Horst Urich Sass (Sohn des Kinobesitzers Hermann Urich Sass) in dem Garten seines Hauses in den USA. Beverly Hills, 719 N. Alpine Drive. Foto 1990. (geb. 1. Februar 1914 in Hamburg). Gestorben am 19. April 2000 in Beverly Hills.
Carl Heinz Streit, (geb. am 26. August 1911 in Hamburg, gest. am 24. April 2002 in Belo Horizonte/Brasilien). Das Foto wurde 1990 in der Wohnung seines Bruders (Rolf Arno Streit) in Belo Horizonte gemacht.
1936 ist er, zusammen mit seinem Bruder Carl Heinz aus Hamburg geflohen. Carl Heinz und Rolf Arno Streit sind die Söhne des Hamburger Kinobesitzers Hugo Streit, dem 1938 die Flucht aus Hamburg, aus Deutschland gelungen ist.
Seine Firma Henschel Film- und Theaterkonzern war damals schon „arisiert“ (enteignet) und von den beiden „Nutzniessern“ Paul Romahn und Gustav Schümann übernommen worden.
„Bezahlt haben sie nichts dafür. Dafür hat schon die NSDAP gesorgt, dass den Juden kein Geld zugeflossen ist“.(Rolf Arno Streit 1990 Belo Horizonte.) Rolf Arno Streit, (geb. am 9. August 1912 in Hamburg, gestorben am 15. Februar 1993 in Belo Horizonte/Brasilien). Geflohen aus Deutschland 1936.
Der Henschel Konzern war eine OHG, die von Hugo Streit und Hermann Urich Sass gegründet worden war. Die OHG betrieb in Hamburg die Schauburg Kinos.
Nach dem Selbstmord von Hermann Urich Sass, am 27. Januar 1933, wurde die Gesellschaft in eine KG umgewandelt, in die die Erben Urich Sass, (seine Ehefrau Hedwig Urich Sass und seine Kinder, Horst, Hans Jürgen und Vera Urich Sass) eintraten.
Schauburg Kino, Mönckebergstrasse 8 in Hamburg beim Hauptbahnhof. Die Aufnahme von dem Eingang des Kinos entstand am 31. Januar 1936 (Deutschland Start des Filmes Anna Karenina). Repro: Reinhold Sögtrop.
Peter Offenborn hat es herausgefunden (nach der Kultussteuerkartei der Jüdischen Gemeinde Hamburg ). Der Vater von Hermann Urich Sass war David Urich Sass, geb. am 05. Mai 1861 in Lemberg (Galizien), das damals zu Österreich gehörte. Gestorben am 24. Januar 1922 in Hamburg (Beerdigt auf dem Jüdischen Friedhof in Hamburg Ohlsdorf).
Bevor Hermann Urich Sass bei der Kino Firma >J.Henschel< arbeitete, war er Angestellter der Firma Max Blancke & Co . Film- Import/Export, Eimsbütteler Chaussee 112, später Dammthorstrasse 27, deren Inhaber er später wurde). Die Familie wohnte zuletzt in der Schlüterstrasse 1. Später – nach der Emigration der Kinder – wohnte Hedwig in der Grindelallee 23 b. Neumark. Die Mutter von Hermann Urich Sass, war Annita Urich Sass, geb. Italiener, geb. am 17. Juli 1863 in Hamburg. Annita Urich Sass wurde am 17. Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert u1nd am 18.12. 1942 dort ermordet.
Nachtrag 2020: Lange war nicht klar, wann dass unten abgebildete Foto der Belegschaft der Schauburg Hauptbahnhof entstanden ist. Der Aufmarsch der Belegschaft am 1. Mai in der Mönckebergstrasse 8, vor dem Schauburg Kino. Das abgebildete Plakat auf dem Foto des des Filmes „Du kannst nicht treu sein“ Regie: Franz Seitz (Senior), mit der Schauspielerin Lucie Englisch und dem Schauspieler Hermann Speelmans, wurde am 08. Februar 1936 von der Zensur freigegeben und hatte seine Uraufführung am 11. Februar 1936. (Quelle: Filmportal.de).
