Abschrift: Das Märchen von Ali und Fatima

Das Märchen von Ali und Fatima (Hab das am 19.10.79 im Rias gehört. Weil ich da aber schon fünf Tage nichts mehr gegessen hatte, kanns sein, daß mir beim Nacherzählen einiges durcheinander geraten ist).

Es war einmal ein mächtiger König im Morgenland, der, wie das in seinen Kreisen häufig vorkommt, eine wunderschöne Tochter hatte. Die hieß Fatima. Und weil es in diesen alten Märchen oft recht patriarchalisch zugeht, begann der König dann auch, nach einem geeigneten Schwiegersohn Ausschau zu halten, als Fatima zu einer Blüte des Orients herangewachsen war, wie es in einem zierlichen Sonett des Hofdichters Abu Klöpack ohne Übertreibung hieß. Die Bewerber standen Schlange: Prinzen aus fernen Ländern, smarte Vertreter der Ölmultis, berühmte Leinwandhelden und scharmante Abgesandte aus den Politbüros von Ländern, wo manches noch realer ist als der Sozialismus.

Es begab sich nun, daß der König einen Traum hatte: sein alter Kammerdiener Ali und Fatima wurden darin zum Ehepaar. Er erzählte seinem Wesir Egbert Dreckpferd von dem närrischen Traum, und die beiden hielten sich die Bäuche vor Lachen über solchen Unsinn. Als der König in der Nacht darauf abermals von der Vermählung seiner Tochter mit dem alten Kammerdiener träumte und wie sie nach der Feier auf einem weißen Schimmel davon ritten, erschrak er doch, denn es fiel ihm das alte jemenitische Sprichwort ein: ‚Dreimal geträumt ist fast schon geschehen‘. Als der König dem Wesir davon erzählte, meinte der: “Ach was, Träume sind Schaumgummibäume.“ Vor lauter Übereifer hatte er sich versprochen, denn er dachte an die vielen Bakschischs der Freier Fatimas, die ihm entgingen, wenn sie etwa mit einem Mann vermählt würde, dem der tüchtige Wesir keine Hoffnungen gemacht und von dem er noch keine kleinen Geschenke erhalten hatte.

Als der König aber in der folgenden Nacht zum drittenmal träumte, das sein alter Kammerdiener und seine junge Tochter Mann und Frau wurden, geriet er fast in Panik und rief Egbert Dreckpferd zu sich. Der Wesir versicherte, nach wie vor nicht an Träume zu glauben, hätte aber zur Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung dem König gern empfohlen, den alten Ali einen Kopf kürzer zu machen. Da er jedoch wußte, daß der König an dem alten Kammerdiener hing, unterbreitete er einen anderen Plan, den der König schließlich gut hieß. Er ließ Ali holen und sprach: “Ich habe einen wichtigen Auftrag für dich, von dem die Zukunft meiner Tochter abhängt. Du sollst die Berge des Schicksals aufsuchen und dich erkundigen, ob das Leben ein Traum und Träume Wirklichkeit sind. Frage auch nach dem Sinn des Lebens und ob es einmal eine Gesellschaft geben wird, in der alle Menschen glücklich sind und liebevoll miteinander umgehen.“

Der alte Ali sattelte sein nicht minder altes Kamel, packte Proviant in die Satteltaschen und ritt los. Der König hatte noch leichte Gewissensbisse, da weder er noch der Wesir wußten, ob es die Berge des Schicksals überhaupt gibt und er befürchten mußte, seinen alten Ali niemals wiederzusehen. Der zog indessen gemächlich, aber auch so stetig es sein altes Kamel zuließ, in die Welt hinaus und fragte überall nach den Bergen des Schicksals. So erreichte er eines Tages eine alleinstehende Dattelpalme, die ihn fragte, wie er denn in diese trostlose Gegend geraten sei. Ali sagte, er sei unterwegs zu den Bergen des Schicksals und habe im Auftrag seines Königs einige wichtige Fragen an das Schicksal zu richten. “Ach,“ seufzte die Dattelpalme.“Auch ich hätte eine Frage an das Schicksal: ich steh mir hier schon seit vielen Sommern den Stamm in die Blätter und trage keine Früchte. Ich weiß gar nicht, wozu ich auf der Welt bin.“ Ali wußte der Palme auch keinen Rat, versprach aber, das Schicksal auf ihr Problem anzusprechen, und zog weiter.

Er entkam mit knapper Not einem Wüstensturm und einer Horde Arabien-Touristen aus Schlamerika, die sofort ihre Fotoapparate zückten, als sie seiner ansichtig wurden, hängte einen Greiftrupp des BeKaA ab, der in ihm einen Drahtzieher des internationalen Terrorismus vermutete, und gelangte zu einem kleinen Tümpel. Auch der Tümpel war von der neugierigen Sorte und fragte Ali nach woher und wohin. Bereitwillig erzählte der auch dem Tümpel von seiner schicksalhaften Mission, und es stellte sich heraus, daß auch der Tümpel, der merkwürdigerweise etwas berlinerte, eine Frage an das Schicksal hatte. “Also weeßte,“ sagte der Tümpel,“ ich hab garkeen Bock mehr. Mein Wasser ist so schmutzich und übelriechend, datte denkst, Schering hätt seine Jauche in mir abjelassen, wa, und keen Mesch will in mir baden oder von mir trinken. Wat soll ik bloß machen, Alter?“

Ali wußte ihm auch nichts weiter zu raten als abzuwarten, bis er das Schicksal auch in dieser Sache interwjut habe, und bat ihn, in der Zwischenzeit nur nicht auszutrocknen. “Iwowerikdenn, I wo wer ik denn,“ blubberte der Tümpel. Nach jahrelanger Reise und als er die Hoffnung schon fast aufgegeben hatte, gelangte Ali endlich doch in die Berge des Schicksals, und nach einigem hin und her erfuhr er, daß er in einem bestimmten Tal in einer Vollmondnacht die Pressesprecherin des Schicksals treffen könne. Tatsächlich traf er dort in der nächsten Vollmondnacht eine alte Frau, die bereit war, seine Fragen anzuhören. Und so fragte er, wie ihm aufgetragen war, ob das Leben ein Traum und Träume Wirklichkeit seien. Darauf nickte die Alte nur ein wenig (aber nicht etwa so stark und ausdauernd wie der Kammergerichtsrat Dr. Wolldecke in Berlin) mit dem Kopf, und das sollte heißen ein bißchen ja und ein bißchen nein.

Auch die Frage nach dem Sinn des Lebens, und die dritte Frage, ob es einmal eine Gesellschaft geben wird, in der alle Menschen frei und glücklich sind und liebevoll miteinander umgehen, entlockte der Alten nur ein Schmunzeln, das alles mögliche bedeuten konnte.

Ali gab sich damit zufrieden, aus Respekt vor der Alten und wagte nicht, weitere Fragen zu stellen. Aber er vergaß nicht die beiden Fragen, die er nicht im Auftrag des Königs zu stellen hatte. Als er von dem Unglück der Palme, die keine Datteln trug, erzählte, unterbrach ihn die Alte: die Palme habe überhaupt keinen Grund zur Traurigkeit, denn sie trage zwar keine Früchte, aber wenn sie wüßte, daß von ihren Blättern ein Tee gekocht werden könne, der alle Krankheiten und Gebrechen der Menschen heile, dann wäre die Palme wohl zufrieden. Und als Ali um Rat für den Tümpel fragte, da erwiderte die Alte nicht etwa, wie die geneigte Leserin im Zeitalter der globalen Energiekrise im allgemeinen und der linken Energiekrise im besonderen erwarten mag, daß das Wasser des Tümpels reines Erdöl sei. Vielmehr sagte sie, daß es mit dem Tümpel folgende Bewandtnis habe: Junge Menschen, die in ihm badeten würden alt und alte Menschen jung.

Ali bedankte sich höflich für die Auskünfte und erhielt von der Alten zum Abschied noch ein Bücherpäckchen. Darin waren ‚Gelebtes Leben‘ von Emma Goldmann,‘ Zum Glück gehts dem Sommer entgegen‘ von Christine Rochfort, ‚Do it‘ von Karl Marx, die ‚Einleitung zur Kritik der Hegelschen Rechtsfilosofie‘ von Jerry Rubin und auch sonst allerlei Wissenswertes, was beim Nachdenken über die drei ersten und nicht so besonders ausführlich oder zufriedenstellend beantworteten Fragen helfen mochte.

Außerdem steckte sie ihm noch eine AKW-Nee-Ansteckknopf mit einer leuchtend gelben Sonne an den Turban. “Dufte,“ sagte der Tümpel, als er von seinen besonderen Eigenschaften erfuhr, die Ali als erster erprobte, und wirklich und wahrhaftig verließ er den Tümpel so jung und schön wie Muhammed Ali Rom nach dem Gewinn der Goldmedalje. Da er auch das Kamel noch einmal durch den Tümpel führte, gings auf der Weiterreise wesentlich flotter.

Die Palme erkannte den jungen Mann zunächst gar nicht und war ganz verdattelt, als er sie anquatschte. Als sie erfuhr, welche Kraft in ihren Blättern steckte, da freute sie sich: “Wie schön ist es, etwas zu haben, das baum verschenken kann,“ sagte sie und offenbarte damit eine Einstellung, die es auch unter Menschen verdient hätte, etwas weiter verbreitet zu sein. Die Palme jedenfalls schenkte ihm einen ganzen Sack voll Blätter, und es dauerte nicht lange, bis Ali am Ausgangsort des Märchens angelangt war.

Als er den Palast betreten wollte, wurde ihm der Zutritt verwehrt, da ihn die Palastwache nicht erkannte. Ali schlenderte durch die Straßen der Residenz und erfuhr, daß der König schwer krank darniederliege, der Wesir Egbert Dreckpferd habe inzwischen noch den Beinamen Schreckschwert erhalten, da er sich die Krankheit des Königs zunutze mache, um das Volk unter die Knute zu zwingen.

Die schöne Fatima aber solle demnächst auf Betreiben Egberts zwischen Aristoteles Onassis, Hauard Hugs, König Scheisal, und noch so ein paar alten Geldsäcken meistbietend versteigert werden. Egbert warte nur noch, bis der König seine Augen für immer schließe. Das waren keine besonders guten Nachrichten, aber Ali mietete eine Hütte am Stadtrand und befestigte ein Schild über der Tür: Doktor Ali Ben Schixali Facharzt für alles mögliche. Hiermit gebe ich Kunde: Ich heile jede Wunde, jede Krankheit, jeden Schmerz, ob Niere, Lunge, Galle, Herz. Und als Fatima mal wieder durch die Straßen ritt, begleitet von ihrer Zofe und einem Rudel Leibwächter, ohne die Egbert sie nicht in die Stadt ließ, um vielleicht doch noch Rettung für ihren Vater zu finden, kam sie an Alis Hütte vorbei und staunte nicht schlecht, als der heilkundige Gelehrte alles andere als ein alter Knacker war.

Sie bat ihn mitzukommen, und als Ali am Krankenbett des Königs stand, ließ er heißes Wasser bringen und verlangte, mit dem König alleine zu bleiben. Dann brühte er einen Tee von den Palmenblättern und flößte ihn dem König ein, der nach dem ersten Schluck die Augen aufschlug. Nach dem zweiten Schluck richtete er sich auf, und nach dem dritten Schluck schnalzte er mit dem Finger und befahl seinen Dienern, Brathähnchen und Lammkeule, Pizza und Salate, Marzipan und Pistazienkerne, Wein und Mokka und einen Fruchteisbecher mit Schlagsahne, aber ein bißchen dalli, zu bringen. Und als Fatima den Retter ihres Vater geheiratet hatte, da vertraute der König seinem Schwiegersohn an, nun sei er restlos glücklich, es tue ihm nur leid, daß er seinen alten Kammerdiener Ali vor Jahren in die Wüste geschickt habe. Dazu sagte Ali gar nichts und grinste sich nur eins.

Der böse Wesir Egbert jedoch, der bei den Vermählungsfeierlichkeiten dem König noch ins Ohr geflüstert hatte: “Hab ichs nicht gesagt? Träume sind Schäume!“ wurde von den Mächten des Schicksals dessenungeachtet ans Jammergericht in Berlin verschlagen, wo er sich mit den Angeklagten rumärgern muß bis zum Herzinfakt. Und daß ihm Ali dann einen Tee kocht, das glaubt wohl keiner. So haben sich die Menschen oft ihr Schicksal selbst erworben. Und wenn sie nicht mehr leben tun, dann sindse halt gestorben. Firiz Scheytan

Erschienen in dem Buch: Märchen aus der Spaßgerilja, (Seite 21-27) Fritz Teufel und Robert Jarowoy, Verlag Libertäre Assoziation / Verlag roter Funke, ISBN 3-9226611-00-1 April 1980

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UFA Organisation des Verkaufsgeschäftes 27. Juli 1938

Abschrift: LBB vom 27. Juli 1938 Beilage zu NR. 174 (31. Jahrgang)

Die Organisation des Verkaufsgeschäfts der Ufa

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pdfAbschrift-LBB-vom-27-Juli-1938

Die Leitung

Dr. Kalbus und Dir. Zimmermann, geschäftsführende Direktoren der Ufa-Filmverleih G. m. b. H.: Dir. Meydam und Dir. Kuhnert, Vorstandsmitglieder der Universum Film A.-G.

