Manchmal lohnt es sich, in Büchern nachzusehen. In dem »Kleines Filmlexikon« von Charles Reinert, erschienen 1946 in der »Verlagsanstalt Benzinger & Co. AG. Einsiedeln Zürich« steht auf Seite 279 unter dem Stichwort: “Rhythmographie: (in der Schweiz unter dem Namen «Detektionsverfahren» bekannt) — Bei der >Nachsynchronisation von fremdsprachigen Fen angewandtes Verfahren. Der fremdsprachige Dialogstreifen wird durch einen Oszillografen in grafischer >Amplitudenschrift auf einen Papier- oder F-Streifen aufgezeichnet (synchroner Lauf von Ton-, Bild und Oszillografenstreifen). Der neusprachige Dialog wird in exakter Übereinstimmung mit der oszillografischen Aufzeichnung der Originalsprache silbenweise auf den Papier- oder F-Streifen geschrieben. Mit optischen Signalen für die Sprecher versehen, wird dieser Streifen im Synchronraum unter dem F-Bild sichtbar vorgeführt u. bildet so für die Nachsprecher der neuen Fassung die mit dem Bild exakt synchron laufende Vorlage für die Ablesung ihres Textes.“
In dem Buch von Charles Reinert wird im Register: Filmschrifttum unter dem Stichwort Drehbuchgestaltung bereits auf das Buch von: “Abel, Viktor: Wie schreibt man einen F. 127 S. Sensenverlag 37“ hingewiesen.
Abschrift aus der Westböhmische Tageszeitung, Nr. 209 , Pilsner Tageblatt vom 31. Juli 1950, Seite 3. Überschrift Frauen suchen Gold — Am laufenden Band. – Können sie auf den schwarzen Strich sprechen.
„Kinder, wißt ihr das Neueste, Walters Onkel kommt heute!“ „Wie bitte?“ Kinder, wißt ihr das Neueste, Walters Onkel kommt heute! Kinder, wißt ihr das Neueste, Walters Onkel kommt heute!!“ Immerzu sagt das eine schöne blonde Frau und blickt dabei finster ins Ungewisse und sieht und hört mich nicht. „Kinder, wißt ihr das Neueste, Walters Onkel kommt heute!“
Ich fliehe, in frommer Scheu vor dem Wahnsinn, und kombiniere: es wird ihr was zu Kopf gestiegen sein, vielleicht enttäuschte Liebe. Man steht das jetzt so oft: Frauen phantasierend durch die Straßen laufen. Da stockt mein Fuß.
Wieder sitzt da eine Frau und redet in einem fort: „Bleibt doch noch hier, zu euren Männern kommt ihr früh genug, ob ihr sie früher oder später ärgert, bleibt einerlei!“ Aha, denke ich, meine Kombination stimmt also: Die Liebe ist daran schuld. Aber der Blick dieser Frau ist eigentlich gar nicht so verstört. Sie schaut fast munter und keck mich an, und wie ich genauer hinsehe, entdecke ich befreit die wohlbekannten Züge Lotte Werkmeisters. „Ja aber, gnädige Frau?“ „Augenblick, bin gleich fertig, ich muß das erst richtig raus haben: Bleibt doch noch hier, zu euren Männern kommt ihr noch früh genug. Nachher spreche ich auf den schwarzen Strich.“ „Wie bitte?“ „Wir sprechen auf den schwarzen Strich.“
Und dann wird Frau Werkmeister auf einmal ganz menschlich: „Tja, es ist oft die rrreinste Filigranarbeit, lassen Sie sich unser Rhythmonom, dieses Ding mit dem schwarzen Strich, mal zeigen.“
Nun stehe ich mit Viktor Abel, der als Produktionsleiter der Warner Bros. Film hier unumschränkter Herrscher ist, und mit Dr. Rohnstein, seiner linken und rechten Hand, vor dem „Rhythmonom“ und betrachte den senkrechten schwarzen Strich, an dem langsam auf einem hell erleuchteten Band die Worte „Mäuschen=mit=dem=Grübchenknie“ Vorüberziehen. Da stehen nun drei solcher Rhythmonome, vor jedem steht ein Sprecher, hier Gustav Wallauer, da Ilse Baerwald, dort Peter Ihle, auf jedem Rhythmenband kommt ein schöner Text angefahren, und jeder spricht nun sein Verslein, jedes Wort in dem Moment, da es über den schwarzen Strich gleitet. Und es entsteht das schönste Dreigespräch.
Und ein Mikrophon nimmt getreulich alles auf und liefert es zum Tobis. „Tja“, flüstert mir Lotte Werkmeister ins Ohr, „das ist Sprechkunst am laufenden Band.“ Und wissen Sie, wozu das alles? Ganz einfach. Hier wird zu einem fertigen amerikanischen Tonfilm, „Goldsucher auf dem Broadway“ heißt er — Frauen suchen da das Gold —, der deutsche Text gesprochen.
Damit aber die deutschen Worte genau auf die Mundbewegungen der amerikanischen Darsteller im Film passen, hat man schon dementsprechend übersetzt. Zum Beispiel ein Schlager: „Keeping the wolf from the door“ im Deutschen: „Ich bin ein Wolf, sieh dich vor.“ Also fast gleich in der Lautbildung. Oder es sagt einer im Film: „can you imagine.“ Im deutschen Text heißt das: „Denken Sie mal an.“ Da hat man genau dieselbe Lippenbewegung. Probieren Sie’s vorm Spiegel aus. Und da fällt auch zeitlich beim deutschen „Sie“, und das ma von „imagine“ genau auf das i vom deutschen „Sie“, und das ma von „imagine“ genau auf das ma vom deutschen „mal“. Im Redefluß ist nämlich die Mundstellung bei i und a ziemlich dieselbe. Jeder kann sich da denken, daß das Uebersetzen ein schweres Stück Arbeit ist, denn der deutsche Text muß außerdem noch denselben Rhythmus wie der amerikanische haben.
Der Text (oder auch die Noten für den Schlager) wird dann mit Hilfe eines sog. Rhythmographen auf das Rhythmenband geschrieben, genau in dem Abstand, wie es die Sprache im Film erfordert, und er wird — wie schon erwähnt — in demselben Moment gesprochen, wo er über den schwarzen Strich gleitet. Der Kapellmeister muß mithin genau so dirigieren, wie die Noten über den schwarzen Strich hinweggeben. Das stellt freilich an die Kunst der Sprecher und des Orchesters ungeheure Anforderungen, aber das Ergebnis ist überraschend. Da das Rhythmenband im Rhythmonom synchron — das heißt gleichzeitig — mit dem Film läuft, deckt Sprache und Musik genau mit den Bewegungen im Film.
Ich habe den Film auf der Leinwand gesehen, und entfernt hinter einem Vorhang hörte ich die Schauspieler vor dem Rhythmonom dazu sprechen und war erstaunt, auch nicht das geringste Abweichen des Tons vom Bilde feststellen au können. „Wieviel Prozent hat der Film?“, frage ich den Tonregisseur Zander. „Es wird alles gesprochen.“ Also 100 Prozent Ton, wie man das so schön sagt, 100 Prozent Geräusch, 100 Prozent Musik natürlich, 100 Prozent Farbe und 100 Prozent Bild, macht zusammen 500 Prozent. Moderne Mathematik! Und 100 Prozent Lotte Werkmeister.
Man läßt den Wiedergabapparat laufen, um das Ergebnis einer Tagesarbeit sich anzuhören. Da kommen natürlich die Szenen in willkürlicher Reihenfolge, dazwischen mal Schlager. Auf einmal aber gellt eine Frauenstimme grauenhaft, erschütternd durch den Saal: „Herrgott, ist das Weib dumm!!“ Bei dumm hebt sich die herzzerreißende Stimme und will sich vor Entsetzen fast überschlagen. Und schmunzelnd, mit herabgezogenen Mundwinkeln, hört sich Lotte Werkmeister ihr köstliches Produkt an. Und Lotte selbst hat mir auch noch was zu sagen: „Nehmense das von vorhin nicht so genau: zu euern Männern kommt ihr früh genug, ob ihr sie früher oder später ärgert, bleibt einerlei. Wissen Sie, ich ärgere meinen Mann nicht, wir verstehen uns blendend. Was hat man denn sonst schon von dem bißchen Leben? Nun ja, is doch wahr! Stimmt’s nicht?“
Hallo Wiebeke, Apropos Wikipedia, Du wolltest wissen, wie es zu dieser Falschinformation bezüglich der Gründer des 3001 Kinos kommt? Das ist ganz einfach: Die Wikipedia Leute beziehen sich auf ein Interview, das eine Taz Redakteurin (Annette Bolz) mit mir zum Dreijährigen Geburtstag des Kinos geführt hatte (1994). Der Wikipiamensch, der dieses Interview zitiert, aber nicht präsentiert, hat das leider falsch verstanden, das mit den Gründern. Und damit das nicht alle Zeit so bleibt, habe ich diesen Zeitungsartikel für Dich heruntergeladen und da isser schon: (in der Taz Hamburg erschienen am 28.4.1994) Unter der Überschrift: “Schräg und Starrsinnig.Ein Rückblick zum Dreijährigen des 3001-Kinos“ Am ersten Mai wird das 3001-Kino im Schanzenviertel drei Jahre alt. Die taz resümiert mit Jens Meyer, einem der Gründer.
taz: Wer steckt hinter dem 3001? Meyer: Wir sind ein reines Männer-Kino: Außer mir machen noch Rainer Krisp und Thomas Schröder mit. Rainer habe ich im Zentral-Film-Verleih kennengelernt, das war damals der erste Polit-Verleih. Später, von 1982 bis 1990, haben wir das Duckenfeld in der Oelkersallee (64) gehabt. Das mußte dann wegen des Gebäude-Abrisses schließen. Damals hatten wir 23 Sitze im Kino . Wieviele hat denn das 3001? 96. Und die Sternchen an der Decke haben wir selbst gebaut.
