Briefe an Eugen (II) Hallo Eugen, Du fragst mich, als Nichtwähler den Ungültigwähler, warum die Linke immer so erfolglos ist? Ich hab natürlich eine Antwort. Vielleicht überrascht sie Dich. Das geht los mit dem beknackten Namen: »Die Linke«. Das glänzt von Ehrlichkeit und von Erfolglosigkeit. Ähnlich erfolglos wie Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) oder wie Sozialistische Einheitspartei Westberlin (SEW).
Fangen wir mal mit den Parteinamen in Deutschland an. In jedem Parteinamen kommen in der Regel drei Eigenschaften zum Einsatz. Das besondere daran ist: Die erfolgreichen Parteien haben deswegen Erfolg, weil sie diese Eigenschaften in ihrem Namen zwar propagieren aber keinesfalls praktizieren.
Erfolgreich in der Vergangenheit waren die Worte: »National, Sozialistisch, Arbeiter, Christlich, Demokratisch, Sozial«. Was alle ausgezeichnet hat: Die Gebietseinschränkung: Deutschland. Wahrscheinlich deshalb gewählt, damit es nicht zu Verwechslungen kommt. Das man das D vielleicht für Dänemark halten kann. Fangen wir alos mit der erfolgreichsten Partei der letzten siebzig Jahre an: Was ist an der »CDU« christlich? Was ist an der »CDU« demokratisch?
Siehste wohl! Was ist an der Schwesterpartei aus Bayern christlich? Das Holzkreuz in den Schulen? Und was ist an ihr sozial? Auch die Konkurrenz sozial und demokratisch? So geht es weiter: Alternativ? Frei? Allesamt nein.
Keine Partei, die an den Fleischtopf will, bindet dieses Ziel dem Wähler auf die Nase. Wußtest Du, das es in der Weimarer Republik auch schon eine DKP gab? Die fast genauso erfolglos war, wie die heutige »DKP«, aber doch mit einem ganz anderen Inhalt, als die heutige »DKP«. Oder vielleicht nicht?
Ausgeschrieben hieß das K in dem Namen »DKP« »Konservative«. Das häättdse jetzt nicht gedacht oder?
Vielleicht liegt ein Erfolgsrezept bei der Namensfindung, das im Namen immer das Gegenteil von den zu erreichenden Zielen genannt wird. Wer also Frieden will, nennt sich Kriegspartei. Wer was gegen die Armut tun will »Partei der Reichen (PDR)«. Die Nazis, das wissen wir aus der Geschichte, sind immer nur solange demokratisch, bis sie die Mehrheit haben.
Bis dahin morden sie sich an die Macht. Und schieben die Morde und gelegten Brände auf den politischen Gegner. Und das sind in der Regel alle Anderen. Und unsere Linke glänzt mit ihrer Ehrlichkeit und verteilt Flugblätter. Eine Partei die »Der Diskrete Charme der Bourgeoisie (DDCdB)« heißt würde ich schon wählen.
Eine Partei die »Mehr Knecht Wagen (MKW)« hieße, aber eher nicht. Warum nicht die: »Neue Deutsche Rechtspartei (NDP)«. Das wäre vermutlich ein Erfolgsmodell.
Oder besser noch, auch in Anlehnung an die Vergangenheit (Italien und Gitte): »Wir wollen alles und zwar sofort (WWauzs)«. Die Punkte dazwischen, die früher Mode waren, könnte man weglassen.
Bisher kennt die deutsche Geschichte ja nur eine erfolgreiche Partei mit fünf Buchstaben, da wäre doch eine mit sechs Buchstaben ein gutes Versuchsmodell, weil länger. Und nun kommst Du. Von wem ist denn nun das Zitat auf Deinem T-Schirt? J.,
Günther Thews, aidskranker Kabarettist und Ex- „Tornado“ über seine letzte Kommunalwahl, einem Wunschbürgermeister für Kreuzberg und das Nichts im Berliner Zentrum. Das Interview erschien am 25. Mai 1992 in der TAZ. Die Fragen stellte Mathias Bröckers.
taz: Günther, das ist ja nun deine letzte Kommunalwahl …
Günther Thews: Na Gott sei Dank ist es die letzte. Diese Wählerei ist mir ja schon länger zutiefst suspekt, und ich habe mich schon immer gefragt, warum will einer überhaupt Politiker werden, sich hinstellen im grauen Anzug und Schlips und sagen: „Ich weiß, wo’s lang geht, ihr müßt mich wählen.“ Die Motivation für einen solch schmierigen Job ist mir ziemlich rätselhaft.