Das Foto muß also am 1. Mai 1936 entstanden sein. Da waren die ursprünglichen Eigentümer des Schauburg Kinos schon enteignet. „Arisiert“, wie die deutschen Nazis diesen Vorgang der Enteignung genannt haben. Die neuen „Besitzer“ der Schauburg Kinos, SA Mann Gustav Schümann links und SA Mann Paul Romahn rechts. 1936
Foto links oben (Farbe): Aufgenommen am 6. April 2020 – Foto rechts (mit Cadillac): Aufgenommen (1935) Fotograf Rolf Arno Streit. Foto unten: Rothenbaumchaussee 149 in Hamburg, Auf dem Balkon: Rolf Arno Streit (9. August 1911- 15. Februar 1993) . Fotograf (sein Bruder) Carl Heinz Streit (26. August 1911 – 24. April 2002)
Aus dem Hamburger Adressuch ergibt sich der Grundstücksverlauf von 1924-1959 für das Grundstück in der Rothenbaumchaussee (ab 1939 in der abweichenden Schreibweise Rotenbaumchaussee):
Nachtrag 2024:
1924-1925 gehoert das Haus einem Quast, W. 1926 einem Oppenheim O.. (Otto)
Laut Telefonbuch und Adressbuch von 1928 ist Otto Oppenheim Getreidemakler in Firma Otto Oppnheim & Co. Inhaber der Firma sind Otto Oppenheim und Carl Glaser. Firmensitz ist laut Telefonbuch in der Kaiser Wilhem Straße 40. 1927 – 1939 gehört das Haus Oppenheim, Frau O., die 1939 mit der Adressangabe: Oppenheim, Frau O. Kopenhagen auftaucht. 1941 gibt es dann einen neuen Besitzer mit Namen Meincke (Dr. med dent Zahnarzt). Für die Jahre 1932 und 1933 sind als Mieter eingetragen: Streit, H. in Fa. Henschel- Film & Theaterkonzern. Ab 1935 gibt es einen Eintrag im Adressbuch, die Besitzerin Frau Oppenheim sei über die Adresse H. A. Klahn, Lupinenkamp 12 ereichbar. H. A. Klahn (Heinrich August Klahn) ist von Beruf Hausmakler. Für das Jahr 1940 habe ich kein Adressbuch im Netz gefunden. Im Adressbuch von 1941 gibt es den Eintrag, der neue Besitzer (E) ist ein Meinecke, W., Dr. med. dent. Zahnarzt. Das Haus daneben (Nr. 151) gehoert 1941 dem Frauenarzt, Dr. med ‚Barfurth. W.
Aus dem Adressbuch von 1959 ergibt sich: Grundstücksbesitzer (149) ist weiter Meinecke, W. Dr. med dent. Zahnarzt. Und das Haus (151) gehört weiterhin dem Barfurth. W. (+) J.
Das Foto stammt aus dem St. Pauli Blog , die haben es nach eigenen Angaben vom Staatsarchiv in Hamburg. Dort angekündigt als Aufnahme aus den >20iger Jahren< was nicht stimmen kann. Nach der Filmankündigung auf dem Foto ist der Film: >Wenn Frauen schweigen< gerade angelaufen (Start!). Danach müsste dieses Foto nach dem 31. Mai 1937 entstanden sein. Das war der Starttermin des Filmes laut Filmportal.de, eine Seite, wo vieles falsch (Filmformate! 1:1,33 bei Tonfilmen!), aber manches auch richtig ist. Z. B.: die Starttermine der Filme stimmen meist. (Das hier abgebildete Ufa Kino: >Millerntor Theater< stand genau gegenüber des Kinos >Schauburg am Millerntor< (auch >Schauburg St. Pauli<) auf der anderen Straßenseite). Foto unten: Staatsarchiv Hamburg (1937)
Fundstück: Fritz Kuhnert: In dem Buch von Jürgen Spiker: Film und Kapital (Der Weg der deutschen Filmwirtschaft zum nationalsozialistischen Einheitskonzern), Verlag Volker Spiess, Berlin 1975, ISBN 3-920889-04-5, gibt es auf Seite 296 einen Hinweis auf Fritz Kuhnert (Vorstandsmitglied der UFA)„KUHNERT, Fritz (geb. 24.5. 1890– 3.3. 1951) (12). Seit 28.4.1919 bei der UFA, ab 1928 Leitung der Revisionsabteilung. Ab November1932 stellvertretendes, ab 01.11.1937 ordentliches Vorstandsmitglied mit Zuständigkeit für Finanzen, Buchhaltung, Steuern usw.. Nebenher in der Geschäftsführung zahlreicher Tochtergesellschaften der UFA AG.“
Alte Postkarte Lerchenweg 5. Kampen auf Sylt. Wohnsitz von Richard Adam bis zu seinem Tode (Villa Paradieschen) am 26. November 1967. Die Villa wurde 1968 nach dem Tod seiner Ehefrau Hanni Adam (geb. Seim) (25. Januar 1968) verkauft. Die beiden Pudel (schwarz), die den Tod des Ehepaar Adam überlebten, wurden eingeschläfert. Es stellte sich heraus, dass sie laut Stammbaum nicht reinrassig waren. Das war sicher in Richard Adams Sinne.
