In Erinnerung an Renate Holland-Moritz (RHM) (VI) – Filmkritik: JFK-STONE-washed (1992)

JFK – STONE – washed von Renate Holland-Moritz (1992) (Eine Filmkritik)

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Die US-Amerikaner lieben ihr Land. Selbst ihre allmächtige und allgegenwärtige Stasi, die Central Intelligence Agency, lassen sie vertrauensvoll gewähren. Oder haben Sie jemals von einem demonstrierenden Ami den Ruf gehört: »CIA in the Production!« Na bitte. Die Jungs sollen ruhig machen, was sie wirklich können: spionieren, infiltrieren, zersetzen. Und Akten anlegen. Oder auch nicht. Kein Gott und kein Gauck, von den die Bespitzelten ganz zu schweigen, dürfen da reingucken.

Diese Art Umgang mit den amerikanischen Stasiakten hat einen nicht zu unterschätzenden sozialen Aspekt: Sie schafft Arbeit. Eine Menge Leute, z. B. Journalisten, Buchautoren und Filmemacher, können eine ganze Menge Geld damit verdienen.

Greifen wir nur einen Fall heraus: den Kennedy Mord. Die Protokolle, so denn überhaupt noch welche vorhanden sind, werden allerdings veröffentlicht. Wenn auch erst anno 2038, ganz 75 Jahre nach der Tragödie. Aber man hat ja schließlich ein Langzeitgedächtnis.

Unter den Augen Tausender Schaulustiger war der jüngste Präsident der Vereinigten Staaten am 22. November 1963 in Dallas erschossen worden. Der blitzartig gefaßte Täter hieß nicht J. R. Ewing, sondern Lee Harvey Oswald, war 24 Jahre alt, mit einer Russin (!) verheiratet und selbstverständlich Kommunist.

Nachdem er zwei Tage lang seine Unschuld beteuert hatte, wurde auch er vor laufenden Kameras gekillt. Und zwar vom mafiösen Nachtclubbesitzer Jack Ruby, den es kurze Zeit später ebenfalls dahinraffte.

Als das neugierige Volk nach Aufklärung schrie, stellte der neue Prä-sident Lyndon B. Johnson eine Untersuchungskommission unter dem Vorsitz des Obersten Richters der USA Earl Warren zusammen.

Nun dauerte es nur noch zehn Monate, bis jedermann erfahren konnte, wie alles gelaufen war.

Also: Oswald, das Kommunistenschwein, hatte die Tat ganz allein geplant und begangen. Aus einem uralten defekten Gewehr feuerte er innerhalb von acht Sekunden drei Schüsse auf sein 50 Meter entferntes bewegliches Ziel JFK ab. Eine Kugel erwies sich als zauberkräftig. Sie traf Kennedy erst in den Rücken und dann in den Hals. Danach verließ sie den Präsidenten, um den vor ihm sitzenden Gouverneuer Connally durch den Rücken in die Brust zu treffen, im freien Flug einen Speichenknochen seiner linken Hand zu zersplittern, sich anschließend durch seinen rechten Oberschenkel zu bohren und endlich direkt vor die wachsamen Polizisten zu rollen.

So und ähnlich überzeugend argumentierte der Warren Report. Wer sich beim Durchackern der 26 Bände nicht totgelacht hatte, kam unter Umständen auf die Idee, selbst Nachforschungen anzustellen. Es fanden sich Zeugen, die andere Schützen gesehen und drei weitere Schüsse gehört hat-ten. Die Spuren führten in die Unterwelt und ins Pentagon, zu FBI und CIA, und wer was ausgesagt hatte, das auf eine Verschwörung, gar auf einen Staatsstreich deutete, verstummte sehr bald und für immer.

Nun brach die Zeit der Vermarktung an. Mehr als 100 Fernsehsendungen wurden ausgestrahlt und mehr als 600 Bücher erschienen zum Fall Kennedy. Darunter »Auf der Spur der Mörder« von Jim Garrison, Bezirksstaatsanwalt von New Orleans. Er bewies, daß Oswald ein kleiner CIA-Spitzel war, der den tödlichen Schuß gar nicht geführt haben konnte. Er untersetzte auch die Komplott-Theorie durch einleuchtende Fakten.

Und nun wirds leider ein bißchen kriminell. Oliver Stone (»Platoon«) bemächtigte sich nämlich des Garrison-Reports und strickte es zu dem Hollywood Monumentalsschinken »JFK John F. Kennedy – Tatort Dallas« um.

Wieder und wieder zelebriert der manische Filmer den Mordhergang in einer unentwirrbaren Verschlingung von Dokumentaraufnahmen und nachgestellten Szenen. In trommelfeuerartiger Abfolge von Wort und Bild entbietet er jeden Krümel der Garrisonschen Recherchen. Als Lockfett benutzt er dieses spezifische Hollywood-Schmalz, von dem einem so richtig schön schlecht wird. Wenn beispielsweise Sissy Spacek alias Mrs. Garrison gurrt, der tote JFK möge sich ein bißchen gedulden, weil sie dringend mit Mr. Garrison ins Bett will. Oder wenn der eins so nett mit dem Wolf tanzenden Kevin Costner, nunmehr STONE-washed wie ein magenkranker Hauptbuchhalter, als Jim Garrison Tränen vergießt, weil mit dem Mord an Kennedy »der heimliche Mord im Herzen des amerikanischen Traums« stattgefunden habe.

Denn – und das ist das Glaubensbekenntnis des Oliver Stone – JFK war der Messias. Wäre uns der Erlöser nicht schon wieder genommen worden, hätte es keinen Vietnamkrieg gegeben, kein Watergate und keinen Golfkrieg. Frieden wäre auf Erden und den Schwarzen wie den Weißen ein Wohlgefallen. Amen.

Und dann läßt Stone seinen Helden noch einen denkwürdigen Satz sagen: »Wenn das Alte nicht mehr funktioniert, dann geh einen Schritt weiter nach Westen.«

Bis Amerika etwa? Besten Dank! Da sind mir einfach zu viele Spinner. Und vor allem viele zu viele unkontrollierbare Stasileute.

Renate Holland-Moritz (1992)

Ach und Wolfgang Neuss hatte auch noch was zu den Kennedy Mördern gesagt, moment mal ich muss mal nachsehen, nachhören.

Wolfgang Neuss hat seinen Onkel und seine Tante in Treptow besucht. „Ein Glück, sagt er, daß dieser Oswald-Mörder Rubinstein heisst. Stell dir mal vor, der heisst zufällig Müller, Meier oder Schulze? Würden die Leute in der ganzen Welt noch glauben, wäre ein Deutscher gewesen!“ (Das jüngste Gerücht. Von und mit Wolfgang Neuss, LP Fontana 885405 Schallplatte 1964).

Aus dem Buch : Der Totale Neuss, Seite 302. Zitat: „1963 – Zwei Jahre nach dem Mauerbau steckt der Ost-West-Dialog in einer Krise. Nach zähen Verhandlungen zwischen den deutsch-deutschen Behörden kommt es zu einem Passierscheinabkommen, das Westberlinern ermöglicht, ihre Verwandten im Ostteil der Stadt zu besuchen. Im November fällt Kennedy, der noch im Juni vor dem Schöneberger Rathaus die Berliner mit dem Spruch »Ich bin ein Berliner« begeistert hatte, in Dallas einem Attentat zum Opfer. Der mutmaßliche Kennedy-Mörder Lee Harvey Oswald wird – bereits in Polizeigewahrsam – von Jack Rubinstein alias Ruby, einem Barbesitzer von zweifelhaftem Ruf, auf offener Straße erschossen. Die näheren Umstände des Kennedy-Mordes wurden nie aufgeklärt.“

In Erinnerung an Renate Holland Moritz (V) Um KOB und Kragen

Abschrift. Abgeschrieben aus dem Buch: Angeschmiert und eingewickelt. (Dietz Verlag Berlin 1996 ISBN 3-320-01914-7) von Renate Holland Moritz. 154 Seiten, (Seite 135 – 140)

Um KOB und Kragen (1968)

Abschrift Renate Holland Moritz

PDF Angeschmiertundeingewickelt

Ich habe zwei Kinder (Konfektionsgrößen 158 und 104), die mit konstanter Bosheit alljährlich aus ihrer gesamten KOB herauswachsen. Wer das für keineswegs kritikwürdig hält, schneidert entweder selbst oder hat noch niemals Kinderoberbekleidung eingekauft. Am Anfang versuchte ich, die jeweils ausfallenden Hosen, Kleider, Mäntel und Anoraks nach Bedarf zur ersetzen. Diese zeit- und nervenraubende Methode habe ich indes aufgegeben. Jetzt warte ich bis zu Beginn einer neuen Saison, nehme mir ein bis zwei freie Tage, ein großes Stullenpaket, eine Schachtel Beruhigungspillen sowie eine Liste der dringend benötigten Textilien und rüste mich zu einer einmaligen Odysee. Diesmal hatte ich die verwegene Idee, Anfang Oktober warme Winterkleidung kaufen zu wollen. Draußen wars zwar schon empfindlich kalt, aber in den überheizten Berliner Kaufhäusern herrschte schläfriger Altweibersommer. „Ein Winterkostüm für zwölf Jahre?“ wiederholte die Verkäuferin der KOB-Spezialverkaufsstelle Adlershof, als hätte ich sie um einen Raumfahreranzug aus Silberlamé gebeten. “Wintersachen kommen erst im November. Kostüme sind zur Zeit überhaupt nicht da. Aber ein Jackenkleid ist am Lager.“ Das allen zwölfjährigen Adlershoferinnen zugedachte Jackenkleid war von schmutzig-gelber Farbe mit grauen Karostreifen, Material Spezitex, der stolze Preis 90,40 Mark. Vom VEB Jugendmodelle Roßwein offenbar unter dem Motto hergestellt: „Für die kleine Oma mit Lotto Fünfer!“