Du bist also ein klassischer Nicht-Wähler?
Die Partei der Nicht-Wähler ist ja hochinteressant: Erst mal ist es ja schon so ziemlich die größte Partei, und dann, das ist das Wichtigste, sind da alle drin: Rechte und Linke, Dicke und Dünne, Intelligente und Blöde — wenn so ein Skin aus dem Osten nicht wählen geht, ist das ein anderer Ausdruck, als wenn hier ein linker Intellektueller vier Nächte über die Frage gesoffen hat: „Geh‘ ich nun hin oder nicht?“ Der Skin bleibt zu Hause, weil er den Wahlzettel nicht lesen kann und nicht weiß, wo er sein Hakenkreuz für den Führer hinmachen muß — der kritische Linke hier hat natürlich ganz andere Gründe. Und wenn man sich dieses Spektrum anguckt, repräsentiert die Partei der Nicht-Wähler wirklich die Bevölkerung, die Nicht-Wähler sind also die eigentliche Partei der Mitte.
Aber ist einfach Nicht-Wählen nicht auch ein bißchen einfallslos?
Ich habe mir ja auch schon überlegt, ob wir nicht Alternativen haben— so wenig wie die Politiker bewegen, könnte man ja glatt auch wieder Magier, Kartenleser, Regenmacher usw. einsetzen, das heißt, wir wählen hier einen Kreuzberger Bezirks-Schamanen, der unsere Geschicke lenkt. Aber so einen wie den SPD-Kandidaten Peter Strieder? Nee, den würde ich nur wählen, wenn er wirklich macht, was ich mir vorstelle, und zum Beispiel erlaubt, daß auf Immobilienhaie mit Damenrevolvern geschossen werden darf oder für ein quasi autofreies, knastfreies, drogenverbotsfreies Kreuzberg sorgt oder hier zumindest mal lokal realisiert, was schon Willy Brandt für die ganze Welt wollte: Kinderrepubliken, also im weitesten Sinne UFA-Fabrik-ähnliche Kommunen.
Du bleibst also am Sonntag zu Hause?
Ja wie komme ich denn dazu, die Drecksarbeit der Politiker, ihre Korruption und Eitelkeit, auch noch zu legitimieren, indem ich in eine langweilige Schule gehe und mein Kreuz mache? Wenn ich mir schon dieses sogenannte Wahllokal ansehe — da habe ich aber ’ne ganz andere Wahl für’n Lokal.
Hast du denn eine Prognose?
Erinnern wir uns an unseren Freund Wolfgang Neuss: „Der Berliner ist hinterfotzig“ — also Vorsicht bei Prognosen. Viel interessanter ist doch die Frage: Warum haben eigentlich die Schimpansen keine Kommunalwahl, und warum brauchen wir so etwas? Also wenn jemand öffentlich fordern kann, die Oberbaumbrücke sechsspurig zu untertunneln, Unter den Linden achtspurig zu untertunneln, wenn man solche Visionen frei äußern darf, ohne dafür gleich einen in die Fresse zu kriegen — dann kann ich doch auch so phantastische Sachen fordern wie Bezirks-Zauberer für Kreuzberg. Ganz grundsätzlich für Demokratie und Wahlen gilt natürlich: Was soll ich mich beherrschen lassen, wenn ich mich kaum selbst beherrschen kann?
Von wem würdest du dich denn am liebsten beherrschen lassen, wenn überhaupt?
Na auf keinen Fall von Leuten wie Heinrich Lummer. Alle reden von Stolpe, aber ein Typ wie der kleine Lummer, ein echter IM, der auf Kosten der Stasi in Prag bumsen geht und bei den konspirativen Treffen bestimmt nicht nur Witze erzählt hat, der flutscht durchs Netz. Aber gucken wir doch mal, wer alles schon Kreuzberg regieren wollte: Cäsar wollte schon mal ganz Germanien beherrschen, Napoleon hat es ’ne Weile versucht, Coca-Cola hat sich jetzt einigermaßen festgesetzt, und jetzt kommt da so einer wie Striebel oder Strieder, und meint, er wüßte, wie man das macht. Also nee.