Schreibt ihr schwarze Zahlen? Rein rechnerisch nicht, wegen der hohen Abschreibungen für die Investitionskosten, aber im Prinzip trägt sich der Laden, wir können gerade davon leben. Welches Ziel hattet ihr vor drei Jahren, als ihr anfingt? Angefangen haben wir als frustrierte Kino-Besucher. Wir dachten, es gibt 100 Kinos in Hamburg, davon gehören 90 Prozent zwei Besitzern, und dann laufen dadrin 30 Filme. Das langweilte uns. Wir wollten mehr und andere Filme zeigen. Aber tatsächlich gibt es nicht so viele, die das auch langweilt. Die meisten Leute wollen doch die neuen Filme sehen, so schlecht sie auch immer sein mögen. Habt ihr nach dieser Erkenntnis das Programm geändert? Heute durchmischen wir das Programm mit neuen Filmen, weil wir reicher werden wollen. Bei „Mrs. Doubtfire“ hast du die Bude voll, bei alten Filmen kommen nur 30 Leute. Wir stolpern über unsere eigenen Füße. Früher wollten wir einen Film nur eine Woche lang zeigen, doch die Verleih-Verträge zwingen uns, neue Filme mindestens vier Wochen zu zeigen, mit Verlängerung, wenn das Kino immer noch voll ist. Wir müssen das aber noch diskutieren, ob wir uns darauf einlassen wollen. Seit (d) ihr auch inhaltlich von euren Zielen abgegangen? Damals wollten wir alles zeigen, was uns gefällt und sonst nicht gezeigt wird. Wir haben als Wunschkino angefangen. Das haben wir uns aber abgeschminkt. Denn unsere Zuschauer-Zahlen steigen zu langsam: Im ersten Jahr kamen 15.000, im zweiten 25.000 und im dritten 35.000 Leute. Bei der Polit-Film-Reihe werden wir manchmal aber überrascht, da sitzen dann nicht bloß die zehn Hanseln, die wir schon kennen. Bleibt die Programm-Struktur? Die Dokumentarfilme werden weiterhin alle 14 Tage gezeigt, das Lesben-Kino findet nur noch einmal im Monat statt. Die Frauen sind frustriert von der Arbeit: Nur wenn sie „Thelma und Louise“ zeigen, dann kommen viele. Welches Publikum kommt? Wir haben eine Menge Stammkunden, aber es kommen auch immer wieder neue Leute, die fragen, wo das Klo ist, wo der Eingang ist und wie das mit den Eintrittspreisen ist. (Anmerkung der Red: Im 3001 liegt der Eintritt zwischen 8 und 12 Mark, je nach Einkommen.) Die Armen finden das großartig, und die Reichen kommen nicht zu uns. Seht ihr euch als politisches Kino? Nein. Das 3001 ist nie eine Erziehungs-Anstalt gewesen. Ich habe Angst vor einem belehrendem Charakter. Die Dokumentar-Filme sind allerdings eine Marotte von uns. Schräge und starrsinnig und sind wir auch beim Kinderprogramm, da sind wir seit drei Jahren richtig erfolglos. Was plant ihr für die Zukunft? Ich überlege, ob wir das 3001 nicht mit einem Erstaufführungskino kombinieren sollten, dann kannst du richtig Geld verdienen. Aber die beiden anderen wollen nicht so recht. Gibt es eine Geburtstagsparty? Nee. Aber wir zeigen um 21 Uhr die Schanzenrolle. Das sind 90 Minuten aus 40 Spielfilm-Trailern, in denen die Filme kurz angekündigt werden. Ein paar Kurzfilme sind auch dabei, wie „Goofy in Afrika“ und eine alte UFA-Wochenschau mit Erich Honnecker. Eine komische Mischung. Nein. Das sind gute Trailer von guten Filmen, die lustig und witzig sind. Und der Eintritt – da haben wir eine Preistafel von 1961: 2,60 Mark für Arme, 3,20 für Reiche. Und danach kommen die Blues Brothers. Fragen: Annette Bolz
Aus meiner Antwort: “Außer mir machen noch Rainer Krisp und Thomas Schröder mit,“ hat Wikipedia den Schluß gezogen, diese drei Personen seien die drei Gründer. Dem war aber nicht so! Gründer waren: Leopold Wiemker, Rainer Krisp und eben meine Wenigkeit, weil nicht jeder Esel nennt seinen eigenen Namen zuerst. Eine Korrektur der Falschinformation von Wikipedia fand ich dreissig Jahre lang nicht so wichtig. Aber jetzt wo Leo, wie wir ihn immer genannt haben, schon bald zwanzig Jahre tot ist, sollte das mal korrigiert werden, man gönnt sich ja sonst nix J.
Leider hat die Taz von diesem Artikel von Otto Meyer, der am Sonnabend, d. 10. Februar 1990 in der Taz Hamburg erschienen ist, nur die Überschrift auf ihre Seite gestellt. Der Text fehlt. Diesem Uebelstand wollte ich schon lange mal abhelfen und habe dies nun getan und zwar ohne jemanden zu fragen, worauf ich aber gar nicht stolz bin: (Seite 28 Kulturmagazin taz Hamburg Samstag, 10. Februar 1990)
Als die Kinos noch Paläste waren
Am Freitag, den 27. Januar 1933 stirbt im Alter von 45 Jahren an Herzversagen ein Mann, der in Hamburg Kinogeschichte schrieb: Hermann Urich-Sass. Die Stadt hat ihn heute beinahe vergessen. In der Tageszeitung Licht Bild Bühne fand sich damals ein kurzer Nachruf, der mit den Worten endet: „Ein vergängliches Menschenleben ist nicht mehr – aber sein Werk lebt!“
Der Autor irrte. Dafür sorgten die neue Zeit und die neuen Herren, die am Tage der Beerdigung des Toten die Macht übernahmen. Aber noch darf die „Illustrierte Tageszeitung des Films“, wie sich das in Berlin erscheinende Blatt selbst nennt, in der Montagsausgabe vom 30. Januar 1933 über den Mann berichten, der in nur sieben Jahren Norddeutschlands größten Kinokonzern aufgebaut hatte. Mit einem Jahresumsatz von 6 Millionen Reichsmark gehörte die offene Handelsgesellschaft des Hermann Urich-Sass und seines Teilhabers Hugo Streit zu den größten Steuerzahlern der Stadt Hamburg.
„Henschel Film- und Theaterkonzern“ nannte sich das Unternehmen – ein Name mit Tradition. Denn Hermann Urich-Sass und Hugo Streit hatten sich eingeheiratet in eine Familie von Kinobesitzern. Schwiegervater James Henschel gehörte zu den Kinopionieren in Hambrug.
Seit 1908 (1906) betrieb er im Belle-Alliance-Theater (Schulterblatt 115) die „Vorführungen lebender Photographien“. Der 1.100 Quadratmeter große Saal war mit seinen 1.200 Sitzplätzen zeitweise das größte Kino beider Städte Hamburg und Altona. Ebenfalls zur Henschel-Familie gehörte das Lessing-Theater am Gänsemarkt – am selben Ort steht heute der Ufa-Schachtelpalast. Auch das Passage Theater und das –Waterloo-Theater in der Dammtorstraße 14 wurden von James Henschel betrieben.
Die neuen Familienmitglieder hatten das Gewerbe bei der Ufa gelernt. Urich-Sass und Streit waren dort bis 1926 als Direktoren in Norddeutschland angestellt, noch unter Hugenbergs Leitung. Ihr erstes eigenes Kino war die Schauburg am Hauptbahnhof (nach dem Krieg: „Die Barke“).
Der Raum war noch gemietet, doch schon kurz darauf begann der Henschel-Konzern Kinos neu zu bauen, die alle bisherigen Dimensionen weit hinter sich lassen. Im Februar 1927 wird an der Ecke Circusweg/Reeperbahn ein Haus mit 1.556 Sitzplätzen eröffnet. Architekt Carl Winand, Baukosten: etwa 500.000 Reichsmark, Bauzeit 4 Monate. „Ein geräumiger Vorraum führt zur Empfangshalle. Von hier aus ist der Zuschauerraum zu betreten. Breit angelegte Treppen führen zum Ranggeschoß. Notausgänge in genügender Anzahl nach dem Circusweg. Zu beiden Seiten der Bühnenwand ist eine Oskalyd Orgel mit Fernwerk von der Firma Furtwängler und Hammer aus Hannover eingebaut. Die Bühnenwand zeigt vor der Bildfläche einen Raum für Vorspiele“ – so ist in der Festschrift nachzulesen, die 1937 „unseren Besuchern“ überreicht wird.
Ein Jahr später folgen weitere Neubauten: die Schauburg Hammerbrook mit 1.100 Sitzplätzen, die Schauburg Wandsbek mit 1.100 Sitzplätzen, die Schauburg Nord mit 975 Sitzplätzen und die Schauburg Hamm mit 1.520 Sitzplätzen .
Neben den neuen Häusern, die Eigentum des Henschel Konzerns sind, werden weitere Kinos (City-Theater, Burg Theater, Helios Theater in Altona) angemietet und unter dem Markennamen „Schauburg“ weitergeführt. 1933 ist der Henschel-Kozern vor der UFA und der Hirschel-Gruppe mit 12 Filmtheatern, 10.731 Sitzplätzen Hamburgs größter Kinobesitzer.
Nie wieder wird es in der Geschichte der Hansestadt die etwa 50.000 Sitzplätze geben, die Hamburgs Kinos im Jahre 1933 anbieten.
Zum Vergleich: Heute (1990) verfügt die Zwei-Millionen-Stadt nur noch über knapp 20.000 Kino Plätze.
