Briefe an Eugen (IX) Reine Zeitverschwendung

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PDF Briefe an Eugen (IX) Reine Zeitverschwendung

Hallo Eugen,

but don‘t look back cause that‘s a waste of time [Die Suchmaschine übersetzt: Aber schau nicht zurück, denn es ist Zeitverschwendung] hat zwar Grace Slick [Fünfte Strophe von Freedom] gesungen, aber Du weißt: ich höre ihr zwar gern zu, aber ich folge ihren Ratschlägen nicht immer. Vielleicht kennst Du die Platte nicht, die ist ja schon von 1989. Also laß uns die Zeit mit Dr. jur. Hans Bernd Gisevius verschwenden. Daher kommen jetzt einige Zitate aus seinem Buch — Bis zum bittern Ende —, das ich aufgestöbert habe. Das Buch wird oft zitiert und dann hat es den Titel: »Bis zum bitteren Ende«. Ordnung muß sein.

Hans Bernd Gisevius: Zeuge in Nürnberg

Die Ausgabe, die vor mir liegt, ist 1946 im Verlag Fretz & Wasmuth Verlag AG. Zürich erschienen: »Bis zum bittern Ende. I. Band. Vom Reichstagsbrand zur Fritsch-Krise«, lautet der Untertitel. Dr. jur. Hans Bernd Gisevius nimmt einen langen Anlauf, bevor er auf Seite 55 seines Buches endlich zur Sache kommt:

Lubbe [Marinus van der Lubbe] hat sich totgeschwiegen. Aber die ihn verstummen ließen, damit er sein Geheimnis nicht preisgebe, haben selber ihren Mund nicht halten können. Bevor ich mich nun den Hintergründen dieser ersten braunen Kriminalaffäre zuwende, muß ich einige Zeilen vorausschicken, sozusagen die Zuständigkeitsfrage betreffend, wieso ich eine solche Schilderung wagen darf.

Und da läßt es sich nicht vermeiden, daß ich mit der erschreckenden Beichte beginne, daß meine berufliche Laufbahn in der Gestapo angefangen hat. Allerdings hört sich das schlimmer an, als es in Wirklichkeit war. Denn erstens war es noch nicht die Gestapo des Herrn Himmler, der Name Gestapo war den meisten überhaupt noch nicht geläufig, und zweitens kam ich in dieses Institut im Zuge eines beinahe normalen Berufsganges.

Juli 1933 machte ich mein juristisches Assessorexamen. Anschließend meldete ich mich zum Dienst in der preußischen Verwaltung. An sich war es dort sowieso üblich, daß neuernannte Assessoren, die aus irgendeinem Grunde qualifiziert waren, ihre Laufbahn bei der politischen Polizei begannen.

Insoweit brauchte ich mich gar nicht sonderlich zu bemühen. Weiterhin kam mir das Glück oder Unglück hinzu, daß sich Görings damaliger engster Mitarbeiter im Preußischen Innenministerium, Staatssekretär Grauert, meiner erinnerte, weil ich als Referendar 1929 wegen meiner politischen Betätigung nach Düsseldorf strafversetzt worden war, was seinerzeit einiges Aufsehen erregt hatte.

Grauert war Geschäftsführer des Arbeitgeberverbandes der rheinisch-westfälischen Schwerindustrie gewesen. Als solcher hatte er sich einen Namen durch rücksichtslose Streikbekämpfung gemacht, und es mochte recht zweifelhaft erscheinen, wie sich die sozialistischen Nazis jemals mit ihm abfinden würden.

Indessen hatte der Schlauberger längst den Zug der Zeit erkannt. Gebefreudig, wie die Industriekapitäne waren, sobald es sich um die Gelder ihrer Aktionäre und um den Kampf gegen die Gewerkschaften handelte, hatte Grauert sich zusammen mit Fritz Thysssen in ein geradezu tollkühnes Finanzierungsunternehmen gestürzt.

Ohne den dafür zuständigen Ausschuß auch nur zu unterrichten, geschweige denn ihn beschließen zu lassen, hatten die beiden aus dem ― von Grauert verwalteten ― Korruptionsfonds jene entscheidenden fünfhunderttausend Mark entnommen, die Hitler 1932 aus seiner Finanzkatastrophe retteten. Das war fürwahr eine Hilfsaktion, die sich sehen lassen konnte. Deshalb durfte sich Grauert bei den Führern des Dritten Reiches bestens rückversichert fühlen.“ (Seite 56) ( . . . ) Auf Seite 97 fährt Gisevius fort: “Daneben gab es auch andere Zwischenfälle, weit harmlosere, manchmal sogar humoristische, die diese SA-Rabauken inszenieren mußten.

