Wolf Donner aus dem Jenseits: Out of the past
„Alle Macht den Regisseuren“
Ein (leider) immer noch sehr aktueller Text von Wolf Donner. Zuerst veröffentlicht im Tip (Berlin) im Dezember 1992. Anschließend abgedruckt im dem Buch: Wolf Donner: Gegenkurs, Ausgewählte Kinotexte von 1983 – 1992 Verlag Klaus Stemmler Berlin. Das Buch gibt es leider nur noch antiquarisch.
Der Text “Alle Macht den Regisseuren“ beginnt auf Seite 48 und endet auf Seite 62. Ich habe Christa Donner und Jeanine Meerapfel darum gebeten, diesen Text für unsere Internet Seite abschreiben zu dürfen. Das haben sie mir freundlicherweise erlaubt. Endlich brauche ich diesen Text nicht mehr dauernd zu kopieren, besonders der Abschnitt unter der Überschrift Apparatschicks (S.52) hat es mir angetan. Fünfzehn seiner Worte mußte ich nachschlagen, weil ich ihre Bedeutung nicht kannte. Die habe ich am Ende des Artikels von Wolf Donner aufgelistet. Das ist bei einem Artikel, der aus mehr als 5.500 Worten besteht, eigentlich nicht richtig viel, finde ich. (Jens Meyer)
“Alle Macht den Regisseuren“
„Immer mehr Leute sehen immer weniger Filme. Ein ruinöser Verdrängungs-Wettbewerb, eine rüde Bestseller-Politik, die Titelschwemme (im Schnitt täglich eine Filmpremiere) und die Kopien-Inflation der Major Companies (bis zu 580 von einem einzigen Film, bis zu 15 allein in Berlin), all das ergibt immer mehr Flops, immer weniger Erfolge. Äußerlich gesehen ist viel los im deutschen Kinomarkt, tatsächlich verödet er rapide. Das Publikum verliert die Orientierung in der Filmflut, hält sich an die Sensationen, die millionenschweren PR-Objekte, an den Mainstream, an Hollywood. Der Anteil von Filmen, die nicht aus den USA oder Deutschland kommen, liegt inzwischen unter fünf Prozent. Europa und der Rest finden kaum noch statt im deutschen Kino. Immer länger wird die entsprechende Liste der Filme “Ohne Termin” im Startplan.
Deutsche Produktionsziffern haben einen Tiefstand seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges erreicht. Die genaue Zahl der gedrehten Filme ist gar nicht zu erfahren; man zählt lieber nur die Starts, um die Peinlichkeit von angeblich bis zu 40 Titeln, die jährlich liegenbleiben, zu kaschieren.
Fördermillionen fürs Archiv. 50 Prozent der gestarteten deutschen Filme haben weniger als je 20.000 Zuschauer, ihr Verleihumsatz ist in den Jahren 1986 bis 1990 auf die Hälfte geschrumpft.
Umgekehrt besetzten 1990 die Filme der Major Companies 84 Prozent des deutschen Kinomarktes, kassierten sie 295 Millionen der bisher insgesamt 350 Millionen Mark Verleiheinnahmen. Deutsche Filme bestritten knapp 10 Prozent, im Jahr darauf etwas mehr.
”Werner beinhart”, “Allein unter Frauen”, die Trabis und die Mantas machten es möglich. Daß im Jahr 1991 Hollywood in seinem größten Weltmarkt nach Japan auf 77 Prozent “zurückgedrängt” wurde und im vereinten Deutschland mehr Leute ins Kino gingen als im Kinomusterland Frankreich, nämlich 120 Millionen, sowas verkündet die Branche wie Siegesmeldungen. Nur spezifiziert man solche Zahlen nicht, weil sie den Trend bestätigen: mainstream und more of the same, ein Boom an der Kasse, aber immer mehr Einheitsbrei auf der Leinwand.
Nicht erst die Multiplexe haben diese Reduktion im Filmmarkt, den Kinoausverkauf, provoziert. Seit sich die Major Companies auf Blockbuchungen und Pauschalabkommen mit den großen Kinoketten oder den Citykinos einließen, seit auch unabhängige Programm- und Off-Kinos den Erstaufführer-Status reklamieren und von vorneherein bei den (S.48) prognostizierten Kassenhits mitverdienen wollen, seit immer mehr Kinounternehmen feste Absprachen mit einzelnen Verleihern eingehen, wird die Auswertung zum engen, geschlossenen Kreis, zur erbarmungslosen vertikalen Vermarktung Produktion-Vertrieb-Abspiel.
Die Chancen für Kleinverleihe und für unabhängige oder deutsche Filme werden drastisch reduziert. Und die deutsche Förderszene, notorisch Projekt- und Produktions-fixiert, ohne eine Sensorium (1*) für Strukturen, Distributionsmechanismen oder die veränderten Konditionen des Kinomarktes, schlingert hilflos und affirmativ (2*) in dieser Entwicklung mit.
Fastfoood im High-Tech-Tempel
Zur Talfahrt des deutschen Films wird pompöse Begleitmusik intoniert. Nicht nur von immer neuen Filmbüros, Fördertöpfen, Ausbildungsstätten, Medienkongressen, Filmfestivals und europäischen Verzahnungen ist die Rede, sondern von Millionen neuer Zuschauer in den Kinos der neuen Dimension, den Multiplexen.
Sechs dieser High-Tech-Filmpaläste sind in Betrieb, rund 50 im Bau oder in Planung. Die Betreiber sind das US-deutsche Konsortium Time/Warner und Constantin (“Cinedom”), die Firma United Cinemas International der zwei Major Companies Paramount und Universal (“Multiplex”) und die Gemeinschaft des Kinokönigs Hans Joachim Flebbe mit dem Produzenten-Investor-Duo Bodo Scriba und Rolf Deyhle (“Cinemaxx”).
Die Attraktion der Kino-Supermärkte mit bis zu 20 Leinwänden und bis zu 5.000 Plätzen ist ihr hoher Standard an Technik und Komfort, die perfekte, oft gigantische Bild- und Tonqualität: ein Novum in Deutschland und hoffentlich das baldige Ende unzähliger muffiger, technisch unzureichend und nachlässig geführter Provinz-, Off- und Riech-Kinos. Denen weint sicher niemand nach.
