das trifft sich gut. Hier kommt noch ein Fundstück und kein Rundstück. Gefunden nach dem Motto, man soll keinen Kalauer, der sich bietet, auslassen. Ebenfalls aus bereits genanntem Buch »Fallobst« von Hans Magnus Enzensberger auf den Seiten 57 + 58 + 59. Die Überschrift darf Dich nicht verwirren. Das Buch und der Film haben andere Titel.
Ach uebrigens Eugen, hier ist noch etwas, was Du sicher gar nicht wissen wolltest. Die Uebersetzung aus dem Duden aus Leipzig von 1984. Da war die Duden Redaktion noch in den Haenden des Volkes = VEB (Volkseigener Betrieb) auf Seite 51: Anarchismus=, der _, (jede staatl. Organisation ablehnende, kleinbürgerl., antimarxist. Ideologie) (grch-lat) . Hab ich doch gewußt, daß Du das gar nicht wissen wolltest! J.
Hallo Eugen, seit Montag weiß ich, auch in „Tote schlafen fest“, gibt es einen Packard. Nicht nur in Barcelona. Aber diesen Packard sieht man nur ganz kurz, als er bei Tagesanbruch aus dem Fluß gefischt wird. Und der Fahrer ist noch drin, aber das wird nur gesagt und nicht gezeigt, J.
Hallo Eugen, ich habe nachgedacht, was nicht oft vorkommt. Aber manchmal eben doch. Herausgekommen ist: Die Deutsche Demokratische Republik (DDR) war das Beste was den westdeutschen Arbeitern der Bundesrepublik Deutschland (BRD) passieren konnte. Die Abschaffung der DDR war ein Desaster. (VEB Duden aus Leibzwick von 1984: Desaster= schweres Mißgeschick; Zusammenbruch, Seite 119), das ist genug Erkenntnis für einen Tag. LG., J.
Hallo Eugen, beim Stöbern ist mir grade ins Auge gesprungen: „Glücklicher Weise weiß die Polizei, wem der Staat gehört, und so geht sie, wenn Amazon in dritter Parkreihe die Innenstadt sperrt, Radfahrer jagen.“ Ich fand, das mußte mal abgeschrieben werden.. Du ahnst nicht, wo. Und deswegen verrate ich Dir das gleich. Natürlich aus dem Club der toten Dichter. Es kommt aus dem Text von A wie Adorno bis Z wie Zalando. Auf Seite 9 der Konkret aus dem November Heft von 2019 und ist von Hermann L. Gremliza. Es war eben doch nicht alles schlecht, was der so geschrieben hat. Aber sicher kein Grund, mit der Herausgabe seiner gesammelten Werke zu drohen, Lg. J.
Vierundundzwanzig Elektronische Briefe an und von Wiebeke
1) Hallo Jens, nein, ich meinte nicht, dass du das Foto nicht haettest online stellen sollen, nur stell bitte diesen Namen nicht rein. Ob MICS tatsaechlich dieser Michael Schaaf ist, ist ja halb geraten. Und mir waere es unangenehm, wenn das Foto aufgrund einer fuenfminuetigen Internetrecherche jemandem zugeschrieben wird, der es nicht gemacht hat. Oder jemandem, der tot ist, waehrend der tatsaechliche Fotograf noch lebt. Apropos tot, hast du denn anlaesslich des Todes deines Helden Belmondo eine Gedenkminute eingelegt? L.G. Wiebeke
2) Hallo Wiebeke, nein. Einen Gedenkabend. Bei Arte waren sie ganz schnell und haben erst einen ganz alten Belmondo Film gezeigt (2 Std.), den ich noch nicht kannte und dann einen Belmondo Film, den ich zwar kannte, aber nie im Kino gesehen hatte und der sehr komisch war. Der ist von Philippe de Broca. Im Original: „Les tribulations d’un Chinois en Chine“, der deutsche Verleihtitel war: „Die tollen Abenteuer des Monsieur L.“. Der Titel hatte mich 1965 wohl nicht angesprochen. Und auf meinem Fernseher kann sich die Leistung auch nicht richtig entfalten, aber es gibt eine Ahnung davon, das das moeglicherweise ein sehr guter Kinofilm gewesen war. Eben hatte ich das Foto von der Werft wieder runtergenommen und gleich schwupps mach ich es gleich wieder rauf, weil Svea gesagt hat, bereits beim ersten Mal der Veroeffentlichung ist das Copyright schon verletzt. Uebrigens hat sich der Herr aus Neuseeland, obwohl mit einem wunderbaren Brief bedacht, geschickt mit der herkoemmlichen Post, niemals bei mir gemeldet und schwupps waren die Fotos mit der cc Lizenz im Beipack vom Civic Kino der Fotografin Julia Kuttner aus Takapua auch schon hochgeladen. L. G. Jens
3) Hallo Jens, ich fuehle mich geehrt. Auch wenn ausser dir und mir natuerlich niemand weiss, dass ich das bin. Du konntest auf dem Foto nicht lesen, dass das „Gr. Marienstraße.“ heisst? Das kann ja sogar ich lesen und ich bin dreimal an den Augen operiert. Und sag mal, wieso hast du den Eintrag fuer Raupert im Hamburger Adressbuch gefunden; die Grosse Marienstraße war doch in Altona? Und die letzte Frage: Was heisst denn LGB? Ich kenne das nur als Abkuerzung fuer „Lesbian, gay, bisexual“ und wuerde mich doch sehr wundern, wenn das in diesem Zusammenhang gemeint waere. L. G. Wiebeke
4) Hallo Wiebeke, ja, so soll es sein. Lesen? Das Wort heisst „ahnen“ und das auch nur, weil in der Bildunterschrift ja nur ein kurzes Wort auftaucht. Johannesstraße hat acht Buchstaben und Marienstraße nur sechs. (Das Wort Straße ist ja bei beiden gleich lang). Die Adressbuecher bei Agora sind alle unter Hamburg geordnet. (Da steht dann immer heutiges Gebiet, ohne den Hinweis, wem das zu verdanken ist), aber Du hast natuerlich recht: Ich habs im Altonaer Adressbuch gefunden. Aber das Du die LGB nicht kennst! Wenn Du als Junge diese Erde betreten haettest, dann waere das nicht passiert. Jeder Junge der damals in meinem Alter war, kannte die LGB.. Das war die Alternative zu den eingebildeten Schnöseln. Die hatten [weil ihre Eltern so reich waren und sie selbst zu Angebern erzogen werden sollten], immer die Nase oben und hatten den Mercedes der Modelleisenbahn: „Maerklin“. Die war eigentlich scheisse, weil sie mit Wechselstrom fuhr und keine durchgehende Stromschiene hatte und deswegen dauernd stehenblieb, was den Angebern natuerlich egal war. Also »LGB« ist die Abkuerzung fuer »Lehmann Garten Bahn«. Inzwischen ist Maerklin zweimal pleite gegangen und fuenf mal verkauft worden. Lehmann Garten Bahn ist nur einmal pleite gegangen und jetzt an Maerklin verkauft worden. Uebrigens faehrt die heutige Maerklin auch mit Gleichstrom, das ham sie jetzt endlich verstanden. Das mit dem Hamburger Adressbuch muß ich natuerlich gleich aendern. L. G. Jens
5) Hallo Jens, er ist durch den Elbtunnel geradelt, und das Stempeln war garantiert einer der Gruende dafuer, dass er da wegwollte; das Einzige, was er von diesem Job je erzaehlt hat, war, dass er jeden Morgen zur Arbeit pedalt ist, als ob’s um den Tour de France-Sieg ginge, denn im Gegensatz zu mir ist er ein notorisch unpuenktlicher Mensch. Bei der Oper musste man auch frueh aufstehen – Schichtarbeit – aber jedenfalls nicht stempeln, und ausserdem war man da nach 15 Jahren unkuendbar, weil’s ein halbstaatlicher Betrieb war, also quasi verbeamtet. Aber bis dahin war’s ein weiter Weg; angefangen hat er als sogenannter »Deckenzwerg«, das waren die, die auf den Knien auf der Buehne rumgerutscht sind und die Teppiche festgekloppt haben. So dass ich, als ich in der 1. Klasse in der Grundschule gefragt wurde, was denn mein Vater von Beruf ist, erhobenen Hauptes sagte, „Deckenzwerg“ und die allgemeine Heiterkeit gar nicht verstehen konnte. L. G. Wiebeke
6) Hallo Wiebeke, ich bin eben noch mal vorbeigefahren und habe den aktuellen Stand von Blohm & Voss fotografiert. Es ist nicht wahr, dass beide Schwimmdocks verkauft sind. Eins haben sie noch. Vom anderen Ufer fotografiert sieht das natuerlich nicht so aus, wie auf Deinem Foto. Aber die Kraehne sind noch dieselben. Oder waren es die gleichen? L. G. Jens
7) Hallo Jens, grade nach da, das ist in der Tat lustig. Ich meine die Ehemals-Ökosan-Rechnung, nicht den fuenfseitigen Schrieb von der IFB, von dem ich mir bisher erst die ersten zwei Seiten angetan habe; man will sich ja nicht vollends die Laune verderben. Worauf fuehrst du zurueck, dass die das mit derartigen Enthusiasmus und Einsatz durchzusetzen versuchen? Man sollte meinen (ich jedenfalls), drei Fuenftel der Empfaenger*innen knicken eh ein und zahlen die Kohle auf Raten zurueck, einem Fuenftel koennen sie nix, und das verbleibende renitente Fuenftel ist die Muehe nicht wert, jedenfalls nicht, was die Summen angeht, um die es da geht. Man hat fast den Eindruck, den IFB-Federfuchsern geht selber der Arsch auf Grundeis, aber wer atmet ihnen da von hinten auf die Ohren? Und vor allem warum? Angesichts dessen, dass das alles ja sowieso (fast) unter Ausschluss der indifferenten Oeffentlichkeit stattfindet und eine gerichtliche Niederlage von dir und deinesgleichen deshalb ja nicht mal abschreckende Wirkung hat. Ich bitte um Interpretation. L. G. . Wiebeke
8) Hallo Wiebeke, falls Du also jemals einen autobiografischen Text [von einem Buch will ich gar nicht schreiben] in Angriff nehmen willst, dann solltest Du den Titel: „Mein Vater, der Deckenzwerg“ nehmen. Du koenntest es natuerlich auch mit dem Schwimmer probieren, allerdings ist „Mein Vater, der Elbdurchschwimmer“ kein Erfolgstitel, das muesste dann schon: „Mein Vater, der Atlantikdurchschwimmer“ sein. Eine Spur, die aber ins Abseits fuehrt und da willst Du ja bestimmt nicht hin. Und das alles koennte man auch „Die Tochter des Deckenzwergs“ nennen, auf Deine Schwester bezogen koennte ein Buch von ihr dann heissen: „Die Tochter des Deckenzwerges, die es einmal besser haben wollte oder sollte“ was natuerlich ziemlich lang ist. Aber lang, so scheint es mir, ist heute modern. Ich habe, da war ich aber schon in der vierten Klasse, sagen muessen, mein Vater sei Prokurist. Das, so wurde mir eingeschaerft, sei ein ziemlich wichtiger Mann, das, wie sich spaeter herausstellte auch nicht richtig war, denn er war der Prokurist einer ganz kleinen Maschinenfabrik und Prokurist war er nur geworden, weil sein Chef Wilhelm Busch [der hiess wirklich so] sich mehr mit seinen Urlaubsbreisen [Geschaeftsreisen nannte er das] beschaeftigte, als sich im Betrieb mit dem Unterschreiben von Briefen zu beschaeftigen. Wilhelm Busch haette sicher „Die Partei“ [Urlaub muss sich wieder lohnen!] gewaehlt, waehrend mein Vater, als ehemaliges NSDAP Mitglied lieber Erich Mende [ebenfalls ehemaliges NSDAP Mitglied steht zu vermuten, ich habe es nicht ueberprueft, nee passt nicht, war noch zu jung, war erst 17 Jahre alt] gewaehlt hat. Und am Sonntag haben meine Eltern zusammen im Bett die »Welt am Sonntag« gelesen. Gerade ist der Tuermer mit seiner Trompete fertig geworden und es scheint mir an der Zeit, Dich nicht laenger zu quaelen. Das war der Text zum Dienstag fuer die Tochter des Deckenzwergs und nicht der Text für die Schwester, ebenfalls Tochter des Deckenzwergs, die es einmal besser haben sollte, schoene Gruesse auch vom Erbeerschorsch. L. G. Jens
9) Hallo Wiebeke, grad habe ich Dein Foto von Blohm & Voss wieder hochgeladen und auf die Seite gestellt. Dabei ist mir aufgefallen: Man sieht den Schatten der Haende der Fotografierenden, deswegen kommt jetzt das Lied, das meine Freundin immer zitiert, wenn sie sich ueber eine Saengerin aus der DDR lustig machen will. Dann singt sie die Zeile: „Sind so kleine Haende, winzige Finger dran“ den Rest habe ich vergessen, bzw. verdraengt. Ich fand das Lied immer ganz schoen. So unterschiedlich koennen Geschmaecker sein. L. G. Jens
10) Hallo Wiebeke, ich guck ja im Moment viel Fernsehen. Am Sonntag gab es bei Arte noch mal »Fahr zur Hoelle Liebling«, den ich sehr gerne mag. Im Abspann des Filmes taucht der Name Jim Thompson auf. Das war mir frueher nie aufgefallen. Jim Thompson spielt den alten Ehegatten von Velma [Charlotte Rampling]. Es handelt sich tatsaechlich um den Autor dieser wunderbaren Buecher, den ich versucht habe, Dir schmackhaft zu machen. Und das zweite Erlebnis will ich auch nicht verschweigen. Es gibt ja diese Amis, die ueber die Weltwunder Filme machen und die dann berichten, was sie Neues gefunden haben. Darunter eben dieser Film ueber die Bauplaene der Cheops Pyramide die hundert Kilometer entfernt gefunden wurden. Auf Papyrus geschrieben. Ham sie entziffert. Ungefaehr fuenftausend Jahre altes Speichermedium. Gleichzeitig ist meine externe Festplatte, das Speichermedium der Gegenwart, von einem Brett, zwanzig Zentimeter ueber dem Fußboden liegend, heruntergefallen und ist tot. Kann nicht wiederbelebt werden. Da hatten es die alten Aegypter doch viel besser. L. G. Jens