Eine von diesen Volksbelustigungen war das Anstecken der Litfaßsäulen. Diese brannten dann lichterloh in der Nacht, es sah wunderschön aus, die Masse gaffte, die Feuerwehr mußte herbeieilen, die Polizisten schimpften, und zeigte man ein wenig Geschick, so endete das Freudenfeuer in einem wüsten Volkstumult. Was konnte sich die Reichspropagandaleitung Besseres wünschen, als das zu guter Letzt die Gummiknüppel der Polizei in Aktion traten?“

Ja, hätte man 1932, als diese ersten kleinen «Flächenbrände» plötzlich Mode wurden, nur ein wenig besser aufgepasst, hätte die Polizei ein bißchen diskreter nachgeforscht, warum die Litfaßsäulen gleich so hell brannten, wer weiß, womöglich wäre sie nicht nur der wahlkarnevalistischen Anwendung einer allen Feuerwerkern wohlbekannten Tinktur auf die Spur gekommen.

Statt dessen schützte man Berlins Litfaßsäulen, diese Symbole einer längst auseinandergeprügelten demokratischen Meinungsäußerung, durch Polizeistreifen.

Oder man stellte Spitzel auf, die aufpassen sollten, wer in den letzten Minuten vor dem Brande an den Plakaten zu schaffen gemacht hatte. Da es gar nicht so einfach war, derartig fest aufeinandergeklebte Papiermassen zum Brennen zu bringen, wähnte man, die lästigen Pyromanen mit Geduld und Umsicht fassen zu können. Aber ärgerlicherweise griff man stets die falschen.

Je dicker die Vernehmungsprotokolle wurden, desto dünner blieben die polizeilichen Ergebnisse. Selbst wenn man die Technik des Feuerzaubers in Erfahrung gebracht hätte, wäre die Polizei noch nicht am Ziel gewesen. Man konnte jene entzündbare Flüssigkeit so zusammenbrauen, daß ein Spielraum von ein bis zwei Stunden blieb, bis die Selbstentzündung erfolgte.

Es kam für die Täter lediglich darauf an, unbeachtet das Gift zu verspritzen. Und wer sollte unter Hunderten von harmlosen Passanten stundenlang zuvor jene Bösewichter herausfinden, die in ihrer Aktentasche einen kleinen Kanister versteckt trugen? Das aber war das wirklich Neue, womit Ralls Bericht anfing, interessant zu werden.“

(Seite 97)

( . . . )

Eine eigentliche Generalprobe fand nicht statt. Hingegen veranstaltete man so etwas wie ein Planspiel. Die Skizzen vom Reichstagsgebäude wurden ausgelegt, und auf dem Papier marschierten die Brandstifter hinter Heini Gewehr her, der als einziger mit Karl Ernst am Tatort beriet. Karl Ernst war Reichstagsabgeordneter, konnte also ohne Schwierigkeiten einen Rundmarsch durchs Gebäude antreten.“ (Seite 99)

( . . . )

„Log Rall? [Adolf Rall] Nein er log nicht. Alles, was er sagte, ist in sich glaubwürdig. Und selbst wenn uns hier ein Zweifel aufkäme: den besten Beweis für den Wahrheitsgehalt seiner Schilderung lieferten seine früheren SA-Führer mit der für ihn so fatalen Schlußfolgerung, daß sie ihn umbrachten. (Seite 102)

( . . . )

Rall tat nur was ihm befohlen war, mehr nicht. Rall wußte nur, so viel er unbedingt wissen mußte, mehr nicht. Er konnte also nur ausplaudern, woran er selber mitgewirkt hatte. Allenfalls konnte er noch die zehn Namen seiner Kumpane angeben, er tat es auch, doch habe ich sie nicht sämtlich erfahren.

Übrigens, was könnten wir schon viel damit anfangen Karl Ernst, Heini Gewehr [Hans Georg Gewehr] , [Adolf] Rall, meines Wissen war auch Schweinebacke [Willi Schmidt, geb. 2. Mai 1907] darunter: die restlichen Burschen dürfen wir uns mit einiger Phantasie getrost hinzudenken.

«Abholen» wird sie sowieso keine Polizei mehr, weil sie inzwischen alle tot sind. Die meisten überlebten nicht den 30. Juni [1934]. Der letzte, der über Bord ging, war Heini Gewehr. Er fiel im Osten ― als Polizeioffizier.“ (Seite 103)

Doch darin hat sich Gisevius geirrt. »Pistolen-Heini«, wie er auch genannt wurde, war wohlauf. Er hatte sich nach dem Krieg zwei neue Namen ausgedacht. Aus Heini Gewehr wurde erst Peter Jäger und dann Peter Schäfer. Bis er nicht mehr gesucht wurde.

Und so kehrte »Pistolen Heini« zu seinem alten Namen zurück und betrieb zusammen mit einem Teilhaber (Morisse) 1960 in Düsseldorf ein Baugeschäft.

Und weil der Staatsanwalt ein Ermittlungsverfahren gegen Hans Georg Gewehr anstrengen wollte, wurde auch die Stadtverwaltung tätig und schloß die Baufirma von Hans-Georg Gewehr von öffentlichen Aufträgen aus. Da blieb »Pistolen-Heini« gar nichts anderes übrig. Eine Privatklage für die Wiederherstellung eines guten Rufes, den er nie hatte.

Wenn er also weiter Aufträge von der Stadt bekommen wollte, mußte er seinen Ruf reparieren lassen. Das hat auch vorzüglich geklappt. Und hat ihm sogar noch 30 Tausend Mark eingebracht.