In den Henschel Schauburgen laufen nicht nur die neuen Chaplin-Filme, auch der Hochbaum-Film Brüder , der den Streik der Hafenarbeiter 1897 zeigt, wird hier uraufgeführt; von der Zensur zugelassene Filme aus der Sowjetunion („Russenfilme“) sind ebenfalls zu sehen. Der Regisseur Eisenstein hält am 21. Oktober 1929 in der überfüllten Schauburg am Millerntor einen Vortrag und zeigt zwei Akte aus Panzerkreuzer Potemkin und zwei Akte aus Zehn Tage, die Welt erschütterten .
Aber nicht nur im Programm, auch in der technischen Entwicklung sind die Schauburgen Vorbild. Am 23. Januar 1929 „nachmittags präzis 13 Uhr“ wird am Millerntor zum ersten Mal in Hamburg ein Tonfilm gezeigt: Ich küsse ihre Hand Madam mit Marlene Dietrich und Harry Liedke. Die Tonpassage des Films dauerte allerdings nur zwei Minuten und zwölf Sekunden.
Die Licht-Bild-Bühne lobt nicht nur den Kino-Unternehmer, sondern auch den Menschen Urich-Sass: „Seinem bescheidenen Charakter lag es nicht hervorzutreten und nach außen hin eine Rolle zu spielen. Um so mehr trat sein Können in den Auswirkungen seiner Arbeit in Erscheinung. Streng in der Pflichterfüllung gegen andere und vor allem gegen sich selbst. Der korrekte Hamburger Kaufmann. Voll Ausdauer und Ehrgeiz und voller Vitalität, der er die Verwirklichung seiner Pläne verdankte. Ein Charakter voll Zuverlässigkeit. Ein Mann von untadeliger Gesinnung. Einer, dem Hochschätzung und Sympathien bis über das Grab hinaus bei allen sicher ist, die ihm wie wir in langen Jahren näher treten durften.“
Nach seinem Tode gründen die Erben zusammen mit Hugo Streit die Henschel KG , die die Schauburgen weiterführt. Doch eine weitere Gesellschaft wird 1933 gegründet: die Schauburg Lichtspielbetriebsgesellschaft mit beschränkter Haftung. Sie haftet nur mit 20.000 Reichsmark, ihr Geschäftszweck ist die Pacht von Lichtspieltheatern. 1934 übernimmt diese Gesellschaft elf von zwölf Schauburgen.
In der Reichsprogromnacht werden die ehemaligen Henschel-Kinos von den Nazis demoliert, Joseph Goebbels hatte inzwischen als selbsternannter „Schirmherr des Deutschen Films“ festgelegt, was ein deutscher Film sei:
„Deutsche Filme sollen künftig nur von Deutschen hergestellt werden. Deutsch aber ist, wer deutscher Abstammung, deutschen oder artverwandten Blutes ist. Seitdem können allein Filme als deutsche Filme anerkannt werden, die von einer deutschen Gesellschaft in deutschen Ateliers mit deutscher Idee, deutschem Autor, deutschen Komponisten und deutschen Filmschaffenden hergestellt sind. Durch jene Begriffsbestimmung des deutschen Films wird es möglich, in verhältnismäßig kurzer Zeit die jüdischen Einflüsse in der der Produktion, dem Verleihgeschäft wie dem Filmtheaterwesen auszumerzen.“
In diesem Sinne war die Henschel KG nicht mehr deutsch. Ein Nazi-Kinobesitzer aus Kiel treibt die Arisierung voran. (2022 wissen wir, wie der Nazi hiess: Richard Adam)
Auch das Waterloo-Theater entgeht ihr nicht: Dem Kino direkt gegenüber liegt ein Büro der geheimen Staatspolizei.
Hugo Streit und der Sohn von Urich-Sass verlassen das Deutschland der Nazis. Doch die neuen Besitzer haben nicht lange Freude an dem Geschenk des Führers: Nur ein einziges der Kinos hat den Krieg überstanden. Alle anderen fielen den Bomben zum Opfer. Aber auch die heutigen (1990) Hamburger Kinokaufleute denken nicht mehr gerne an diese Zeit zurück. An Hermann Urich-Sass erinnert nur noch ein Gedenkstein auf dem jüdischen Friedhof in Ohlsdorf – gewidmet, so die Inschrift „dem Pionier des Kinos, gestorben am 27. Januar 1933 – im Jahr 5693 der jüdischen Zeitrechnung.“ Otto Meyer
Hermann Urich Sass, geb. am 18. Juni 1887- gest. am 27. Januar 1933. Im Artikel wird das Alter mit 48 Jahren angegeben, das habe ich mal stillschweigend geändert, damit die Verwirrung nachläßt
Quellen: Licht Bild Bühne, Illustrierte Tageszeitung des Films, Berlin. Hamburg und seine Bauten, Hamburg 1929 Festschrift des Henschel Film- und Theaterkonzerns zur Eröffnung der Schauburg am Millerntore, Februar 1927 Hans Traub: Die Ufa, Berlin 1943 Bericht von Horst Urich-Sass (Sohn von Hermann Urich-Sass, Mexiko 1989 Bericht der Brüder Streit (Söhne von Hugo Streit), Brasilien 1989.
Das Foto vom Haus Belle Alliance, Schulterblatt 115, stammt von der Landesbildstelle Hamburg (Belle-Alliance mit Pferdebahn). Daher kommt die Annahme, daß dieses Foto vor dem 5. März 1894 entstanden sein muß. An diesem Tag wurde die Pferdebahn von einer elektrischen Straßenbahn abgelöst. Mit anderen Worten: In dem Haus Belle Alliance war zu jener Zeit noch gar kein Kino.
Das Foto von der Aussenfassade des Barke Filmtheater mit der Filmankündigung von Theo gegen den Rest der Weltstammt von Roland Scheikowski. Es ist nach dem Start des Filmes am Freitag, den 26. September1980 entstanden. Erst am 8. August 1985 wurden die Filmstarts, die bis dahin immer Freitags stattfanden, auf den Donnerstag vorverlegt.
Welches Lied ich ihm singen würde? Eins ohne Ort jedenfalls, leicht in Amsterdam oder Nyon, im Schiff oder Flugzeug zu pfeifen, ein Lied zum Mitnehmen, das nach Leder schmeckt, nach „bitte noch einen Manhattan, Herr Wirt“ und eins, das auch nach der neuesten Aidstoten-Statistik noch hörbar wäre. Man müßte es auch zu mehreren, aber vor allem während des Tippens, Telefonierens oder Filmeinlegens summen können. Salzgeber, Deutschlands mutigster Filmverleiher, Filmaktivist, Film- Passionario, ist am Freitag morgen in einem Berliner Krankenhaus im Alter von 51 Jahren an Aids gestorben.
Solche wie ihn, ein Zufallskind, mitgeschleppt aus Lodz nach Stuttgart auf der Flucht vor den Russen, nannte man im Schwäbischen „Neigschmeckte“. Der floh ins Kino, als Dreijähriger schon an Omas Hand in „Brüderlein fein“ (so daß man sich nicht wundern muß, wenn er sich in den sechziger Jahren nicht zu schade war, den Studenten nachts um drei den „Förster im Silberwald“ zu zeigen). Lesen, lesen, Milchflaschenpfand in Kinokarten umsetzen, Mutters Deutsch in den Briefen ans Wohnungsamt korrigieren – Salzgeber ist ein Steher gewesen, und es ist mir ein Rätsel, wieso das nie penetrant war; wieso man ohne Umschweife schluckt, daß er das erste Western-Lexikon als 14jähriger mit achthundert Anmerkungen vollgekritzelt hat, weil er die Fehler von Leuten korrigieren mußte, die die Filme im Gegensatz zu ihm eben nicht gesehen hatten.
„Ich hatte im Kino immer einen Blick für die Titten Gary Coopers, Robert Mitchums und anderer Ektoplasmen; als ich das dann mit anderen Kindern durchsprechen wollte, wurde mir schnell klar, daß ich nicht nur ein Neigschmeckter war, sondern auch noch ein Schwuler.“
Ab also nach Berlin: mit einer halben Schauspielschule und der abgeschlossenen Buchhändlerlehre in der Tasche fing er bei Marga Schoeller an, was damals, in den frühen Sechzigern, einer von Berlins mobilsten Buchläden war. Er reiste mit William Burroughs durch die Lande. Von seinem Schreibtisch aus organisierte er die ersten Kopien für das neu gegründete Arsenal, ein kommunales Kino, von einem Kollektiv betrieben. Als mal keine Eintrittskarten mehr da waren, gaben sie hartgekochte Eier an die Gäste aus, die allerdings ordentlich gestempelt und dann im Kino gegessen wurden. Alle machten wirklich alles und Manfred ein bißchen mehr: Putzen, Projektor bedienen, Karten abreißen. Was er mochte: Science-fiction, CinemaScope, Paris, Chaplin: als „Monsieur Verdoux“ am Kudamm floppte, zeigte er ihn im Dahlemer Bali, seinem Kino, unter dem Originaltitel sechs Monate lang, und ging später zu den Chaplins, die ihm die Filme für die erste komplette Chaplin-Retro Deutschlands gaben. Georg Kloster, Berlins Programmkino-Mogul, war noch bei Salzgeber Kartenabreißer gewesen; es hat ihn nicht übel verbittert, wie Leute „ohne Eier“ ihn schließlich finanziell überflügelten.
Lange hat er es mit den „Freunden der Deutschen Kinemathek“ nicht ausgehalten: „Aus dem Kollektiv wurden schnell Herr und Frau Direktor – mit Villa im Grunewald“, hat er später geflucht. Salzgeber wollte eine Reihe zum Thema Palästina veranstalten, mit israelischen und palästinensischen Filmen, und als ihm daraufhin Antisemitismus vorgeworfen wurde, verabschiedete er sich vom Arsenal.
Von seinem Coming-out hat er nie viel Aufhebens gemacht. Eines Tages, in den späten Sechzigern, kam Alf Boldt – ein Mit-Kollektivist und Berliner Underground- Film-Connaisseur, der vor nicht allzu langer Zeit ebenfalls an Aids starb – mit dreißig roten Rosen in die Buchhandlung gestapft und fragte laut nach Frau Salzgeber. Die Kollegen applaudierten, und das war das.