Die Frage nach Dederon-Anoraks machte die Verkäuferin stumm vor Mitleid. Im Modehaus „Chic zu dritt“ hingegen gab es inmitten des langweiligen, tristen Angebots eine Oase für zehnjährige Luxusgeschöpfe: Anoraks aus weißem Nylon, importiert aus Westdeutschland, Preis 86 Mark. Im Kaufhaus „Centrum“ fand ich ein einziges Mädchenkostüm, dunkelblau, offenbar Wollstoff (leider fehlten Materialzettel, sowie einige Knöpfe), Kostenpunkt 94,50 Mark. Eine Treppe tiefer befaßten sich – im Wortsinne – Hunderte Kundinnen mit rosa, weißen und hellblauen Kinderpullovern aus synthetischem Material. Die mittlerweile leicht beschmutzten Prunkstücke kosteten zwischen 47 und 66 Mark. Genug der naturalistischen Schauerdramen. Fragen wir mal ganz prosaisch: Was ist eigentlich los in der Kinderoberbekleidungsindustrie? Befindet sie sich auf einem anderen Stern? Produziert sie qualitativ hochwertige Stücke für einen Kundenkreis, der sich vornehmlich aus nichtarbeitenden Millionärsgattinnen zusammensetzt? In unserem Staat ist allenthalben eine wohltuende Fürsorge um Mutter und Kind zu spüren. Die Kostenbeiträge für Krippen- und Kindergartenplätze, für Schulspeisung und Hortunterbringung sind beispielhaft niedrig. Medizinische Leistungen (einschließlich Säuglings- und Mütterfürsorge) sind sämtlich kostenfrei. Aber ein Kind muß nicht nur betreut, gesund erhalten und ernährt, sondern auch gekleidet werden. Und bei diesem Kapitel kriegt namentlich jede berufstätige Mutter, die noch dazu mehrere Kinder hat, das heulende Elend. Man sollte meinen, das pflegeleichte Kindersachen aus Kunstfasern, wie Dederon, Grisuten, Wolpryla usw., ein wahrer Segen für kinderreiche Familien sind.

Das Gegenteil ist der Fall. Nicht nur, daß die Berufstätigen kaum Zeit haben, wochenlange Suchexpeditionen zu unternehmen, sie sind auch außerstande, oben angeführte fernsehturmhohe Preise zu zahlen. Bei der diesjährigen Herbstkaufhandlung boten beispielsweise die Firmen Ehrler KG Schlehma und die PGH Mode Saalfeld Kinderanoraks aus Kunstfaser für sage und schreibe 175,50 und 185,50 Mark an. Doch beide Firmen waschen ihre Hände zu Recht in Unschuld, denn die Finanz-Astronomen sitzen in Frankenberg. Hier gibt es ein Zentralreferat Textil, das jeden einzelnen Artikel der Industrie prüft und den Preis festlegt. Unterschiedslos wird mit höherer Mathematik jongliert, denn im Mittelpunkt steht nicht der Mensch, in unserem Falle das Kind mit seiner fatalen Eigenschaft zu wachsen, sondern das Prinzip formalen Rechnens. Kunstfaser unterliegen einem einheitlichen, längst überholungsbedürftigem Preisgefüge, egal, ob sie in der Damen- oder Kinderoberbekleidung verwendet werden. Wie wärs mit der Verabschiedung eines Entwicklungsgesetzes: Die sozialistische Menschwerdung lebender Computer! Doch aber auch in den zivileren Preisregionen der KOB ist für ausreichenden Ärger gesorgt. Zweckmäßigkeit, Farbenfreude und kindgemäße Modellgestaltung scheinen eine nahezu unvereinbare Forderung zu sein. Für meinen dreijährigen Sohn gibt es grundsätzlich nur griesgraue Herrenanzüge, in denen er aussieht wie sein eigener Vater. Dazu wird von modebewußten Verkäuferinnen das obligate weiße Oberhemd samt roter Fliege empfohlen. Und in solcher Verkleidung sollen die armen Würmer nun fröhlich sein und singen! Jeder vollsinnige Mensch fragt sich natürlich, wer es einigen weltfremden Entwerfern -zum Beispiel im VEB Brandenburger Kinderbekleidung in des Oskar Hennig KG Berlin- gestattet, normale kleine Jungen in eine Heer ehrwürdiger Zwerge zu verwandeln. Würde der Handel alle von der KOB-Industrie angebotenen Scheußlichkeiten ablehnen, die Hersteller also auf ihrem Murks schuldhaft und prämienlos sitzenlassen, dann sähe es in unseren Geschäften bald anders aus. „Vielleicht haben Sie recht“, entgegnete eine Verkäuferin, „aber was bieten wir in der Zwischenzeit an?

Wie sollen wir den Umsatzplan erfüllen und den Bedarf decken? Wenn wir wählerisch sind, stehen wir vor halbleeren Regalen.“ Also schließt sich der Kreis: Die Industrie produziert, was sie will, der Handel kauft, was er kriegen kann, und der Kunde ist an allem schuld. Der Witz ist nur, daß die Regale trotz allem Murks nicht voll sind, die gewaltigen Sortimentslücken können noch immer in den KOB-Spezialgeschäften besichtigt werden. Ins Reich der Utopie gehören folgende Kundenwünsche: Hosenanzüge für Mädchen , modische Cordbekleidung, speziell aus breitgripptem Cord, praktische, strapazierfähkge Blue-Jeans, variable Ensembles für kleine Jungen, bestehend aus Hose, Weste und Pullover, für die man ständig passende Teile dazukaufen kann. All dies gibt es gar nicht oder so gut wie nie. Auch die gängigen Kleinkindergrößen wie 104 und 110 werden in so geringen Stückzahlen hergestellt, daß in manchen Läden manchmal nicht ein einziges Modell am Lager ist. Statt dessen hat aber die Industrie eine prima Erklärung am Lager: Grundlage für den Herstellungspreis ist die Größe 98. Produziert man nun die Größen 104 und 110, bedürfe es aus Planrücksichten eines Preis- und Gewebeausgleichs durch die Liliputgrößen 86 und 92. Da aber die Ein- bis Zweijährigen vornehmlich bestrickt werden, spielen sie für die Konfektion nur eine kleine Nebenrolle. Also, der Kunde ist schuld! Warum strickt er auch, wo doch die Industrie einen Planausgleich braucht! Noch vor einiger Zeit war es Usus, daß Vertreter des Handels und des Deutschen Modeinstituts bei der Vorstellung neuer KOB-Kollektionen zugegen waren.. Sie beurteilten modische Gestaltung, Zweckmäßigkeit von Schnitt und Gewebe sowie den Preis. Sie gaben Ratschläge und legten ernstfalls ihr Veto ein.

Diese bewährte Methode wurde außer Kraft gesetzt, die Kollektionen werden jetzt ausschließlich von in modischer Hinsicht nicht immer qualifizierten Kollegen des DAMW beurteilt. Natürlich können Vertreter des Handels die Kollektionsaustellungen der Großbetriebe besuchen, aber dann müßten sie ihren Stellenplan um mindestens das Dreifache vergrößern. Zweckmäßiger wäre, die Großhandelsgesellschaften würden sich zusammentun und die Betriebe mit ihren Kollektionen zu sich einladen. Der Einfluß des Einzelhandels auf die Industrie ist auf die die Direktverträge beschränkt. Doch diese Kontakte gibt es bestenfalls mit einigen Großbetrieben. Die Klein- und Kleinstbetriebe – und das sind immerhin 70 Prozent der gesamten KOB- Industrie – werden nicht erreicht. Und gerade dort sitzen die Gralshüter des schlechten Geschmacks und der Ideenlosigkeit. Auch den Spinnereien dürfte für die KOB einmal etwas Besseres einfallen als der Treppenwitz Greisyn. Dieses Gewebe, bestehend aus Zellwolle, Reißspinnstoff und einer Prise Kunstfaser, ist praktisch nicht waschbar. Kleidungsstücke aus Greisyn müssen, um wieder ihre ursprüngliche Form zu erhalten, chemisch gereinigt werden. Diese Zumutung bei Kinderbekleidung grenzt schon an Infamie.

Durch den Elan einiger junger Leute erfolgte in der bisher ebenfalls katastrophalen Jugendmode eine spürbarer Wandel. Vorerst in allen großen Städten (in Berlin in der Brüderstrasse) Wurden spezielle Kaufhäuser für „Junge Mode“ eingerichtet , in denen sich die Jugendlichen endlich ihren Wünschen entsprechend einkleiden können. Auch Zubehör wie Schuhe, halterlose Strümpfe, Handtaschen, Modeschmuck, sogar Schallplatten gibts am Ort der Kaufhandlung. Man läßt der Jugend ihren Lauf , weil man sie als zahlenden Kundschaft ernst nehmen muß. Kinderstimmen werden dagegen nicht gehört.