Wir wissen nichts! Wir kennen keinen Adam! Da kann ich ihnen keine Auskunft geben! Der hat sich hier nicht angemeldet! Das darf ich Ihnen nicht sagen. So lauten die Antworten, die ich bekomme. Zum ersten Mal erfahre ich von einem gewissen Adam in einem Brief aus Brasilien. Der gewisse Adam, so schreiben die Deutschlandflüchtlinge von 1936, ist der Mann, die treibende Kraft der Nazis, der den Hamburger Kinobesitzern ihre Existenzgrundlage genommen hat. Der dafür sorgte, dass der Führer in Hamburg etwas zu verschenken hatte. Kinokonzerne an gute Deutsche. Gute Deutsche nannten sich Arier.
Da ist es kein Wunder, das sich keiner mehr an Richard Adam erinnern will. Denn geschenkt ist geschenkt, wiederholen ist gestohlen, verrät der Volksmund. Niemand will hören, dass die Geschenke des Führers gestohlen waren. Da halten sie fest zusammen, die guten Deutschen von damals und die Kinder der guten Deutschen von heute. Die wollen das Diebesgut lieber behalten. Und sich nicht an die Zeiten erinnern, als ihre Eltern über Nacht reich wurden. Noch die Tatsache, dass die Geschenke des Führers schon bald in Trümmern lagen, dient ihnen als Entschuldigung.
Ein Zufall führt mich 1988 auf die Spur von Jeremias Henschel und seinen Kinos. Sie haben zwar viele Menschen und viel Papier verbrannt diese deutschen Nazis. Aber alles konnten sie nicht beseitigen. Zeit und Rohstoffe reichten nicht aus.
Übrig geblieben sind z. B. die Reichskinoadressbücher. Die von 1930 bis 1941 erschienen waren. Da tauchen jene Kinos auf, deren Verschwinden dann niemand bemerkt haben will. Die Kinos des Jeremias Henschel und eine Firma gleichen Namens: Der Henschel Film- und Theaterkonzern. Schon möglich dass das Eine mit dem Anderen zu tun hat.
Ich suche Zeugen, die etwas wissen. Ich finde welche, doch die wissen lieber nichts. Fünfzig Jahre hat schließlich niemand gefragt. Warum jetzt antworten? Die Menschen wurden vergast, erschlagen. Sie sind verhungert, sind geflüchtet. Nur wenige jüdische Menschen entkamen der Vernichtung.
Es gibt Papiere. Die sind schwer zugänglich. Auf Mikrofilmen. In irgendwelchen Archiven. Schwer zu finden. Zur systematischen Suche fehlt die Zeit.
Es ist eigentlich nicht die Zeit, die fehlt. Doch der Zeitgeist hat Anderes im Sinn. Größeres. Schließlich muss noch die Sekretärin, der Gärtner und der Schäferhund des Führers befragt werden. Ja, richtig. Und Kunstmaler war der Mann ja auch. Postkarten hat er gemalt.
Das ist der Stoff aus dem die Träume sind. Die Opfer? Langweilig. Juden hatten wir schon mal, sagt der Fernsehredakteur. SFB heißt der Sender. “Sender Freies Berlin“ zergeht mir auf der Zunge. Dunkel war mir in Erinnerung, das es an der dffb (Deutsche Film und Fernsehakademie Berlin GmbH) in Berlin die Mikrofilme zweier Tageszeitungen gab, die sich ausschließlich mit Kino beschäftigten.
Die Lichtbildbühne (LBB) und der Kinematograph. Ich fing mit der Lichtbildbühne an und stellte zu meinem Schrecken fest, dass sie sechsmal in der Woche erschienen und dabei recht umfangreich war.