11) Hallo Wiebeke, eben im Briefkasten: ein Brief von EWS. Ich bin jetzt mit 1.968 Kwh pro Jahr in der Stromverbrauchsgruppe A, sehr gut, schreiben sie mir aus dem Schönau-Schwarzwald. Im Vorjahr waren es 1.979 Kwh. Aber der wichtigere Brief kommt vom Bezirksamt Hamburg Mitte. Und da habe ich, was ich von der Stasi gelernt habe, den Umschlag so aufgemacht, dass mann ihn auch wieder verschliessen kann, ohne das die Betreffende oder der Betreffende es merkt. Die Nachricht ist folgende: Sie haben Briefwahl beantragt (Lob) und dabei folgende, von der Meldeanschrift abweichende Versandanschrift angegeben.„Bitte prüfen Sie die gespeicherten Angaben auf deren Richtigkeit und wenden sich bei Fehlern an die im Briefkopf angegebene Wahldienststelle. Ist der Versand an die oben genannte Adresse richtig, müssen Sie nichts weiter tun.“ Die oben angebene Adresse ist per E Mail und freundliche Gruesse schicken sie auch. Da ist mir natuerlich sofort das Zitat von Horst Urich Sass in den Kopf gekommen, als er am Flughafen Hamburg, zweimal Hamburg gelesen hatte und gemeint hatte: „Was muessen diese Idioten zweimal Hamburg schreiben!“ L. G. Jens
12) Hallo Wiebeke, die wichtigste Antwort zuerst (Die gilt natuerlich nur fuer die Jahrzehnte von 1949 – 1987): Meine Eltern, aber die sind beide schon lange tot. (1979 + 1987). Und die haben die FDP gewaehlt, weil dort die meisten von den Mitgliedern waren, deren Mitglieder sie vorher waren. Ich will nicht ungerecht sein. Meine Mutter hatte es nur bis zum Deutschen Frauenwerk geschafft. Wer nun die FDP in Hamburg waehlt, weiss man aus der letzten Hamburger Buergerschaftswahl. Die Einwohner von Blankenese. Ueberall sind sie an der Huerde der Prozente gescheitert, nur nicht die Kandidatin aus Blankenese. Ob der Adel angekauft, geliehen oder nur angeheiratet ist ― wie bei der Kekstochter in Bruessel, habe ich nicht ueberprueft. Gestern Abend jedenfalls hat es hier von Kindern (Fryday fuer Future) nur so gewimmelt, aber die Parteien schaetzen sich gluecklich, die Kinder duerfen ja noch nicht waehlen. Die Brieftraegerin muß ich in Schutz nehmen. Mir fallen bestimmt noch Argumente ein. Nur im Moment nicht richtig. Hast Du gesehen, wie Armin aus Aachen, die beiden Kinder angelogen hat? L. G. Jens
13) Hallo Jens, apropos Wahl, meine Briefwahlunterlagen sind am gleichen Tag bei mir angekommen wie der Brief, in dem nachgefragt wurde, ob es mit der Adresse auch seine Richtigkeit hat, wie bei dir. Und wenn ich nun gesagt haette, halt, nein, da ist ein Fehler drin? Diese Unterlagen waeren doch nie und nimmer ein zweites Mal rausgeschickt worden. Und weil wir hier in Sachsen-Anhalt sind, hat die Brieftraegerin diesen Brief, der nur persoenlich und gegen Vorlage des Ausweises usw. usf. ausgehaendigt werden darf, einfach in den (unabgeschlossenen) Briefkasten gestopft. Um deine Festplatte tut es mit Leid; ich hoffe, da ist nichts Unersetzliches verlorengegangen. Und mit dem Papyrus hast du natuerlich recht. Wobei aber dazu gesagt werden sollte, dass auch dieser Papyrus schon laengst vergammelt waere, wenn er irgendwo rumgelegen haette. Wahrscheinlich wurde er an einem luftdichten, staubtrockenen, abgeschlossenen Ort gefunden (z.B. einer Pyramide).
Wenn du deine Festplatten in einer Pyramide deponieren wurdest, waeren sie vielleicht nach 3000 Jahren noch so gut wie neu. Und zu guter Letzt: Wenn das ein echtes Wahlplakat waere, waere das glatt ein Grund, die FDP zu waehlen. Andere Gruende gibt’s ja nicht. Wer waehlt diese Partei, frage ich mich seit Jahrzehnten? L. G. Wiebeke
15) Hallo Wiebeke, so ging es mir auch. Aber ich glaube, da gabs auch nichts zu verstehen. Aber: schwarzweiss Fotografie und CinemaScope [und noch das Streichholzspiel 1/3/5/7 und wer das letzte Streichholz zieht, hat verloren, oder war es umgekehrt?] und ausserdem sehen die Frauen doch sehr attraktiv aus, und deswegen haben wir Jungs, die sich fuer was besseres hielten, diesen Film gerne angesehen und natuerlich auch den von Wes Anderson, wo ich mich immer gefragt habe, was diese verschiedenen Formate eigentlich sollen? Meine Doppelanfrage [bezueglich Wohnraum in Berlin] hat mich doch mal wieder in meinen Vorurteilen bestaetigt. Junge Frauen wollen alle, auch wenn kein Platz ist. Doch sobald sie die 40 ueberschritten haben, schon ist es vorbei. Bei Berlin faellt mir noch das Desaster mit den Wahlzetteln ein. Das hat aber die Titanic schon im März 1990 vorhergesagt, wie Du in der Anlage sehen kannst. L. G. Jens
16) Hallo Wiebeke, ich hab mal wieder was abgeschrieben, weil diese Fotokopien so schlecht zu lesen sind und natuerlich auch, damit die Kinder sie auch finden, falls sie denn auf die Idee kommen sollten, zu suchen. Ein Text, den Fritz Teufel [der mit der Wahrheitsfindung] mal geschrieben hat und in einem Buch erschienen ist, in dem auch andere Knackis, u. a. einer, der sich vom Anarchisten zum Realsozialisten und Schriftsteller verwandelt hat, dessen Krimis ich aber nie gelesen habe [bzw. immer nur den Anfang] [Robert Jarowoy]. Beide inzwischen in Freiheit und verstorben, jetzt habe ich doch glatt den Faden verloren und muss mal schnell zur Blutabnahme in die Praxis, wo ich schon seit 1983 bin (damals habe ich mir immer die gelben Zettel bei ihm abgeholt und war heilfroh, dass ich nicht wirklich krank war) und die zahlreiche Personalwechsel hinter sich hat [Karl Heinz Roth u.a.] und hier nun der Link auf das »Maerchen von Ali und Fatima«. L. G. Jens
17) Hallo Jens, diese Email musste ich zweimal lesen, bis sich mir erschlossen hat, wovon du eigentlich redest. Erst dachte ich, huch, ich habe ein Buch geschrieben? Das ist mir neu. Aber irgendwann fiel der Groschen dann doch. Freut mich, dass was Lesenswertes dabei ist. Aber was diesen Film betrifft: Das ist doch sehr unwahrscheinlich, dass der noch nicht auf die Muellhalde gewandert ist, oder? In welchem Format wurden solche Fernsehbeitraege denn eigentlich gefilmt? Nicht lachen, ich weiss es wirklich nicht. Die beiden Schreiben von deinem Anwalt lese ich morgen, sonst kriege ich schlechte Laune, und das will man ja nicht zum Feierabend. Ich meinerseits habe seit meiner „das kann doch nicht wirklich von Ihnen sein; ich wittere Betrug“-Email von vor zwei Monaten nichts mehr von der IFB gehoert. Aber die naechste Frechheit wird kommen; da koennen wir von ausgehen. Wie ist denn der Stand der Dinge bei D.; weisst du das? Zu deiner letzten Email: Robert Jarowoy kannte ich fluechtig, weil wir gemeinsame Bekannte hatten; schien mir ein netter Kerl zu sein, aber als Schriftsteller wenig beeindruckend. Fand ich jedenfalls. Im Gegensatz zu seinem Kampfgefaehrten Peter-Paul Zahl, mit dem ich ihn manchmal verwechsle, obwohl der eine ganz dick war und der andere ganz duenn. Gaehn. Wie dir wahrscheinlich aufgefallen ist, bin ich etwas braesig im Kopf. Ich habe den halben Tag Bilderrahmen lasiert, und jetzt ist mir schummrig vom Terpentin. Aber ich wollte nicht auch noch beim Malen und Lackieren eine Maske aufsetzen, wo man doch eh schon staendig mit so einem Kaffeefilter auf der Nase rumlaeuft. Also demnaechst mehr. Sag mal, wieso gehst du denn zum Blutabnehmen, wenn man mal fragen darf? L. G. Wiebeke
18) Hallo Wiebeke, dann fange ich mal von hinten an. Blut abnehmen, weil mein Hals irgendwie geschwollen ist und der Nachfolger von Karl Heinz Roth nach einem Blick in meinen Rachen auch nicht wußte, warum mein Hals geschwollen ist. Mit der Muellhalde, das traue ich weder dem WDR noch dem NDR noch Radio Bremen zu. Da sitzen die Gralshueter der Fernsehgeschichte, die schmeissen so was nicht weg. Den Film von Ulrike Meinhof ― Bambule ― haben sie ja auch nicht weggeschmissen und dann doch noch in irgend einem Nachtprogramm mal gezeigt. Im Studio haben sie mit großen Ampex Kameras gearbeitet, die mit zwei Zoll breiten Magnetbändern gearbeitet haben. Aber wenn sie in der Fabrik in Berlin-Kreuzberg bei DTW [nicht fuer dich aber fuer die Nachwelt: eigentlich De Te We, die Abkuerzung fuer Deutsche Telefon Werke, in Berlin 36, Wrangelstraße 100, die haben das Telefon W 48 gebaut] gedreht haben, dann sicher auf 16 mm Film, vorwiegend mit der Arri BL, aber auch mit der Aaton und der Eclair [aus Frankreich], die beide im Einsatz waren. Eine schoene Kamera. Die Eclair. Die 120 m Kassetten waren klasse. Da mußte man nicht die ganze Zeit im Dunkelsack rumfummeln, wenn man den Film in die Kassette eingelegt hat. Meist auf Umkehroriginal gedreht, manchmal aber auch mit Negativ Film. Die beiden Schreiben des Anwalts dienen eher der Erbauung und der Aufmunterung. Merkwuerdiger Weise hat bisher in Hamburg kein Sturm der Entruestung stattgefunden. Im Gegenteil. Wie ein Film von Bergmann: »Das Schweigen«. Der bescheuerte Innensenator [der aus Hamburg, nicht der aus Berlin von dem Wolfgang Neuss mal gedichtet hat: „Der Innensenator muß immer ne schnelle Fehlbesetzung sein“ oder so] laesst an der Flora immer die Beamten die Schrift uebermalen. Zugelernt haben sie nix. Und dann hat er auch noch zur Corona Rueckzahlung oeffentlich gesagt, dass die Leute, die dieses bekommen haben, ja auch in Raten zurueckzahlen koennen. L.G. Jens
19) Hallo Wiebeke, wird erledigt, ich freue mich ueber jede Begegnung mit Dir! Vorbeikommen immer! Gestern ist mir doch was Komisches passiert. Wieder ein Baustein zur Theorie des Aelterwerdens. Ich habe mit grosser Neugier das Buch, das Du mir geschenkt hast [das von den Scherben] bis zur letzten Seite gelesen. Manchmal hatte ich dabei den Eindruck, dass es sich um Wiederholungen handelt. Ich habe das meinem Gedaechtnis angelastet, da sind ja eine Menge Kenntnisse ueber Ralph und Gert Moebius angehaeuft. Irgendwie kam mir gestern die Idee, doch mal in meinem Buecherregal zu stoebern. Und siehe da, dort ist die Ausgabe von 2005 mit einem anderen Umschlag, den selben Texten und zehn Seiten dicker und sonst identisch, nicht mal die Schrift wurde veraendert. Das die Ausgabe etwas anders ist, kommt daher, das einige Bilder hinzugefuegt wurden. Wer haette das gedacht? Ich jedenfalls nicht. Den einen Text, den ich doof fand in der Neuausgabe, fand ich auch schon in der letzten Ausgabe doof, aber diesmal habe ich drei Seiten mehr gelesen, bevor ich abgebrochen habe. Jetzt kommt noch der Satz ueber Mae West, deren Auftritte in den verschiedenen Filmen ich immer sehr gemocht habe. Da hat jemand ueber sie geschrieben . . . „Sie verliert ihren gut Ruf den sie nie vermisst“. L. G. Jens
20) Hallo Wiebeke, der Brief ist im Kasten. Der Briefkasten, den ich sonst immer benutze, ist seit die gegenueber liegende Kirche in einen Laden umgebaut wird und sie deswegen den Briefkasten beseitigt haben, also der Briefkasten am Michel ist nicht mehr . . . wo war ich stehengeblieben? Ach ja, also der Briefkasten [grosse Version] auf dem Großneumarkt [versteckt hinter Hamburgs schoenster Litfaßsaeule], der hat mein Vertrauen nicht erringen koennen, weil er so voll war, dass man die obersten Sendungen gut haette entnehmen koennen. Also ich habe den genommen, der hundert Meter weiter im Alten Steinweg vor der Wirtschaftsbehoerde steht. Der soll ebenfalls um 16.30 Uhr geleert werden. Ich werde das jetzt nicht ueberwachen. Viel Spass beim Lesen, manchmal macht ja auch die Beamtensprache Freude in ihrem Unbeholfensein. L.G. Jens
Ps: Da faellt mir noch das Weihnachtsgedicht fuer die Beamtenkinder ein: „Der Gabentisch ist oed und leer, Die Kinder gucken bloed umher, Da laesst der Vater einen krachen, So kann man auch mit kleinen Sachen Beamtenkindern Freude machen“. [G. Klaut bei Dorle K.]
