Apropos Sondergericht

Abschrift

PDF AbschriftSondergericht WürzburgZeichen14.089

14.089SG. 81/44 Abschrift:

Im Namen des Deutschen Volkes!

Das Sondergericht Würzburg hat in dem Strafverfahren gegen: S.xxxxxxxxx Gertrud, Kontoristin in Würzburg, zur Zeit in Untersuchungshaft, wegen Beihilfe zur Fahnenflucht, in der öffentlichen Sitzung vom 9. Juni 1944, wobei zugegen waren: Landgerichtsdirektor Dr. Förtsch als Vorsitzer, Landgerichtsräte Freihalter und Schlee als Beisitzer, Amtsgerichtsrat Dr. Kuhn als Vertreter der Anklagebehörde, für Recht erkannt: I. S.xxxxxxxxx Gertrud Franziska, geb. 9. 10. 1923 in Würzburg, verh. Kontoristin, zur Zeit in Untersuchungshaft, hat ihren Ehemann Robert S.xxxxxxxxx, im November 1943 bei der Fahnenflucht unterstützt. Sie wird hiewegen zur Gefängnisstrafe von 9 Monaten und zu den Kosten verurteilt. II. Auf die Strafe werden 6 Tage Untersuchungshaft angerechnet.

Gründe:

Die Angeklagte schloss am 3. 6. 1943 in Würzburg mit dem damaligen Unteroffizier Robert S.xxxxxxxx die Ehe. S.xxxxxxxxx war Berufssoldat. Der Vater der Angeklagten war gegen diese Heirat, während sie von der Mutter zunächst begrüsst wurde. Nach der Eheschließung aber änderte auch die Mutter ihre Gesinnung und verhielt sich ablehnend gegen ihren Schwiegersohn. Die ehelichen Verhältnisse der Eltern bzw. Schwiegereltern sind nicht harmonisch. Die Angeklagte liebte ihren Mann tief und innig. Sie litt unter den zerrütteten Familienverhältnissen ihrer Eltern schwer und schloss sich deshalb immer mehr an ihren Mann an.

Dieser stand zu Zeitpunkt der Eheschliessung in Frankreich im Einsatz. Er kam dort ins Lazarett nach Paris und von hier zu seinem Ers. Truppenteil, der Kraftfahrer Ers. und Ausbildungsabteilung Euskirchen. Die Fahrt dorthin führte über Würzburg. Hier unterbrach er sie eigenmächtig und verblieb 8 Tage bei der Angeklagten. Um nicht entdeckt zu werden, fälschte er das Ankunftsdatum um 8 Tage. In Euskirchen erkrankte er abermals und bekam einen Genesungsurlaub nach Tirol. Dorthin begleitete ihn die Angeklagte. Am Ende dieses Urlaubs erkrankte er wiederum und kam für 14 Tage ins Lazarett nach Würzburg und anschliessend zum Ersatztruppenteil telegrafierte nach Euskirchen.

Vom 6.10. – 21.10.1943 erhielt er Erholungsurlaub nach Würzburg. Am 21. 10. befand er sich bereits auf der Fahrt zu seinen Ersatztruppenteil nach Euskirchen. In Köln entschloss er sich jedoch wieder nach Würzburg zurückzufahren. Er fälschte im Soldbuch und Urlaubsschein das Datum “21.10“ in “27.10.“ um und fuhr nach Würzburg zurück. Dem Ersatztruppenteil telegrafierte er am 24.20., er sei krank geworden und ins Lazarett nach Würzburg gekommen. Tatsächlich ging er dort aber erst am 25.10.1943 ins Lazarett. Am Sonntag, den 7.11.1943 besuchte ihn die Angeklagte gemeinsam mit ihrem Vater. Er kam ihr sehr nervös und verstört vor. Die Ursache hierfür erblickte sie zunächst in der Anwesenheit ihres Vaters.

Als dieser jedoch gegangen war, erklärte ihr ihr Mann: “Nun kommen wir zur ernsten Teil“. Er erzählte ihr dann, das man ihm am 5.11. sein Soldbuch abverlangt habe, er hätte eine hohe Zuchthausstrafe von 20 Jahren zu erwarten, ihm bliebe nur noch die Flucht oder Zuchthaus. Die Angeklagte erschrak furchtbar und drängte ihn doch zu sagen, warum er denn diese hohe Strafe erhalte. Er wich der Beantwortung dieser Frage aus und erklärte ihr, wenn sie mitginge, würde er sich erschiessen. Der Schreck und die Aufregung der Angeklagten steigerte sich immer mehr. Sie redete ihm zu, dass er doch nichts so Schlimmes begangen haben könne. Doch er fing immer wieder an und “zerrte sie hin und her“ und liess sie fast nicht zu Worte kommen. Wenn sie etwas sagen wollte, fuhr er sie gleich gereizt an. Auch getraute sie sich nicht mehr zu sprechen, da noch andere Soldaten im gleichen Krankensaal lagen.

Als gegen Ende der Sprechstunde die Zeit drängte, wiederholte er seine Drohung mit dem Erschiessen, übergab ihr einen Zettel, auf dem die näheren Anweisungen für die Fluchtvorbereitung stand, sprach von der Schweizergrenze und eröffnete ihr, das er in der folgenden Nacht gegen 24. Uhr kommen werde. Sie solle ihn im Hofe des Anwesens erwarten. Da die Angeklagte Angst hatte, er würde sich tatsächlich erschiessen und da sie ihn liebte, ihn retten und sich erhalten wollte, erklärte sie sich schließlich bereit mit ihm zu fliehen und die von ihm gewünschten Fluchtvorbereitungen zu treffen.

Zu Hause war sie ganz durcheinander. Ihren Eltern wollte und konnte sie sich nicht anvertrauen, weil sie sich wegen ihres gespannten Verhältnisses zu ihnen nichts sagen traute. Noch am 7.11. ging sie durch Würzburg und schaute sich alle Winkel an, um sich von ihnen gewissermassen zu verabschieden. Sie glaubte nicht mehr nach Würzburg zurückzukommen. Am 8.11. löste sie entsprechend der Weisung auf dem Zettel 2 D-Zugfahrkarten nach Innsbruck und packte 2 Koffer. Nach der Weisung ihres Mannes sollte sie nur die unbedingt notwendige Wäsche einpacken. Sie konnte sich jedoch von den einzelnen ihr lieb gewordenen Wäschestücken nicht trennen und packte deshalb recht viel ein.

Am Abend den 8.11. erwartete sie ihren Mann mit den beiden Koffern und den Fahrkarten im Hof des Anwesens. Als er um 24 Uhr nicht kam, atmete sie erleichtert auf. Inzwischen war auch ihr Vater heimgekommen. Sie wollte ihm schon entgegen gehen und ihm alles sagen, getraute sich aber wiederum nicht. Gegen ½ 1 Uhr wollte sie sich bereits in die Wohnung begeben, da kam ihr Mann. Als er die schweren Koffern hob, fuhr er sie an, ob sie verrückt sei, weil sie alles zusammengepackt habe. Er warf die Wäsche teilweise heraus und verpackte das Notwendige in 2 kleinen Koffern, davon die Wäsche in den einen und das übrige in den anderen Koffer. Diese kleineren Koffer standen in einer Halle.

