Hallo Eugen, ja, ich habe das Buch gekauft. Obwohl es so teuer ist. Aber es ist auch dick. Es hat den etwas komplizierten Titel: Ein treuer Diener vieler Herrn: Max Winkler. Pressetreuhänder der Weimarer Republik und der nationalsozialistischen Diktatur. Es hat 654 Seiten und kostet 49,00 Euro. Geschrieben hat es Ulrich Döge. Von dem hatte ich schon das Buch über den Verleger und Kinobesitzer Karl Wolffsohn gekauft und gelesen. Döge scheint lange Buchtitel zu mögen. Das Buch, das er über Karl Wolffsohn geschrieben hatte, hat auch so einen langen Titel: „Er hat eben das heiße Herz“ Der Verleger und Filmunternehmer Karl Wolffsohn. Nachdem ich es gelesen habe, kann ich schreiben, ein Kauf lohnt sich. Und außerdem bekommt man ja einen Euro wieder, wenn man mit einem 50 Euro Schein bezahlt. Nein im Ernst, Eugen. Endlich mal ein Buch, wo man hinterher nicht das Gefühl hat, das es sich um eine Auftragsarbeit handelt, die die beschriebene Person selber bezahlt hat. Beim Abschreiben des Buchtitels ist mir versehentlich ein -L- mit reingerutscht, sodaß dort zuerst Pressetreuhändler stand, was ja auch stimmen würde. Nur das Wort treu ist in diesem Zusammenhang ein wenig mißverständlich. Leider gibt es nicht viele Bilder in dem Buch. Aber auf Seite 562 sieht man Max Winkler vor dem Entnazifizierungs-Hauptausschuss in Lüneburg am Tag des Urteils, am 10.08.1949. Man beachte die Vorschriften rechts oben im Bild.
Kategorie: Herbert Selpin
Briefe an Wiebeke (XL) Der Flickenteppich der Berlinale
(Zeichen 10.722)
Briefe an Wiebeke (XL) Der Berlinale Flickenteppich
PDF Briefe an Wiebeke (XL) Der Flickenteppich der Berlinale (Zeichen 10.722)
Hallo Jens,
ich habe den Eindruck, dass Du da gerade das Rad neu erfinden willst. Zu Alfred Bauer ist doch schon ganz schoen viel geschrieben worden. Und in den Einzelnachweisen der Wikipedia – Seite ueber Alfred Bauer findet sich auch so einiges, was vielversprechend aussieht. Was genau versuchst du denn rauszufinden, was noch nicht bekannt ist? Ob der Mann mal ueber einer Kneipe gewohnt hat, ist doch fuer die deutsche Film- oder politische Geschichte unerheblich. (wieder mal): Wiebeke
Hallo Wiebeke, nein das Rad will ich nicht erfinden. Aus dem Link der Berlinale erklaert sich der schnelle Aufstieg Bauers nach dem Krieg. (Louise Schröder, Dr. Joachim Tiburtius, Ernst Reuter, Oscar Martay, Thomas Beansch u. a., die da weggesehen haben). Nur die Zeit zwischen der Fertigstellung seiner Doktorarbeit und seiner Anstellung in hoher Position bei der neugegründeten Abteilung »Reichsfilmintendanz« war mir nicht klar. Jetzt ist alles bueschen klarer. Sein Papa war Dr. phil. Fritz Bauer und in der Uni Beamter in der Bibliothek. [Staatsoberbibliothekar der Universitätsbibliothek Würzburg]. 1930 wurde er pensioniert.
Alfred hatte zwei Schwestern (Betty geb. 1901, Louise geb.1905) als er am 18. 11. 1911 geboren wurde. Die Familie Bauer wohnte 1911 in Würzburg Ludwigkai 17. [Manchmal auch Ludwigskai geschrieben]. 1936 starb sein Vater Friedrich (Fritz) Bauer.
Im Juli 1938 promovierte Alfred Bauer an der „Julius-Maximilians-Universität Würzburg“. Doktorvater war der Professor Dr. Wilhelm Laforet. So lautet die Behauptung. Und da Dr. Wilhelm Laforet auch Mitgründer der CSU war, hätte er nach dem Krieg für eine Richtigstellung genügend Zeit gehabt. Aber die hat er genutzt, um am Grundgesetz mit zu arbeiten. Wie auch die von Dir so verehrte Louise Schröder, die in Hamburg immerhin eine Straße und in Berlin eine Turnhalle bekommen hat.