Nach drei Wochen bin ich dann soweit. Bereit aufzugeben. Keine meiner Spekulationen hat sich bestätigt. Keine Information über den Verbleib dieser Kinos oder dieser Kinokette. Warum sollte auch eine Berliner Zeitung etwas über Hamburger Kinos bringen? Nach der Berliner Lesereise kann ich nicht einmal behaupten, das das Verschwinden dieses Henschel oder seiner Kinos etwas mit der Judenfeindlichkeit der Nazis zu tun hat.
Ich verlege meine Suche auf Jahrestage. Die Zeit vor meinem Hiersein hat davon jede Menge. Führers Geburtstag. Der Tag von Sedan. Die Ermordung des Prinzen in Sarajevo. Der Matrosenaufstand. Eisenstein in Deutschland. Die Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler. Die Reichskristallnacht. Der Reichstagsbrand. Und dann finde ich doch etwas. Mit Glück. Mein Glück ist, das einer dieser Kinobesitzer des Henschel Film- und Theaterkonzerns an dem Tag zu Grabe getragen wird, an dem der senile Reichspräsident Paul von Hindenburg Adolf Hitler zum Reichskanzler ernennt. >Machtergreifung< haben die Nazis es genannt und noch heute ist dieses Wort Umgangssprache. >Sonderbehandlung< ist verschwunden. Das war ihr Wort für Mord. Wenn sie wieder Jemanden umgebracht hatten.
Bleibt nur festzustellen, das es manchmal hilfreich ist, dass Ereignisse, die augenscheinlich nichts miteinander zu tun haben, oft in der gleichen Zeitung stehen. Die beiden Ereignisse haben, so denke ich damals, nichts miteinander zu tun. Was sich erst viel später als Irrtum herausstellt. Der Nazi Richard Adam und der Henschel Film- und Theaterkonzern.
Ein 90 Zeilen Nachruf in der Licht Bild Bühne (LBB) vom 30. Januar 1933: „Hermann Urich-Saß zum Gedenken. Wie im größten Teil unserer Sonnabend Ausgabe mitgeteilt, ist Hermann Urich-Saß am Freitag Abend im blühenden Alter von 45 Jahren einem Herzschlag erlegen . . . “ und endet mit: “ . . . Seine Beerdigung findet heute Montag, den 30. Januar, 3 Uhr nachmittags, in Hamburg-Ohlsdorf auf dem Israelitischen Friedhof statt.“
Auf Seite eins der Lichtbildbühne (LBB) ein Leitartikel unter der Überschrift: „Die neue Reichsregierung und der Film. Es ist nicht die Aufgabe eines Fachblattes, diese tief einschneidende Entscheidung in der deutschen Geschichte nach ihrer politischen Seite zu erörtern“ . . . und weiter . . . “ . . . das rege Interesse, das die NSDAP häufig für die wirtschaftlichen Nöte des Lichtspielgewerbes bekundet hat. Hier wird jetzt Gelegenheit zum Handeln sein.“
(Erst 2018 erfahre ich: Die LBB gehört Karl Wolffsohn. Einem jüdischen Verleger, dem die Zeitung, die auch die Reichskinoadressbücher herausgibt, weggenommen – arisiert – wird. Dem die Flucht nach Israel gelingt. Der überlebt. Der nach dem Krieg zurückkehrt und bis zu seinem Tode Prozesse vor deutschen Gerichten für die Rückgabe seines Eigentums führt. Auch zwei große Kinos gehörten dazu. Die Lichtburg in Essen. Die Lichtburg in Berlin. Das Ende des Prozesses erlebt er nicht mehr. Die Lichtburg in Essen ist immer noch das schönste und größte Kino in Deutschland. Die Lichtburg in Berlin wurde nach dem Krieg erst umbenannt in Corso Kino und dann abgerissen.
Wir sind bei dem Obernazi Richard Adam. Er ist seit dem 1. Dezember 1931 Mitglied NSDAP und wartet nun schon fast zwei Jahre auf „seine Gelegenheit zum Handeln“. Eine seiner Handlungen wird die Enteignung der jetzigen Besitzer sein. Das ist die Art seiner Partei, die wirtschaftlichen Nöte des Lichtspielgewerbes zu beseitigen. Indem man sie den Eigentümern weg nimmt.