Über seiner Uniform zog er einen Zivilanzug und einen Mantel an und versteckte seine Stiefel und sein Koppel in einem Korbe in der Halle. Dann gingen sie zum Bahnhof und fuhren von Würzburg aus mit dem D-Zug nach München. Sie stiegen in den letzten Wagen ein. Von München aus fuhren sie über Feldkirch nach Bludenz. Auf dieser Strecke passte die Angeklagte auf und gab ihrem Mann ein Warnungszeichen, wenn eine Heeresstreife kam. Bei Tag ging er dann bei Gefahr in die Toilette, bei Nacht stieg er auf das äusserste Trittbrett des Wagens. Auf diese Weise entging er tatsächlich der Kontrolle.

Ursprünglich wollten beide in Feldkirch aussteigen. Als sie jedoch diese Station überfahren hatten, meinte der Ehemann, es sei wegen der strengen Kontrolle in Feldkirch besser, wenn sie bis Bludenz führen. Von Bludenz sei der Weg zu Grenze zwar etwas weiter, dafür um so sicherer. Sie kamen nachts gegen 2 Uhr in Bludenz an und gingen anschließend sofort außerhalb des Ortes, um nicht aufzufallen. Während der ganzen Fahrt hatten sich beide in einer schlechten seelischen Verfassung befunden. Die Angeklagte wollte ihren Mann wiederholt zur Umkehr bewegen. Sie stellte ihm u. a. vor, er solle doch bedenken, dass er mit seiner Flucht als Soldat in eine furchtbare Zukunft gehe. Doch dieser fuhr sei nur an. Bei Morgengrauen begannen sie mit dem Aufstieg auf den Berg “Gol-iath“ (Gottvater?) und zwar von der Nordseite her nach Osten. Sie stiegen bis Mittag auf.

Dann wurde es dem Manne zu heiß. Er zog seine Militäruniform aus und verbarg sie mit der Pistole und der Pistolentasche und mit einem Fotoapparat unter einem Gebüsch. Auch den Wäschekoffer stellte er unter dieses Gebüsch, da er für den weiteren Aufstieg zu schwer war. Sie gingen weiter. Die Angeklagte jammerte ständig und konnte fast nicht mehr weiter. In einer Höhle übernachteten sie. Während der Nacht erkrankte sie und hatte starkes Fieber. Sie bat ihren Mann doch umzukehren. Sie fragte ihn wiederum, was er denn verbrochen habe und warum er die hohe Strafe erwarte.

Darauf hin erklärte er ihr, wenn sie nicht ruhig sei, stürze er sich den Felsen hinunter. Da bekam die Angeklagte wiederum Angst um sein Leben. Da sie aber nicht mehr weiterkam, begannen sie mit dem Abstieg. Ihr Krankheitszustand verschlimmerte sich jedoch und deshalb blieben sie 3 Tage in der Alpe “Gavalina“. Von hier aus liefen sie dann bis Dalaas und fuhren mit der Bahn über Innsbruck-Salzburg, Freilassing nach Cham und gingen von dort nach Prinzing zu den Eltern des Ehemannes der Angeklagten. In Prinzing kamen sie am 17.11. an, blieben aber nur eine Nacht. Von hier aus gingen sie zu Verwandten des Ehemanns nach Kottmailsling. (Kothmaißling?) Auch hier waren sie nur 1 Nacht. Der Ehemann drängte fort.

Auf dem Wege nach Cham zur Bahn erklärte ihm die Angeklagte, dass sie nicht mehr könne, sie sei am Ende. Dieser erwiderte ihr: “Dann schau nur, dass du heimkommst, ich erschiesse mich dann, dann ist alles aus.“ Aus Angst ging sie dann wieder mit. In Cham bestiegen sie wieder den Zug, um abermals zur Schweizer Grenze zu fahren und den Übertritt in die Schweiz nochmals zu versuchen. Doch schon nach einer kurzen Fahrtstrecke wurde der Ehemann der Angeklagten von einer Zugstreife festgenommen. Die Angeklagte konnte ihn dieses Mal nicht mehr warnen, da die Streife bereits vor Abfahrt im Wagen gewesen war und ein Entweichen deshalb nicht mehr möglich war. Der Ehemann der Angeklagten Robert S. wurde durch Urteil des Feldkriegsgerichtes der Div. Nr. 526 Zweigstelle Aachen A 2 St L . I Nr. 306/43 vom 22. 3. 1944 wegen Fahnenflucht im Felde zur Zuchthausstrafe von 6 Jahren, Rangverlust und Wehrunwürdigkeit verurteilt. In der Hauptverhandlung des Feldkriegsgerichts vom 22.3.1944 wurde im wesentlichen der gleiche Sachverhalt festgestellt, wie in der heutigen Hauptverhandlung gegen die Angeklagte.

Die Angeklagte gibt diesen Sachverhalt zu. Sie habe ihrem Manne helfen wollen, um in der Bestrafung zu entziehen, habe allerdings auch erkannt, dass er fliehen wolle. Sie wäre aber niemals mitgegangen, wenn ihr Mann sie nicht dazu gezwungen hätte, dies einmal dadurch, dass er ihr erklärte, er bekomme 20 Jahre Zuchthaus, ihm bleibe nichts anderes übrig als Flucht oder Zuchthaus, zu anderen aber auch dadurch, dass er wiederholt gedroht habe, sich zu erschiessen, wenn sie nicht mitgehe, bzw. weiter mitgehe. Da sie ihn sehr lieb gehabt habe, allein dastehe und ihn deshalb erhalten wollte, hätte sie um sein Leben zu retten mitgehen müssen.

Soweit die Angeklagte nur bestrebt war ihren Ehemann der Bestrafung wegen Urkundenfälschung u. a. zu entziehen, ist sie nach § 257 Abs. II StGB. straffrei (?) Ihre Tätigkeit diente aber nicht nur diesem Zwecke, sondern sollte ihren Mann auch bei seiner Fahnenflucht unterstützen und war hiezu auch geeignet. Insoweit hat sich die Angeklagte aber eines Vergehens der Beihilfe zu einem Verbrechen der Fahnenflucht nach § § 69 Abs. I, 70 Abs. II MstGB. § 49 StGB schuldig gemacht. Sie hat ihrem Manne durch die Tat wissentlich Hilfe geleistet. Sie war sich der Tatsache bewusst, dass sich die Truppe ihres Mannes im mobilen Zustande befand und dass ihr Mann von seiner Truppe fahnenflüchtig werden wollte und wurde. Sie ist deshalb nicht nur objektiv, sondern auch subjektiv der Beihilfe schuldig.

Nun beruft sie sich und vor allem auch ihr Verteidiger auf den Nötigungsstand des § 52 STGB. Danach ist eine strafbare Handlung nicht vorhanden, wenn der Täter durch eine Drohung, welche mit einer gegenwärtig, auf andere Weise nicht abwendbaren Gefahr für Leib oder Leben seiner selbst oder eines Angehörigen verbunden war, zu der Handlung genötigt worden ist. Diese Bestimmung setzt zunächst eine gegenwärtige Gefahr für Leib oder Leben des Täters selbst oder eines Angehörigen voraus. Die Gefahr einer körperlich fühlbaren Einsperrung würde genügen. Dagegen werden andere Rechtsgüter, wie Ehre und Freiheit durch diese Bestimmung nicht geschützt. Soweit danach der Ehemann der Angeklagten nur damit “drohte“, dass er 20 Jahre Zuchthaus bekomme, würde diese Bestimmung schon aus diesem Grunde nicht einschlägig sein. Anders hinsichtlich seiner Drohung mit dem Selbsterschießen.