Auch Wiederholungen sind manchmal nützlich. Was schreibt Wikipedia? 1939 legte Dr. jur. Alfred Bauer in Berlin „sein Assessor Examen ab.“
Vielleicht so wie Dr. Hans Bernd Gisevius, der danach bei der Gestapo landete? Hier kommt der Originalton von H. B. Gisevius: “ . . . Und da läßt es sich nicht vermeiden, daß ich mit der erschreckenden Beichte beginne, daß meine berufliche Laufbahn — in der Gestapo angefangen hat. Allerdings hört sich das schlimmer an, als es in Wirklichkeit war. Denn erstens war es noch nicht die Gestapo des Herrn Himmler, der Name Gestapo war den meisten überhaupt noch nicht geläufig, und zweitens kam ich in dieses Institut im Zuge eines beinahe normalen Berufsganges. Juli 1933 machte ich mein juristisches Assessorexamen. Anschließend meldete ich mich zum Dienst in der Preußischen Verwaltung. An sich war es dort sowieso üblich, daß neuernannnte Assessoren, die aus irgendeinem Grunde qualifiziert waren, ihre Laufbahn bei der politischen Polizei begannen. Insoweit brauchte ich mich gar nicht sonderlich zu bemühen.“ [H. B. Gisevius, BIS ZUM BITTERN ENDE, Fretz & Wasmuth Verlag AG. Zürich. 5. Auflage, Seite 55]
Zurück zu Alfred Bauer: Im Scherl Adressbuch von Berlin gibt es von 1939-1940-1941-1942-1943 (danach kein Scherl Adressbuch mehr im Netz): 34-35-36-37-33 x Alfred Bauer.
Ab 1942 gibt es einen Wehrm. Angeh. Bauer, Alfred in Berlin N 65 in der Triftstraße 3. Ein Haus mit 15 Wohnungen. [Scherl Adressbuch Berlin Seite 112, Haushaltsvorstände, Seite 890, Straßenverzeichnis]. Das Haus gehört Feistl, der im gleichen Haus wohnte.
Nach Kriegsbeginn, schreibt Wikipedia, wurde Alfred Bauer zur Wehrmacht eingezogen [Die Wehrpflicht dauerte 1938 zwei Jahre] und er wurde „aufgrund gesundheitlicher Probleme“ am 23. März 1942 von dieser entlassen.
Pdf Abschrift Propaganda Minist (Zeichen 3.223)
Alfred Bauer wird Referent bei Reichsfilmintendant Fritz Hippler. [Fritz Hippler 1942 – 1943, SS-Sturmbannführer = Major]. [Das ist jener Verbrecher, der den widerlichsten antisemitischen Film »Der ewige Jude« gemacht hat, den ich je gesehen habe]. Sein Nachfolger [Seit April 1944] ist auch nicht besser: Hans Hinkel [Reichsfilmintendant und SS-Gruppenführer = Generalleutnant (1943)]
Die erste Berlinale 1951 findet in dem Kino statt, das bis 1938 von dem jüdischen Filmunternehmer Karl Wolffsohn betrieben wurde. Hier eine Abschrift aus dem Klappentext des Buches von Ulrich Döge »Er hat eben das heiße Herz«. Da wird der Verleger und Filmunternehmer Karl Wolffsohn so beschrieben:
„Geboren 1881, erlernte Karl Wolffsohn im väterlichen Betrieb und Ullstein Verlag das Druckerhandwerk. 1910 übernahm er in Berlin erst den Druck, dann den Verlag der später zweitgrößten deutschen Filmfachzeitung „Lichtbildbühne“. Für die im Entstehen begriffene Filmwissenschaft stellte Wolffsohn ein stetig erweitertes Sortiment an Fachbüchern und seine international einzigartige Fachbibliothek bereit. Unterstützt vom Minderheitsgesellschafter Ullstein, pachtete er außerdem Kinos in Essen [Lichtburg], Berlin [Lichtburg], Köln und Düsseldorf, zudem ein Varieté in Dortmund. Doch die Nationalsozialisten zwangen ihn, sich umgehend von fast allen Unternehmen zu trennen. Sein Kino als Teil der Berliner Gartenstadt Atlantic konnte Wolffsohn zunächst weiterbetreiben, weil er 1937 heimlich Eigentümer der gesamten Wohnanlage wurde. Angeklagt, sich an deren überfälliger „Arisierung“ bereichert zu haben, hielt ihn die Gestapo sechs Monate gefangen. 1939 flüchtete er mit seiner Ehefrau Recha nach Palästina. Wegen zahlreicher Rückerstattungsprozesse kehrte das Ehepaar ein Jahrzehnt später nach Deutschland zurück. Karl Wolffsohn starb 1957 in Berlin.“
Die »Lichtburg« war ein Teil der »Gartenstadt Atlantic«: Ein Wohnhausbau mit integriertem Cafe, Restaurant und einem großen Kino am Gesundbrunnen. Und nun kommst Du, J.