Wie das Kaninchen auf die Schlange starren die Werkleiter der KOB-Industrie auf ihren Plan , den sie – rücksichtsvoll nur gegenüber ihren eigenen Jahresendprämien – mit preußischer Sturheit erfüllen. Röcke aus lustig-buntem Schottenstoff zum Beispiel produzieren sie nicht, „der Verschnitt ist zu groß“. Einfarbige Stoffe hingegen, mögen sie selbst achtzigjährigen Omas zu trist sein, lassen sich bis zum letzten Zentimeter verarbeiten. Da lacht der Plan! Das wütende Geheul der kleinen Mädchen ist für den planbewußten Werkleiter eine abstrakte Kategorie. Sommerkleidchen aus einfachem Material sind schnell und billig hergestellt. Also ran an die Buletten! Der Plan ist theoretisch erfüllt. Daß jedoch praktisch in diesem Jahr rund 100 000 Stück Winterbekleidung fehlen, steht auf einem anderen Blatt. Und eben dieses Blatt wollten wir nicht mehr vor den Mund nehmen. Mit den Verantwortlichen der Kinderoberbeklei–dungsindustrie muß geredet werden, und zwar Fraktur. Und wenn sie nach gehabter Standpauke ganz klein sind, mit Hut, dann könnten sie endlich ihre Ladenhüter selbst auftragen. (1968)

Bleiben für den Wessi aus Hamburg noch Fragen. Bei uns gab es auch Kobs, das war der Bulle vor Ort in Westberlin. Kob= Kontakt Bereichsbeamter. Einen DAWM Hatten wir nicht. Was ist das?

In Erinnerung an Renate Holland Moritz (II) Interview mit Andreas Kurtz

Renate Holland-Moritz (R.H.M.) schreibt seit 50 Jahren in der Satire-Zeitschrift Eulenspiegel ihre Filmkritiken. Sie waren zu DDR-Zeiten Kult: Die Kinoeule. Interview mit Andreas Kurtz (A.K.)

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Zur Person: Renate Holland-Moritz (R.H.M.) wurde in Berlin-Wedding geboren, wuchs aber in Südthüringen auf. Nach nicht abgeschlossenem Oberschulbesuch begann sie als Volontärin und Assistentin bei verschiedenen Berliner Tageszeitungen. Seit 1956 ist sie freiberufliche Mitarbeiterin der Satirezeitschrift „Eulenspiegel“. Seit 1960 veröffentlicht sie dort unter dem Titel „Kino-Eule“ Filmkritiken. Sie hat eine Vielzahl satirischer Erzählungen im „Eulenspiegel“ und in Büchern veröffentlicht, von denen zwei vom DDR-Fernsehen und der Defa auch verfilmt wurden.