Die Verkaufskräfte

Zentrale

Spielfilm-Vertrieb.

Sachbearbeiter: Dr. Künzig für Zentrale sowie die Geschäftsstellen Berlin, Düsseldorf und Wien, ferner für Zentrale sowie die Geschäftsstellen Hamburg, Frankfurt a. M. und München.

Kulturfilm Vertrieb.-

Leitung: Dr. Künzig; Nichtgewerbliche Spielstellen: Dr. Strohm (Verkauf), Paul Hapke (Verleih-Disposition); Spielzeugfilm: Bernard Brosterhues (Verkauf).

Weitere Büros.-

Kontrollbüro und Statistik: Walter Kühne; Bestellbüro: Frl. Margarete Bartels ; Disposition (Reservematerial): Frau Lotte Haube; Versand Abtlg. Tempelhof: Leitung Gustav Kluche; Hauptbuchhhaltung (Verleih): Kurt Müller; Verleih-Theaterkontrolle: Willy Killian; Technischer Kundendienst: Leo von Weiher.

Geschäftsstelle Berlin

Filialleiter: Hans Kubaschewski; Filialleiter-Assistent: Heinz Steckel. Reisevertreter Berlin: Hermann Hohmann (Berlin Stadt I) Lothar Bruns (Berlin Stadt II); Georg Rückert (Brandenburg und Pommern), Rudolf Jaeger (Ostpreußen); Hans Büttner (Schlesien); Rudolph Ernst (Mitteldeutschland I), Heinz Krüger (Mitteldeutschland II); Paul Bucher (Mitteldeutschland III); Buchhaltungsvorstand: Bruno Sallin- – Disposition: Frl. Edith David (Berlin Stadt I), Günther Kuhlwein (Berlin Stadt II), Fritz Wiedenhöft (Mitteldeutschland II);, Gustav Rücker (Mitteldeutschland I sowie alle Ufa-Theater ausgenommen Berlin Stadt); Fritz Wiedenhöft (Mitteldeutschland II); Joachim Fiedler (Mitteldeutschland III); Walter Sonnenburg (Mitteldeutschland IV); Frl. Else Bartholomäus (Ostpreußen und die östliche Hälfte von Pommern); Frau Frieda Heinrich (Teilbezirk Brandenburg und Teilbezirk der westlichen Hälfte von Pommern); Willy Langkammer (Teilbezirk Brandenburg und Teilbezirk der vwestlichen Hälfte von Pommern); Frl. Barbara Meyer (Schlesien I und nördlicher Teil Schlesiens einschl. Breslau), Bruno Kicherer (Schlesien II. südlicher Teil Schlesiens); Hans Joessel (Wochenschau); Paul Hapke (Nichtgewerbliche Spielstellen). – Lagerverwaltung und Expedition: Gustav Kluche. – Reklameverwaltung: Karl Meier.

Geschäftsstelle Hamburg

Filialleiter: Maximilian Fels; Filialleiter-Assistent: Kurt Kaelber; Reisevertreter: Walter Florian (Zonen I – X); Theodor Lange (Zonen IX und X ); Buchhaltungsvorstand: Karl Löwer.- Disposition: Louis Bodeck (Zonen I—IV); Frl. Gertrud Kempe (Zonen VII bis X links der Elbe), Frl. Marie Rubbert (Zonen VII- X rechts der Elbe und nichtgewerbliche Spielstellen); Gottlieb Bartels (Wochenschau)- Lagerverwaltung und Expedition: Wilhelm Tesmer.- Reklameverwaltung: Bruno Ewert.

Geschäftsstelle Frankfurt a. M.

Filialleiter: Oskar Mertz; Filialleiter-Asssistent: Julius Horch. – Reisevertreter Werner Heimann (Nord), Wilhelm Komm (West), Werner Dalchow (Süd) Peter Emmel (Wochenschauen und nichtgewerbliche Spielstellen); – Buchhaltungsvorstand: Julius Horch. – Disposition: Frau Viktoria Feurer (West( Saar, Pflaz, Rheinhessen, südl. Rheinprovinz, Birkenfeld) und Ufa-Theater). Frl. Fränze Mergler (Nord (Hessen-Nassau, Oberhessen, Unterfranken), Hans Hampel (Süd ( Baden, Hessen-Starkenburg, nordwestl. Württemberg, Peter Emmel (Wochenschauen und nichtgewerbliche Spielstellen)- Lagerverwalter: EgidiusKneis. -Expedient: Hans Haas. Reklameverwaltung: Karl Ruß.

Geschäftsstelle München

Filialleiter: Hanns Loebel; Filialleiter-Asssistent: Lothar Binder; Reisevertreter: Georg Fraundorfer (Zonen I-X). Josel Mühlbauer (Zonen IX und X)- Buchhaltungsvorstand: Lothar Binder.- Disposition Frau Josefine Matiegzeck (Bayern und Württemberg. Buchstabe A-K einschl. München einschließlich nichtgewerbliche Spielstellen). Frl. Hermine Stahl (Bayern und Württemberg. Buchstabe L-Z. ausschl. München einschl. nichtgewerbliche Spielstellen). Lothar Belck (Bayern und Württemberg . Buchstabe G-M der Zone X. Wochenschau und Gaufilmstellen)- Lagerverwaltung und und Expedition Hanns Ohlwerther-. – Reklameverwaltung: Ludwig Mayr.

Geschäftstelle Düsseldorf

Filialleiter: Fritz Mildner; Filialleiter-Asssistent: Frl. Albertine Reinhardt; Reisevertreter: Gerhard Hilsebein (Rheinland Zonen I-VIII); Kurt Hammer (Rheinland Zonen I-X). Fritz Patschke (Rheinland Zonen VIII- X) – Buchhaltungsvorstand : Wilhelm #schewe. – Disposition: Chedisponent Walther Zimmer, Paul Braun (Plätz A-F). Frl. Gertrud Lehnhausen (Plätze G-Qu und Konzerntheater), Erich Meißner (Plätze R-Z, Wochenschau und nichtgerwerliche Spielstellen). Lagerverwaltung und Expedition: Clemens Buse. – Reklameverwaltung: Frl. Maria Krämer.

Geschäftsstelle Wien

Filialleiter (kommissarisch): Hans Martin.- Stellvertreter in Verkaufsangelegenheiten: Franz Brandt.- Stellvertreter in Buchhaltungs-, Verwaltungs- und Personalfragen: Albert Rosvneck. – Reisevertreter : Franz Brandt (Wien Stadt). Karl Mayrhofer (Zonen VIII-X). – Verkaufsassistent: Eugen Lachowicz.- Buchhaltungsvorstand: Albert Rosynck. Disposition: Frau Ottilie Thausing (Wien-Stadt Gaubezirk), Frau Grete Castner (Gaue Oberdonau, Tirol und Salzburg einschl. nichtgewerbliche Spielstellen). Frau Josefine Toifl (Niederdonau einschl. nichtgewerbliche Speilstellen), Frl. Klara Mumb (Wochenschau), Ewugen Lachowicz (Hilfsdisposition). – Lagerverwaltung und Expedition: Rudolf Sarsteiner. – Reklameverwaltung: Leo Breitenlacher.

Ufa Abbruch Hamburg Foto Jens Meyer
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Die Legende von Hans und Ilse (II)

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Ausschnitt aus dem Text für den Kinoantrag ans BKM . . . ”

Freitag, 23. Dezember 2016. Immer wieder erreichen uns Studienarbeiten, die sich mit der “Propaganda in Casablanca“ und der “Kürzung der ersten deutschen Fassung des Filmklassikers von 1952“ beschäftigen. Diesmal ist es eine Studienarbeit von Lena Marie Kötitz für die Uni in Marburg: (“Jetzt bei Grin Verlag . . . hochladen und kostenlos publizieren“). Merkwürdig finde ich immer wieder: Keiner stellt mal die Frage: Wer hat denn diese Fassung in Auftrag gegeben und warum? Bei meinen Recherchen (schließlich muss den Studentinnen und Studenten geholfen werden) stoße ich auf mehrere Namen: Walter A. Klinger (Sergeant der US Armee), Hans Kubaschewski (Der Mann an Goebbels Seite), Ilse Kramp (Kinobesitzerin aus Berlin)

Es beginnt alles mit der Geschichte der KUBA

Geglaubt habe ich die Geschichte nie. Die

Geschichte der KUBA (1) Wie sich eine Frau nach Oben arbeitet. Ihre Mutter verdient sich mit Klavierspiel im Kino ein paar Mark dazu. Damals in Berlin Rudow. Sie hilft der Mutter, indem sie die Noten umschlägt. Dann Sekretärin lernt. Steno und Schreibmaschine. Dann Disponentin wird. Sich hocharbeitet: Chefdisponentin. Als Goebbels das Unternehmen beseitigt zahlt er eine Abfindung. 100.000,00 RM. Ilse Kramp kauft sich ein Kino: Die Rudower Ton Lichtspiele (Das Ru-To-Li) und lernt, wie man Filme im Kino zeigt. 1938 dann die Heirat mit Hans Wilhelm Kubaschewski, der an hoher Stelle in dem Unternehmen arbeitet, dass J. Goebbels mit der Hilfe von Max Winkler gerade heimlich zusammenkauft: die UFI. Ein Konzern, seit 1933 “Judenfrei“. Die Besten sind geflohen, ausgewandert, emigriert, exiliert, wie auch immer das heute bezeichnet wird.

Geschichte der KUBA (2)

Zu den Vertrauten der amerikanischen Militärbehörden gehörte Hans W. (Wilhelm) Kubaschewski, der schon vor dem Kriege mit Filmverleihern der USA verbunden war. Dann hatte er den Posten des Berliner Filialleiters der faschistischen Deutschen Film-Vertriebs-GmbH bekleidet, die zur UFA gehörte. Zusammen mit einem gewissen Walter Klinger aus Hollywood verlieh Kubaschewski nach 1945 die ersten Filme, vor allem Reprisen aus der Produktion vergangener Jahre. Der erzielte Gewinn ging in die Millionen. Kubaschewski war klug genug, sich nicht selber einen Filmverleih aufzubauen. Das tat seine Frau. Er mit den guten Verbindungen zu den Amerikanern, knüpfte die Beziehungen und gab die richtigen Tips. Später wurde er der Verantwortliche des Warner-Brothers-Verleih und dann, von 1959 bis zu seinem Tode, Direktor der Bavaria in München.“ Das stand 1967 bei Horst Knietzsch. “Film – Gestern und Heute“, Berlin Ost (Seite 264).

Geschichte der KUBA (3)

Fehlt nur noch die Westbestätigung und hier kommt sie:

Sie ergibt sich durch die Fußnoten aus dem Buch von Roeber und Jacoby “Handbuch der filmwirtschaftlichen Medienbereiche“, Verlag Dokumentation, Pullach 1973 (Signatur bei der Stabi Hamburg: A.P. 5800 R711)

Die Anmerkungen auf Seite 111

Anmerkung 168) “Die ursprüngliche Bezeichnung war “Amerikanischer Filmverleih“. Der amerikanische Leiter war Sgt (Sergeant) (Walter) Klinger (früher Wien); ihm stand Hans Kubaschewski (früherer Bezirksvertreter der Deutschen Filmvertriebsgesellschaft in Berlin) als Deutscher zur Seite. Kubaschewski wurde später Deutschland-Chef des Warner Brothers -Verleihs und war anschliessend Geschäftsführer der reprivatiserten Bavaria-Filmkunst.“

Anmerkung 170) “Über die nach Abzug der Vertriebsausgaben verbliebenenen Verwertungserlöse verfügt OMGUS in Berlin“ und die wichtigste

Anmerkung 171) “Die Auszahlung der Produzentenanteile an die Herstler solcher Filme blieb einem späteren Zeitpunkt überlassen“. Anmerkung 175) „Ehefrau von Hans Kubaschewski, ehemalige Chefdisponentin des Siegel-Monopol-Filmverleihs in Dresden, bei Einmarsch der amerikanischen Besatzungstruppen Filomtheaterbesitzerin in Oberstdorf. Siehe auch Anm. 168.“

Aus diesen vier Anmerkungen kann man erkennen, was keiner im Westen je zu fragen wagte. Die UFI, mit all ihren Unterfirmen galt als aufgelöst. Der “Amerikanische Filmverleih“=“Allgemeiner Filmverleih (AFI) hatte Filmtitel und Kopien der UFI übernommen: “Die Requisitionsliste wies 697 Spielfilme mit 2268 Vorführkopien“ aus. (Roeber/Jacobi) 107). (Duden Fremdwörterbuch Requisition= 1) Beschlagnahme für Heereszwecke 2) Nachforschung, Untersuchung 3) Rechtshilfeersuchen.)

Und um die Glaubwürdigkeit dieses Buches zu unterstreichen: “Gedruckt mit Unterstützung des Bundesministeriums des Inneren.“ Glaubwürdiger gehts ja eigentlich nicht.

Geschichte der KUBA (4)

Daher auch der Reichtum, den Ilse Kubaschewski in ihren Kinos (dem in Oberstdorf und dem in Berlin Rudow in den ersten Nachkriegsjahren anhäufen konnte. Das Darlehen, dass sie anläßlich der Gründung ihres Gloria Film Verleihs von einer Bank (30 TDM) erhielt, nimmt sich daneben ein wenig lächerlich aus. Damit ist erste Frage geklärt. Die zweite Antwort ergibt sich fast von selbst.