Hallo Wiebeke, natürlich gebe ich Dir Recht, das ist ein richtiger Flickenteppich geworden. Hier noch ein Stück davon: Ulrich Döge schreibt auf Seite 378: „Mitte März 1933 hatte Rudolf Sutthoff-Groß (1894-1945?) den sozialdemokratischen Weddinger Bürgermeister Carl Leid abgesetzt und sich zu seinem Nachfolger ernannt, ein Willkürakt, bestätigt von der nationalsozialistisch dominierten Bezirksverordnetenversammlung. Vermutlich Ende Mai oder Anfang Juni [1933], wurde Karl Wolffsohn ins preußische Kultusministerium bestellt. Ihn begleiteten der nationalsozialistische Rechtsanwalt Wolfgang Schirmer und der Steuerberater Eduard Pissel. Hans Hinkel, Staatskommissar dieses Ministerium zu besonderen Verwendung, Leiter des preußischen Kampfbundes für deutsche Kultur und Mitglied des Reichstages isolierte den Lichtburg Pächter [Karl Wolffsohn] von seinen beiden Begleitern und teilte im Beisein von SA- und SS-Männer mit, als Jude dürfe er das Theater nicht mehr führen.“ (LBB Nr. 82, 05. 04. 1933; Die neue Kulturpolitik, in Vossische Zeitung , Nr. 161, 5.4.1933.)
Ernst Klee schreibt in seinem Buch: »Das Kulturlexikon zum Dritten Reich« über Hans Hinkel: „Hinkel, Hans. SS-Gruppenführer (1943)* 22.6.1901 Worms. 1920 Freikorps Oberland. 1921 NSDAP. 1930 MdR. 1930-1932 Berliner Schriftleiter des Völkischen Beobachters. 1933 Staatskommissar im preuß. Wissenschaftsministerium (»Reichskulturverwalter«) mit besonderen Aufgaben wie Überwachung und »Entjudung«. Goebbels am 19.9. 1935 »Ein geborener Intrigant und Lügner.« 1936 Geschäftsführer der Reichskulturkammer. 1944 Reichsfilmintendant. † 8.2.1960 Göttingen. Lit. Benz Enzyklopädie..“ [Die 16 SS-Ränge, bei Ernst Klee, Personenlexikon zum Dritten Reich, Seite 719] Sturmmann = Gefreiter Rottenführer = Obergefreiter Unterscharführer (Uscha.) = Unteroffizier Scharführer = Unterfeldwebel Oberscharführer (Oscha.) = Feldwebel Untersturmführer (Ustuf.) = Leutnant Obersturmführer (Ostuf.) = Oberleutnant Hauptsturmführer (Hstuf.) = Hauptmann Sturmbannnführer (Subaf.) = Major Obersturmbannführer (OStubaf.) = Oberstleutnant Standartenführer (Staf.) = Oberst Oberführer (Oberf.) = Oberst Brigadeführer (Brif.) = Generalmajor Gruppenführer (Gruf.) = Generalleutnant Obergruppenführer (OGruf.) = General Oberstgruppenführer = Generaloberst
Und dann das Absurde und zugleich Komische: Da erzaehlt der Berliner Kulturfilmproduzent Theodor Blomberg nach dem Krieg der in Paris lebenden Filmhistorikerin Dr. Lotte Eisner — Alfred Bauer sei „die Rechte Hand von Oswald Lehnich“ [Präsident der Reichsfilmkammer 1935 und SS-Oberführer = Oberst] gewesen. Als Alfred Bauer über Umwege davon erfährt, bestreitet er dies ― und dann kommt 34 Jahre nach seinem Tod (1986) heraus, dass er tatsächlich nicht bei Oswald Lehnich die Rechte Hand war, sondern bei dem SS-Sturmbannführer [Major] Fritz Hippler und seinem Nachfolger SS-Gruppenführer [Generalleutnant] Hans Hinkel (1943) [zwei SS-Dienstgrade hoeher als SS-Oberführer = Oberst] Oswald Lehnich die Rechte Hand gewesen ist.
Und dann findet die erste Berlinale 1951 auch noch in einem Kino statt, das 1938 geraubt [arisiert] wurde und Karl Wolffsohn gehörte. Und weil sich Spuren besser verwischen lassen, bekam es nach dem Raub einen anderen Namen. Aus »Lichtburg« wurde »Corso Kino« . Der Standort, Gesundbrunnen, war von Dr. Alfred Bauer für die erste Berlinale 1951 gut gewählt. Es lag an der Sektorengrenze zum Russischen Sektor. Das Kino hatte nach der Wiedereröffnung am 22. Dezember 1947 im ersten Jahr 2 Millionen „Grenzkinobesucher“. So wurden jene Zuschauer genannt, die aus Ost-Berlin kamen.