Mit dem Krachen ist ein bestimmter Laut gemeint, den der Vater [Beamter = Sesselfurzer] mithilfe einer seiner Koerperoeffungen zu Stande bringt.
Aber das kannst Du ja nicht wissen, weil Du kein Beamtenkind gewesen bist. Um den Rassismus rauszukriegen kann man auch was anderes einsetzen. Reimt sich auch mit: Arbeiterkindern -, Angestelltenkindern und Tischlerkindern usw.
21) Hallo Jens, das finde ich super. Zum einen, dass ich dir was geschenkt habe, das du schon hast, ohne dass du’s gemerkt hast, und zum zweiten, weil es einen Jahrmarkt der Moeglichkeiten fuer weitere Geschenke eroeffnet: Zu deinem 90. schleiche ich mich in deine Wohnung, stehle ein Buch, von dem ich weiss, dass es dir gefallen hat, mache einen neuen Umschlag und Geschenkpapier drum, und voilà. [Fremwoerterbuch = sieh da!]. Das erinnert mich ein bisschen an die Leute ― du kennst bestimmt auch welche ― die sich nie erinnern koennen, dass sie einen Film schon mal gesehen haben. 70 Minuten sitzt man mit ihnen vor der Glotze, Dramen spielen sich ab, Ehen gehen in die Brueche, Autos fliegen in die Luft, und in der 71. Minute sagen sie ganz langsam: „Ich glaub, den kenn ich schon.“ L. G. Wiebeke
22) Hallo Wiebeke, das klingt ja ganz traumatisiert. Man spuert die Gedanken, die Dir dabei durch den Kopf gegangen sind. Da faellt mir sofort die Geschichte von dem Kind (weiblich) ein, das nach ihrem Berufswunsch befragt wird und es, wie aus der Pistole geschossen antwortet: Lehrerin! Auf die Frage warum, kommt die Antwort: Dann kann ich Kinder zwiebeln! Was natuerlich uebersetzt heisst: Kinder quaelen. Ich hab das nur hier hingeschrieben, weil ich natuerlich annehme, dass Du noch nie Kinder gequaelt und noch nie den Wunsch gehabt hast, dieses zu tun, was ich von mir aber nicht behaupten kann. Uebrigens zu dem Scherben Buch mit dem neuen Umschlag und Deiner Receycling Idee der Wiederaufarbeitungs-Verwertung ist mir aufgefallen, das es sein koennte, das das Buch doch nicht so gut ist, wie ich erst angenommen hatte. Und zwar aus folgendem Grund: Buecher, die ich vor 15 Jahren gelesen und fuer gut befunden habe, wuerden mir, trotz fortgeschrittenen Alters, sofort in Erinnerung kommen, Alzheimer her oder hin. Da dies bei selbigen Buch nicht der Fall ist, laesst mich auf die Idee kommen, dass es damals bei mir keinen bleibenden Eindruck erzeugt und hinterlassen hat. Bei der »Insel des zweiten Gesichtes« [fuer die Nachgeborenen von Herrn Albert Vigoleis Thelen] ist das ganz anders. Alle Saetze, die Du der Lehrerin [oder dem Lehrer] in den Mund gelegt hast, sind sehr glaubwuerdig. Nur Dein letzter Satz sorgt fuer Irritationen. Als ich noch Lehrer in der Schule selbst erlebt hatte, haben sie niemals die Seitenzahl, die ausreichend sein sollte, angegeben, sondern immer nur die Zeit, die zur Verfuegung stand. Heute morgen habe ich [extra nur fuer Dich] Deutschlands [oder vielleicht Hamburgs] schoenste Litfasssaeule und den Briefkasten, in den ich immer die Briefe werfe, die ich an Dich schicke, fotografiert. L. G. Jens
23) Hallo Jens, das ist doch gar nicht maennerfeindlich, hoechstens eltern- oder trinkerfeindlich. Ich versteh das so, dass Mama hingefallen ist, weil sie auch schon stramm ist. Das waer doch mal ein Gedicht zum Interpretieren im Deutsch-Leistungskurs: „Wie kontrastiert der Autor das Verhalten der beiden Eltern? Laesst seine Schilderung Rueckschluesse auf seine eigene Haltung zu den Ereignissen zu? Welche Reaktion will er damit beim Leser hervorrufen? Und handelt es sich hier Ihrer Meinung nach um eine individualistische Zustandsbeschreibung oder um einen gesellschaftskritischen Kommentar? Mindestens 4 Seiten, bitte.“ L. G. Wiebeke
24) Hallo Jens, danke! Ich fuehle mich geehrt, dass ich persoenlich die Adressatin dieses Aufsatzes bin. Und das ist schon die 11. Epistel? Da habe ich einige der ersten 10 moeglicherweise verpasst. Das wird nachgeholt. Eine Ergaenzung zum Thema „Mobiltelefone in Drehbuechern“: Ich habe letztens ein Interview mit einer Krimiautorin gelesen, in dem sie Folgendes sagt – ich uebersetze aus dem Stegreif: „Mehr und mehr Krimis spielen in der Vergangenheit wegen dieser verdammten Mobiltelefone. Ein immer groesserer Teil der Ermittlungen gruendet sich auf Technologie. Aber die zwischenmenschliche Ebene, die uns an Krimis fasziniert, bleibt auf der Strecke. Man muss nicht mehr fuenf Leute verhoeren, um herauszufinden, wo Joe in der Nacht vom 15. auf den 16. war. Man verfolgt einfach sein Handy. Vor zehn oder zwanzig Jahren, wenn A seine Ex-Freundin gesagt hat, er war nicht bei ihr, und Joe sagt, er war bei ihr, wer hat dann gelogen? Will sie ihn in Schwierigkeiten bringen? Aber jetzt heisst es: „Wir haben Joes Handy. Bei ihr war er nicht.“ Das gilt fuer Fernsehkrimis sicher nicht im gleichen Masse wie fuer Kriminalromane, weil nicht-zeitgenoessische Drehorte das Budget in die Hoehe treiben. Aber ich fand es einen interessanten Gedanken. Ebenfalls interessant ist die Bildsprache, die sich in Krimis und Thrillern um den Einsatz moderner Technologien herum entwickelt hat. Von den Boesen oder einem Geistesblitz getrieben hechtet der Held zum naechstgelegenen Computer, um irgendwas rauszufinden, was die Handlung vorantreibt ― vorzugsweise naechtens in einem dunklen Buerohochhaus ― und wildes Rumgetippe auf einer Laptoptastatur macht natuerlich sowohl optisch als auch akustisch wesentlich weniger her als eine ordentliche Verfolgungsjagd.
Also muss Schweiss auf der Stirn her, blaeuliches Licht, ominoeses Gepiepe, blinkende Grafiken und Passwoerter in 36-Punkt, damit auch die Zuschauer zuhause sie gut lesen koennen. Okay, genug Kulturkritik fuer heute. Bis demnaechst.
Hallo Wiebeke, die Zeiten ändern sich tatsächlich. Habe ich gestern bemerkt. Beim traditionellen Weihnachtstreffen der Familie. Sieben große Tafeln Schokolade der Firma Lindt, die mit Nüssen und 300 Gramm schwer hatte ich (der Opa) mitgebracht. Sieben Kinder wurden erwartet, aber es kamen nur fünf. Den anderen Kindern war ein Familientreffen wahrscheinlich zu langweilig gewesen. Erst nachdem alle Kinder nach der Bescherung auch vom Gemüse genascht hatten, kam Opa mit seiner Schokolade zum Einsatz. Ein alter Trick, wie man sich in das Gedächtnis der Kinder einschleichen, einschleimen kann.
Einem Onkel von mir war dies auf diese Weise vor 70 Jahren geglückt. Allerdings nicht in der Weise, in der er sich das selber vorgestellt hatte. Er war Mitglied der Gewerkschaft, welcher, weiss ich nicht, wohnte in Barmbeck und arbeitete bei der GEG, bzw. der Produktion, wie die Firma hieß. Wir Kinder nannten ihn Onkel Guschi. Vermutlich hieß er Gustav. Die Gewerkschafter hatten damals eine eigene Schokoladenfabrik. Meistens machten sie BABETTE Schokolade, aber manchmal auch Sarotti. Ich glaube, der genannte Onkel war in der Wurstfabrik der GEG.
Nach dem Genuss einer dieser Gewerkschaftprodukte, die er aus der GEG mit nach Hause gebracht hatte, wurde mir ziemlich schlecht und ich mußte mich, wie es vornehm genannt wurde: erbrechen. Kotzen, haben wir es genannt. Ob es die vergammelte Schokolade oder die vergammelte Wurst war, habe ich damals nicht herausfinden koennen. Jedenfalls kam beides als Kotze ans Licht.
Was das mit der Zeitenänderung zu tun hat? Ganz einfach. Dazu ist wichtig, das Du weißt, auf welche Weise meine Lindt Schokoladen an die Enkel gelangt sind: Ich habe jedes Kind genötigt, die große Schokolade selbst aus einem Beutel herauszuholen, den ich in der Hand hielt. Insgesamt sind so fünf Tafeln an ihre Empfänger und Empfängerinnen gelangt. Zwei Tafeln wurden den Eltern überreicht, die mir vorher ein Gelübde ablegen mußten, das die zwei Tafeln auch wirklich den betreffenden Personen übereignet werden.
Am nächsten Tag hat die Oma mich telefonisch erreicht und mir mitgeteilt, dass drei Tafeln der Schokolade in ihrer Wohnung verblieben waren, vergessen wurden. Zwei vergessene Tafeln kann man leicht erklären: Mit dem Stress der Eltern beim Aufbruch und dem abgelegten Gelübde. Sie wußten um die Versuchung, derer sie ausgesetzt gewesen wären und haben die zwei Tafeln deswegen einfach vergessen.