Wieder habe ich Glück. Juden beerdigen ihre Toten für alle Zeit. Nicht so wie die beiden christlichen Staatskirchen, die bereits nach fünfzig Jahren die Totenruhe für beendet erklären.
Ich suche auf dem jüdischen Teil des Ohlsdorfer Friedhofs. Alles fein säuberlich voneinander getrennt. Christen und Juden liegen zwar in gleicher Erde, aber getrennt durch einen hohen Zaun. Jeder Friedhof mit einem eigenen Eingang. Der Friedhofsangestellte zeigt mir die Grabstelle von Hermann Urich-Sass. Ich schreibe einen Brief an die, die für die Grabstelle sorgen und bezahlen. Deren Namen ich nicht kenne. Kaum vorstellbar, das die Grabstelle gepflegt wird, ohne das jemand für die Pflege bezahlt.
Schließlich sind wir in Deutschland. Meinen Brief mit meinen Recherchen und Fragen gebe ich zur Weiterleitung an die Jüdische Gemeinde und denke: Ende der Veranstaltung. Sackgasse. Aus.
Doch nach einigen Wochen kommen tatsächlich Antworten aus Brasilien, Mexiko und den USA. Es handelt sich um die Söhne der beiden ehemaligen Eigentümer, Hugo Streit und Hermann Urich-Sass, denen die Flucht nach Übersee gelungen ist.
Die Söhne von Hugo Streit: Carl Heinz Streit und Rolf Arno Streit geben ausführlich Antwort über den Konzern ihres Vaters und ihres Onkels. Es stellt sich heraus, das beide Herren Töchter von Jeremias (James) Henschel geheiratet haben und den Kinokonzern nach dem Kinopionier und Schwiegervater Jeremias Henschel, der sich selber James nannte, benannt haben.
Bereits im ersten Brief vom 17. August 1989 weisen Carl Heinz Streit und Rolf Arno Streit darauf hin, das ein Mensch mit Namen Adam „der Obernazi“ die Enteignung der Henschel Kinos – von den Deutschen Nazis auch Arisierung genannt – maßgeblich betrieben hat. Sie wissen, das die von den Nazis eingesetzten „neuen Inhaber“ Paul Romahn und Gustav Schümann mit diesem Obernazi Adam zusammen seit 1946 in Kiel ein Kino betreiben. Es handelt sich um das Capitol Kino, das 1937 von Romahn und Schümann „übernommen“ wird. 1931 ist die Nordfilm-Theater GmbH Betreiberin dieses Kinos.
Die Teilhaberschaft von Adam (Bis 1945 Funktionär der NSDAP in Hamburg) haben Gustav Schümann und Paul Romahn in dem sog. „Wiedergutmachungsverfahren“ vor dem Landgericht in Hamburg zugegeben. Leider haben sie in Brasilien außer dem Nachnamen keine weiteren Daten über diesen Menschen.
Die Akte aus dem Wiedergutmachungsverfahren darf ich nicht einsehen. Ich weiß nicht einmal, ob es ein Wiedergutmachungsverfahren gegeben hat. Geschweige denn eine Akte.
Ich verbringe einen Tag im Kieler Stadtarchiv ohne wirkliches Ergebnis. Das Kieler Adressbuch Jahrgang 1938/39 nennt zwei Adam mit weiblichen Vornamen und zwölf Adam mit männlichen Vornamen. Ob der gesuchte Adam dabei ist, kann ich nicht beurteilen.
Es soll in Kiel einen Menschen geben, der alles über die Kieler Kinos weiß. Horst Reimers. Ich telefoniere mit ihm. Es macht den Anschein, als ob er wirklich jede neue Tapete kennt, die in den letzten hundert Jahren in einem Kieler Kino gewechselt wurde. Aber einen Kinobesitzer Adam? Nein. Davon weiß er nichts. Nein, nie gehört.
In seinem Buch, das einige Jahre (1999) später erscheint, sind dann auch die Tapeten der Kinos ausführlich beschrieben. Von ehemaligen Besitzern, denen die Kinos in der Nazi Zeit weggenommen wurden, keine Spur. Ja, man hat schon davon gehört das Kinos von Juden verkauft wurden. Der Kinobesitzer August Scepanik, der im Alter von 82 Jahren 1974 in Kiel stirbt, hat auch einmal so ein Kino von einem Juden gekauft. Ganz am Anfang. 1935.