Bei der Eröffnung am 25.12.1929 hatte die »Lichtburg« 1600 Sitzplätze im Parkett und 400 im Rang und in den Logen. [2000 Sitzplätze] [Eintritt 1949: 0,25 Pfennig West und 1,50 Ost.
Der Vorgesetzte von Alfred Bauer, SS-Gruppenführer Hans Hinkel von der Reichsfilmkammer kannte dieses Kino gut. Die Enteignung der Jüdischen Kinobesitzer gehörte zu seinem Aufgabenbereich. J.
Hallo Wiebeke, jetzt habe ich doch noch ein Adressbuch von 1937 von Wuerzburg gefunden. Da stellt sich Folgendes heraus: Seine Mutter hieß Frieda Bauer und ist 1937 im Namensverzeichnis als Witwe bezeichnet und wohnt am Ludwigkai 4 (sehr nobel am Wasser) im zweiten Stock. Sohn Alfred Bauer wohnt als Dr. jur. Alfred Bauer in der Martin Luther St. 1 im ersten Stock. (1937). Dort wohnt im gleichen Stockwerk auch noch ein Mensch mit Namen Bauer, E., mit dem Beruf: Abteilungsleit.. Ebenfalls im ersten Stock. Nicht sehr komfortabel, weil im Erdgeschoss ist die Kneipe »Louisengarten«.
Im Scherl Adressbuch von Berlin gibt es in der fraglichen Zeit mehrere Seiten mit dem Namen Bauer. Im fraglichen Zeitraum von 1938-1943 verzeichnen die Scherl Adress Bücher 1937 —35 x Alfred Bauer 1939 —34 x Alfred Bauer 1940 —36 x Alfred Bauer 1942 — 33 x Alfred Bauer 1943 ― 35 x Alfred Bauer
Unter den 33 Alfred Bauers aus dem Jahr 1942 gibt es einen Alfred Bauer im Strassenverzeichnis des Scherl Adressbuches mit der Berufsangabe Wehrm. Angeh. N 65 in der Triftstraße 3. Dort steht heute noch ein Haus, das so aussieht, als hätte man es so wiederaufgebaut, wie es 1943 dort stand. Dicht am U – und S – Bahnhof Wedding. Ein zweiter Alfred Bauer mit der Berufsangabe Reichsangest. wohnt in Tempelhof in der Gontermannstraße 73. Von 1944 – 1954 stehen keine Adressbücher von Berlin im Netz. Wikipedia schreibt: Alfred Bauer hat 1939 in Berlin das Assessor Examen bestanden. Bei Kriegsbeginn wurde er in Berlin zum zweijährigen Wehrdienst einberufen. Bei Kriegsbeginn am 1. September 1939 ist Alfred Bauer (geb. am 18. November 1911) 28 Jahre alt.
In Würzburg gibt es 1937 — ca. 300 Personen mit dem Namen Bauer, aber nur einen Alfred. Der wohnt Ludwigkai 28. Seine Mutter (Witwe) wohnt im gleichen Haus im zweiten Stock. Der Eintrag im Adressbuch Würzburg aus dem Jahr 1937 lautet: Dr. jur. Alfred Bauer, Martin Lutherstraße 1 (I. Stock). 1953-1959 ist der „Pressereferent“ wie er sich nennt, Dr. Alfred Bauer, im Berliner Telefonbuch mit der Anschrift Berlin Charlottenburg, Westendallee 105 zu finden. J.
Hallo Wiebeke, Wiederholungen sind manchmal angebracht, wenn man so schoene Postkarten findet. J.
Hallo Wiebeke, ja die Familie Bauer hatte urspruenglich (als das Kind Alfred geboren wurde) am Ludwigkai 28 gewohnt. Und das NSDAP Gebaeude war im Haus Ludwigkai 4 auf der gleichen Strassenseite. Und nun rate mal wer der Ehrenbürger in Würzburg seit 1. Mai 1933 ist. Besonders interessant ist die Begründung: „wurde in dankbarer Anerkennung seiner hohen Verdienste am Volk und Vaterland durch einstimmigen Beschluß des Stadtrates vom 2. Mai 1933 zum Ehrenbürger der Stadt Würzburg ernannt“. Ehrenbürger, weil er den 1. Mai 1933 zum gesetzlichen Feiertag gemacht hatte?
Aber ich finde, das ist immer noch kein Grund für die Royal Air Force mit 380.000 Stabbrandbomben und 1.124 Sprengbomben aus 280 Flugzeugen am 16. März 1945 innerhalb von 20 Minuten Würzburg in Schutt und Asche zu legen. Und das alles nur um die verräterische Doktorarbeit von Dr. Alfred Bauer zu verbrennen? Und hier kommen noch meine Fotofundstücke, alle unter cc Lizenz, bis auf das von der SDK, da muß ich noch mal fragen, J.