Bleibt eine Tafel übrig, die von einem Kind vergessen wurde. Und in dieser Hinsicht haben sich die Zeiten tatsächlich geändert. Vor siebzig Jahren hätte kein Kind eine Schokolade vergessen. Das gab es nicht. Und nun kommst Du.
Apropos vergessen: Heute konnte man, zum ersten mal seit drei Jahren, wieder 2,5 Tage lang, Silvester Böller kaufen. Aber Raketen wie früher gibt es nicht mehr. Sie wurden umbenannt und heissen jetzt, wie auf dem Budni Kassenbon vermerkt: Com. Goldglanz. Das hättsde jetzt nicht gedacht, wa?
Übrigens bin ich mit meinen Untersuchungen, wie man mit dem Tellerwaschen Millionärin werden kann, ein Stückchen weiter gekommen.
In dem Sinne, dass ich die Wohnanschriften der Famlie Kramp in der fraglichen Zeit herausgefunden habe. Wieder mit Hilfe des Scherl Adressbuches von Berlin. Ziemlich unwahrscheinlich was da von Biografen immer wieder erfunden wurde. Sogar angeblich seriöse Quellen (Munzinger) werden dadurch unglaubwürdig. Munziger schreibt, sie sei in Neukölln geboren, also im Süden von Berlin, wo doch die Familie Kramp im Norden von Berlin ihren Wohnort hatte. Berlin Rudow, oder Berlin Neukölln ist der Geburtsort von Ilse Kramp? Ziemlich unglaublich.
Die Wohnungen, in denen die Familie Kramp in den Berliner Adressbüchern der Firma Scherl auftaucht, befinden sich mehr im nördlichen Teil von Berlin. Kaum zu glauben, dass eine Pianistin, ihre Mutter, weite Reisen unternimmt um einer Nebentätigkeit als Stummfilmbegleiterin nachzugehen. Ilse war als Name in meiner Kindheit verpönt. Unser Reim: Ilse bilse, keiner willse, kam ein Koch, nahm sie doch! Auch der Beruf des Kochs war verpönt. Wer eine Klassenarbeit mit einer fünf nach Hause brachte, dem wurde empfohlen: werd Bäcker, oder auch: werd Steineklopfer. Damit waren aber nicht die Steinmetze genannt, die die Grabsteine mit Buchstaben versehen, sondern die Menschen, die die Straßen gepflastert haben.
Die Anschriften des Briefträgers, im Scherl Adressbuch von 1918, nennt er sich Hermann Kramp mit der Berufbezeichnung: »Ob. Postschaffn.« und ist verortet in Berlin N 65, in der Transvaalstr. 18 im vierten Stock. 1931 findet er sich wieder auf Seite 1741 des selben Scherl Adressbuches als: Kramp, Hermann, Postsekr., im gleichen Bezirk: N 65 in der Glasgower Str. 6. Diese Strasse wird auch in dem Spiegel Artikel von 23. Januar 1957 genannt. Die Hausnummer wird in dem Spiegel Artikel nicht genannt.
Dort hat auch Ilse Kramp gewohnt, bis sie 1938 die Ehe mit Hans Wilhelm Kubaschewski eingegangen war und mit ihm die Wohnung im Bezirk NW 87, in der Händelallee 14 bezogen hatte. Der Scherl vermerkt als Besonderheit mit einem Versal T, das die Wohnung ein Telefon (T) hat. Die Telefonnummer wird dort aber nicht genannt. In diesem Haus gibt es auch ein Büro: Die „Filmtheater Betriebsgesellschaft Kramp & Co“, ebenfalls mit einem Telefon. Der Eintrag befindet sich in dem Adressbuch der Firma Scherl von 1939 auf Seite 351.
Auf dem Grabstein sind dann alle wieder versammelt. Der Stein von oben nach unten gemeisselt: Ilse Kubaschewski, Hans W. Kubaschewski, Hermann Kramp (Vater), Maria Kramp (Mutter), Erich Kramp (Bruder), Gerda Kramp (Schwester) und ein Heinz Steckel, wer immer das auch ist. Der vermutlich Letztgestorbene hat diesem Steinmetz die entsprechenden Anweisungen hinterlassen. Doch in welchem Kino Ilse sozialisiert wurde, hat Ilse offensichtlich mit ins Grab genommen. Nur damit Du nichts falsch verstehst: Die Bezeichnungen: Vater, Mutter, Schwester und Bruder sind natürlich nicht auf dem Grabstein mit eingemeisselt.
Vergessen hatte ich den sauberen Gatten von Ilse: Der angebliche „Fillialleiter“ der UFA, der immerhin Vorgesetzer von 34 Angestellten der Berliner „Filiale“ war. Während die Hamburger UFA „Filiale“ nur zehn Angestellte hatte, wie die Lichtbildbühne vom 27. Juli 1938 preisgibt. In dem Buch von Curt Riess: „Das gabs nur einmal“ schreibt dieser über Kubaschewski, das Pg Kubaschewski politisch und charakterlich einwandfrei gewesen sei, was man vor allem deswegen bezweifeln kann, weil Curt Riess das gar nicht wissen kann, weil er in dieser Zeit im Ausland weilte. Nicht ohne Grund weilte er dort. Als Jude war er vor den Nazis aus Deutschland geflüchtet. Bleibt nur anzumerken, das Adolf Eichmann „seine“ SS Leute ja auch gelobt hatte, das sie bei der Ermordung der Juden „anständig“ geblieben seien.
Als jedenfalls Hans W. Kubaschewski 1952 den Auftrag gab, die Nazis aus dem Film »Casablanca« zu entfernen und aus dem Widerstandskämpfer Viktor Laslo den Strahlenforscher Viktor Laslo zu machen war Pg. Hans Wilhelm Kubaschewski schon Generaldirektor der Warner Bros. Deutschland.
Die Kombination von Ilse und Hans war übrigens sehr einträglich. In den Biografien von Ilse Kubaschewski tauchen die Geldquellen aus ihrer Anfangszeit auf: Die Abfindung als Chefdisponentin der Firma Siegel in Höhe von 100 TRM, die ihr der „Reichsbeauftragte für die deutsche Filmwirtschaft“ Max Winkler von der Cautio verschafft hatte. Nur damit Du nicht nachgucken mußt: Die Cautio war die Tarnfirma des Propagandaminsters Joseph Goebbels. Gezahlt wurde, als Joseph Goebbels den Filmverleih von Siegel mit Hilfe von Max Winkler in den UFI Konzern eingliederte. (Anmerkung 2. Januar 2023: In dem Buch von Michael Kamp, das er mir freundlicher Weise als PDF geschickt hat, gibt es dazu eine ganz andere Version. Danach kam eine Abfindung von 43.000 RM keineswegs von der Cautio, sondern von der Firma Siegel Film. Also heisst es wieder: noch mal nachkratzen.)
Eine erste Spur fand ich in einem Filmbuch aus dem falschen Berlin: Ostberlin. Jener Staat der 1948, mit Stalins Hilfe den Versuch unternommen hatte, durch eine Blockade zu erreichen, sich den Westteil Berlins einzuverleiben. Schon allein durch diesen Versuch und seine einseitige Sichtweise war jedes Buch aus der DDR eine Waffe im Kampf der Systeme. Auch wenn es nachprüfbare Fakten gab, hörte man im Westen nicht gerne, wenn ein Horst Knietzsch in seinem Buch „Film gestern und heute“ zum Thema Amerikanischer Filmverleih folgendes schrieb:
„Anfänglich nahmen es einige amerikanische Offiziere der für das zivile Leben verantwortlichen Militärbehörden recht genau mit Filmlizenzen. Der Krieg gegen das faschistische Deutschland wirkte in ihnen noch nach. In den 131 Paragraphen ihrer Fragebogen blieb so mancher Faschist, mancher faschistische Förderer oder Nutznießer des Hitlerregimes hängen, der geglaubt hatte, über das lukrative Filmgeschäft wieder zu einer günstigen wirtschaftlichen Ausgangsposition gelangen zu können.“ ( . . . ) Aber bald lockerten sich ihre politischen Grundsätze beträchtlich. Amerikaner und Deutsche machten bei der Lizenzverteilung einträgliche Geschäfte. Auf diese Weise wurden die Grundlagen für manchen Großverleih in Westdeutschland gelegt. Erstaunliche Karrieren zeichneten sich ab. Zu den Vertrauten der amerikanischen Militärbehörden gehörte Hans W. Kubaschewski, der schon vor dem Krieg mit Filmverleihern der USA verbunden war. Dann hatte er den Posten des Berliner Filialleiters der faschistischen Deutschen Film-Vertriebs-GmbH bekleidet, die zur UFA gehörte. Zusammen mit einem gewissen Walter Klinger aus Hollywood verlieh Kubaschewski nach 1945 die ersten Filme, vor allem Reprisen aus der Produktion vergangener Jahre. Der erzielte Gewinn ging in die Millionen. Kubaschewski war klug genug, sich nicht selber einen Filmverleih aufzubauen. Das tat seine Frau. Er mit seinen guten Verbindungen knüpfte die Beziehungen und gab die richtigen Tips. Später wurde er der Verantwortliche des Warner-Brothers-Verleih und dann, von 1959 bis zu seinem Tode, Direktor der Bavaria in München. Ilse Kubaschewskis Gloria-Verleih entwickelte sich zu einer der größten Verleihfirmen in Westdeutschland.“
Wie wenig souverän man mit diesen Quellen aus der DDR umgehen konnte, zeigt ein Buch, das 1973 in der BRD erschienen ist. Geschrieben hat es Dr. Klaus Kreimeier, der mein Dozent an der dffb war, der sich damals streng auf dem Boden des Marxismus-Leninismus, Ausgabe Maosedong, bewegte. Ich hab das Buch aufbewahrt. Ich war mit vielen Sachen damals nicht einverstanden und habe diese Stellen, was sonst nicht meine Art war und ist, mit Bleistift unterstrichen, manchmal sogar mit Kugelschreiber.
Hier findet sich in seinem Kapitel: »Tabuala rasa? Klassenkämpfe in den Westzonen« auf Seite 46 das Zitat aus dem Buch von Horst Knietzsch, aber so zitiert, das man nicht erkennen kann, woher es eigentlich stammt. Man könnte vermuten, es stammt aus dem Buch von Peter Pleyer und nicht von Horst Knietzsch, den man im Westen offensichtlich nicht zitieren konnte. Und doch, wenn man es heute überprüft, der Mann (Horst Knietzsch) hatte Recht und zwar noch mehr als er selber herausgefunden hatte. Der Beweis stammt aus einem Buch, das mit Förderung eines BRD Innenministers entstanden ist. Da muß man allerdings sehr genau hinauschauen, um zu erkennen, was damals passiert ist. Ich versuche mal eine Art Übersetzung.
Der amerikanische Offizier, der damit beauftragt wurde, die Leute wieder mit Filmen zu versorgen war Sergeant Walter A. Klinger. Walter A. Klinger war am 12. Mai 1912 in Wien geboren und arbeitete ab 1929 für die Firma Warner Bros..
Erst in Wien und anschließend in Berlin. Walter Klinger war Jude. Bei der Machtübergabe an die Nazis 1933 flüchtete er aus Deutschland und heiratete 1935 in Wien Hertha Bley. Als im März 1938 die Deutsche Wehrmacht in Österreich einmarschierte, flüchteten sie nach Trinidad, wo Walter Klinger für Warner Bros. tätig war.
Als 1940 Frankreich kapitulierte, wurden die Klingers als unerwünschte Ausländer in Trinidad interniert. 1940 wurde dem Ehepaar Gelegenheit gegeben, Bürger der USA zu werden. Walter Klinger war zu diesem Zeitpunkt 28 Jahre alt und wurde Soldat der US Armee. 1946 schied er aus der Armee aus und ging zuruck zu Warner Bros. und arbeitete in deren Lateinamerika Abteilung. Walter Klinger starb am 15. März 2003 in Camarillo in Kalifornien. Was dazwischen so passiert ist, muß ich erst noch herausfinden. Sei versichert, Du erfährst es zuerst, J.