(A.K.): Vor fünfzig Jahren erschien im Satiremagazin Eulenspiegel zum ersten Mal die Autorenzeile Renate Holland-Moritz. Wie kam es dazu? (R.H.M.): Die Phase des Ausprobierens hatte ich damals mit einundzwanzig schon hinter mir. Das war wie Heimkehr. Das war genau der Ort, an den ich wollte, ohne begründete Hoffnung, dass die Eulen-Leute auch mich wollten. Ich hätte denen von mir aus nichts angeboten. A.K Wer hat Sie dazu angestiftet? (R.H.M.) Mein väterlicher Freund Rudolf Hirsch, der legendäre Gerichtsreporter der Wochenpost. Der war dabei, als ich am Stammtisch der Gerichtsreporter erzählte, wie ich dauernd mit anderen jungen Mädchen verwechselt wurde und dadurch in die peinlichsten Situationen geriet. „Schreib das auf!“ sagte er, und nachdem er meine allererste Geschichte „Ich habe ein Dutzendgesicht“ gelesen hatte, wollte er, dass ich sie dem Eulenspiegel schicke. Eigentlich habe ich mich immer wie ein Preuße benommen, der Befehle ausführt. Es mussten nur Befehlsgeber sein, die ich mochte und ernst nehmen konnte. (A.K.) Sind Sie es noch? (R.H.M.) Ich werde immer preußischer. Zum Beispiel bei Lieferterminen. Mittlerweile ist für mich pünktlich, wenn ich überpünktlich liefere, ein oder zwei Tage vorher. Es wird schlimmer. Im Alter verschärfen sich eben alle Wesenszüge. Besonders die unangenehmen. (A.K.) Das mit den Gerichtsreportagen war ein Umweg? (R.H.M.) Gewissermaßen. Ich hatte im Schweinsgalopp eine zweijährige Lehrzeit in verschiedenen Ost-Berliner Redaktionen durchlaufen. Das fing bei der Vierteljahreszeitschrift „Sowjetwissenschaft“ an. Also, da war ich so was von falsch! Ich konnte ja noch nicht einmal ordentlich russisch. Dann kam ich in die Monatszeitschrift „Neue Gesellschaft“, danach in die „Friedenspost“ und von dort zur „BZ am Abend“, heute der Berliner Kurier. Aus der „BZ am Abend“ bin ich rausgeschmissen worden. (A.K.) Wie kam es dazu? (R.H.M.) Der stellvertretende Chefredakteur war hinter mir her. Aber der war mir hochgradig unsympathisch. Als er mitkriegte, dass ich einen anderen Kollegen favorisierte, hat er mich fristlos entlassen. Wegen unmoralischen Verhaltens. Eine typische Nummer aus den 1950er- Jahren: Verhältnisse am Arbeitsplatz waren unerwünscht, und das Verdikt traf immer die Frau. (A.K.) Hat Sie das aus der Bahn geworfen? (R.H.M.) Nee. Ich kannte ja genügend Leute in anderen Redaktionen, die alle sagten: Kommste eben zu uns. Sobald sie aber meine Kaderakte gelesen hatten, gab es plötzlich keine Vakanz mehr. Ich war 19 und habe keine Festanstellung mehr gekriegt. Musste also zusehen, wie ich mich freiberuflich durchschlage. (A.K.) So gerieten Sie unter die Gerichtsreporter? (R.H.M.) Genau. Rudolf Hirsch sagte: „Schreib Gerichtsberichte, das kann nämlich jeder. Aber sag’s nicht weiter.“ Später fand er, ich sei bei den Satirikern doch besser aufgehoben. (A.K.) Hat nie wieder eine Festanstellung gelockt? (R.H.M.) Im Eulenspiegel musste ich mal zwei Jahre als Humor-Redakteurin arbeiten, weil mein Freund John Stave gekündigt hatte. Erst wollte ich nicht, weil die ja schon um acht Uhr anfingen. Um die Zeit kann ich noch nicht klar denken. Also bin ich so gegen zehne, elfe eingetrudelt. Nach einem Riesenkrach mit Chefredakteur Peter Nelken kam ich dann pünktlich, hängte allerdings ein „Bitte nicht stören“-Schild an die Türklinke und packte mich erst mal für zwei Stündchen auf die Couch. Da hatte der Chef ein Einsehen und ließ mich zu Hause ausschlafen, zumal ich die gesamte Post in der S-Bahn zwischen Grünau und Friedrichstraße erledigte. Nelken sagte immer: „Ich bezahle meine Leute nicht für ihren Hintern, sondern für geleistete Arbeit.“ (A.K.) Haben Sie eigentlich jemals ihre Kaderakte zu Gesicht bekommen? (R.H.M.) Beim Eulenspiegel hatten wir eine Kader-Instrukteurin, eine ungeheuer nette, junge Frau. Wir haben immer mal in ihrem Zimmer zusammengesessen und Kaffee getrunken. Eines Tages stand der Safe offen, und ich fragte: „Was sind denn da für furchtbar geheime Dinger drin?“ – Darauf sie: „Zum Beispiel die Kaderakten. Willste mal in deine reinschauen?“(A.K.) Sie wollten natürlich? (R.H.M.) Na klar! Und ich fand die Aktennotiz von diesem stellvertretenden Chefredakteur der BZA, in der stand, meine fristlose Entlassung erfolge wegen politischer Unreife und zweifelhafter Moral. Die zweifelhafte Moral hat mich nicht um weitere Festanstellungen gebracht, nur die politische Unreife! Mit solchen denunziatorischen Eintragungen konnte man einem Menschen die Zukunft versauen. Mir ist es allerdings zum Segen ausgeschlagen. (A.K.) Ihre Klatschgeschichten, die 1986 unter dem Titel „Die tote Else – Ein wahrhaftiges Klatschbuch“ erschienen, sind eine geschickt getarnte Autobiografie. Wie kam es dazu? (R.H.M.) 1974 hatte ich eine Einladung von der Reichsbahn in West-Berlin zu einer Lesung. Ich habe mich natürlich wahnsinnig gefreut. Den Pass dafür durfte ich mir im Büro des Schriftstellerverbandes abholen. Ein paar Wochen später kriegte ich wieder eine Einladung zur West-Berliner Reichsbahn. Als ich mir erneut den Pass abholte, kam ich mit der zuständigen Kollegin ins Gespräch. Sie sagte, sie habe den schönsten Posten im ganzen Schriftstellerverband, denn zu ihr kämen nur gut gelaunte Leute. Wegen der bevorstehenden Westreisen. (A.K.) Kamen denn viele? (R.H.M.) Mehr und mehr, behauptete die Verbands-Kollegin. Dann gab sie mir den Tipp mit dem Vierteljahresvisum. Für den Antrag brauchte ich nur eine halbwegs glaubwürdige Recherche-Idee. Nach einem Blick in meine Unterlagen sagte sie: „Mensch, du bist ja in West-Berlin geboren! Für eine Autobiografie musst du an Ort und Stelle nach deinen Wurzeln suchen!“ (A.K.) Damals waren Sie noch nicht einmal 40. Bisschen früh für eine Autobiografie, oder? (R.H.M.) Das war auch mein Einwand. Den ließ sie aber nicht gelten: „Mit dem Suchen kann man gar nicht früh genug anfangen!“ So kam ich zu meinem ersten Vierteljahresvisum. Ab 1975 durfte ich dann auch jedes Jahr zur Berlinale. Klatsch galt in der DDR als besonders unappetitliche Erscheinungsform der bürgerlichen Publizistik. (A.K.) Wieso durften Sie trotzdem ein Klatschbuch schreiben? (R.H.M.) Erzählt habe ich Klatschgeschichten ja schon immer. Und irgendwann sagte Wolfgang Sellin, der damalige Chef vom Eulenspiegel-Buchverlag: „Du solltest das langsam mal aufschreiben! Damit man sagen kann: Steht auf Seite soundso, hast du schon erzählt!“ (A.K.) In diesen Geschichten geht es vordergründig immer um nationale und internationale Prominente. (A.K.) Wie viele Klatschbücher haben sich verkauft? (R.H.M.) In zwei Jahren erschienen drei Auflagen mit jeweils 20 000 Exemplaren. So schnell konnte man gar nicht gucken, wie die weg waren. Aber dann war die DDR weg und vorübergehend auch das Interesse an hausgemachten Büchern. Als es wieder erwachte, druckte der Eulenspiegel Verlag die Fortsetzung „Die tote Else lebt“, wovon es bereits die 4. Auflage gibt. (A.K.) Verkauften sich zu DDR-Zeiten alle Ihre Bücher so schnell? (R.H.M.) Ich hatte da mal ein Schockerlebnis. „Die Eule im Kino“, meine allererste Sammlung von Filmkritiken aus den Jahren 1960 bis 1980, stand drei Wochen in den Regalen der Buchhandlungen. Ich hatte das Gefühl: Nun ist alles vorbei! Eines meiner Bücher oberhalb des Ladentisches heißt: Kein Mensch will mehr etwas von mir wissen! Inzwischen gibt es „Die Eule im Kino“ Band I und Band II (1980-1990) nur noch antiquarisch, während Band III (1991-2005) im Handel ist. (A.K.) Warum durften Sie sich in der DDR mehr als andere Filmkritiker erlauben? Weil Sie bei einem Satireblatt waren? (R.H.M.) Das war nur am Anfang so. Da hat man gesagt, Satire braucht eine etwas längere Leine, sonst funktioniert sie nicht. Dann hatte dieser entsetzliche Joachim Herrmann als SED-Agitationschef den Ehrgeiz, aus Fernsehen und Defa eine Firma zu machen, die er zu leiten gedachte. Das wiederum hat SED-Kulturchef Kurt Hager nicht zugelassen, denn für ihn, den hochgebildeten Zyniker, war Joachim Herrmann ein indiskutabler Emporkömmling. Von da an war es dem Herrmann egal, wie mit der Defa in den Medien umgegangen wurde, folglich waren auch die Kritiken schärfer. (A.K.) Heutzutage gibt es Pressevorführungen, wenn neue Filme herauskommen. Wie war das damals? (R.H.M.) Da gab es die natürlich auch, und nach den Vorführungen der Defa-Filme zusätzlich Pressekonferenzen, bei denen sich die Schöpfer den Fragen und nicht seltenen Zornesausbrüchen der Kritiker stellen mussten. Da wurde wirklich mit harten Bandagen gearbeitet. Am meisten gefürchtet waren übrigens meine Kolleginnen Rosemarie Rehahn von der Wochenpost und Margit Voß vom Berliner Rundfunk. Die eine kämpfte mit dem Florett, die andere mit dem Degen, während ich die Dampframme bevorzugte. (A.K.) Stimmt es, dass ein Regisseur Ihnen mal Prügel angedroht hat? (R.H.M.) Ja, aber den Namen sage ich nicht. Schließlich lebt der Mann noch. Für welche Filmkritik? (R.H.M.) Das weiß ich nicht mehr. Aber seine Filme habe ich alle verrissen. Er konnte also zuschlagen, wann immer er wollte, er hätte immer recht gehabt. Dankenswerterweise verzichtete er darauf. (A.K.) In den 1960ern hat für anderthalb Jahre jemand anderes die Kino-Eule geschrieben. Warum? (R.H.M.) Weil ich einen Riesenknatsch mit der Redaktion hatte und ungeheuer stur war. So entkam ich der auch für Filmkritiker entsetzlichen Zeit des 11. ZK-Plenums, dem fast eine ganze Jahresproduktion der Defa zum Opfer fiel. Und ich hätte ohne diese Pause möglicherweise nie „Das Durchgangszimmer“ geschrieben. (A.K.) Wie fanden Sie den Film „Florentiner 73“, den das DDR-Fernsehen daraus gemacht hat? (R.H.M.) Ganz nett, aber Agnes Kraus war hervorragend. (A.K.) Haben Sie das auch geschrieben? (R.H.M.) Nein, das war ja ein Fernsehfilm. Aber auch über den Kinofilm „Der Mann der nach der Oma kam“ nach meiner Erzählung „Graffunda räumt auf“ habe ich nicht geschrieben. Das hat ein Kollege gemacht, nicht ganz so kritisch, wie ich es getan hätte. Trotzdem war es einer der erfolgreichsten Defa-Filme aller Zeiten. (A.K.) Ist Ihnen oft in Ihre Filmauswahl reingeredet worden? (A.K.) Von der Redaktion nie, weder damals noch heute. Im Jahre 1984 wünschte sich die ZK-Abteilung Agitation und Propaganda Lob für den misslungenen Clara-Zetkin-Film „Wo andere schweigen“ und Tadel für den sehr kritischen Gegenwartsfilm „Erscheinen Pflicht“. In beiden Fällen war ich anderer Meinung, und die durfte ich dann für mich behalten. (A.K.) Einmal haben Sie ein Bestechungsgeschenk angenommen. (R.H.M.) Eine sehr dekorative Eule für Ihre große Eulensammlung. (A.K.) Von Dean Reed, dessen Filme Sie bis dahin immer verrissen hatten. Und als Gegenleistung verlangte er eine positive Kritik für seinen nächsten Film. (R.H.M.) Weil es sich dabei um „Sing, Cowboy, sing“ handelte, konnte ich mich nicht an den Deal halten. Deshalb bat ich Freunde, die im Kulturmagazin des DDR-Fernsehens arbeiteten, mich unter irgendeinem Vorwand zu interviewen, um bei der Gelegenheit auf meine Eulensammlung zu sprechen zu kommen und die Herkunft des Prachtstücks zu erklären. Da habe ich dann eingeräumt, mich als korrupt erwiesen zu haben, aber nicht als korrumpierbar. Selbstverständlich könne Dean sein Eigentum wieder abholen – wenn er das Gesicht verlieren wolle. Dieser Halbsatz hat mir die Eule gerettet. (A.K.) Sie wohnen mit Ihrem Mann, Tausenden von Büchern und ungezählten Eulen aus allen denkbaren Materialien in einer großen Wohnung in der Leipziger Straße. Hatten Sie nie Lust, diese Hochhauswohnung gegen ein Häuschen im Grünen zu tauschen? (R.H.M.) Das lief genau umgekehrt. Wir haben in Bohnsdorf gewohnt, am südlichsten Zipfel Berlins in einem Reihenhaus der über 100 Jahre alten Arbeiterbaugenossenschaft Paradies. Wir hatten so ein Eckgrundstück, mit Garten dran und Garage drauf. Uns hat die Entfernung zur Stadt genervt. Mein Mann fuhr jeden Tag eine halbe Stunde rein und ein halbe Stunde wieder heim. Und ich musste wegen Zeitmangels dauernd Taxis nehmen. Vor dem endgültigen finanziellen Ruin haben wir lieber getauscht. (A.K.) Wann haben Sie sich zuletzt richtig über einen Film geärgert?(R.H.M.) Dauernd. Jedenfalls mehrmals wöchentlich. Zu DDR-Zeiten dachte ich oft, alle Schrecken, die ein Mensch im Kino erleben könnte, hätte ich bereits erlebt. Das war ein Irrtum. (A.K.) Über welchen Film haben Sie sich zuletzt gefreut? (R.H.M.) Über den wunderbaren „Volver“ des Spaniers Pedro Almodóvar. Und über die deutschen Produktionen „Wer früher stirbt, ist länger tot“ und „Die Könige der Nutzholzgewinnung“. Und wer immer noch nicht meine Lieblingsfilme „Alles auf Zucker“ von Dani Levy und „Sommer vorm Balkon“ von Andreas Dresen gesehen hat, der schere sich gefälligst hin. Darum möchte ich höflichst bitten. (A.K.) Was bereuen Sie im Rückblick auf Ihre Arbeit? (R.H.M.) Dass ich einen Rat von Friedrich Luft zu spät erhalten habe. Der sagte, Kritiker dürften mit den zu Kritisierenden nicht auf dem Duzfuß stehen. (A.K.) Hat Sie das schon mal in die Bredouille gebracht? (R.H.M.) Einmal. Es ging um Werner Bergmann, den langjährigen Kameramann von Konrad Wolf. Sein erster eigener, also von ihm auch geschriebener und inszenierter Film hieß „Nachtspiele“. Ich fand ihn misslungen und wollte eigentlich den Mantel des Schweigens darüber breiten. Aber dann hätten die bei der Defa mit Fug und Recht sagen können, mit der Eule muss man sich nur anfreunden, dann hält sie im Zweifelsfall die Klappe. Und deshalb habe ich geschrieben. Unter Qualen. Mit Tränenergüssen. Reichlich zwei Wochen später kam ein Brief von Werner Bergmann. Darin schrieb er, er habe die Zeit gebraucht, um mit dem Schlag in die Magengrube fertig zu werden. Nun aber wolle er sagen, was wäre Freundschaft, wenn sie Wahrheit nicht vertrüge. Das fand ich groß. (A.K.) Haben Sie verstanden, warum Ihre Rubrik im Eulenspiegel nach Jahrzehnten vom sehr markanten „Kino-Eule“ in ein nichts sagendes „Kino“ umbenannt wurde? Nein. (A.K.) Was raten Sie jungen Filmkritikern? (R.H.M.) „Immer deutlich sein. Die Anzahl der Fremdwörter auf ein vertretbares Maß reduzieren. Die Leser, unter denen es ja auch Nichtakademiker geben soll, müssen erkennen können, ob ihnen der Film empfohlen oder ob vor ihm gewarnt wird. Ein Kritiker muss von wiedererkennbarer Gesinnung sein. Früher kriegte ich manchmal Briefe, in denen stand: Wir gehen in jeden Film, den Sie verreißen, und es war noch immer ein gelungener Abend. Auch so entsteht Verlässlichkeit.“ Renate Holland Moritz. Vielleicht sollten wir uns ein paar Scheiben davon abschneiden,. meint Wessi J.