Geschichte der KUBA (5)

Auftraggeber für die Casablanca Fassung war ihr Ehemann Hans Wilhelm Kubaschewski. Nach Einschätzung von Dr. hc. Heinz Ungureit (Das ist der Mann, dem wir die untertitelte und die neue Synchronfassung von Casablanca in voller Länge verdanken), hätte Hans Kubaschewski das niemals allein entscheiden können. Er hätte immer die Einwilligung der Zentrale benötigt.

Ein Sergeant der US Armee Walter A. Klinger (Jüdischer Emigrant aus Wien) war Gründer des “Amerikanischen Filmverleih“ (der später in AF – Allgemeiner Filmverleih umbenannt wurde).

Geschichte der KUBA (6)

“ . . . Der Film wurde im Jahr 1942 gedreht, und da er in seiner Originalfassung nicht mehr zeitgemäß und nicht zur Vorführung in Deutschland geeignet war, haben wir bei der Synchronisation des Filmes verschiedene Schnitte bzw. Änderungen vorgenommen, bevor der Film der Freiwilligen Selbstkontrolle vorgelegt wurde. Da Casablanca zu einem der eindrucksvollsten Bergmann Filme gehört, wollten wir diesen Film dem deutschen Publikum nicht vorenthalten und haben uns deshalb zu dieser Neufassung entschlossen.“

Unterschrieben von dem Mann, der bis zum April 1945 seine Briefe noch mit “Heil Hitler“ unterschrieben hatte und dann O-Wunder zum Generaldirektor von Warner Brothers für den westdeutschen Markt mutierte. Hans Wilhelm Kubaschewski. Und jetzt wollen wir nichts mehr hören von dem CASABLANCA Film ohne Conrad Veidt. Nie wieder.

Nachtrag

Hallo Rolf Aurich, hallo Eva Orbanz, nun kommt Klarheit in die Sache. Zunächst hatte ich mich gewundert, wie es in dem Buch von 1972 zu der Überschrift „Das Besatzungs Regime“ kommt, dann habe ich mir nichts weiter dabei gedacht. Dann habe ich diese Annonce von der Reichsfilmkammer von 1942 gefunden und habe mir gedacht, das muss der Vater sein, der böswilliger Weise seinem Sohn den gleichen Vornamen verpasst hat, weil ich in meiner Naivität angenommen hatte, einer, der 1942 für die Reichsfilmkammer schreibt, kann nicht 1972 im Auftrag des Bundesministerium des Inneren schreiben. Ja so naiv kann man manchmal sein. Der Max Winkler, der für Goebbels heimlich die UFI zusammengekauft hat . . . usw. Aber das erklärt natürlich auch, warum Hans Wilhelm Kubaschewski und sein amerikanischer Kollege Sergeant Walter A. Klinger in dem Buch so versteckt werden. u.a. w. .Das hätte ich nun wirklich nicht gedacht.

PDF Spiegel Januar 1957 Kubaschewski

PDFSchriften der Reichsfilmkammer

Die weniger glückliche Begegnung des Filmbeobachters M. (I)

Die weniger glückliche Begegnung des Filmbeobachters M. in einem Kino des Cinemaxx Konzerns. Schadenfreude (I). Gehört Schadenfreude eigentlich zu den Todsünden der Christen? So wie Geiz und Gewinnsucht? Da ich 1978 aus dem Verein ausgetreten war, darf ich schadenfreudig sein. Ohne damit automatisch in der Hölle zu landen, wo es vermutlich ohnehin wärmer ist. Es scheint so, dass die Führungsspitze des Konzerns nur noch aus den Fachleuten besteht, die nur eine dieser Todsünden praktizieren und wirklich beherrschen: Geld zählen. Ein Bauernopfer wird es mit Sicherheit nach diesem Vorfall geben. Wie immer. Oder handelt es sich gar um eine neue Verleihstrategie der Firma Constantin? Es ist schon ungewöhnlich, wenn nur eine Presssevorführung angesetzt wird. Und das nur zwei Tage vor dem Start des Filmes. Bei dem ersten Film der aufgelegten Serie gab es immerhin zwei Pressevorführungen. Ich bekenne mich zur Schadenfreude. Heute morgen erhielt ich die Nachricht, dass um 12.30 Uhr eine Pressevorführung des Filmes “Fuck yu Göthe 2” (ich weiss immer noch nicht, wie man das schreibt) im Cinemaxx am Dammtor stattfindet. Und da ich den ersten Film auch per Zufall in einer Pressevorführung gesehen hatte, war es klar, dass ich mir die zweite dafür ans Bein binden würde. Auch wenns naturgemäß so ist, das der zweite Teil schlechter ist, als der erste Teil. Die Eingangshilfe leitete mich ins Kino drei. Ich belegte (wie üblich) einen Fluchtplatz, um notfalls, ohne große Aufmerksamkeit zu erregen, das Kino verlassen zu können, wenns gar zu dicke kommt. Das Kino ist gut gefüllt. Pünktlicher Beginn. Vorspann mit einem witzig gemeinten Hinweis der Firma Constantin, das man den folgenden Film nicht mitschneiden dürfe. Das hatte ich auch nicht vor. Dann der Film. Ich bemerke, dass das Kino inzwischen sowohl den Seitenkasch, als auch den unteren Kasch bewegen kann. Das soll vermutlich CinemaScope sein. Nach gefühlten 5 Minuten wird das Publikum unruhig. Das kann doch nicht wahr sein. Der Anfang des Filmes sieht genauso aus, wie der erste Film. Nur das mit dem Knast, ganz am Anfang, hatte ich nicht mehr in Erinnerung. Nach 20 Minuten fällt es (nach Hinweisen aus dem Publikum) auch den Verantwortlichen der Cinemaxx AG auf. Dies hier ist nicht der angekündigte zweite Teil des Filmes, sondern der erste. Das Licht geht an, der Saal leert sich. Es geht das Gerücht, dass die Vorführung im Kino 6 stattfindet. Das Gerücht stellt sich als Irrtum heraus. Der Film sei zwar im Haus, aber man sei technisch nicht in der Lage, in der zur Verfügung stehenden Zeit, den Film auf den Server des Kino drei zu transportieren. Eine Pressevorführung wird für 17.30 Uhr angekündigt. Für viele angeblich freie Journalisten ein Desaster. Und was lerne ich daraus? Das Cinemaxx ist technisch schlechter aufgestellt, als ich vermutet hatte. So ist das eben bei einer Führungsebene, die nur noch Geld zählt und die statt Menschen, lieber Automaten aufstellt und bezahlt. (Ich zähle neun im Foyer). Filmbeoachter M. Gruesse an Stinki Mueller.

Eine Besatzung im Streik

Fotos Jens Meyer
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Fotos Otto Meyer

Für Manni (Manfred Stelzer)

Lieber Manni,

pdfNachruf fuer Manni von Gert

ich hoffe, dass du gut da oben angekommen bist – wie sieht es denn da auf deiner Wolke so aus? Bist du ein wenig glücklich, diesem hier unten waltenden Irrsinn endlich entkommen zu sein? Deine Bea, deine Schauspieler und ich müssen hier noch etwas ausharren. Na gut, wir können hier Sekt, Bier und Wein trinken, um unsere Trauer seit deinem Verschwinden von diesem Kampfplaneten durchzustehen.

Du weißt ja, ich habe viele Jahre nicht weit von Berchtesgaden gelebt. Wenn ich da mal so einen wie dich getroffen hätte, wäre ich nicht auf den Gedanken gekommen, dass du ein echter Bayer bist. Denn der wirklich echte Bayer ist klein, ja gedrungen, dunkelhaarig und zuweilen dick, na gut, weil er viel Schweinefleisch isst und viel gutes Bier zu trinken vermag. Du warst rothaarig. Und die Rothaarigen sind ja immer etwas den schwarz-, blond-, braunhaarigen und Glatzen stets ein paar Schritte voraus.

Auch Du! So lange ich noch nicht ganz dement bin, versuche ich mal ein paar Geschichten aus unserer gemeinsamen Vergangenheit zu erzählen. Kannst du mich hören und verstehen? Wenn nicht, bringe ich dir diesen Brief mal später da nach oben mit. Also, kennen gelernt haben wir uns um 1971. Du kamst, wenn ich nicht irre, mit Rainer März in meine WG in der Schöneberger Bülowstr. 29. Rainer kannte ich aus der Kreuzberger Stadtteilgruppe, und wir wohnten ein halbes Jahr etwa in einer WG von einem Psychiater in der Kreuzberger Görlitzer Straße. Egal.

Jedenfalls hast du dich bei uns mit meinen Mitbewohnern Wanda, Cornelius, Rainer, Ilse, Konrad und dem Luxemburger René schnell eingelebt. Und noch bis vor ein paar Wochen hast du mir immer wieder, sobald das Wort Bülowstraße erklang, von deinem selbstlosen Arbeitseinsatz bei mir erzählt. Du hattest auf meine Bitte hin, Fotos aus Spiegelheften, Konkret’s, Stern’s usw. ausgeschnitten und in einen Leitzordner fein säuberlich eingeordnet. Diese Akten habe ich noch immer. Es handelte sich da meist um politische Motive, Vietnamkrieg usw. Diese Bilder brauchten wir zuweilen für unsere Kreuzberger Stadtteilzeitung.

Und da fällt mir noch etwas sehr Lustiges ein. In diesen linken Konkret-Heften, die damals in den siebziger Jahren ein Klaus Rainer Röhl, der damalige Ehemann von Ulrike Meinhof, herausbrachte, wurden neben politischen Themen immer häufiger auch Nacktfotos veröffentlicht. Und beim Ausschneiden kam dir eines Nachts, wann auch sonst, der Gedanke ein gutes Geschäft mit der Produktion von Pornopuzzles zu machen. Du hast dann einfach diese Sexbilder nebenher auch ausgeschnitten, dann auf Pappe geklebt und mit der Schere wahllos zerschnitten.

Dann hast du, ich weiß nicht mehr in welchem Presseorgan, eine Anzeige mit dem Text: „Pornopuzzles zu verkaufen, DM 9,99“ aufgegeben, dann folgte Adresse und Postscheckkontonummer. Und du hast dich über die ersten Bestellungen sehr gefreut, ja was macht man nicht alles, um in einer Großstadt wie Berlin zu überleben. Du hast es immer wieder geschafft. Dann verschwandest du plötzlich mit Rainer nach England. Clemens Kuby hatte da wohl eine Connection zu einer britisch-revolutionären Filmcrew mit dem Namen „cinema action“.

Dort in London sollst du dich nach Aussage von Rainer März in eine hübsche Brasilianerin verknallt haben. Okay, warum auch nicht, aber du kamst wieder in die Frontstadt zurück und bewarbst dich an der Film-und Fernsehakademie am Theodor-Heuss-Platz. Und sie haben dich ohne Abitur und Studium dort aufgenommen. Diese Akademie stand unter starken Druck der linken Studenten, und diese bevorzugten Menschen aus proletarischen Verhältnissen.

Deine Eltern waren ja, nach deinen Schilderungen, nicht unbedingt Proleten. Beide Elternteile arbeiteten in der Gastronomie und in der Verwaltung von Altersheimen. Warum Dein Vater mit dir nicht klarkam, habe ich erst verstanden als ich von dir hörte, dass du in Berchtesgaden mit verrückten Kumpels über Autodächern gelaufen bist. Und dann irgendwann seid ihr betrunken nach dem Besuch in einer Disko gegen einen Baum gefahren. Du warst der Einzige von vier Mitfahrern, der dieses Unglück überlebte. Dieses Erlebnis hat lange Jahre bei dir in der Weise nachgewirkt, dass du eigentlich keine richtige Angst mehr vor dem Tod hattest. Aber auch vergessen konntest du nie, dass dein Vater als Strafmaßnahme oft ein Jahr nicht mehr mit dir gesprochen hat oder er dich oftmals zwang, gemeinsam mit eurem Berner Sennenhund zu speisen.

Okay, vergessen wir diese Psychoerziehung deiner Eltern. Nach einer Lehre als Physiklaborant zog es dich aus der Enge Berchtesgadens nach Berlin. Dort angekommen musstest du erst einmal deine Brötchen als Tagelöhner verdienen, hast in zehn Meter Höhe mit einer verrosteten Motorsäge Bäume von Reichen in Zehlendorf beschnitten und vieles andere mehr, aber das Medium Film hat dich irgendwie immer fasziniert. Ich habe um diese Zeit herum in Kreuzberg auf dem Bethaniengelände mein Medienzentrum aufgebaut, und so hatten wir auch beruflich eine freundschaftliche Nähe.

Weißt du noch, 1971 wurde damals ein Schwesternwohnheim, das Martha Maria Haus, auf diesem Gelände von Trebern und Jugendlichen aus dem Kreuzberger Kiez besetzt. Es wurde in Georg-von-Rauch-Haus umbenannt, und bis heute seit 1870 steht auf seinem Eingang der Spruch „Eins tut not “. Du hast auf der Film-und Fernsehakademie eine Suzanne Beyeler kennen gelernt, eine Schweizerin, und mit ihr und deinen alten Kumpel Rainer März, der es ein Jahr später mit deiner Hilfe auch auf dieser Filmschule geschafft hat, starteten ihr Drei einen Dokufilm über genau dieses besetzte Haus.