Es muss so 1968 gewesen sein. Während andere die Auslieferung der Bild Zeitung verhinderten, hatte ich mich abgesetzt, um nicht zur Bundeswehr zu müssen. Meine Antwort war das Seefahrtsbuch. Als Ing. Assi auf mittlere Fahrt. Später sollte es ein Schiffsingenieur werden. Ein Beruf, den mein Vater gerne ergriffen hätte. Die Welt sehen. Vorerst sah ich per Reederei OPDR Marokko, Algerien, Tunesien, DDR und Klaeipeda, was früher Memel hieß, eine Zeit lang zu Deutschland gehörte und jetzt eine Enklave der SU ist. Ein Vier Wachen Schiff: Die MS Ceuta (MS=Motorschiff). Ein doppelt wirkender MAN Dieselmotor, betrieben mit Gasöl. Auf der 12 – 4 Wache der dritte Ingenieur und ich der Offiziersanwärter. Berufsbezeichnung: Schiffsingenieurs Assistent. An Bord kurz Assi genannt. Wir hatten Apfelsinen geladen. In Kisten. Im Februar. Durch den Nord-Ost-See-Kanal, Richtung Rostock. Der dritte Ingenieur und ich wollten zusammen an Land gehen. Rostock besichtigen. Der Hafen eingezäunt, so wie der Freihafen in Hamburg damals. An der Grenzstation des Hafens: Die Kontrolle durch die „Grenzorgane“ der DDR. Mein „Dritter“, wie der dritte Ingenieur bei uns genannt wurde, kam aus Ägypten, Körpergrösse 1,67 m und war naturgemäß mit einer etwas dunkleren Hautfarbe ausgestattet als ich. Seine deutschen Sprachkenntnisse waren meinen weit überlegen.
An der Grenzstation wurde in unserem Beisein ein Hafenarbeiter festgenommen, den man mit einer oder zwei Apfelsinen erwischt hatte, die vermutlich geklaut waren. Ich konnte meinen Dritten nicht davon überzeugen, sich da rauszuhalten. Du bist hier in Deutschland, halt bloß die Schnauze war meine gezischelte Rede. Aber nein. Er fand das empörend. Ich auch: Wegen zwei Apfelsinen! Überall in der Welt schaffen Hafenarbeiter etwas beiseite. Wenn sie dabei erwischt werden, ist das natürlich nicht so gut. Meist wird bei Kleinigkeiten, die Kleinigkeit von zwei Apfelsinen, darüber hinweg gesehen. Für eine Kiste, ein Meter lang, fünfzig Zentimeter breit und hoch zahlten wir an die Reederei OPDR (Oldenburgportugiesische Dampfschiffs Rhederei) damals 10,00 DM. Der Dritte: Er würde morgen eine Kiste vorbeibringen, hat er laut gesagt. Und man solle den Mann doch endlich in Ruhe lassen. Schließlich sei das doch hier ein Arbeiter- und Bauernstaat und wenn dieser Hafenarbeiter zwei Apfelsinen klauen müsste, dann sei das ein Armutszeugnis dieses Staates. Und, und, und.
Ich hatte ihn gewarnt. Es hatte nichts genutzt. Sie haben den „Dritten“ nicht in ihr „Arbeiterparadies“ hineingelassen. Also musste ich alleine die Stadt besichtigen. Rostock völlig vereist. Mein Ingenieur, der Dritte, bekam vom Staat der Arbeiter- und Bauernstaat ein Einreiseverbot für alle Zeit. Wie sich später herausstellte war alle Zeit nicht besonders lang. Als es mit dem Arbeiter- und Bauernstaat zu Ende war, bin ich dann noch mal nach Rostock gefahren.
Der Staat war schon lange weck. Aber das Häuschen war noch da. Das Häuschen an der Grenzstation, wo sie unseren Dritten verhört hatten, weil dieser sich empört hatte. Der Hafen war völlig leer. Ich empfand eine gewisse Genugtuung angesichts des leeren Hafens. Strafe muss sein, fand ich. So ist das eben, wenn man wegen zwei geklauter Apfelsinen so einen Aufriss macht. Und das mit der Kiste, die er morgen als Geschenk vorbeibringen wollte, das hatte mein Dritter ernst gemeint.
DDR (2) Der Wald, das Holzbein und die vier Feinde. (1971)
Es gab eine Zeit, da brauchte man mit dem Interzonenzug von Hamburg nach Berlin manchmal sieben Stunden. Das hatte verschiedene Ursachen. Eine war, dass die Russen das zweite Gleis nach Russland geschafft hatten. Ein anderer war, das der Zug zweimal kontrolliert wurde. An beiden Grenzen. Ganz sorgfältig. Drinnen und draußen. Ob sich vielleicht jemand heimlich in die DDR reinschmuggeln wollte? Das sollte auf jeden Fall verhindert werden. Noch mehr Personen, die überwacht werden müssten. In Schwanheide war einer dieser Kontrollpunkte. Dann musste noch allerlei Papierkram ausgefüllt werden. In einem dieser Züge lernte ich auf der Fahrt von Berlin nach Hamburg einen Mann kennen, der sich als ehemaliger Bewohner der DDR zu erkennen gab. Genau genommen hatte der Mann nur zweimal mit mir gesprochen. Während dieser sieben Stunden. Kurz nach dem Passieren der Grenze in Griebnietzsee berichtete er davon, dass die Deutsche Reichsbahn, die diesen Interzonenzug betreibe, vier Feinde hätte: Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Das zweite Mal äußerte er sich im Wald von Friedrichsruh. Also nach dem Passieren der Grenze in Schwanheide. Der Kaiser habe die Kriegsteilnehmer des ersten Weltkrieges belohnt. Mit Holz. Er habe vom Kaiser ein Holzbein bekommen und der andere eben einen Wald. Und weil wir grade den Sachsenwald bei Friedrichsruh passierten, war auch klar, von welchem Geschenkeempfänger er sprach.
Abschrift. Abgeschrieben aus dem Buch: Angeschmiert und eingewickelt. (Dietz Verlag Berlin 1996 ISBN 3-320-01914-7) von Renate Holland Moritz. 154 Seiten, (Seite 135 – 140)
Ich habe zwei Kinder (Konfektionsgrößen 158 und 104), die mit konstanter Bosheit alljährlich aus ihrer gesamten KOB herauswachsen. Wer das für keineswegs kritikwürdig hält, schneidert entweder selbst oder hat noch niemals Kinderoberbekleidung eingekauft. Am Anfang versuchte ich, die jeweils ausfallenden Hosen, Kleider, Mäntel und Anoraks nach Bedarf zur ersetzen. Diese zeit- und nervenraubende Methode habe ich indes aufgegeben. Jetzt warte ich bis zu Beginn einer neuen Saison, nehme mir ein bis zwei freie Tage, ein großes Stullenpaket, eine Schachtel Beruhigungspillen sowie eine Liste der dringend benötigten Textilien und rüste mich zu einer einmaligen Odysee. Diesmal hatte ich die verwegene Idee, Anfang Oktober warme Winterkleidung kaufen zu wollen. Draußen wars zwar schon empfindlich kalt, aber in den überheizten Berliner Kaufhäusern herrschte schläfriger Altweibersommer. „Ein Winterkostüm für zwölf Jahre?“ wiederholte die Verkäuferin der KOB-Spezialverkaufsstelle Adlershof, als hätte ich sie um einen Raumfahreranzug aus Silberlamé gebeten. “Wintersachen kommen erst im November. Kostüme sind zur Zeit überhaupt nicht da. Aber ein Jackenkleid ist am Lager.“ Das allen zwölfjährigen Adlershoferinnen zugedachte Jackenkleid war von schmutzig-gelber Farbe mit grauen Karostreifen, Material Spezitex, der stolze Preis 90,40 Mark. Vom VEB Jugendmodelle Roßwein offenbar unter dem Motto hergestellt: „Für die kleine Oma mit Lotto Fünfer!“
Die Frage nach Dederon-Anoraks machte die Verkäuferin stumm vor Mitleid. Im Modehaus „Chic zu dritt“ hingegen gab es inmitten des langweiligen, tristen Angebots eine Oase für zehnjährige Luxusgeschöpfe: Anoraks aus weißem Nylon, importiert aus Westdeutschland, Preis 86 Mark. Im Kaufhaus „Centrum“ fand ich ein einziges Mädchenkostüm, dunkelblau, offenbar Wollstoff (leider fehlten Materialzettel, sowie einige Knöpfe), Kostenpunkt 94,50 Mark. Eine Treppe tiefer befaßten sich – im Wortsinne – Hunderte Kundinnen mit rosa, weißen und hellblauen Kinderpullovern aus synthetischem Material. Die mittlerweile leicht beschmutzten Prunkstücke kosteten zwischen 47 und 66 Mark. Genug der naturalistischen Schauerdramen. Fragen wir mal ganz prosaisch: Was ist eigentlich los in der Kinderoberbekleidungsindustrie? Befindet sie sich auf einem anderen Stern? Produziert sie qualitativ hochwertige Stücke für einen Kundenkreis, der sich vornehmlich aus nichtarbeitenden Millionärsgattinnen zusammensetzt? In unserem Staat ist allenthalben eine wohltuende Fürsorge um Mutter und Kind zu spüren. Die Kostenbeiträge für Krippen- und Kindergartenplätze, für Schulspeisung und Hortunterbringung sind beispielhaft niedrig. Medizinische Leistungen (einschließlich Säuglings- und Mütterfürsorge) sind sämtlich kostenfrei. Aber ein Kind muß nicht nur betreut, gesund erhalten und ernährt, sondern auch gekleidet werden. Und bei diesem Kapitel kriegt namentlich jede berufstätige Mutter, die noch dazu mehrere Kinder hat, das heulende Elend. Man sollte meinen, das pflegeleichte Kindersachen aus Kunstfasern, wie Dederon, Grisuten, Wolpryla usw., ein wahrer Segen für kinderreiche Familien sind.
Das Gegenteil ist der Fall. Nicht nur, daß die Berufstätigen kaum Zeit haben, wochenlange Suchexpeditionen zu unternehmen, sie sind auch außerstande, oben angeführte fernsehturmhohe Preise zu zahlen. Bei der diesjährigen Herbstkaufhandlung boten beispielsweise die Firmen Ehrler KG Schlehma und die PGH Mode Saalfeld Kinderanoraks aus Kunstfaser für sage und schreibe 175,50 und 185,50 Mark an. Doch beide Firmen waschen ihre Hände zu Recht in Unschuld, denn die Finanz-Astronomen sitzen in Frankenberg. Hier gibt es ein Zentralreferat Textil, das jeden einzelnen Artikel der Industrie prüft und den Preis festlegt. Unterschiedslos wird mit höherer Mathematik jongliert, denn im Mittelpunkt steht nicht der Mensch, in unserem Falle das Kind mit seiner fatalen Eigenschaft zu wachsen, sondern das Prinzip formalen Rechnens. Kunstfaser unterliegen einem einheitlichen, längst überholungsbedürftigem Preisgefüge, egal, ob sie in der Damen- oder Kinderoberbekleidung verwendet werden. Wie wärs mit der Verabschiedung eines Entwicklungsgesetzes: Die sozialistische Menschwerdung lebender Computer! Doch aber auch in den zivileren Preisregionen der KOB ist für ausreichenden Ärger gesorgt. Zweckmäßigkeit, Farbenfreude und kindgemäße Modellgestaltung scheinen eine nahezu unvereinbare Forderung zu sein. Für meinen dreijährigen Sohn gibt es grundsätzlich nur griesgraue Herrenanzüge, in denen er aussieht wie sein eigener Vater. Dazu wird von modebewußten Verkäuferinnen das obligate weiße Oberhemd samt roter Fliege empfohlen. Und in solcher Verkleidung sollen die armen Würmer nun fröhlich sein und singen! Jeder vollsinnige Mensch fragt sich natürlich, wer es einigen weltfremden Entwerfern -zum Beispiel im VEB Brandenburger Kinderbekleidung in des Oskar Hennig KG Berlin- gestattet, normale kleine Jungen in eine Heer ehrwürdiger Zwerge zu verwandeln. Würde der Handel alle von der KOB-Industrie angebotenen Scheußlichkeiten ablehnen, die Hersteller also auf ihrem Murks schuldhaft und prämienlos sitzenlassen, dann sähe es in unseren Geschäften bald anders aus. „Vielleicht haben Sie recht“, entgegnete eine Verkäuferin, „aber was bieten wir in der Zwischenzeit an?
Wie sollen wir den Umsatzplan erfüllen und den Bedarf decken? Wenn wir wählerisch sind, stehen wir vor halbleeren Regalen.“ Also schließt sich der Kreis: Die Industrie produziert, was sie will, der Handel kauft, was er kriegen kann, und der Kunde ist an allem schuld. Der Witz ist nur, daß die Regale trotz allem Murks nicht voll sind, die gewaltigen Sortimentslücken können noch immer in den KOB-Spezialgeschäften besichtigt werden. Ins Reich der Utopie gehören folgende Kundenwünsche: Hosenanzüge für Mädchen , modische Cordbekleidung, speziell aus breitgripptem Cord, praktische, strapazierfähkge Blue-Jeans, variable Ensembles für kleine Jungen, bestehend aus Hose, Weste und Pullover, für die man ständig passende Teile dazukaufen kann. All dies gibt es gar nicht oder so gut wie nie. Auch die gängigen Kleinkindergrößen wie 104 und 110 werden in so geringen Stückzahlen hergestellt, daß in manchen Läden manchmal nicht ein einziges Modell am Lager ist. Statt dessen hat aber die Industrie eine prima Erklärung am Lager: Grundlage für den Herstellungspreis ist die Größe 98. Produziert man nun die Größen 104 und 110, bedürfe es aus Planrücksichten eines Preis- und Gewebeausgleichs durch die Liliputgrößen 86 und 92. Da aber die Ein- bis Zweijährigen vornehmlich bestrickt werden, spielen sie für die Konfektion nur eine kleine Nebenrolle. Also, der Kunde ist schuld! Warum strickt er auch, wo doch die Industrie einen Planausgleich braucht! Noch vor einiger Zeit war es Usus, daß Vertreter des Handels und des Deutschen Modeinstituts bei der Vorstellung neuer KOB-Kollektionen zugegen waren.. Sie beurteilten modische Gestaltung, Zweckmäßigkeit von Schnitt und Gewebe sowie den Preis. Sie gaben Ratschläge und legten ernstfalls ihr Veto ein.