Bei den neuen Trutzburgen kommen zeitgemäße Offerten hinzu, Boutiquen, Bowling, Bars und Restaurants, das Konsum- und Amüsier-Ambiente der Disco-Generation.
Aber natürlich ziehen solche Entertainment-Tempel ein ganz bestimmtes Publikum an, weckt das postmoderne Design spezifische Erwartungen, grenzt der computerisierte Fließbandbetrieb vieles aus.
Mainstream heißt auch hier die Devise, eine “McDonaldisierung” des Filmangebots. Rund 50 Millionen Mark beim “Cinedom” Köln über 100 Millionen Investitionen müssen sich amortisierten, da sind Experimente nicht gefragt. Trotz jahrelanger Erfolgsbilanzen und zurückeroberter Publikumsschichten stecken z. B. die meisten Multiplexe Großbritanniens noch immer in den roten Zahlen.
Sie retten sich ins Diktat der Kasse. Mehr Kinos, mehr Publikum, aber eine weitere Verengung des Marktes, noch mehr Fastfood, noch weniger Chancen für die kleinen, leisen, schwierigen, die nicht amerikanischen, die europäischen, die deutschen Filme. Außerdem monopolisieren die Multiplexe nicht nur das Abspiel, sie können auch den europaweiten Trend nicht verhindern: Video und Fernsehen, ob staatlich, privat oder Pay-TV, sind längst wichtigere, reichere Filmabnehmer als die Kinoverleihe.
Auf den Hund gekommen
Ein besonders unrühmliches Ergebnis von 30 Jahren deutscher Filmförderungspolitik: Der zentrale Sektor einer lebendigen Filmszene, die Produktion, ist völlig auf den Hund gekommen.
Unfähig, vertrottelt, kulturell oder politisch oder medienstrategisch desinteressiert, kein akzeptables Gegenüber eines seriösen Autors oder Regisseurs, hoffnungslos provinziell, sitzen deutsche Produzenten in ihren Büros ohne irgend einen Nachweis der Eignung oder Erfahrung für ihre Profession.
Ihre Existenzgrundlage ist die Fernsehauftragsproduktion, ihre Mentalität die Nummer Sicher, ihre einzige Sorge offenbar die Logistik der deutschen Filmförderung. Unselbstständig, von den Gremien entmündigt, scheuen sie nichts so wie klare Urteile und Entscheidungen oder gar das Risiko.
Das meiste ihrer Arbeit schieben sie auf die Regisseure ab. Sie produzieren nicht, sondern verwalten öffentliche Gelder. Sie engagieren sich nicht für Menschen, Themen, Projekte, sondern vorzugsweise für ihre Handlungsunkosten.
Sie verhökern meistbietend ihren Briefkopf; viele akzeptieren ein Projekt nur, wenn ein Regisseur ihnen ein mehr oder weniger vollfinanziertes Projekt anträgt. Die wenigen Ausnahmen in dieser Mischpoke bestätigen die traurige Regel.
Der kleinkarierte, unprofessionelle Zuschnitt des deutschen Filmwesens geht vor allem auf diese Berufsgruppe zurück. Sie sind nicht einmal unternehmerisch agil und strafen in der Regel die abgedrehten Filme mit Nichtachtung.
Sie profitieren von einer Schimäre (3*): daß nicht der Regisseur, sondern der Produzent der bestimmende Faktor im deutschen Film sei, so wie in Frankreich, in England, in den USA. Darum streichen sie die Preise und Prämien ein, die Fördermillionen, die Drehbuch- und Projekt und Referenzmitttel, für Arbeiten also, die nicht sie, sondern die Regisseure leisten.
Und darum sollen sie nach dem novellierten Filmförderungsgesetz (FFG) 20 Prozent der Referenzmittel nicht für einen neuen Film, sondern “zur Verbesserung der Eigenkapitalbasis ihrer Firma” verwenden können. Wer hat, dem wird gegeben.
Die Tatsache, daß Hunderte von Regisseuren aus Verzweiflung über dieses Versagen dieses Berufsbereichs sich selbst als Produzenten einschreiben (“Rucksackproduzenten”), interessiert die Reichsverweser deutscher Filmpolitik offenbar so wenig wie das Mitmischen immer neuer Gruppen in diesem Sektor: Verleiher, sogar Kinobesitzer beginnen zu produzieren; Filmbüros und viele Gremien übernehmen immer mehr Funktionen der Produzenten, also der einzigen Gruppierung, die über Jahrzehnte gut an der deutschen Filmförderung verdiente.
Volkskunst und Kleingewerbe
Deutsche Filmpolitik ist de jure verboten. Maßnahmen der Bundesregierung, klagen Bonner Politiker, sind im Grunde unmöglich, weil illegal. Sind sie kommerziell orientiert, klagt sofort die EG ihre neuen Richtlinien ein, folgt sie künstlerischen Kriterien, pochen die Bundesländer auf ihre Kulturhoheit. In der Medienpolitik treibt der deutsche Föderalismus besonders bunte, grelle Blüten.
Europa folgt der Devise act local – think global, unsere Duodezfürstentümer ergehen sich derweil in streng regional begrenztem Heimhandwerk. In manchen Bundesländern bricht angesichts üppiger Filmförderungsmittel eine regelrechte Kinomanie aus. Wir wollen sein ein einig Volk von Regisseuren, Drehbuchautoren, Produzenten, Akteuren, Technikern . . . Um zum Kreis der Auserwählten zu gehören, genügt es, eine Adresse zu haben oder geboren zu sein im Land wo Milch und Honig fließen – und reichlich Filmfördergelder.