Du hast also keinen Wunschbürgermeister?
Doch. Ich wüßte einen, den wir ganz dringend importieren müßten: den Bürgermeister von Bangkok. Ein Spitzenmann, der früher General war und jetzt in der buddhistischen Tunika rumläuft und die Stadt regiert. Ein echter Erleuchteter, der sein ganzes Geld gleich an die Armen weitergibt, morgens um vier aufsteht und meditiert und dann schon mal zwei Stunden den Straßenfegern beim Saubermachen hilft, nicht als Presse-Show, sondern ganz selbstverständlich. Einer, der an seinem lächerlichen Ich nicht hängt, der die Identität als Bürgermeister nicht braucht und dem die Bevölkerung deshalb zutraut, daß er nicht korrupt ist. Und jetzt sitzt er im Knast. Da müssen wir ihn dringend rausholen und am besten als Asylant und Wunschbürgermeister gleich nach Kreuzberg einladen.
Kreuzberg — das wäre aber doch ein Abstieg, ganz Berlin scheint mir eher angemessen.
Der Senat kann ihn uns ja dann abkaufen, gegen Ablösesumme. Ich vermittle das gern, als Vermittler eines wahrhaft Unbestechlichen darf man ja ruhig ein bißchen Provision kassieren. Aber im Ernst: So ein Mann wäre ein Segen für die Stadt. Nimm nur mal den Potsdamer Platz. Der wird jetzt mit Bürohäusern betoniert, man weiß jetzt schon, es wird grauenhaft, obwohl die teuersten und besten Architekten der Welt am Werk sind. Ein Buddhist als Bürgermeister würde da sagen: Ja Mensch, seid ihr wahnsinnig, ihr seid die einzige Stadt der Welt mit einem leeren Zentrum, und das knallt ihr euch jetzt mit Autos und Beton voll??? Das Nichts in der Mitte, das leere Zentrum ist es doch gerade — nur das strahlt doch etwas aus.
Das werden unsere Christen und Sozialen nicht kapieren.
Na ja, man könnte aber doch mal zeigen, daß man nach 5.000mal „Tagesschau“ etwas gelernt hat — zwischendurch tritt ja selbst in der „Tagesschau“ ab und an die Wahrheit zutage. Aber das letzte, was unser SPD-Kandidat gelesen hat, um seine Visionen zu schärfen, ist ein Perry- Rhodan-Heft, als er im Krankenhaus lag. Wann soll sich denn die Phantasie eines Politikers entwickeln: Die gehen zur Schule, Bundeswehr, studieren Jura oder Verwaltung, sitzen dann in einem langweiligen Büro herum und sollen dann plötzlich ’ne Vision für die Stadt haben. Wo soll die herkommen, frage ich? Nicht mal ’ne bewußtseinserweiternde Pflanze nehmen sie da, sondern höchstens Schlaf- und Aufputschmittel. Deshalb müssen dringend diejenigen mit der politischen Arbeit betraut werden, die für Visionen und Phantasie hauptberuflich zuständig sind: die Künstler.
Soll dann Ben Wargin entscheiden, ob wir ’nen Jäger 90 kriegen oder nicht?
So direkt ja nun auch wieder nicht. Aber eine Art runden Tisch von allen kreativen Leuten — und die suchen sich denn irgendeinen smarten, dußligen Politiker, der ihre Beschlüsse perfekt auosführt. Der wird direkt bezahlt, und wenn er nicht spurt, fliegt er raus wie in der Bundesliga. Nun können die Künstler ja auch nicht immer viel miteinander anfangen — aber jeder hat in seinem Bereich eine Vision entwickelt und kann am runden Tisch kundtun, wie er sich die Welt als großes Kloster denn so vorstellt. Die Politiker führen dann nur noch aus. Ich glaube, daß ist unsere einzige Chance, eine Antwort darauf zu finden, wo es langgehen muß. In meinem Krimi hier habe ich gerade einen guten Satz gelesen: „Wenn du die Antwort nicht findest, mußt du selber die Antwort werden.“