Du hast Recht. Der »Heilige Abend« ist so recht geeignet, sich Filme anzusehen, die man bisher vermied. So wie Georg Kreisler in seinem Lied singt: “ . . . und am Weihnachtsabend wie erquicklich, man speist mit den Verwandten, die mans ganze Jahr vermied. Nach dem Essen fuehlt man sich so gluecklich, weil man die Verwandten nun ein Jahr lang nicht mehr sieht“. (Siehe Schallplatte)
Auf diese Weise habe ich mir einen DVD Abend gemacht und mir unter anderem den Film von Reinhard Hauff von 1982 angesehen. Der Mann war immerhin einige Jahre lang Direktor meiner damaligen Filmschule dffb gewesen. Da hatte ich aber schon abgemustert.
Jetzt weiß ich endlich, der Mann mit dem Doppelnamen war nicht nur ein schlechter Schlagersänger, sondern eben auch ein noch schlechterer Schauspieler. In dem Film von Peter F. Brinkmann, so einen Buchstaben wollte ich mir immer auch dazwischen reintun, das macht die Sache so geheimnisvoll, heißt er nun Friedrich, heißt er Fritz oder gar Ferdinand? Ja in diesem LKW Film, der ihm geklaut wurde, kommt er noch einigermaßen durch, obwohl ich den Selbstversuch nach vierzig Jahren nicht mehr gesehen, noch nicht gemacht habe.
Aber in diesem Film von 1982 ist er völlig verkrampft. Der Drehbuchautor, von dessen Texten ich lange Zeit begeistert war, hat auch nicht grade eine Spitzenleistung abgeliefert. Es reicht eben nicht, keine Ideen zu haben, man muß auch unfähig sein, sie umzusetzen. (Nicht von mir. Geklaut bei Wolfgang Neuss). Einzig die Frauenrollen in dem Film sind einigermaßen gelungen.
Großartig ist die Schauspielerin Karin Baal als Stasi Mitarbeiterin. Die macht ihre Sache wirklich gut. Wie das mit dem Pässe tauschen wirklich geht, hat uns Peter Timm im Tapezierer Film »Meier« vorgeführt. Jedenfalls wenn man den »Mann auf der Mauer« nach »Funny Bones« von Peter Chelsom und vor »Leoparden küßt man nicht« von Howard Hawks gesehen hat, dann weiß man genau, in welcher Klasse der deutsche Film so spielte und leider auch spielt. Christian Petzold hin oder her.
Kein Wunder, wenn jedes Jahr die »Feuerzangenbohlenrache« von Joseph G. mit seinem Lieblingsschauspieler Heinz R. im Fernsehen läuft. J.
Briefe an Wiebeke (XXVII) Apropos Staubsauger: Dyson. Hallo Wiebeke, bis gestern galt: Die Firma Dyson hat den besten Staubsauger der Welt. Jedenfalls dachte ich das 2008. Endlich hatte ich einen Staubsauger, der mich nicht mehr vier mal im Jahr in die Drogerie quaelte, um dort anhand eines umfangreichen Kataloges den entsprechenden Staubsaugerbeutel zu finden, der natuerlich gerade nicht lieferbar war. Ein Freund hatte mir diesen Staubsauger von Dyson empfohlen. Ich rechnete aus, wieviel Geld ich dadurch sparen wuerde, wenn ich die naechsten zwei Jahre keine Tueten mehr kaufen mueßte. Ich beschloss diese wunderbare Ingenieurleistung zu honorieren und das Produkt zu kaufen. Bei meinem Lieblingsladen Schuellenbach in der Budapester Straße 49. Das war am 28. Februar 2008. Er kostete 320,30 €, was damals eine Menge Geld fuer einen Staubsauger war.
Er bewaehrte sich in allen Funktionen. Ich war begeistert ueber den neuen Staubsauger. Auch die Technik begeisterte mich. So einfach in der Handhabung. Man merkte dem Produkt an, da hatte sich jemand wirklich die Muehe gemacht, etwas zu entwickeln, was logisch und praktisch war. Der DC 19 von Dyson war das Geld wert.
Spaeter bemerkte ich ein weiteres Produkt der Firma Dyson: Das genaue Gegenteil. Offenbar eine Produkt, das in Zusammenarbeit mit Energiekonzernen und Firmen der Hörgeraetebranche entwickelt worden war. In den Toiletten der Multiplexkonzernkinos zu beobachten. Eine komplette Fehlentwicklung. Viel zu laut.