Die Resultate dieser breit gestreuten Förderaktivitäten auf Länder-Ebene sind furchterregend. Die Landesfürsten schmücken sich mit ihren pseudo-progressiven Filmhilfsmaßnahmen und naschen ein wenig vom verheißenen Glamour des Mediums; die zuständigen Ministerien, Beamten, Institutionen entwickeln regionalpatriotische Profilneurosen, schotten sich eifersüchtig gegen andere, umliegende Initiativen ab, schwingen erbarmungslos die Keule “Landeseffekt” über jedem eingereichten Projekt und beharren auf ihrer grotesken, provinziellen Standortpolitik. Mit geschminkten Kalkulationen, künstlich hochgepäppelten belebenden Regionalzuleistungen und halsbrecherischen Versprechungen versuchen die Antragsteller, diesen engstirnigen, ehrgeizigen lokalen Furor (4*) zufriedenzustellen. (S. 51)
Natürlich reichen die bewilligten Summen der Länder- und Städte-Töpfe nie aus. Der Produzent beginnt seine Odyssee durch die Gremien, vom Kuratorium Junger Deutscher Film über Innenministerium (BIM) und Filmförderungsanstalt (FFA) bis zu den Ausschüssen in Hamburg, München, Berlin, Potsdam, Düsseldorf usw. Hilfestellung beim Parcours (5*) durch dieses Dickicht leisten, eine neudeutsche Spezialität, hochdotierte Filmförderungsberater.
Aber auch am Ende des Länder- und Gremium-Wanderzirkus reicht es nicht, fehlen die letzten 400.000 Mark fürs Budget. irgendein Zyniker profitiert nun von dem ganzen aufwendigen Procedere, handelt die erschöpften Aspiranten noch ein wenig herunter und läßt seine Spitzenfinanzierung mit weitreichenden Gegenrechten vergolden: Kirch, eine Fernsehanstalt, ein cleverer Verleih oder ausländischer Koproduzent.
Diese tägliche Ausbeutung ist im System angelegt. Der Produzent hat alle Rechte an dem Produkt verloren, der Regisseur hat unmögliche Konzessionen akzeptiert, aber die eigegangenen Verbindlichkeiten erlauben kein Zurück, die Produktion muß durchgepeitscht werden.
Das wilde Drauflosfördern in deutschen Kleinsteinheiten bedeutet systematische Nivellierung, flächendeckendes Mittelmaß. Von zehn bis 15 Exposés, Drehbüchern, Projekten wird höchstens eines realisiert, das ist der gesunde internationale Standard.
Im deutschen Filmförderungsparadies wird dagegen alles hochgespült, wird jeder noch so unbeholfene, aussichtslose Stoff irgendwann irgendwo akzeptiert und gefördert, wenn nur die “Effekte” stimmen. Institutionalisiertes Laienhandwerk en gros und en detail, Film als Volks- und Heimatkunst, als umtriebiges Kleingewerbe. Das schöne Label dafür heißt “Infrastruktur”.
Allen Ernstes glaubt unsere Länder-Förder-Bürokratie, sich eine Filmindustrie erfinden zu können, von der Lüneburger Heide bis zum Bodensee. Europäische Medienzukunft aus deutscher Sicht.
Apparatschiks (6*)
Sie kakeln und mirakeln landauf, landab, sie beraten und beschließen, sie verwalten, vertagen, verwerfen. Man trifft sie auf allen Konferenzen, Kongressen, Messen, auf allen Filmfestivals, bei Premieren und Festen. Sie geben große Essen und Empfänge, sie reisen permanent, steigen in feudalen Hotels ab, verplempern immer mehr Geld und propagieren zunehmend sich selbst, einen neuen Berufsstand, die hauptamtlichen Filmförderer.
Eine pompöse Halbwelt hat sich da etabliert, eine gschaftelhubernde Funktionärs-Kamarilla (7*) auf glamourösen Champagner-Level.
Sie reden und bewegen sich wie Filmmogule, aber auf dem satten Polster von Steuergeldern. Institutionalisierte Amtsanmaßung in Permanenz. Natürlich gibt es hier noch rühmliche Ausnahmen. (Anmerkung des Abschreibers: Der Artikel wurde im Dezember 1992 veröffentlicht)
Filmförderung muß sein, ohne sie gäbe es den deutschen Film nicht. Aber die Vertreter der Institutionen und Gremien agieren mit dem aufgeplusterten Selbstverständnis von Großproduzenten. Sie verfügen über Millionen. Sie entscheiden über Sein oder Nichtsein von Filmen, Firmen, Autoren, Regisseuren.
Oft müssen sie den Produzenten ersetzen, weil dieser Berufszweig nicht mehr funktioniert. Aber ein bißchen mehr Bescheidenheit, etwas weniger Lust an der geliehenen Macht und etwas mehr Achtung für die letzten Professionellen dieser maroden Branche, die Kreativen, etwas mehr Freiheit, Schutz, Respekt und Geld für die, deren Subventionen da so großkotzig ausgegeben werden – ist das zuviel verlangt?
Und warum provoziert gerade der Filmbetrieb diesen aufgeplusterten Überbau? Denn zu dem Troß selbsternannter Film- und Medienfürsten gesellen sich Kulturbeamte, Fernsehrepräsentanten, Branchenvertreter.
Ihr grassierendes (8*) Mediengerede steht in keinem Verhältnis mehr zur Bedeutung der deutschen Medienszene. Und nicht einer riskiert die naheliegende Frage: Noch nie ging es dem deutschen Film künstlerisch und wirtschaftlich so schlecht – noch nie gab es bei uns derart wuchernde Film- und Förderungsapparatur – was hat beides miteinander zu tun?
Auf Euro-Ebene, in der Handhabung der MEDIA-Palette, passiert leider nichts anderes, werden gute Ideen in Bürokratie und selbstgenügsamer Repräsentation erstickt, werden ganze Programme als bloße Papiertiger und PR-Windeier durchgezogen. Oft bestimmen ihre Ignoranz und Arroganz den Ton ihrer Verlautbarungen, die Selbstbedienung das Geschäftsgebahren.
Über einschlägige Mauscheleien in der FFA erregt sich nur noch die Korrespondenz “blackbox” gelegentlich, ohne Folgen natürlich.