Das er dabei mit “Selbsterschiessen“ drohte, schliesst die Anwendbarkeit dieser Bestimmung an sich nicht aus. Eine andere Frage ist schon, ob bei der Unterredung am 7. 11. im Lazarett eine “gegenwärtige auf andere Weise nicht abwendbare Gefahr“ vorgelegen hat. Eine Untersuchung der Möglichkeiten, die geeignet gewesen wären eine Gefahr abzuwenden, bedarf es jedoch hier nicht, weil auch beim Vorliegen der formalen Voraussetzungen des § 52 StGB., sei es ganz oder nur teilweise, eine Berufung auf diese Bestimmung aus einer anderen Überlegung heraus ausgeschlossen ist. § 52 StGB. verlangt eine gewisse Verhältnismässigkeit zwischen der Schwere der Gefahr und der Schwere der Abwehrhandlung gelegenen Rechtsgüterverletzung, wenn auch nicht verlangt wird, dass das gefährdete Rechtsgut höherwertig ist, als das durch sie verletzte Rechtsgut. Richtmass ist das gesunde Volksempfinden.

Die in der Abwehrhandlung gelegene Rechtsgüterverletzung ist Beihilfe zur Fahnenflucht. Fahnenflucht ist eines der schwersten Verbrechen, dessen sich ein Soldat schuldig machen kann. Sie stellt nicht nur einen Treuebruch, sondern auch einen Verrat am deutschen Volke dar. Sie wiegt umso schwerer, je grösser die Gefahr für die Volksgemeinschaft ist. Unser deutsches Volk steht heute in einem erbarmungslosen Kampf um Sein oder Nichtsein. Wer die Fahne verlässt, verrät sein Volk und hilft damit dem Feinde. Wer bei einem solchen Verbrechen mithilft, macht sich nicht weniger schuldig. Demgegenüber kann das in der Drohung des Ehemannes der Angeklagten zum Ausdruck gekommene Übel keine Rolle spielen, mag diese Drohung nun darin liegen, dass er sich vorstellte, 20 Jahre ins Zuchthaus zu kommen oder sich zu erschiessen. Auch im letzteren Falle müssen die Einzelinteressen den Interessen des gesamten deutschen Volkes nachstehen.

100 000 deutscher Frauen und Mädchen müssen ihre Männer, Brüder und Bräutigame an der Front opfern, weil es die Sicherung der Existenz des ganzen Volkes verlangt. Keine könnte sich darauf berufen ihnen zur Flucht helfen zu dürfen, damit sie an der Front nicht fallen. Nicht anders kann die Sachlage für die Angeklagte gewertet werden. Die Berufung auf den Nötigungsstand des § 52 StGB. ist deshalb verfehlt und muß vom gesunden Volksempfinden abgelehnt werden. Die Angeklagte war deshalb wegen Beihilfe zur Fahnenflucht nach § 69 Abs. I, 70 Abs. II MStGB, § 49 StGB. zu verurteilen.

Beim Strafausmass geht das Sondergericht mit Rücksicht auf die ungeheure Bedeutung der Fahnenflucht im heutigen Existenzkampfes unseres Volkes von der Erwägung aus, dass auch gegen Angehörige, die sich der Beihilfe zur Fahnenflucht schuldig machen, grundsätzlich nur auf Zuchthaus erkannt werden kann. Nur in ganz besonders gelagerten Ausnahmefällen kann es gerechtfertigt sein, vom Ausspruch einer Zuchthausstrafe abzusehen und nur auf Gefängnis zu erkennen.

Es gilt auch hier der Grundsatz dass das Wohl des Volkes den Interessen des Einzelnen vorzugehen hat. Ein solcher Ausnahmefall liegt aber hier nach der Überzeugung des Gerichts vor. Die Angeklagte ist noch nicht vorbestraft, ist voll geständig und bereut ihre Tat tief. Sie war zum Zeitpunkt der Tat kurz verheiratet und gerade 20 Jahre alt. Sie macht in der Hauptverhandlung noch einen recht jugendlichen, ja teilweise kindlichen Eindruck. Die misslichen Verhältnisse ihrer Eltern wirken auf sie ein, sodass sie sich immer mehr an den Mann anlehnte und bei ihm eine Stütze suchte. Ihre Liebe, aber auch ihre Abhängigkeit von ihm war zweifellos gross und nur dies Abhängigkeit und die Angst um das Leben ihres Mannes, den sie sich erhalten wollte, macht ihre Handlungsweise erklärlich.

Sie hat einen ausgezeichneten Leumund, wird von allen ihren früheren und jetzigen Arbeitgebern auf das glänzendste beurteilt. Sie stand zweifellos bei ihrer Mithilfe unter einem starken seelischen Druck. Alle diese Umstände verneinen, trotz der Schwere des von ihr begangenen Verbrechens, ihre Zuchthauswürdigkeit. Das gesunde Volksempfinden erkennt vielmehr in einem so gelagerten Einzelfall die zu Gunsten der Angeklagten sprechenden strafmildernden Umstände als so bedeutsam an, das es eine entsprechende Gefängnisstrafe als ausreichende Sühne erachtet. Gemäss § 70 Abs. II MstGB §§ 49,44 Abs., IV, 21 StGB, hat deshalb das Sondergericht an Stelle einer verwirkten Zuchthausstrafe von 6 Monaten auf eine Gefängnisstrafe von 9 Monaten als ausreichende Sühne erkannt.

Die Angeklagte ist seit 2.6.1944 in Untersuchungshaft. Mit Rücksicht auf ihr Geständnis hat das Gericht 6 Tage Untersuchungshaft auf die erkannte Strafe angerechnet. Kosten: §§ 464, 465 StPO gez. Förtsch gez. Freihalter gez. Schlee Zur Beglaubigung: Würzburg, den 14. Juni 1944 Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des Sondergerichts: Justizsekretär (Unterschrift Unleserlich)

Briefe an Wiebeke (X) Einzelheiten über Mord und Mörder

Über den Fotograf Joseph Schorer (1894-1946)

Romische Zahlen am BUG

Hallo Wiebeke, da muss ich erst mal nachsehen. Ich hatte zwar in den Archiven schon viele Fotos von Joseph Schorer gesehen, aber sonst mich nicht mit ihm oder seiner Biografie beschäftigt. Also auf Deine Frage habe ich folgendes herausgefunden:

Joseph Schorer wurde 1894 in Mindelheim bei Augsburg geboren. Von 1907 bis 1910 besuchte er die Gewerbliche Fortbildungsschule Mindelheim und parallel dazu ging er von 1908 bis 1911 in seiner Heimatstadt bei dem Fotografen Anton Krumm in die Lehre. Anschließend arbeitete er in Berlin und ab 1913 in Hamburg. Nach dem Ersten Weltkrieg, in dem er an der französischen Front eingesetzt war, lebte er zunächst in Mindelheim, zog aber 1922 erneut nach Hamburg. Als freischaffender Fotograf belieferte er die verschiedensten Zeitungen in Hamburg („Hamburger Tageblatt“, „Hamburger Anzeiger“, „Fremdenblatt“) und Zeitungen in Berlin und London.

Aufträge erhielt er auch von der Industrie und von privater Seite. Weil er sich weigerte, in die NSDAP einzutreten, verlor er im Dritten Reich manchen Auftraggeber, so das „Hamburger Tageblatt“.

