Vermutlich nicht. Es hat nur zu einem Tucholsky Ring gereicht. Und der Text, den ich in der Gesamtausgabe (Drei Bände) im Band 2 auf Seite 972 finde, ist vermutlich nicht auf der Internet Seite der Friedrich Ebert Stiftung (Der hat in Hamburg zwei Straßen bekommen) zu finden. Eine Buchbesprechung ( Von 1927).
Das Buch heisst “Friedrich Ebert Kämpfe und Ziele“
“Das wollen wir uns nicht antun. Einseitige Kritik ist feige, der Mann kann sich nicht wehren und auf die kindlichen Bewunderer Eberts, die diesen Mann, von dem in zwanzig Jahren kein Mensch mehr sprechen wird, zum >Staatsmann< aufzuplustern, wird an andrer Stelle geschossen. Es war keiner da, um die Revolution zu machen?
Der war immer da. Und weil er immer da war, drängelte er sich zum Reichspräsidenten hinauf, ein mittlerer Bürger, die schlimmste Mischung, die denkbar ist: persönlich rein und sachlich schmutzig. Der hat viele Arbeiterjahre Zuchthaus auf dem Gewissen…Die Sammlung seiner Aufsätze ist trostlos; dagegen kann man nicht polemisieren. Ich weiß, daß man die Tagesarbeit von Gewerkschaften nicht mit Hallo und Pathos machen kann – aber jede Arbeit hat doch ihren Klang, ihrem bestimmten Ton…dies ist pappen, dumpf klein, schlau und dumm.
Vorn wird in Vater-Sentimentalität gemacht, ich kann mich nicht besinnen, daß dieser Mann jemals solche Gefühle für seine Klassengenossen aufgebracht hätte, die er den Militärs und den Richtern überliefert hat; hinten erzählt – wie unvorsichtig! – ein Vollbart eine >Anekdote<. Ein Fotograf habe Ebert gebeten, etwas mehr nach rechts zu rücken, und der Erzähler habe dazu gesagt >Noch mehr nach rechts kann er ja gar nicht!<
Der so sprach, war der württembergische Gesandte in Berlin, Herr Hildenbrandt; für seine Staatstreue, für seinen realpolitischen Blick, für seine >staatspolitische Mitarbeit< hat er denn auch von Herrn Bazille einen Tritt bekommen und ist geflogen. Auch Noske ist in dem Buch vertreten.
Niemand schämt sich. Nur wenige sagen dieser Gesellschaft Bescheid…Um etwas ernsthaft Politisches anläßlich Eberts anzuschneiden: was ist das für eine neue Verlegerunsitte, die Bücher mit Prospekten vollzustopfen, die man vor der Lektüre erst alle herausschütteln muß? Einer fängts an, und alle machen es nach. Das lacht mich nicht an… (Nachzulesen im Band 2, 1925 -1928, der dreibändigen Gesamtausgabe, Seite 972 -973)
Gerne hätte ich in der Zwangsbroschüre, die jeden Monat ungefragt in meinem Briefkasten landet, also dem Heft der Krankenkasse, mal dieses Gedicht von Kurt Tucholsky gelesen. War aber nicht. War immer nur dieses Bild von dem Herrn, der der Sache vorsteht. Also muß man es abschreiben, damit die Herren der Krankenkasse, die dieses Heft gestalten, es beim Surfen in der Mittagspause es auch finden (Bücher lesen ist sicher nicht drin und wird vermutlich schwer geahndet. (Dreibändige Gesamtausgabe, Kurt Tucholsky, Band III, 1929 – 1932). Geschrieben hat er es 1930, was wenn man es liest gar nicht so lange her ist, wie es scheint. (Seite 461 – 463)
“DIE ORTSKRANKENKASSE
Ich komme in eine fremde Stadt
– Kasolz oder Ober-Crammin –
und nehme im Hotel ein Bad,
dann tu ich den Mantel anziehn
und gehe durch den fremden Ort
an Läden und Kirchen vorbei
und gucke hier und da und dort
und seh eine Metzgerei,
das Postamt . . . eine Bilderschau . . .
und immer, in jeder Stadt,
steht ein großer, prächtiger, neuer Bau,
den man grade errichtet hat.
Und dann frag ich. Und in jeder Stadt,
die einen turnenden Schutzmann hat,
sagt er auf, wie das brave Kind in der Klasse:
>Das? ist die neue Ortskrankasse<
So ein großes Haus . . . ! Sieh mal einer an . . . !