Pathetische Rede an die Filmemacher
Ohne Euch, die Regisseure und Autoren, die Schauspieler, Kameramänner, Cutter, Komponisten gäbe es keine Filme. Ihr seid die Kreativen, die Praktiker, die einzig überprüfbaren Professionellen des Filmgewerbes. Laßt Euch nicht länger verwalten, vertrösten, verschaukeln. (s. 53)
Wehrt Euch. Die mächtigen Apparate, die Förder- und TV-Anstalten, die Verbände, die Produzenten brauchen Euch. Ihr seid der deutsche Film, nicht die. Vieles, was sie immer noch propagieren und praktizieren, will keiner mehr im Kino sehen. Die Erneuerung, die Zurückgewinnung des Publikums, die besseren, wichtigeren Stoffe und Bücher, die Bekämpfung der Aversion gegen den deutschen Film in den Medien, die Direktiven für das Zusammengehen mit den anderen Europäern, all das könnt nur ihr leisten.
Über 30 Jahre lang hat das Gerede vom notwendigen Kommerz auf eine Kriechspur ins totale Abseits geführt. Setzt den künsterischen Anspruch als Euer Anrecht wieder durch. Laßt nicht zu, daß aus Euren eigenen Reihen eine originäre Leistung Europas, das Autorenkino, denunziert wird.
Über Jahrzehnte haben die Stützen der Gesellschaft in den Gremien Filme vertreten, die die Gesellschaft stützen; ersetzt die Kommissare der Schere im Kopf durch Eure Leute, durch Kollegen, die beruflich, nicht als Filmförderer zu lesen wissen.
Das alte System funktioniert längst nicht mehr. Artikuliert Eure Interessen und delegiert die Arbeit an Menschen und Institutionen, die für Euch da sind, die Euer Vertrauen haben, die Euch Zuliefern, statt Euch als lästige Bittsteller zu behandeln.
Wer aus dem deutschen Theater-, Kunst-, Literatur- oder Musikleben ließe sich von Politiker, Funktionären, TV-Leuten in seine künstlerischen Belange her einreden? Welcher Bühnenregisseur, Dirigent, Buchautor, Museumsleiter würde sich rein marktwirtschaftlichen Maßstäben beugen? Welch ein Geschrei gäbe es, wenn deutsche Theater nur noch am Broadcast, Opern und Philharmonien an der MTV-Popularität, deutsches Fernsehen an US-Sitcoms, literarische Novitäten nun noch an internationalen Bestsellern gemessen würden?
Im deutschen Film- und Kinowesen ist das üblich und wird akzeptiert. Fordert endlich die Gleichstellung des Films mit anderen Kulturzweigen. Ihr habt mehr Macht, als ihr wißt. Tut Euch zusammen. Wehrt Euch.
Das Gesetz
Es ist seit längerem fünf nach zwölf im deutschen Film. Sein Siechtum wird auch ein neues FFG nicht bremsen. In den wilden 70ern, als Alexander Kluge noch als wortgewaltiger Lobbyist in Bonn und München herumwuselte, waren die FFG-Klauseln und Gesetzesnovellen (1974, 1980) heftig umstritten, gab es furiose Plädoyers aus allen Lagern der Filmwirtschaft, medientheoretische Scharmützel aus den Parteien, polemische Attacken der Kritik.
Mehr Kunst oder mehr Kommerz, mehr Geld vom Staat, vom Fernsehen oder von den Kinos, mehr Geld für Innovation oder für das Establishment, für Produktion oder Vertrieb und Abspiel, das waren Themen heißer Positionskämpfe
Tempi passati. Die akute Diskussion dümpelt eher gequält dahin. Soll man einen geschminkten Leichnam immer noch mal aufbahren? Regisseure, Programmkinos und Kleinverleihe fordern die ersatzlose Aufhebung des FFG. Auch das eher lustlos als vehement. Die SPD wird die Fortschreibung auf drei statt weitere sechs Jahre zu begrenzen versuchen, weil auch in Bonn niemand so recht an das Gesetz, seine hehren Grundsätze von 1968 und an immer neue kosmetische Korrekturen glaubt. Peter Conradi, SPD, am 29.4. vor dem Bundestag über die FFA: ”bürokratische Auswüchse . . . viel zu große Gremien und viel zu kleine Töpfe”.
Zu offensichtlich mahnt der desolate Ist-Zustand ein radikales Umdenken an, neue, grundsätzliche, vor allem europäische Perspektiven.
Trend der Novellierung zum 1.1. (19) 93: mehr Markt, eine verstärkt kommerzielle Ausrichtung. Nicht Preise, Prädikate, Qualität, nur noch die Zuschauerzahl (50.000, bei Kinder-, Jugend- und Dokumentarfilmen 25.000) soll zur automatischen Referenzförderung berechtigen; der Höchstbetrag bei über einer Million Zuschauer ist auf vier Millionen Mark heraufgesetzt, die Projektförderung auf zwei Millionen; der Produzent darf mit 20 Produzent (?) (Prozent?) der Referenzmittel seine “Wirtschaftskraft” stärken; umsatzschwache Kinos müssen weniger, Privatfernsehen und Videobranche etwas mehr in den Topf der FFA zahlen; die Vertriebsförderung ist um fünf Prozent gesteigert.
Die FFA, Ordensburg konservativer deutscher Filmpolitiker, kann also weiterwursteln. Mit mehr Praktikern in den Vergabekommissionen, heißt es. Nur zu. 40 Millionen Mark Jahres-Etat, das ist weniger als das Budget der Filmstiftung NRW (50- bis 60 Mio), ist marginal im Vergleich zu rund 150 Mio der Länderförderungen. Daß diese endlich besser koordiniert werden müssen, steht sogar im Regierungsentwurf der FFG-Novelle.