„Allein machen sie dich ein“, nach einem Rio Reiser Text, habt ihr euren ersten Schwarz-Weiß-16mm-Film benannt. Ein paar Jahre später hast du mit einen deiner Mitstudenten, Johannes Flütsch, einen sehr witzigen Film über einen Automatenspieler gedreht. Dieser Spieler mit Namen Diethard Wendtland konnte mit seiner speziellen Begabung Spielautomaten der Marke „Monarch“ in kurzer Zeit total leerfegen. Für diesen Film, produziert von Regina Ziegler, hast du mit Johannes einen Bundesfilmpreis erhalten.

Waren eigentlich bei dieser Preisverleihung deine Eltern nach Berlin gekommen? Ich glaube eher nicht. Dabei war es doch für dich ganz wichtig, deinen Eltern in Bad Aibling zu zeigen, dass du kein Looser mehr bist. Du hast mir erst vor ein paar Wochen erzählt, dass du richtig Geld erst nach deinem 40. Geburtstag verdient hast. Du wurdest am 22. September 1944 im Bombenhagel von Augsburg geboren, und demnach hast du erst in den Jahren 1984/85 so viel verdient, dass du auch mal in den Urlaub fahren konntest.

1985 haben wir zwei an zwei Projekten gearbeitet, einmal ein Film über ehemalige Rauchhausbewohner mit Rolf Zacher als Karl Marx und Marianne Enzensberger als seine Jenny, Musik Rio Reiser, und einen zweiten Dokufilm über eine Miss Germany, die mit einem Polizisten verheiratet war. Dieses Eheverhältnis hat dich sehr interessiert, und Harun Farocki hat das Exposé verfasst. Es war eine ZDF-Produktion. Und bei diesen Dreharbeiten, du Regie, Kamera David Slama und Ton ich, haben wir im Grunde jeden Abend nach Drehschluss nur noch gelacht, weißt du noch, als in Luxemburg dieser Miss-Germany-Preis verliehen wurde und ein Gunter Sachs im Hotel erschien und total überschminkt die Kandidatinnen abzutätscheln versuchte, und die haben sich das auch noch gefallen lassen.

Diese Preisverleihung wurde vom RTL aufgezeichnet, und wir durften deshalb für das ZDF nur ganz wenige Bilder nach Deutschland mitnehmen. Lustig war auch, dass du vor Drehbeginn einen alten Ford für unsere Dreharbeiten erworben hast. Mit diesem klapprigen Gefährt sind wir bis Paris gefahren, um eine alternde Miss Germany zu interviewen. Auf den Weg dahin blieb unser Oldtimer ständig stehen, und unsere Altmiss hatte im Hinterhof ein kleine Werkstatt, die spezielle Spionagegeräte herstellte und in Paris an diverse Agenten verkaufte, abschließend lud sie uns zum Essen ein, sie im Porsche und wir ständig anschiebend in unserem Freakford als Abgesandte des ZDF’s, und in dem teuren Restaurant winkte sie ständig dort speisenden Agenten zu.

Denn das hier war ihr Vertriebsnetz, wir wollten dann auch nicht mehr wissen, wie so ehemalige Miss heute ihr Leben finanzieren. Mein Waterloo-Erlebnis mit dir hatte ich Ende 1989, weißt du noch, ich wohnte mal für zwei Jahre in Oldenburg. Und irgendwie hatte die Berliner Delta-Filmproduktion die Idee, einen Kinofilm zum Thema Stau in Fahrt zu bringen. Du solltest mit mir das Drehbuch entwickeln und kamst nach Ostfriesland, und wir mieteten dort auf so einem komischen Freizeitgelände ein kleines Häuschen an und begannen sofort mit der Arbeit.

Kurz und gut, ich hatte unter anderem die Idee, dass unter anderen Urlaubern auch ein Finne mit einem Holzauto in diesen Superstau in Bayern fährt. Du fandest diese Idee auch sehr charmant und lustig. Aber dann kam der Produzent Richard Claus nach Oldenburg, und als er das mit dem finnischen Holzauto las, fuhr er schnurstracks wieder nach Berlin zurück. Keine Diskussion, Thema verfehlt – setzen, Möbius!

Du hast ja dann später noch mal sehr komödiantisch abgemildert mit Gerd Weiss dann doch noch diesen „Superstau“ unter reichlich viel Stress abgedreht. Aber schon 1990 kamen wir wieder zusammen, und ich bastelte dann an ein Drehbuch von einem DDR-Autor herum. Der Film hieß später „Grüß Gott Genosse“. Deine NDR Produzentin Doris Heinze war ja mit deiner Arbeit immer sehr einverstanden, und so bekamen wir auch den Auftrag, eine neue Polizeirufserie 110 zu entwerfen. Es sollte in diesen Filmen kein Mord geschehen. Wir beide haben uns daran gehalten, aber andere ARD-Sender in ihren Polizeiruf 110-Filmen nicht.

Du hast dich dann richtig ins Zeug gelegt und einen Polizeiruf nach dem anderen abgedreht. Und alle diese Filme mit Uwe Steimle und Kurt Böwe unter deiner Regie waren originell und voller Humor. Ich freue mich noch heute, dass ich Dir als Drehbuchautor oft bei diesen Streifen helfen durfte. Ich musste immer wieder über dich staunen, mit welcher kreativen und gleichzeitig produktivnaiven Art du Szenen und Bilder in unseren Drehvorlagen gesetzt hast.

Ich kam mir häufig wie ein konservativer Bildungsbürger vor, der sich noch immer nicht von der Dramaturgie eines Shakespeare oder Schiller zu lösen vermochte oder traute. Aber so „trauen“ hatte ja für dich seit deinem Autounfall in Berchtesgaden nur noch wenig Relevanz. Und du hattest ja auch nur sehr wenig Respekt vor diesen Fernsehgewaltigen wie Redakteuren und Produzenten.

Ich erinnere mich noch über ein Bild aus den neunziger Jahren, als du zu mir mit einer sehr sehr kurzer Sturmfrisur kamst, auf mein Erstaunen hin, sagtest du nur: „Ich fahre morgen nach Mainz, und da brauche ich diese Kampffrisur.“ Humor, ich habe mich immer wieder gefragt, und ich frage mich noch heute, wo du den immer wieder hergenommen hast – deine Kind- und Jugendzeit war doch nun wirklich mehr eine Schauergeschichte als ein Komödienstadel – stimmt’s?

Oder war sie doch im Umkehrsinn gerade deshalb so inspirierend, weil in deiner miesen Lage sich dein Humor wie ein Schutzschild um dich bildete? Aber Manni, du hattest, Gott sei Dank, auch viele tolle und mutige Mitstreiter. Und einige von diesen sind sogar zum Gedenken an dich hier in dieser Kapelle. Viele von ihnen haben dir auch durch ihr hinzufügen ihres „Mutterhumors“ bei deinen Inszenierungen geholfen, ich sage nur die „Münsterkrimis“. Ich nenne mal ein paar von vielen hunderten von Mitarbeitern beim Namen;

Deine genialen Kameraleute wie Michael Wiesweg, David Slama, Jörg Jeshel und Frido Feindt. Wunderbare Schauspielerinnen und Schauspieler wie Tilo Prückner, Jan Joseph Liefers, Detlev Buck, Armin Rhode, Pierre Besson, Günter Maria Halmer, Axel Prahl, Alexander Scheer, Laura Tonke, Senta Berger, Götz George, Katharina Thalbach, Florian Lukas, Elke Sommer, Karl Kranzkowski, Sigi Zimmerschied, Nadeshda Brennicke, Inga Busch und viele, viele mehr. Und nicht zu vergessen, deine langjährige Regieassistentin Susanne Petersen.

Lieber Manni, du warst in deinem Leben auf dieser Erde stets ein sehr bescheidener Mensch, ich habe dich auch nie in einer Talkshow gesehen, du wolltest immer nur deine Arbeit so professionell wie nur möglich machen. Das Ergebnis – fast 100 tolle Filme! Aber du würdest heute ruhig zugeben, dass sich deine Energie auch aus dem Bedürfnis speiste, deiner Mutter zu beweisen, dass du kein Versager bist.

Den Beweis konntest du ihr in einer Form geben, die jeder sofort versteht – Geld und Gold. Du hast oft größere Summe nach Bad Aibling, dem Wohnort deiner Mutter geschickt. Und sie hat ein Teil dann großzügig an nahe und ferne Verwandte weitergeleitet, aber stets mit dem Hinweis versehen, dass diese schönen Scheinchen von ihrem sehr erfolgreichen Sohn aus Berlin kamen. Die einen brauchten ein aktuell neues Hörgerät oder Gebiss, andere arbeitslose Neffen ein neues Auto oder auch nur einen neuen Satz Autoreifen.

Da stand ich mal mit deiner Mutter mit einem Produzenten am Filmset, und auf die Frage des Produzenten, was du denn eigentlich studiert hast, kam von ihr die prompte Antwort: „Mein Sohn, mein Manfred hat Physiklaborant studiert“, und dann von ihr die Gegenfrage: „Werden sie meinen Sohn auch weiterhin beschäftigen?“.

Ja, so einfühlsam und ehrlich können Mütter sein. Nun noch zum Schluss: du hast ja bis in den März und April hinein noch immer gearbeitet, mit mir hast du an einem Treatment für einen Rio Reiser Spielfilm gearbeitet, und dann an einer 8-teilige Kurzserie mit Tilo Prückner, die man sehr bald unter dem Titel „Die Bank“ im Fernsehen sehen wird. Ich hatte irgendwie bei meinen Besuchen bei dir immer das Gefühl, dass du uns noch gar nicht verlassen willst, jeden Sonnenstrahl aus unserem zurzeit unglaublich stahlblauen Himmel hast du noch genossen.

Aber deine ständigen Schmerzen raubten dir dann doch leider deine letzten Kräfte. Liebe Bea, seit 1984 war Manni dein Weggefährte und deine Liebe, Sylvester 1996 habt ihr euch in Las Vergas das Ja-Wort gegeben. Dein selbstloser professioneller Einsatz, um Mannis letzten fünf Jahre andauerndes Leiden zu mildern, war ein sehr, sehr großer Liebesbeweis.

Alle hier danken dir dafür und fühlen mit ganzem Herzen mit dir und deiner tiefen Trauer. Auch dir, Alexander Richter, sei hier für deine gute Beratung und Hilfe sehr gedankt. Lieber Manni, wir werden dich und dein künstlerisches Werk, das du uns hinterlassen hast, nie vergessen. Du bist nicht tot, du lebst in deinen Filmen weiter, und ich freue mich, in Zukunft viele deiner schönen Filme noch einmal ansehen zu dürfen. Deine gesellschaftlich kritische und komödiantische Sichtweise auf diese unsere Weltenkugel wird mich in meiner noch verbleibenden Lebenszeit für immer begleiten. Ich hoffe, wir sehen uns eines Tages wieder!

Dein Gert

Statt einer Biografie die Rede zur Bestattung von Manfred, die sein Freund Gert Möbius gehalten hat. (Gert Möbius war Manager der Rockband „Ton Steine Scherben“ und Mitbegründer des Berliner Tempodroms). Nach dem Tod seines Bruders Ralf, mit Künstlername Rio Reiser, gründete er das Rio-Reiser-Archiv. Heute wirkt er als Drehbuchautor und Filmproduzent.

Mariannenplatz, Berlin 36
Von links nach rechts: Manfred Stelzer, Marlis Kallweit im Jugenzentrum Hemmoor (Elbabwärts, kurz vor Cuxhaven. Backbord). Rundreise mit dem Film: Allein machen sie dich ein (Georg von Rauch Haus, Berlin) dffb
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Die kurze, aber unglückliche Begegnung des Gewerkschaftsmitgliedes M. mit seiner gemeinen Wirtschaftsbank (BfG)

PDF Die kurze, aber unglückliche Begegnung

Bordmontage Neubau
Foto Jens Meyer

Glücklicher wäre die Verbindung sicher gelaufen, wenn ich mit einem maßgeschneiderten Anzug bei der BfG aufgetaucht wäre. Aber ich wollte nicht als Schauspieler dort auftreten. Schließlich ist es ja eine Gewerkschaftsbank und der Arbeiterbewegung fest verbunden. 11 Jahre zahle ich jetzt meinen Beitrag und da muß man ja auch mal im Schmierpäckchen Verständnis erwecken können. Der erste Versuch zu einem Ratenkredit (mit) 24 Monate(n) Laufzeit bei der Zweigstelle Rathaus der BfG ließ sich ganz gut (an). Auch die Sparkasse hatte gleich einen Ratenkredit zugesagt doch die BfG, so hörte ich, sei hundert Mark billiger. 1 % weniger Zinsen.

Die Sachbearbeiterin der BfG sah sich drei Lohnbescheinigungen (August/September/Oktober) an und wollte mir auf meine geringe Gage als Maschinenschlosser von 2.000,00 DM netto (bei 30 Überstunden) auch gleich einen Kredit von 6.000,00 DM geben. Wofür ich das Geld brauchte, interessierte sie nicht. Das Geld könne ich gleich mitnehmen, kein Wunder, denn schließlich verdient die BfG daran fast 1.500,00 DM.