Auf den DC 19 Staubsauger jedoch, ließ ich weiterhin nichts kommen. Bis zum 9. November 2022. Am 31. Oktober hatte sich der Dyson mit einem Knall und einer kleinen Rauchwolke verabschiedet und keinen Ton mehr von sich gegeben. In einem gut sortierten Haushalt, wie dem meinen, befindet sich natuerlich auch eine Bedienungsanleitung und die Telefonnummer des Dyson Kundenservice.
Ich gebe zu 14 Jahre und 8 Monate sind eine lange Zeit. Dennoch. Die Telefonnummer hatte sich geaendert. Das kann ja vorkommen.
Die neue Service Nummer (kostenlos) wurde angesagt. 080031313 18.
Schon beim zweiten Anruf komme ich durch und schildere das Problem. Ja, es sei ein DC 19 mit der Nummer 406-EU-B 51796.
Leider findet sich keine entsprechende Nummer im Dyson System. Wann ich denn das Geraet gekauft haette?
Ich antworte wahrheitsgemäß: Am 28. Februar 2008.
Nein, so ein altes Geraet wird von uns nicht mehr repariert.
Was denn mit der damals versprochenen Nachhaltigkeit sei? Wenn Dyson schon nicht repariert, dann solle man mir doch den Motor als Ersatzteil verkaufen.
Ich koenne den Vorfilter und alle anderen Ersatzteile fuer den DC 19 kaufen, aber den Motor nicht. Man biete mir ein neues Geraet fuer 399,00 Euro an und wuerde mir darauf einen Rabatt von 25 % gewaehren.
Auf meine Erwiderung, der Dyson Motor des DC 19 wuerde im Netz mit Preisen zwischen 60,00 und 90,00 € angeboten, kommt nur die Wiederholung, sie verkaufen alle Ersatzteile, aber den Motor nicht.
Ich eile zur Firma Schuellenbach, die mir diesen Dyson DC 19 am 28. Februar 2008 verkauft hatte. Vielleicht kennen sie noch jemanden, der einen neuen Motor hat und ihn mir in meinen Dyson DC 19 einbaut.
Das nicht. Aber ich bekomme den Tipp, das die Firma DYSON in der Moenckebergstr. 10 in Hamburg einen Laden hat, der bis 20.00 Uhr offen ist.
Ich packe also meinen verbrannten Dyson Vorfilter ein und eile zur Moenckebergstr. 10. Dort sieht es aus wie in einem Apple Laden. Vorwiegend teuer.
Hier verirren sich bestimmt keine Kunden auf der Suche nach Ersatzteilen. Zwei maennliche Verkaeufer. Sehr freundlich. Ich lege meinen verbrannten Vorfilter auf den Tresen. Ja, der ist vorraetig.
Ich erklaere, das der verbrannte Vorfilter nicht das eigentliche Problem sei, sondern das ich den Motor des DC 19 benoetige, der sich die Karten gelegt habe. Sie wuerden alles bestellen koennen, aber der Motor wuerde nicht verkauft.
Wie es denn kaeme, dass im Netz dieser Motor des DC 19 fuer 60,00 € angeboten wuerde. Ja, das haette irgend was mit der Globalisierung zu tun. Was die Globalisierung mit einem kaputten Motor zu tun haette, konnten sie mir jedoch nicht erklaeren.
Vielleicht sollte ich mich mal mit der Sendung: Markt im Dritten in Verbindung setzen, so raet mir mein Freund. Die greifen doch immer gerne solche Themen der Nachhaltigkeit auf. Aber vermutlich eher nicht. Weil, die haben andere Probleme. Nicht solche mit 60,00 €. Und um meine Glaubwürdigkeit zu erweisen, füge ich noch einige Fotos an, J.
Ps: Es gibt für den Preis, den der Dyson DC 19 Motor kostet, den sie nicht verkaufen wollen, heute auch Staubsauger, die ebenfalls ohne Tüten arbeiten. Vielleicht sollte ich die Firma Dyson auf diese Weise damit bestrafen, das sie den Weg zum »Diskreten Charme der Bourgeoisie« gewaehlt hat, dem ich leider, mangels Penunsen, nicht folgen kann. Kommt laut Kluge aus Polen und Berlin.
