnappt“ worden. Sie gaben an, dass ein Pole ihnen gesagt hätte, das sie zu Bauern fliehen sollten. Der Pole wurde darauf hin auf dem alten Judenfriedhof öffentlich (alle 700 Ostarbeiter/innen wurden zum Friedhof geführt) hinter der Ruhrstrasse hingerichtet. Als sie dort ankamen, war bereits eine große Grube ausgehoben.
Die SS brachte dann den Polen, der gefesselte Hände hatte, die schon ganz blau waren, weil sie blutleer waren. Die SS hat ihm dann eine Pistole ans Genick gelegt und ihn erschossen. Dimitry R. erinnert sich noch daran, das das Gehirn rausgespritzt ist. Danach mussten sie wieder an die Arbeit. Teilweise mussten zwei Schichten hintereinander gearbeitet werden. Die Verpflegung war schlecht, aber oft haben ihnen Läden in Altona etwas zu essen geschenkt. Ein Schlachter hinter der Brücke, der hat Ihnen öfter Grützwurst geschenkt. Sie hatten einen Aufdruck OST, den sie immer tragen mussten. Wer ohne angetroffen wurde, bekam Schwierigkeiten mit der SS oder der Lagerleitung.
Nach dem Krieg hat Dimitry R. „Wiedergutmachung“ bekommen. Insgesamt 15.000,00 DM. Jetzt will ihm die Rentenversicherung die Jahre der Verschleppung nicht anrechnen. Die Rentenversicherung hat behauptet, das Lager hätte es gar nicht gegeben. Er musste in einem ersten Verfahren erst einmal beweisen, dass das Lager an der Ruhrstrasse überhaupt existierte, obwohl er von der britischen Militärbehörde einen Ausweis als Deportierter hatte. Den wollte die Rentenversicherung nicht anerkennen, weil sie in Englisch ausgefüllt ist. Auch die AOK hatte behauptet, von vor 1945 keine Unterlagen mehr zu haben. Jetzt hat er zwei Zeugen beibringen müssen, die bestätigen, dass das Lager existierte und er dort interniert war. Jetzt haben sie von der Rentenversicherung nur einen Monat für 1942 angerechnet, obwohl er doch bereits Anfang 1942 von den Nazis verschleppt worden ist.
Der Fabrikbesitzer Heinz Meyer (Holsatia-Werke Heinz Meyer KG Hamburg) wollte von ihm nach 1945 einen Persilschein* haben, dass er immer gut zu den 700 „Ostarbeitern“ gewesen sei. Diesen Schein hat Dimitry R. nicht unterschrieben. Heinz Meyer wohnte in Flottbek/Othmarschen, Noerstrasse 11. (Im Adressbuch von Hamburg, Strassenverzeichnis 1951 ist als Eigentümerin des Grundstücks eingetragen: Meyer, I. später: 1952-1965: Meyer, Frau Irmg.). Als Mieter: Meyer, Heinz, Fabrikt.). Heinz Meyer ist später gestorben. Hat aber seine Fabrik zurückerhalten, die sein Sohn später übernommen hat. Der hat jetzt eine teure Villa in Hamburg Othmarschen. Nach weiteren Recherchen stellt sich heraus: Die Firma hiess: >Holsatia-Werke Heinz Meyer KG< in Hamburg.