Kurz darauf ging er mit Rosa von Praunheim und dessen Film „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“ auf Tour durch achtzig große Städte. Es ist der Film mit der längsten Männerkußszene der Filmgeschichte: Viereinhalb Minuten waren es im Original, im Fernsehen dann 45 Sekunden, die Nation war außer sich. Der Küsser: Manfred Salzgeber.
Stammheim hat ihn einstweilen aus Deutschland vertrieben. Manche von den RAF-Aktivisten hatten mit ihm nachts im Bali gesessen und „Viva Maria“ gesehen. Als er einmal mit Dreitagebart aus dem Haus getreten und von jemandem beschimpft worden war: „Dich haben sie wohl zu vergasen vergessen“, zog er nach Amsterdam.
Moritz de Hadeln, der Leiter der Berliner Festspiele, hat ihn dann wiedergeholt. Salzgeber sollte die „Infoschau“ übernehmen, ein damals brachliegendes Parallelprogramm zum „Forum“, das erst durch Salzgeber das Panorama-Profil des ungekämmten Minderheitenkinos bekam: Filme wie „Together Alone“, der wohl schönste Aidsfilm der Welt, oder „Dialogues with Mad Women“, der ermutigendste Film für Paranoikerinnen, kamen unter seiner Regie nach Berlin.
1985, als er längst höchst alarmiert war, stellte er fest, daß kein Verleih sich wagte, „Buddies“, den ersten expliziten Aidsfilm, in die Kinos zu bringen. „Dieser Film kann Leben retten“ – sprachs und gründete prompt seinen eigenen Verleih: die „edition Manfred Salzgeber“, die mittlerweile über den Dächern des gutbürglichen Steglitz thront, mit kleiner Terasse, die Manfred Besuchern als Kirsche auf der Sahnetorte präsentierte. Es ärgerte ihn Tag und Nacht, daß die Aidshilfen lieber schlechte Kopien von Pressebändern dieser Filme zogen, als sie bei ihm zu leihen und damit Filmemacher zu unterstützen. „Die Vorstellung, daß Derek Jarman [inzwischen auch verstorben, d.R.] krank in einer kleinen Bude in London hockt und seine Miete nicht bezahlen kann, während die Aidshilfen für Staatsknete Hochglanz-Broschüren drucken lassen, macht mich wahnsinnig“, hat er mir einmal im Interview gesagt (taz vom 11.3. 1993).
Wahnsinnig gemacht hat ihn auch die deutsche Filmförderung (wen die nicht den Verstand kostet, der hat auch keinen zu verlieren). Lange hat er sich geweigert, Verleihförderung zu beantragen; aber bestimmte Projekte gingen eben nicht ohne. „Inzwischen muß der Kinoverleih, an dem unser Herz hängt, ohnehin durch Videoproduktion, Ankauf von Fernsehplätzen und Lizenzhandel gestützt werden“, sagt Björn Koll, einer der Erben aus Salzgebers schwuler Familie.
Vorsichtig äußern sie Zuversicht; schon seinetwegen wollen sie weitermachen. „Aids“, sagt Kurt Kupferschmid, „hat ihn vor allem geärgert. Wenn sein Körper nicht wollte, daß er ins Babylon fährt und Gus van Sants ,Mala Noche‘ vorstellt, dann hat er ihn eben gezwungen: halbe Flasche Sekt, paar Aspirin, und ab ging’s.“ Daß Leute manchmal so verrückte Sachen machen wie Seeurlaub oder „drei Tage im Grünen“ hatte er zwar mal irgendwo gehört, aber doch nie erlebt. Ist das nie jemandem auf die Nerven gegangen, hat das nicht was Protestantisches? „Nein, hat es nicht“, meint Kurt, „mir ging es mal drei Wochen lang sehr schlecht, da kannten wir uns noch gar nicht richtig, da hat er mich jeden Tag angerufen, auch von unterwegs aus. Wenn es einem schlecht ging oder man wollte ficken gehen, war er völlig einverstanden. Bloß simple Erholung, das ging nicht in seinen Kopf.“
Er selbst war in der Lederszene zu Hause, aber in der ohne Uniformen, und eher parlierenderweise am Thresen als in der Klappe. Welchen Film ich ihm spielen würde? „Together Alone“ ganz sicher, ein Zwiegespräch in Moll und Dur und Angst und Witz, in das Manfred Salzgeber ebenso leicht hineingeglitten wäre wie in einen samtroten Kinositz. Mariam Niroumand
Nächsten Mittwoch um 11.30 Uhr findet im Berliner Filmpalast eine Trauerfeier statt, auf der noch einmal „Blue“ von Derek Jarman gezeigt wird. Statt Blumen wünschte sich Salzgeber einen Beitrag für die Arbeit mit Aidsfilmen. Konto 390 871 7402, H.Herdege – Sonderkonto Salzgeber, Volksbank Göttingen, BLZ 260 900 50. (Vermutlich gibt es dieses Konto nicht mehr)
Der Artikel gefällt mir immer noch und die falsche Überschrift hat vermutlich wer anders geschrieben. Aber mit dieser Überschrift findet vielleicht die nächste Suchgeneration den Nachruf nicht. Manfred hätte bestimmt nichts dagegen gehabt und waere mit dieser Hochladung bestimmt einverstanden gewesen, habe ich mir eingeredet. Nur das Bali Kino ist keineswegs in Dahlem, sondern damals und auch heute noch in Zehlendorf. Am S-Bahnhof Zehlendorf, geführt von einer würdigen Nachfolgerin. Einer Neigschmeckten, die von einem Kino aus Mannheim kam.
Frau Friedrich im Lande der Pandemie. Frau Friedrich von der FFA hat es wirklich schwer. Ihre Arbeit bei der FFA ist: Die Erfassung der Umsatzzahlen der Kinos. Nun finden seit fast 12 Monaten in den Kinos keine Umsätze mehr statt. Das weiß auch Frau Friedrich. Das weiß auch der Chef von Frau Friedrich. Sein Name tut hier nichts zur Sache. Vermutlich ein Mann. Warum sollte es anders sein? Die FFA ist eine Staatsveranstaltung. Sie soll den Bürgern dienen. Den Bürgern dienen ist das eine. Aber wer dauerhaft dienen und dafür auch bezahlt werden will, der muß seine Tätigkeit, wenn sie nicht durch Wirkung in Erscheinung tritt, dokumentieren, präsentieren, legitimieren. Nun sind die Kinos seit 12 Monaten, mit kleinen Unterbrechungen, geschlossen. Umsätze finden nicht statt. Und dennoch gibt es Menschen, deren Tätigkeit darin besteht, die (nicht vorhandenen Umsätze) zu erfassen, zu dokumentieren, zu präsentieren und damit ihre Tätigkeit zu legitimieren. Frau Friedrich von der FFA könnte einfach, wie die Kinobesitzer und Kinoangestellten schön zu Hause sitzen und den lieben Gott einen guten Mann sein lassen, wären da nicht die Gesetze, in denen eine solche Auszeit nicht vorgesehen ist. Also geht sie täglich an ihren Nichtarbeitsplatz und schickt an die vorhandenen Kinos (geschätzt 3001 und mehr) die Aufforderung zur Nullmeldung. Aktuell für die Monate Januar und Februar 2021. Und keiner in der FFA oder anderswo kann diesen Unsinn stoppen, wollte er oder vielleicht sogar sie, es. Der Präsident oder die Präsidentin von der FFA? Man weiss es nicht. Und so schickt Frau Friedrich von der FFA weiter ihre Aufforderungen zur Umsatzmeldung in die Lande. Man kann sich schließlich nicht nur mit dem Impfen und der Früherkennung der Krankheiten beschäftigen. Es muß auch andere Tätigkeiten im Lande der Pandemie geben! Jawoll! Frau Friedrich von der FFA hat es wirklich schwer. 20. März 2021 Jens Meyer vom 3001 Kino in Hamburg.
Annelise, Maria, Elsa Meyer, geb. Hirte geboren am 27. Oktober 1904, gestorben am 20. Oktober 1987. Letzte Wohnanschrift: Hütten/Ecke Peterstrasse.
Mein
Vater:
Rudolf Heinrich Meyer, geboren am 24. Januar 1904 in Hamburg Bergedorf, gestorben am 27. August 1979 in Hamburg. Letzte Wohnanschrift: Dorotheenstr. 184 a in 2000 Hamburg 39, Winterhude.
Meine Oma (1) (die Mutter von Annelise): Dora, Charlotta, Amalie Hirte geb. Eikens, geb. am 19. Juli 1862 in Hannover, gest. am 10. Mai 1907 an den Folgen eines Unfalls in Hamburg. Letzte Wohnanschrift: Steinstrassen Passage 1, Nummer 29, Haus 8.
Mein Opa (1) (der Vater von Annelise): Eduard, Ernst, Hermann Hirte, geb. am 12. Mai 1861 in Hannover. Gest. am 16. August 1934 in Hamburg. Von Beruf: Maurer. Später Maurermeister. Noch später: Architekt. Letzte Wohnanschrift: Bethesdastrasse 36 (Hamburg Borgfelde). (Die Angaben stammen aus den Adressbüchern von Hamburg).
Das
Ehepaar Hirte hatte zehn Kinder.
Meine Mutter: Annelise, Maria, Else Hirte war die jüngste Tochter der Familie Hirte. Die älteste Tochter hieß Maria, Anna, Sofie, Louise Hirte. (Annelise ist das Kind im Kinderwagen. Aufnahme 1905. Die anderen vier Kinder sind bereits älter)
(Viele
Kinder, viele Vornamen). Maria ist am 30. Januar 1884 geboren,
gestorben am 03. Januar 1974.