Hallo J. Das ist eine sehr schoene Geschichte. Nicht fuer den Geschaedigten (dich), aber fuer alle anderen (mich). Ein Gedanke kam mir noch: Stell dir mal vor, du waerst ein ordentliche (rer) Mensch und wuerdest deine weitlaeufige, kruemelige Wohnung alle paar Tage staubsaugen, wie andere Leute das tun. Dann haette der Dyson-Motor doch hoechstens bis 2015 durchgehalten. Oder? W.
Hallo Wiebeke, ja, das weiss man nicht. Aber meinen Freund J. habe ich gefragt, der mir den Dyson empfohlen hatte, ob er schon mal aehnliche Probleme mit seinem Dyson, den er drei Jahre vor mir gekauft hatte, gehabt hatte. Hatte er aber nicht und dass bei zwei Wohnungen, in denen der Dyson abwechselnd zum Einsatz kam. (weiblich und maennlich). Und der ist noch heil, vielleicht ein Montagsproblem? Kann aber auch nicht sein, weil der 28. Februar, ich schaue noch mal 2008 nach, war 2008 ein Donnerstag. Aber es gab noch einen 29. Februar in jenem Jahr. Das ist auch vielleicht der Grund, warum die Nummer bei Dyson nicht zu finden war und vielleicht auch der Grund, warum sie für diesen Staubsauger keinen Motor liefern wollen. Der Aberglaube hat immer noch Konjunktur, J.
Wer neuerdings Münzen in den Münzgeldautomaten der Sparda Bank in Hamburg Altona einwirft, bekommt folgende Nachricht auf der Einzahlungsquittung der Sparda Bank zu lesen: „Hinweis: Bei Bareinzahlungen von mehr als 10.000,00 Euro verlangt der Gesetzgeber die Vorlage eines aussagekräftigen Belegs über die Herkunft des Betrages. In diesen Fällen erhalten Sie daher in Kürze auf dem Postweg ein Schreiben von uns mit der Bitte, einen geeigneten Beleg über die Herkunft des eingezahlten Geldes vorzulegen“.
Leider bin ích kein Besitzer eines solchen Weltrekords Buches. Daher wollte ich die Anfrage an die Verantwortlichen bei der Sparda Bank stellen, ob es seit Aufstellung des Münz Einzahl Automaten im Kassenraum der Bank, schon einmal einer Person gelungen ist, mehr als 10 Tausend Euro in den Münzautomat einzuzahlen? Das wäre sicher Weltrekord. Anbei der Ausdruck. Bravo!
Diese Münzen wirft der Automat jedoch gleich wieder aus. Und Hilde Benjamin will auch keiner mehr haben!
Natürlich hatte ich sie auch noch in meinem Schrank. Zwei Bücher, die mir damals sehr geholfen haben. Entdeckt im Antiquariat. Damals 3,50 DM/4,50 DM. Heute 4,00 Euro. Und ich habe sie beide noch mal gelesen. Wieder mal festgestellt. Sie sind immer noch aktuell. Hilfreich. Im Internet habe ich einen Nachruf von Klaus Wolschner (taz Bremen) aufgespürt. Hier die beiden Bücher: Sie sind beide dünn. Erfreulich dünn. Die >Betriebsfibel< hat 70 Seiten. < >Organisieren oder organisiert werden< hat 95 Seiten. In der Einleitung heißt es: „Es geschieht immer wieder, daß Genossen wie du versuchen, in ihrem Betrieb die Belegschaft zu agitieren. Und von diesen kriegen sie dann gesagt: >Das ist ja alles ganz schön, was du uns da erzählst. Aber mach man so weiter. Dann fliegst du bald raus! Auf deine – einer etwas kurzsichtigen Opferbereitschaft entspringenden – Erklärung: >Das macht mir gar nichts aus!< kommt dann die Antwort:>Uns aber.< Damit ist die Sache eigentlich erledigt. Du konntest dein Anliegen nicht vermitteln. Jetzt bist als Revolutionär isoliert.“
der Arbeitgeber 5 Köln 51. Oberländer Ufer 72
Klaus
Wagenbach Verlag
1
Berlin 31
Jenaer
Str.6
Sehr
geehrte Herren,
in
Ihrem Verlag ist die „Betriebsfibel“ von Herrn Berni Kelb
erschienen, die jetzt auf den verschiedensten
Lehrlingsveranstaltungen kursiert. Mehrere Leser erbitten in diesem
Zusammenhang nähere Einzelheiten über die Person von Herrn Kelb.
Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir ggfs. einen Lebenslauf oder
sonstige Unterlagen hierzu übersenden würden. Mit freundlichen
Grüßen
(Dr.
Heinrichsbauer)
– – –
1
Berlin 31, den 10.1.73
Jenaer
Straße 9
Berni
Kelb
c/o
Verlag Klaus Wagenbach
An den arbeitgeber – Der Chefredakteur –
Sehr
geehrter Herr Dr. Heinrichsbauer,
ich
beziehe mich auf Ihr Schreiben vom 8.1.73. Der Verlag Klaus Wagenbach
hat – feige, wie es von einem linken Verlag nicht anders zu
erwarten ist – sich vor der Beantwortung Ihrer berechtigten Fragen
zu drücken versucht, indem er Ihren Brief an mich weiterleitete. Ich
werde mich bemühen, Ihnen angemessene Auskunft zu geben.
Ich
stamme also aus einer Familie, die seit vielen Generationen damit
beschäftigt war, Arbeit zu nehmen, obwohl geben nach einem bekannten
Zitat eigentlich viel seliger ist, denn nehmen. Wir lebten davon, daß
wir für die genommene Arbeit auch noch Geld forderten: die ständig
steigenden Löhne. Den Verlockungen eines so bequemen Lebenswandels
konnte auch ich mich nicht entziehen: durch die Erlernung eines
Metallberufes setzte ich die Familientradition fort.
Verschlagen,
wie unsereins ist, merkte ich bald, daß bei den Unternehmern außer
Arbeit und Lohn noch mehr zu holen sein muß. Von da an war ich nur
noch von der Gier getrieben, ihnen alles zu nehmen. Als geeignetes
Mittel dazu erschien mir eine planmäßig ausgeweitete Kumpanei mit
dem Ziel, auf Insubordination gerichtete Zusammenrottungen
hervorzurufen. Das verdichtete sich bei mir zu der ‚Primitivformel
:“Der Feind steht immer oben!“‚, wie Clemens Steindl es auf
Seite 978 der Nummer 23/24-1972 Ihres Organs so treffend
charakterisiert. Das Unbehagen gegenüber dieser Losung und ihre
Ablehnung als Vereinfachung teilen Sie übrigens mit Nikolaus
Neumann, der in der bekanntlich DKP-nahen ‚Deutschen Volkszeitung‘
meint, mein ‚eigentlicher Feind‘ seien die ‚organisierte
Arbeiterschaft, die kommunistischen Parteien und die Gewerkschaften‘.
Ich verstehe die Welt nicht mehr! Sie werfen mich mit den Leuten in
einen Topf, die mich mit Ihnen in einen Topf werfen.
Doch weiter im Lebenslauf. Das schreckliche Ende des letzten Krieges brachte es ja mit sich, daß unsere Gesellschaft von Aufweichungstendenzen demokratischer, liberaler und selbst sozialistischer Art durchdrungen wurde. Auch ich kam mit solchen Liberalen, Intellektuellen und ähnlichen zwielichtigen Gestalten in Berührung (im Vertrauen: manche waren gar Juden!) Sie stifteten mich an, meine bösen Gedanken zum Zwecke der Verbreitung aufzuschreiben.
Das
Ergebnis liegt Ihnen ja vor.
Im
Ernst: Wir haben mit Fleiß darauf verzichtet, Daten zur Person des
Verfassers zu veröffentlichen, wie es sonst bei Büchern üblich
ist. Ich betrachte mich nicht als Schriftsteller. Andererseits habe
ich es abgelehnt, ein Pseudonym zu wählen; denn ich kann zu dem, was
ich geschrieben habe, stehen.