In Erinnerung an Renate Holland-Moritz (III)

Auszug aus Die tote Else“ Renate Holland-Moritz: “Aus ihnen wird wohl nichts werden, es sei denn, Sie gingen zum Film oder zur Presse.“ Dieser Stoßseufzer eines geplagten Studienrates, den meine geringen Kenntnisse im Fach Chemie tief erschüttert hatten, war als Beleidigung gedacht; ich aber hielt ihn für eine Art vernünftiger Berufsberatung. Also kündigte ich meiner Köpenicker Oberschule unmittelbar nach Absolvierung der 10. Klasse und begab mich auf Stellungssuche. Der Verlag Kultur und Fortschritt leistete sich Mai 1952 den Luxus, einen ahnungslosen 17 jährigen Teenager als Redaktionsvolontär einzustellen. Ich begann in einer wissenschaftlichen Vierteljahreszeitschrift und wurde mangels andrer Fähigkeiten mit der Zusammenstellung des Sachregisters für ein enzyklopädisches Werk betraut. “Das Alphabet werden Sie ja wohl beherrschen“, sagte der Chefredakteur. Damit irrte er. Zumindest war mir nicht geläufig, daß auch die jeweils nächstfolgenden Buchstaben der alphabetischen Ordnung bedurften. Als nach wenigen Wochen ruchbar wurde, daß bei mir “Arbeiterklasse“ den Vorrang vor “Akademie der Wissenschaften“ hatte, mußte ein fünfköpfiges Team von Slawistikstudenten engagiert werden, um die von mir gestiftete Konfusion zu entwirren. Einige der inzwischen gestandenen Professoren und Doktoren erinnern sich noch heute gern der so unverhofften wie beträchtlichen Nebeneinnahme.

Nach diesem Desaster übernahm mich Harald Hauser, Chefredakteur der im selben Verlag erscheinenden populärwissenschaftlichen Monatszeitschrift “Die neue Gesellschaft“. Hauser war ein guter Journalist und ein großer Mutmacher. Junge Leute, die viel lasen und respektvoll mit der Muttersprache umgingen, hatten seine Symphatie. Die allerdings verscherzte ich mir weitgehend, als ich eines Tages daranging, Gorki zu redigieren. Der Satz “Ein Mensch – wie stolz das klingt“, kam mir doch ein wenig dürftig vor, so daß ich änderte: “Ein Mensch zu sein – wie stolz das klingt!“ Danach gab mich Hauser ohne erkennbares Herzdrücken an die Wochenzeitschrift “Friedenspost“ weiter.

Hier stand ich unter der Obhut des stellvertretenden Chefredakteurs Heinz Stern, später langjähriger Chefreporter des “Neuen Deutschland“ und der mit Recht so beliebten Gazette “Das Magazin“. An die “Friedenspost“ werden sich heute höchstens noch einige ältere Mitglieder der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft erinnern, deren Zentralorgan das Blättchen darstellte. Eine gewisse dogmatische Kopflastigkeit und der für damalige Zeiten charakteristische hölzerne Stil hielten die Verkaufszahlen in Grenzen. Ich erinnere mich, daß vor allem die Zehnerkassierer der Freundschaftsgesellschaft hartnäckigen Beitragsschuldnern die Zeitschrift als eine Art Ablaßbrief aufschwatzten. Mir wurde die ehrenvolle Aufgabe zuteil, die letzte Seite redaktionell zu betreuen.Sie war zu zwei Dritteln dem Sport vorbehalten, während der sogenannte Keller dem Rätsel gehörte. Vom Sport verstand ich nun nachweisbar weniger als nichts. Das fiel zunächst gar nicht auf, denn mein ständiger Mitarbeiter Heinz Machatschek, der sich inzwischen einen Namen als populärwissenschaftlicher Autor seiner Hobbygebiete Schach, Weltraumfahrt und Heraldik gemacht hat, lieferte jede Woche druckreife Artikel zum Thema Sowjet-Sport. Aber eines unvergeßlichen Tages im Oktober 1953 kam die Wahrheit über mein sportliches Unvermögen an den Tag.

Ein großes internationales Fußballspiel war angesagt, nämlich das Freundschaftstreffen “Torpedo Moskau–ZSK Vorwärts. “Vorwärts“, die Mannschaft der Kasernierten Volkspolizei, gehörte, wie ich dem Agenturmaterial entnahm, der Liga an. “Torpedo“ hingegen stellte die drittbeste Mannschaft der Sowjetunion. Und das erschien mir nun mehr als ein Frevel. Also schrieb ich einen Brand-Artikel, in dem die Organisatoren des Spiels beschimpfte, weil sie den sowjetischen Meistern einen minderen Gegner zumuteten. Er endete mit den apodiktischen Worten: “Das Publikum erwartet mit Recht ein Spiel gleichwertiger Mannschaften, und dazu müßte man “Torpedo“ eine DDR Auswahl gegenüberstellen. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht“. Leider vermochte ich trotz aller Empörung nicht mehr als eine Druckspalte zu füllen. Deshalb besorgte ich mir die Fotos der elf sowjetischen Spieler und plazierte sie schön groß auf der Seite. Die ungenügenden “Vorwärts“ Kicker mußten sich mit einer namentlichen Aufstellung begnügen. Am 29. Oktober 1953 marschierte ich wie Zehntausende andere Berliner ins Walter-Ulbricht-Stadion. Zu meinem Entzücken sah ich, daß viele Fußballfans die “Friedenspost“ in der Hand hielten und mit weit aufgerissenen Augen meinen Beitrag lasen.

Zum erstenmal stand ich dem Phänomen gegenüber, gelesen und – wie mir schien – verstanden zu werden. Ich fieberte dem Beginn des Spiels vor allem seinem unvermeidlichem Ausgang entgegen. Plötzlich kam einer der gestandenen Sportjournalisten auf mich zu und sagte väterlich: “Also Kleene, am besten, du jehst janz schnell nach Hause. Wenns sein muß, schieß ick dir den Weg frei!“ Obwohl ich der dunklen Rede Sinn nicht verstand, gehorchte ich aufs Wort. Beim Verlassen des Stadions befragte ich immerhin noch den Zeitungsverkäufer am Kiosk, womit denn der sensationelle Verkaufserfolg der “Friedenspost“ zu erklären sei. Der Mann kicherte. “Es war wejen die Fotos von die Russen. Dafür hatten die richtijen Zeitungen wohl keenen Platz“. Zu Hause kroch ich fast ins Radio, wie später nur noch zu Zeiten der Friedensfahrt-Berichterstattung. Aber meine Niederlage war so total wie die der sowjetischen Gäste “Torpedo“ Moskau verlor gegen ZSK “Vorwärts“ mit 4:2 Toren. Ein Grund für mich, an dem viel zitierten Satz “Von der Sowjetion lernen, heißt siegen lernen“zu zweifeln. Ich weiß nicht, ob ein kausaler Zusammenhang zwischen meiner journalistischen Fehlleistung und dem Ableben der “Friedenspost“ bestand, jedenfalls wurde das Blättchen noch im November 1953 eingestellt“ .