Die Namen der restlichen Hirte Kinder und die Reihenfolge ihres Erscheinens sind unsicher. Nur eine zehn Jahre ältere Schwester ist sicher. Sie hat nur zwei Vornamen: Leoni, Dorothea Hirte ist geboren am 10. Januar 1894 und gestorben am 28. Juli 1943 um 1.00 Uhr und 40 Minuten in Hamburg, „daselbst in Folge Fliegerangriffe gefallen.“ wie ich der Todesurkunde entnehmen konnte.
Letzte Wohnanschrift von Leonie Eikens, geb. Hirte: Eiffestrasse 505.
Zwei Söhne von ihr habe ich noch kennengelernt: Ihren Sohn Wolfgang (Wölfi) Eikens und seinen Bruder Karl Hermann Eikens. Wölfi war gerade 17 geworden und machte eine Lehre zum Autoschlosser, als ihn 1942 der Führer nach Russland schickte. Als seine Mutter 1943 “in ihrer Wohnung gegrillt wurde“, wie Wölfi sich auszudrücken pflegte, “sind mir bei Stalingrad die Füße abgefroren“ (Seine Füße hatten eine ganz glatte Haut). Der Führer hatte vergessen, seinen Kindersoldaten (volljährig wurde man erst mit 21 Jahren) Winterkleidung mitzugeben. Hatte sich was mit Blitzkrieg.
Die Kindheit meiner Mutter Annelise war schwierig. Wie schwierig, hat sie ihren Kindern oder Enkelkindern nie erzählt. Ihre Mutter war schwanger und ist beim Gardinenaufhängen in der Wohnung von der Leiter gefallen. Sie hatte eine Fehlgeburt. Sie soll im Krankenhaus verblutet sein. Annelise ist zwei Jahre alt, als ihre Mutter stirbt. Ihr Vater, mein Opa, war ein Hallodri. Darunter konnte ich mir als Kind nichts vorstellen. Was sie damit meinte, erfuhren wir erst viel, viel später. Es stellte sich heraus, dass mein Opa (1) (ihr Vater) schon lange eine Geliebte hatte, der er erzählt hatte, er habe drei volljährige Kinder. Das Gegenteil ist der Fall. Sieben seiner Kinder sind unter 21 Jahre alt, als seine Frau von der Leiter fällt. Die älteste Schwester von Annelise, Maria Else Hirte, ist bei dem Tod der Mutter dreiundzwanzig Jahre alt. Wir nannten sie Tante Ria. Tante Ria hat ihrem Enkel erzählt, dass die Familie Hirte oft umgezogen ist. Damals gab es das Ritual, dass neue Häuser zunächst von armen Familien “trocken gewohnt wurden“. Hermann war Maurer.
Immer, wenn ein Haus fertig war, zog die Familie in eine dieser feuchten Wohnungen zum “Trocken wohnen.“ Die Trocken-Wohn-Miete war günstig. Wenn die Wohnung nach zwölf Monaten trocken war, zogen sie in die nächste Feucht-Wohnung um. Als meine Mutter 1904 geboren wurde, wohnte die Familie Hirte in der Steinstraße 129. Die Anschrift führt leicht zur Verwirrung. Es gibt sie nicht, die Steinstraße 129. Vielmehr handelt es sich um die Strasse: Steinstrassenpassage Nr. 1, Haus Nummer 29, im Hinterhof Haus 8. Die Steinstrassen Passage ist heute an der selben Stelle wie 1904. In der Nähe vom Großneumarkt.
Das Vorderhaus Nummer eins steht noch. Die Hinterhäuser sind bombardiert oder abgerissen worden. Als Annelise 1904 geboren wird, wohnt Familie Hirte die Wohnung im ersten Stock “trocken“. Berufsangabe von Hermann Hirte im Adressbuch: “Mauermeister“. 1909 wird eine andere Wohnung “trocken“ gewohnt: In der Barmbeckerstr. 191. Ein Neubau, dicht am Winterhuder Marktplatz.
Opa (1)
Hermann gibt die kleinen Hirte Kinder in Pflegefamilien. Annelise ist
die jüngste. Dort geht es ihr nicht gut. Die Pflegefamilien nehmen
die Kinder nur, weil sie das Geld, das dafür gezahlt wird, dringend
brauchen. Die Kinder finanzieren den armen Familien den
Lebensunterhalt.
Am 30. März 1912 heiratet Annelises Vater wieder und zieht in die neue Wohnung Eilbecker Weg 204. Die Auserwählte heißt Auguste Bieling. Als Auguste Bieling – Auguste Hirte – wird, ist sie ein Jahr und einen Monat jünger als Hermanns älteste Tochter Maria. Auguste Bieling ist am 23. Februar 1883 geboren. Maria Hirte ist am 30. Januar 1884 geboren. In der neuen Ehe werden von 1912-1920 vier weitere Kinder gezeugt. 1913 zieht die Familie Hirte (die Zusammensetzung dieser Familie ist unklar) in die neue (feuchte) Wohnung in der Himmelstrasse 26. Ob Annelise in dieser Zeit Kontakt zu ihrem Vater hatte, blieb ihr Geheimnis.
Sie spricht darüber nie. Auch zu den Enkelkindern kein Wort. Es scheint so, als sei der Kontakt abgebrochen oder gar nicht erst entstanden. Auch Tante Ria verliert kein Wort darüber.
Maria Hirte ist Verkäuferin in einem Schokoladengeschäft. 1910 gibt es das Chocoladengeschäft von Reese & Wichmann am Jungfernstieg 12. Das wäre so eine Möglichkeit. Passend in der Hamburger Innenstadt. Da gibt es einen jungen Mann, der sehr oft Chocolade kauft. Maria merkt bald, der Mann kommt gar nicht wegen der Schokolade, sondern wegen ihr. So viel Schokolade kann ein Mensch alleine gar nicht essen.
Der Mann heisst Otto Averdieck. Otto ist Rechtsanwalt. Seine Kanzlei betreibt er in der Mönckebergstrasse 18. Fleißig ist er auch. Die Sprechzeiten seiner Kanzlei sind im Adressbuch angegeben. Werktags von 9.00 bis 5.00 Uhr und Sonntags von 9.00 – 2.00 Uhr.
Ob es Liebe auf den ersten Blick ist und bei wem, ist nicht überliefert. Otto ist am 16. Februar 1881 geboren und wohnt in einer Wohnung in dem Haus seiner Eltern in der Bassinstrasse 12 in Uhlenhorst. 1912 verkaufen die Eltern das Haus in der Bassinstrasse 12, um eines in der Petkumstrasse 17 zu kaufen. Das ist eine Ecke weiter. Das Haus gibt es nicht mehr. Es wurde im Krieg zerstört. (nicht im ersten, sondern im zweiten)
Als im August 1914 der Erste Weltkrieg beginnt, den man erst nach dem Beginn des zweiten Weltkrieges nummeriert, ist Otto 33 Jahre alt. Otto ist kriegsbegeistert wie alle anderen. Seine Eltern leben ihren Standesdünkel. Sie halten sich für etwas Besseres und sind gegen die Verbindung ihres Sohnes mit Maria Hirte. Sie ist ja nur die Tochter eines Maurermeisters.
Otto ist
das offensichtlich Wumpe.
1916 ist Maria Hirte schwanger und Otto überlässt ihr seine Wohnung in der Petkumstrasse 17, während er in Frankreich fleißig Franzosen abschießt. Seine Eltern, denen das Haus in der Petkumstrasse 17 gehört, wohnen im selben Haus. Jeden Tag wird Maria von ihnen daran erinnert, das der Sohn etwas Besseres, als die Tochter eines Maurers verdient hätte.
Am 8. April 1916 wird Otto, Leonhard geboren. Wie alle unehelichen Kinder erhält das Kind den Nachnamen der Mutter: Hirte. Selbst der Bruder, Rudolf Averdieck, der am 21. März 1920 geboren wird, weiß davon lange Zeit nichts. Der kleine Otto erhält den Nachnamen Averdieck erst, nachdem das Paar 1918 offiziell beim Standesamt geheiratet hat.
Meine Mutter – Annelise – ist dreizehn Jahre alt, als ihre Schwester Maria sie zu sich nach Hause holt. Bis 1926 wohnen die Averdiecks in der Allee 239 in Altona. In der Strasse Allee 239 steht ein hässlicher schwarzer Kasten, in dem sie ihre erste Wohnung hatten, erzählt Tante Ria ihrem Enkel Ulrich Graumann, und der erzählt es mir nach ihrem Tod am 30.01.1974- Jahrzehnte später.
1980 bekommt die Strasse Allee einen neuen Vor- und Nachnamen und heisst jetzt Max Brauer Allee. Die Max-Brauer-Allee wird bis zum Altonaer Rathaus verlängert. Sicher ein Grund, warum ich den hässlichen schwarzen Kasten in der Max Brauer Allee nicht gefunden habe. Tante Ria meidet nach dem 2. Krieg die Viertel, in denen sie früher einmal gewohnt hatte. Vor allem, weil sie nichts mehr wiedererkennt, wie sie mir erzählt hatte. Es ist alles anders, als es früher einmal war. Nur Bergedorf ist irgendwie gleich geblieben.
Stolz berichten Erwachsene uns Kindern, das in Bergedorf nur eine einzige Bombe gefallen ist. Einige glauben sogar zu wissen, dass es so ist, weil in Bergedorf das Eisenwerk – Bergedorfer Eisenwerk – einem schwedischen Besitzer gehört. Und mit den Schweden möchten es sich weder die Engländer noch die Amerikaner verderben, so behaupten die Erwachsenen.
Jedenfalls taucht mein Opa (1) Hermann ab und niemand hat Kontakt mit ihm. In der Familiengeschichte ist er wie ein schwarzer Fleck, den man am liebsten wegradieren würde. Gäbe es doch einen Opa Radierer, man würde ihn sofort nutzen. Manchmal ist er, wenn sein Name überhaupt genannt wird, nur Opa (1) -das Schwein- . Ein bisschen Neid ist bei den Männern auch dabei. Dass eine 23 jährige Frau sich mit einem 45 jährigen, einem uralten Mann, einlässt.