Wenn
Ihnen mein bloßer Name nicht gefällt, hier ein kleiner Tip. Einer
meiner früheren ‚Arbeitgeber‘ wüßte plötzlich über meinen
Lebenslauf sehr detailliert Bescheid. Er ließ auch durchblicken, dan
(s) meine Vermutung, woher er seine Informationen wohl habe, richtig
sei. Was einem einzelnen ‚Arbeitgeber‘ möglich ist, dürfte für
Sie als Verallgemeinerung des ‚arbeitgeber‘ doch sicher keine
nennenswerte Schwierigkeit bereiten.
In
der Hoffnung, Ihnen hiermit gedient zu haben, verbleibe ich
(Ein Nachruf auf Berni Kelb von Klaus Wolschner (Taz Bremen)
1971
veröffentlichte eine „Betriebsfibel“ – das war der
gesammelte Erfahrungsschatz seiner linksradikalen Betriebsarbeit –
zuletzt bei der Maschinenfabrik Kampnagel. „Es geschieht immer
wieder, daß Genossen wie du versuchen, in ihrem Betrieb die
Belegschaft zu agitieren“, fängt das Buch an. Genau darum geht
es: Wie kann man im Betrieb arbeiten, was sollte man lieber nicht
machen? Ganz praktisch – und mit hohem Anspruch: „Unsere Arbeit
gilt der revolutionären Umgestaltung der Gesellschaft. Sie hat das
Ziel, jede Form der Herrschaft von Menschen über Menschen und die
darauf beruhende Ausbeutung zu brechen.“ Kelb kannte auch den
„inneren Feind“, die linken Funktionäre. Sein Rat: „Trau
keinem, der dafür bezahlt wird!“
Dabei
war Berni Kelb einmal Bestseller-Autor, jedenfalls in linken Kreisen,
und seine Biografie ist ein Stück Zeitgeschichte des 20.
Jahrhunderts: Er stammt aus einer streng kommunistischen Hamburger
Arbeiterfamilie. Sein Name wurde Anfang der 70er-Jahre öffentlich
bekannt über Bücher, in denen er seine eigene kommunistische
Vergangenheit verarbeitete. Schonungslos rechnete er mit dem Pathos
der illegalen KPD der Stalin-Ära ab: „Die Mitglieder hatten
zwar noch ihren blinden Glauben und guten Willen, aber die bezahlten,
illegalen Funktionäre konnten ihnen keine Perspektive aufzeigen. Sie
waren in der Situation einer Drückerkolonne, die Ladenhüter
verkaufen soll.“
Ein
Dokument der Zeitgeschichte aus heutiger Sicht, das damals 4 Mark 50
kostete, heute bei Amazon 39 Cent plus Porto. Irgendwann in den
90er-Jahren stand Berni Kelb dann bei der taz in Bremen auf der
Matte. Ein kleines, schrulliges Männchen, das für die, denen der
Name nichts sagte, aufgrund seiner nackten Füße auffiel. Auch im
Winter.
Natürlich
war er nirgends organisiert, wo auch, war ein Einzelgänger. Und
wollte dennoch etwas sagen. Hin und wieder haben wir einen Text von
ihm gedruckt – zum Beispiel einen Kommentar über das auch damals
diskutierte NPD-Verbot.
Ich
habe den Namen Kelb über sein anderes Buch kennengelernt:
„Organisieren oder organisiert werden. Vorschläge für Genossen
links unten“ der Titel. Als die Reste der 68er-Bewegung
autoritäre Organisationen gründeten, packte Kelb aus – zur Freude
aller antiautoritär gesinnten, undogmatischen Spontis.
Berni Kelb, in den 50er-Jahren strammer Kommunist und bei der illegalen KPD, in den 70ern ein Einzelgänger und Theoretiker der Spontis, ist gestorben. Ein „barfüßiger Prophet und gefallener kommunistischer Erzengel“ war Berni Kelb, ein „Anarcho-Kommunist und Querulant“, das hat der frühere taz-Kolumnist „Urdrue“ einmal geschrieben. Am 5. 12. 2011 ist Berni Kelb gestorben, bitterarm, auch in Walle unbekannt. Bescheiden wie er war, hat er sich auch in seine Einsamkeit gefügt.
„Hitler
kam an die Macht, weil die Industrie ihn finanziert hat“, war
vor elf Jahren sein Argument. In der NPD sammeln sich dagegen „nur
ein paar Psychopathen, wie es sie in jeder Gesellschaft gibt.“
Und dann sein Gedanke: „Antidemokratischen Parteien und
Organisationen kommt man mit innerorganisatorischer Demokratie bei.“
Es müsste ein Parteiengesetz geben, das Maßstäbe für Transparenz
und innerorganisatorische Demokratie setzt – die dann auch für eine
NPD gelten würden.