Nach dem Zweiten Weltkrieg eröffnete er ein Fotogeschäft in Hamburg. Wegen angeblichen Handels mit Kameras der Wehrmacht wurde er denunziert, von einem englischen Militärgericht für schuldig befunden, inhaftiert und im Gefängnis misshandelt. Kurz darauf wieder entlassen, starb er 1946, wohl an den Folgen der Haft.

Als Pressefotograf nahm Joseph Schorer vor allem das Zeitgeschehen im Hamburg der 20er bis 40er Jahre mit den Schwerpunkten Drittes Reich, Krieg und Zerstörung ins Visier. Daneben finden sich aber auch kulturelle und Sport-Ereignisse (Olympische Sommerspiele 1936 in Berlin und andere) sowie historische Persönlichkeiten. Den Text habe ich natürlich abgeschrieben. Obwohl Du mit Deinem Einwand natürlich Recht hast. Abschreiben war gestern. Heute heisst es übersetzt: Markieren und Einfügen. (Ist auch weniger Arbeit, man kann aber (wegen der Suchmaschinen) auch leichter dabei erwischt werden. Also gefunden habe ich den Text hier:

(Text aus: Bildarchiv Deutsches Historisches Museum DHM, Berlin, Am Zeughausmarkt 1-2, 10117 Berlin).

Aus dem Namensverzeichnis des Hamburger Adressbuches von 1940: Joseph Schorer, Presse, Bildbericht. Colonnaden 46 (II. Stock). Im Hamburger Archiv gibt es viele Aufnahmen von Joseph Schorer.Große Marienstraße / Große Johannisstraße in Altona 1932

Verhandlungssaal des Altonaer Sondergerichts (um den 8. Mai 1933)
Bildunterschrift:„Verhandlungssaal des Altonaer Sondergerichtes, um den 8. Mai 1933. Im Prozeß wegen des Altonaer Blutsonntags wurden gegen August Lütgens, Bruno Tesch, Walter Möller und Karl Wolff die ersten politischen Todesurteile des NS-Regimes gefällt.“ Foto von Joseph Schorer. Aus dem Buch: Arbeiterbewegung in Hamburg, Seite 279. Fotoarchiv Völkerhof Radbruch. VSA Verlag 1988
Mannschaftswagen der Polizei. Fotografiert am 18. Juli 1932
Fotograf unbekannt. Joseph Schorer (?) Das Bild wird oft mit folgendem Text versehen: Mannschaftswagen der Polizei an der Ecke Große Marienstrasse / Große Johannistrasse. Fotografiert am Montag 18. Juli 1932 (?). Am 17. Juli 1932 starben 18 Menschen, die meisten von den Polizeikugeln. Nach Kriegsende wurden diese Straßen nicht wiederhergestellt. Leider kann ich das Straßenschild nicht erkennen. Aber vor dem Namen steht diese Gr. Abkürzung, so wie sie auch in den Straßenverzeichnissen der Adressbücher aus der Zeit verwendet wurden.

Bei Betrachtung des Stadtplanes von 1932 und des Fotos vom Montag, d. 18. Juli 1932 (?) gerate ich ins Grübeln. Ist das Foto wirklich an der Ecke Große Marienstraße – Große Johannisstraße entstanden? Die Straßenecke sieht auf dem Foto fast rechtwinklig (90 Grad) aus. Auf dem Stadtplan von 1932 gibt es an dieser Ecke keinen rechten Winkel. Fotoshop gab es damals noch nicht. Der Winkel hat keine 90 Grad, das sind höchstens 70 Grad, wenn die Zeichnung im Stadtplan stimmt. Von welcher Ecke aus wurde dieses Foto gemacht? Und in welche Richtung ist das Polizeifahrzeug gefahren? Es scheint so, als fahre das Polizeifahrzeug (wie haben die das früher genannt?) bergab. Die Fotografin könnte auch an der Ecke Große Marienstraße, Kleine Marienstraße gestanden haben. Dann wäre das Polizeifahrzeug in Richtung der Straße Kleine Freiheit gefahren. Die Unzerstraße gibt es noch. Und den jüdischen Friedhof auch. Die Unzerstraße scheint ihre Lage nicht verändert zu haben. Sie führt im Rechten Winkel auf die Große Bergstraße, die an dieser Stelle nach dem Krieg in Louise Schröderstraße umbenannt wurde.

Hallo Wiebeke, vielleicht hast Du ja Recht und Louise Schröder hat diese Straßen-Umbenennung auch wirklich verdient, weil sie bei der Erfindung des Grundgesetzes (der BRD) als einzige Frau darauf bestanden hatte, das dort steht, das die Frauen gleichberechtigt sind. Na, denn.

Bleibt die Vermutung, der Fotograf oder die Fotografin, deren Namen wir nicht kennen, stand in der Kleinen Johannisstraße (die es ebenfalls nicht mehr gibt) und hat das Polizeifahrzeug von dort aus fotografiert. Auch die beiden Radfahrer, die auf dem Foto zu sehen sind, fahren bergab. Vielleicht ist das Foto an einer anderen Ecke entstanden? In Frage käme die heutige Paul Roosenstraße, die damals (1932) Große Roosenstraße hieß. Vielleicht ist es die Ecke Paul Roosenstraße / Bernstorffstraße (vorher: Adolphstraße). Aber nicht der. Sieht man doch. Dieser wurde mit PH geschrieben.

Ja sicher, manche Rätsel lassen sich mit Hilfe des Agora Adressbuches der Uni Hamburg lösen. Das Polizeifahrzeug fährt durch die Marienstrasse (Große). Heute würde man schreiben: Große Marienstr. Das war offensichtlich 1932 noch nicht Mode. Der Kaffee Tee Kolonialwarenhändler, dessen Laden man auf der rechten Straßenseite sieht, gehört Alwin Raupert, der sich als Kolonialwarenhändler in das Adressbuch eintragen ließ. Das Geschäft in der Großen Marienstraße Nr. 31 (abgekürzt auf dem Straßenschild Gr. Marienstr.) ist die Filiale eines größeren Geschäftes, das Alwin Raupert in der Johannisstraße (Große) Nr. 42 betreibt. Dort gehört ihm auch das Haus. Seine Wohnung ist in der Christianstraße 22. Damit wären alle Unklarheiten beseitigt. Die Eintragungen betreffen die Jahre 1930, 1931 und 1932. Ob dieser Mensch etwas gesehen hat, ist nicht überliefert. Aber wenigstens wissen wir, wo das Foto aufgenommen wurde und durch welche Straße das Polizeifahrzeug fährt. Das Polizeifahrzeug fährt durch die Große Marienstraße in Richtung Kleine Freiheit, wo die Große Marienstraße endet.

Wann das Foto nun wirklich gemacht ist, darüber kann man sich weiter den Kopf zerbrechen. An einem Sonntag jedenfalls nicht. Das erkennt man schon an dem offenen Laden von Alwin Raupert. (Ladenschlußgesetz). Nur für Nachfragen: Die Uni Hamburg hat die Adressbücher von Hamburg (heutige Gebiet) ins Netz gestellt. Das sind natürlich die Adressbücher von damals. Vor der Vereinigung mit Altona, Wandsbek und so weiter.

https://agora.sub.uni-hamburg.de/subhh/cntmng;jsessionid=246A28231A21984ADBBFBB063E45AAEF.jvm1?type=pdf&did=c1:1315

Tier

Drei oder vier Dinge, die ich von ihnen weiss

PDF  Drei oder vier Dinge, die ich von ihnen weiß 2 (Zeichen19.825)

Wentorferstrasse 19-21

Meine Mutter:

Annelise, Maria, Elsa Meyer, geb. Hirte geboren am 27. Oktober 1904, gestorben am 20. Oktober 1987. Letzte Wohnanschrift: Hütten/Ecke Peterstrasse.