In den Zeitungsausschnitten aus den Kieler Nachrichten ist von diesem Kino nicht zu lesen. Nur davon, wie fleißig er in seinem Leben war. So fleißig wie seine Bienen: „Er hat die Chancen seines Lebens durch praktisches Zupacken genutzt.“ schreiben die Kieler Nachrichten am 30.04.1974. Vermutlich war es die Anzeige, die dieser Kinobesitzer am 1.1. 1936 in der Zeitung (KNN) aufgegeben hatte: „Kaiserkrone jetzt in arischem Besitz und unter arischer Leitung“ eine dieser Chancen seines Lebens, die er durch praktisches Zupacken genutzt hat.
Als ich 1993 meinen Dokumentarfilm über die Henschel Kinos fertigstelle, bin ich in Sachen Adam nicht viel weiter gekommen, als sich eine Studentin der Universität Hamburg bei mir meldet, die an einer Magisterarbeit „Kino unterm Hakenkreuz“ arbeitet.
Gerti Keller findet heraus, dass der Mann Richard Adam heißt und in Hamburg ein Amt bekleidet hat. Er ist der Landeszellenleiter der Landesfilmstelle Nord der NSDAP und Goebbels direkt unterstellt. Mit diesen Daten ist es möglich, im Berlin Document Center, das 1993 noch den USA unterstellt ist, die NSDAP Mitgliedsunterlagen von Richard Adam und damit auch Geburtsdatum und Wohnort herauszufinden.
Als ich nach drei Jahren endlich im Landgericht die sog. „Wiedergutmachungsakte“ von Manfred Hirschel zu Gesicht bekomme, fallen mir fast die Augen aus dem Kopf. Dort taucht der Obernazi Richard Adam als Zeuge dafür auf, dass es dem jüdischen Kinobesitzer Manfred Hirschel schon vor Beginn der Nazizeit wirtschaftlich sehr schlecht gegangen ist und die übernehmenden Arier – C(K)lara Esslen und Heinrich (Heinz) B. Heisig „nichts wiedergutzumachen hätten“. Es sind zwei Anschriften von Richard Adam angegeben. Elbchaussee 99 und Kampen auf Sylt. In der Akte befindet sich ein Schreiben von Richard Adam an das Gericht in Hamburg: „Ihre Zeugenvorladung in obiger Angelegenheit (Hirschel 1./1. Esslen) vom 17. Juli mit dem Poststempel vom 23. Juli erreichte mich heute hier in Kampen a. Sylt, wohin ich seit einiger Zeit meinen Wohnsitz verlegt habe. Ich bin gerne bereit, als Zeuge zu erscheinen, mache Sie jedoch darauf aufmerksam, dass mir dadurch an Fahrtkosten 2.Kl. Eisenbahn DM 54.20 entstehen. Ich bitte Sie, mir diesen Betrag rechtzeitig vorher zuzusenden und zwar an die Adresse Richard Adam, Kampen a. Sylt. Ich sehe Ihrer entsprechenden Nachricht entgegen. Hochachtungsvoll. Richard Adam.“ Eingangsstempel beim Gericht 27.7. 1951. Immerhin hat der Mann nicht unterschrieben wie früher immer.
Ich schreibe an Richard Adam. Die Post kommt nach einiger Zeit mit dem Vermerk: „Anschrift ungenügend“ zurück. Inzwischen habe ich weitere Daten über diesen Richard Adam aus Berlin Document Center (jetzt Bundesarchiv), dem ich auch erst begründen muss, warum denn diese Daten gebraucht werden. Ich schreibe an das Landratsamt Westerland und bitte um eine Meldeauskunft. Diese – so wird mir mitgeteilt – kann nicht erfolgen – wegen Datenschutz. Auch in der Elbchaussee vom Ortsamt Blankenese wird keine Auskunft erteilt. Nicht einmal die neue Nummerierung wollen sie mir mitteilen. Das unterliegt dem Datenschutz – ist die flotte Antwort.
Richard und Hanni Adam haben keine Kinder. Als Hanni Adam (geb. Seim) am 25. Januar 1968 stirbt, wird Kurt Hoekstra aus Husum mit der Nachlassverwaltung beauftragt. Am 25. Mai 2010 telefoniere ich mit Husum.