Aber das Geld brauchte ich erst im Januar, und bis dann fallen ja vielleicht noch die Zinssätze, dachte ich. Schon damals hätte ich eigentlich stutzen müssen. Eine Abrechnung mit Akkordlohn hatte die Sachbearbeiterin der Gewerkschaftsbank noch nie gesehen. Jedenfalls: Wenn ich eine Bescheinigung vom DGB bringen würde, daß ich mindestens 3 Jahre Mitglied einer DGB Gewerkschaft bin, würde ich nochmal 1 % der Summe sparen.

Auch 60 DM pro Jahr. Meine Freundin also hin zum Besenbinderhof mit meinen Mitgliedsbüchern. Besenbinderhof: Essig- „Die Bescheinigungen bekommen sie nur über die Einzelgewerkschaften.“ Anruf dort. Die Gewerkschaftssekretärin verspricht, die Bescheinigung gleich abzuschicken. Am Dienstag ist sie immer noch nicht da. Was ich denn eigentlich haben wolle? Na diese Bescheinigung für die BfG. Ja gut, sie schickt sie gleich ab. Nächste Woche Dienstag immer noch nicht da. Anruf. Ja sie hat es noch nicht geschafft. Der nächste Dienstag ist da. Bescheinigung nicht da. Anruf: „Schließlich haben wir ja einige Tausend Mitglieder.“ Ob die alle eine Bescheinigung für die BfG brauchen? Am nächsten Freitag kommt sie endlich an. Ich das Ding gleich genommen und wieder hin zur BfG. Inzwischen ist der Winter ins Land gezogen. Wieder alle Bescheinigungen mit. Ich hatte einen Arbeitsunfall, deswegen ist auf der November Abrechnung 000 DM aufgedruckt. Die DM 1,80, die davon abgezogen wurden, hält die Sachbearbeiterin für den Monatslohn. „Ich habe mein Geld von der Berufsgenossenschaft bekommen, mehr als den Nettolohn, den ich sonst bekomme.“

Nützt nichts. Die Überweisungen der Krankenkasse will sie nicht sehen. Die BfG zittert um das Geld, das sie nach Polen geschickt haben. „Nein mit dieser November Gehaltsbescheinigung könne ich bei der BfG keinen Kredit bekommen“. Ich möchte den Zweigstellenleiter sprechen, dafür muß es doch bei einer Gewerkschaftsbank eine Regelung geben. Da liegen doch laufend Arbeiter im Krankenhaus mit Arbeitsunfällen. Der Zweigstellenleiter spricht mit einer gutgekleideten Dame in einem teuren Pelzmantel. Ich habe mir drei Stunden unbezahlten Urlaub geben lassen. Ich warte.

Eine halbe Stunde habe ich Zeit, die Kunden dieser Bank nach ihrem Äußeren zu beurteilen. Die unteren Gehaltsklassen sind augenscheinlich nicht dabei. „Aber natürlich“, sagt der Zweigstellenleiter, „allerdings müssen sie uns noch eine Bescheinigung ihrer Firma bringen. Und wenn die Lohnabteilung dann durchschnittlich 1.200,00 DM für die letzten drei Monate einträgt, dann sollen sie hinschreiben “krankheitsbedingt“.

Ich bekomme meine Bescheinigung vom Lohnbüro, auf diese Weise erfahre ich auch gleich meine Kündigungsfrist – eine Woche. Ich nehme einen Tag Urlaub und wieder hin zur BfG. Der Vertrag wird fertiggemacht. Ich bin geschieden. „Ja dann müssen sie noch eine Restschuldversicherung bei der Volksfürsorge abschließen“. Kostet 60,– DM .

Der Vorteil der 11jährigen Gewerkschaftsmitgliedschaft geht an eine anderes Gewerkschaftsunternehmen. Einfache Umverteilung. „Ein Anruf bei der Schufa – das muß sein,“ meint die BfG-Angestellte: „So sind unsere Vorschriften“. Ihr Gesicht hellt sich auf, ich bin noch nicht als Kreditbetrüger überführt. Doch die Lohnbescheinigung der Firma. Das ist da Wort NICHT gestrichen in dem Satz: „Lohnpfändungen werden nicht ausgeschlossen.“

Ja aber sie doch sowieso nur über das Gericht pfänden lassen. Ich will den Zweigstellenleiter sprechen. Der hat Urlaub. „Könnte aber auch nichts anderes entscheiden“ meint die Gewerkschaftsbänkerin. „Ich solle doch lieber zur Sparkasse gehen.“ 20 Formulare werden zerrissen. Meine Gewerkschaftlegitimation hänge zuhause in einen Rahmen.

Otto Meyer (Mein Name, den ich damals (1984) für Zeitungsveröfffentlichungen benutzt habe)

Elbtunnel
Tier

Fotos Jens Meyer

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Wichtige Nachrichten der Sparda Bank

Wer neuerdings Münzen in den Münzgeldautomaten der Sparda Bank in Hamburg Altona einwirft, bekommt folgende Nachricht auf der Einzahlungsquittung der Sparda Bank zu lesen: „Hinweis: Bei Bareinzahlungen von mehr als 10.000,00 Euro verlangt der Gesetzgeber die Vorlage eines aussagekräftigen Belegs über die Herkunft des Betrages. In diesen Fällen erhalten Sie daher in Kürze auf dem Postweg ein Schreiben von uns mit der Bitte, einen geeigneten Beleg über die Herkunft des eingezahlten Geldes vorzulegen“.

Leider bin ích kein Besitzer eines solchen Weltrekords Buches. Daher wollte ich die Anfrage an die Verantwortlichen bei der Sparda Bank stellen, ob es seit Aufstellung des Münz Einzahl Automaten im Kassenraum der Bank, schon einmal einer Person gelungen ist, mehr als 10 Tausend Euro in den Münzautomat einzuzahlen? Das wäre sicher Weltrekord. Anbei der Ausdruck. Bravo!

Diese Münzen wirft der Automat jedoch gleich wieder aus. Und Hilde Benjamin will auch keiner mehr haben!

Tier
Kopf ab Hilde
Hier versammelt: Karl Marx, Hilde Benjamin, Ludwig Erhard undsoweiter . . . (alle nicht mehr im Amt)

Toluol, Wechselschicht und Rotationsdruckmaschinen

von Gaston Kirsche

pdf-Toluol-Wechselschicht-Rotationsdruckmaschinen

https://jungle.world/artikel/2020/45/monotonie-und-rotation

Toluol, Wechselschicht und Rotationsdruckmaschinen

1984 begann ich eine Ausbildung zum Tiefdrucker, nach der Lehre wurde ich bei Broschek übernommen. Das Arbeiten mit krebserregenden Farben, Nachtschichten für die schnellere Akkumulation der kapitalintensiven großen Rotationsdruckmaschinen, aber auch die Hilfsbereitschaft der Kollegen haben mich geprägt.

Der Tiefpunkt war meistens so zwischen zwei und drei Uhr morgens. Der Körper will schlafen und versteht nicht, warum er hier an der Rotation steht. Die Papierbahn rast durch die zehn Druckwerke, überall Papierstaub, trotz der Ohrstöpsel ist es laut. Der Maschinenkontrollstand ist außerhalb der Box, in der die dreistöckige Druckmaschine läuft. Aber für jeden Arbeitsschritt direkt an der Maschine wird die Tür der Box geöffnet, ran an die vibrierenden Druckwerke, es ist stickig und warm, eine Verständigung ist hier nur durch Brüllen möglich. Im Sommer läuft der Schweiß. Die tonnenschweren Druckzylinder rotieren, auf der Druckmaschinenverkleidung klebt ein dünner Film. Eine Verbindung aus dem Schmieröl, das bei der hohen Laufgeschwindigkeit zwischen den Achsen der Druckzylinder und den Lagern verdunstet, Metallabrieb von den Rakelmessern, mit welchen die überschüssige Farbe vom Druckzylinder abgezogen wird, unzähligen kleinsten Papierfasern und Lösemitteldämpfen. Wenn es einen Reißer gibt, müssen alle Drucker rein und die über drei Meter sechzig breite Papierbahn über die Laufstangen wieder durch die zehn Druckwerke führen. Fünf für den Schöndruck, fünf für den Widerdruck. In den Farbwannen schwimmt die dünnflüssige Druckfarbe auf Toluolbasis. Toluol stand da schon lange im Verdacht, krebserregend zu sein. Dass wurde durch die Studie „Toluol in Tiefdruckereien* des Instituts für Arbeitsphysiologie an der Universität Dortmund aus dem Jahr 2001 aber nicht bestätigt. Allerdings wurden Gesundheitsschäden im Allgemeinen durch Toluol in der Studie auch nicht ausgeschlossen.

Toluol verdunstet bei niedrigeren Temperaturen als Wasser, etwa bei 80 Grad Celsius. Im menschlichen Körper reichert es sich leicht an. Dass meiste verdunstete Toluol aus den Farbwannen wird über riesige Rohre mit Trichterförmigen Öffnungen abgesaugt, aber nicht alles. Gearbeitet wird ohne Handschuhe, Farbreste werden mit in Toluol getränkten Lappen abgewischt. Andere, nicht gesundheitsgefährdende Lösungsmittel für die Tiefdruckfarben sind teurer. Also Toluol.

In einem Artikel stand 1994 in drei Absätzen etwas über die schädliche Wirkung von Toluol auf Menschen: Münchner Wissenschaftler hatten das Blut von Druckereiarbeitern aus Baden-Württemberg analysiert. „Bei Beschäftigten, die länger als 16 Jahre im Tiefdruck arbeiteten, war die Anzahl von deformierten Erbinformationsträgern in den Zellen wesentlich höher als bei den Kollegen, die erst kürzer dabei waren. Da gab es Brüche in den Chromosomenärmchen, winzig kleine Verbindungsteilchen fehlten oder waren vertauscht. Solcherart Fehler in der genetischen Information können vermehrt entstehen, wenn die Reparaturmechanismen in der Zelle nicht mehr richtig funktionieren, hieß es unter der Überschrift: „Wir lassen sie sterben“: „Bei ersten Gesundheitsuntersuchungen hatten die Drucker sich über ständig trockene Schleimhäute in Mund, Nase und Rachen beklagt. Sonst war nichts weiter aufgefallen.

Durchhalten, keine Schwäche zeigen: „Als die Forscher sie jedoch einige Jahre später zur Nachuntersuchung baten, gab es eine böse Überraschung: 4 der insgesamt 60 untersuchten Tiefdrucker waren mittlerweile an Krebs gestorben“. Der nicht namentlich gezeichnete Artikel erschien am 7. März 1994 in der Ausgabe 10/1994 von „Der Spiegel“. Gedruckt wurde auch diese Ausgabe in der Tiefdruckerei des Axel-Springer-Konzerns in Ahrensburg bei Hamburg wie üblich mit Farben auf Toluolbasis. Eine Umweltschutzorganisation, meiner Erinnerung nach Greenpeace, ließ in den 80iger Jahren Exemplare von „Der Spiegel“ in einer einmaligen Aktion ohne Toluolfarben nachdrucken und verteilen. Die Leser*innen sollten sich nicht mit den Rückständen der toluolhaltigen Farben vergiften, war der Tenor der Aktion. Über die in der Druckerei Arbeitenden, die am meisten unter der Schadstoffbelastung litten, wurde bei der Aktion geschwiegen. Selten wurde mir deutlicher, wie falsch es ist, ökologische Forderungen ohne gleichzeitige Kritik an den Produktionsbedingungen und dem Dogma der Kapitalverwertung zu stellen.

Zurück zur Nachtschicht an der Tiefdruckrotationsmaschine. Gedruckt wird der jährliche IKEA-Katalog, in Millionenauflage. Heute ist der Druckbogen mit den Betten dran, die ganze Nacht durch: 32 Katalogseiten mit Betten, Matratzen, Decken, Bezügen. Aber anstatt im Bett zu liegen, achte ich auf den Passer beim Fortdruck. Die gesamte Maschinenbesetzung reagiert nachts um zwei fahriger als sonst, wenn beim Rollenwechsel die Papierbahn reißt, der Passer nicht mehr stimmt oder Dreck an einem Rakelmesser ist. Es arbeiten mehr Drucker an den Maschinen als der Verband der Druckindustrie möchte. Einer kann immer Pause machen. Tarifvertraglich geregelt, durch Streiks erkämpft: Der Manteltarifvertrag mit genauen Angaben zur Maschinenbesetzung. Gilt und galt aber nur in tarifgebundenen Betrieben. Die Druckerei Broschek, in der ich arbeitete, war für ihren hohen gewerkschaftlichen Organisationsgrad und einen kämpferischen Betriebsrat bekannt. In der Belegschaft wurde auf die Einhaltung der tariflichen Vereinbarungen seitens der Geschäftsleitung und der Vorgensetzen geachtet. Zwei von der Maschinenbesetzung, ein Drucker und ein Helfer, waren im Pausenraum neben dem Drucksaal, wie die unwirtliche, rein funktional eingerichtete Fabrikhalle genannt wurde. Wenn sie nach 30 Minuten aus der Pause zurückkamen, konnten die nächsten gehen.