Sorry Eugen, ist schon wieder mal zu lang geworden, aber Du kennst mich ja, kurze Abschreibetexte liegen mir nicht so, J. Wie? Du weißt nicht wer das ist? Das war die gut aussehende Sängerin von Jeffersen Airplane. Da nich für. Ach da hab ich noch was gefunden für Dich. Der Tunnel ist jetzt im Museum. Da staunste wa? J.

Im Museum Der Tunnel
Nachforschungen im Keller des ausgebrannten Reichstages. Im Vordergrund Oberbranddirektor Walter Gempp. 3. von vorn (mit Brille) Hans von Dohnanyi, der spätere Widerstandskämpfer, als Mitarbeiter des Reichsjustizministeriums
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Jäger des verlorenen Schatzes oder Mein Freund der Rechtsanwalt

Neulich erhielt ich Post von meinem Freund, dem Rechtsanwalt. Er hatte mal wieder telefonischen Kontakt mit der freundlichen Dame vom Grundbuchamt. Aber, leider, leider, die entsprechenden Blätter aus dem Grundbuch sind nicht auffindbar. Zufällig handelt es sich um zwei Grundstücke, auf denen früher Kinos standen. Heute sind es die so genannten Sahnegrundstücke der Hamburger Innenstadt: Dammtorstrasse 14 und Gänsemarkt 43. Die Kinos hiessen Waterloo Theater und Lessing Theater und es wird behauptet, daß sowohl die Grundstücke, als auch die Kinos die darauf standen, den Kinobesitzern selber gehörten.

Nur beweisen kann man es nicht, solange die entsprechenden Grundbuchblätter fehlen. Dagegen sind die Grundbuchblätter ab 1938 für die entsprechenden Grundstücke vorhanden. Aber auch die sind nicht jedermann zugänglich. Der Datenschutz, versteht sich. Das war nicht immer so. Bis 1970 waren die Grundbesitzer in den Adressbüchern abgedruckt. Merkwürdig, wie sie und warum daraus verschwunden sind. Da heißt es entsprechende Vollmachten zu besorgen und wer kann sich schon Vollmachten besorgen von Menschen, die von deutschen Bürgern umgebracht wurden?

Und genau da beginnt die Sache mit der Geschichte der Hamburger Kinos schwierig zu werden. Inzwischen sind seit jener Zeit zwei Generationen vergangen. Die Opfer sind tot, die damaligen Täter, die ihren Kindern eingeredet hatten, dass Sie ein Opfer ihrer Zeit waren und keineswegs Täter, und auch die Kinder, die ihrerseits zur Legendenbildung beigetragen haben, ihre Väter hätten das enteignete Eigentum rechtmäßig erworben, sind inzwischen verstorben. So ist ein nüchterner Blick auf die Hamburger Kinogeschichte heute eher möglich, als noch vor zwanzig Jahren, als ich mit den Recherchen zur Geschichte der Hamburger Schauburg Kinos begonnen habe.

Der Eigentümer, so behaupte ich, der Grundstücke Gänsemarkt 48, Büschstrasse 1, belegen im Grundbuch Neustadt Nord, Band XVI, Blatt 776, Flurbuch Nr. 818 , Grösse 270 qm und Gänsemarkt 46 und Büschstrasse 2, belegen im Grundbuch Neustadt Nord XVII, Blatt 818, Flurbuch Nr. 861, war Jeremias genannt James Henschel, geboren in Hamburg, am 5. Februar 1863, Staatsangehögikeit: deutsch, Religion: jüdisch, verheiratet mit Friderike Henschel, geb. Blumenthal, drei Kinder. James Henschel ist von Beruf Kaufmann. Im August 1938 flüchtet das Ehepaar zu Ihrer Tochter Bianca nach Holland, die sich dort mit einem portugiesischem Konsul verheiratet hat und seit dem Bianca Kahn heisst.

Ein Jahr später – am 26. August 1939 – stirbt Jeremias Henschel im Exil in Scheveningen/Holland. (Wohnanschrift von James und Frida Henschel bei ihrer Tochter Bianca Kahn und Dr. Isidor Kahn, Scheveningen, Kapelplein 7 am 8. September 1939) Am 13. Juni 1939 beantragt der Oberfinanzpräsident Hamburg bei der GESTAPO die Ausbürgerung von Jeremias Henschel. Im Monat darauf am 7. Juli 1939 beantragt die GESTAPO Hamburg bei der GESTAPO Berlin die Ausbürgerung von Friederike Henschel, geb. Blumenthal. Am 16. September 1939 ist die Bekanntmachung der Ausbürgerung von Jeremias Henschel und Friderike Henschel durch den Reichsminister sowie sofortiger Beschlagnahmung des gesamten Vermögens. Wer sich auf die Suche nach den Kinoeigentümern macht, denen die Kinos früher – vor 1933 – gehört haben, hat es nicht leicht. Die Spuren sind gründlich verwischt, die Quellen werden gehütet. So werden die nicht auffindbaren Seiten der Grundbücher zum Hüter der verlorenen Schätze und haben damit fast Kinoqualität. Jens Meyer 9. Dezember 2004