HAMBURGER GITTER

Hamburger Gitter von Marco Heinig, Steffen Maurer, Luise Burchard, Luca Vogel, Deutschland 2018, 76 Min.

Am Ende ist es so wie immer. Die Bilder am Anfang hatten meine Neugier erzeugt. Hier – so dachte ich – versuchen sie etwas Neues.

Und ihre These ist auch nicht schlecht: In Hamburg zeigt uns die Polizei, wie die Aufstandsbekämpfung in Zukunft aussehen soll. Widersprüche in der Gesellschaft werden bekämpft mit Aufrüstung. Mehr Geld – mehr Waffen. Angst machen Jenen, die sich widersetzen. Die nicht mit machen wollen.

Jener Gesellschaft, die immer mehr Armut auf der einen Seite und immer mehr Reichtum auf der anderen Seite erzeugt. Immer weniger Leute sollen sich trauen für ihre Meinung auf die Straße zu gehen. Die Taktiken, die hinter diesen Strategien stecken, können nicht bewiesen werden. Geschweige denn die Taktiker (es sind meist Männer) dahinter entlarvt und bekämpft werden.

Mein Unbehagen an dem Film >Hamburger Gitter< nimmt während der Vorführung zu. Es ist doch wieder nur die Oberfläche, an der dort gekratzt wird. Die Leute, die wir kennen, sagen das, was wir von ihnen kennen. Oft stimme ich mit ihnen überein. Immerhin wird Karl Heinz Dellwo nicht mit dem Stigma vorgestellt, wie ihn sonst immer unsere >Blödzeitung< präsentiert.

Der Pressesprecher der Polizei, ohne jeden Widerspruch, sagt das, was er immer sagt. Wir haben alles richtig gemacht! Die Politikerin, die wir von früher als widerstehend kannten, bemerkt, dass in den Akten viele Seiten fehlen, von denen sie aber nicht weiß, was in ihnen zu lesen ist. Man hört heraus, sie ist im Parlament gefangen. Dort geht man höflich miteinander um. Das hat sie nicht verdient. Nur die Anwältin hält kein Blatt vor den Mund.

Aber die Betroffenen schildern, was man mit ihnen angestellt hat. Fast noch Kinder, die in den vorbereiteten Demonstrantenknast kamen. Hier kommt wieder die SPD-Leberwursttaktik (Vorne und hinten zumachen und dann draufhauen) zum Vorschein, die schon 1967 zu dem Tod eines Menschen geführt hat.

Beweisen kann man das alles nicht. Toll, die technischen Möglichkeiten, die die Aufrüstung der Polizei so mit sich gebracht hat. Das schwankt.

Manchmal ist es die unsinnige, unmenschliche Politik, die so etwas hervorbringt, manchmal ist es die aus dem Ruder gelaufene Polizei, die ihre eigenen Ziele gegen die politische Führung verfolgt.

Nur die Frage, wer die Polizei aus dem Ruder hat laufen lassen, wird weder gestellt, noch beantwortet. Und dann drängt sich unwillkürlich die Frage auf: Vielleicht ist die Polizeiführung bei ihren Gesetzesverletzungen gar nicht aus dem Ruder gelaufen? Sondern sie tut genau das, was politisch gewollt ist!

Nur dass es so aussehen soll, als ob die Herren, die dort vorgeführt werden, gar nicht vorgeführt werden. Schade, daß der Kletterer im Film nicht zu Wort kommt, der im Spiegel Online so gut beschrieben hat, wie er auf das ungesichterte Baugerüst des SPD Deputierten hinaufgeklettert ist und dort keine Gehwegplatten und Munition fand, vor denen die Polizei so Angst hatte.

Die Polizei soll so Angst gehabt haben, reden uns die verantwortlichen Politiker ein, weil sie dort doch nur zwei kleine Wasserwerfer und anderes Gerät vor Ort hatten.