1927 zieht die Familie Otto Averdieck nach Bergedorf, wo sie im Schlebuschweg 28 ein Haus gekauft haben. Im Grundbuch eingetragen ist Averdieck, Otto. Zwei Jahre wohnt auch meine andere Oma (2), Marie Meyer, in diesem Haus im Schlebuschweg 28. Ein Haus mit drei Stockwerken, in dem vier Familien und einige Einzelpersonen wohnen. Das Haus hat die Jahrzehnte überstanden. Eine der ausgebombten Familien, die hier zwangsweise untergebracht wurde, will nach dem Krieg gar nicht wieder ausziehen. Aber kein Problem. Otto ist Anwalt.
Im obersten Geschoss, in der Mansarde im Dach, wohnte in einem Zimmer noch eine Schwester meiner Mutter. Wir nannten sie Tante Buddy. Sie verließ selten das Bett. Und wenn, dann nur um neue Zeitschriften zu kaufen. Den Eindruck hatte ich. Die neuen Zeitschriften mochten alle Jungs gern. Eine hieß Praline. Die erinnere ich noch. Dort wurden Frauen abgebildet, meist wenig bekleidet. Manchmal konnte man auf halb verdeckte Busen gucken. Ich erinnere noch, dass es immer etwas streng in ihrem Zimmer roch. Das mag daran gelegen haben, dass das Zimmer im Dachgeschoss keinen Wasseranschluss hatte. Tante Buddy hatte nur eine Schüssel, in der sie sich waschen konnte. Aber wegen der vielen Vorteile hat uns Kinder das nicht weiter gestört. Es ging immer die Legende, dass sie einen Mann geheiratet hätte, der ziemlich früh im ersten Weltkrieg gefallen war und um den sie immer noch trauerte. Vermutlich ist die Geschichte ganz anders gewesen. Vielleicht hat er auch nur die Flucht vor ihr ergriffen. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass ich sie jemals auf der Straße getroffen habe.
Tante Ria hat mir oft fünf Mark Stücke als Taschengeld zugesteckt. Sie sprach dann immer von einem Taler. Sie hatte auch ganz viele verschiedene Münzen aus der Vergangenheit, die alle nichts mehr wert waren. Ich habe sie oft sortiert. Nach Größen, nach aufgedruckten Werten, nach eingeprägten Jahreszahlen. Sie hatte auch ein Grammophon, mit dem man mit Stahlnadeln die Schellack Platten abspielen konnte, die leicht zerbrachen. Zum Glück ist mir keine zerbrochen. Um das Haus herum war ein kleiner Garten, in dem wir oft Versteck gespielt haben. Onkel Otto, wie wir ihn nannten, war im Vorstand des Bergedorfer Briefmarkenvereins. In der Vergangenheit wusste er gut Bescheid. Er war der einzige Erwachsene, den ich kannte, der sich dazu bekannte, dass er früher, in der Nazizeit selber Nazi gewesen war.
Mein Vater.
Die Geschichte dieses Familienzweigs beginnt mit den Eltern meiner Oma (2) Meyer. Meine Oma (2) ist die Tochter von Paul und Margarethe Schumacher, die in Bergedorf in der Wentorferstrasse 19 wohnten. Das Haus gibt es noch. Ich habe ein Foto davon. Es ist ein kleines Haus. Eine Art Doppelhaushälfte mit zwei Eingängen. Wentorferstrasse 19 und 21. Wann der Vater von meiner Oma (2), Paul Schumacher, geboren ist, weiß ich nicht. Auch der Mädchenname von Margarethe Schumacher, meiner Uroma, und ihr Geburtsdatum ist mir unbekannt. Von Beruf ist mein Uropa, Paul Schumacher, Fuhrmann. Im Adressbuch steht, dass er 1875 in das Haus in der Wentorferstrasse 19 eingezogen ist. Dort wohnte er bis zu seinem Tode 1914. Wann er Margarete, seine Frau, kennenlernt hat, ist nicht bekannt. Nach der Heirat zieht sie bei ihm ein. Sie bekommen eine Tochter und nennen sie Marie.
Marie bleibt ein Einzelkind. Irgendwann lernt meine Oma Marie (2) meinen Opa Heinrich Meyer kennen. Der Opa war ein Fan von August Bebel, erzählt mir die Oma später. Zu dem Gespräch mit meiner Oma über August Bebel kommt es, weil sie selbst 1957 in dieser Strasse August Bebelstrasse Nr. 25 wohnt. Ich bin elf Jahre alt und interessiere mich nicht die Bohne für den Held eines Opas, den ich noch nie gesehen habe. 2020 bin ich für die Neugier alt genug und suche die Spuren dieses Opas. Unsicher. Nur eine zehn Jahre ältere Schwester ist sicher. Nachtrag: Gefunden die Daten von Oma und Opa Zwei:Opa (2), Heinrich Meyer (Opa) geboren am 15. Oktober 1867, gestorben am 21. Juni 1930, im Hamburg. Heinrich Meyer wird 62 Jahre alt. Oma (2), Marie Meyer, geb. Schumacher. geboren am 17. September 1877, gestorben am 21. Januar 1958, in Hamburg. Marie Meyer wird 80 Jahre alt.
Die erste Spur finde ich im Adressbuch von Bergedorf für das Jahr 1889. Der Eintrag lautet: Meyer, J. H. H., von Beruf: Arb., was vermutlich Arbeiter heisst. Von 1890 -1895 ist der Eintrag gleich: Meyer, J. H. H., Bleichertwiete 16, Postbote. Von 1911 an ist im Adressbuch eingetragen: Meyer, H. Postschaffner. Opa Heinrich steigt auf. 1914 zum Oberpostschaffner. Von 1922 bis 1929 ist er “Post-Betr.–Assist“, so lautet die Abkürzung im Bergedorfer Adressbuch. 1929 beendet er seine Karriere bei der Post. Ein Beamter im Ruhestand.
Mein Vater wird 1904 geboren. Sie nennen ihn Rudolf Heinrich. Auch Rudolf bleibt, wie seine Mutter ein Einzelkind. Bis 1910 wohnt Familie Meyer in Bergedorf in der Bleichertwiete 16. 1911 ziehen sie in den Kirchhofsweg Nr. 4. Rudolf ist jetzt ein Schulkind. Der Neubau der Schule Spieringstrasse 1, der ganz in der Nähe ist, wurde 1910 eröffnet. Schon möglich, dass Rudolf in die gleiche Schule gegangen ist, die auch ich später (ab 1953) besuche. Ich habe ihn nicht gefragt.
Als
die
Mutter meiner Oma, Margarethe
Schumacher, 1922 stirbt, zieht Familie Meyer in das Haus in der
Wentorferstrasse 19 ein.
Das Haus Nr. 19 ist zwischenzeitlich an den Milchhändler von nebenan
verkauft worden und gehört
nun der
Witwe des
Milchhändlers Richard Schultz, Johanna
Schultz, die in Nummer 21 wohnt.
Rudolf
ist jetzt 17 Jahre alt. Volljährig wird man in dieser
Zeit mit 21 Jahren. 1930 stirbt mein Opa Heinrich. Meine Oma
ist nun die Witwe eines Beamten und der Eintrag im Adressbuch lautet
1931: Meyer, Wwe. Marie, Bergedorf, Wentorferstrasse 19. Bis 1935
wohnt meine Oma mit ihrem
Sohn Rudolf in der Wentorferstrasse 19.
In dieser Zeit freundet sich mein Vater mit Walther Kellinghusen an. Einem Photograph, der zwei Häuser weiter, in der Wentorferstrasse 23 wohnt. Walther hat das Hobby meines Vaters, die Photographie, zu seinem Beruf gemacht. Gemeinsam üben sie sich in Porträt- und Landschaftsphotographie.
Der Vater von Walther ist Rechtsanwalt und Notar. Die Kellinghusens sind eine große Familie und wohnen seit 1886 in diesem Haus. In dem Nachlass meiner Eltern finde ich Aufnahmen beider Photographen. Sie fotografieren auf Filmen und auf Glasplatten. Die Glasplattenkameras haben die Formate 9 x 12 und 13 x 18. Auch Rudolf bestreitet seinen Lebensunterhalt mit Auftragsarbeiten und fertigt Porträts von jungen Frauen und Männern an. Bewerbungsfotos gehören auch dazu. Seine Mutter dringt darauf, das Rudolf noch einen “anständigen“ Beruf lernen soll. Das ist 1920 nicht ganz einfach.
Eine Lehrstelle bei einem Gewürzimporteur wird angeboten. Apkar Dilsizian, Import und Export GmbH. Sein Büro ist gegenüber dem Freihafen, Hohe Brücke 4, Handelsspanisch und Stenografie sind Voraussetzung für eine Einstellung. Rudolf behauptet beides zu können, was keiner überprüft und drei Monate später kann er anfangen. Die Zwischenzeit nutzt er, sich die geforderten Fähigkeiten anzueignen. Damit kommt er durch. Rudolf verdient 1921 sein erstes Geld und trägt das Gehalt in ein kleines DIN A 5 Büchlein ein. Im August 1923 ist er Millionär, im September Miliardär und in November 1923 bekommt er für den ganzen Monat Arbeit 12,50. Die Währung nennt sich Rentenmark. Bald kann er ein Foto aus dem Bürofenster, Hohe Brücke Nr. 4 machen.
Am
5. Juni 1935 heiraten meine Eltern. Der
Standesbeamte überreicht als Geschenk das
Buch “Mein
Kampf“ von Adolf Hitler. Die
erste gemeinsame
Wohnung meiner
Eltern
ist in der Wentorferstrasse 84. Die Wohnung hat Zentral
Heizung, was offenbar so wichtig ist,
dass es in Adressbüchern eingetragen wird.
