Die hochtrabenden Fremdwörter von Kurt Tucholsky

Die hochtrabenden Fremdwörter (Aus einem Brief an die Leserin Erna G.) von Kurt Tucholsky, Gesamtausgabe Band III, (1929 -1932), Seite 418. (1930) zuerst erschienen in der Zeitschrift „Die Weltbühne“ (WB)  vom 15. April 1930.

Tucholskys Antwort…….Hm. Hör mal zu- die Sache ist so. Etwa die gute Hälfte aller Fremdwörter kann man vermeiden, man solls auch tun….Soweit hast du ganz recht.

Aber nun sieh auch einmal die andere Seite. Es gibt in Deutschland einen Snobismus der schwieligen Faust, das Fremdwort >Snobismus< wollen wir gleich heraushaben. Es gibt da also Leute, die, aus Unfähigkeit, aus Faulheit, aus Wichtigtuerei, sich plötzlich, weil sie glauben, da sei etwas zu holen, den Arbeitern zugesellen, Leute, die selber niemals mit ihrer Hände Arbeit Geld verdient haben, verkrachte Intellektuelle, entlaufene Volksschullehrer, Leute die haltlos zwischen dem Proletariat der Arme und dem des Kopfes, zwischen Werkstatt und Büro hin- und herschwanken – und denen nun plötzlich nichts volkstümlich genug ist. Maskenball der Kleinbürger; Kostüm: Monteurjacke. Nein, du gehörst nicht dazu – ich erzähle dir nur davon. Und da hat nun eine Welle von >Arbeiterfreundlichkeit< eingesetzt, die verlogen ist bis ins Mark. 

Man muß scharf unterscheiden: Schreibt einer für Arbeiter, für eine Leserschaft von Proletariern, so schreibe er allgemeinverständlich. Das ist viel schwerer als dunkel und gelehrt zu schreiben – aber man kann vom Schriftsteller verlangen, daß er gefälligst für die schreibe, die sein Werk lesen sollen. Der Proletarier, der abends müde aus dem Betrieb nach Hause kommt, kann zunächst mit so einem Satz nichts anfangen: >Die vier größten Banken besitzen nicht ein relatives sondern ein absolutes Monopol bei der Emission von Wertpapieren.<

Dieser Satz aber ist von Lenin (Der Imperialismus als jüngste Etappe des Kapitalismus), und der Satz ist, bei aller Klarheit des Gedankens nicht für die Straßenpropaganda geschrieben. Denn hier läuft die Grenzlinie: Die einen betreiben Klassenkampf, in dem sie mit wissenschaftlichem Rüstzeug der Philosophie, der Geschichte, der Wirtschaft zunächst theoretisch abhandeln, wie es mit der Sache steht. Lenin hat beides getan; der Fall ist selten.

Die zweite Art Schriftstellerei kann nun nicht umhin, sich der Wörter und Ausdrücke zu bedienen, die bereits vorhanden sind. Ich habe mich stets über die Liebhaber der Fachausdrücke lustig gemacht, jene Affen des Wortes, die da herumgehen und glauben, wer weiß was getan zu haben, wenn sie >Akkumulation des Finanzkapitals> sagen, und denen das Maul schäumt, wen sie von >Präponderanz der innern Sekretion< sprechen.

Über die wollen wir nur lachen. Vergiß aber nicht, daß Wörter Abkürzungen für alte Denkvorgänge sind; sie rufen Gedankenverbindungen hervor, die bereits in den Menschen gleicher Klasse und gleicher Vorbildung schlummern und auf Anruf anmarschiert kommen – daher sich denn auch Juristen oder Kleriker oder Kommunisten untereinander viel leichter und schneller verständigen können als Angehörige verschiedener Gruppen untereinander. Es ist nun für den Schriftsteller einfach unmöglich, alles, aber auch alles, was er schreibt, auf eine Formel zu bringen, die jedem, ohne Bildung oder aber mit nur wenig Bildung, verständlich ist.

Man kann das tun. Dann sinkt das Durchschnittsmaß des Geschriebenen tief herunter; es erinnert das an den Stand der amerikanischen Tagesliteratur, die ihren Ehrgeiz daran setzt, auch in Bürgerfamilien gelesen werden zu können, bei denen kein Anstoß erregt werden darf. Und so sieht diese Literatur ja auch aus.

Will man aber verwickelte Gedanken, die auf bereits vorhandenen fußen, weil keiner von ganz von vorn anfangen kann, darstellen, so muß man sich, wenn nicht zwingende Gründe der Propaganda vorliegen, der Fachsprache bedienen. Keiner kommt darum herum. Auch Lenin hat das so gehalten……“

„….Es ist kein Verdienst der Söhne, wenn ihre Väter so viel Geld hatten, daß sie ihre Söhne aufs Gymnasium schicken konnten, gewiß nicht. Und was in den meisten Fällen dabei herauskommt, wissen wir ja auch.

Aber unterscheide gut, Erna, zwischen den beiden Gattungen, die da Fremdwörter gebrauchen: den Bildungprotzen, die sich damit dicke tun wollen, und den Schriftstellern, die zwischen >induktiv< und >deduktiv< unterscheiden wollen und diesen Denkvorgang mit Worten bezeichnen, die geschichtlich stets dieser Bezeichnung gedient haben. Die Intellektuellen eines Volkes sollen nicht auf dem Niveau von schnapsdumpfen Gutsknechten stehn – sondern der Arbeiter soll in Stand gesetzt werden, die intellektuellen Leistungen einer Gemeinschaft zu verfolgen.

Nicht: reinlich gewaschene Körper sind ein Abzeichen vom Verrat am Klassenkampf – sondern: alle sollen in die Lage gesetzt werden, sich zu pflegen. Den Körper, Erna und den Geist.“

Kurt Tucholsky, Gesamtausgabe. Dünndruck. Drei Bände, Band III, 1929 – 1932 (Aus: DIE HOCHTRABENDEN FREMDWÖRTER) Seite 418 – 421 (Ich hab nicht alles abgeschrieben, der Text ist wesentlich länger) zu erst erschienen in „Die Weltbühne“(WB)  vom 15. April 1930Nilpferd7

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