Diese bewährte Methode wurde außer Kraft gesetzt, die Kollektionen werden jetzt ausschließlich von in modischer Hinsicht nicht immer qualifizierten Kollegen des DAMW beurteilt. Natürlich können Vertreter des Handels die Kollektionsaustellungen der Großbetriebe besuchen, aber dann müßten sie ihren Stellenplan um mindestens das Dreifache vergrößern. Zweckmäßiger wäre, die Großhandelsgesellschaften würden sich zusammentun und die Betriebe mit ihren Kollektionen zu sich einladen. Der Einfluß des Einzelhandels auf die Industrie ist auf die die Direktverträge beschränkt. Doch diese Kontakte gibt es bestenfalls mit einigen Großbetrieben. Die Klein- und Kleinstbetriebe – und das sind immerhin 70 Prozent der gesamten KOB- Industrie – werden nicht erreicht. Und gerade dort sitzen die Gralshüter des schlechten Geschmacks und der Ideenlosigkeit. Auch den Spinnereien dürfte für die KOB einmal etwas Besseres einfallen als der Treppenwitz Greisyn. Dieses Gewebe, bestehend aus Zellwolle, Reißspinnstoff und einer Prise Kunstfaser, ist praktisch nicht waschbar. Kleidungsstücke aus Greisyn müssen, um wieder ihre ursprüngliche Form zu erhalten, chemisch gereinigt werden. Diese Zumutung bei Kinderbekleidung grenzt schon an Infamie.
Durch den Elan einiger junger Leute erfolgte in der bisher ebenfalls katastrophalen Jugendmode eine spürbarer Wandel. Vorerst in allen großen Städten (in Berlin in der Brüderstrasse) Wurden spezielle Kaufhäuser für „Junge Mode“ eingerichtet , in denen sich die Jugendlichen endlich ihren Wünschen entsprechend einkleiden können. Auch Zubehör wie Schuhe, halterlose Strümpfe, Handtaschen, Modeschmuck, sogar Schallplatten gibts am Ort der Kaufhandlung. Man läßt der Jugend ihren Lauf , weil man sie als zahlenden Kundschaft ernst nehmen muß. Kinderstimmen werden dagegen nicht gehört.
Wie das Kaninchen auf die Schlange starren die Werkleiter der KOB-Industrie auf ihren Plan , den sie – rücksichtsvoll nur gegenüber ihren eigenen Jahresendprämien – mit preußischer Sturheit erfüllen. Röcke aus lustig-buntem Schottenstoff zum Beispiel produzieren sie nicht, „der Verschnitt ist zu groß“. Einfarbige Stoffe hingegen, mögen sie selbst achtzigjährigen Omas zu trist sein, lassen sich bis zum letzten Zentimeter verarbeiten. Da lacht der Plan! Das wütende Geheul der kleinen Mädchen ist für den planbewußten Werkleiter eine abstrakte Kategorie. Sommerkleidchen aus einfachem Material sind schnell und billig hergestellt. Also ran an die Buletten! Der Plan ist theoretisch erfüllt. Daß jedoch praktisch in diesem Jahr rund 100 000 Stück Winterbekleidung fehlen, steht auf einem anderen Blatt. Und eben dieses Blatt wollten wir nicht mehr vor den Mund nehmen. Mit den Verantwortlichen der Kinderoberbeklei–dungsindustrie muß geredet werden, und zwar Fraktur. Und wenn sie nach gehabter Standpauke ganz klein sind, mit Hut, dann könnten sie endlich ihre Ladenhüter selbst auftragen. (1968)
Bleiben für den Wessi aus Hamburg noch Fragen. Bei uns gab es auch Kobs, das war der Bulle vor Ort in Westberlin. Kob= Kontakt Bereichsbeamter. Einen DAWM Hatten wir nicht. Was ist das?
Auszug aus “Die tote Else“ Renate Holland-Moritz: “Aus ihnen wird wohl nichts werden, es sei denn, Sie gingen zum Film oder zur Presse.“ Dieser Stoßseufzer eines geplagten Studienrates, den meine geringen Kenntnisse im Fach Chemie tief erschüttert hatten, war als Beleidigung gedacht; ich aber hielt ihn für eine Art vernünftiger Berufsberatung. Also kündigte ich meiner Köpenicker Oberschule unmittelbar nach Absolvierung der 10. Klasse und begab mich auf Stellungssuche. Der Verlag Kultur und Fortschritt leistete sich Mai 1952 den Luxus, einen ahnungslosen 17 jährigen Teenager als Redaktionsvolontär einzustellen. Ich begann in einer wissenschaftlichen Vierteljahreszeitschrift und wurde mangels andrer Fähigkeiten mit der Zusammenstellung des Sachregisters für ein enzyklopädisches Werk betraut. “Das Alphabet werden Sie ja wohl beherrschen“, sagte der Chefredakteur. Damit irrte er. Zumindest war mir nicht geläufig, daß auch die jeweils nächstfolgenden Buchstaben der alphabetischen Ordnung bedurften. Als nach wenigen Wochen ruchbar wurde, daß bei mir “Arbeiterklasse“ den Vorrang vor “Akademie der Wissenschaften“ hatte, mußte ein fünfköpfiges Team von Slawistikstudenten engagiert werden, um die von mir gestiftete Konfusion zu entwirren. Einige der inzwischen gestandenen Professoren und Doktoren erinnern sich noch heute gern der so unverhofften wie beträchtlichen Nebeneinnahme.
Nach diesem Desaster übernahm mich Harald Hauser, Chefredakteur der im selben Verlag erscheinenden populärwissenschaftlichen Monatszeitschrift “Die neue Gesellschaft“. Hauser war ein guter Journalist und ein großer Mutmacher. Junge Leute, die viel lasen und respektvoll mit der Muttersprache umgingen, hatten seine Symphatie. Die allerdings verscherzte ich mir weitgehend, als ich eines Tages daranging, Gorki zu redigieren. Der Satz “Ein Mensch – wie stolz das klingt“, kam mir doch ein wenig dürftig vor, so daß ich änderte: “Ein Mensch zu sein – wie stolz das klingt!“ Danach gab mich Hauser ohne erkennbares Herzdrücken an die Wochenzeitschrift “Friedenspost“ weiter.
Hier stand ich unter der Obhut des stellvertretenden Chefredakteurs Heinz Stern, später langjähriger Chefreporter des “Neuen Deutschland“ und der mit Recht so beliebten Gazette “Das Magazin“. An die “Friedenspost“ werden sich heute höchstens noch einige ältere Mitglieder der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft erinnern, deren Zentralorgan das Blättchen darstellte. Eine gewisse dogmatische Kopflastigkeit und der für damalige Zeiten charakteristische hölzerne Stil hielten die Verkaufszahlen in Grenzen. Ich erinnere mich, daß vor allem die Zehnerkassierer der Freundschaftsgesellschaft hartnäckigen Beitragsschuldnern die Zeitschrift als eine Art Ablaßbrief aufschwatzten. Mir wurde die ehrenvolle Aufgabe zuteil, die letzte Seite redaktionell zu betreuen.Sie war zu zwei Dritteln dem Sport vorbehalten, während der sogenannte Keller dem Rätsel gehörte. Vom Sport verstand ich nun nachweisbar weniger als nichts. Das fiel zunächst gar nicht auf, denn mein ständiger Mitarbeiter Heinz Machatschek, der sich inzwischen einen Namen als populärwissenschaftlicher Autor seiner Hobbygebiete Schach, Weltraumfahrt und Heraldik gemacht hat, lieferte jede Woche druckreife Artikel zum Thema Sowjet-Sport. Aber eines unvergeßlichen Tages im Oktober 1953 kam die Wahrheit über mein sportliches Unvermögen an den Tag.
Ein großes internationales Fußballspiel war angesagt, nämlich das Freundschaftstreffen “Torpedo Moskau–ZSK Vorwärts. “Vorwärts“, die Mannschaft der Kasernierten Volkspolizei, gehörte, wie ich dem Agenturmaterial entnahm, der Liga an. “Torpedo“ hingegen stellte die drittbeste Mannschaft der Sowjetunion. Und das erschien mir nun mehr als ein Frevel. Also schrieb ich einen Brand-Artikel, in dem die Organisatoren des Spiels beschimpfte, weil sie den sowjetischen Meistern einen minderen Gegner zumuteten. Er endete mit den apodiktischen Worten: “Das Publikum erwartet mit Recht ein Spiel gleichwertiger Mannschaften, und dazu müßte man “Torpedo“ eine DDR Auswahl gegenüberstellen. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht“. Leider vermochte ich trotz aller Empörung nicht mehr als eine Druckspalte zu füllen. Deshalb besorgte ich mir die Fotos der elf sowjetischen Spieler und plazierte sie schön groß auf der Seite. Die ungenügenden “Vorwärts“ Kicker mußten sich mit einer namentlichen Aufstellung begnügen. Am 29. Oktober 1953 marschierte ich wie Zehntausende andere Berliner ins Walter-Ulbricht-Stadion. Zu meinem Entzücken sah ich, daß viele Fußballfans die “Friedenspost“ in der Hand hielten und mit weit aufgerissenen Augen meinen Beitrag lasen.
Zum erstenmal stand ich dem Phänomen gegenüber, gelesen und – wie mir schien – verstanden zu werden. Ich fieberte dem Beginn des Spiels vor allem seinem unvermeidlichem Ausgang entgegen. Plötzlich kam einer der gestandenen Sportjournalisten auf mich zu und sagte väterlich: “Also Kleene, am besten, du jehst janz schnell nach Hause. Wenns sein muß, schieß ick dir den Weg frei!“ Obwohl ich der dunklen Rede Sinn nicht verstand, gehorchte ich aufs Wort. Beim Verlassen des Stadions befragte ich immerhin noch den Zeitungsverkäufer am Kiosk, womit denn der sensationelle Verkaufserfolg der “Friedenspost“ zu erklären sei. Der Mann kicherte. “Es war wejen die Fotos von die Russen. Dafür hatten die richtijen Zeitungen wohl keenen Platz“. Zu Hause kroch ich fast ins Radio, wie später nur noch zu Zeiten der Friedensfahrt-Berichterstattung. Aber meine Niederlage war so total wie die der sowjetischen Gäste “Torpedo“ Moskau verlor gegen ZSK “Vorwärts“ mit 4:2 Toren. Ein Grund für mich, an dem viel zitierten Satz “Von der Sowjetion lernen, heißt siegen lernen“zu zweifeln. Ich weiß nicht, ob ein kausaler Zusammenhang zwischen meiner journalistischen Fehlleistung und dem Ableben der “Friedenspost“ bestand, jedenfalls wurde das Blättchen noch im November 1953 eingestellt“ .
Renate Holland-Moritz, in “Die tote Else – Ein wahrhaftiges Klatschbuch“, Eulenspiegel Verlag Berlin. 2. Auflage 1988.
Leseproben aus dem Büchlein Ossis, rettet die Bundesrepublik!
“Irgendeiner dieser farblosen schwarzen Politker ließ die staunenende Noch-DDR-Öffentlichkeit des Jahres 1990 wissen, er habe sich seit dem 17. Juni 1953 – da war er grade dreizehn – im inneren Widerstand gegen das herrschende SED-Regime befunden. Gottlob war es ihm gelungen, den Tatbestand so konspirativ zu behandeln, daß nie eine Menschenseele von seinem zur Faust geballten Innenleben erfuhr.“ So beginnt der Text: “Mein 17. Juni und die literarischen Folgen“ von Renate Holland-Mortiz, die leider vor einigen Jahren gestorben ist. Hier kommt noch mal eine kleine Erinnerung an sie. Das Buch ist im Dietz Verlag, Berlin erschienen. Die 5. Auflage ist 1996 erschienen und hat die ISBN 3-320-01827-2- In Corona Zeiten ist der Buchkauf etwas schwieriger als sonst, deswegen hier zwei kleine Ausschnitte zur Leseprobe.