Briefe an Eugen (XVI) Neue Filmkunst Walter Kirchner + VEB Progress Film Verleih
(Zeichen 5.654) Briefe an Eugen (XVI) Neue Filmkunst Walter Kirchner
PDF Briefe an Eugen (XVI) Neue Filmkunst
Hallo Eugen, der Film »Titanic« wurde 1942-43 hergestellt. Geplante Dreharbeiten vom 12. 03. 1942 – Oktober 1942. Im April 1963 brachte ihn der Verleih: »Neue Filmkunst Walter Kirchner« aus Göttingen ins Kino.
Zu jedem Film dieses Verleihs wurde ein Programmheft erstellt: »Kleine Filmkunstreihe Nr. 30«. Die Redaktion dieser Hefte hatte Fritz Puhl. Die Zusammenstellung und der Text stammt von Wolfgang R. Langenbucher. Die Graphik stammt von Hans Hillmann und Isolde Baumgart. Leider habe ich das Programmheft nicht einzeln, sondern nur in der gebundenen Fassung. Deswegen kommt hier eine Abschrift aus selbigem Heft Nummer 30:
Abschrift: „Mehrmals in der Geschichte des Films hat die Tragödie des Ozeanriesen TITANIC vor der Kamera ihre Nachgestaltung erfahren. Zum erstenmal bereits im Jahre 1913 in Dänemark durch Augustus Blom (unter dem Titel „Atlantis“, nach dem gleichnamigen Roman von Gerhard Hauptmann); zum bisher letztenmal in Amerika durch Jean Negulesco („Der Untergang der Titanic“, 1953).
Der deutsche Film TITANIC entstand 1942/43. Er hat ein so bewegtes Schicksal gehabt, daß er selbst Gegenstand eines Filmes oder eines Romans werden könnte, nicht zuletzt, weil er der Anlaß war für die persönliche Tragödie des Regisseurs Herbert Selpin.
Es begann bei den Außenaufnahmen auf dem im Hafen von Gdingen liegenden deutschen Luxusdampfer CAP ARCONA. Schon während der ersten Drehtage kam es zu erheblichen Differenzen zwischen dem Regisseur und einigen Offizieren der in Gdingen stationierten Verbände der deutschen Kriegsmarine.
Sie störten bei Tage die Dreharbeiten, funkten nachts mit ihren Blinklichtern dazwischen und unternahmen am Tage wie bei Nacht schneidige Kaperfahrten auf die Herzen der Statistinnen. Im Kasino von Zoppot ließ Selpin seinem Zorn freien Lauf und nahm, was seine Meinung über das Verhalten des Militärs betraf, kein Blatt vor den Mund.
Ein Kollege und ehemals persönlicher Freund [Walter Zerlett-Olfenius] denunzierte ihn bei dem Präsidenten der Reichskulturkammer, SS-Obergruppenführer [Hans] Hinkel. Nur mit Mühe und Not konnte verhindert werden, daß man Selpin bereits vor Abschluß der Außenaufnahmen verhaftete.
Kaum waren jedoch die Aufnahmen in Gdingen beendet, mußte Selpin — die übrigen Arbeiten an dem Film waren noch im vollen Gange ― vor einem Ehrengericht erscheinen. Er lehnte es ab, seine Äußerungen zu widerrufen.
Damit war sein Schicksal entschieden. Seine Verhaftung erfolgte am 30. Juli 1942. Zwei Tage später, am Morgen des 1. August, fand man ihn tot in seiner Zelle. Alles war so arrangiert, daß man auf Selbstmord schließen sollte. Fotos des Ermordeten erwiesen später jedoch, das man ihn erwürgt hatte.
Selpins Freunde glaubten keinen Augenblick an die Selbstmord-Version. Es kam zu Sympathiekundgebungen, den ersten öffentlichen Protesten der „Kulturschaffenden“ gegen die Gewaltmethoden des Dritten Reiches. Mitarbeiter, die als Selpin-Gegner bekannt waren, wurden offen boykottiert ― bis Goebbels durch Anschläge in den Ateliers mit allem Nachdruck vor weiteren ähnlichen Kundgebungen warnen ließ.
Am Vorabend des Tages, an dem trotz der „Affaire Selpin“ der Film uraufgeführt werden sollte, zerstörte ein Bombenangriff in Berlin das Kino und die bereitliegende Uraufführungskopie. Das war für Goebbels eine willkommene Gelegenheit, den Film endgültig „bis nach dem Kriege“ zu verbieten — angeblich, um die Nerven der Kinobesucher zu schonen.