Renate Holland-Moritz, in “Die tote Else – Ein wahrhaftiges Klatschbuch“, Eulenspiegel Verlag Berlin. 2. Auflage 1988.

In Erinnerung an Renate Holland-Moritz (I)

Leseproben aus dem Büchlein Ossis, rettet die Bundesrepublik!

“Irgendeiner dieser farblosen schwarzen Politker ließ die staunenende Noch-DDR-Öffentlichkeit des Jahres 1990 wissen, er habe sich seit dem 17. Juni 1953 – da war er grade dreizehn – im inneren Widerstand gegen das herrschende SED-Regime befunden. Gottlob war es ihm gelungen, den Tatbestand so konspirativ zu behandeln, daß nie eine Menschenseele von seinem zur Faust geballten Innenleben erfuhr.“ So beginnt der Text: “Mein 17. Juni und die literarischen Folgen“ von Renate Holland-Mortiz, die leider vor einigen Jahren gestorben ist. Hier kommt noch mal eine kleine Erinnerung an sie. Das Buch ist im Dietz Verlag, Berlin erschienen. Die 5. Auflage ist 1996 erschienen und hat die ISBN 3-320-01827-2- In Corona Zeiten ist der Buchkauf etwas schwieriger als sonst, deswegen hier zwei kleine Ausschnitte zur Leseprobe.

Renate Holland-Moritz Abschrift aus dem Buch: Ossis, rettet die Bundesrepublik! Dietz Verlag Berlin. 5. Auflage 1996, Seite 21-30 “Stasi-Kontakt mit Happy-End“