Mein Vater:

Rudolf Heinrich Meyer, geboren am 24. Januar 1904 in Hamburg Bergedorf, gestorben am 27. August 1979 in Hamburg. Letzte Wohnanschrift: Dorotheenstr. 184 a in 2000 Hamburg 39, Winterhude.

Meine Oma (1) (die Mutter von Annelise): Dora, Charlotta, Amalie Hirte geb. Eikens, geb. am 19. Juli 1862 in Hannover, gest. am 10. Mai 1907 an den Folgen eines Unfalls in Hamburg. Letzte Wohnanschrift: Steinstrassen Passage 1, Nummer 29, Haus 8.

Mein Opa (1) (der Vater von Annelise): Eduard, Ernst, Hermann Hirte, geb. am 12. Mai 1861 in Hannover. Gest. am 16. August 1934 in Hamburg. Von Beruf: Maurer. Später Maurermeister. Noch später: Architekt. Letzte Wohnanschrift: Bethesdastrasse 36 (Hamburg Borgfelde). (Die Angaben stammen aus den Adressbüchern von Hamburg).

Das Ehepaar Hirte hatte zehn Kinder.

Foto 1905 Familie Hirte (Im Kinderwagen Annelise)

Meine Mutter: Annelise, Maria, Else Hirte war die jüngste Tochter der Familie Hirte. Die älteste Tochter hieß Maria, Anna, Sofie, Louise Hirte. (Annelise ist das Kind im Kinderwagen. Aufnahme 1905. Die anderen vier Kinder sind bereits älter)

(Viele Kinder, viele Vornamen). Maria ist am 30. Januar 1884 geboren, gestorben am 03. Januar 1974.

Steinwegpassage Ecke Alter Steinweg. Im Keller der Cotton Club.

Die Namen der restlichen Hirte Kinder und die Reihenfolge ihres Erscheinens sind unsicher. Nur eine zehn Jahre ältere Schwester ist sicher. Sie hat nur zwei Vornamen: Leoni, Dorothea Hirte ist geboren am 10. Januar 1894 und gestorben am 28. Juli 1943 um 1.00 Uhr und 40 Minuten in Hamburg, „daselbst in Folge Fliegerangriffe gefallen.“ wie ich der Todesurkunde entnehmen konnte.

Letzte Wohnanschrift von Leonie Eikens, geb. Hirte: Eiffestrasse 505.

Zwei Söhne von ihr habe ich noch kennengelernt: Ihren Sohn Wolfgang (Wölfi) Eikens und seinen Bruder Karl Hermann Eikens. Wölfi war gerade 17 geworden und machte eine Lehre zum Autoschlosser, als ihn 1942 der Führer nach Russland schickte. Als seine Mutter 1943 “in ihrer Wohnung gegrillt wurde“, wie Wölfi sich auszudrücken pflegte, “sind mir bei Stalingrad die Füße abgefroren“ (Seine Füße hatten eine ganz glatte Haut). Der Führer hatte vergessen, seinen Kindersoldaten (volljährig wurde man erst mit 21 Jahren) Winterkleidung mitzugeben. Hatte sich was mit Blitzkrieg.

Die Kindheit meiner Mutter Annelise war schwierig. Wie schwierig, hat sie ihren Kindern oder Enkelkindern nie erzählt. Ihre Mutter war schwanger und ist beim Gardinenaufhängen in der Wohnung von der Leiter gefallen. Sie hatte eine Fehlgeburt. Sie soll im Krankenhaus verblutet sein. Annelise ist zwei Jahre alt, als ihre Mutter stirbt. Ihr Vater, mein Opa, war ein Hallodri. Darunter konnte ich mir als Kind nichts vorstellen. Was sie damit meinte, erfuhren wir erst viel, viel später. Es stellte sich heraus, dass mein Opa (1) (ihr Vater) schon lange eine Geliebte hatte, der er erzählt hatte, er habe drei volljährige Kinder. Das Gegenteil ist der Fall. Sieben seiner Kinder sind unter 21 Jahre alt, als seine Frau von der Leiter fällt. Die älteste Schwester von Annelise, Maria Else Hirte, ist bei dem Tod der Mutter dreiundzwanzig Jahre alt. Wir nannten sie Tante Ria. Tante Ria hat ihrem Enkel erzählt, dass die Familie Hirte oft umgezogen ist. Damals gab es das Ritual, dass neue Häuser zunächst von armen Familien “trocken gewohnt wurden“. Hermann war Maurer.

Immer, wenn ein Haus fertig war, zog die Familie in eine dieser feuchten Wohnungen zum “Trocken wohnen.“ Die Trocken-Wohn-Miete war günstig. Wenn die Wohnung nach zwölf Monaten trocken war, zogen sie in die nächste Feucht-Wohnung um. Als meine Mutter 1904 geboren wurde, wohnte die Familie Hirte in der Steinstraße 129. Die Anschrift führt leicht zur Verwirrung. Es gibt sie nicht, die Steinstraße 129. Vielmehr handelt es sich um die Strasse: Steinstrassenpassage Nr. 1, Haus Nummer 29, im Hinterhof Haus 8. Die Steinstrassen Passage ist heute an der selben Stelle wie 1904. In der Nähe vom Großneumarkt.

Steinwegpassage/ Ecke Alter Steinweg (Foto von 2020)

Das Vorderhaus Nummer eins steht noch. Die Hinterhäuser sind bombardiert oder abgerissen worden. Als Annelise 1904 geboren wird, wohnt Familie Hirte die Wohnung im ersten Stock “trocken“. Berufsangabe von Hermann Hirte im Adressbuch: “Mauermeister“. 1909 wird eine andere Wohnung “trocken“ gewohnt: In der Barmbeckerstr. 191. Ein Neubau, dicht am Winterhuder Marktplatz.

Opa (1) Hermann gibt die kleinen Hirte Kinder in Pflegefamilien. Annelise ist die jüngste. Dort geht es ihr nicht gut. Die Pflegefamilien nehmen die Kinder nur, weil sie das Geld, das dafür gezahlt wird, dringend brauchen. Die Kinder finanzieren den armen Familien den Lebensunterhalt.

Am 30. März 1912 heiratet Annelises Vater wieder und zieht in die neue Wohnung Eilbecker Weg 204. Die Auserwählte heißt Auguste Bieling. Als Auguste Bieling – Auguste Hirte – wird, ist sie ein Jahr und einen Monat jünger als Hermanns älteste Tochter Maria. Auguste Bieling ist am 23. Februar 1883 geboren. Maria Hirte ist am 30. Januar 1884 geboren. In der neuen Ehe werden von 1912-1920 vier weitere Kinder gezeugt. 1913 zieht die Familie Hirte (die Zusammensetzung dieser Familie ist unklar) in die neue (feuchte) Wohnung in der Himmelstrasse 26. Ob Annelise in dieser Zeit Kontakt zu ihrem Vater hatte, blieb ihr Geheimnis.