Fotos Jens Meyer
Holsatia 1912 -1945 ist ursprünglich ein jüdisches Unternehmen das von Julius Neumann 1869 – 1930 und Erich Buchholz (1893 – 1932) gegründet wurde. (Holsatia ist das lateinische Wort für Holstein und wurde daher oft für Firmennamen benutzt): 1912 Holsatia Neumanns Spezial Möbel Fabrik, Arnoldstrasse 16 – 20 Geschäftsführer Julius Neumann. 1925 Holsatia Werke Neumann, Arnoldstrasse 22. 1926 Holsatia Werke Neumann KG auf Aktien, Arnoldstrasse 3/5. 1927 Holsatia Werke Neumanns Holzbearbeitungsfabriken Aktiengesellschaft (A.G.), Arnoldstr. 3 /5. 1928 Holsatia Werke Neumanns Holzbearbeitungsfabriken Aktiengesellschaft (A.G.), Arnoldstr. 3 /5. 1929 Holsatia Werke Neumanns Holzbearbeitungsfabriken Aktiengesellschaft (A.G.), Arnoldstr. 3 /5. 1930 Holsatia Werke Aktiengesellschaft (A.G.), Kluckstrasse 4 (E=Grundeigentümer). 1933 Holsatia Werke Aktiengesellschaft, Kluckstrasse 4 / Kruppstrasse 59. 1935 Holsatia Werke Aktiengesellschaft, Kruppstrasse 57/59.
Folgende Vermutung liegt nahe: Bei dem Unternehmen von dem Dimitry Rostowsky (Dimitry Rostowsky. Zwangsarbeiter bei Holsatia. Verschleppt aus der Ukraine nach Deutschland) erzählt hat, handelt es sich vermutlich um die ehemals jüdische Fabrik, die 1912 unter dem Namen Holsatia Neumanns Spezial Möbel Fabrik, von dem jüdischen Unternehmer Julius Neumann, Arnoldstr. 16 – 20, gegründet und betrieben wurde. Der spätere Fabrikbesitzer Heinz Meyer (Firma: Holsatia-Werke Heinz Meyer KG Hamburg) wollte von ihm nach 1945 einen Persilschein*, dass er immer gut zu den 700 „Ostarbeitern“ gewesen sei. Diesen Schein hat Dimitry R. nicht unterschrieben. Heinz Meyer wohnt in Flottbek/Othmarschen, Noerstrasse 11. (Im Adressbuch von Hamburg, Strassenverzeichnis 1951 ist als Eigentümerin des Grundstücks eingetragen: Meyer, I. später: 1952-1965: Meyer, Frau Irmg.). Als Mieter: Meyer, Heinz, Fabrikt.). Heinz Meyer ist später gestorben. Hat aber seine Fabrik zurückerhalten, die sein Sohn später übernommen hat. Der hat jetzt eine teure Villa in Hamburg Othmarschen. Nach weiteren Recherchen stellt sich heraus: Die Firma hiess: >Holsatia-Werke Heinz Meyer KG< in Hamburg.
Abschrift
aus:
“Jeder zweite, der in Kiel vor die Spruchkammer kam, hatte einem Juden das Leben gerettet, einen Demokraten vor dem KZ bewahrt und war ein geheimer Gegner der Nazis gewesen. Die Fragebögen wurden en masse* gefälscht. Neben der Wand mit den Tauschzetteln hingen jeden Tag die Anschläge der Militärregierung: »Wegen falscher Angaben wurde bestraft . . . «. Auf die Frage, wo der Schwarzhandel am besten gedeihe, erhielt man damals zur Antwort: am Bahnhof und vor der Spruchkammer! Da wurden – je nach Belastungsstufe – Kartoffeln, Eier, Mehl, Margarine, Hühner und Karnickel gegen »Persilscheine« getauscht. Gegen Bezahlung in Naturalien kaufte man sich frei von der Vergangenheit. Oder die alten Nazis legten einfach einen von den Spruchkammern errechneten Betrag auf den Tisch und waren von diesem Moment an keine Nazis mehr. Die als »Mitläufer« eingestuften zahlten etwa 200 RM; das juckte keinen, da das Geld ohnehin nichts wert war. Bloß die Kleinen, die Block- und Zellenleiter hat man rangenommen und als Trümmerauguste eingesetzt, während die vermögenden Pgs schon wieder in den Vorzimmern der Militärregierung saßen und auf ihre Lizenz warteten und frische Brötchen aus kanadischen Mehl aßen. Kein Wunder, daß uns die Entnazifizierung als Farce erschien!“ Wolfgang Ziemssen, ehemaliger Marineflak-Helfer in Kiel, dann Bauhilfsarbeiter, später Schauspieler. (Tonbandprotokoll) Wolfgang Ziemssen (1928 – 2012)
Wie man einen verlorenen Krieg gewinnt (Seite 280) »Persilscheine« Wolfgang Ziemssen: Zum Thema Persilscheine: Sich Freikaufen von der Vergangenheit
* Persilschein = Bestätigungen, die nach Kriegsende 1945 zu Unrecht von Mitmenschen unterschrieben wurden, die damit bestätigten, dass die Personen für ihre Verbrechen in der Nazi Zeit nicht zur Verantwortung gezogen wurden. Die ausgestellten „Zeugnisse“ hatten die Funktion, dass Ihre Vergangenheit quasi mit dem Waschmittel „Persil“ gewaschen wurde.