Die noch vorhandenen Kopien und das Negativ wurden unter Verschluss getan und galten seitdem als verschollen. Erst im Jahre 1949 fand man eine Kopie des Films wieder und ließ ein neues Negativ anfertigen. Der Film lief an — und mußte schon nach kurzer Zeit wieder abgesetzt werden.
Die Engländer hatten, obwohl der Film von dem damaligen amerikanischen und französischen Film-Kontroll-Organen freigegeben worden war, die Aufführung gesperrt und die Zurückziehung der Vorführgenehmigung verlangt. Ihrer Ansicht nach war der Film eine Verunglimpfung der White-Star-Linie wie überhaupt ein Werk von allgemein antibritischer Tendenz.
Erst nachdem die Amerikaner selbst einen Titanic-Film herausgebracht hatten, wurde der Film endgültig freigegeben und konnte nun — im Jahre 1955 ― ungehindert gezeigt werden.
Für die heutigen Betrachter ist die Frage, welcher Nation Reederei und Besatzung der TITANIC angehörten bedeutungslos geworden. Die Ursachen der Tragödie — skrupelloses Gewinnstreben und blinde Rekordsucht ― haben keine Nationalität. Gewiß hätte Goebbels keine Millionen für den Film aufgewendet, wenn er in dem Stoff nicht Möglichkeiten gesehen hätte, den rücksichtslosen Geschäftsgeist in den „westlichen Plutokratien“ darzustellen.
Andrerseits: die Vorgänge, die der Film schilderte, haben sich ja in der Tat abgespielt. Börsenspekulationen standen durchaus — wenn sie auch nicht die einzigen Antriebsmomente für die Rekordfahrt waren — im Hintergrund der Ereignisse.
Ebenso gab es an Bord ― wenn auch die verschiedenen privaten Schicksale frei erfunden sind ― einen 1. Offizier mit Namen Petersen und einige andere, die den Kapitän wiederholt vor den Gefahren des eingeschlagenen Kurses warnten. Auch die Darstellung der Verhaltensweise des Kapitäns und des massiven Druckes, der auf ihn ausgeübt wurde, entspricht den Tatsachen.
Der Grund dafür lag letzten Endes, neben den Finanzspekulationen, in dem damals gerade zwischen englischen und und deutschen Reedereien geführten Wettstreit um die Vorherrschaft im Personenverkehr über den Atlantischen Ozean.
Der Prestigekampf zwischen den Großmächten hätte — wäre es Selpin und seinen Mitarbeitern um einen reinen „Gott-strafe-England-Film“ nationalsozialistischer Prägung gegangen ― ganz andere Möglichkeiten geboten, als die Vorgänge, die sie in dem Film zeigten.
Doch diese Dinge sind 50 Jahre nach der Katastrophe ohne Belang. Wir sehen heute in dem Untergang der TITANIC mehr als nur einen von bestimmten Menschen verursachten Unglücksfall. Wir sehen in ihm — unabhängig davon, unter welcher Flagge das Schiff fuhr ― ein allgemeingültiges Sinnbild für das Scheitern des Menschen mitsamt seiner Technik an den Gewalten der Natur.
Und gleichzeitig ein eindringliches Beispiel für die Folgen menschlicher Vermessenheit, wie sie sich in den Worten eines Angehörigen der Besatzung ausdrückt, der kurz vor dem Auslauf des angeblich unsinkbaren Ozeanriesen erklärt hatte: „Dieses Schiff könnte selbst Gott nicht versenken!“ Da gibts natürlich noch mehr Texte, aber da hatte ich keine Lust, die alle abzuschreiben, J.
Hallo Eugen, ja, zu Deiner Nachfrage. Vor einigen Jahren habe ich mir mal eine DVD von der Deutschen Fassung von Titanic angesehen. Die war in einem grauenhaften Zustand. Wenn Friedrich Wilhelm Murnau das gesehen hätte. Nicht auszudenken. So konnte er sich nur im Grabe umdrehen, als ich ihm davon berichtete, J.
Hallo Eugen, inzwischen habe ich noch herausgefunden, daß der Film auch in der DDR ins Kino gekommen ist. Der Progress Film Verleih hat ihn 1961 als Reprise herausgebracht. (Heft 102/61). Sogar ein eigenes Plakat wurde dafür gedruckt. Wenn man bedenkt, daß Herbert Selpin bei Friedrich Wilhelm Murnau Hilfsassistent des Aufnahmeleiters beim »Faust« Film gewesen ist, also der Lehrling, dann wundert man sich schon darüber, über die grottenschlechte DVD Kopie, die diese Murnau Stiftung von Selpins Film (war er das überhaupt noch?) auf den Markt gebracht hatte, J.