Noch weit entfernt war in den 80iger Jahren eine Besserung bei den gesundheitsschädlichen Arbeitsbedingungen. Denn: der Lärm, die Toluoldämpfe all das musste nicht sein. Erst im Laufe der 1990er Jahre wurde Toluol als Lösungsmittel in den Farbrezepturen ersetzt. Maßgeblich hierfür waren Kampagnen von Seiten der damaligen Industriegewerkschaft Druck und Papier und ihrer Schwesterorganisationen in Europa. Tatsächlich ist die Druckindustrie seitdem, was Gesundheitsschutz und dann auch Umweltschutz betrifft, ziemlich weit vorne es hat viel Einsatz der Drucker und ihrer Gewerkschaften erfordert. Was erstmal blieb, war die Kontaminierung der Böden. Broschek war eine der ersten Industriedruckereien, die saniert wurden. Am 30. August 2019 erklärte der Hamburger Senat als Antwort auf die Schriftliche Kleine Anfrage eines Abgeordneten der CDU in der Drucksache 21/18127: Im Jahr 1992 wurden auf dem Gelände der Firma Broschek Bodenuntersuchungen durchgeführt, bei denen großflächig Bodenverunreinigungen mit dem eingesetzten Lösungsmittel Toluol festgestellt wurden. Danach erfolgten umfangreiche Sanierungsmaßnahmen, die im Jahr 1996 abgeschlossen wurden.

Neben dem Lösungsmittel Toluol waren auch der Lärm und der Schichtbetrieb an den großen Rotationsmaschinen gesundheitlich stark belastend. Gearbeitet wurde in drei Schichten rund um die Uhr. Im wöchentlichen Wechsel, Frühschicht, Spätschicht und die Nachtschicht: Um 22 Uhr fängt die Arbeit an, um sechs Uhr morgens ist Feierabend. Freitagabends um 22 Uhr zum Schichtbeginn an der Rotationsdruckmaschine anzutreten war surreal. Klar gibt es gesellschaftlich notwendige Arbeit, die rund um die Uhr erledigt werden muss. Drucken gehört nicht dazu. Die großen Rotationsmaschinen sind teure Investitionen damit sie sich schneller amortisieren, laufen sie rund um die Uhr. Nachtschicht, Gesundheitsgefährdung für den Profit. Die starke Vernutzung durch Arbeit hat ihren Preis. Nicht alle erreichen überhaupt das Rentenalter.

Für Frauen war Nachtarbeit im produktiven Gewerbe aus Arbeitsschutz bis 1992 verboten – für Männer nicht. Dementsprechend war der Drucksaal eine absolute Männerdomäne, selbst die weiblichen Betriebsrätinnen aus anderen Abteilungen trauten sich kaum in den Drucksaal. In der Verwaltung arbeiteten viele Frauen, auch in der Buchbinderei. Die Druckvorstufe, wo die Druckvorlagen und die Druckformen in einer kleineren Abteilung hergestellt wurden die schweren Kupferzylinder mit Stahlkern arbeitete auch in Dreischicht und war eine Männerdomäne. In der Buchbinderei in einer weiteren Fabrikhalle wurden die an der Druckmaschine bereits gefalzten Vorprodukte durch Heftung oder Klebebindung zu Zeitschriften oder Katalogen weiterverarbeitet. Hier arbeiteten viele Frauen. Im Zweischichtbetrieb, keine Nachtschicht. Die Arbeitsbereiche waren strikt voneinander getrennt, wer in der Buchbinderei arbeitete sollte nicht in den Drucksaal gehen und umgekehrt man hatte auch genug mit der eigenen Arbeit zu tun und in den Pausen blieb man unter sich im eigenen Pausenraum der Abteilung.

Durch das Arbeiten nur unter Männern, durch die gegenseitige Selbstbestätigung im Lebensmittelpunkt Drucksaal wurden patriarchale Muster reproduziert: Frauen sieht man Zuhause oder in der Freizeit. An der Längsseite des Drucksaals standen verbeulte Metallschränke. In diesen persönlichen Spinden für Essen und Trinken hingen meist Fotos von nackten Frauen. Broschek war eine Akzidenzdruckerei das heißt, sie war nicht an einen Verlag gebunden, sondern es wurden alle möglichen Aufträge angenommen interessant fand ich die Angebotskataloge der großen Supermarktkette Kmart aus den USA und die Unterschiede in der Präsentation für das dortige Publikum. Über einen großen Auftrag wurde im Drucksaal schon Tage vor dem Andruck begeistert gesprochen, Kollegen hatten schon Teile davon in der Druckvorstufe gesehen: Ein dickes Sonderheft vom Playboy mit Klebebindung, es hieß Best-Of oder so. Einige Kollegen wollten für sich ein Heft mitnehmen, die Anderen schwiegen dazu. Als an der Andruckmaschine die üblichen Proben hergestellt wurden, um zu prüfen, ob die Druckzylinder richtig graviert waren, der Passer stimmte, die verschiedenen Farben passend übereinander gedruckt wurden und die Farbdichte, die Farbtöne und die Brillanz okay waren, kamen wesentlich mehr Kollegen als sonst von den Fortdruckmaschinen mal zum Schauen in die Hallenecke, wo die Andruckmaschine stand. Die nackten Frauen auf den Abbildungen werden ausführlich bewertet.

Patriarchat und Rassismus prägen auch die Lohnarbeit und finden durch die Rangordnung an den Arbeitsplätzen scheinbar Bestätigung, werden im Bewusstsein reproduziert. Die qualifizierten Drucker am Maschinenpult sind meist weiß und einsprachig, die Hilfsarbeiter im Papierkeller und an den Maschinenauslagen, wo die gedruckten und gefalzten Produkte abgelegt werden, sind in der Regel schwarzhaarig und mehrsprachig. Wenn bei Stoppern Alle anpacken, um die Rotation wieder ins Laufen zu bringen, oder beim Wechsel der Druckzylinder, beim Wechsel der Rakelmesser immer haben der Maschinenführer und die anderen Drucker das Kommando. Die anspruchsvollsten Arbeiten, etwa die Farbdichtemessung mit dem Densitometer, um die Volltondichte, die optische Dichte der Farben zu kontrollieren, erledigen Maschinenführer und Drucker. Eine prägende Hierarchisierung. Typisch für die traditionell verstandene Klasse aus weißen, männlichen Facharbeitern. Frauen und Migrant*innen waren in der klassischen Vorstellung von der Arbeiterklasse unsichtbar, der Arbeiterstolz wurde von Männlichkeit und Stärke geprägt, das körperliche Leiden an den Arbeitsbedingungen ignoriert.

Während der Lehre zum Drucker Tiefdruck/Offset liefen der andere Auszubildende und ich an den Maschinen mit, wir sollten in der laufenden Produktion lernen. Eine Lehrwerkstatt gab es 1984 bei Broschek nicht mehr wir versuchten uns möglichst viel abzugucken. Einen Maschinenleitstand selbst zu dirigieren, habe ich erst zwei Tage vor meiner praktischen Abschlussprüfung länger üben können. Die große, dreistöckige Rotation selbst hochzufahren war eine tolle Erfahrung. Aber in der laufenden Produktion war meine Tätigkeit ich in der Regel auf das Erledigen kleinerer Arbeiten auf Zuruf beschränkt. Und es gab Zuarbeiten, welche die Maschinenführer an uns Auszubildende delegierten: Den Ölstand der Motorenblöcke der Druckmaschinenmotoren im Papierkeller zu kontrollieren, oder neue Rakelmesser in die Halterungen zu spannen. Die Rakelmesser nutzten sich ab, spätestens wenn ein Druckzylinder sich eine halbe Million Mal gedreht hatte, war die Schneide runter. Sie waren unverzichtbar, denn an ihnen wurde die überschüssige Farbe abgestreift, wenn nachdem ein Druckzylinder durch die Farbwanne gelaufen war: Nur in den napfförmigen Vertiefungen, in den mikroskopisch klein eingravierten Löchern in der Kupferbeschichtung der Druckzylinder sollte die Farbe verbleiben, um auf die Papierbahn gedruckt zu werden. Durch die unterschiedliche Tiefe der Löcher wurde unterschiedlich viel Farbe auf das Papier gedruckt, so entstand die feine Farbbrillanz, für die der Illustrationstiefdruck bekannt ist. Die Rakelmesser waren dünne Stahlbänder, so lang wie die Druckzylinder breit waren etwa 2, 64 Meter, wenn ich mich richtig erinnere mit einer superscharfen feinen Schneide: dem Rakel, das sich an den Druckzylinder andrückte. Beim Einsetzen der Rakelmesser in die Halterungen brauchte man eigentlich Handschuhe, um sich nicht zu schneiden aber dann hätte man nicht genug Feingefühl in den Fingern, um das Blech millimetergenau und ohne Wellen zu justieren. Die Narben an den Händen von den Schnitten, wenn mal was schiefging, sind mir geblieben. Da wir Auszubildenden nur zwei Pausen hatten, entzog ich mich dem Lärm, den Tolouldämpfen und der Monotonie an der Rotation manchmal in eine Toilette. Die meisten Kollegen deckten es hilfsbereit, wenn wir Azubis mal raus wollten. Wenn ich dort ein paar Minuten saß, spürte ich, wie ich mich in meinem eigenen Körper ins Innerste verkrochen hatte. Die äußere Hülle meines Körpers war mir fremd, schmutzig, Farb- und Lösemittelrückstände bis in die Haarspitzen. Die Gemeinschaftsduschen waren zum Feierabend der Ort des Auflebens.

Diese Erfahrung von mir liegt über dreißig Jahre zurück, meine erste Erfahrung mit Lohnarbeit. Die Tiefdruckerei Broschek, in der ich in den 80igern arbeitete, hatte einen links dominierten Betriebsrat dessen damalige stellvertretende Vorsitzende der Zeitschrift Konkret ein Interview zum Thema „Sexismus im Betrieb“ gegeben hatte, woraufhin sie fristlos gekündigt wurde. Es waren vor allem die Chefs mit Schlips in der Verwaltung, deren sexistisches Verhalten, deren Sprüche sie im Interview prägnant kritisiert hatte. Die engagierte Betriebsrätin gewann aber die Prozesse auf Wiedereinstellung. Mehrere Betriebsräte auch sie – waren erst wieder in die Industriegewerkschaft (IG) Druck und Papier aufgenommen worden, nachdem sie infolge der „Unvereinbarkeitsbeschlüsse der DGB-Gewerkschaften als Mitglieder des Kommunistischen Bundes (KB) in den 1970iger Jahren ausgeschlossen worden waren. In der IG Druck und Papier hieß die entsprechende Maßgabe zwar „Abgrenzungsbeschluss”, aber es ging um das gleiche: Den Ausschluss gewerkschaftsoppositioneller radikaler Linker, vor allem von betrieblich aktiven Mitgliedern von „K-Gruppen – kommunistischen Vereinigungen links von der DKP.

Bei Warnstreiks in den Tarifrunden war Broschek immer vorneweg dabei: Mehr Lohn, bessere Arbeitsbedingungen dafür stand eine Mehrheit der Beschäftigten ein. Wenn es nötig war, was alle zwei, drei Jahre vorkam, ließ sich die Belegschaft in Tarifrunden innerhalb weniger Stunden zum Warnstreik vor das Fabriktor am Bargkoppelweg 61 rufen, um einer Gewerkschaftsforderung Nachdruck zu verleihen. Als Auszubildender und danach habe ich im Drucksaal viel kollegiale Unterstützung erleben können. Trotzdem war das Klassenbewusstsein durchwachsen. Klar für mehr Lohn, für einen starken Betriebsrat. Aber schon beim Einsatz für eine kämpferische Gewerkschaft war den meisten das eigene kleine Glück wichtiger. Es gab Konkurrenz, es gab Sexismus, Rassismus. Ein Kollege schwärmte davon, nach Südafrika auswandern zu wollen, das damals noch ein Apartheidsstaat war. Und der eigene Hausbau war wichtiger als Politik. Sicher hing dass auch mit Enttäuschungen zusammen, mit Resignation. Aber das Bewusstsein, sich als Klasse formieren zu wollen, politisch kämpfen zu wollen, über den eigenen Tellerrand hinaus dass war eher randständig. 

Die Druckindustrie hatte in den 80igern schon die technologische Umwälzung durch elektronische Daten- und Textverarbeitung und den Einsatz von Mikroprozessoren hinter sich der Bleisatz etwa war Geschichte. Während die Streiks 1973 und 1976 noch vorrangig Lohnstreiks gewesen waren, versuchte die IG Druck und Papier danach, die durch Digitalisierung neu mögliche Rationalisierung zu entschleunigen und sozial zu gestalten. Auch der Arbeitsschutz spielte schon eine Rolle. Bei den Streiks 1978 ging es um den Rationalisierungsschutz für Setzer. So gab es einen von beiden Seiten hart geführten Arbeitskampf in der Druckindustrie: Die im DGB damals Linksaußen stehende IG Druck und Papier forderte einen Ausgleich für Rationalisierungen, sichere Arbeitsplätze und menschenwürdige Arbeitsbedingungen. Der Streik endete mit der Vereinbarung des als RTS-Vertrag in die Gewerkschaftsgeschichte eingegangenen Vereinbarung: Den Tarifvertrag über die Einführung und Anwendung rechnergestützter Textsysteme. Auch wenn die Berufsgruppe der Schriftsetzer trotzdem verschwand: Der Arbeitsplatzabbau konnte zum einen verlangsamt werden, zum anderen wurden viele Setzer zu Angestellten in den Redaktionen. Beim Streik 1984 ging es um die 35-Stundenwoche, nach 12 langen und harten Wochen Streik konnte deren stufenweise Einführung bis im Jahr 1996 im Tarifvertrag erreicht werden allerdings war der Unternehmerverband der Druckindustrie nur um den Preis der Zustimmung der IG Druck und Papier zu weitgehenden Flexibilisierungsmöglichkeiten zu Lasten der Beschäftigten dazu bereit. Die Zustimmung zur Flexibilisierung hat bis heute negative Folgen für die Beschäftigten der Druckindustrie.