“Infolge ihrer eklatanten Überflüssigkeit wurde die »Friedenspost«, Zentralorgan der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft, im Herbst 1953 des sozialistischen Blätterwaldes verwiesen. Ich konnte meine journalistische Ausbildung in der »BZ am Abend« fortsetzen, die sich selbstbewußt als das »Herzblatt des Berliners« offerierte. Mir allerdings beschwerte es allmorgendlich das Herz, denn ich schaffte es fast nie, pünktlich um 6.30 Uhr (sonnabends und montags gar um 5.30 Uhr) in der Redaktion einzutreffen. Eines griesegrauen Wintermorgends im Jahre 1954 hatte ich mich wieder einmal erheblich verspätet und hoffte inständig, der Allmächtige möge mich ungesehen an meinen Schreibtisch gelangen lassen. Doch schon auf dem ersten Treppenabsatz erwartete mich das Strafgericht in Person unseres Chefredakteurs Ernst Hansch. Er war totenbleich, zitterte am ganzen Leib und fragte mit tonloser Stimme: »Was haben sie getan?« »Verschlafen«, gestand ich kleinlaut, »aber es soll nie wieder vorkommen.« »Lenken Sie nicht ab«, unterbrach er mich schroff, »sagen sie frei heraus, was Sie wieder angestellt haben. Wenn, wie so oft, Ihre Kodderschnauze mit Ihnen durchgegangen ist, kann ich mich vielleicht für Sie verwenden.« Nun verstand ich überhaupt nichts mehr. »Wovon reden Sie eigentlich?« »Wovon ich rede?« Ernst Hansch kiekste wie ein hysterischer Countertenor. »Ich rede davon, daß Sie zum Ministerium für Staatssicherheit bestellt sind. Der Genosse Ernst Wollweber will Sie sprechen, und zwar sofort!« Mir viel eine Zentnerlast vom Herzen. Also kein Trouble mit meinem Chef! Der Chef der Staatssicherheit interessierte mich überhaupt nicht. Seine Klientel bestand doch wohl vorrangig aus Diversanten und Umstürzlern, und nichts dergleichen traf auf mich zu. »Bin schon auf dem Wege«, sagte ich munter, »wo residiert denn seine Heiligkeit?« »Um Gottes Willen, Kindchen« flüsterte Ernst Hansch, »nehmen Sie das nicht auf die leichte Schulter. Auf jeden Fall erstatten Sie mir sofort nach Ihrer Rückkehr Bericht. Falls Sie zurückkommen«, fügt er noch leiser hinzu. Auf dem kurzen Weg vom Berliner Verlag in der Otto-Nuschke-Straße bis zum Ministerium für Staatssicherheit in der Glinkastrasse bemächtigte sich meiner doch eine gewisse Nervosität. Konnte es sein, daß mich irgend jemand wegen Verbreitung des einen oder anderen politischen Witzes denunziert hatte? Und wenn schon, dachte ich trotzig. Wegen solcher Delikte hatte man sich in der Nazizeit zu fürchten gehabt. Daß auch Opfer der Nazis in der gleichen Weise reagieren würden, hielt ich für üble feindliche Nachrede. Am Portal wurde ich von einem Wachtposten im Empfang genommen und im barschen Ton an den nächsten weitergereicht. Die Prozedur wieder-holte sich noch einigemal, bis ich endlich einen riesigen Raum betreten durfte. Am Horizont machte ich einen ebenfalls riesigen Schreibtisch aus, hinter dem ein unscheinbares Männchen trohnte: Ernst Wollweber. Etwa zwei Meter entfernt von ihm hockte auf einem Stuhl ein in sich zusammengerutschtes Menschenbündel. Als sich unsere Blicke trafen, erkannte ich den Mann. Ich wollte spontan auf ihn zugehen, aber Wollweber befahl mit schneidender Stimme: »Stehenbleiben!« Ich verstand nicht, warum ich den Besetzer des Armsünderstuhls nicht wenigstens begrüßen durfte. Er hieß Günther Hoffmann, wohnte in Strausberg und war ein Freund eines mir befreundeten Kollegen . Vor zwei Tagen waren wir bei ihm und seiner Frau Karin zu Gast gewesen. Die mir bis dato unbekannten Hoffmanns hatten auch mich herzlich aufgenommen. Es wurde ein ausgesprochen angenehmer Abend. Wir schwatzten über Gott und die Welt und zogen feixend prominente Politiker und Künstler durch den Kakao. Da die Hoffmanns regelmäßige Leser der »BZ am Abend« waren, interessierten sie sich besonders für die Art meiner Tätigkeit. Ich berichtete, daß ich – genau wie die anderen Volontäre und Assistenten der Lokalredaktion – mit einer ebenso langweiligen wie unnützen Arbeit betraut sei. In den damals noch gar nicht existierenden Mauern unserer Stadt wurde das Außenministertreffen der alliierten Siegermächte vorbereitet, und wir sollten die Bürger befragen, was sie sich von dieser historischen Viererkonferenz versprächen. Es war nicht das erstemal, daß wir die Volksmundpropaganda erforschen mußten, und es war nicht das letztemal, daß wir es auf die für uns am wenigsten peinliche Weise taten. Indem wir nämlich in der Redaktion blieben und uns die höheren Orts gewünschten positiven Lesermeinungen samt Namen und Adressen einfach ausdachten. »Was haltet ihr eigentlich von der Konferenz?« fragte ich unsere Gastgeber. »Meint ihr, da kommt wirklich was Vernünftiges für die Deutschen heraus?« »Glaub ich nicht«, sagte Günter Hoffmann, »sie wird vermutlich ausgehen wie alle diese Treffen, nämlich wie das Hornberger Schießen.« Die Formulierung gefiel mir, und ich beschloß, endlich einmal eine echte, noch dazu kritische Leserstimme ins Blatt zu bringen. Am nächsten Morgen tippte ich den Satz vom Hornberger Schießen, und ab mittags um 12. Uhr konnten sich die Leser vom Skeptizismus irgendeines Günter Hoffmann aus Strausberg überzeugen. Minister Wollweber hielt eine Exemplar der »BZ am Abend« in der rechten Hand. Mit der Linken zeigte er auf das vor mir sitzende Häufchen Unglück und fragte mich in inquisitorischem Ton: »Kennen sie diesen Mann?« Ich war zwar ein reichlich naiver Teenager, hatte aber doch genügend Krimis gelesen, um zu wissen, daß man sich nicht in allzu offenkundige Widersprüche verwickeln dürfe. Wollweber mußte bemerkt haben, daß ich Günter Hoffmann kannte, seine Frage war also rein rhetorischer Natur. »Ich habe Herrn Hoffmann und seine Frau vorgestern kennengelernt«, antwortete ich wahrheitsgemäß, »er ist ein Freund meines derzeitigen Freundes. Was hat der denn gemacht?« Wollweber lief dunkelrot an. »Hier stelle ich die Fragen«, donnerte er. »Also, worüber haben sie gesprochen?« Ich sah zu Günter Hoffmann und glaubte, in seinen glanzlosen Augen ein flehentliches Blinzeln zu bemerken. »Über alles Mögliche und nichts Besonderes«, sagte ich leichthin. »In erster Linie habe ich mich mit Frau Hoffmann unterhalten. Sie ist ein Handarbeitsgenie und will mir aus Wollresten einen Pullover stricken. Außerdem . . . « Wollweber fiel mir gereizt ins Wort. »Ich präzisiere: Haben sie mit Hoffmann über die Berliner Vierkonferenz gesprochen?« »Aber nein«, sagte ich mit Nachdruck. »Gleich am Anfang des Abends hatte sich Frau Hoffmann nämlich ausgebeten, daß die Themenbereiche Politik und Arbeit ausgespart werden sollten. Ich fand das, ehrlich gesagt, ein bißchen kleinbürgerlich.« Wollweber drosch mit einem Lineal auf die »BZ am Abend« ein. »Und wie kam es dann zu dieser Veröffentlichung?« Ich tat, als bemerke ich das Corpus delicti erst jetzt. »Ach das meinen Sie«, sagte ich mit gespielter Betretenheit, »das ist nun wirklich ein bißchen peinlich. Natürlich kann ich Ihnen alles erklären, aber Sie müßten mir versprechen, die Angelegenheit unbedingt vertraulich zu behandeln. Kann ich mich auf Ihre Verschwiegenheit verlassen?« Die oberste Sicherheitsnadel wurde ganz spitz im Gesicht. Doch dem fälligen Wutausbruch kam ich zuvor, indem ich detailliert über die Plage des kampagneartiken Stimmensammelns berichtete. Ich verriet Wollweber sogar, daß es durchaus nicht ungefährlich sei, Bürger zu politischen Ereignissen zu befragen. Nicht selten bekäme man anstelle einer Antwort Ohrfeigen angeboten. Bekanntermaßen gehöre es doch aber nicht zu den Aufgaben der sozialistischen Presse, den Unmut des Volkes öffentlich zu machen. Also seien wir dazu übergegangen, den Fragen gleich die politisch richtigen Antworten beizufügen. »Leider« fuhr ich fort, »ist da das Problem mit den Namen. Sie sollen nicht zu gewöhnlich sein. Müller, Meier, Schulze und Lehmann nimmt mir mein Ressortleiter Klaus Poche schon seit Tagen nicht mehr ab. Absonderlich oder gar lächerlich dürfen sie aber auch nicht sein. Allein aus diesem Grunde konnte eine äußerst positive Meinungsäußerung eines gewissen Gustav Niedergesäß aus Oberschöneweide nicht erscheinen.« »Schluß mit dem Blödsinn«, brüllte Wollweber, kalt vor Wut. »Ich will auf der Stelle wissen, ob diese defätistische Bemerkung über die Viererkonferenz von unserem Genossen Hoffmann stammt!« Erst jetzt wurde mir klar, daß Günter Hoffman auch zur Firma gehörte. Diese Erkenntnis berührte mich irgend wie seltsam, denn unter einem »Kundschafter« hatte ich mir immer etwas Heldenhaftes, vielleicht Dämonisches, auf jeden Fall Geheimnisvolleres als diesen netten Mann vorgestellt. »Natürlich nicht«, wehrte ich entschieden ab, »wir haben ja überhaupt nicht über die Viererkonferenz gesprochen. Es verhielt sich nur so, daß mein Chef Klaus Poche auch einmal eine kritische Stimme abdrucken wollte, der Ausgewogenheit halber. Als ich den Auftrag ausgeführt hatte, stand ich wieder vor dem Namenproblem. Und das muß mir das mit Günter Hoffmann, Straußberg, einfach unterlaufen sein. Weil die Adresse so schön allgemein und doch nicht fiktiv war. Wenn ich allerdings geahnt hätte, daß ich Herrn Hoffmann damit in Schwierigkeiten bringe . . . « »Sie behaupten also«, resümierte Wollweber, »sich den Satz selbst ausgedacht und den Namen Hoffmann mißbräuchlich benutzt zu haben. Ist das so?« Ich nickte heftig. Wollweber sah mich lange und durchdringend an. Offenbar wurde er sich nicht klar darüber, ob er es hier mit blanker Dreistigkeit oder mit echter jugendlicher Naivität zu tun hatte. Schließlich forderte er mich in scharfem Ton zum Gehen auf. Ich stand noch einen Moment unschlüssig in dem kahlen Raum herum und versuchte, mit Günter Hoffmann einen Blick zu wechseln. Aber er stierte verbissen auf seine Schuhspitzen. »Sie sollen gehen«, raunzte Wollweber. Wenig später umarmte mich Chefredakteur Ernst Hansch wie den verloren geglaubten Sohn, zeigte sich nach meiner Berichterstattung aber keineswegs beruhigt. Noch tagelang wagte er sich kaum aus seinem Zimmer, immer in Erwartung des gefürchteten Anrufs. Der kam übrigens nie. Im Frühjahr 1984 war ich von den Mitarbeitern der Studiotechnik zu einer Lesung ins Café des DDR Fernsehens eingeladen worden. Dem literarischen Horsd’œuvre folgte eine mittleres Gelage, das als sogenanntes geselliges Beisammensein ebenfalls aus dem Kultur- und Sozialfonds des Betriebes finanziert wurde. Ich saß mit einigen Studiotechnikern am Tisch und gab bereitwillig Auskunft über Möglichkeiten und Grenzen der Satire unter gerontokratischen Zensurbedingungen. Ein Mann im besten Vorruhestandsalter bat Platz nehmen zu dürfen und drückte mir ein Glas Sekt in die Hand. »Was sagst du nun?« fragte er strahlend. »Danke« antwortete ich verwirrt, denn ich hatte nicht die Spur einer Ahnung, wer der edle Spender sein könnte. »Zugegeben, es ist lange her« räumte er ein,»aber meine Adresse lautet noch immer: Günter Hoffmann, Strausberg.« Ich erlitt fast einen Schock. In all den Jahren hatte ich die Erinnerung an meinen einzigen Direktkontakt mit der Stasi zu verdrängen versucht. Doch das Bild des gebrochenen Mannes vor dem Schreibtisch des damals ranghöchsten Schnüfflers (Ernst Wollweber wurde 1958 zusammen mit Karl Schirdewan wegen »Fraktionsbildung« entmachtet und aus dem Zentralkomitee ausgeschlossen) verlor sich nie ganz aus meinem Gedächtnis. Immer wieder belastete mich der Gedanke, einem Menschen aus Unüberlegtheit Schaden zugefügt zu haben. Dann wieder beruhigte ich mein Gewissen mit der Harmlosigkeit des Tatbestandes. Wenn dieser Günter Hoffmann Zweifel in die Effektivität der Viererkonferenz gesetzt hatte, so war das sein verbrieftes Grundrecht, nachzulesen in der Verfassung der DDR. Daß diese für die amtlich bestallten Schützer des Staates nur wertloses Papier darstellte, lag im Zynismus des Sicherheitssystems begründet. Nun aber saß mir der einst so jämmerlich Gedemütigte lächelnd gegenüber und erzählte mir seine Geschichte. Günter Hoffmann war das Kind ermordeter Antifaschisten. Nach 1945 ersetzte ihm die Partei die Familie, und als sie beschloß ihn im Bereich der Staatssicherheit als Nachrichteningenieur ausbilden zu lassen, wäre er nie auf die Idee gekommen, Widerspruch einzulegen. Doch spätestens seit den Ereignissen vom 17. Juni 1953 fühlte er sich nicht mehr in Übereinstimmung mit den politischen Idealen seiner Eltern und empfand seine Tätigkeit mehr und mehr als drückende Last. Allerdings sah er nicht die geringste Chance, aus der Verpflichtung entlassen zu werden, ohne sich der Republikflucht schuldig zu machen. Das aber stand für ihn nicht zur Debatte. Als Günter Hoffman nach seinem unfreiwilligen Leserbrief von Minister Wollweber hochnotpeinlich in die Zange genommen wurde, bestritt er zwar nicht, mich zu kennen, leugnete aber die Urheberschaft an der kritischen Bemerkung in der »BZ am Abend«. Mein Erscheinen vor dem Allerhöchsten machte seine vage Hoffnung auf einen glücklichen Ausgang der Sache endgültig zunichte. Natürlich war er überzeugt davon, Wollweber würde mich einschüchtern und so die Wahrheit ans Licht befördern. Allein meine grenzenlose Naivität und der mir innewohnende Spieltrieb retteten Günter Hoffman. Selbstverständlich wurde er fristlos aus dem Staatssicherheitsdienst entlassen, doch mangels Beweises immerhin in Ehren. Das erschloß sich ihm im Jahre 1954 die unschätzbare Möglichkeit einer bürgerlichen Existenz. Ob Günter Hoffmann allerdings nach fast vierzigjähriger Stasi-Abstinenz mit der Absolution des gottesfürchtigen Hexenjägers Gauck rechnen kann, darf bezweifelt werden.1991 Renate Holland Moritz. Am 14. Juni 2017 ist Renate Holland-Moritz gestorben. Ich habe, wie vermutlich die meisten Hamburger, erst von Ihrer Existenz erfahren, als der Eulenspiegel dann auch bei uns am Zeitungskiosk zu erwerben war. Leider konnten wir sie nicht ins 3001 Kino nach Hamburg locken. Aber wir haben es versucht.

Aus Wikipedia gemeinfrei

Inschrift auf dem Stadtbrunnen Hornberg, Baden Württemberg Jedwedes Kind auf der weiten Erd v.
Hornberger Schiessen schon hat
gehört, das Pulver ging aus zur
schönsten Stund, so dass man nicht
mehr schiessen kunnt!
Anno 1564

Seite aus Berlin Buchplan Umschlag Rückseite. (VEB Tourist Verlag) 8. Auflage 1989. ca. 1:25 000 Besonderheit dieses Planes: Der Westteil von Berlin ist weiss.