1936 wird der Freund meines Vaters, der Photograph Walther Kellinghusen, verhaftet und kommt in die Untersuchungshaft ins Bergedorfer Gefängnis. Der Vorwurf lautet, er habe gegen den § 175 verstoßen.
Annelise ist schwanger. In Bergedorf in der Brauerstrasse 163 entsteht ein Neubau. Bei der Belegung des Neubaus werden Parteigenossen der NSDAP bevorzugt behandelt. Mein Vater wird Parteigenosse und erhält den Zuschlag. Eine Wohnung zum “Trocken Wohnen“ in der Brauerstrasse 163. Annelise kennt das schon. Hat sie doch ihre Kindheit mit dem “Trocken Wohnen“ verbracht. Am 11. August 1937 bringt Annelise meine Schwester Roswitha zur Welt. Im Elim. In Eimsbüttel. Vierzig Autominuten von der Brauerstrasse entfernt.
1945, beim Einmarsch der Engländer, verschwindet das Hochzeitsgeschenk des Standesbeamten im Heizungskessel im Glindersweg 47. Gottseidank gibt es keinen Koks im Mai 1945. Bis auf einen kleinen Wasserschaden, der den Buchrücken aufgelöst hat, ist dem Buch weiter nichts passiert.
Meine Schwester berichtete mir später, unsere Mutter hatte ihr erzählt, der Vater von Walther, der ein angesehener Rechtsanwalt in Bergedorf gewesen sei, habe seinen Sohn Walther Kellinghusen im Gefängnis besucht und ihm ein Handtuch oder ein Tuch gebracht. Dieses Tuch sei eine Art Code gewesen. Das Signal dafür, das man Walther nicht helfen könne. Darauf hin hat sich Walther im Gefängnis das Leben genommen.
Die Geschichte geisterte seit Jahren durch unsere Familie. Es wurde aber niemals geklärt, ob es tatsächlich so passiert ist. Auffällig ist, das mein Vater ein Reihe von Fotos aufgehoben hat, die von Walther Kellinghusen hergestellt worden sind oder ihn abbilden. So sind diese Aufnahmen nach dem Tode meiner Eltern in meinen Besitz gekommen.
Erst vor einigen Jahren habe ich mit der Recherchen zu Walther Kellinghusen begonnen. Ich stellte ich fest. Es ist noch viel schlimmer, als bisher bekannt. Im Staatsarchiv finde ich einen Mitarbeiter, der sich speziell mit der Verfolgung der Schwulen in Hamburg jahrelang beschäftigt hat. Uwe Bollmann. Zusammen mit einem Kollegen hatte er Reihe von Veröffentlichungen gemacht. Auch die beiden Fälle Kellinghusen haben sie bearbeitet. Der Fall Walther Kellinghusen, der sich im Bergedorfer Gefängnis das Leben genommen hat. Und der Fall seines siebzehn Jahre älteren Bruders Hans-Adolf Kellinghusen, der 1933 zum Professor und stellvertretender Direktor des Staatsarchives ernannt wurde.
Lange sinne ich darüber nach, warum meine Eltern, warum mein Vater nach dem Tode seines Freundes Walther Kellinghusen niemals mehr Kontakt mit einem Familienangehörigen der Kellinghusens aufgenommen hat. Schließlich haben wir bis 1963 in Bergedorf im Glindersweg 47 gewohnt. Ich komme zu keinem Ergebnis. Aber zu einer Entscheidung.
Walther Kellinghusen ist es wert, dass man über seine Person stolpert, so wie ich über ihn gestolpert bin. Ich nehme Kontakt mit Peter Hess auf. Es soll ein Stolperstein für Walther Kellinghusen werden. Verlegt an seiner letzten Wohnanschrift in der Wentorferstrasse 23.
Auf der Suche nach Angehörigen von Walther Kellinghusen ist Peter Hess erfolgreicher als ich. Ich hatte es telefonisch probiert, ohne Erfolg. Kein Verwandter dabei, der mit Walther verwandt war oder von seiner Geschichte wusste. Peter Hess hat es mit kleinen Zetteln an den Bäumen in der Wentorferstrasse in Bergedorf versucht. Er hat einen Kellinghusen gefunden und mir seine Telefonnummer gegeben.
Ich habe dann anschließend dreißig Minuten mit diesem Kellinghusen telefoniert. Er ist Jahrgang 1937. Die Villa des Vaters hat er nach dem Krieg abreißen lassen und auf dem Grundstück, das bis zur Strasse Am Baum 8 reicht, neu gebaut. Ein großes Grundstück. Das Haus in der Mitte. Weg von der lauten Wentorferstrasse.
Nach diesem Telefonat habe ich endlich verstanden, warum meine Eltern mit dem Rest der Familie Kellinghusen nach dem Tode von Walther nichts mehr zu tun haben wollten. Merkwürdige Formulierungen lassen mich stutzen. Hinterher denke ich: Wenn dieser Kellinghusen könnte, wie er wollte, aber das kann er nicht, dann würde er diesen Stolperstein verhindern. Er spricht von der Schande, die Walther über die Familie gebracht hat. Sprachlosigkeit überfällt mich. Ein Blick in den Kalender macht die Sache nur noch schlimmer. Die Gefängnisakten sind inzwischen vernichtet.
Es steht zu vermuten, dass die Vernichtung dieser Akten dem älteren Bruder, der 1933 zu stellvertretenden Direktor und Professor des Staatsarchives ernannt wurde, Hans-Adolf Kellinghusen sehr gelegen kam, wenn er die Vernichtung der Akten nicht selber initiiert hat, was zu vermuten ist. Einen Satz sollte ich vielleicht noch einmal wiederholen: Hans-Adolf Kellinghusen, war 1915 “Hilfsarbeiter im Staatsarchiv“ (Eintrag im Hamburger Adressbuch), 1932 Archivrat im Staatsarchiv und wurde im Jahre der Machtübernahme zum Professor und stellvertretenden Direktor des Staatsarchives ernannt. 1979 starb mein Papa. Er wurde 75 Jahre alt. 1987 starb meine Mama. Sie wurde 83 Jahre alt.
“Die
Habgier ist weniger Ausdruck einer vorgesellschaftlichen
menschlichen Natur als eines Mangels an Menschlichkeit.”
(Zitat aus: Unsichtbares Komitee. An unsere Freunde. Edition
Nautilus. April 2015).
Kurt
Tucholsky hat in seinem Sudelbuch schon alles über die derzeitigen
Spekulanten geschrieben: Text 340: ”Danke – wir lügen selber! wie
die Dänen sagen.”
Das erste Konzept für die Umnutzung des Montblanc Simplo Geländes stammt vom Februar 1987. Geschrieben von Peter Jorzick für die Lawaetz Stiftung, bei der er damals beschäftigt war. Die Förderung örtlicher Beschäftigungsinitiativen. Vierzehn Seiten mit einer Kostenschätzung. Sechs DM pro qm sollten die Flächen kosten. Als Nettonutzfläche gibt das Konzept 5.000 qm an. Fünf Häuser zwischen Schanzenstrasse und Bartelsstrasse. Das Gelände war verschlossen. Wer es besichtigen wollte, mußte an einem Pförtner in der Bartelsstrasse vorbei. An dem kamen nur die Arbeiterinnen und Arbeiter vorbei, die hier arbeiteten. In der Schanzenstrasse war noch ein Eingang. Da durften nur die Angestellten von Montblanc rein. Es brodelte im Viertel. Herr Kurz hatte bekundet, er wolle sein Phantom der Oper auf dem Gelände unterbringen, wo bis dahin der Laden von 1000 Töpfe untergebracht war.
Das gehörte der Stadt und wurde von der Sprinkenhof verwaltet. Das konnte man dem Gebäude auch ansehen. Ich kramte meinen schwarzen Hochzeitsanzug heraus mit den spitzen schwarzen Schuhen und wir verabredeten uns vor 1000 Töpfe zum Sektumtrunk, um den anderen Bewohnern zu zeigen, wie es wäre, wenn hier bald das Phantom der Oper gespielt würde. Jedenfalls entstand ein ordentlicher Trubel anschließend. Dieser hatte zur Folge, dass auch im Rathaus Unruhe einkehrte. Ein Wegzug von Montblanc würde den Druck zusätzlich verstärken. Besetzungsgerüchte breiteten sich aus. Die Stadt entschloß sich für die Ausgabe von Beruhigungspillen an die Bevölkerung.
Wir vom Kino kamen zur rechten Zeit und waren am rechten Ort. In der Oelkersallee hatten wir in einem Nebenraum des Oelkerscafes mit dem Duckenfeld im Oelkerscafe angefangen. Jeweils Sonnabends, Sonntags und Montags zeigten wir dort mit 21 Sitzplätzen seit 1983 Filme. Filme, die im örtlichen Kinoprogramm keine Plätze gefunden hatten. Sechzehn Millimeter war unser Format. Ich arbeitete als Maschinenschlosser bei Blohm & Voss.
Damals konnte man schon absehen, daß dies nicht mehr lange gehen würde. Der Neubau von Schiffen bei Blohm & Voss. Wir bauten nur noch Kriegsschiffe. Und das, so beschloss ich, macht auf Dauer keinen Spass. Ein Kino macht da viel mehr Spass. Wir waren erst zu zweit. Der Maschinenschlosser ohne Perspektive und der Pförtner vom Bodelschwinghaus. Um an die örtlichen Fördertöpfe für öffentliche Mittel zu kommen, brauchten wir noch einen Dritten. Den wir fanden. Ein ehemaliger Sozialpädagoge, der sich auf Kinderbetreuung auf dem Land spezialisiert hatte. Montblanc war für uns der richtige Ort. Ein Kino mitten in der Stadt. Am Mittwoch, d. 29. März 1989 trafen wir uns beim Planerkollektiv mit Joachim Reinig in der Paulinenallee 32. In 2000 Hamburg 50. Von 15.00 – 18.00 Uhr.