Nicht nur der Beruf des Setzers ist verschwunden aus sieben Berufen der Druckvorstufe, von der Reprofotografie über Elektronische Bildbearbeitung bis hin zur Tiefdruckretusche, ist mittlerweile ein einziger geworden: Die Mediengestalterin print/digital. 2018 arbeiteten nur noch 131.700 Menschen in der Druckindustrie in sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen. Die Zahl der Beschäftigten ist seit 1975 rückläufig. Gegenüber dem Stand von 1980 (223.864) ist die Zahl der Beschäftigten um rund 41 Prozent gesunken (Zahlen des Bundesverbandes Druck und Medien). Der Umsatz ist dabei bis 2000 stark angestiegen und stagniert seitdem bei etwa 20 Milliarden Euro. Seit 2001 nahm die Zahl der Druck-Betriebe innerhalb von etwas mehr als 10 Jahren bundesweit um 30 Prozent ab, ebenfalls die Zahl der Beschäftigten”, so Martin Dieckmann, der frühere Leiter des Fachbereichs Medien in der Gewerkschaft ver.di in Hamburg und Nord einen guten Überblick erworben hat: Besonders hart traf es die Betriebe mit mehr als 500 Beschäftigten, mit einem Niedergang um 60 Prozent und der Beschäftigten dort ebenfalls um 60 Prozent, teils durch Schließungen, teils durch reines Schrumpfen” Hier wurde am stärksten rationalisiert: „Bei den Zahlen spielt auch die dramatische Schrumpfung des Personals durch neue Maschinengenerationen eine Rolle: Seit Anfang der 200er Jahre kamen etwa im Zeitungs-Druck und auch in der Weiterverarbeitung auf den Markt, die teilweise zur Halbierung nicht nur des Drucksaals sondern auch der Weiterverarbeitung führten”, so Martin Dieckmann.

Insbesondere im Tiefdruck gab und gibt es europaweit große Überkapazitäten. Seit 2005 hat sich die Konkurrenz verschärft, infolge der kapitalintensiven Konzentration auf zwei Konzerne: 2002 weitete sich die süddeutsche Schlott-Firmengruppe zum Konzern aus, gab Aktien aus und kaufte massiv zu; 2002 auch Broschek. Dagegen formierte sich mit Prinovis die EU-weit größte Zusammenschluss von Tiefdruckereien der Konzerne Springer, Bertelsmann und Gruner + Jahr. Überkapazitäten und der folgende „brutale Preiskampf“, wie Martin Dieckmann es auf den Punkt bringt, führten zu einer Serie von Betriebsschließungen, darunter Prinovis Darmstadt, Bauer-Druck in Köln und 2011 zur Insolvenz der Schlott AG. Während sich für fünf süddeutsche Schlott-Betriebe neue Besitzer fanden, wurde die Hamburger Druckerei Broschek nicht verkauft, sondern geschlossen. Seriöse Kaufangebote gab es nicht, stattdessen hatten Betriebsrat, Gewerkschaft und Stadt einige Mühe, ein windiges Angebot eines branchenweit bekannten Abenteurers abzuwehren.

In der Nacht vom 12. auf den 13. April 2011 wurden die Druckmaschinen bei Broschek eine nach der anderen ein letztes Mal runtergefahren. Stille im Drucksaal. Im Dezember, einen Tag vor Weihnachten, verließ der Betriebsratsvorsitzende Kai Schliemann als Letzter den Betrieb. Broschek war Geschichte. Heute gibt es nur noch wenige Tiefdruckereien, selbst der Ikea-Katalog erscheint nicht mehr gedruckt.

Die Schrumpfung und Konzentration im Tiefdruck gingen weiter: Am 2. Mai 2014 verließ die letzte Schicht die seitdem geschlossene Tiefdruckerei von Prinovis in Itzehoe. Anders als bei Broschek konnte die Belegschaft in Itzehoe mit ihren in der Stadt breit unterstützten Aktionen immerhin einen sehr guten Sozialplan mit hohen Abfindungen und einer Transfergesellschaft erreichen. Denn die Schließung von Prinovis Itzehoe wurde anderthalb Jahre zuvor angekündigt und der Bertelsmann-Konzern kam am Ende für die Kosten des gesamten Sozialplans auf. Bei Broschek war es schwieriger. Hier ließ die Insolvenz der gesamten Schlott AG keinen Spielraum für Verhandlungen über einen guten Sozialplan zu: Es war kein Geld mehr für Abfindungen vorhanden, geschweige denn für eine zusätzliche Transfergesellschaft. Die modernen Tiefdruckaggregate bei Broschek wurden an andere Druckereien verkauft. Das Gelände von Broschek liegt heute brach, die Gebäude wurden vorletztes Jahr abgerissen. Gaston Kirsche

*Die Studie »Toluol in Tiefdruckereien« war vom Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften beauftragt und u.a. vom Bundesverband Druck und Medien sowie ver.di unterstützt worden.

Der Niedergang des Tiefdrucks

Komplett geschlossen wurden

-1997: Burda, Darmstadt (600 Beschäftigte)

-2008: Prinovis in Darmstadt (fast 300)

-2008: Metz, Aachen (40)

-2010: Bauer Druck, Köln (knapp 400)

-2011: Broschek in Hamburg (200)

-2011: Schlott in Freudenstadt (300)

-2013: Badenia in Karlsruhe (100)

-2014: Prinovis in Itzehoe (750 plus 250*)

-2015: Bruckmann, Oberschleißheim (130)

-2021: Prinovis in Nürnberg (zuletzt 460)

*Werkvertrags- und Leiharbeitskräfte

Innerhalb von 24 Jahren haben alleine durch Betriebsschließungen über 3.500 Menschen ihre Arbeit im Tiefdruck verloren. Insgesamt wurden viel mehr Leute entlassen: Viele gingen vorzeitig in Rente, schieden per Freiwilligenprogramm aus, bei der Fluktuation im Betrieb freiwerdende Stellen wurden nicht wieder besetzt. Auch in anderen europäischen Ländern sind komplette Tiefdruckereien geschlossen worden. Quelle: ver.di/Fachbereich 8 Auf den Fotos sind Proteste gegen die Schließung von Prinovis Itzehoe 2013 zu sehen. Nachweis: verdi/Fachbereich 8

Interview mit Olaf Berg über seine dreijährige Ausbildung in der Druckerei der Axel Springer Verlag AG in Ahrensburg.

In den 80iger Jahren wurde in der Druckindustrie stark rationalisiert und Arbeit verdichtet. Durch Flexibilisierung und Auslagerung von Betriebsteilen wurden ehemals kämpferische Belegschaften verkleinert, Abteilungen gegeneinander Konkurrenz gesetzt. So wurden die Lohnarbeitenden der Branche, welche 1984 erfolgreich als erste die Arbeitszeitverkürzung zur 35-Stundenwoche erstreikt hatten nachhaltig verunsichert. (Gaston Kirsche)

Du hast 1987 in der Druckerei von Springer in Ahrensburg eine Lehre als Druckvorlagenhersteller begonnen?

Ja, als ich 1987 bei Springer angefangen habe, war der große Druckerstreik von 1984 schon Geschichte. Aber es gab noch eine grundsätzliche Kampf- und Streikbereitschaft und das Bewusstsein, etwas durchsetzen zu können. Es gab aber keine systematische Ansprache von uns neuen Azubis auf Mitgliedschaft in der Gewerkschaft. Ich musste da von mir aus aktiv werden und geriet auf das Treffen der IG Druck & Papier Jugend, auf dem diese sich gerade auflösen wollte, weil sich die Teilnehmenden alle als zu alt empfanden. Den Ortsverein in Ahrensburg, fast identisch mit der Betriebsgruppe von Springer in Ahrensburg, habe ich als ziemlich verschnarchte Versammlung älterer Männer empfunden. Gewerkschaftsarbeit war da weitestgehend kooptiertes Mitregulieren von Kleinigkeiten im Betriebsablauf und Umsetzen von Ansagen der Gewerkschaftsleitung.

Aber die Auswirkungen des 12-wöchigen Erzwingungsstreiks von 1984 waren für dich spürbar?

Ja, auf mehreren Ebenen war der zu spüren. Ganz deutlich durch den erreichten Einstieg in die 35- Stundenwoche, der während meiner Lehre stattfand. Die 37-Stundenwoche wurde jedenfalls in der Zeit meiner Ausbildung in Stufen eingeführt. Auch wenn wir die 35-Stundenwoche da noch nicht erreicht haben, war die halbe Stunde weniger arbeiten am Tag für mich sehr deutlich zu spüren. Es war nicht nur die halbe Stunde mehr Zeit, ich war auch einfach weniger kaputt, um mit der Freizeit sinnvolles anzufangen.Die Forderung nach der 35-Stundenwoche war in der Gewerkschaft nicht unumstritten. Als gemeinsamer Nenner hat sie sich letztlich durchgesetzt, weil diejenigen, die lieber mehr Lohn als mehr Zeit haben wollten, darin das Potential für mehr Überstunden mit entsprechendem Zuschlag entdeckten. Aber Jugendarbeitslosigkeit war damals ein großes Thema. Die offiziellen Argumente waren selbstverständlich gerechtere Verteilung der vorhandenen Arbeit auf alle Arbeitenden und mehr Lebensqualität. Aus Klassenperspektive hätte es besser gerechtere Verteilung der gesellschaftlich notwendigen Arbeit heißen müssen.

War noch etwas von der Erfahrung von 1984 zu spüren, durch einen harten Streik eine Arbeitszeitverkürzung erzwungen zu haben?

Es gab eine Grundstimmung im Betrieb, gemeinsam etwas erreichen zu können. Ich würde das nicht als Klassenbewusstsein überschätzen. Es war eher die Erfahrung, über die Gewerkschaft Lohnerhöhungen und Arbeitsverbesserungen durchzusetzen. Dafür gab es eingespielte Rituale der Eskalationsstufen, bei denen die große Mehrheit der Arbeitenden mitmachte. Dass lernte ich als drei Stufen kennen:Zuerst spontane Betriebsversammlungen, wenn die Tarifrunde angelaufen war und in den Abteilungen die Ansage die Runde machte, sich um 13 Uhr in der Kantine zu versammeln, um sich vom Betriebsrat über den Stand der Verhandlungen informieren zu lassen.Zweite Stufe waren Warnstreiks von ein paar Stunden, zu denen während der laufenden Tarifverhandlungen aufgerufen wurde. Irgendwann wurde es dann ernst  die dritte Stufe  und es gab ein oder zwei Wochen Streik.Den Streik habe ich nur sehr bedingt mitbekommen, weil der in meinen Berufsschulblock fiel und es die Absprache gab, das es keinen Sinn macht, den Unterricht zu bestreiken. Auch die Azubis im Betrieb sollten weiter zur Ausbildung gehen. Sie durften nur in der Lehrwerkstatt arbeiten und konnten so auch die Arbeitskraft der Ausbilder binden, damit die nicht in der Produktion eingesetzt werden konnten. Das klappte soweit ich das mitbekommen habe, ganz gut, aber die Gewerkschaft insgesamt war da nicht sehr kampflustig und hat sich recht schnell geeinigt.

Wie reagierte die Kapitalseite?

Die Unternehmer reagierten auf die durchgesetzten Verbesserungen der Arbeitsbedingungen mit Tarifflucht und Auslagerung. Als ich bei Springer anfing, hatte Gruner & Jahr mit seiner Druckerei in Itzehoe gerade den Austritt aus dem Tarif erklärt und ein flexibilisiertes 4-Schicht-Modell eingeführt, mit dem die Maschinen 24/7 liefen, ohne angemessene Nacht- und Wochenend-Zuschläge zu zahlen. Zusammen mit technologischem Fortschritt bei verbesserten Offset- und Tiefdruckverfahren wurde dadurch die Produktionskapazität erhöht und Gruner & Jahr zog die einige Jahre zuvor erworbene Option, den Druckauftrag des „Spiegel“ an sich zu ziehen. Darum wurde mir zur Einstellung als erstes gesagt: Wenn ihr ausgelernt habt, geht der „Spiegel“ an Gruner & Jahr und ihr Azubis werdet nicht übernommen. So kam es dann auch. Wobei der „Spiegel“-Auftrag nur ein Teil des Grundes war, man kann sogar sagen, nur ein Vorwand.

Springer hatte genug Arbeit?

Ja, in den drei Jahren meiner Ausbildung hat Springer durchaus neue Aufträge akquiriert. Aber in den drei Jahren wurden ganz viele Arbeiten in der Druckvorstufe, wo ich ausgebildet wurde, rationalisiert Stichwort OT-Verfahren und vor allem an Kleinstbetriebe, die oft von ehemaligen Mitarbeiter*innen geführt wurden, ausgelagert. Die aktuellen Teile, die sehr genau in die redaktionellen Abläufe eingebunden produziert werden mussten, blieben im Haus, alles andere, wie etwa die in der Produktion aufwändigen Werbeanzeigen, wurden als Werkaufträge extern vergeben.

