(erschien zuerst in der der „Zeitschrift für Geschichtswissenschaft“, Berlin Heft 7/8 – 2019)
Wilfried Weinke über die Bücher:
Roland Jaeger: Foto-Auge Fritz Block. Neue Fotografie – Moderne Farbdias. Scheidegger & Spiess, Zürich 2018, 336 S.
Erika Eschebach, Helena Weber (Hg.): Fred Stein. Dresden. Paris. New York. Sandstein Verlag, Dresden 2018. 240 S.
Beide Männer waren jüdischer Herkunft. Beide konnten in die USA emigrieren. Beide wurden professionelle Fotografen, obwohl sie ursprünglich andere Berufe ausübten oder anstrebten. Die Rede ist von dem aus Hamburg stammenden Fritz Block (1889-1955) und dem in Dresden geborenen Fred Stein (1909-1967).
Der Architektur- und Kunsthistoriker Roland Jaeger, der sich zuletzt durch die gemeinsam mit Manfred Heiting herausgegebenen „Autopsie“-Bände zu deutschsprachigen Fotobüchern zwischen 1918 und 1945 einen Namen gemacht hat, veröffentlichte eine sowohl im Umfang wie im Layout beeindruckende Monografie zu Fritz Block. Seit seiner Dissertation „Block & Hochfeld. Die Architekten des Deutschlandhauses. Bauten und Projekte in Hamburg 1921-1938. Exil in Los Angeles“ (1996) ist er seinen Protagonisten forschend verbunden geblieben.
Block war einer der Erbauer des „Deutschlandhauses“, einem der wichtigsten Bauwerke im Hamburg der Zwanziger Jahre; die Diskussion um den geplanten Abriss des Gebäudes schlug in jüngster Vergangenheit Wellen bis in die überregionale Presse und wurde als ein die Stadtidentität zerstörender Skandal eingestuft.
Block hatte sich nicht allein auf seine Rolle als Architekt dieser markanten Gebäudekomplexes beschränkt, sondern auch die Bauausführung und den -fortschritt fotografisch dokumentiert. Seine Bildstrecken veröffentlichte er in der illustrierten Presse wie in Fachzeitschriften. Doch der fotografierende Architekt nahm auch andere Motive in den Sucher seiner Kamera, so die Elbbrücken Hamburgs, die Industrie- und Werftanlagen, die Schwimmdocks im Hamburger Hafen, die Elbfischer von St.Pauli, Kinder in Hagenbecks Zoo oder Clowns im Zirkus Sarrasani.
Aber auch Blocks Stadt- und Reisefotografie, die ihn schon vor 1933 nach Paris, Marseille, an die Côte d’Azur, nach Algerien und Tunesien führten, nehmen in Jaegers Darstellung breiten Raum ein. Sie wird nicht allein durch prächtige schwarz-weiß Fotografien illustriert, sondern auch durch den Kontext ihrer Veröffentlichungen in den Kupfertiefdruckbeilagen der illustrierten Presse der Weimarer Republik zusätzlich dokumentiert.
Rund 4.000 Aufnahmen entstanden während einer mehrwöchigen Reise durch die USA, die Block 1931 unternahm. Allein 100 Seiten seiner Monographie widmet Jaeger dieser fotografischen Exkursion Fritz Blocks. Dessen Fotografien erfassten architektonische Besonderheiten amerikanischer Metropolen: natürlich das Empire State Building, das Häusermeer und die Straßenschluchten Manhattans, Details der Brooklyn- wie der George Washington-Bridge, den Broadway bei Nacht, aber auch die Ford-Fabrik in Detroit, das Schlachthofgelände in Chicago sowie Industrieanlagen in Los Angeles. Dank seiner Leica-Kleinbildkameras gelangen ihm sympathische wie humorvolle Aufnahme von Straßenszenen, von Passanten und Kindern. Seine umfangreichen Bildstrecken trugen Titel wie „5th Avenue in Newyork“, erschienen in der „Schweizer Illustrierten Zeitung“. Fotoreportagen wie „Harlem“, „Die Ford-Fabrik“, „Amerikanerinnen und amerikanische Kinder alle Rassen“ und „Die Enkel des grossen Winnetou“ veröffentlichte er in der illustrierten Presse Hamburgs.
Nach der Machtübertragung an die Nationalsozialisten gab es für Fritz Block keine Chance mehr, seine erfolgreiche Tätigkeit als Fotograf in Deutschland fortzusetzen. Die „Deutschen Nachrichten“, das „Organ der Deutschvölkischen Freiheitsbewegung“, setzten seinen Namen auf eine „Liste der Juden und Ausländer“. Im Herbst 1933 erfolgte Blocks Ausschluss aus dem Bund Deutscher Architekten. Eine in der ersten Jahreshälfte 1938 angetretene Weltreise diente der Vorbereitung der Emigration. Nach der Pogromnacht kurzzeitig im KZ Sachsenhausen inhaftiert, gelang dem Ehepaar Block noch im November 1938 die endgültige Ausreise aus Deutschland.
