Heinrich Heines Brief an Varnhagen von Ense

Ein Brief Heinrich Heine’s
an Varnhagen von Ense über Ferdinand Lassalle.

Paris, 3. Januar 1845.

Theuerster Varnhagen!

Es ist dies der erste Brief, den ich in diesem neuen Jahre schreibe und ich beginne ihn mit dem herzlichsten Glückwunsch. Möge in diesem Jahre leibliches und geistiges Wohlsein Sie beglücken. Daß Sie von körperlichen Leiden so oft niedergedrückt, höre ich mit größter Betrübniß. Ich hätte Ihnen gern zuweilen ein tröstendes Wort zugerufen, aber Hekuba ist eine schlechte Trösterin. Mir ging es nämlich in der letzten Zeit spottschlecht und das Schreiben erinnert mich beständig an mein körperliches Mißgeschick: ich kann kaum meine eigenen Schriftzüge sehen, indem ich ein ganz geschlossenes und ein bereits sich schließendes Auge habe und jeder Brief mir nur neue Pein verursacht.

Ich ergreife daher mit innigster Freude die Gelegenheit, Ihnen durch einen Freund mündlich Nachrichten von mir zukommen zu lassen und da dieser Freund in alle meine Nöthe eingeweiht ist, so kann er Ihnen umständlich mittheilen, wie entsetzlich mir von meinen nächsten Sippen mitgespielt worden und was etwa in dieser Beziehung noch für mich zu thun wäre.

Herr Lassalle, der Ihnen diesen Brief bringt, ist ein junger Mann von den ausgezeichnetsten Geistesgaben, mit der gründlichsten Gelehrsamkeit, mit dem weitesten Wissen, mit dem größesten Scharfsinn, der mir je vorgekommen. Mit der reichsten Begabniß der Darstellung verbindet er eine Energie des Willens, eine Habilité im Handeln, die mich wahrhaft in Erstaunen setzen, und wenn seine Sympathie für mich nicht erlöscht, so erwarte ich von ihm den thätigsten Vorschub. Jedenfalls war diese Vereinigung von Wissen und Können, von Talent und Charakter für mich eine freudige Erscheinung und Sie bei Ihrer Vielseitigkeit im Anerkennen werden gewiß ihm volle Gerechtigkeit wiederfahren lassen.

Herr Lassalle ist nun einmal so ein ausgezeichneter Sohn der neuen Zeit, der nichts von jener Entsagung und Bescheidenheit wissen will, womit wir uns mehr oder minder in unserer Zeit hindurchgelungert und hindurchgefaselt.

Dieses neue Geschlecht will genießen und sich geltend machen im Sichtbaren; wir, die Alten, beugten uns demüthig vor dem Unsichtbaren, fischten nach Schattenküssen und blauen Blumengerüchen, entsagten und flennten und waren doch vielleicht glücklicher, als jene harten Gladiatoren, die so stolz dem Kampftode entgegengehen.

Das tausendjährige Reich der Romantik hat ein Ende und ich selbst war sein letzter und abgedankter Fabelkönig. Hätte ich nicht die Krone vom Haupte fortgeschmissen, sie hätten mich richtig geköpft — —

Vor vier Jahren hatte ich, ehe ich abtrünnig wurde von mir selber, noch ein Gelüste mit den alten Traumgestalten herumzutummeln im Mondschein, und ich schrieb Atta Troll, den Schwanengesang der untergehenden Periode und Ihnen habe ich ihn gewidmet. Das gebührte Ihnen, denn Sie sind immer mein wahlverwandtester Waffenbruder gewesen, in Spiel und Ernst. Sie haben gleich mir die alte Zeit begraben helfen und bei der neuen Hebammendienst geleistet — ja, wir haben sie zu Tage gefördert unter Schrecken — es geht uns wie dem armen Huhn, das Enten-Eier ausgebrütet hat und mit Entsetzen sieht, wie die junge Brut sich in’s Wasser stürzt und wohlgefällig schwimmt.

Ich bin durch Buchhändlerkontrakt verpflichtet, den Atta Troll herauszugeben; das soll in einigen Monaten geschehen — mit Vorsicht, damit man mir nicht den Prozeß macht und mich köpft.

Sie merken, theurer Freund, wie vag‘, wie ungewiß mir zu Muthe ist. Solche schwachmatische Stimmung ist jedoch zumeist in meiner Kränklichkeit begründet. Schwindet der Lähmungsdruck, der gleich einem eisernen Reifen mir die Brust einklemmt, so wird auch die alte Energie wieder flügge werden. Ich fürchte jedoch, das wird noch lange dauern. Der Verrath, der im Schooße der Familie, wo ich waffenlos und vertrauend war, an mir verübt wurde, hat mich wie ein Blitz aus heiterer Luft getroffen, und fast tödlich getroffen.

Wer die Umstände erwägt, wird hierin einen Meuchelmords-Versuch sehen. Die schleichende Mittelmäßigkeit, die 20 Jahre lang harrte, ingrimmig neidisch gegen den Genius, hatte endlich ihre Siegesstunde erreicht. Im Grunde ist auch das eine alte Geschichte, die sich immer erneut.

Ja, ich bin sehr körperkrank, aber die Seele hat wenig gelitten. Eine müde Blume, ist sie ein bischen gebeugt, aber keineswegs welk und wurzelt noch fest in Wahrheit und Liebe.

Und nun leben Sie wohl, theuerster Varnhagen. Mein Freund Lassalle wird Ihnen sagen, wie viel und wie unaufhörlich ich an Sie denke, was um so begreiflicher, da ich jetzt gar nicht lesen kann und bei den langen Winterabenden nur von Erinnerungen mich erheitere.

Heinrich Heine

pdfHeinrichHeineBriefanVarnhagen

Ja, Madame, dort bin ich geboren, und ich bemerke dieses ausdrücklich für den Fall, daß etwa nach meinem Tode sieben Städte – Schilda, Krähwinkel, Polkwitz, Bochum, Dülken, Göttingen und Schöppenstedt – sich um die Ehre streiten, meine Vaterstadt zu sein.

Düsseldorf ist eine Stadt am Rhein, es leben da sechzehntausend Menschen, und viele hunderttausend Menschen liegen noch außerdem da begraben.

Und darunter sich manche, von denen meine Mutter sagt, es wäre besser sie lebten noch, z. B. mein Großvater und mein Oheim, der alte Herr v. Geldern und der junge Herr v. Geldern, die beide so berühmte Doktoren waren, und so viele Menschen vom Tode kuriert, und doch selber sterben mußten.“ (Heinrich Heine sämtliche Werke, Fünfter Band Kapitel VI, Seite 95)

PDF Heine Geburtsort

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