Renate Holland-Moritz Abschrift aus dem Buch: Ossis, rettet die Bundesrepublik! Dietz Verlag Berlin. 5. Auflage 1996, Seite 21-30 “Stasi-Kontakt mit Happy-End“
“Infolge ihrer eklatanten Überflüssigkeit wurde die »Friedenspost«, Zentralorgan der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft, im Herbst 1953 des sozialistischen Blätterwaldes verwiesen. Ich konnte meine journalistische Ausbildung in der »BZ am Abend« fortsetzen, die sich selbstbewußt als das »Herzblatt des Berliners« offerierte. Mir allerdings beschwerte es allmorgendlich das Herz, denn ich schaffte es fast nie, pünktlich um 6.30 Uhr (sonnabends und montags gar um 5.30 Uhr) in der Redaktion einzutreffen. Eines griesegrauen Wintermorgends im Jahre 1954 hatte ich mich wieder einmal erheblich verspätet und hoffte inständig, der Allmächtige möge mich ungesehen an meinen Schreibtisch gelangen lassen. Doch schon auf dem ersten Treppenabsatz erwartete mich das Strafgericht in Person unseres Chefredakteurs Ernst Hansch. Er war totenbleich, zitterte am ganzen Leib und fragte mit tonloser Stimme: »Was haben sie getan?« »Verschlafen«, gestand ich kleinlaut, »aber es soll nie wieder vorkommen.« »Lenken Sie nicht ab«, unterbrach er mich schroff, »sagen sie frei heraus, was Sie wieder angestellt haben. Wenn, wie so oft, Ihre Kodderschnauze mit Ihnen durchgegangen ist, kann ich mich vielleicht für Sie verwenden.« Nun verstand ich überhaupt nichts mehr. »Wovon reden Sie eigentlich?« »Wovon ich rede?« Ernst Hansch kiekste wie ein hysterischer Countertenor. »Ich rede davon, daß Sie zum Ministerium für Staatssicherheit bestellt sind. Der Genosse Ernst Wollweber will Sie sprechen, und zwar sofort!« Mir viel eine Zentnerlast vom Herzen. Also kein Trouble mit meinem Chef! Der Chef der Staatssicherheit interessierte mich überhaupt nicht. Seine Klientel bestand doch wohl vorrangig aus Diversanten und Umstürzlern, und nichts dergleichen traf auf mich zu. »Bin schon auf dem Wege«, sagte ich munter, »wo residiert denn seine Heiligkeit?« »Um Gottes Willen, Kindchen« flüsterte Ernst Hansch, »nehmen Sie das nicht auf die leichte Schulter. Auf jeden Fall erstatten Sie mir sofort nach Ihrer Rückkehr Bericht. Falls Sie zurückkommen«, fügt er noch leiser hinzu. Auf dem kurzen Weg vom Berliner Verlag in der Otto-Nuschke-Straße bis zum Ministerium für Staatssicherheit in der Glinkastrasse bemächtigte sich meiner doch eine gewisse Nervosität. Konnte es sein, daß mich irgend jemand wegen Verbreitung des einen oder anderen politischen Witzes denunziert hatte? Und wenn schon, dachte ich trotzig. Wegen solcher Delikte hatte man sich in der Nazizeit zu fürchten gehabt. Daß auch Opfer der Nazis in der gleichen Weise reagieren würden, hielt ich für üble feindliche Nachrede. Am Portal wurde ich von einem Wachtposten im Empfang genommen und im barschen Ton an den nächsten weitergereicht. Die Prozedur wieder-holte sich noch einigemal, bis ich endlich einen riesigen Raum betreten durfte. Am Horizont machte ich einen ebenfalls riesigen Schreibtisch aus, hinter dem ein unscheinbares Männchen trohnte: Ernst Wollweber. Etwa zwei Meter entfernt von ihm hockte auf einem Stuhl ein in sich zusammengerutschtes Menschenbündel. Als sich unsere Blicke trafen, erkannte ich den Mann. Ich wollte spontan auf ihn zugehen, aber Wollweber befahl mit schneidender Stimme: »Stehenbleiben!« Ich verstand nicht, warum ich den Besetzer des Armsünderstuhls nicht wenigstens begrüßen durfte. Er hieß Günther Hoffmann, wohnte in Strausberg und war ein Freund eines mir befreundeten Kollegen . Vor zwei Tagen waren wir bei ihm und seiner Frau Karin zu Gast gewesen. Die mir bis dato unbekannten Hoffmanns hatten auch mich herzlich aufgenommen. Es wurde ein ausgesprochen angenehmer Abend. Wir schwatzten über Gott und die Welt und zogen feixend prominente Politiker und Künstler durch den Kakao. Da die Hoffmanns regelmäßige Leser der »BZ am Abend« waren, interessierten sie sich besonders für die Art meiner Tätigkeit. Ich berichtete, daß ich – genau wie die anderen Volontäre und Assistenten der Lokalredaktion – mit einer ebenso langweiligen wie unnützen Arbeit betraut sei. In den damals noch gar nicht existierenden Mauern unserer Stadt wurde das Außenministertreffen der alliierten Siegermächte vorbereitet, und wir sollten die Bürger befragen, was sie sich von dieser historischen Viererkonferenz versprächen. Es war nicht das erstemal, daß wir die Volksmundpropaganda erforschen mußten, und es war nicht das letztemal, daß wir es auf die für uns am wenigsten peinliche Weise taten. Indem wir nämlich in der Redaktion blieben und uns die höheren Orts gewünschten positiven Lesermeinungen samt Namen und Adressen einfach ausdachten. »Was haltet ihr eigentlich von der Konferenz?« fragte ich unsere Gastgeber. »Meint ihr, da kommt wirklich was Vernünftiges für die Deutschen heraus?« »Glaub ich nicht«, sagte Günter Hoffmann, »sie wird vermutlich ausgehen wie alle diese Treffen, nämlich wie das Hornberger Schießen.« Die Formulierung gefiel mir, und ich beschloß, endlich einmal eine echte, noch dazu kritische Leserstimme ins Blatt zu bringen. Am nächsten Morgen tippte ich den Satz vom Hornberger Schießen, und ab mittags um 12. Uhr konnten sich die Leser vom Skeptizismus irgendeines Günter Hoffmann aus Strausberg überzeugen. Minister Wollweber hielt eine Exemplar der »BZ am Abend« in der rechten Hand. Mit der Linken zeigte er auf das vor mir sitzende Häufchen Unglück und fragte mich in inquisitorischem Ton: »Kennen sie diesen Mann?« Ich war zwar ein reichlich naiver Teenager, hatte aber doch genügend Krimis gelesen, um zu wissen, daß man sich nicht in allzu offenkundige Widersprüche verwickeln dürfe. Wollweber mußte bemerkt haben, daß ich Günter Hoffmann kannte, seine Frage war also rein rhetorischer Natur. »Ich habe Herrn Hoffmann und seine Frau vorgestern kennengelernt«, antwortete ich wahrheitsgemäß, »er ist ein Freund meines derzeitigen Freundes. Was hat der denn gemacht?« Wollweber lief dunkelrot an. »Hier stelle ich die Fragen«, donnerte er. »Also, worüber haben sie gesprochen?« Ich sah zu Günter Hoffmann und glaubte, in seinen glanzlosen Augen ein flehentliches Blinzeln zu bemerken. »Über alles Mögliche und nichts Besonderes«, sagte ich leichthin. »In erster Linie habe ich mich mit Frau Hoffmann unterhalten. Sie ist ein Handarbeitsgenie und will mir aus Wollresten einen Pullover stricken. Außerdem . . . « Wollweber fiel mir gereizt ins Wort. »Ich präzisiere: Haben sie mit Hoffmann über die Berliner Vierkonferenz gesprochen?« »Aber nein«, sagte ich mit Nachdruck. »Gleich am Anfang des Abends hatte sich Frau Hoffmann nämlich ausgebeten, daß die Themenbereiche Politik und Arbeit ausgespart werden sollten. Ich fand das, ehrlich gesagt, ein bißchen kleinbürgerlich.« Wollweber drosch mit einem Lineal auf die »BZ am Abend« ein. »Und wie kam es dann zu dieser Veröffentlichung?« Ich tat, als bemerke ich das Corpus delicti erst jetzt. »Ach das meinen Sie«, sagte ich mit gespielter Betretenheit, »das ist nun wirklich ein bißchen peinlich. Natürlich kann ich Ihnen alles erklären, aber Sie müßten mir versprechen, die Angelegenheit unbedingt vertraulich zu behandeln. Kann ich mich auf Ihre Verschwiegenheit verlassen?« Die oberste Sicherheitsnadel wurde ganz spitz im Gesicht. Doch dem fälligen Wutausbruch kam ich zuvor, indem ich detailliert über die Plage des kampagneartiken Stimmensammelns berichtete. Ich verriet Wollweber sogar, daß es durchaus nicht ungefährlich sei, Bürger zu politischen Ereignissen zu befragen. Nicht selten bekäme man anstelle einer Antwort Ohrfeigen angeboten. Bekanntermaßen gehöre es doch aber nicht zu den Aufgaben der sozialistischen Presse, den Unmut des Volkes öffentlich zu machen. Also seien wir dazu übergegangen, den Fragen gleich die politisch richtigen Antworten beizufügen. »Leider« fuhr ich fort, »ist da das Problem mit den Namen. Sie sollen nicht zu gewöhnlich sein. Müller, Meier, Schulze und Lehmann nimmt mir mein Ressortleiter Klaus Poche schon seit Tagen nicht mehr ab. Absonderlich oder gar lächerlich dürfen sie aber auch nicht sein. Allein aus diesem Grunde konnte eine äußerst positive Meinungsäußerung eines gewissen Gustav Niedergesäß aus Oberschöneweide nicht erscheinen.« »Schluß mit dem Blödsinn«, brüllte Wollweber, kalt vor Wut. »Ich will auf der Stelle wissen, ob diese defätistische Bemerkung über die Viererkonferenz von unserem Genossen Hoffmann stammt!« Erst jetzt wurde mir klar, daß Günter Hoffman auch zur Firma gehörte. Diese Erkenntnis berührte mich irgend wie seltsam, denn unter einem »Kundschafter« hatte ich mir immer etwas Heldenhaftes, vielleicht Dämonisches, auf jeden Fall Geheimnisvolleres als diesen netten Mann vorgestellt. »Natürlich nicht«, wehrte ich entschieden ab, »wir haben ja überhaupt nicht über die Viererkonferenz gesprochen. Es verhielt sich nur so, daß mein Chef Klaus Poche auch einmal eine kritische Stimme abdrucken wollte, der Ausgewogenheit halber. Als ich den Auftrag ausgeführt hatte, stand ich wieder vor dem Namenproblem. Und das muß mir das mit Günter Hoffmann, Straußberg, einfach unterlaufen sein. Weil die Adresse so schön allgemein und doch nicht fiktiv war. Wenn ich allerdings geahnt hätte, daß ich Herrn Hoffmann damit in Schwierigkeiten bringe . . . « »Sie behaupten also«, resümierte Wollweber, »sich den Satz selbst ausgedacht und den Namen Hoffmann mißbräuchlich benutzt zu haben. Ist das so?« Ich nickte heftig. Wollweber sah mich lange und durchdringend an. Offenbar wurde er sich nicht klar darüber, ob er es hier mit blanker Dreistigkeit oder mit echter jugendlicher Naivität zu tun hatte. Schließlich forderte er mich in scharfem Ton zum Gehen auf. Ich stand noch einen Moment unschlüssig in dem kahlen Raum herum und versuchte, mit Günter Hoffmann einen Blick zu wechseln. Aber er stierte verbissen auf seine Schuhspitzen. »Sie sollen gehen«, raunzte Wollweber. Wenig später umarmte mich Chefredakteur Ernst Hansch wie den verloren geglaubten Sohn, zeigte sich nach meiner Berichterstattung aber keineswegs beruhigt. Noch tagelang wagte er sich kaum aus seinem Zimmer, immer in Erwartung des gefürchteten Anrufs. Der kam übrigens nie. Im Frühjahr 1984 war ich von den Mitarbeitern der Studiotechnik zu einer Lesung ins Café des DDR Fernsehens eingeladen worden. Dem literarischen Horsd’œuvre folgte eine mittleres Gelage, das als sogenanntes geselliges Beisammensein ebenfalls aus dem Kultur- und Sozialfonds des Betriebes finanziert wurde. Ich saß mit einigen Studiotechnikern am Tisch und gab bereitwillig Auskunft über Möglichkeiten und Grenzen der Satire unter gerontokratischen Zensurbedingungen. Ein Mann im besten Vorruhestandsalter bat Platz nehmen zu dürfen und drückte mir ein Glas Sekt in die Hand. »Was sagst du nun?