Sie spricht darüber nie. Auch zu den Enkelkindern kein Wort. Es scheint so, als sei der Kontakt abgebrochen oder gar nicht erst entstanden. Auch Tante Ria verliert kein Wort darüber.

Maria Hirte ist Verkäuferin in einem Schokoladengeschäft. 1910 gibt es das Chocoladengeschäft von Reese & Wichmann am Jungfernstieg 12. Das wäre so eine Möglichkeit. Passend in der Hamburger Innenstadt. Da gibt es einen jungen Mann, der sehr oft Chocolade kauft. Maria merkt bald, der Mann kommt gar nicht wegen der Schokolade, sondern wegen ihr. So viel Schokolade kann ein Mensch alleine gar nicht essen.

Der Mann heisst Otto Averdieck. Otto ist Rechtsanwalt. Seine Kanzlei betreibt er in der Mönckebergstrasse 18. Fleißig ist er auch. Die Sprechzeiten seiner Kanzlei sind im Adressbuch angegeben. Werktags von 9.00 bis 5.00 Uhr und Sonntags von 9.00 – 2.00 Uhr.

Ob es Liebe auf den ersten Blick ist und bei wem, ist nicht überliefert. Otto ist am 16. Februar 1881 geboren und wohnt in einer Wohnung in dem Haus seiner Eltern in der Bassinstrasse 12 in Uhlenhorst. 1912 verkaufen die Eltern das Haus in der Bassinstrasse 12, um eines in der Petkumstrasse 17 zu kaufen. Das ist eine Ecke weiter. Das Haus gibt es nicht mehr. Es wurde im Krieg zerstört. (nicht im ersten, sondern im zweiten)

Als im August 1914 der Erste Weltkrieg beginnt, den man erst nach dem Beginn des zweiten Weltkrieges nummeriert, ist Otto 33 Jahre alt. Otto ist kriegsbegeistert wie alle anderen. Seine Eltern leben ihren Standesdünkel. Sie halten sich für etwas Besseres und sind gegen die Verbindung ihres Sohnes mit Maria Hirte. Sie ist ja nur die Tochter eines Maurermeisters.

Otto ist das offensichtlich Wumpe.

1916 ist Maria Hirte schwanger und Otto überlässt ihr seine Wohnung in der Petkumstrasse 17, während er in Frankreich fleißig Franzosen abschießt. Seine Eltern, denen das Haus in der Petkumstrasse 17 gehört, wohnen im selben Haus. Jeden Tag wird Maria von ihnen daran erinnert, das der Sohn etwas Besseres, als die Tochter eines Maurers verdient hätte.

Am 8. April 1916 wird Otto, Leonhard geboren. Wie alle unehelichen Kinder erhält das Kind den Nachnamen der Mutter: Hirte. Selbst der Bruder, Rudolf Averdieck, der am 21. März 1920 geboren wird, weiß davon lange Zeit nichts. Der kleine Otto erhält den Nachnamen Averdieck erst, nachdem das Paar 1918 offiziell beim Standesamt geheiratet hat.

Meine Mutter – Annelise – ist dreizehn Jahre alt, als ihre Schwester Maria sie zu sich nach Hause holt. Bis 1926 wohnen die Averdiecks in der Allee 239 in Altona. In der Strasse Allee 239 steht ein hässlicher schwarzer Kasten, in dem sie ihre erste Wohnung hatten, erzählt Tante Ria ihrem Enkel Ulrich Graumann, und der erzählt es mir nach ihrem Tod am 30.01.1974- Jahrzehnte später.

1980 bekommt die Strasse Allee einen neuen Vor- und Nachnamen und heisst jetzt Max Brauer Allee. Die Max-Brauer-Allee wird bis zum Altonaer Rathaus verlängert. Sicher ein Grund, warum ich den hässlichen schwarzen Kasten in der Max Brauer Allee nicht gefunden habe. Tante Ria meidet nach dem 2. Krieg die Viertel, in denen sie früher einmal gewohnt hatte. Vor allem, weil sie nichts mehr wiedererkennt, wie sie mir erzählt hatte. Es ist alles anders, als es früher einmal war. Nur Bergedorf ist irgendwie gleich geblieben.

Stolz berichten Erwachsene uns Kindern, das in Bergedorf nur eine einzige Bombe gefallen ist. Einige glauben sogar zu wissen, dass es so ist, weil in Bergedorf das Eisenwerk – Bergedorfer Eisenwerk – einem schwedischen Besitzer gehört. Und mit den Schweden möchten es sich weder die Engländer noch die Amerikaner verderben, so behaupten die Erwachsenen.

Jedenfalls taucht mein Opa (1) Hermann ab und niemand hat Kontakt mit ihm. In der Familiengeschichte ist er wie ein schwarzer Fleck, den man am liebsten wegradieren würde. Gäbe es doch einen Opa Radierer, man würde ihn sofort nutzen. Manchmal ist er, wenn sein Name überhaupt genannt wird, nur Opa (1) -das Schwein- . Ein bisschen Neid ist bei den Männern auch dabei. Dass eine 23 jährige Frau sich mit einem 45 jährigen, einem uralten Mann, einlässt.

1927 zieht die Familie Otto Averdieck nach Bergedorf, wo sie im Schlebuschweg 28 ein Haus gekauft haben. Im Grundbuch eingetragen ist Averdieck, Otto. Zwei Jahre wohnt auch meine andere Oma (2), Marie Meyer, in diesem Haus im Schlebuschweg 28. Ein Haus mit drei Stockwerken, in dem vier Familien und einige Einzelpersonen wohnen. Das Haus hat die Jahrzehnte überstanden. Eine der ausgebombten Familien, die hier zwangsweise untergebracht wurde, will nach dem Krieg gar nicht wieder ausziehen. Aber kein Problem. Otto ist Anwalt.

Im obersten Geschoss, in der Mansarde im Dach, wohnte in einem Zimmer noch eine Schwester meiner Mutter. Wir nannten sie Tante Buddy. Sie verließ selten das Bett. Und wenn, dann nur um neue Zeitschriften zu kaufen. Den Eindruck hatte ich. Die neuen Zeitschriften mochten alle Jungs gern. Eine hieß Praline. Die erinnere ich noch. Dort wurden Frauen abgebildet, meist wenig bekleidet. Manchmal konnte man auf halb verdeckte Busen gucken. Ich erinnere noch, dass es immer etwas streng in ihrem Zimmer roch. Das mag daran gelegen haben, dass das Zimmer im Dachgeschoss keinen Wasseranschluss hatte. Tante Buddy hatte nur eine Schüssel, in der sie sich waschen konnte. Aber wegen der vielen Vorteile hat uns Kinder das nicht weiter gestört. Es ging immer die Legende, dass sie einen Mann geheiratet hätte, der ziemlich früh im ersten Weltkrieg gefallen war und um den sie immer noch trauerte. Vermutlich ist die Geschichte ganz anders gewesen. Vielleicht hat er auch nur die Flucht vor ihr ergriffen. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass ich sie jemals auf der Straße getroffen habe.