Rationalisierung und Auslagerung um den Profit zu erhöhen?

Als ich ausgelernt hatte, wurde rund ein Drittel der Belegschaft entlassen beziehungsweise mit Abfindungen und Vorruhestandsregelungen aus dem Arbeitsleben gedrängt. Der Betriebsrat rechnete damals vor, dass alle gehalten werden könnten, wenn die externen Aufträge wieder ins Haus geholt werden, aber die waren halt billiger, weil dort keine Tariflöhne galten und die Betriebe oft auf einer Abrufbasis arbeiteten. Einige meiner Mit-Azubis waren nach der Ausbildung bei solchen Betrieben auf der Liste. Im Betrieb stand das Gerät, wenn es einen Auftrag gab, wurden sie angerufen und auf Stundenbasis bezahlt.

Und die Belegschaft hat sich dagegen nicht offen gewehrt?

Der Widerstand im Betrieb gegen die Entlassungen war ziemlich handzahm. Wie das mit dem Betriebsrat rechtlich so ist. Das Unternehmen entscheidet, wie viele gehen müssen, der Betriebsrat darf mitreden, nach welchen sozialen Kriterien ausgewählt wird, wer gehen muss. Gelingt es ihm, die Älteren mit Abfindungen und Vorruhestandsregelungen zufrieden zu stellen und den jüngeren eine Weiterbeschäftigungsperspektive zu bieten, ist der Betriebsrat zufrieden. Auf eine echte Konfrontation wollten sie sich nicht einlassen und ich vermute, die Belegschaft war dafür auch nicht geschlossen genug. Entsprechend angespannt waren die freigestellten Betriebsräte und meine Auseinandersetzung mit dem Personalchef über meine Übernahme musste ich vor Ort nahezu alleine austragen.

Hattest du einen Rechtsanspruch auf Übernahme?

Als Mitglied der Auszubildenden- und Jugendvertretung, der an Betriebsratssitzungen teilgenommen hat, hätte der Betrieb mich eigentlich auf mein Verlangen übernehmen müssen. Aber der für mich zuständige Freigestellte weigerte sich offen, an dem Gespräch als Zeuge teilzunehmen, weil er nicht ins offene Messer laufen wollte. Der für Drucker zuständige Freigestellte ging dann doch noch mit. Unter den Bedingungen, keinen Rückhalt zu haben, habe ich mich dann letztlich auch mit Geld abfinden lassen aber dabei immerhin den Preis von zuerstangebotenen 2.500 auf 10.000 DM hochgetrieben. Insgesamt herrschte beim Springer Verlag, nachdem der Gründerchef Axel Springer gestorben war und das ganze zur Aktiengesellschaft geworden war, bei vielen die Vorstellung vom guten alten Springer, der familiär-patriarchal für das Wohl seiner Arbeiter gesorgt habe. Der neue neoliberale Ton im Betrieb wurde dem Wandel zur Aktiengesellschaft zugeschrieben: Die buchhalterische Aufteilung in Crop-Center, also jeweils für sich profitabel arbeiten müssende Abteilungen, gerade auch in Konkurrenz zu anderen Abteilungen gerechnet, setzte jede Abteilung unter Druck, für sich Gewinn abzuwerfen, sonst wurde ausgelagert, wie ich es schon geschildert habe.

Keine guten Aussichten für Gegenwehr

Klassenbewusstsein gab es nur noch vereinzelt. Das hing sehr von der Abteilung und dort auch noch der Schicht ab. Ich erinnere mich, dass es eine Schicht in der Montage gab, der Abteilung, wo Text und Bild zur Vorlage für den fertigen Druckbogen zusammengefügt werden, wo es Mitglieder der DKP, der Deutschen Kommunistischen Partei, gab, die mit mir als Lehrling politische Gespräche anfingen. Und es gab eine Schicht in der Elektronischen Bildverarbeitung, die kämpferisch war und mich bei meinem Kampf um die Übernahme unterstützte. In der Elektronischen Bildverarbeitung war es vor allem eine Genossin, die auch Betriebsrätin war, aber nicht freigestellt, die mir mal erzählte, dass sie früher als sie bei Broschek Druck gearbeitet hat, Mitglied im KB, dem Kommunistischen Bund war, deswegen sie zuerst aus der Gewerkschaft ausgeschlossen und dann vom Betrieb entlassen worden war. Aber dann konnte sie bei Springer anfangen zu Arbeiten. Im KB war sie zu dem Zeitpunkt aber nicht mehr. Jedenfalls war das eine Schicht wo alle dahinter standen, dass alle Azubis zumindest für drei Monate übernommen werden sollten, um einen ordentlichen Start ins Berufsleben zu haben und die sich trotz Produktionsdruck nicht davon abbringen ließen, den Azubis was zu zeigen und beizubringen.

Gedanken zu Klasse und Kampf

Die Klassenverhältnisse sind nicht verschwunden, sondern entrechteter und flexibilisierter worden. Dass es kaum kollektiven Klassenkampf von unten gibt ist kein Grund, den antagonistischen Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit zu übersehen.

Sicher habe ich einiges vergessen von den frühen Einführungen in die Kritik der politischen Ökonomie, von den Schulungstexten „Lohn, Preis, Profit“ und „Lohnarbeit und Kapital von Karl Marx, die wir in den Jugendgruppen des Kommunistischen Bundes gemeinsam gelesen haben, aber die eigene Erfahrung nicht. In der Grafischen Jugend haben wir während meiner Lehre und später der Arbeit als ausgelernter Drucker über ein Verbot der Nachtarbeit in der Druckindustrie gesprochen. Die Studierenden in meiner WG haben die Probleme durch die Dreischichtarbeit nur ansatzweise verstanden. Wenn sie lange frühstücken wollten, war an Schlaf nicht zu denken. Für sie waren meine Arbeitsbedingungen einfach außerhalb ihrer Vorstellungswelt. Dabei kellnerten oder jobbten sie selbst auch.

Meine Lehre und Arbeit als Drucker war das eigentümliche Gegenstück zu meinen späteren Arbeitserfahrungen in linken Verlagen und Zeitungen. Während in der Druckerei darauf geachtet wurde, die Arbeitskraft möglichst teuer zu verkaufen und politische Fragen darüber hinaus kaum eine Rolle spielten, so ging es in den alternativen Betrieben nur um politische Fragen, ohne den Verkauf der Arbeitskraft zu thematisieren. Eine Hinterfragung der durch die Besitzverhältnisse determinierten Entscheidungsstrukturen habe ich bisher nicht erlebt. Meine Lohnarbeit begann in einer Phase des Rollbacks in fast allen Bereichen, nachdem es in den 60iger Jahren in der Hochphase der fordistischen Massenproduktion gerade an den Fließbändern eine Phase der Revolte und der harten, auch wilden Streiks quer durch Westeuropa gab. Und parallel Aufbrüche im Gender, im universitären, (sub-) kulturellen Bereich und in der Reproduktion. Die Lohnquote am gesellschaftlichen Eigentum stieg, es gab eine Umverteilung von oben nach unten. Auch deswegen forcierten die Kapitalbesitzenden den durch die Entwicklung der Mikroprozessoren technisch plötzlich möglichen Umbau weg von der fordistischen Großserienproduktion für Standardmilieus hin zur postfordistischen Kleinserienproduktion für sich auch dadurch im Konsum ausdifferenzierende Submilieus: Weg vom reinen Taylorismus, hin zur Kombination von Fließband und Gruppenarbeit. Weg vom tarifvertraglich regulierten Normalarbeitsverhältnis hin zur Spannbreite vom prekären Teilzeitjob bis zur ausgebauten privilegierten Innovationsmittelschicht. Die Klassenverhältnisse sind dabei nicht verschwunden, sondern entrechtet und flexibilisiert worden. Weg vom nationalen Markt hin zum globalisierten kapitalistischen Weltsystem, mit seinen immer schon existierenden, mittlerweile aber stark ausgebauten Produktions- und Wertschöpfungsketten über Grenzen hinweg. Klassenkampf macht so nationalstaatsbezogen keinen Sinn mehr, sowohl das Zusammenfließen der Klassenkerne als auch der Kämpfe hat immer auch eine transnationale Ebene. Durch die technologische Entwicklung wurde eine Internationalisierung von Produktionsabläufen möglich, mit der von den Besitzenden der Produktionsanlagen eine extreme Zunahme von entgrenzter Konkurrenz durchgesetzt wurde: Mit der zunehmenden weltweiten Standortkonkurrenz zwischen den nationalen Wettbewerbsstaaten wurden funktionierende nationale Absatzmärkte und deren Stabilisierung durch garantierte Lohnquoten und Sozialstaat überflüssig. Austeritätspolitik und Deregulierung ermöglichten auch in den kapitalistischen Metropolen den Ausschluss ganzer Bevölkerungsgruppen aus der gesellschaftlichen Teilhabe, wie sie bis dahin nur in den Staaten der Peripherie im Süden üblich war. Durch die Entgarantierung traditioneller Lohnarbeitsverhältnisse in Vollzeit brach auch die Rolle des Familienernährers auf. So kam es nicht nur zur materiellen Verunsicherung der männlichen weißen Facharbeiter, sondern auch zu neuen flexiblen Chancen für Frauen, Eingewanderte, Minderheiten, niedrig wie höher Qualifizierte im Bereich der Lohnarbeit.

Dass diese Chancen genutzt werden, ist nicht die Ursache der Abwertung der männlichen weißen Arbeiter. Ebenso wenig wie ein nebulöser „Neoliberalismus“: Ein Begriff wie ein Feindbild, der nicht politökonomisch hergeleitet wird, sondern mit Ressentiments gegen „die da oben gegen die „ein Prozent, die „Eliten einhergeht. Und von einer ideologisch motivierten Trennung von produktivem Industrie- versus spekulativem Finanzkapital ausgeht, die es in der grausamen politökonomischen Realität nicht gibt. Charakteristisch sind die fließenden Übergänge zwischen Industrie- und Finanzkapital. Antikapitalismus braucht eine radikale Kritik der politischen Ökonomie, die auf der Ablehnung der Lohnarbeit und des stummen Zwanges in sie basiert. Es gilt, Verteilungskämpfe innerhalb des Kapitalismus, darum, sich möglichst teuer zu verkaufen, nicht als den ganzen Klassenkampf zu verstehen. Es ist bestenfalls der Halbe und wird erst dann eine runde Sache, wenn in die Verteilungskämpfe das Aufbegehren gegen die Lohnarbeit, gegen Ausbeutung, Entfremdung und Zwang eingeschrieben ist. Sonst sind es legitime, notwendige, aber nicht an den notwendigen Bruch mit dem Kapitalverhältnis anschlussfähige Verteilungs-, gegenwärtig meist Abwehrkämpfe. Klassenkampf ist nicht denkbar ohne die Absicht, die Klassenverhältnisse positiv in einer ausbeutungsfreien Gesellschaft aufzuheben. Dies im Bewusstsein darum, dass die Arbeiterklasse in Deutschland im Nationalsozialismus negativ in die Volksgemeinschaft der Täter*innen der Shoah überführt wurde. Die Arbeiterklasse für sich oder Fragmente von ihr kann und können sich nach dieser Geschichte nur als sozialer Prozess neu konstituieren, mit einer transnationalen, antideutschen und antiherrschaftlichen Ausrichtung. Die Vorstellung einer statischen Klasse, wie sie im Arbeiterbewegungsmarxismus verstanden wird, ist obsolet. Traditionelle Linke behaupten gerne die Existenz „der“ Klasse für sich, um etwas zum vertreten zu haben, eine Legitimation für ihre Stellvertreterpolitik. Eine Arbeiterklasse für sich, als politisches Subjekt der Befreiung, als Selbstermächtigung, ist aber nur punktuell als verdichtetes Kräfteverhältnis möglich, nicht als quasi institutionalisierte soziale Einheit. Arbeiterklasse als politisches Subjekt hat und ist keine unveränderliche Essenz, sondern kann im Moment des Ausbruchs, des widerständigen sich Findens zusammenkommen, eine kritische Masse werden. Hilfreich können dafür Organisationen sein, Träger*innen von Flaschenpost voller Erfahrungen aus Kämpfen und der marxistischen Kritik der politischen Ökonomie – antagonistischer Theorie.

Klassenkampf ist nicht mit einer kapitalismusimmanenten Zielvorstellung denkbar. Durch die Perspektive des Bruchs mit der Kapitalverwertung an sich, durch sein revolutionäres Moment ist Klassenkampf an den Bruch mit dem umweltzerstörerischen Wachstumsfetischismus der Kapitalverwertung anschlussfähig. Der Kampf gegen die Lohnarbeit kann mit dem Kampf gegen die Klimazerstörung zusammengehen, wenn beides radikal gedacht wird. Sonst nicht. Gegen die Vernutzung der Natur, gegen die Vernutzung der Lohnarbeitenden. Das Eine macht ohne dass Andere auch keinen Sinn.

Wichtig ist dabei, Befreiung von der Lohnarbeit und der Naturzerstörung von unten heranzugehen. Nicht über die Apparate von Wahlparteien, welche durch die Parlamentsarbeit dominiert werden, sondern über soziale Bewegungen von unten, über radikale, organisierte Kerne in ihnen. Gaston Kirsche