« fragte er strahlend. »Danke« antwortete ich verwirrt, denn ich hatte nicht die Spur einer Ahnung, wer der edle Spender sein könnte. »Zugegeben, es ist lange her« räumte er ein,»aber meine Adresse lautet noch immer: Günter Hoffmann, Strausberg.« Ich erlitt fast einen Schock. In all den Jahren hatte ich die Erinnerung an meinen einzigen Direktkontakt mit der Stasi zu verdrängen versucht. Doch das Bild des gebrochenen Mannes vor dem Schreibtisch des damals ranghöchsten Schnüfflers (Ernst Wollweber wurde 1958 zusammen mit Karl Schirdewan wegen »Fraktionsbildung« entmachtet und aus dem Zentralkomitee ausgeschlossen) verlor sich nie ganz aus meinem Gedächtnis. Immer wieder belastete mich der Gedanke, einem Menschen aus Unüberlegtheit Schaden zugefügt zu haben. Dann wieder beruhigte ich mein Gewissen mit der Harmlosigkeit des Tatbestandes. Wenn dieser Günter Hoffmann Zweifel in die Effektivität der Viererkonferenz gesetzt hatte, so war das sein verbrieftes Grundrecht, nachzulesen in der Verfassung der DDR. Daß diese für die amtlich bestallten Schützer des Staates nur wertloses Papier darstellte, lag im Zynismus des Sicherheitssystems begründet. Nun aber saß mir der einst so jämmerlich Gedemütigte lächelnd gegenüber und erzählte mir seine Geschichte. Günter Hoffmann war das Kind ermordeter Antifaschisten. Nach 1945 ersetzte ihm die Partei die Familie, und als sie beschloß ihn im Bereich der Staatssicherheit als Nachrichteningenieur ausbilden zu lassen, wäre er nie auf die Idee gekommen, Widerspruch einzulegen. Doch spätestens seit den Ereignissen vom 17. Juni 1953 fühlte er sich nicht mehr in Übereinstimmung mit den politischen Idealen seiner Eltern und empfand seine Tätigkeit mehr und mehr als drückende Last. Allerdings sah er nicht die geringste Chance, aus der Verpflichtung entlassen zu werden, ohne sich der Republikflucht schuldig zu machen. Das aber stand für ihn nicht zur Debatte. Als Günter Hoffman nach seinem unfreiwilligen Leserbrief von Minister Wollweber hochnotpeinlich in die Zange genommen wurde, bestritt er zwar nicht, mich zu kennen, leugnete aber die Urheberschaft an der kritischen Bemerkung in der »BZ am Abend«. Mein Erscheinen vor dem Allerhöchsten machte seine vage Hoffnung auf einen glücklichen Ausgang der Sache endgültig zunichte. Natürlich war er überzeugt davon, Wollweber würde mich einschüchtern und so die Wahrheit ans Licht befördern. Allein meine grenzenlose Naivität und der mir innewohnende Spieltrieb retteten Günter Hoffman. Selbstverständlich wurde er fristlos aus dem Staatssicherheitsdienst entlassen, doch mangels Beweises immerhin in Ehren. Das erschloß sich ihm im Jahre 1954 die unschätzbare Möglichkeit einer bürgerlichen Existenz. Ob Günter Hoffmann allerdings nach fast vierzigjähriger Stasi-Abstinenz mit der Absolution des gottesfürchtigen Hexenjägers Gauck rechnen kann, darf bezweifelt werden.1991 Renate Holland Moritz. Am 14. Juni 2017 ist Renate Holland-Moritz gestorben. Ich habe, wie vermutlich die meisten Hamburger, erst von Ihrer Existenz erfahren, als der Eulenspiegel dann auch bei uns am Zeitungskiosk zu erwerben war. Leider konnten wir sie nicht ins 3001 Kino nach Hamburg locken. Aber wir haben es versucht.
Inschrift auf dem Stadtbrunnen Hornberg, Baden Württemberg Jedwedes Kind auf der weiten Erd v. Hornberger Schiessen schon hat gehört, das Pulver ging aus zur schönsten Stund, so dass man nicht mehr schiessen kunnt! Anno 1564
Seite aus Berlin Buchplan Umschlag Rückseite. (VEB Tourist Verlag) 8. Auflage 1989. ca. 1:25 000 Besonderheit dieses Planes: Der Westteil von Berlin ist weiss.
Renate Holland-Moritz
Abschrift von Mein 17. Juni und die literarischen Folgen
Aus: Ossis, rettet die Bundesrepublik Seite 16 -20
Renate Holland-Moritz schreibt seit 50 Jahren in der Satire-Zeitschrift Eulenspiegel ihre Filmkritiken,. Sie waren zu DDR-Zeiten Kult: Die Kinoeule. Interview mit Andreas Kurtz. Irgendeiner dieser farblosen schwarzen Politiker ließ die staunende Noch-DDR-Öffentlichkeit des Jahres 1990 wissen, er habe sich seit dem 17. Juni 1953 – da war er grade dreizehn – in innerem Widerstand gegen das herrschende SED-Regime befunden. Gottlob war es ihm gelungen, den Tatbestand so konspirativ zu behandeln, daß nie eine Menschenseele von seinem zur Faust geballten Innenleben erfuhr. Ähnlich heldenhaft habe ich mich leider nicht betragen. Meine Einwände gegen eine antifaschistische, den Sozialismus anvisierende Gesellschaftsordnung waren allerdings auch nicht derart gravierend. Genau genommen beschränkten sie sich auf dogmatische Auswüchse und so lächerliche Behauptungen, Ringelsocken, Schuhe mit Kreppsohlen und Jazz seien die Insignien der Dekadenz und gäben Zeugnis vom verfaulenden, demnächst untergehenden Kapitalismus. Um zu beweisen, wie gut sich westliche Mode und Musik mit östlicher Weltanschauung vertrugen, marschierte ich auf den Kreppsohlen der Firma Leineweber und ließ mich während des sogenannten Selbststudiums der marxistischen Klassiker von den Klängen des amerikanischen Soldatensenders AFN berieseln. Das hatte gar manche Aussprache mit anschließender Strafaktion zur Folge, deren angenehmste war, daß ich nie mit einer Funktion im Jugendverband betraut wurde. 1953 arbeitete ich, gerade 18 Jahre alt geworden, als Volontärin einer unsäglich langweiligen Wochenzeitschrift namens »Friedenspost«. Die Redaktion befand sich in der 6. Etage des Zentralvorstandes der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft auf dem Berliner Thälmannplatz. Hier teilte ich das Zimmer mit meiner Kollegin Hilde Linden, die später unter dem Pseudonym Hiltrud Lind vielgelesene Kinderbücher schrieb. An einem schönen sonnigen Junitag sah Hilde aus dem Fenster auf die Wihelmstraße und fragte mich: »Kannst du mir sagen, vor welcher Demonstration wir uns heute mal wieder gedrückt haben?« Ich konnte es nicht, überzeugte mich aber davon, daß sich ein langer Zug in Richtung Haus der Ministerien bewegte. Der Thälmannplatz war von erregten, teilweise wild gestikulierenden Menschen besetzt. Hilde bekam es mit der Angst zu tun, ich hingegen war nur neugierig. Deshalb beschloß ich, mich der geheimnisvollen Veranstaltung beizugesellen, um ihr auf den Grund zu kommen. Vor dem Haus, in unmittelbarer Nähe des U-Bahn-Einganges, geriet ich in einen Kreis wütend diskutierender Männer. Als sie mich sahen, verstummten sie. Dann allerdings war ich einem Schwall wüster Beschimpfungen und Drohungen ausgesetzt, die sich nur in der Rüdigkeit von denen meiner empörten FDJ-Funktionäre unterschieden. Wie diese nahmen die Demonstranten Anstoß an meinem Outfit. Aber nicht die eindeutig westliche Herkunft meines Kord-Lumberjacks störte sie, sondern die an der linken Jackenseite zweireihig befestigten Blechsymbole. Da prangte neben dem FDJ-Abzeichen das des Komsomol, eingetauscht beim organisierten und streng bewachten Freundschaftstreffen mit Sowjetsoldaten. Ferner erglänzten die Anstecker der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft, der Gesellschaft für Sport und Technik, des Deutschen Turn- und Sportbundes sowie in der Reihenfolge des persönlichen Erwerbs die Abzeichen »Für gutes Wissen« in Bronze, Silber und Gold. »Runter mit det Lametta«, brüllten die staatsverdrossenen Aufrührer. Ich weigerte mich standhaft, beharrte gar auf meinem demokratischen Recht, mich mit allem zu schmücken, was nicht Krieg oder Nazismus verherrlichte. Das war Öl aufs Feuer. Wenn ich provozieren wolle, könne man auch anders. Ein Männerarm erhob sich schlagfertig. Doch ehe mir die Arbeiterfaust an die Wäsche konnte, wurde der Kreis um mich von einem energischen kleinen Mann zerteilt. Mit befehlsgewohnter Stimme fragte er, ob man sich nicht schäme, seinen Zorn an Unschuldigen abzureagieren, sein Mütchen gar an halben Kindern zu kühlen. Gehorsam traten die Leute einen Schritt zurück, so daß dem kleinen Mann Gelegenheit wurde, mich mit festem Griff aus der Gefahrenzone zu ziehen. »Räum deinen Klempnerladen ab«, schnauzte er mich an. Und ich, die ich eben noch bereit gewesen war, der vermeintlichen Konterrevolution zu trotzen, tat wie geheißen. Dann fragte der Mann noch, wo ich arbeite und wer mein Chef sei, und stieß mich schließlich unsanft durch die Tür meines Redaktionshauses. Der Lift war wieder mal kaputt, und ich mußte die sechs Etagen zu Fuß erklimmen. Auf dem Gang kam mir mein Chefredakteur Rudi Wetzel in heller Aufregung entgegen. Er hatte gerade eine telefonische Abreibung erfahren wegen »Vernachlässigung der Aufsichtspflicht gegenüber einer jugendlichen Spinnerin«. Der Anrufer war niemand anders als mein kleiner Retter. Er hieß Wilhelm Girnus und befehligte die Abteilung Kultur in der Redaktion des SED-Zentralorgans »Neues Deutschland«. Da ich Girnus nur dieses eine Mal getroffen habe, weiß ich nicht, ob er an jenem denkwürdigen 17. Juni 1953 noch eine weitere schicksalhafte Begegnung mit einem jungen Mädchen auf dem Thälmannplatz hatte. Sollte das nicht der Fall gewesen sein, so hat das Erlebnis mit mir eine äußerst seltsame Metamorphose in seinem Gedächtnis durchgemacht. In seinem autobiographischen Buch »Aus den Papieren des Germain Tawordschus« (erschienen 1982 in Hinstorff Verlag Rostock) schrieb Wilhelm Girnus: »Germain ging zum U-Bahn-Eingang. Dort stand ein Mädchen, etwa fünfzehn Jahre alt, im blauen Hemd der Freien Deutschen Jugend, blickte auf die zerstörten U-Bahn-Schilder und weinte. Germain trat an sie heran, legte den Arm um sie und blickte ihr in die verweinten Augen. Zum ersten Mal seit vielen, vielen Jahren empfand er Mitleid mit einem deutschen Menschen, eine zarten, leidenden Wesen, das nicht um den Tod von Vater und Mutter weinte, nicht um einen verlorenen Geliebten, sondern darum, das etwas vernichtet wurden, was sie als das ihrige empfand, weil sie es selbst mitgeschaffen hatte. Germain wußte natürlich, warum sie weinte, aber er wollte es aus ihrem Munde hören, er kannte, wie wohl es tat, von seinem Schmerz zu einem anderen zu sprechen. Er hatte sie in diesem Augenblick wirklich gern, er drückte sie an sich und fragte: ›Warum weinst du?‹ Schluchzend sagte sie: ›Da haben wir jahrelang aufgebaut, und jetzt kommen die und machen alles wieder kaputt.‹ Ein Strom von Tränen und Schluchzen brach aus ihr hervor, und gebrochen lehnte sie sich an Germain.« In nämlichen Jahr 1953 schrieb Wilhelm Girnus, später Professor für Literaturtheorie und langjähriger Chefredakteur der Literaturzeitschrift »Sinn und Form«, seine Doktorarbeit. Sie trug den Titel: »Goethe, der größte Realist der deutschen Sprache.« Ob Girnus auch seiner heimlichen Ahnfrau Hedwig Courths-Mahler würdigend gedachte, ist nicht überliefert. Renate Holland-Moritz (1990)