Wege der Liebe
Die erste Erzählung ist gut, >Die Liebe der drei Generationen< heißt sie. Die Mutter der Erzählerin dieser Geschichte ist mit dem Regimentskommandeur verheiratet, liebt aber den Kreisarzt:
Krach, Schwangerschaft und Verlassen des Ehemanns – eine liberale Ehetragödie, wie sie in der Zeitung steht. Die Erzählerin selbst lebt mit einem Genossen zusammen, wird aber im Strudel an einen Ingenieur getrieben, kommt wieder fort von ihm . . . vorbei.
Die Tochter lebt gleichfalls mit einem Genossen – daneben noch mit andern, sie findet nichts dabei. >Aber welcher Zusammenhang ist zwischen der Partei<, sagt sie, >der Revolution, der weißgardistischen Front, dem Zusammenbruch und allem, was du angeführt hast – und dem, dass ich mich mit Andrei und noch einem andern küsse . . . ?< Sehr fein, wie in diesen drei Generationen jede Mutter immer nur ihren eignen Fall, aber keineswegs den der Tochter versteht. Jede schüttelt den Kopf und versteht die Welt nicht mehr . . .
Folgt noch eine Erzählung: >Schwestern< (französischer Realismus aus dem Jahre 1895), und dann die Haupterzählung: >Wassilissa Maligyna<. Ja, das ist nun so eine Sache . . .
Also, ich kann mir nicht denken, dass das die neue bolschewistische Welt, die neue Liebe, die neue Generation ist. Ist sies aber wirklich: dann ist Frau Kollontai eine höchst mäßige Schriftstellerin. Über solche Dinge, Rußland betreffend, muß man in Deutschland ja immerzu nach zwei Fronten hin reden, und ich brauche wohl nicht zu betonen, dass zunächst und vor allem einmal die Nationalen im Unrecht sind, bevor sie noch den Mund aufgemacht haben. Auch erwarte ich keinerlei Romantik, und ich empfinde nichts so komisch wie den Einwand, den neulich ein deutscher Romantiker gemacht hat: das politische Leben der Russen sei ohne alle >Schönheit< – in schmutzigen Redaktionsstuben debattierten sie endlos und drehten sich Zigaretten . . . Möge jener in Schönheit sterben. Nein, der Mangel an Romantik ist es nicht. Es ist nur, halten zu Gnaden, belanglos.
Daß die Grete den Hans liebt, der aber hinwiederum es mit der Lotte hat, wird dadurch nicht interessanter, dass sich die handelnden Personen mit >Genosse Diensthabender< anreden. Selbst wenn man, in verständlicher Mißachtung des Westens, nicht zeigen will, wie ökonomische Zustände Urtriebe verändern oder es nicht zu tun vermögen: es gibt ein Kunstgesetz, das ewig ist: Wir wollen nicht gelangweilt werden! Und dies ist zum Gähnen langweilig. Auch hat diese Liebesgeschichte etwas, was Fontane so schön >sechserhaft< nennt: es sind Murks-Liebesschmerzen, Murks-Ausschweifungen, murksig das Ganze.
Also ein gleichgültiges Buch, wie es deren Hunderte gibt.
Aber mitnichten möchte ich in den Topf der snobistischen Antibolschewisten geworfen werden, die >schon wieder< dagegen sind, worauf es gewiß nicht ankommt, und denen sich, zu meinem Schmerz, in einem unsäglich albernen Buch auch Sir Galahad angeschlossen hat. Das kommt sich gar so mutig vor, wenn es etwas gegen Dostojewski, und weil wir grade bei den Russen sind, auch gleich gegen die Bolschewisten sagt . . . So geht das wirklich nicht. Da drüben steht eine politische Leistung, wie sie nur alle paar Jahrhunderte einmal vorkommt. Mäßige Literatur ist kein Einwand gegen ein Land.
Frau Kollontai ist sicherlich eine gute Politikerin. Bücher schreiben kann sie nicht. Aber schließlich haben wir ja auch von Kanzler Marx kein Lyrikbändchen >Heckenros‘ und Vergißmeinnicht<, und so scheint mir zunächst wichtiger, dass die Leute in Rußland zu essen haben und nicht ausgenutzt werden, als dass sie, den Antiquaren zu Gefallen, in Leder zu bindende schöne Bücher verfassen. Was sie, übrigens, dennoch tun.“
I. W. (Ignaz Wrobel). Erstveröffentlichung in die W.B. (Die Weltbühne). Am 10. August 1926. Zitiert nach der Gesamtausgabe. Dünndruck. Drei Bände. Band II. 1925 -1928. Seite 477 – 478. Merkwürdiger Weise fehlt im Band III im Personenregister der Name dieser Frau. Alexandra Michailowna Kollontai geb. Domontowitsch. Dafür hier ein Bild von ihr, das ich bei Wikipedia gefunden habe. Laut Wikipedia ist der Fotograf oder die Fotografin dieses Fotos unbekannt. Dafür hat Wikipedia dem Schreiber dieser Zeilen die Füsse abgeschnitten. Oder ist das beim Hochladen passiert?Wer das Foto von Kurt Tucholsky in Paris 1928 gemacht hat, ist offensichtlich auch unbekannt. Wikipedia hat das Foto von Frau Sonja Thomassen aus Norwegen. Aber seit wann ist es üblich die Namen der Personen zu nennen, die das Foto geerbt haben?
Da fällt mir noch ein. Billy Wilder (Billie Wilder) hat das Kunstgesetz von Tucholsky weiter entwickelt. Ich müßte noch mal nachsehen. Aber das ging ungefähr so. Es gibt drei Gesetze bei der Entwicklung eines Drehbuchs und der Herstellung eines Filmes. 1) Du sollst nicht langweilen! 2) Du sollst nicht langweilen! und 3) Du sollst nicht langweilen! Billy Wilder hat uns in vielen Filmen gezeigt, daß er diese drei Gesetze streng beachtet hat.Diese Postkarte gibt es im Verlag Neue Kritik, Kettenhofweg 53. Mein Exemplar ist schon so alt, das hat noch die alte Postleitzahl D 6000 Frankfurt 1. (Mit anderen Worten, ich weiß gar nicht, ob es die Postkarte bei dem Verlag noch gibt). Der Text auf der Rückseite der Postkarte ist:
5 Die Schriftstellerin Aléxandra Kollontai (1872 – 1952) mit obdachlosen Kindern 1918 in Petrograd.
Der Verlag Neue Kritik ist immer noch im Kettenhofweg 53, die PLZ lautet 60325 Frankfurt am Main und eine Mail Anschrift haben sie auch: info@neuekritik.de