Nichts steht darin über längst fällige Steuer-Erleichterungen der Filmbranche, über den überall, nur bei uns nicht praktizierten Schutz der nationalen Produktion, über Anreize für Fremdkapital. Es ist wie in ganz Europa: Ohne staatlichen Schutz und verstärktes Engagement der Multis darben die nationalen Kinematografien vor sich hin. Neue Konstellationen, aber auch neue Ängste: Dirigismus, Protektionismus, Monopolismus; mehr Kontrolle und Industrie, weniger kleine, unabhängige Einheiten. (S. 55)
TV-Muffel
Film und Fernsehen, die feindlichen Brüder. Phasen der Annäherung und fruchtbarer Kooperation wechseln mit verbiesterter Feindseligkeit. Momentan stehen die Erfolgsbilanzen und vollmundigen Deklarationen deutscher Fernsehbarone in seltsamem Widerspruch zu einer starren, filmfeindlichen Politik deutscher Fernsehanstalten.
Knebelverträge entmündigen die Produzenten; die Koproduktionssummen sind ein Witz im europäischen Vergleich; deutsche und europäische Filme sieht man immer seltener und dann zu unpopulär späten Zeiten, immer mehr Hollywood und geistloser Kommerz dagegen zur Prime Time; die Filmberichterstattung wird immer seichter, vor allem bei den Privaten, und promotet immer ausschließlicher das Hollywoodkino.
Am Wochenende und an Feiertagen findet man circa drei Filme auf jedem Kanal, bei den Privaten noch mehr. Die Filmschwemme wird auf runde 10.000 Ausstrahlungen im Jahr 1992 ansteigen. Der einzelne Titel ist nichts mehr wert in dieser Sintflut, macht den Zuschauer immer konsequenter zum TV-Muffel und treibt ihn ins Kino zurück, wo Ereignischarakter, soziale Kommunikation, zusätzliche Freizeitangebote und vor allem größere Bilder und bessere Technik locken.
Seltsam kleinmütig reagierte die Filmbranche auf die angedrohte Kündigung des Film-Fernseh-Abkommens in der FFA. Läppische 8,75 Millionen Mark zahlen die öffentlich-rechtlichen Anstalten ins FFA-Budget (dazu kommen noch ca. sechs Millionen von den Privaten), weitere 23,25 Millionen geben sie für Koproduktionen in den gemeinsamen Topf).
Das sind Peanuts in der Relation zu den Leistungen nahezu aller anderen europäischen Fernsehstationen. In Frankreich z.B. fließen weit über 100 Millionen Mark vom Fernsehen in die staatliche Filmförderung.
Außerdem garantieren in allen EG-Ländern gesetzliche Quoten den einheimischen und europäischen Produktionen feste Prozentsätze. Deutsche Rundfunkgesetze sprechen unverbindlich von “wesentlichen” oder “angemessenen” Anteilen, und ein Blick ins Programm zeigt, wie wenig diese Floskeln wert sind.
Vielleicht wird der offene EG-Markt ab (19) 93 hier als Korrektiv fungieren. Die Entwicklungen im westeuropäischen TV-Markt sind verblüffend antizyklisch und widersprechen allen Prognosen.
Eben noch begehrtes und williges Terrain US-amerikanischer Exporteure mit erwarteten Steigerungsraten in Milliardenhöhe, wird plötzlich die heimische Auftrags- und multilaterale Koproduktion (oft mit US-Beteiligung) (S. 56) immer attraktiver, entdeckt das europäische Publikum auch bei den Privaten die Lust an der Hausmannskost und den Überdruß an der US-Meterware.
Ein seltsamer Trend, konträr zum Verhalten des Kinopublikums. Das Privatfernsehen wird sich also der Linie des öffentlich-rechtlichen anpassen, wird die US-Importe zu drosseln und mehr zu produzieren versuchen- Mainstream, versteht sich, Euro-Seifenopern und Global-Pudding. Umgekehrt frönen ARD und ZDF ihrem “Drombusch”-Syndrom, propagieren Unterhaltung en gros, billige Mini-Serien, Bildschirmkrimis, Infotainment und Deutschtümelndes.
Die Gesamteinnahmen des westeuropäischen Fernsehens aus Gebühren, Werbung und Programmverkauf betrugen 1991 – 24 Milliarden Dollar. Die prognostizierten Zahlen für 1992: Kosten für Eigenproduktionen 8,4 Milliarden Dollar, für Auftragsproduktionen drei Milliarden, für Kaufprogramme fünf Milliarden Dollar. Einnahmen aus Gebühren neun Milliarden, aus Werbung 14,9 Milliarden (mit vermuteten Steigerungen bis zu 22 Milliarden Dollar im Jahr 2000).
Dem kleinen,unabhängigen Produzenten, dem ambitionierten Film, dem engagierten politisch-publizistischen Programm werden nur geringe Wachstumsraten in diesem lukrativen Markt eingeräumt. Vielmehr prophezeit man “die Übermacht von wenigen weltweit operierenden, multinationalen, untereinander über Produktionsverbände verwobenen Mediengroßunternehmen” (MEDIA Perspektiven 12/91). Das globale Dorf wird zum Billigparadies von den Gnaden weniger internationaler Medienmultis.
Denk ich an Brüssel in der Nacht…
Europa, ein unruhiger Traum. Ohne die alten Schutzmächte (USA und UdSSR), zerrüttet von Demokratieverdrossenheit und Neo-Konservatismus im Westen, vom Rekurs (9*) auf Fundamentalismus und Nationalismus im Osten, Versuchslabor für politische und noch mehr für ökonomische Szenarios des 21. Jahrhunderts, Heilserwartungen für schwindende nationale Identitäten und für unglaubwürdig gewordene Intellektuelle: ein Kontinent im Übergang.
Im Osten die Stunde der Demagogen, der Mafiosi und Polit-Parvenus (10*), im Westen das Nahziel des größten, mächtigsten, reichsten Binnenmarktes der Welt.
Statt der Utopien und großen Entwürfe überwiegen die Ängste. Eurokratie, Eurozentrismus, Eurokolonialismus, Euro-Apathie, Euro-Nationalismus. Multinational, multikulturell – die Herrschaft der Multis. Die bevorstehenden freie Beweglichkeit von Waren, Kapital, Personal und (S. 57) Dienstleistungen ab Januar (19) 93 für 340 Millionen EG-Bürger beflügeln Euro-Müdigkeit und Brüssel-Antipathien: Verdruß über den jeweils kleinsten Nenner bei allen sozialen, kulturellen und ökologischen Problemen, über Tendenzen zu Vereinheitlichung, Konzentration und Souverenitätsverlust, über eine “Selbstentmachtung der Politik zugunsten der Wirtschaft” (Kursbuch).