Renate Holland-Moritz

Abschrift von Mein 17. Juni und die literarischen Folgen

Aus: Ossis, rettet die Bundesrepublik Seite 16 -20

Renate Holland-Moritz schreibt seit 50 Jahren in der Satire-Zeitschrift Eulenspiegel ihre Filmkritiken,. Sie waren zu DDR-Zeiten Kult: Die Kinoeule. Interview mit Andreas Kurtz. Irgendeiner dieser farblosen schwarzen Politiker ließ die staunende Noch-DDR-Öffentlichkeit des Jahres 1990 wissen, er habe sich seit dem 17. Juni 1953 – da war er grade dreizehn – in innerem Widerstand gegen das herrschende SED-Regime befunden. Gottlob war es ihm gelungen, den Tatbestand so konspirativ zu behandeln, daß nie eine Menschenseele von seinem zur Faust geballten Innenleben erfuhr. Ähnlich heldenhaft habe ich mich leider nicht betragen. Meine Einwände gegen eine antifaschistische, den Sozialismus anvisierende Gesellschaftsordnung waren allerdings auch nicht derart gravierend. Genau genommen beschränkten sie sich auf dogmatische Auswüchse und so lächerliche Behauptungen, Ringelsocken, Schuhe mit Kreppsohlen und Jazz seien die Insignien der Dekadenz und gäben Zeugnis vom verfaulenden, demnächst untergehenden Kapitalismus. Um zu beweisen, wie gut sich westliche Mode und Musik mit östlicher Weltanschauung vertrugen, marschierte ich auf den Kreppsohlen der Firma Leineweber und ließ mich während des sogenannten Selbststudiums der marxistischen Klassiker von den Klängen des amerikanischen Soldatensenders AFN berieseln. Das hatte gar manche Aussprache mit anschließender Strafaktion zur Folge, deren angenehmste war, daß ich nie mit einer Funktion im Jugendverband betraut wurde. 1953 arbeitete ich, gerade 18 Jahre alt geworden, als Volontärin einer unsäglich langweiligen Wochenzeitschrift namens »Friedenspost«. Die Redaktion befand sich in der 6. Etage des Zentralvorstandes der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft auf dem Berliner Thälmannplatz. Hier teilte ich das Zimmer mit meiner Kollegin Hilde Linden, die später unter dem Pseudonym Hiltrud Lind vielgelesene Kinderbücher schrieb. An einem schönen sonnigen Junitag sah Hilde aus dem Fenster auf die Wihelmstraße und fragte mich: »Kannst du mir sagen, vor welcher Demonstration wir uns heute mal wieder gedrückt haben?« Ich konnte es nicht, überzeugte mich aber davon, daß sich ein langer Zug in Richtung Haus der Ministerien bewegte. Der Thälmannplatz war von erregten, teilweise wild gestikulierenden Menschen besetzt. Hilde bekam es mit der Angst zu tun, ich hingegen war nur neugierig. Deshalb beschloß ich, mich der geheimnisvollen Veranstaltung beizugesellen, um ihr auf den Grund zu kommen. Vor dem Haus, in unmittelbarer Nähe des U-Bahn-Einganges, geriet ich in einen Kreis wütend diskutierender Männer. Als sie mich sahen, verstummten sie. Dann allerdings war ich einem Schwall wüster Beschimpfungen und Drohungen ausgesetzt, die sich nur in der Rüdigkeit von denen meiner empörten FDJ-Funktionäre unterschieden. Wie diese nahmen die Demonstranten Anstoß an meinem Outfit. Aber nicht die eindeutig westliche Herkunft meines Kord-Lumberjacks störte sie, sondern die an der linken Jackenseite zweireihig befestigten Blechsymbole. Da prangte neben dem FDJ-Abzeichen das des Komsomol, eingetauscht beim organisierten und streng bewachten Freundschaftstreffen mit Sowjetsoldaten. Ferner erglänzten die Anstecker der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft, der Gesellschaft für Sport und Technik, des Deutschen Turn- und Sportbundes sowie in der Reihenfolge des persönlichen Erwerbs die Abzeichen »Für gutes Wissen« in Bronze, Silber und Gold. »Runter mit det Lametta«, brüllten die staatsverdrossenen Aufrührer. Ich weigerte mich standhaft, beharrte gar auf meinem demokratischen Recht, mich mit allem zu schmücken, was nicht Krieg oder Nazismus verherrlichte. Das war Öl aufs Feuer. Wenn ich provozieren wolle, könne man auch anders. Ein Männerarm erhob sich schlagfertig. Doch ehe mir die Arbeiterfaust an die Wäsche konnte, wurde der Kreis um mich von einem energischen kleinen Mann zerteilt. Mit befehlsgewohnter Stimme fragte er, ob man sich nicht schäme, seinen Zorn an Unschuldigen abzureagieren, sein Mütchen gar an halben Kindern zu kühlen. Gehorsam traten die Leute einen Schritt zurück, so daß dem kleinen Mann Gelegenheit wurde, mich mit festem Griff aus der Gefahrenzone zu ziehen. »Räum deinen Klempnerladen ab«, schnauzte er mich an. Und ich, die ich eben noch bereit gewesen war, der vermeintlichen Konterrevolution zu trotzen, tat wie geheißen. Dann fragte der Mann noch, wo ich arbeite und wer mein Chef sei, und stieß mich schließlich unsanft durch die Tür meines Redaktionshauses. Der Lift war wieder mal kaputt, und ich mußte die sechs Etagen zu Fuß erklimmen. Auf dem Gang kam mir mein Chefredakteur Rudi Wetzel in heller Aufregung entgegen. Er hatte gerade eine telefonische Abreibung erfahren wegen »Vernachlässigung der Aufsichtspflicht gegenüber einer jugendlichen Spinnerin«. Der Anrufer war niemand anders als mein kleiner Retter. Er hieß Wilhelm Girnus und befehligte die Abteilung Kultur in der Redaktion des SED-Zentralorgans »Neues Deutschland«. Da ich Girnus nur dieses eine Mal getroffen habe, weiß ich nicht, ob er an jenem denkwürdigen 17. Juni 1953 noch eine weitere schicksalhafte Begegnung mit einem jungen Mädchen auf dem Thälmannplatz hatte. Sollte das nicht der Fall gewesen sein, so hat das Erlebnis mit mir eine äußerst seltsame Metamorphose in seinem Gedächtnis durchgemacht. In seinem autobiographischen Buch »Aus den Papieren des Germain Tawordschus« (erschienen 1982 in Hinstorff Verlag Rostock) schrieb Wilhelm Girnus: »Germain ging zum U-Bahn-Eingang. Dort stand ein Mädchen, etwa fünfzehn Jahre alt, im blauen Hemd der Freien Deutschen Jugend, blickte auf die zerstörten U-Bahn-Schilder und weinte. Germain trat an sie heran, legte den Arm um sie und blickte ihr in die verweinten Augen. Zum ersten Mal seit vielen, vielen Jahren empfand er Mitleid mit einem deutschen Menschen, eine zarten, leidenden Wesen, das nicht um den Tod von Vater und Mutter weinte, nicht um einen verlorenen Geliebten, sondern darum, das etwas vernichtet wurden, was sie als das ihrige empfand, weil sie es selbst mitgeschaffen hatte. Germain wußte natürlich, warum sie weinte, aber er wollte es aus ihrem Munde hören, er kannte, wie wohl es tat, von seinem Schmerz zu einem anderen zu sprechen. Er hatte sie in diesem Augenblick wirklich gern, er drückte sie an sich und fragte: ›Warum weinst du?‹ Schluchzend sagte sie: ›Da haben wir jahrelang aufgebaut, und jetzt kommen die und machen alles wieder kaputt.‹ Ein Strom von Tränen und Schluchzen brach aus ihr hervor, und gebrochen lehnte sie sich an Germain.« In nämlichen Jahr 1953 schrieb Wilhelm Girnus, später Professor für Literaturtheorie und langjähriger Chefredakteur der Literaturzeitschrift »Sinn und Form«, seine Doktorarbeit. Sie trug den Titel: »Goethe, der größte Realist der deutschen Sprache.« Ob Girnus auch seiner heimlichen Ahnfrau Hedwig Courths-Mahler würdigend gedachte, ist nicht überliefert. Renate Holland-Moritz (1990)

Minister Ernst Wollweber
Helene Pohling 31.03.1959
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In Erinnerung an Renate Holland Moritz (IV) oder: Auch Renate irrte sich manchmal: Zum Beispiel bei dem Film Banklady

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PDF In Erinnerung an Renate Holland MoritzTieresehendichan2

Hier irrte Renate Holland-Moritz. Doch ich finde, wer so viele gut geschriebene Filmkritiken vollbracht hat, die kann auch mal daneben haun. Eine Filmkritik eines Fernsehfilmes. „In Erinnerung an Renate Holland Moritz (IV) oder: Auch Renate irrte sich manchmal: Zum Beispiel bei dem Film Banklady“ weiterlesen