Vortrag vom 28. Mai 2008 Auf der Suche nach dem Henschel Film und Theaterkonzern Manuskript für einen Redebeitrag vor StudentInnen der Geschichte. Als Marei B. mich von ihrer Gruppe angerufen und mit mir diesen Termin ausgemacht hat, war eine ihrer Fragen, wie ich denn auf die Spur dieser jüdischen Kinobesitzer gekommen bin? Leider muss ich da etwas ausholen. Zunächst einmal, ich bin 1946 geboren und gehöre damit zu der Generation, die von ihren Eltern keine oder falsche Antworten bekommen hat, was denn da in ihrem Beisein von 1933 – 1945 passiert ist. Unsere Generation war es gewohnt, keine Antworten auf unsere Fragen zu bekommen, bzw. in der Regel wurden wir angelogen, sowohl im allgemeinen, als auch im persönlichen. Ich war also geübt im „Angelogen Werden“.
Gleichwohl war das (auch später) immer die Generation, die Europa in Schutt und Asche gelegt hatte und sich bei meiner Generation darüber beschwerte, wenn bei einer Demonstration ein paar Fensterscheiben bei Banken kaputt gingen. Das war der Boden. Wie nun Kinos? Schon als Junge interessierte ich mich für Kino. Später brach ich ein Ingenieur Studium (bei der Ingenieur Schule für Produktions- und Verfahrenstechnik) nach drei Semestern ab und bewarb mich an der Filmakademie in Berlin (dffb).
Wir wollten Filme machen, um dieses Land aufzuwecken. Die Wahrheit zutage fördern und die Verhältnisse zu ändern, von denen wir behaupteten, dass die alten Nazis noch immer die Politik bestimmten und die (ihre) Verbrechen versteckten. Als kleiner Junge (10 Jahre) war ich stets der Meinung, dass die Kommunisten den Krieg begonnen hätten. Kein Wunder also, dass sie in dem Deutschland, in dem ich langsam größer wurde, verachtet wurden und verboten waren. Erst viel später erfuhr ich, dass es die Konservativen in Verbindung mit den Nazis waren, die den zweiten Weltkrieg begonnen hatten. So viel zur Ausgangslage.
1976 war ich mit dem Studium an der Akademie (dffb) fertig und begann mich nach einer Berufsperspektive umzusehen. Fernsehen und Film. Ein Abfallprodukt des Studiums war die Beschäftigung mit der Geschichte des Kinos. Ein Bereich, weitgehend unerforscht. Filmgeschichte besteht aus Schauspielern, berühmten Filmen, manchmal kommen die Namen von Regisseuren dazu, selten die Kameramänner und die Tonleute. Aber niemals tauchen Kinobesitzer auf. Sie sind das Unwichtigste in der Filmgeschichte überhaupt, obwohl sie doch den Filmen erst die Chance geben, das sie das Licht der Welt erblicken. Irgendwann fielen mir dann, in der gut sortierten Bibliothek der dffb, die Reichskinoadressbücher in die Hände. Das Reichs Kino Adressbuch 1934. Eine Reihe von Kinos kannte ich, viele gab es nicht mehr.