Tante Ria hat mir oft fünf Mark Stücke als Taschengeld zugesteckt. Sie sprach dann immer von einem Taler. Sie hatte auch ganz viele verschiedene Münzen aus der Vergangenheit, die alle nichts mehr wert waren. Ich habe sie oft sortiert. Nach Größen, nach aufgedruckten Werten, nach eingeprägten Jahreszahlen. Sie hatte auch ein Grammophon, mit dem man mit Stahlnadeln die Schellack Platten abspielen konnte, die leicht zerbrachen. Zum Glück ist mir keine zerbrochen. Um das Haus herum war ein kleiner Garten, in dem wir oft Versteck gespielt haben. Onkel Otto, wie wir ihn nannten, war im Vorstand des Bergedorfer Briefmarkenvereins. In der Vergangenheit wusste er gut Bescheid. Er war der einzige Erwachsene, den ich kannte, der sich dazu bekannte, dass er früher, in der Nazizeit selber Nazi gewesen war.

Mein Vater.

Milchhändler Richard Schultz

Die Geschichte dieses Familienzweigs beginnt mit den Eltern meiner Oma (2) Meyer. Meine Oma (2) ist die Tochter von Paul und Margarethe Schumacher, die in Bergedorf in der Wentorferstrasse 19 wohnten. Das Haus gibt es noch. Ich habe ein Foto davon. Es ist ein kleines Haus. Eine Art Doppelhaushälfte mit zwei Eingängen. Wentorferstrasse 19 und 21. Wann der Vater von meiner Oma (2), Paul Schumacher, geboren ist, weiß ich nicht. Auch der Mädchenname von Margarethe Schumacher, meiner Uroma, und ihr Geburtsdatum ist mir unbekannt. Von Beruf ist mein Uropa, Paul Schumacher, Fuhrmann. Im Adressbuch steht, dass er 1875 in das Haus in der Wentorferstrasse 19 eingezogen ist. Dort wohnte er bis zu seinem Tode 1914. Wann er Margarete, seine Frau, kennenlernt hat, ist nicht bekannt. Nach der Heirat zieht sie bei ihm ein. Sie bekommen eine Tochter und nennen sie Marie.

Marie bleibt ein Einzelkind. Irgendwann lernt meine Oma Marie (2) meinen Opa Heinrich Meyer kennen. Der Opa war ein Fan von August Bebel, erzählt mir die Oma später. Zu dem Gespräch mit meiner Oma über August Bebel kommt es, weil sie selbst 1957 in dieser Strasse August Bebelstrasse Nr. 25 wohnt. Ich bin elf Jahre alt und interessiere mich nicht die Bohne für den Held eines Opas, den ich noch nie gesehen habe. 2020 bin ich für die Neugier alt genug und suche die Spuren dieses Opas. Unsicher. Nur eine zehn Jahre ältere Schwester ist sicher. Nachtrag: Gefunden die Daten von Oma und Opa Zwei: Opa (2), Heinrich Meyer (Opa) geboren am 15. Oktober 1867, gestorben am 21. Juni 1930, im Hamburg. Heinrich Meyer wird 62 Jahre alt. Oma (2), Marie Meyer, geb. Schumacher. geboren am 17. September 1877, gestorben am 21. Januar 1958, in Hamburg. Marie Meyer wird 80 Jahre alt.

Die erste Spur finde ich im Adressbuch von Bergedorf für das Jahr 1889. Der Eintrag lautet: Meyer, J. H. H., von Beruf: Arb., was vermutlich Arbeiter heisst. Von 1890 -1895 ist der Eintrag gleich: Meyer, J. H. H., Bleichertwiete 16, Postbote. Von 1911 an ist im Adressbuch eingetragen: Meyer, H. Postschaffner. Opa Heinrich steigt auf. 1914 zum Oberpostschaffner. Von 1922 bis 1929 ist er “Post-Betr.–Assist“, so lautet die Abkürzung im Bergedorfer Adressbuch. 1929 beendet er seine Karriere bei der Post. Ein Beamter im Ruhestand.

Mein Vater wird 1904 geboren. Sie nennen ihn Rudolf Heinrich. Auch Rudolf bleibt, wie seine Mutter ein Einzelkind. Bis 1910 wohnt Familie Meyer in Bergedorf in der Bleichertwiete 16. 1911 ziehen sie in den Kirchhofsweg Nr. 4. Rudolf ist jetzt ein Schulkind. Der Neubau der Schule Spieringstrasse 1, der ganz in der Nähe ist, wurde 1910 eröffnet. Schon möglich, dass Rudolf in die gleiche Schule gegangen ist, die auch ich später (ab 1953) besuche. Ich habe ihn nicht gefragt.

Schumacher und Schultz
Wentorferstraße 19 – 21. v.l.n.r. Paul Schumacher, Fuhrmann, Margarethe Schumacher, Johanna Schultz, Richard Schultz, Milchhändler, Vater von Richard Schultz . 1918 (?)

Als die Mutter meiner Oma, Margarethe Schumacher, 1922 stirbt, zieht Familie Meyer in das Haus in der Wentorferstrasse 19 ein. Das Haus Nr. 19 ist zwischenzeitlich an den Milchhändler von nebenan verkauft worden und gehört nun der Witwe des Milchhändlers Richard Schultz, Johanna Schultz, die in Nummer 21 wohnt.

Rudolf ist jetzt 17 Jahre alt. Volljährig wird man in dieser Zeit mit 21 Jahren. 1930 stirbt mein Opa Heinrich. Meine Oma ist nun die Witwe eines Beamten und der Eintrag im Adressbuch lautet 1931: Meyer, Wwe. Marie, Bergedorf, Wentorferstrasse 19. Bis 1935 wohnt meine Oma mit ihrem Sohn Rudolf in der Wentorferstrasse 19.

In dieser Zeit freundet sich mein Vater mit Walther Kellinghusen an. Einem Photograph, der zwei Häuser weiter, in der Wentorferstrasse 23 wohnt. Walther hat das Hobby meines Vaters, die Photographie, zu seinem Beruf gemacht. Gemeinsam üben sie sich in Porträt- und Landschaftsphotographie.

Der Vater von Walther ist Rechtsanwalt und Notar. Die Kellinghusens sind eine große Familie und wohnen seit 1886 in diesem Haus. In dem Nachlass meiner Eltern finde ich Aufnahmen beider Photographen. Sie fotografieren auf Filmen und auf Glasplatten. Die Glasplattenkameras haben die Formate 9 x 12 und 13 x 18. Auch Rudolf bestreitet seinen Lebensunterhalt mit Auftragsarbeiten und fertigt Porträts von jungen Frauen und Männern an. Bewerbungsfotos gehören auch dazu. Seine Mutter dringt darauf, das Rudolf noch einen “anständigen“ Beruf lernen soll. Das ist 1920 nicht ganz einfach.

Eine Lehrstelle bei einem Gewürzimporteur wird angeboten. Apkar Dilsizian, Import und Export GmbH. Sein Büro ist gegenüber dem Freihafen, Hohe Brücke 4, Handelsspanisch und Stenografie sind Voraussetzung für eine Einstellung. Rudolf behauptet beides zu können, was keiner überprüft und drei Monate später kann er anfangen. Die Zwischenzeit nutzt er, sich die geforderten Fähigkeiten anzueignen. Damit kommt er durch. Rudolf verdient 1921 sein erstes Geld und trägt das Gehalt in ein kleines DIN A 5 Büchlein ein. Im August 1923 ist er Millionär, im September Miliardär und in November 1923 bekommt er für den ganzen Monat Arbeit 12,50. Die Währung nennt sich Rentenmark. Bald kann er ein Foto aus dem Bürofenster, Hohe Brücke Nr. 4 machen.