Klaus
Wolschner 9.12. 2011 Taz Bremen
Eine
neue Heimat hat Berni Kelb seit den 90er-Jahren in einer Kultur
gefunden, in der er aufgewachsen ist: bei den „Plattdeutschen“
und ihren Alltagsproblemen. Wie mit seiner Mutter in der Küche sang
er im hohen Alter gern die plattdeutschen Lieder. Rund 50
Theaterkritiken über Aufführungen der niederdeutschen Bühne im
Waldau-Theater finden sich im taz-Archiv unter seinem Künstlernamen
Bani Barfoot. Und er hat das Schauspiel Rose Bernd von Gerhart
Hauptmann ins Niederdeutsche gebracht, eine Tragödie voller
Sozialkritik, menschlicher Einsamkeit und erotischer Verstrickung.
Foto: G. Klaut
von Barni Barfoot, erschienen in der Taz Bremen Drama un Komedie
„De Witwenclub“ vun Ivan Menchell: Premiere in de Komödie Bremen (vormals Niederdeutsches Theater)
Aff
un an geevt se dor in Walle doch noch wat op Platt. Nu: „De
Witwenclub“ vun den Amerikoner Ivan Menchell, na de düütsche
Fassung vun Karin Kersten op Platt vun Hans Timmermann. Nich bloots
de Autor, ok de Rejiessör (Thomas Wilberger), un de Dorsteller vun
den eenzigen Keerl in’t Speel, den verwitweten Slachter Theo (Peter
Wohlert) sünd Gäste. Kannst lang över nadenken!
Twee
Szenarien gifft dat, – vun Bojan Boev bühnenbildnerisch excelent
drapen – op de de Szenen afwesselnd speelen dot. De Komödie vun de
dree Witfroons, de dat Stück den Namen verdanken deit, speelt in de
Wahnstuuv vun Ida (Elfie Schrodt). Dat Drama – de deepere Sinn vun
dat Stück – speelt op ’n Karkhoff.
Dor
dreept se sick jümmers, de Dree. Jedeen vun jem truuert op eer eegen
Oort. De Een, Doris (Ingeborg Heydorn) föhlt sick verlaaten, de
anner, Luzie (Isolde Beilé), bedragen, un de drütte, Ida, eenfach
alleen laten.
Un
denn kummt de Witwer Theo, de bloots dat Graff vun sien Froo besöken
will, jem in de Mööt. Ida kennt em as Kundin, bloots so. Doris
kennt em ok. Se meent, dat harr mol meist ’n Afeere warden kunnt.
Is dat aver nich worden. Un Luzie, de em gor nich kennt, smitt sick
an em ran.
Doröverhen
geiht de Fründschaft vun den Witwenclub (in’t Original: Cemetery
Club) natüürlich eerst mol koppeister. Man se koomt doch jümmers
wedder tohoop. Op’t End op den Karkhoff, as Doris dootbleven is.
Fazit:
Dat Stück is ’n vigelienschen Balace-Akt twüschen Komedie un
Drama. Wat dor an seelischet Eelend sick afspeelen deit bi den
gröttsten Deel vun de Minschheit, wat in dat Öller de Witwen jo
sünd is meisterhaft mookt.
Besünners
Ingeborg Heydorn speelt eer swore Rull, de so simpel utsüüt, heel
inföhlsam. Elfie Schrodt speelt eern Deel meisterhaft, as wi dat vun
eer wennt sünd. Isolde Beilé hett eer egens dankbore Rull as Luzie,
de an’t Enn leer utgahn deit, ’n beten wat övertrocken. ’N
sporsomere Gestik harr mehr brocht.
Technisch:
’n Rejissör schull mehr Moot opbringen, in’n Vörweg ’n poor
Överlängen in de Dialogen to strieken. De Soufflöse (Ingrid
Frana-Sieweke) hett ’n scheune Stimm, de drägen deit. Un Mildred
(Sabine Junge) – dat weet wi nu (dank Lore Schnabel, Kostüme)
endlich nau – hett ’n wunnerscheun’n Rüggen.