Oft waren Straßen umbenannt worden. Merkwürdig war auch, dass zwischen 1933 und 1938 viele Kinos den Besitzer gewechselt hatten. Die Sache begann mich zu interessieren. Ich habe es damals so probiert, wie sie auch heute eine solche Sache vermutlich beginnen würden. Ich bin in die Kinos gegangen und habe gefragt.
Und es kam nur Schrott dabei heraus. Ja – aber man wisse nicht. Die Zuschauer schon gleich gar nicht. Nun, das ist nicht weiter verwunderlich, habe ich mir damals gesagt. Fragen sie mal heute einen, wem das Cinemaxx gehört, oder das Streits Kino. Nur wenige wissen es. Und für den Besuch eines Kinos ist das auch nicht wichtig. Doch auch die Beschäftigten hatten keine Kenntnisse.
Ja, sie wären ja im Krieg gewesen und haben gar nichts mitbekommen. Die alte Leier. Wegsehen, Lügen. Ich gab dann die Befragung von Zeitzeugen auf und sah mir stattdessen die Reichskinoadressbücher an. Da gab es einen „Henschel Film und Theater Konzern“, eine Firma mit zwölf Kinos, die sich im Laufe der Jahre von einer OHG in eine KG verwandelte und dann in einer Schauburg GmbH endete.
Mir begegneten die Namen Urich Sass und Streit. Später Romahn und Schümann. In der Filmakademie in Berlin gab es die Mikrofilme von zwei Tageszeitungen (6 x mal in der Woche), die sich ausschließlich mit Film beschäftigten. (In Hamburg gab es damals diese Mikrofilme nicht).
Die „Lichtbildbühne“ und den „Kinematograph“. Der Kinematograph gehörte dem Medienzar Hugenberg, das wusste ich, die Lichtbildbühne war weitgehend unabhängig. Also machte ich mich ran. An das Studium der Lichtbildbühne. Sechs mal die Woche, 52 Wochen und eine Menge Seiten. Nach drei Wochen war ich immer noch nicht weiter.
Eigentlich wusste ich auch gar nicht, was ich suchte. Ich wollte schon aufgeben, denn so viel Zeit hatte ich auch nicht. Das Stipendium war ausgelaufen. Also beschränkte ich mich auf historische Daten. Der 30. Januar 1933 war ein solches historisches Datum. An diesem Tag hatte der konservative Paul von Hindenburg Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt. Die Nazis nannten das später und heute auch noch, Machtergreifung. (Das stimmte nicht, wie ich heute weiß – 2014). Genau an diesem Tag wurde einer der beiden Kinobesitzer des Henschel Film und Theater Konzerns, Hermann Urich Sass im jüdischen Teil des Hamburger Friedhofs Ohlsdorf beerdigt.
Ich wechselte die Mikro Filme gegen die Grabplatten aus und suchte vor Ort. Und fand den Grabstein dieses Herrn. Ohne diese Zeitungsnotiz mit der Beerdigung auf dem Jüdischen Friedhof wären weiter alles nur Vermutungen gewesen. Das Grab wurde gepflegt und nach Landesbrauch kann die Pflege nicht ohne Geld erfolgen, also musste es Jemanden geben, der für die Grabpflege dieses Jüdischen Grabes bezahlte. Ich schrieb ein 19- seitiges Manuskript, in denen ich die wenigen Vermutungen über den Verbleib des Henschel Film und Theaterkonzerns unterbrachte. Foto Henning Scholz
Ich gab mein Manuskript in Hamburg in der Fruchtallee bei der Jüdischen Gemeinde ab und bat diese, das Manuskript an die Leute weiterzuleiten, die für die Grabkosten von Hermann Urich Sass aufkamen. Und ich hatte Glück, nach drei Monaten bekam ich Antwort aus Mexiko und aus Brasilien. Dorthin waren die entkommen, deren Väter damals dieser Kino Konzern gehörte. Es stellte sich heraus, ich hatte nicht schlecht vermutet. Die jüdischen Besitzer waren enteignet worden. Einige von ihnen waren der Deutschen Mordmaschine entkommen. Das Thema, so stellte sich heraus, war öffentlich-rechtlich nicht interessant.