Hallo Eugen, ja es sollte sich mal jemand, so ähnlich wie Enno Patalas um den Film »Metropolis« von Fritz Lang, mal daran machen und den Film »Titanic« so wiederherstellen, wie er eigentlich hätte werden sollen. Davon, das der Kameramann, Friedl Behn-Grund, ein Talent gewesen sein soll, sieht man bei der Wiedergabe der DVD von der Friedrich Wilhelm Murnau Stiftung , kurz geschrieben: nichts.
Hallo Eugen, nur um Deine Neugier zu befriedigen. Ja, Selpin hat es bis in die Seite imdb geschafft. Dort findet sich: Text bei IMDB.com: Herbert Selpin (29 May 1904 – 1 August 1942) was a German film director and screenwriter of light entertainment during the 1930s and 1940s. He is best known for his final film, the partly suppressed Titanic, during the production of which he was arrested by Propaganda Minister Joseph Goebbels. He was later found dead in his prison cell. Died under mysterious circumstances, was quite possibly killed by the Gestapo. Dissatisfied with the scenario of the film Titanic (1943), Selpin openly criticized its writer Walter Zerlett-Olfenius and the whole German Navy. Goebbels had him arrested by the Gestapo. Selpin was found hung in his cell the following day. Suicide or murder.
Die Suchmaschine übersetzt: Unter mysteriösen Umständen gestorben, wurde möglicherweise von der Gestapo getötet. Unzufrieden mit dem Szenario des Films Titanic (1943) kritisierte Selpin offen dessen Autor Walter Zerlett-Olfenius und die gesamte deutsche Marine. Goebbels ließ ihn von der Gestapo verhaften. Selpin wurde am folgenden Tag erhängt in seiner Zelle aufgefunden. Selbstmord oder Mord.
Hallo Eugen, das mit dem RMS der Titanic stimmt auch. RMS ist die Abkürzung für: Royal Mail Ship / Royal Mail Steamer = Königlicher Postdampfer. So schreibt das Heft aus dem Hause Walter Kirchner: „In Southhampton, Cherbourg und Queenstown hatte die TITANIC Post aufgenommen; insgesamt lagerten bei der Überfahrt mehr als 3000 Postsäcke in ihren Laderäumen.“
Hallo Eugen, auch das schreibt das Heft aus dem Hause Kirchner: „Die offizielle Totenliste des englischen Handelsministeriums registrierte: von den 323 Passagieren der 1. Klasse wurden 202 gerettet, von den 277 der 2. Klasse 115, aber von den 709 Passagieren der 3. Klassse entgingen nur 176 dem Tod; von der Mannschaft wurden 4 Offiziere und weitere 206 Menschen bei einem Personal von insgesamt 900 Mann Besatzung gerettet.“ Was lernen wir daraus? Nie bei der Besatzung sein und wenn schon mit einem Schiff nach Amerika, dann immer 1. Klassse fahren, J.
Hallo Eugen, nur um Deine Neugier zu befriedigen. Ja. Seit 14. März 1933 war er Mitglied der NSDAP, J.
Hallo Eugen, über die Deutsche Erstaufführung gibt es unterschiedliche Informationen. Zum Beispiel die, dass eine Premiere in Berlin stattfinden sollte. Leider wurde das Kino am Tage der Aufführung mitsamt der bereit gestellten Kopie bombardiert. Der Name des Kinos wird in diesem Zusammenhang nicht genannt. Nun wurden im fraglichen Zeitraum (September – November 1943) eine ganze Reihe von Kinos in Berlin bombardiert. Eine andere Information lautet: Am 17. Dezember 1942 fand im Reichspropagandaministerium eine Vorführung statt.J.
Hallo Eugen, ja im Ausland war »Titanic« ein großer, auch finanzieller Erfolg. Premiere in Prag am 12. September 1943 (vermutlich eine untertitelte Version?), am 10. November 1943 in Paris (vermutlich eine französische Synchronisation), am 12. November 1943 in Finnland (Untertitel ?), am 28. Januar 1944 in Schweden (Untertitel ?). Am Ende des Filmes gibt es in der ursprünglichen Fassung eine Gerichtsverhandlung in New York, die in der Version, die die Friedrich Wilhelm Murnau Stiftung vertreibt, fehlt. Die Längenangabe von FWMS ist 2467 m. Noch Fragen? J.
Achso, ja, In der SU kam der Film am 27. August 1949 ins Kino, J.