Da gibt es einen, der sich daran erinnert. Helmut Hoekstra. Der Nachlassverwalter war sein Onkel Kurt. Er selbst war damals 11 Jahre alt. Er war bei der Auflösung der beiden Häuser dabei. >Ein großes Haus an der Elbchaussee und ein anderes in Kampen auf Sylt.< Wurde alles in Container weggeschmissen? >Nein, die Sachen wurden aufgeteilt, das muss ein kompliziertes Verfahren gewesen sein. Es gab Verwandte aus Chemnitz, das damals noch Karl Marx Stadt hieß<. Er erinnert sich an eine Familie Ludwig. >Meine Tante muß das noch wissen. Die ist jetzt über neunzig aber noch ganz rege im Kopf. Ich bereite sie auf ihren Anruf vor.<
Am 2. Juni 2010 telefoniere ich mit Mary Hoekstra. Sie hat noch ein Foto von dem Haus in Kampen gefunden. Von dem Richard Adam hat sie kein Foto. Die Postkarte von dem Haus schickt sie mir. Ob sie ihn beschreiben kann? >Der war ziemlich korpulent. Die waren Hundenarren. Sie hatten zwei schwarze Pudel, die hatten sie überlebt. Es stellte sich aber später heraus, die waren nicht reinrassig. Ich hab den Mann ja erst 1964 kennen gelernt. Wer sind denn sie eigentlich?<
Ich habe einen Film über die jüdischen Kinos in Hamburg gemacht. 1990 habe ich einen der Söhne in Brasilien kennengelernt, der mir von diesem Adam erzählt hat. Der hat die Enteignung betrieben. >Ich wusste von dem nur, dass er ein Kino in Kiel hatte.<
Friedhof St. Severin in Keitum. Eingang zur Kapelle.Elbchaussee 454 (wird zurzeit -2018- gerade zum Verkauf angeboten)
Hallo Felix Seifert, die Fehler der Magisterarbeit von Jan Johannsen habe ich damals mal zusammengestellt. Hier habe ich sie Dir noch mal aufgeschrieben. Manchmal sind es nur Kleinigkeiten:
Seite
3, Zeile 4: Die Tafel hängt dort seit 1. Mai 1991. Die
Ausstellung fand erst 1992 statt.
Seite 6, Zeile 3: nicht 1992 sondern 1994. Reinhold Sögtrop hatte mit den Interviews nichts zu tun.
Seite
6, Zeile 5: Die Einschätzung, die Jan Johannsen liefert
ist falsch.
Seite
4, Zeile 4: von unten. Geschichtsstudenten müssen
vermutlich den feststehenden Begriff für ihre Magisterarbeit wählen.
Aber nach den Fakten, die wir in den Akten fotografiert haben, hatte
das nichts mit „Wiedergutmachung“ zu tun. Es ist geradezu
eine Verhöhnung der Opfer. Insofern gehört dieser Begriff genauso
in Anführungszeichen wie „Sonderbehandlung“ und
„Arisierung“.
Seite
11, Zeile 15: Die Formulierung falsch „überschrieb seine
Hälfte im März 1918″ richtig muss es heißen „bei Gründung
der GmbH“. Ebenfalls falsch: „und investierte seinen
Gewinn“ richtig: „einen Teil seiner Erlöse“.
Seite
12, Anmerkung 38: Historiker sind sich einig: Das statistische
Jahrbuch von 1934 ist keine seriöse Quelle mehr und sollte deshalb
auch nicht verwendet werden. (auch Anmerkung 39/40)
Seite
16, Zeile 7: Inzwischen wissen wir und können es auch schreiben.
Es war keine Machtübernahme sondern eine Machtübergabe.
Seite 24, vorletzte Zeile: “Könnte“ ist falsch. Es handelt sich um die Capitol Lichtspiele in Kiel am Dreieckplatz.
Seite 26, Dritte Zeile von oben: . . . da gehört dringend der Satz dran:“ . . . ohne jemals vor Gericht zu stehen.“
Seite 47, Zeile 7 : Hermann Urich-Sass nahm sich am 27. Januar 1933 das Leben. (Nicht am 30. Januar). Am 30. Januar 1933 wurde er beerdigt. Und Hitler wurde zum Reichskanzler ernannt. (Wäre das nicht passiert, dann hätte ich nie herausgefunden, dass es sich um jüdische Kinobesitzer handelt, die enteignet wurden.).