Da ich beim Hamburger Filmbüro als Störenfried schon mehrfach aufgefallen war, stellte ich einen Antrag und benutzte dazu nicht meinen Rufnamen, sondern einen der beiden anderen, den mir meine Eltern mangels anderer Schätze vermacht hatten.
Und Otto Meyer hatte Glück, sein Antrag wurde mit 80 TDM gefördert. Zusammen mit dem Kameramann Dietmar Bruns fuhr ich nach Amerika (Nord und Süd) und wir befragten die Zeitzeugen. Sie haben mich gefragt, wie ich vor zwanzig Jahren darauf gekommen bin, nach diesen jüdischen Kinobesitzern zu suchen. Ich weiß es nicht. Aber als ich diese gefunden hatte, die Söhne und Töchter jener Kinobesitzer, da haben diese mir die gleiche Frage gestellt. Allerdings mit einem Zusatz. Wieso hat das so lange gedauert?
Und das ist wirklich die Frage, wieso hat es sechzig Jahre gedauert, dass sich jemand gefragt hat, wo sind die geblieben? Die Mörder von damals laufen ja noch alle frei rum. (Inzwischen nicht mehr, weil viele verstorben sind 2014). Mehrere Generationen hatten teilgenommen. Am Ende hatten sich alle Täter zu Mitläufern erklärt. Wer lange genug Krimis liest, weiß, was das große Problem des Mörders und der Mörderin ist. Das Verstecken der Leiche, insbesondere der Kopf macht Schwierigkeiten. Wir sind immer noch auf der Suche nach dem perfekten Mord und der wird mit den neuen technischen Möglichkeiten immer unmöglicher.
Anders dagegen ist es, wenn sich ganze Völker auf vielfältige Weise an diesem Mord beteiligen. Sich dann die Beute teilen und die Leichen verbrennen. Dann wird die Sache schon viel einfacher für jede/n einzelne/n MörderIn. Dann halten sie alle zusammen. Und wenn es dann noch um Leute geht, die man normalerweise nicht wahr nimmt, weil sie selbst in einem Teil des Unternehmens arbeiten, das man als Kunde nicht wahrnimmt, dann verschwinden diese Menschen fast spurlos. Oder kennen sie den Menschen, der für die Cinemaxxe die Filme aussucht? Oder gar jenen, der vor einigen Jahren noch als Besitzer jener Kinos fungiert hat?
Natürlich nicht. Manchmal begegnet ihnen die Kassiererin, manchmal der Vorführer, aber schon der Buchhalter ist dem Publikum, also uns, nicht bekannt. Eine weitere Tatsache kommt auch aus den Krimis. Verstecken lässt sich etwas am besten, wenn es mit einer anderen Sache, möglichst der gleichen Sache, zusammen liegt. Also Fleisch am besten bei Fleisch und Papier bei Papier verstecken. Diese Erkenntnisse haben eine weite Verbreitung. Wenn man also Papier nicht mehr rechtzeitig vernichten kann, dann versteckt man es besten bei anderem Papier und erfindet Vorschriften, nach denen es nicht gelesen und veröffentlicht werden darf.