Dort wandte sich Block der Farbfotografie zu, bezeichnete sich selbst als „color photographer“. Bis 1954 versandte er, unterstützt von seiner Frau, unter der Geschäftsbezeichnung „Dr. Block Color Productions“ Farbdia-Serien zu Architektur, Kunst, Design und Technik. Diese gerade für den Bereich der Exilfotografie ungewöhnliche wie einmalige Leistung würdigt Jaeger in einem selbstverständlich farbig illustrierten Kapitel mit der Überschrift „Schule des Sehens in Kodachrome“. Der Autor liefert mit dieser vielfache Entdeckungen bietenden und hervorragend gestalteten Monografie einen wichtigen Beitrag zu einem in der einschlägigen Literatur übersehenen Fotografen jüdischer Herkunft.
Auch der 1909 geborene Fred Stein, Sohn eines Dresdner Rabbiners, absolvierte keine Fotografenlehre. Er hatte Rechtswissenschaften studiert und sein Referendariat begonnen, als er im Juni 1933 aus Gründen der „Rasse und nationaler Unzuverlässigkeit“ Berufsverbot erhielt. Politisch interessiert, engagierte er sich in der jüdischen Jugendgruppe „Kameraden“; später wurde er Mitglied der „Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands“ (SAP). Auch nach der Machtübertragung an die Nationalsozialisten setzte er die antifaschistische Agitation fort. Doch angesichts zunehmender Gefährdung floh er im Herbst 1933 gemeinsam mit seiner Frau nach Paris. Das gemeinsam angeschaffte Hochzeitgeschenk, eine Leica-Kleinbildkamera, ermöglichte den Wechsel ins fotografische Metier. Wie Stein rückblickend urteilte: „Dresden vertrieb mich, so wurde ich Fotograf.“
Im letzten Jahr kehrte Fred Stein nun durch seine Fotografie in seine Geburtsstadt zurück. Von April bis Oktober 2018 zeigte das dortige Stadtmuseum eine umfassende Retrospektive. Parallel erschien ein von den Museumsverantwortlichen herausgegebenes Katalogbuch, das schon im Titel die drei Lebensstationen Fred Steins benennt: Dresden, Paris, New York.
Stein, der sich auf autodidaktischem Wege zum anerkannten Fotografen entwickelte, nutzte die französische Hauptstadt, die sehr schnell zu einem Zentrum deutscher und österreichischer Emigranten wurde, für zahlreiche exzeptionelle Porträts von Ernst Bloch, Bertolt Brecht, Arthur Koestler, Klaus Mann u.v.a. Willy Brandt, der mit Fred Stein befreundet war, charakterisierte ihn als avantgardistischen, brillanten Fotografen. Dank seiner Kamera, die ihm eine hohe Mobilität, unterschiedliche Perspektiven und serielles Fotografieren bot, schuf er auch atmosphärisch dichte Aufnahmen von Straßenszenen.
Nach der Besetzung Frankreichs als „feindlicher Ausländer“ interniert, gelang Fred Stein 1940 die Flucht aus dem Lager. Dank der Hilfe von Varian Fry und dem „Emergency Rescue Committee“ konnte er gemeinsam mit Frau und Tochter im Mai 1941 von Marseille aus in die USA emigrieren.
Wie in Paris galt Fred Steins Interesse zuerst dem Straßenleben seiner neuen Heimat. Der Sucher seiner Kamera erfasste die Skyline wie die Straßenschluchten Manhattans, die Wolkenkratzer, die Billboards, den Autoverkehr, aber auch die Straßen belebende Menschen, die Schuhputzer, die spielenden Kinder in Harlem. All diese Aufnahmen zeichnen sich durch eine von Empathie geprägte Sichtweise des Fotografen aus. Zu diesen Fotos gesellten sich später auch charakteristische Porträts von Hannah Arendt, Martin Buber, Marc Chagall, Marlene Dietrich, Albert Einstein, Thomas Mann, Arnold Schönberg u.a. Als Fred Stein, seit 1952 amerikanischer Staatsbürger, im Alter von 58 Jahren starb, stand im Nachruf des New Yorker „Aufbau“, dass die Zeitung in ihm „einen guten und zuverlässig treuen Freund und hochgeschätzten Mitarbeiter“ verloren hätte. Steins Archiv sei für viele Zeitungen und Verlagshäuser ständige Quelle fotografischer Bedarfsdeckung gewesen.
Die vom Dresdener Stadtmuseum vorgelegte deutsch-englische Veröffentlichung leuchtet das wahrlich bewegte Lebens Fred Steins facettenreich aus. Die ansprechend illustrierte Biografie des Fotografen, der die Frau an seiner Seite würdigende Text, die Erinnerungen des 74jährigen Sohnes Peter an seinen Vater bereichern den Blick auf die vorzüglich gedruckten Schwarz-Weiß-Fotografien von Fred Stein.
Wilfried Weinke
(erschien zuerst in der der „Zeitschrift für Geschichtswissenschaft“, Berlin Heft 7/8 2019) Stahlskelettbau Deutschlandhaus. Foto Staatsarchiv Hamburg
pdfWilfried Weinke über zwei Bücher2
Foto oben. Alte Postkarte (1932?), Foto links: Deutschlandhaus 1989, Foto rechts unten Deutschlandhaus 1989 Fotos von Jens Meyer. Leider (nach dem Wiederaufbau) ohne Kino.