Hallo Eugen, Du bist ja wirklich unendlich neugierig. Ja, ich habe was über den Kameramann von Titanic, Friedl Behn-Grund gefunden. Bei Hans Helmut Prinzler in seinem Buch: »Chronik des deutschen Films« auf Seite 15 + Seite 385 schreibt er:
„Friedl Behn-Grund, geb. am 26. August 1906 in Bad Bolzin, gest. am 2. August 1989 in West-Berlin. Kameramann. Zwischen 1925 und 1969 hat er an die 170 Filme photographiert. Sein Faible waren die Hell-Dunkel-Kontraste des Schwarzweiß-Films. »In den 30er und 40er Jahren gehört er zum Kamerastab der Ufa und Tobis. Er gilt als solider Handwerker, dessen Arbeit weniger auf Virtuosität einzelner Einstellungen als auf die Geschlossenheit der Filmdramaturgie zielt. Seine Lichtsetzung orientiert sich an den Standards der realistischen Malerei.« (Michael Esser, Gleißende Schatten, Mannheim 1994), Da hast Du es. Jedenfalls sehen die Fotos bei Alamy und Imago viel besser aus, als die Bilder auf der DVD von FWMS, J.
Hallo Eugen, da hab ich noch was gefunden. Bei Ernst Klee auf Seite 567 seines »Kulturlexikon zum Dritten Reich« und das ist vermutlich kein Witz von ihm. Danach hieß Herbert Selpin eigentlich Herbert Pinsel. Er hat das nur umgedreht, J.
Brief an einen Freund (II)
Brief an meinen Freund Dietrich. Über ein Buch: Die Geschichte des Films im Dritten Reich von Francis Courtade / Pierre Cadars, Hamburg 25. Januar 2021
Hallo Dietrich, hier kommt nun die positive Seite der Pandemie zum Vorschein. Ich lese viel. Erst habe ich mit Vergnügen das Buch, das Du mir geschickt hast (David Wittenberg) gelesen, und jetzt habe aus der Bürosammlung ein Buch mitgenommen, das ich noch nie gelesen hatte. Und das mit gutem Grund. Wer liest schon Bücher über die Filmgeschichte? Ich jedenfalls habe alle Filmgeschichtsbücher (Gregor Patalas und was es sonst noch so alles gibt) immer nur zum Nachschlagen benutzt, aber niemals von vorn nach hinten durchgelesen. Jetzt bin ich bereits auf Seite 181 in der deutschen Übersetzung von Francis Courtade und Pierre Cadars „Geschichte des Films im Dritten Reich“, von 1976 von der Büchergilde Gutenberg herausgebracht, übersetzt hat das Buch Florian Hopf. Ich finde das Buch, die Nazis aus der Sicht der Franzosen, richtig charmant. Was mir gut gefällt sind die Beschreibungen der Nazi Filme. Kein deutscher Buchautor (den ich kenne) traut sich aus Mein Kampf wörtlich zu zitieren, was der Führer aller Nazis da so gemeint haben könnte. Auch bestimmte Worte, die es scheint, das es sie im Französischen nicht gibt, kommen manchmal vor. (Der schreibt nie von einer Kamerafahrt, sondern nimmt immer das englische Wort). Auch das macht die Sache flott. Damit Du das Buch in Deinem Regal schnell findest, habe ich den Umschlag auf den Scanner gelegt. Das Nachwort von Gerd Albrecht werde ich vermutlich auslassen. Ich hatte ein Seminar in der dffb mit ihm, das nannte sich „Vorurteilsminderung“ – ich habe so in Erinnerung, das ich der einzige Student war, der damals sein Seminar besucht hat, die anderen Studenten und Studentinnen (bei uns gab es einen Frauenüberschuss) haben gesagt, es gehe ihnen nicht um Vorurteilsminderung, sondern es gehe um die Revolution. Das konnte ich damals gar nicht glauben, ich kam ja direkt von der Werft zu Ihnen und hatte mir nur gemerkt: Nicht schnell laufen, weil, wer schnell läuft, das hatten mir die Werftkollegen beigebracht, wird erschossen. Und das wollte ich auf jeden Fall vermeiden. Ich war schon immer mehr füt Daumendrücken (Siehe: Sein oder Nichtsein von Lubitsch), Jens
Abschrift eines Textes von David Stewart Hull (1961)
pdfMordanSelpinWürgemale am Hals
PDF Abschrift David Stuart Hull (Zeichen32.317)
(Zeichen 31.972) Falschheiten: Vorname Fritz! Abschrift: David Stewart Hull, Berkely USA, veröffentlicht in der Zeitschrift »Film« Heft 3 im August / »September 1963. Herausgegeben von Hans Dieter Roos und Werner Schwier. Es handelt sich dabei um eine Übersetzung des Artikels, der vom Autor David Stewart Hull (auch David Stuart Hull) durchgesehen und von der Redaktion der Zeitschrift »Film« gekürzt wurde. Der Aufsatz ist zuerst in der Zeitschrift „Film Quarterly“ im Sommer 1961 abgedruckt worden. „Abschrift eines Textes von David Stewart Hull (1961)“ weiterlesen