Regionen rücken zusammen, signalisierten Widerstand im Verbund: Skandinavien – die romanischen Länder-die Mittelmeer Anrainer-das alte Mitteleuropa-das ganze alte Österreich-Ungarn (Eine Formierung der weit über 100 Millionen Deutschsprachigen ist glücklicherweise nicht in Sicht).
Den gleichen Trend beobachtet man weltweit, Muskelspiele im globalen Supermarkt: zwölf EG- und sieben EFTA-Länder tun sich zum “Europäischen Wirtschaftsraum” zusammen (380 Millionen E), vier reiche Lateinamerikaner, unter Ausschluß der armen Anden-Länder. antworten mit dem Konstrukt ”Mercorsur”, die islamische Welt formiert sich zu einem politisch-ökonomischen Block, Japan sucht seine reichen Nachbarn im nördlichen Pazifik zu vereinen. Und alle betonen die wachsende Bedeutung des Welthandels mit Unterhaltungs-Elektronik und mit Software made in Hollywood, also TV, Film, Musik.
Seid umschlungen, Millionen. In Brüssel arbeiten etwa 5.000 Lobbyisten der europäischen Industrie in einem quasi-rechtsfreien Raum, mit ihrem fundamentalen Einfluß auf die multilateralen Regelwerke.
Besonders die Landwirtschaft, die Pharma-, Auto- und Elektro-Branche. Ergebnis: 65 Prozent des gesamten EG-Etats fließen in die Landwirtschaft, 0,00016 Prozent in die Kultur (die in Kürze in die Römischen Verträge aufgenommen werden soll). Wohlweislich ist die Audiovision davon ausgenommen, die läßt sich die Gemeinschaft jährlich 40 Millionen ECU kosten. Und satte 1,5 Milliarden Mark wurden Anfang April als Sondermittel für HDTV-Software in der Euro-Norm bewilligt.
Weil die europäischen Elektronik-Giganten Thomson und Philips bereits zuviel in diese neue Supertechnik ohne Markt investiert haben, um jetzt das Feld kampflos den besseren Systemen der Japaner und US-Amerikaner zu überlassen?
Weil die EG, allen Euro-Schmus zum Trotz, die Monopole, die Herrschaft der wenigen großen Kommunikationskonzerne will und nicht den unwägbaren breiten Strom vieler kleiner unabhängiger Firmen? Zukunftsmusik aus den Sphären des bevorstehenden globalen Medien-Powerplays . . . (S. 58)
Das Euro-Debakel
Protektionismus und Dirigismus dieser Art, forciert von der Industrie, von den Regierungen und den Medienmultis, werden vielleicht auch dem darbenden europäischen Film ein befristetes Überleben garantieren. Denn seine Startbedingungen ins schöne, neue, große, vereinte Europa sind desaströs (11*).
Alle europäischen Länder schmoren im eigenen Saft, schlagen sich mit vergleichbaren Problemen herum, kranken an den selben Syptomen: sinkende Besucherzahlen, wachsende Dominanz der US-Filme (in Mittel und Osteuropa bis zu 95 Prozent), kontinuierlich schrumpfende Marktanteile des heimischen Films, zunehmende Ferseh-Kofinanzierung, wachsender Subventionsbedarf der Filmbranche, eine Titelschwemme im Kino-, TV- und Kassettenmarkt.
Die Summe vieler kleine, schwacher europäischer Kinemathographie wird kein starkes Euro-Kino geben. Die Künstlerpersönlichkeiten, die individuellen Ausdrucksformen, die Vielfalt, der kulturelle, politische und soziale Habitus, das nachdrängende kreative Potential, das sind Stärken des europäischen Films; seine Nachteile sind die schlechten Drehbücher, die schwachen Produzenten, die mangelhaften ökonomischen Strukturen.
Nicht die Filmkultur, sondern die Filmwirtschaft in Europa liegt darnieder, der Vertrieb stagniert, die Refinanzierung der Produktionskosten auf dem nationalen oder dem europäischen Markt ist kaum möglich. Die verkündete Einigkeit und Kooperation erschöpft sich bisher in wenigen mangelhaften Ko-Produktionen- und Finanzierungen, in Aktivitäten der viel zu bürokratischen, zu nebulösen MEDIA-Palette und in sehr viel bedrucktem Papier.
Ein US-Film kostet im Durchschnitt 27 Millionen Dollar, seine Werbung 12 Millionen. 80 Prozent der EG-Filme dagegen kosten bis zu 4,5 Millionen Mark. Von ernsthafter Konkurrenz kann bei so unterschiedlicher Ausstattung keine Rede sein. Das Durchschnittsbudget eines französischen Filmes liegt noch bei 7 Millionen Mark, eines italienischen bei 4,5 Millionen, eines deutschen bei 2,7 Millionen. Sowas reicht in Hollywood für die Portokasse.
Umgekehrt fließen aber europäische Milliarden in US-Produktionen, von den großen Banken und ebenso von den international operierenden Medienkonzernen. wie die japanische Hardware-Industrie, die halb Hollywood aufgekauft hat, vertrauen die Europäer den Major Companies mehr als den eigenen Produzenten, investieren lieber in die global konvertible US-Software.
Der deutsche Film hat in diesem Szenario besonders trüber Auspizien (12*). Die europäischen (S. 59) Nachbarn schützen ihre Produktion so gut es geht mit hohen staatlichen Zuschüssen, mit Steuererleichterungen, mit großzügigen, von den Regierungen gestützten Investitionsprogrammen der Banken. Nichts dergleichen bei uns, keinerlei ökonomische Anreize für die Produktion, für Investitionen in diesem Sektor. Film ist nicht vertrauenswürdig.