Im Falle der jüdischen Mitbürger brauchte man keine Ängste zu haben. Alles gut in Archiven versteckt und erst in 50 Jahren zugänglich. Das wird bei uns Datenschutz genannt, ist aber doch nur Täterschutz. Sehr wirksam. Und natürlich: völlig absichtslos. Die Opfer, die noch lebten, waren froh, dass sie noch lebten und wollten auch nicht daran erinnert werden, wie das damals war, als man ihnen mit dem Tod drohte und die anderen vernichtet worden.
Die Filmindustrie bildet für den Teil, der sich vor der Kamera abbildet, eine kleine Ausnahme. Das Schicksal der Schauspieler war schnell aufgeklärt. Die meisten waren, so sie es konnten, geflohen, einige waren umgebracht worden und man erfuhr von ihrem Leidensweg, aber alle, die hinter der Kamera waren, mit Ausnahme vielleicht des Regisseurs und des Kameramannes waren dem Publikum nicht interessant genug, um nach ihnen zu suchen. In dieser Reihenfolge belegen Kinobesitzer den letzten Platz.
Kurz: Als ich 1987 anfing, nach den Kinobesitzern zu suchen, hatte noch niemand vor mir gesucht und deshalb natürlich auch nichts gefunden. Ich hatte am Anfang schon berichtet, dass ich als Jahrgang 1946 schon daran gewöhnt war, für den fraglichen Zeitraum von 1933 – 1945 angelogen zu werden. Schon als ganz kleiner Junge mit sechs oder sieben Jahren hatte ich den Eindruck, dass etwas ganz Schreckliches in dieser Zeit passiert war.
Dass niemand sagen konnte, wie es passiert war und niemand von denen, die um mich herum waren, war an dem Schrecklichen beteiligt, bis auf meinen Onkel (genannt Onkel Otto, genauer Dr. Otto Averdieck, Rechtsanwalt). Ein überzeugter Nazi. Ich erinnere mich nicht mehr, ob er seiner Sache noch so sicher war. Damals. Aber auf jeden Fall war er der einzige, der die Augen offen hatte, der zugab, dabei gewesen zu sein. Der von Beruf Jurist war. Das war der einzige. Im besten Falle bekam man keine Antworten, wenn man Fragen stellte und wenn man Antworten bekam, dann stellte sich später heraus, dass man angelogen worden war.
Damit bin ich aufgewachsen. Ich habe schon berichtet, dass ich als Kind der Meinung war, die Kommunisten wären Schuld an diesem großen Unglück mit den zwei verlorenen Kriegen und allem was dazu gehört. Ich fand es als Kind deshalb auch richtig, dass die Partei von diesen bösen Menschen verboten war. Erst später kam ich drauf, dass die, die immer so für Ruhe und Ordnung sprechen, die Konservativen, für diese Kriege verantwortlich waren und dass im Gegensatz dazu es grade die Kommunisten waren, die diese Kriege nicht wollten. Das gehört natürlich dazu.
Die KPD ist heute noch verboten, die NPD nicht. Um zu den Kinos zurückzukehren. Ich habe inzwischen eine große Menge an Wissen angehäuft über die Enteignung dieser Kinos, aber es gibt kaum Neugier danach.
Vor einigen Jahren gab es zwei Autoren, die ein sog. “Hamburger Kinobuch” vorbereitet und dann auch veröffentlicht hatten. Bei der Vorbereitung dieses Buches hatte ich beide kennengelernt und ihnen auch sämtliche Fakten, die ich zu jener Zeit wußte, zur Verfügung gestellt.
Sie haben von diesem Wissen keinen Gebrauch gemacht und so ein völlig unhistorisches Kinobuch vorgelegt. Ich hoffe, dass in ihrer Generation so was nicht mehr passiert. Auch natürlich in der Hoffnung, dass Wiederholungen nicht stattfinden werden.
Ich danke fürs Zuhören.
Vom Original Manuskript übertragen am Montag, d. 2. Juni 2014
Vorgetragen am: 28. Mai 2008 in der Uni Hamburg, aber bisher nicht veröffentlicht Foto Jens Meyer