Peter Jorzick wollte zunächst nur seinen Freund Ulf von Kieseritzky mit der Umbauplanung von Montblanc beauftragen. Doch wir hatten schon schlechte Erfahrungen mit ihm gemacht. Beim Umbau des Bürogebäudes der Zeise Propeller Fabrik zu einem Filmhaus. Mit dem Planerkollektiv hatten wir keine schlechten Erfahrungen gemacht. Also wurde das Vorderhaus in der Schanzenstrasse von der Gemo K geplant (Haus 1), und die Häuser 2/3/4/ und 5 vom Planerkollektiv. Joachim Reinig schied vorher aus. Und unsere Ansprechpartnerin war Elinor Schuees und später (während ihrer Schwangerschaft) Karin Hänisch. Eine erste Besichtigung des Geländes fand im März 1988 statt. Ich zeichnete mir einen Übersichtsplan in mein Notizbuch. Für ein Kino kam nur das Gebäude zwei in Frage. Hätte man es abgerissen, dann würde man dort keinen Neubau genehmigt bekommen. Also wurde beschlossen, das Gebäude zu entkernen, die Aussenwände mit Zugankern zu versehen, damit sie während der Bauarbeiten nicht umfielen.
Von der oberen Etage solte nur die Fassade stehen bleiben. Dann sollte das neue Betondach auf eine verlorene Schalung gegossen werden. Nach der sog. “Anhandgabe” an Peter Jorzick wurde der Komplex am 5. Januar 1990 gekauft, habe ich meinem Notizbuch anvertraut. Ein Bauausschuss wurde gegründet, der sich am 4. April 1990 beim Planerkollektiv traf. Mit dabei GEMO K (Ulf von Kieseritzky), Elinor Schües und Karin Hänisch (Planerkollektiv) Rainer Zwanzleitner (Satz und Repro), Edith Mandelkow (Hotel), Wolfgang Meins (Rechtsanwälte), Andreas (Hapkido) und ich vom Kino.
Unsere Themen: Baufortschritt, Freimessung Asbest, Ausschreibungen, Auftragsvergabe, Antrag auf Fördermittel (ASE), Gift im Anbau, Mittelspannungsanschluß, Auflagen des Amtes für Denkmalschutz, Auftrag für Heizungsanlage vergeben (200.000,00 DM ohne neuen Kessel an Heiner Farchau vergeben.)
Der erste Tag im Kino war der erste Mai 1991. Noch im April wußten wir nicht so recht, ob bis dahin alles fertig würde. Doch dann erblickte die Leinwand das Licht des Projektors. Drei Tage war freier Eintritt. Das Hotel und die Gaststätte wurden schon im März eröffnet. Die Verwaltung wurde von einer neugegründeten GmbH übernommen, die zu 50 % der Stadt und zu 50 % der Handswerkskammer gehörte. Das lief mehr oder weniger gut.
Wir gründeten den Verein der Nutzer, den Schanzenhof e. V., in der alle Mieter Mitglied wurden. Auch die Volkshochschule. Eine bunte Mischung aus allem Möglichen. Im Gebäude eins (Später auch Haus A genannt), die Volkshochschule, die Rechtsanwälte, die Gruppe Arbeit und Gesundheit, das Satz und Repro Kollektiv, das Institut für Sozialgeschichte, Aktiv Reisen, die Wissenschaftliche Stiftung.
Im Haus 2 (später auch Haus B genannt) das Stadtteilkino mit 98 Sitzplätzen. Im Haus 3 (später auch Haus C genannt) der Jugendclub-Kinderzentrum KIZ, die Stadtteiletage mit ihrem Versammlungsraum, der Meditationsraum von Hapkido. In Haus drei die Ambulante Drogentherapie – Palette, Das Atelier von Serena Kahnert, die Freie Ambulante Pflegegruppe. Im Haus 5 (später auch Haus E genannt) in der Bartelsstrasse das Hotel Schanzenstern und die Gaststätte Schanzenstern, die Journalisten, Filmer und die Heilpraktikerinnen von Alchemilla.
Etwas am Rande der Legalität: Der Baugenehmigungsbescheid erfolgte am 21.01.1991. Grundbuchbezirk St. Pauli Nord Gemarkung Flurstück 2. 807, 836 Bauliche Anlage Nutzungsänderung und Umbau der ehemaligen Mont Blanc Produktions- und Verwaltungsgebäude in der Schanzenstr. 75 und Bartelsstrasse 12, Haus A – E, Abriß von Holzschuppen auf Flurstück 836, Unterschrift Kurpierz.
Über die Zeit als es uns gut ging, ist wenig zu berichten. Es hat mal durch die Betondecke des Kinos durchgeregnet und es hat eine Weile gedauert, bis der Schaden in der Dachfolie gefunden wurde. Aber das ist längst vergessen. Wann der Ärger genau begann?
Genau genommen mit dem Finanzsenator Herrn Wolfgang Peiner von der CDU. Aber das haben wir leider erst später begriffen. Es gab den zaghaften Versuch, das Anwesen selbst zu kaufen. Aber die Herren des Portfolios Schanzenhof haben uns nicht einmal geantwortet. Heute wissen wir auch warum.
Genau genommen ist es nur Werner Grassmann vom Abaton Kino gelungen, das Gebäude aus dem Portfolio von Wolfgang Peiner herauszulösen und es selber zu kaufen. Und das nur mit tätiger Unterstützung der Kulturbehörde. Werner Grassmann war dann selber bei Ole von Beust und hat ihn letztlich überzeugt, daß ein solcher Verkauf des Abatons kontraproduktiv ist.
In der Kulturbehörde gab es eine Referentin, Juana Bienenfeld, die geahnt hatte, welche Zukunft Kulturbetriebe unter der Spekulation haben würden: Keine. Sie hatte dafür gesorgt, dass vor dem Grundstücksverkauf das 3001 Kino einen Vertrag bekam, wo die Spekulanten erst im Jahre 2021 die Miete so erhöhen können, wie sie es jetzt schon mit den Kündigungen des Hotels und des Restaurantes Schanzenstern, der Drogenberatung Palette und der Künstleretage vormachen.
Vollmundig belügen sie Presse: Das Kino wollen sie erhalten. Nur gut, dass sie im Moment nicht können, was sie wollen. Gnade uns Gott, haben wir uns im Kino gesagt. Wenn wir es jetzt nicht schaffen, dass die Stadt das Gebäude zurückkauft, dann sind wir verratzt, wie alle anderen, die schon gegangen oder ausgezogen sind.
Es gab 2006 noch einen Gewerbehof an der Stresemannstrasse, wo ein Handwerksbetrieb ebenfalls versucht hatte, das Gebäude zu kaufen. Auch die sind gescheitert. Dann kamen diese neuen Mietverträge von der DIC aus Frankfurt. Nicht mehr 13 Seiten, wie die mit HaGG, sondern welche mit 35 Seiten, in denen stand nur, was sich alles nicht machen. Und heute wissen wir es. Fast zehn Jahre später ganz genau.
Sie unterscheiden sich in keiner Weise. Sie entscheiden, was sie reparieren und was nicht. Das Wort Instandhaltung fehlt in ihrem Wortschatz. Es ist ihnen kurz gesagt, alles scheissegal. Sie vermehren nur ihr Geld. Geld das sie uns aus der Tasche ziehen. Wenn die Steine aus den Fensterstürzen auf den Hof fallen, dann nageln sie Holzlatten davor, damit die Fenster und die Steine den Leuten nicht auf den Kopf fallen.
Wenn der Heizkessel im Alter von 35 Jahren seinen Geist aufgibt und nicht mehr elektronisch zu regeln ist, dann erzeugen sie Wärme eben ohne Regelung. Wenn die Regenwasserzisternen im Wege sind, dann werden sie einfach zerkloppt. Wenn in der Folge der fehlenden Regenwassernutzung für die Toilettenspülung die Wasserkosten unermeßlich steigen, dann überbürden sie diese einfach komplett auf die Mieter, die sie ohnehin los werden wollten. 6.000 oder 7.000 Euro kümmern sie nicht. Bent Jensen von der Schanze 75 GmbH: “Das macht wirtschaftlich keinen Sinn.“ (Die Wiederherstellung der Regenwasseranlage). Und doch wäre es mit wenig Geld so leicht zu machen gewesen. Zuerst wird das Kinderzentrum von der Jugendbehörde zum Umzug gezwungen. Es sei angeblich sinnvoll, wenn das Kiz geschlossen wird und in das Haus der Jugend am Pferdemarkt umzieht. Noch ein weiteres Projekt aus der Beckstrasse wird von der Behörde zu einem solchen Umzug gezwungen. Dann verschwindet die Heilprakterinnen Schule Alchemilla.
Die Kursteilnehmerinnen sind nicht besonders zahlungsfreudig und der Schuldenberg führt zu einem kurzfristigen Auszug. Die Umstellung in der Druckindustrie ist gewaltig und macht auch vor der Firma Satz und Repro keinen Halt. Rainer Zwanzleitner und seine Kolleginnen sind die Opfer dieser Entwicklung. Zuletzt verschwinden auch noch die Anwälte aus dem Schanzenhof. Und wenn jetzt keine Umkehr erreicht wird, dann verfällt das Gebäude weiter, während die Mieten immer weiter steigen. 30. Oktober 2015. Jens Meyer
(Zeichen 31.972) Falschheiten: Vorname Fritz! Abschrift: David Stewart Hull, Berkely USA, veröffentlicht in der Zeitschrift »Film« Heft 3 im August / »September 1963. Herausgegeben von Hans Dieter Roos und Werner Schwier. Es handelt sich dabei um eine Übersetzung des Artikels, der vom Autor David Stewart Hull (auch David Stuart Hull) durchgesehen und von der Redaktion der Zeitschrift »Film« gekürzt wurde. Der Aufsatz ist zuerst in der Zeitschrift „Film Quarterly“ im Sommer 1961 abgedruckt worden.„Abschrift eines Textes von David Stewart Hull (1961)“ weiterlesen