Ein alter Film scheint bei der Polizeiführung Pate gestanden zu haben: Sein Titel: >Was tun, wenns brennt?< Die Antwort > Brennen lassen<. Nach der Parole >Die Bilder können uns nützen<.

Mehrere Stunden haben sie es brennen lassen. Bis endlich (noch schwerer bewaffnet und mit Schießerlaubnis) die rettende Einheit kam. Und die Kletterer auf dem Gerüst in den Knast.

Natürlich kann man nicht beweisen, dass dieser Ort an strategischer Stelle (Schulterblatt 1) von der Polizeiführung mit Absicht vergessen wurde.

Selbst in der >Blödzeitung< war hinterher zu lesen, dass der Schlüssel für das Haus und das Baugerüst in der nächsten Wache hinterlegt war!

Wie die Blödzeitung so ist. Der Namen des Besitzers und seine Stellung in der Deputation der Wirtschaftsbehörde wurde verschwiegen. Peinlich? Verschwörungstheorie? Vielleicht? Aber vielleicht auch nicht! Man soll diese Herren nicht über- , aber auch nicht unterschätzen. Schließlich gab es dieses Gerüst schon ein paar Jahre. Übersehen? Kaum zu glauben!

Den Vergleich mit Ebert, Noske, Zörgiebel und Eggerstedt, nach denen überall in Deutschland Straßen benannt sind, erspare ich mir. Gibt es eine Noske Strasse in Hamburg? Noch nicht. Aber in Wilhelmshaven gibt es eine Gustav Noske Strasse. Und in Bonn wird gerade ein entsprechender Antrag geprüft. Antragsteller ist der Freiherr von Mengersen.

So weit sind wir noch nicht. Die Erinnerungskultur der letzten Jahrzehnte zeigt: Man hat Lehren aus dem eigenen historischen Versagen in der Weimarer Republik und der Nazizeit gezogen. Nur sind diese Lehren, die man gezogen hat, nicht geeignet auf einem Weg zu >Mehr Demokratie< oder gar >Mehr Gerechtigkeit<. Das wollten die Wähler ihnen nicht so recht glauben. Und wählen wollten sie sie schon gleich gar nicht.

Besonders am Ende des Filmes wird deutlich, wie die Kräfte in der Gesellschaft derzeit verteilt sind. Die öffentliche Film Förderung aus Steuergeldern, die in den letzten Jahrzehnten in Deutschland aufgebaut wurde und die dafür geschaffen wurde auch nichtkommerzielle Produktionen zu fördern, hat die Produktion dieses Filmes nicht unterstützt. Auch der Vorgängerfilm >Empire St. Pauli< wurde als nicht förderungsfähig von den Gremien der staatlichen Filmförderung abgelehnt.

Nein. Diese Filmförderung tut nicht das, wofür sie einmal geschaffen wurde. Sie steht schon lange abseits der Aufklärungsfelder der Widersprüche in der Gesellschaft. Sie ist so – wie die Polizeiführung – selbst ein Teil jener Politik, die dafür sorgt, dass jene Meinungen, die nicht gewünscht werden, verhindert werden sollen. Sie schützt eine Ordnung, die Wenigen nützt und den Reichtum der Wenigen vermehrt. Schade nur, dass diese Seite eine große Kehrseite dieser Ordnung darstellt.

Der Film >Hamburger Gitter< hatte einen großen Zulauf in Hamburg und das ist immerhin ein Licht am politischen Horizont, der uns Hoffnung macht.

Auch wenn er unter schwierigen finanziellen Verhältnissen vielleicht nicht besser werden konnte, als er jetzt ist. Das ist ein Streifen am Horizont. So wie >Empire St. Pauli< einer war. Hamburger Gitter heißt der Film. Er hätte gut auch: >HAMBURGER HINTER GITTER!<, heißen können, wenn Politiker und Polizisten den Titel hätten wählen können. Das war die eigentliche Parole des >Hamburger Alternativ-Hafengeburtstages< unter denen sie diese Veranstaltung gestellt hatten.

10.08. 2018 Jens Meyer

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