Deutsche Versicherungen und Kredit-Institute, Baugewerbe und Energiewirtschaft fördern z.B. immer mehr Kultur, kaum aber den Film (Heimat- und Brauchtumspflege 68 Prozent, Musik 62 Prozent, Kunst 59 Prozent, Denkmalpflege 41 Prozent, Darstellende Kunst und Literatur je 26 Prozent, Film und Fotographie 12 Prozent.
Bertelsmann, Kirch, Geissler, Scriba/Deyhle u.a. transferieren viele hundert Millionen Dollar ins US-amerikanische Medienparadies und binden sich an transatlantische Joint Ventures ein, während andrerseits die neuen Definitionen des FFG demnächst US-Produzenten einladen weredn (?) (vermutlich ist gemeint: werden?) sich deutscher Filmförderungsgelder zu bedienen. bis auf ein paar medienpolitische Konjunkturritter und die Gesundbeter unserer fabulösen Filmförderung scheint niemand an den europäischen oder gar an den deutschen Film und seine Zukunft zu glauben.
Vorschläge
Hundert Jahre hat sich der deutsche Film nicht aus staatlicher Bevormundung befreien können, und nun braucht auch er den Staat. Eine absurde Situation. Ohne Hilfe von oben läuft nichts mehr.
Wenn die Politiker in Bonn nicht die Notbremse ziehen, die Gelder erheblich aufstocken, die divergierenden Förderquellen kanalisieren, Quoten akzeptieren und einen versierten Filmvertreter nach Brüssel entsenden, wird Deutschland im vereinten Medieneuropa keine Überlebensaussichten haben. Entweder man findet den Film genauso wichtig wie andere Medien- und Kulturbereiche, oder man überläßt ihn konsequent seiner Agonie (13 *).
Auch ohne Steuer- Und Investitionsanreize, ohne Schutzbestimmungen, Kontingente und Limits für Bildschirm und Leinwand läuft nichts mehr im deutschen Film. In ganz Europa gibt es unterschiedliche Kino- und Fernsehquoten, sehr legere (Benelux, Skandinavien) und ziemlich rigide (romanische Länder). Die deutsche Praxis geht noch hinter der labbrigen Protektionismus-Empfehlungen der EG zurück. Ein Bouquet (14 *) erster entsprechender Maßnahmen, bei unseren Nachbarn abgeguckt, präsentieren die großen Länderförderungen (Focus Germany) dem Bundesrat oder der Kultusministerkonferenz. (S. 60)
Eine radikale Entflechtung von Film und Fernsehen im Bereich Filmförderung ist überfällig, ebenso die Festlegung von Grenzwerten für die Ausstrahlung von deutschen, europäischen und US-Produktionen sowie für Spielfilm-Ausstrahlungen am Wochenende. Das Film-Fernseh-Abkommen wird durch eine feste Filmabgabe pro Ausstrahlung im öffentlich-rechtlichen wie im privaten Fernsehen ersetzt. Die mittelständischen und unabhängigen kleinen Produktionsfirmen bekommen ein Mindestquantum an Auftragsproduktionen zugesichert.
FFA und BMI installieren ein Unternehmens-Förderungsmodell. Erwiesen professionelle Produktions- und Verleihfirmen bekommen ein Darlehen. z.B. 10 Millionen Mark für 5 Jahre, unbedingt rückzahlbar, zinslos, nicht projektgebunden.
Ziel ist eine sukzessive (15*) Kapitalisierung der Branche; Entscheidungen, Risikobereitschaft, Verantwortung und unternehmerische Libido werden aus den Förderapparaten und Gremien an die tatsächlichen Praktiker zurückgeleitet. Produzenten und Verleiher müssen wieder lernen, sich für das Schicksal ihrer Produkte zu interessieren, müssen die Lust am Gewinn wiederentdecken.
Ein Filmbeauftragter der Länder, der Kultusministerkonferenz unterstellt, vertritt den führungs- und heimatlosen deutschen Film nach innen und außen und versucht, den Wildwuchs der Verbände, Institute, Förderungen zu bündeln, zu koordinieren und zu vernetzen, ohne gleich die heilige Kuh Förderalismus oder Kulturhoheit zu schlachten. Die rechtliche Basis ist ein Staatsvertrag der Länder.
Darlehen, Zuschüsse, Preis, Prämien, Referenzmittel gehen künftig an die Regisseure, die dadurch nicht eine Zwangsehe mit ihren derzeitigen Produzenten eingehen, das Geld aber für den beantragten oder einen nächsten Film verwenden müssen.
Da der Verwaltungsaufwand bei rückfließenden Förderungsmitteln für Investitionen wie für den Antragsteller meist höher ist als die zurückgezahlte Summe, werden alle Darlehen in die deutsche Filmförderung künftig als Zuschüsse abgeschrieben.
Kuratorium, BMI, Filmbüros und die kleinen Länderfonds betreiben eine überwiegend kulturelle, FFA und die fünf großen Ländertöpfe eine primär wirtschaftliche Filmförderung. Die kulturelle wird den Kultursubventionen der Länder und Kommunen, die wirtschaftliche dem europäischen Standard angeglichen.
Mehr Kreative werden in die eher kulturell, mehr Banker, Ökonomen und Produktionsprofis in die wirtschaftlich orientierten Gremien berufen. Alle Förderinstitutionen legen ihrer Arbeit Kriterien zugrunde, die sie einem von den deutschen Produzenten entwickelten Standard-Reader über die üblichen Produktions-, Geschäfts- und Markt-Gesetzmäßigkeiten entnehmen.
Je ein Abgeordneter des “alten” und des “neuen” Produzentenverbandes, des Verleiherverbandes, der großen Studios, des Fernsehens, dazu zwei Regisseure/innen, ein Finanzierungs-Spezialist und ein Kenner der europäischen Medienszene, nicht mehr als zehn Leute, brüten die notwendigen Reformen, Initiativen, neuen Strukturen, Kriterien und Instrumentarien aus, die dem deutschen Film wieder auf die Beine helfen können.