Seite 47, Zeile 12: Es sind hier beide Begriffe: verkauft und ausgewandert falsch. Die Verkäufer haben kein Geld bekommen und mussten aus Deutschland fliehen. Zeile 13: Es waren nicht sieben, sondern elf (11) Schauburgen zerstört. Es war nur noch ein Kino übrig von den Kinos, die Hermann Urich-Sass und Hugo Streit 1933 betrieben hatten. Auch der folgende Satz ist falsch, weil die „ehemaligen Inhaber“ tot waren. Lediglich die Henschel Tochter Bianca Kahn geb. Henschel erstritt vor der „Wiedergutmachungskammer des Landgerichts Hamburg“ die Rückgabe einiger enteigneter Grundstücke (mit zerstörten Häusern). Eine „Wiedergutmachung für erfahrenes Leid“ haben sie nicht erfahren. Ich weiß gar nicht wo Jan Johannsen diesen Satz her hat.
Seite
53, Zeile 9: Hier wird ein falscher Zusammenhang konstruiert. Die
James Henschel GmbH hatte mit den Henschels oder den Schauburgen
nichts mehr zu tun (Seit Gründung der GmbH). Zeile 18: Hier hat Jan
Johannsen ganz daneben gehauen. Er hat Rolf Arno Streit nicht
kennengelernt und kann somit die Glaubwürdigkeit des Zeugen schlecht
anzweifeln. Für mich war Rolf Arno Streit der erste Mensch, der
nicht gelogen hat, wie die anderen alle.
Seite
54, Zeile 6: Hier werden Täter und Opfer gegenübergestellt, was
vielleicht Geschichtsstudenten machen müssen, wenn sie gute Noten
haben wollen. Hans Struckmeyer war ein ganz übler Nazi und es ist
kein Wunder, dass er andere Erinnerungen als die Opfer hat. Auch der
SA Mann Paul Romahn hat andere Erinnerungen.
Seite
55, Zeile 21-26 Was Jan Johannsen hier geritten hat, weiß ich
nicht. Aus den Unterlagen geht zwar hervor, daß Geld geflossen ist,
allerdings nicht an diejenigen, denen es zugestanden hätte. Die
Sätze sind zu streichen.
Seite
57, Was Jan Johannsen da geritten hat, weiß ich auch nicht. Ab .
. . „Er musste auf Druck der . . . dass sie anständig gewesen
(S. 58 erster Absatz) ist komplett zu streichen. Da sind verschiedene
Falschinformationen verarbeitet. Zum Verständnis ist wichtig: Paul
Romahn und Gustav Schümann waren beide selbst in hoher Position in
der Reichsfilmkammer, deren Mitglieder sie waren. Das Zitat aus
meinem Interview ist aus dem Zusammenhang gerissen und soll bei Jan
Johannsen belegen, daß es sich um gute Menschen handelte. Das hatte
Rolf Arno Streit nicht gemeint. Er hat nur gemeint, daß diese beiden
Täter niemanden selbst totgeschlagen haben, wie es die anderen SA
Männer gemacht haben. Zeile 15: Jan Johannsen hat die SA
Mitgliedschaft „vergessen“. (Aber vielleicht wusste er damals
auch noch nicht, weil wir ziemlich üble Unterlagen erst bei den
Grundstückspapieren Zirkusweg gefunden haben)
Seite
77, Zeile 12: ist komplett zu streichen. Die Aussagen von
Klara Esslen und Heinz B. Heisig nach dem Kriege sind unglaubwürdig.
Täter und Opfer sind eben nicht gleich.
Seite
91, letzte Zeile: Der Begriff „verkauft“ hat hier
nichts zu suchen.
Seite 92, Zeile 12: Hier irrt Jan Johannsen. Wenn von einem 5 geschossigen Haus nur noch zwei da sind, dann hat das Haus den Krieg nicht „vergleichsweise gut überstanden“. (Oder man müsste schreiben, was der Vergleich ist)
Seite 106, Die Gesprächsprotokolle der Videointerviews sind sämtlich von mir. „Im Besitz des Verfassers“ hört sich etwas merkwürdig an, wo uns doch Jan an anderer Stelle den Unterschied von Besitz und Betrieb erklärt hatte.
3. Mai 2017 Jens Meyer(Korrekturen 24. September 2021)