Ein riesiger Kasten. Ja, wer so kann!
Das tut jede Verwaltung, die auf sich hält;
die Herren haben wohl sehr viel Geld.
Wenn zwei Deutsche im Hof nämlich Holz zerspalten,
stehn drei andere herum, die das verwalten.
Und ich seh an dem feuchten Neubau hinauf,
und dies steigt vor meinem Auge auf:
Korridore mit vielen Türen,
die alle in kleine Bürozimmer führen.
In den Zimmern ist nichts Besondres los . . .
Und es gibt zweierlei Sorten von Büros:
Solche, in denen die Buchhaltungfritzen,
die gewöhnlichen Schreiber sitzen;
die bebrüten Akten und führen Listen.
Das sind die gemeinen Papier-Infanteristen.
Kino, Kollegenklatsch, etwas Sport . . .
wie schnell das Klassenbewußtsein verdorrt!
Für eine Handlungsvollmacht, für einen Posten
tun sie alles, wobei sie die Chefs nichts kosten.
Und es haben die Mädels in der Buchhalterein
einen Wunsch:
Hier raus und geheiratet sein!
Und alle schreiben und schreiben und schreiben
und müssen ewig hinter den Pulten bleiben.
Die schuften ihr ganzes Dasein vergebens.
Doch in den andern Büros
hockt dick und groß
das Ideal des Wirtschaftslebens:
Da sitzt der Mann an der Arbeitsstatt,
der ein Sekretariat und ein Vorzimmer hat,
(über jenen, die an ihren Arbeitsstätten
gern ein Sekretariat und ein Vorzimmer hätten)
Hier wird der Deutsche erst richtig heiter:
kein Mensch mehr – nur noch Abteilungsleiter.
Hier regiert er und wirkt und macht und tut . . .
Das Telefon klirrt, die Gehirntätigkeit ruht –
denn zwischen Arbeiten und Promenieren
gibts noch ein Drittes: Organisieren.
Hier steigen auf die kolossalen
Ressort-Stunks und die Büro-Kabalen
zwischen wildgewordenen Angestellten,
denn jeder will mehr als der andre gelten.
Hier sägt eine Lokomobile Holz,
mit dem sie geheizt wird.
Und wieviel Stolz,
wieviel Eitelkeit steckt in diesen Puppen!
Sie meinen sich, und sie sprechen von Gruppen
von Verbandsinteressen und Gemeinschaftsideen
und können nicht bis zur Türe sehn.
Hör zu, mein Kind:
Diese Leute sind
in geschäftiger Faulheit und wackrer Routine
der Leerlauf der deutschen Verwaltungsmaschine.
Es ist ein schwerer Krankheitsfall.
Und das ist über-, überall:
Ob Ortskrankenkasse, ob Filzfabrik;
ob Finanzamt, ob Hochschule für Musik;
ob Stadtheater, ob Magazin,
ob Eisenhütte oder Farbindustrien -:
Stets sitzt auf jedem Unternehmen
– neben jenen, die andern das Brot wegnehmen –
ein Ballon der Verwaltung, dick und breit,
eine Allegorie der Nutzlosigkeit
Denn dieser ganze Verwaltungstrara
ist nur um seiner selbst willen da.
Sie glauben, daß sie in USA sind.
und haben vergessen, wozu sie da sind.
Kranke Proleten und deren Interessen . . . ?
Vor lauter Verwaltung total vergessen.
Noch eine neue Kartothek,
noch eine Quittung und noch ein Beleg –
Ingenieure? ein Kumpel? ein Prolet?
Ein Kerl, der an seinem Schraubstock steht?
Muß sein. Das ist ja alles ganz richtig.
Aber wichtig?
Verwaltung ist wichtig.
Für die ist Geld da. Für die die neuen
Kästen, die wie die Festungen dräuen.
Forts des Leerlaufs und Depots der Papiere.
Drinnen Juristen . . . alte Offiziere . . .
Steh am Schraubstock, du Ochse – laß deine Maschinen
laufen, du Tor – du wirst nichts verdienen.
Verdienen tut der, der verwalten kann:
der ist für die Wirtschaft der richtige Mann.
Und so vegetieren die betrogenen Massen
als Zwangsabonnenten von Ortskrankenkassen.
(Aus Kurt Tucholsky. Gesamtausgabe in drei Bänden. Dünndruck. Band III 1929 -1932.
Seite 461 – 463) (1930)