Haus daneben: Hohe Brücke Nr. 1 (Foto vom Oktober 2020)
Blick aus dem Bürofenster Hohe Brücke Nr. 4 (Das Haus gibt es nicht mehr.)
links mein Vater Rudolf Meyer. Die anderen Personen sind mir nicht bekannt.

Am 5. Juni 1935 heiraten meine Eltern. Der Standesbeamte überreicht als Geschenk das Buch “Mein Kampf“ von Adolf Hitler. Die erste gemeinsame Wohnung meiner Eltern ist in der Wentorferstrasse 84. Die Wohnung hat Zentral Heizung, was offenbar so wichtig ist, dass es in Adressbüchern eingetragen wird.

1936 wird der Freund meines Vaters, der Photograph Walther Kellinghusen, verhaftet und kommt in die Untersuchungshaft ins Bergedorfer Gefängnis. Der Vorwurf lautet, er habe gegen den § 175 verstoßen.

Annelise ist schwanger. In Bergedorf in der Brauerstrasse 163 entsteht ein Neubau. Bei der Belegung des Neubaus werden Parteigenossen der NSDAP bevorzugt behandelt. Mein Vater wird Parteigenosse und erhält den Zuschlag. Eine Wohnung zum “Trocken Wohnen“ in der Brauerstrasse 163. Annelise kennt das schon. Hat sie doch ihre Kindheit mit dem “Trocken Wohnen“ verbracht. Am 11. August 1937 bringt Annelise meine Schwester Roswitha zur Welt. Im Elim. In Eimsbüttel. Vierzig Autominuten von der Brauerstrasse entfernt.

1945, beim Einmarsch der Engländer, verschwindet das Hochzeitsgeschenk des Standesbeamten im Heizungskessel im Glindersweg 47. Gottseidank gibt es keinen Koks im Mai 1945. Bis auf einen kleinen Wasserschaden, der den Buchrücken aufgelöst hat, ist dem Buch weiter nichts passiert.

Meine Schwester berichtete mir später, unsere Mutter hatte ihr erzählt, der Vater von Walther, der ein angesehener Rechtsanwalt in Bergedorf gewesen sei, habe seinen Sohn Walther Kellinghusen im Gefängnis besucht und ihm ein Handtuch oder ein Tuch gebracht. Dieses Tuch sei eine Art Code gewesen. Das Signal dafür, das man Walther nicht helfen könne. Darauf hin hat sich Walther im Gefängnis das Leben genommen.

Die Geschichte geisterte seit Jahren durch unsere Familie. Es wurde aber niemals geklärt, ob es tatsächlich so passiert ist. Auffällig ist, das mein Vater ein Reihe von Fotos aufgehoben hat, die von Walther Kellinghusen hergestellt worden sind oder ihn abbilden. So sind diese Aufnahmen nach dem Tode meiner Eltern in meinen Besitz gekommen.

Erst vor einigen Jahren habe ich mit der Recherchen zu Walther Kellinghusen begonnen. Ich stellte ich fest. Es ist noch viel schlimmer, als bisher bekannt. Im Staatsarchiv finde ich einen Mitarbeiter, der sich speziell mit der Verfolgung der Schwulen in Hamburg jahrelang beschäftigt hat. Uwe Bollmann. Zusammen mit einem Kollegen hatte er Reihe von Veröffentlichungen gemacht. Auch die beiden Fälle Kellinghusen haben sie bearbeitet. Der Fall Walther Kellinghusen, der sich im Bergedorfer Gefängnis das Leben genommen hat. Und der Fall seines siebzehn Jahre älteren Bruders Hans-Adolf Kellinghusen, der 1933 zum Professor und stellvertretender Direktor des Staatsarchives ernannt wurde.

Lange sinne ich darüber nach, warum meine Eltern, warum mein Vater nach dem Tode seines Freundes Walther Kellinghusen niemals mehr Kontakt mit einem Familienangehörigen der Kellinghusens aufgenommen hat. Schließlich haben wir bis 1963 in Bergedorf im Glindersweg 47 gewohnt. Ich komme zu keinem Ergebnis. Aber zu einer Entscheidung.

Walther Kellinghusen ist es wert, dass man über seine Person stolpert, so wie ich über ihn gestolpert bin. Ich nehme Kontakt mit Peter Hess auf. Es soll ein Stolperstein für Walther Kellinghusen werden. Verlegt an seiner letzten Wohnanschrift in der Wentorferstrasse 23.

Auf der Suche nach Angehörigen von Walther Kellinghusen ist Peter Hess erfolgreicher als ich. Ich hatte es telefonisch probiert, ohne Erfolg. Kein Verwandter dabei, der mit Walther verwandt war oder von seiner Geschichte wusste. Peter Hess hat es mit kleinen Zetteln an den Bäumen in der Wentorferstrasse in Bergedorf versucht. Er hat einen Kellinghusen gefunden und mir seine Telefonnummer gegeben.

Walther Kellinghusen Fotograf Das Foto hat Rudolf Heinrich Meyer von ihm gemacht.
Hans Adolf Kellinghusen Das Foto hat sein Bruder Walther Kellinghusen gemacht

Ich habe dann anschließend dreißig Minuten mit diesem Kellinghusen telefoniert. Er ist Jahrgang 1937. Die Villa des Vaters hat er nach dem Krieg abreißen lassen und auf dem Grundstück, das bis zur Strasse Am Baum 8 reicht, neu gebaut. Ein großes Grundstück. Das Haus in der Mitte. Weg von der lauten Wentorferstrasse.

Nach diesem Telefonat habe ich endlich verstanden, warum meine Eltern mit dem Rest der Familie Kellinghusen nach dem Tode von Walther nichts mehr zu tun haben wollten. Merkwürdige Formulierungen lassen mich stutzen. Hinterher denke ich: Wenn dieser Kellinghusen könnte, wie er wollte, aber das kann er nicht, dann würde er diesen Stolperstein verhindern. Er spricht von der Schande, die Walther über die Familie gebracht hat. Sprachlosigkeit überfällt mich. Ein Blick in den Kalender macht die Sache nur noch schlimmer. Die Gefängnisakten sind inzwischen vernichtet.

PDF Walther Kellinghusen Zelle 5

Es steht zu vermuten, dass die Vernichtung dieser Akten dem älteren Bruder, der 1933 zu stellvertretenden Direktor und Professor des Staatsarchives ernannt wurde, Hans-Adolf Kellinghusen sehr gelegen kam, wenn er die Vernichtung der Akten nicht selber initiiert hat, was zu vermuten ist. Einen Satz sollte ich vielleicht noch einmal wiederholen: Hans-Adolf Kellinghusen, war 1915 “Hilfsarbeiter im Staatsarchiv“ (Eintrag im Hamburger Adressbuch), 1932 Archivrat im Staatsarchiv und wurde im Jahre der Machtübernahme zum Professor und stellvertretenden Direktor des Staatsarchives ernannt. 1979 starb mein Papa. Er wurde 75 Jahre alt. 1987 starb meine Mama. Sie wurde 83 Jahre alt.

Gojenberg
Heinrich Meyer (Mein Opa) auf dem Gojenberg.
Heinrich Meyer geb. 15. Oktober 1867, gest. 21. Juni 1930, Fotografiert von Rudolf Heinrich Meyer
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Hamburg, d. 15. Dezember 2023