Ein Konvent der pragmatischen Weisen und energischen Schwärmer. Weil die Gremien und Förderfunktionäre überwiegend reaktiv statt initiativ agieren, d.h. sich zu Anträgen verhalten müssen, können sie diese Arbeit nicht leisten; weil sie der Branche Geld verschaffen, ihr aber als Außenstehende und Laien nicht hhereinreden sollen, ist dies auch nicht ihre Aufgabe. Sie haben vielmehr gut gearbeitet, wenn sie sich eine Tages überflüssig gemacht haben.
Alle Filmförderungsfunktionäre verzichten für ein Versuchsjahr auf ihre Geschäftsreise zu den Filmfestivals. Von dem gesparten Geld können deutsche Regisseure auf Antrag die Festivals in Cannes, Berlin, Venedig oder in den USA besuchen. (TIP 12/92)”.
Wolf Donner (Dezember 1992)
© Christa Donner & Jeanine Meerapfel (2014)
Diese Worte kannte ich nicht (beim Abschreiben des Textes) und habe sie deshalb im Duden Fremdwörterbuch (5. Auflage 1990) nachgesehen. (Jens Meyer)
Vielleicht gehts ja jemand so ähnlich, dann hilft es vielleicht.
(1*) Sensorium = Bewußtsein, Gespür
(2*) affirmativ = bejahend, bestätigend
(3*) Schimäre = Ungeheuer, Trugbild
(4*) Furor = Wut, Raserei
(5*) Parcours = Hindernisbahn für Jagdspringen
(6*) Apparatschik = (abwertend) Funktionär in der Verwaltung u. im Parteiapparat (von Ostblockstaaten), der von höherer Stelle ergangene Weisungen u. Anordnungen durchzusetzen versucht.
(7*) Kamarilla = (Kämmerchen), Hofpartei oder Clique, in unmittelbarer Umgebung eines Herrschers, die auf diesen einen unkontrollierbaren Einfluß ausübt.
(8*) grassieren = um sich greifen, wüten, sich ausbreiten (z.B. von Seuchen)
(9*) Rekurs = Rückgriff auf etwas., Bezugnahme, Einspruch, Beschwerde
(10*) Parvenus = Emporkömmling, Neureich
(11*) desaströs = gibts nicht im Duden Fremdwörterbuch der 5. Auflage. Gibt nur Desaster = (Unstern), Mißgeschick, Unheil, Zusammenbruch”- und beim Kluge (Etymologisches Wörterbuch): “So bezeichnet nach der Vorstellung, daß bestimmte Gestirnkonstellationen für das Schicksal des Menschen verantwortlich sind.”
(12*) Auspizium = Vogelschau, unter jmds. Auspizien unter jmds. Schutz, Leitung.
(13*) Agonie = Gesamtheit der vor dem Eintritt des klinischen Todes auftretenden typischen Erscheinungen, Todeskampf.
(14*) Bouquet = Bukett, Blumenstrauss, Duft und Geschmacksstoffe (sog. Blume) des Weines od. Weinbrands
(15*) sukzessive = allmählich eintretend, nach und nach.
Wolf Donner starb am 6. September 1994.
Er wurde 55 Jahre alt.
Aus einem Nachruf für Wolf Donner von Andreas Kilb in “Die Zeit” vom 16. September 1994:
“Filmkritiker sind unsympathische Menschen. Unablässig nörgeln sie an dem herum, was zugleich der einzige Grund ihres Daseins ist, am Kino, das sie ausbrütet und ernährt. Es gibt keinen Glücksmoment, keinen Augenblick der Rührung und des Verstehens, den sie nicht zerreden, keinen originellen Einfall, den sie nicht bekritteln müssen. Wenn sie älter werden und merken, daß das Kino nicht mit ihnen altern will, lassen sie ihre Enttäuschung an den jungen Filmen und den jüngeren Kritikern aus. Sie versteinern und vergreisen, die Liebhaberei ihrer Anfänge verkehrt sich in Haß auf das Publikum, die Filme, sich selbst. An der Kathedrale des Kinos sind sie die Wasserspeier, die Chimären, die den Gläubigen Furcht und Schrecken einjagen, wenn sie zur Messe gehen.
Wolf Donner war keiner von ihnen. An vielen der Nachrufe, die in den Tagen seit seinem Tod erschienen sind, kann man ablesen, daß „die Szene“, jedenfalls ihr älterer Teil, ihn nicht mochte, daß sie ihn nicht zu den Ihren zählte, zu jenen Kollegen, mit denen man sich beizeiten verbrüdert und versöhnt. Dabei war er ohne Zweifel der wichtigste Kinojournalist in Deutschland, der einzige, der die Filme und ihre Regisseure ebenso gut kannte wie die Firmen, die Gremien, die Mechanismen und Gesetze, die hinter ihnen stehen. Fast alles, was wir über die deutsche Filmpolitik, die Strukturen der europäischen Filmförderung, den Machtkampf der internationalen Medienkonzerne und den Streit um das Gatt-Abkommen wissen, haben wir von ihm gelernt . . . ” (Aus einem Nachruf von Andreas Kilb in Die Zeit vom 16. September 1994)
Wer auf der Internet Seite der Zeit (www.Zeit.de) in die Suchmaske eingibt:
“Subventionen für Ramschläden” und den Zeitraum vom
31.12.1974- 31.12.1975 der findet die 88 Zeilen von Wolf Donner, die zu einem Prozeß vor dem hamburger “Hanseatischen Oberlandesgericht” (zweite Instanz) führten, der erst am 6. Mai 1982 mit einem Urteil endete. Auf 23 Seiten wird begründet, warum man in Zukunft für die Kinos des Heinz Riech von Schuhkartons, Ramschläden, Pornoschuppen, Höhlen und Schläuchen schreiben darf, wenn man die Ufa Kinos beschreibt. Wer den Artikel von Wolf Donner liest, findet heraus. daß Donner weniger Heinz Riech mit seinen UFA Kinos, als vielmehr die Filmförderungsanstalt in Berlin mit ihrer Subventionspolitik (Geld für die UFA- Kein Geld für die Kinos der AG Kino) gemeint hatte.Fotos Jens Meyer